es war der 12. November 1978 frühmorgens vor dem VW-Hochhaus in Wolfsburg. Am Eingang standen 14 Männer aus der Volksrepublik. Sie wirkten etwas verloren. Und in ihren schlecht sitzenden Anzügen machten sie nicht den Eindruck, Regierungsvertreter der bevölkerungsreichsten Nation der Welt zu sein.
Einer überreichte den VW-Vertretern ein Blatt, auf dem die Namen der Delegationsteilnehmer und ihre Funktionen aufgeführt waren. Telefonnummern standen nicht darauf. Später gestand einer der Delegationsteilnehmer, in ganz Peking habe es rechtzeitig vor Abreise keine Möglichkeit gegeben, Visitenkarten zu drucken. So rückständig war China damals noch.
Ein etwas hagerer Delegationsteilnehmer, der in der dritten Reihe stand, stellte sich als Direktor der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten im Maschinenbauministerium vor. Ansonsten sagte er wenig. Nur seine übergroße Brille fiel damals schon auf. Sein Name: Jiang Zemin. Er wurde 15 Jahre später Staatspräsident der Volksrepublik. Sein Besuch 1978 in Wolfsburg prägte ihn nachhaltig. In seiner Amtszeit bis 2003 stieg Volkswagen zur unangefochtenen Nummer eins auf dem chinesischen Automarkt auf. Nun ist Jiang mit 96 Jahren gestorben. Einen Nachruf hat Michael Radunski verfasst. Fabian Peltsch beschäftigt sich mit Jiang Zemins Bedeutung in der heutigen Pop-Kultur.
So ganz verbohrt scheint Chinas Führung nicht zu sein, wie es derzeit den Anschein macht – zumindest wenn es um Geschäfte geht. Das Land baut offenbar an einer zweiten Lieferkette, die frei von Polysilizium aus Xinjiang sein soll, wie Nico Beckert berichtet. Damit will die Führung drängende Fragen nach Menschenrechten beim Absatz seiner Produkte in Europa und den USA umgehen. Das dürfte vor allem einen im deutschen Wirtschaftsministerium freuen.
Jiang Zemin (江澤民) ist tot. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Mittwoch berichtete, ist der frühere chinesische Staats- und Parteichef an multiplem Organversagen infolge einer Leukämie-Erkrankung im Alter von 96 Jahren in Shanghai gestorben. Jiang war von 1989 bis 2002 Generalsekretär der Kommunistischen Partei. In einer Erklärung der KP heißt es: “Der Tod von Kamerad Jiang Zemin ist ein unschätzbarer Verlust für unsere Partei, unser Militär und unser Volk.” Und: “Genosse Jiang Zemin ist unsterblich!”
Dabei wird Jiangs Leistung oftmals unterschätzt. In den Geschichtsbüchern erhält er zwischen den schier übergroßen Führern wie Mao Zedong, Deng Xiaoping und nun Xi Jinping meist nur wenig Platz. Zu Unrecht.
Als Jiang im Sommer 1989 zum Generalsekretär der KP ernannt wird, ist China ein Außenseiter in der Staatengemeinschaft. Die Führung hat gerade erst die Studenten- und Arbeiterproteste rund um den Tian’anmen-Platz brutal niederschlagen lassen. Die Aufbruchsstimmung der Reform- und Öffnungspolitik ist dahin. Es scheint, als würde China wieder unter der eisernen Knute der Autokratie verschwinden.
Dann kommt Jiang an die Macht und führt die Volksrepublik aus der internationalen Isolation zurück in die Staatengemeinschaft. Als er im März 2003 als Präsident der Volksrepublik abtritt, ist China der Welthandelsorganisation WTO beigetreten, hat Hongkong und Macau zurückerhalten, sich die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 gesichert und ist zum Land mit dem größten Wirtschaftswachstum der Welt geworden. Jiangs Pragmatismus entpuppte sich als Glücksfall für China.
Jiang wurde am 17. August 1926 in Yangzhou (Jiangsu) als Sohn einer Bäuerin und eines Elektrikers geboren. Als sein Onkel im Krieg gegen Japan fiel, wurde Jiang einer chinesischen Tradition folgend zur Witwe seines Onkels geschickt und wuchs dort als neuer männlicher Familienvorstand auf. Unversehens war er so zum “Sohn eines Märtyrers” geworden.
In Shanghai studierte Jiang Elektroingenieurwesen und trat 1946 in die Kommunistische Partei ein – anfangs ohne jedoch übermäßigen politischen Eifer zu zeigen. Er arbeitete sich langsam nach oben, ehe ihm als Bürgermeister und dann Parteichef von Shanghai der Sprung ins Politbüro der KP gelang. Der wirtschaftliche Erfolg Shanghais wurde damals allerdings vor allem dem Bürgermeister Zhu Rongji zugeschrieben. Jiang fiel dagegen in den Tagen lokaler Studentenproteste 1986 vor allem durch Gewaltverzicht auf. So unterließ er es, nach den Demonstrationen größere Strafmaßnahmen gegen die Studierenden einzuleiten.
Jiangs vermeintliche Friedfertigkeit hatte sogar Auswirkungen auf das Fernsehprogramm, als er eine allzu schießwütige amerikanische Polizeiserie kurzerhand absetzen ließ. Als Ersatz wählte er übrigens die deutsche Serie “Derrick” – schließlich bestach der Münchner Oberinspektor durch seinen Verstand statt durch Schießeisen und Muskelkraft. Doch Jiang wurde weiter unterschätzt. So manch einer verglich ihn gar mit einem Blumentopf: viel Dekoration, aber wenig Aktion.
Was ziemlich despektierlich daherkommt, ermöglichte Jiang wohl überhaupt erst den endgültigen Aufstieg in die Staatsspitze: Die KP-Führung war im Sommer 1989 derart tief gespalten, dass man als Nachfolger für den entmachteten Generalsekretär Zhao Ziyang einen Kompromisskandidaten suchte. Die Wahl fiel auf Jiang Zemin. Er galt als Übergangsfigur, als kleinster gemeinsamer Nenner, auf den sich die konkurrierenden Fraktionen einigen konnten. Ihre Hoffnung: viel Dekoration.
Jiang Zemin agierte nach der Parole “Stark an zwei Fronten”: In der Wirtschaft hielt er an Dengs Reformen fest, in der Politik hingegen setzte er auf Stabilität. Unter Jiang Zemin entstand ein autoritäres, selbstbewusstes und vor allem erfolgreiches China. Wirtschaftlich erlebte das Land unter Jiang atemberaubendes Wachstum. Jiang proklamierte die “sozialistische Marktwirtschaft” und rief die “große Erschließung Westchinas” (西部大开发) ins Leben. Später entwickelte er zudem die Idee des “Dreifachen Vertretens” (三个代表 ), womit er unter anderem die Kommunistische Partei für Privatunternehmer öffnete.
Auch außenpolitisch schaffte er die Kehrtwende: Zu seinen bemerkenswertesten Staatsbesuchen im Ausland zählen sicherlich Jiangs Reisen in die USA, wo er mit Bill Clinton öffentlich über Menschenrechte, die Situation in Tibet und Chinas zukünftige Entwicklung diskutierte. Oder auch sein Besuch in Deutschland, der den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen entscheidend voranbrachte.
Doch so liberal und offen sich Jiang im Ausland gab, so autoritär ging er im Inland gegen kritische Stimmen und Widersacher vor: Bei großangelegten Kampagnen wurden binnen Jahresfrist mehr als 350.000 Menschen verhaftet, mehr als 4.000 wurden hingerichtet. 1999 wurde die Bewegung “Falun Gong” verboten, zudem schränkte Jiang über die Jahre massiv die Pressefreiheit ein.
Die dekorative Übergangslösung Jiang entwickelte sich zu einem machtvollen Stabilisator. “Es sollte sich herausstellen, dass er tatsächlich ein guter Vermittler war, aber eben auch ein guter Manipulator”, urteilte der damalige US-Botschafter in China, James Lilley. Jiang gelang über die Jahre es, ein umfassendes Netz an Beziehungen, Seilschaften und Abhängigkeiten zu knüpfen. Die sogenannte Shanghai-Fraktion sollte ihm weitreichenden Einfluss sichern – auch nach seinem offiziellen Rücktritt als Staatspräsident 2003. Bis kurz vor seinem Tod zog er aus dem Hintergrund oftmals die Fäden.
Einer, der allerdings nicht zu Jiangs Gefolgsleuten zählt, ist Xi Jinping – im Gegenteil. Immer wieder wurde gemunkelt, dass altgediente Parteifunktionäre sehr kritisch auf Xi und dessen Führung blicken würden. Xi vermutete dahinter Jiang Zemin als Drahtzieher. Selbst hinter der Explosion im Hafen von Tianjin 2015 glaubte Xi einen Komplott unter der Führung von Jiang Zemin zu erkennen. Und so machte sich Xi daran, Jiangs Gefolgsleute aus ihren Posten zu drängen.
Es ist vor allem Jiangs unprätentiöse Art, die ihn heute wie einen Staatsmann aus einer längst vergangenen Zeit erscheinen lässt: Er tanzte Walzer, stimmte “Love me tender” von Elvis Presley an oder zupfte die hawaiianische Ukulele.
Und tatsächlich scheint es, als würden sich viele Chinesen gerade in diesen Tagen einen solchen Mann zurückwünschen. So mischte sich am Mittwoch unter die Trauer um Jiang immer wieder auch Kritik an Xi: Auf dem beliebten Messengerdienst WeChat wurde vor allem ein Lied geteilt mit dem Titel: Ein Jammer, dass Du es nicht bist. Nicht Jiang, sondern ein anderer hätte das Zeitliche segnen sollen, so die Botschaft zwischen den Zeilen.
Eine historische Parallele zu 1989, als der Tod des zwei Jahre zuvor zum Politbüromitglied demontierten Parteichefs Hu Yaobang die große Protestwelle auslöste, scheint dennoch etwas zu weit gegriffen. Hu galt als charismatischer Reformer, während Jiang Zemin vor allem Stabilisator und unterschätzter Strippenzieher war. Allerdings könnte sein Tod die Menschen in China durchaus anregen, kritisch auf die Unterschiede zwischen dem China unter Jiang und dem heutigen China unter Xi Jinping zu blicken.
In Chinas Social-Media-Welt hat Jiang Zemin in den vergangenen Jahren Kultstatus erlangt. Auf Wechat und anderen Kanälen zirkulieren tausende Sticker, GIFs und Memes mit dem Konterfei des ehemaligen Staatschefs: Jiang, der gähnt, spitzbübisch grinst, wie ein Rattenfänger Querflöte spielt oder mit bloßem Fingerzeig eine Atombombe zündet. Selbst die lächerlichsten davon werden nicht zensiert, im Gegenteil. In China ist Jiang Zemin ein wichtiger Teil der Pop-Kultur.
Die beiden Spitznamen, die vor allem junge Internet-User ihm gegeben haben, oszillieren zwischen Bewunderung und liebevollem Spott: Jiang Zemin, “der Ältere” 长者 oder, wegen vermeintlicher äußerer Ähnlichkeiten, einfach nur 蛤, “die Kröte”. Für die Jiang-Verehrung in Chinas Internet hat sich sogar ein Name etabliert: 膜蛤 – “Krötenverehrung“. Die Kröten-Fans 蛤丝 oder Krötenmagier “膜法师”, wie sie sich auch nennen, gelten als elitärer Zirkel: Sie sind patriotisch, kennen sich mit der jüngsten Geschichte und Außenpolitik der Volksrepublik bestens aus. Gleichzeitig sind sie keine blinden Befürworter von allem, was die Partei so macht. Die comichafte Überzeichnung von Jiang Zemin kann so auch als ironische Brechung des politischen Personenkultes gewertet werden, der unter Xi Jinping eine Wiedergeburt erlebt.
Jiangs politisches Vermächtnis spielt bei der Kröten-Verehrung keine wichtige Rolle. Für die überwiegend jungen Fans, die seine Regierungszeit allenfalls als Kinder miterlebt haben, ruft der mal ruppige und mal joviale Stil Jiangs eher eine diffuse Nostalgie nach einem irgendwie lockereren China hervor. Jiang ist der unverwüstliche Opa, der beim Frühlingsfest ohne mit der Wimper zu zucken und mit trockenem Humor das Essen kommentiert oder in schallendes Lachen ausbricht, wenn die Enkelin ihre neue Frisur vorführt.
Im echten Leben hat Jiang nie den großen Auftritt gescheut. Er hatte keine Angst, vor den Augen der Welt zu improvisieren. Auf einer USA-Reise 1997 spielte er in Honolulu auf einem lokalen Instrument “Aloha Hawaii”. Bei einem Staatsbesuch in Frankreich wagte er 1999 ein Tänzchen mit der damaligen First Lady Bernadette Chirac.
Im Gegensatz zu Jiang ist bei Xi Jinping heute jeder Auftritt bis ins Detail festgelegt. Das Letzte, was der starke Mann Chinas möchte, ist, sich öffentlich eine Blöße geben, wie Jonny Erling vor einigen Wochen treffend in seiner Kolumne auf China.Table schrieb. Jiangs Nachfolger können in den Augen der Jiang-Verehrer deshalb nur farblos wirken. Hätte man Jiang Zemin beim Parteikongress dieses Jahr so würdelos aus dem Saal geführt wie Hu, wäre der Aufschrei in China sicherlich um einiges größer gewesen.
Für seine Fans repräsentierte Jiang auch eine gewisse Weltoffenheit, die unter seinen Nachfolgern verloren gegangen ist. Der weitgereiste Staatsführer gab Interviews mit ausländischen Journalisten und sprach dabei bisweilen sogar Englisch. In einem Interview mit dem US-Starreporter Mike Wallace zitierte Jiang im Jahr 2000 etwa aus Abraham Lincolns Gettysburg-Rede. Überhaupt genießt Jiangs selbstbewusster Umgang mit der Presse in China Bewunderung. So kanzelte er die bekannte Hongkonger Journalistin Sharon Cheung einst auf Englisch mit den Worten ab, die Presse in der ehemaligen Kronkolonie sei “too young, too simple, sometimes naive”. Der Satz ist nicht nur unter den Krötenverehrern zum geflügelten Wort geworden, um jemanden zu diskreditieren.
Nun, nach seinem Tod am Mittwoch, trauern die Chinesen erwartungsgemäß, indem sie Memes teilen. Eines zeigt die quadratische Brille des Verblichenen, darunter ein Zitat von ihm, das gerne in Messengern zur Verwendung kommt, wenn man Freunden einen weisen Rat erteilen will: 一点人生的经验 – “Ein kleines bisschen Lebenserfahrung”.
In der Debatte um die Abhängigkeit des Westens von China und um Zwangsarbeit in der Produktion von Solartechnik fährt die Volksrepublik jetzt eine Doppelstrategie: Das Land baut offenbar eine zweite Lieferkette auf, die frei von Polysilizium aus Xinjiang sein soll. Damit will Peking, das den globalen Markt bei der Solartechnik dominiert, drängende Fragen nach Menschenrechten beim Absatz seiner Produkte in Europa und den USA umgehen.
Einige chinesische Solar-Firmen stellen sich auf die Bedürfnisse des Westens ein und fertigen “Xinjiang-freie” Produkte, sagt Johannes Bernreuter, Polysilizium-Experte von der Beratungsfirma Bernreuter Research. Die Produktionskette lasse sich “vom angelieferten Polysilizium bis zum fertigen Solarmodul nachverfolgen und dokumentieren“, so der Lieferketten-Experte. Auch Jenny Chase, Expertin des Thinktanks BloombergNEF bestätigt: die Herkunft von Polysilizium, das nicht aus der problematischen Provinz Xinjiang komme, könne durch Zertifizierungsunternehmen nachverfolgt werden.
Somit könnten sich die Stoffströme einfach aufteilen: Xinjiang-freie Produkte werden für den Export hergestellt. Solarmodule, deren Ausgangsstoff mit Zwangsarbeit hergestellt worden sein könnte, werden aufgrund der hohen inländischen Nachfrage weiterhin in China verbaut. Westliche Sanktionen und Boykotte von Polysilizium aus Xinjiang hätten somit kaum Effekte für die von Zwangsarbeit betroffenen Uiguren.
Die Entwicklung zeigt die enge gegenseitige Abhängigkeit zwischen China und vor allem den westlichen Industrieländern: Einerseits kommen drei Viertel aller Solarprodukte aus der Volksrepublik. Sie sind für die globale Energiewende und die Einhaltung der Klimaziele nötig. Andererseits steigt im Westen der Druck für mehr Unabhängigkeit von China und Lieferketten ohne Menschenrechtsverstöße – worauf wiederum China reagiert.
Ob diese doppelten Lieferketten bis ins letzte Detail realistisch sind, ist allerdings unklar. So sind etwa die Lieferketten beim metallurgischen Silizium intransparent, dem Ausgangsstoff für Polysilizium. Importeure können kaum sicherzustellen, dass es dafür keine Zwangsarbeit gibt. “Von den sieben chinesischen Polysilizium-Herstellern unter den weltweiten Top Ten beziehen sechs maßgebliche Mengen an metallurgischem Silizium aus Xinjiang“, sagt Bernreuter.
Schon jetzt umgehen chinesische Hersteller US-Importzölle und Menschenrechts-Regeln durch Verlagerung: Sie investieren stärker in Ländern wie Vietnam und Malaysia. Für die dortige Produktion kaufen erste Unternehmen Ausgangsstoffe nicht mehr in China, so Bernreuter. Xinjiang-freie Lieferketten sind also möglich. Was bleibt, ist die Abhängigkeit von China: Denn im Konfliktfall könnten auch chinesische Unternehmen in Vietnam oder Malaysia damit drohen, ihre Exporte in den Westen einzustellen.
Die Bundesregierung steckt wie andere Industrieländer auch in einem Dilemma. Um die Klimaziele zu erreichen, will sie die Erneuerbaren massiv ausbauen. Gleichzeitig sollen die Abhängigkeiten von China verringern werden.
Doch China dominiert den Weltmarkt bei allen wichtigen Produktionsschritten. Die Volksrepublik hält einen Marktanteil (2021) von:
Der Anteil könnte bei Polysilizium, Solar-Ingots (Blöcke aus Halbleiter-Material, aus denen die Wafer gesägt werden) und Wafern auf 95 Prozent wachsen, so der jüngste World Energy Outlook. Insgesamt macht China drei Viertel des Welthandels bei Solarprodukten aus.
Bei den europäischen Importen zeigt sich dementsprechend ein deutliches Bild. 90 Prozent der EU-Importe bei Solarmodulen geht auf China zurück. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Importe verdoppelt.
In einem kürzlich geleakten Entwurf der China-Strategie des Auswärtiges Amtes wird China als “Wettbewerber bei der grünen Transformation” bezeichnet. Wegen der “starken bis beherrschenden Stellung” Chinas etwa im Solarbereich könnten “einseitige Abhängigkeiten entstehen”, so der Entwurf. Man wolle diese “Abhängigkeiten (…) unter dem Aspekt der Risikominimierung verringern”.
Das Auswärtige Amt ist wegen der Zwangsarbeits-Problematik “im EU-Rahmen auch bereit, Importstopps aus Regionen mit besonders massiven Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen, wenn Lieferketten frei von Menschenrechtsverletzungen mit anderen Mitteln nicht sichergestellt werden können”, wie der Entwurf festhält.
Die USA sind da schon weiter. Sie haben bereits einen Importstopp verhängt und den “Uyghur Forced Labour Prevention Act” verabschiedet. Das Gesetz dreht die Beweislast um:
Bis Jahresende könnten US-Solar-Importe mit einer Kapazität von bis zwölf Gigawatt betroffen sein. Doch laut Jenny Chase vom Think-Tank BloombergNEF werde das den Solar-Ausbau in den USA “nicht stark bremsen”.
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat die Brisanz der Entwicklung offenbar erkannt. Er will die Massenfertigung von Solarmodulen und Windkraftanlagen in der EU mit einer Europäischen Plattform für Transformationstechnologien fördern (Europe.Table berichtete).
In einer Aktuellen Stunde im Bundestag haben Abgeordnete verschiedener Parteien ihren Respekt vor den Demonstrierenden in China zum Ausdruck gebracht.
“Ihr Mut ist uns Beispiel, wir verneigen uns vor ihnen”, sagte der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff und zollte den Demonstranten gegen die repressive Null-Covid-Politik seinen Respekt. Für die SPD äußerte Dagmar Schmidt die Hoffnung auf “einen friedlichen Umgang” der chinesischen Führung mit den Protesten und “auf mehr Freiheit für die Menschen in China”. “Die Kraft der Freiheit wird sich früher oder später auch in China durchsetzen”, zeigte sich der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid überzeugt. Von “bemerkenswerten Protesten” sprach auch der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul.
Für die Bundesregierung warb Staatsminister Tobias Lindner (Grüne) vom Außenministerium für weitere Zusammenarbeit mit China, aber auf der Grundlage einer regelbasierten Ordnung und “in Einklang mit unseren Werten“. Es werde in unterschiedlichen Bereichen, etwa beim Klimaschutz, weiter Zusammenarbeit geben müssen. Zugleich stehe die Bundesregierung aber “solidarisch an der Seite aller Menschen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen wollen, in China und weltweit”. flee
In der Südmetropole Guangzhou ist die Polizei am Mittwochmorgen mit Protestierenden zusammengestoßen. Die aufgebrachte Menge warf Metallgitter auf die Beamten, die überwiegend in weißen Schutzanzügen angetreten waren.
Im Laufe des Mittwochs reagierte die Stadtregierung mit einer Reihe von Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Das Leben der Bürger solle künftig so wenig wie möglich gestört werden, versicherte die Gesundheitskommission. Kontakte von Infizierten sollten ihre Quarantäne zu Hause verbringen können, sagte ihre stellvertretende Vorsitzende Zhang Yi. Die Stadt stufte zahlreiche Bezirke auf “niedriges Risiko” herunter. Guangzhou hat 19 Millionen Einwohner.
Die Zentralregierung hatte im November bereits einen “zielgerichteteren Ansatz” der Corona-Bekämpfung angekündigt. Demonstrationen gegen die Maßnahmen in rund 20 Städten von Freitag bis Montag setzen die Regierung derzeit erheblich unter Druck, die Kontaktbeschränkungen noch weiter zu lockern. Zugleich steigen die Infektionszahlen weiter. fin
Angesichts der Lockdowns im Zuge der steigenden Corona-Zahlen und der jüngsten Proteste gegen die Maßnahmen hat sich die Stimmung in der chinesischen Wirtschaft noch weiter verschlechtert. Die offiziellen Einkaufsmanagerindizes (PMI) für Dienstleistungen und für die Industrie fielen im November noch schlechter aus als erwartet. Das Stimmungsbarometer für die Industrie fiel von 49,2 Punkten im Oktober auf nur noch 48 Punkte im November, teilte das Statistikamt in Peking am Mittwoch mit. Das ist der schwächste Wert seit April. Analysten hatten mit 49 Zählern gerechnet.
Werte unter der 50er-Marke bei den wichtigen Konjunkturbarometern deuten auf einen Rückgang der Wachstumsdynamik hin. Das Dienstleistungsbarometer sank im November von 48,7 auf gar nur noch 46,7 Punkte. Hier hatten Volkswirte mit 48 Zählern gerechnet. Der Gesamtindex rutschte dann auch ebenso deutlich ab von 49,0 Punkte auf 47,1.
Experten gehen davon aus, dass die chinesische Zentralbank in den nächsten Monaten weitere Stützungsmaßnahmen beschließen wird – zumal die chinesische Führung grundsätzlich weiter an der strikten Zero-Covid-Strategie festhalten will. Für den Dezember und auch für das erste Quartal sei aber wahrscheinlich mit weiter nachlassender Dynamik zu rechnen, erwartet Zhang Zhiwei, Chefvolkswirt bei Pinpoint Asset Management.
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) warnte angesichts der rigorosen Haltung der Regierung bereits vor Risiken. Möglicherweise müsse der Fonds seine Prognose für Chinas Wirtschaftswachstum nach unten korrigieren, erklärte IWF-Chefin Kristalina Georgieva am Dienstag in Berlin. Sie verwies zudem auf die Schwierigkeiten auf dem Immobiliensektor. Peking habe Spielraum, um die Wirtschaft zu fördern und sich damit dem Abwärtsdruck zu widersetzen, sagte Georgieva weiter. Der IWF hat für dieses Jahr China ein Wachstum von 3,2 Prozent vorausgesagt und für das kommende Jahr 4,4 Prozent. flee/rtr
Zwei chinesische und sechs russische Kampfflugzeuge sind laut Angaben aus Seoul in Südkoreas Luftraumüberwachungszone eingedrungen. Südkorea habe daraufhin eigene Jets aufsteigen lassen, teilte der Militärstab in Seoul am Mittwoch mit. Südkoreas eigentlicher Luftraum sei aber nicht verletzt worden. Den Angaben nach drangen am frühen Morgen zunächst wiederholt chinesische H-6-Bomber in die Koreanische Luftverteidigungszone (KADIZ) ein. Diese ergänzt Südkoreas Luftraum als eine Art Pufferzone. Einige Stunden später seien sie dann von russischen Jets begleitet worden, darunter TU-95-Bomber und SU-35-Kampfjets. In ähnlicher Weise drangen chinesische Kampfjets zuletzt auch immer wieder in Taiwans Luftverteidigungszone ein.
Beim Außenministertreffen der Nato-Staaten riefen unterdessen Länder wie Tschechien, Norwegen und Schweden zu mehr Vorsicht gegenüber China auf. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte vor einer “neuen Abhängigkeit” etwa bei Seltenen Erden oder Elektronik-Chips. Das Militärbündnis müsse zudem auf China einwirken, damit es im russischen Angriffskrieg “zu keiner Katastrophe kommt, was Atomwaffen angeht”, sagte Asselborn am Mittwoch. Auch Nato-Chef Jens Stoltenberg warnte: Der Krieg in der Ukraine habe “gefährliche Abhängigkeit von russischem Gas” aufgezeigt. “Das sollte uns auch dazu veranlassen, unsere Abhängigkeiten von anderen autoritären Regimen – nicht zuletzt China – für unsere Lieferketten, Technologie oder Infrastruktur zu bewerten.”
Wachsende Sorge über die militärischen Fähigkeiten der Volksrepublik demonstriert auch ein neuer US-Bericht: Das Atomwaffenarsenal Chinas dürfte sich demnach bis 2035 mehr als verdreifachen. In dem am Dienstag veröffentlichten Bericht des US-Verteidigungsministeriums heißt es, China verfüge inzwischen über mehr als 400 atomare Sprengköpfe. “Wenn China das Tempo seiner atomaren Expansion beibehält, wird es (bis 2035) wahrscheinlich ein Arsenal von rund 1.500 Sprengköpfen haben”, hieß es in dem Papier.
China modernisiert dem Bericht zufolge auch seine ballistischen Raketen, die Atomsprengköpfe transportieren könnten. Die Volksrepublik habe im vergangenen Jahr bei Tests rund 135 ballistische Raketen abgefeuert – “mehr als der Rest der Welt zusammen”. Ausgenommen von dieser Statistik sind bei bewaffneten Konflikten abgefeuerte Raketen, zum Beispiel in der Ukraine. Pentagon-Sprecher Pat Ryder warnte am Dienstag, ein Anwachsen von Chinas Atomwaffenarsenal würde zu wachsender Instabilität führen. “Je mehr Proliferation es gibt, desto besorgniserregender ist es, desto destabilisierender für die Region ist es”, sagte Ryder. rtr/ari
“Peking ist sicher nicht der einfachste, aber der spannendste Ort, den ich mir als Journalistin gerade vorstellen kann”, sagt Miriam Steimer. Vor einigen Monaten ist sie als ZDF-Korrespondentin nach China gegangen, seit Oktober leitet sie das ZDF-Studio Ostasien in Peking. Dabei hatte Steimer ganz andere Pläne.
“Eigentlich wollte ich in Paris arbeiten”, erzählt sie. “Als sich allerdings die Möglichkeit eröffnete, nach Peking zu gehen, hat mich das gereizt.” Steimer hat gründlich überlegt und sich schließlich beherzt beworben. “Immerhin fängt Peking auch mit P an”, scherzt sie.
Dass es in China zwar spannend, aber nicht einfach sein würde, zeigte sich schon bei der Ankunft: Kaum gelandet ging es direkt in eine zweiwöchige Hotelquarantäne. “Alle Chinesinnen und Chinesen, die ich in den ersten beiden Wochen kennengelernt habe, trugen weiße Ganzkörper-Schutzanzüge. Das ist schon ein ungewöhnlicher Start in einem neuen Land.”
Auch beruflich steht Steimer nun vor neuen Herausforderungen: Es ist das erste Mal, dass sie als Journalistin in einer Diktatur arbeitet – eine Diktatur, die Journalismus gänzlich anders definiert als Steimer selbst. “Ich finde es besonders schwierig, so viele Dinge ‘mitdenken’ zu müssen. Zum Beispiel, welche Konsequenzen es für Interviewpartner haben kann, wenn sie mit uns sprechen.”
Für das ZDF ist Steimer schon seit ihrer Journalismus-Ausbildung im Einsatz. Als Reporterin und Redakteurin arbeitete sie für die verschiedenen Ausspielwege der “heute”-Nachrichten, in den vergangenen Jahren war sie Programmreferentin des ZDF-Chefredakteurs, Redakteurin für die Sendereihe “Was nun …?” und gelegentlich Moderatorin des Nachrichtenmagazins “heute – in Europa”. “Ich habe ein Reporterherz”, sagt Steimer. “Am liebsten bin ich im Land unterwegs, spreche mit Menschen, lerne neue Realitäten kennen und stelle ganz, ganz viele Fragen.”
Diese Neugierde hat sie jetzt auch nach China geführt – ein Land, mit dem Steimer bisher kaum Berührungspunkte hatte. “Es ist ein neues Feld, das mich jeden Tag fasziniert”, sagt sie. “China zeigt sich ständig anders, je nachdem in welcher Ecke des Landes wir gerade unterwegs sind – so kompliziert das durch die Null-Covid-Politik der Regierung auch gerade ist.”
Fragt man Steimer, ob sie sich schon eingelebt hat in Peking, muss sie unterscheiden. “Arbeitsmäßig ging das schnell”, sagt sie. Taiwan, Corona, Hitzewelle, Parteitag, Scholz-Besuch – es war direkt einiges zu tun. “Privat allerdings, hänge ich noch etwas hinterher.” Die Ankunft unter den besonderen Umständen dauert. Svenja Napp
Miriam Kunze leitet bei Volkswagen in Hefei eine Abteilung für Batteriezellentwicklung. Sie war zuvor in Salzgitter mit Anodentechnologie beschäftigt. Zuvor hat die Chemikerin für Continental gearbeitet.
Lindsay Chu wird neuer CEO von DBS Asia Capital und in Personalunion Leiter der Investmentabteilung für China und Hongkong. Chu kommt von Nomura. Bei DBS folgt er auf Anuruk Karoonyavanich.
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Die drei chinesischen Astronauten Fei Junlong, Deng Qingming und Zhang Lu sind am Mittwoch auf der Raumstation “Tiangong” eingetroffen. Sie dockten mit der “Shenzhou-15” an der Raumstation an und sollen nun etwa eine Woche gemeinsam mit den drei Kollegen verbringen, die bereits seit einem halben Jahr auf der Station leben und arbeiten und nun abgelöst werden. Die mit “Shenzhou-15” beginnende sechsmonatige Mission soll die letzte in der Aufbauphase des Himmelspalasts sein, wie Tiangong übersetzt heißt.
es war der 12. November 1978 frühmorgens vor dem VW-Hochhaus in Wolfsburg. Am Eingang standen 14 Männer aus der Volksrepublik. Sie wirkten etwas verloren. Und in ihren schlecht sitzenden Anzügen machten sie nicht den Eindruck, Regierungsvertreter der bevölkerungsreichsten Nation der Welt zu sein.
Einer überreichte den VW-Vertretern ein Blatt, auf dem die Namen der Delegationsteilnehmer und ihre Funktionen aufgeführt waren. Telefonnummern standen nicht darauf. Später gestand einer der Delegationsteilnehmer, in ganz Peking habe es rechtzeitig vor Abreise keine Möglichkeit gegeben, Visitenkarten zu drucken. So rückständig war China damals noch.
Ein etwas hagerer Delegationsteilnehmer, der in der dritten Reihe stand, stellte sich als Direktor der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten im Maschinenbauministerium vor. Ansonsten sagte er wenig. Nur seine übergroße Brille fiel damals schon auf. Sein Name: Jiang Zemin. Er wurde 15 Jahre später Staatspräsident der Volksrepublik. Sein Besuch 1978 in Wolfsburg prägte ihn nachhaltig. In seiner Amtszeit bis 2003 stieg Volkswagen zur unangefochtenen Nummer eins auf dem chinesischen Automarkt auf. Nun ist Jiang mit 96 Jahren gestorben. Einen Nachruf hat Michael Radunski verfasst. Fabian Peltsch beschäftigt sich mit Jiang Zemins Bedeutung in der heutigen Pop-Kultur.
So ganz verbohrt scheint Chinas Führung nicht zu sein, wie es derzeit den Anschein macht – zumindest wenn es um Geschäfte geht. Das Land baut offenbar an einer zweiten Lieferkette, die frei von Polysilizium aus Xinjiang sein soll, wie Nico Beckert berichtet. Damit will die Führung drängende Fragen nach Menschenrechten beim Absatz seiner Produkte in Europa und den USA umgehen. Das dürfte vor allem einen im deutschen Wirtschaftsministerium freuen.
Jiang Zemin (江澤民) ist tot. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Mittwoch berichtete, ist der frühere chinesische Staats- und Parteichef an multiplem Organversagen infolge einer Leukämie-Erkrankung im Alter von 96 Jahren in Shanghai gestorben. Jiang war von 1989 bis 2002 Generalsekretär der Kommunistischen Partei. In einer Erklärung der KP heißt es: “Der Tod von Kamerad Jiang Zemin ist ein unschätzbarer Verlust für unsere Partei, unser Militär und unser Volk.” Und: “Genosse Jiang Zemin ist unsterblich!”
Dabei wird Jiangs Leistung oftmals unterschätzt. In den Geschichtsbüchern erhält er zwischen den schier übergroßen Führern wie Mao Zedong, Deng Xiaoping und nun Xi Jinping meist nur wenig Platz. Zu Unrecht.
Als Jiang im Sommer 1989 zum Generalsekretär der KP ernannt wird, ist China ein Außenseiter in der Staatengemeinschaft. Die Führung hat gerade erst die Studenten- und Arbeiterproteste rund um den Tian’anmen-Platz brutal niederschlagen lassen. Die Aufbruchsstimmung der Reform- und Öffnungspolitik ist dahin. Es scheint, als würde China wieder unter der eisernen Knute der Autokratie verschwinden.
Dann kommt Jiang an die Macht und führt die Volksrepublik aus der internationalen Isolation zurück in die Staatengemeinschaft. Als er im März 2003 als Präsident der Volksrepublik abtritt, ist China der Welthandelsorganisation WTO beigetreten, hat Hongkong und Macau zurückerhalten, sich die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 gesichert und ist zum Land mit dem größten Wirtschaftswachstum der Welt geworden. Jiangs Pragmatismus entpuppte sich als Glücksfall für China.
Jiang wurde am 17. August 1926 in Yangzhou (Jiangsu) als Sohn einer Bäuerin und eines Elektrikers geboren. Als sein Onkel im Krieg gegen Japan fiel, wurde Jiang einer chinesischen Tradition folgend zur Witwe seines Onkels geschickt und wuchs dort als neuer männlicher Familienvorstand auf. Unversehens war er so zum “Sohn eines Märtyrers” geworden.
In Shanghai studierte Jiang Elektroingenieurwesen und trat 1946 in die Kommunistische Partei ein – anfangs ohne jedoch übermäßigen politischen Eifer zu zeigen. Er arbeitete sich langsam nach oben, ehe ihm als Bürgermeister und dann Parteichef von Shanghai der Sprung ins Politbüro der KP gelang. Der wirtschaftliche Erfolg Shanghais wurde damals allerdings vor allem dem Bürgermeister Zhu Rongji zugeschrieben. Jiang fiel dagegen in den Tagen lokaler Studentenproteste 1986 vor allem durch Gewaltverzicht auf. So unterließ er es, nach den Demonstrationen größere Strafmaßnahmen gegen die Studierenden einzuleiten.
Jiangs vermeintliche Friedfertigkeit hatte sogar Auswirkungen auf das Fernsehprogramm, als er eine allzu schießwütige amerikanische Polizeiserie kurzerhand absetzen ließ. Als Ersatz wählte er übrigens die deutsche Serie “Derrick” – schließlich bestach der Münchner Oberinspektor durch seinen Verstand statt durch Schießeisen und Muskelkraft. Doch Jiang wurde weiter unterschätzt. So manch einer verglich ihn gar mit einem Blumentopf: viel Dekoration, aber wenig Aktion.
Was ziemlich despektierlich daherkommt, ermöglichte Jiang wohl überhaupt erst den endgültigen Aufstieg in die Staatsspitze: Die KP-Führung war im Sommer 1989 derart tief gespalten, dass man als Nachfolger für den entmachteten Generalsekretär Zhao Ziyang einen Kompromisskandidaten suchte. Die Wahl fiel auf Jiang Zemin. Er galt als Übergangsfigur, als kleinster gemeinsamer Nenner, auf den sich die konkurrierenden Fraktionen einigen konnten. Ihre Hoffnung: viel Dekoration.
Jiang Zemin agierte nach der Parole “Stark an zwei Fronten”: In der Wirtschaft hielt er an Dengs Reformen fest, in der Politik hingegen setzte er auf Stabilität. Unter Jiang Zemin entstand ein autoritäres, selbstbewusstes und vor allem erfolgreiches China. Wirtschaftlich erlebte das Land unter Jiang atemberaubendes Wachstum. Jiang proklamierte die “sozialistische Marktwirtschaft” und rief die “große Erschließung Westchinas” (西部大开发) ins Leben. Später entwickelte er zudem die Idee des “Dreifachen Vertretens” (三个代表 ), womit er unter anderem die Kommunistische Partei für Privatunternehmer öffnete.
Auch außenpolitisch schaffte er die Kehrtwende: Zu seinen bemerkenswertesten Staatsbesuchen im Ausland zählen sicherlich Jiangs Reisen in die USA, wo er mit Bill Clinton öffentlich über Menschenrechte, die Situation in Tibet und Chinas zukünftige Entwicklung diskutierte. Oder auch sein Besuch in Deutschland, der den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen entscheidend voranbrachte.
Doch so liberal und offen sich Jiang im Ausland gab, so autoritär ging er im Inland gegen kritische Stimmen und Widersacher vor: Bei großangelegten Kampagnen wurden binnen Jahresfrist mehr als 350.000 Menschen verhaftet, mehr als 4.000 wurden hingerichtet. 1999 wurde die Bewegung “Falun Gong” verboten, zudem schränkte Jiang über die Jahre massiv die Pressefreiheit ein.
Die dekorative Übergangslösung Jiang entwickelte sich zu einem machtvollen Stabilisator. “Es sollte sich herausstellen, dass er tatsächlich ein guter Vermittler war, aber eben auch ein guter Manipulator”, urteilte der damalige US-Botschafter in China, James Lilley. Jiang gelang über die Jahre es, ein umfassendes Netz an Beziehungen, Seilschaften und Abhängigkeiten zu knüpfen. Die sogenannte Shanghai-Fraktion sollte ihm weitreichenden Einfluss sichern – auch nach seinem offiziellen Rücktritt als Staatspräsident 2003. Bis kurz vor seinem Tod zog er aus dem Hintergrund oftmals die Fäden.
Einer, der allerdings nicht zu Jiangs Gefolgsleuten zählt, ist Xi Jinping – im Gegenteil. Immer wieder wurde gemunkelt, dass altgediente Parteifunktionäre sehr kritisch auf Xi und dessen Führung blicken würden. Xi vermutete dahinter Jiang Zemin als Drahtzieher. Selbst hinter der Explosion im Hafen von Tianjin 2015 glaubte Xi einen Komplott unter der Führung von Jiang Zemin zu erkennen. Und so machte sich Xi daran, Jiangs Gefolgsleute aus ihren Posten zu drängen.
Es ist vor allem Jiangs unprätentiöse Art, die ihn heute wie einen Staatsmann aus einer längst vergangenen Zeit erscheinen lässt: Er tanzte Walzer, stimmte “Love me tender” von Elvis Presley an oder zupfte die hawaiianische Ukulele.
Und tatsächlich scheint es, als würden sich viele Chinesen gerade in diesen Tagen einen solchen Mann zurückwünschen. So mischte sich am Mittwoch unter die Trauer um Jiang immer wieder auch Kritik an Xi: Auf dem beliebten Messengerdienst WeChat wurde vor allem ein Lied geteilt mit dem Titel: Ein Jammer, dass Du es nicht bist. Nicht Jiang, sondern ein anderer hätte das Zeitliche segnen sollen, so die Botschaft zwischen den Zeilen.
Eine historische Parallele zu 1989, als der Tod des zwei Jahre zuvor zum Politbüromitglied demontierten Parteichefs Hu Yaobang die große Protestwelle auslöste, scheint dennoch etwas zu weit gegriffen. Hu galt als charismatischer Reformer, während Jiang Zemin vor allem Stabilisator und unterschätzter Strippenzieher war. Allerdings könnte sein Tod die Menschen in China durchaus anregen, kritisch auf die Unterschiede zwischen dem China unter Jiang und dem heutigen China unter Xi Jinping zu blicken.
In Chinas Social-Media-Welt hat Jiang Zemin in den vergangenen Jahren Kultstatus erlangt. Auf Wechat und anderen Kanälen zirkulieren tausende Sticker, GIFs und Memes mit dem Konterfei des ehemaligen Staatschefs: Jiang, der gähnt, spitzbübisch grinst, wie ein Rattenfänger Querflöte spielt oder mit bloßem Fingerzeig eine Atombombe zündet. Selbst die lächerlichsten davon werden nicht zensiert, im Gegenteil. In China ist Jiang Zemin ein wichtiger Teil der Pop-Kultur.
Die beiden Spitznamen, die vor allem junge Internet-User ihm gegeben haben, oszillieren zwischen Bewunderung und liebevollem Spott: Jiang Zemin, “der Ältere” 长者 oder, wegen vermeintlicher äußerer Ähnlichkeiten, einfach nur 蛤, “die Kröte”. Für die Jiang-Verehrung in Chinas Internet hat sich sogar ein Name etabliert: 膜蛤 – “Krötenverehrung“. Die Kröten-Fans 蛤丝 oder Krötenmagier “膜法师”, wie sie sich auch nennen, gelten als elitärer Zirkel: Sie sind patriotisch, kennen sich mit der jüngsten Geschichte und Außenpolitik der Volksrepublik bestens aus. Gleichzeitig sind sie keine blinden Befürworter von allem, was die Partei so macht. Die comichafte Überzeichnung von Jiang Zemin kann so auch als ironische Brechung des politischen Personenkultes gewertet werden, der unter Xi Jinping eine Wiedergeburt erlebt.
Jiangs politisches Vermächtnis spielt bei der Kröten-Verehrung keine wichtige Rolle. Für die überwiegend jungen Fans, die seine Regierungszeit allenfalls als Kinder miterlebt haben, ruft der mal ruppige und mal joviale Stil Jiangs eher eine diffuse Nostalgie nach einem irgendwie lockereren China hervor. Jiang ist der unverwüstliche Opa, der beim Frühlingsfest ohne mit der Wimper zu zucken und mit trockenem Humor das Essen kommentiert oder in schallendes Lachen ausbricht, wenn die Enkelin ihre neue Frisur vorführt.
Im echten Leben hat Jiang nie den großen Auftritt gescheut. Er hatte keine Angst, vor den Augen der Welt zu improvisieren. Auf einer USA-Reise 1997 spielte er in Honolulu auf einem lokalen Instrument “Aloha Hawaii”. Bei einem Staatsbesuch in Frankreich wagte er 1999 ein Tänzchen mit der damaligen First Lady Bernadette Chirac.
Im Gegensatz zu Jiang ist bei Xi Jinping heute jeder Auftritt bis ins Detail festgelegt. Das Letzte, was der starke Mann Chinas möchte, ist, sich öffentlich eine Blöße geben, wie Jonny Erling vor einigen Wochen treffend in seiner Kolumne auf China.Table schrieb. Jiangs Nachfolger können in den Augen der Jiang-Verehrer deshalb nur farblos wirken. Hätte man Jiang Zemin beim Parteikongress dieses Jahr so würdelos aus dem Saal geführt wie Hu, wäre der Aufschrei in China sicherlich um einiges größer gewesen.
Für seine Fans repräsentierte Jiang auch eine gewisse Weltoffenheit, die unter seinen Nachfolgern verloren gegangen ist. Der weitgereiste Staatsführer gab Interviews mit ausländischen Journalisten und sprach dabei bisweilen sogar Englisch. In einem Interview mit dem US-Starreporter Mike Wallace zitierte Jiang im Jahr 2000 etwa aus Abraham Lincolns Gettysburg-Rede. Überhaupt genießt Jiangs selbstbewusster Umgang mit der Presse in China Bewunderung. So kanzelte er die bekannte Hongkonger Journalistin Sharon Cheung einst auf Englisch mit den Worten ab, die Presse in der ehemaligen Kronkolonie sei “too young, too simple, sometimes naive”. Der Satz ist nicht nur unter den Krötenverehrern zum geflügelten Wort geworden, um jemanden zu diskreditieren.
Nun, nach seinem Tod am Mittwoch, trauern die Chinesen erwartungsgemäß, indem sie Memes teilen. Eines zeigt die quadratische Brille des Verblichenen, darunter ein Zitat von ihm, das gerne in Messengern zur Verwendung kommt, wenn man Freunden einen weisen Rat erteilen will: 一点人生的经验 – “Ein kleines bisschen Lebenserfahrung”.
In der Debatte um die Abhängigkeit des Westens von China und um Zwangsarbeit in der Produktion von Solartechnik fährt die Volksrepublik jetzt eine Doppelstrategie: Das Land baut offenbar eine zweite Lieferkette auf, die frei von Polysilizium aus Xinjiang sein soll. Damit will Peking, das den globalen Markt bei der Solartechnik dominiert, drängende Fragen nach Menschenrechten beim Absatz seiner Produkte in Europa und den USA umgehen.
Einige chinesische Solar-Firmen stellen sich auf die Bedürfnisse des Westens ein und fertigen “Xinjiang-freie” Produkte, sagt Johannes Bernreuter, Polysilizium-Experte von der Beratungsfirma Bernreuter Research. Die Produktionskette lasse sich “vom angelieferten Polysilizium bis zum fertigen Solarmodul nachverfolgen und dokumentieren“, so der Lieferketten-Experte. Auch Jenny Chase, Expertin des Thinktanks BloombergNEF bestätigt: die Herkunft von Polysilizium, das nicht aus der problematischen Provinz Xinjiang komme, könne durch Zertifizierungsunternehmen nachverfolgt werden.
Somit könnten sich die Stoffströme einfach aufteilen: Xinjiang-freie Produkte werden für den Export hergestellt. Solarmodule, deren Ausgangsstoff mit Zwangsarbeit hergestellt worden sein könnte, werden aufgrund der hohen inländischen Nachfrage weiterhin in China verbaut. Westliche Sanktionen und Boykotte von Polysilizium aus Xinjiang hätten somit kaum Effekte für die von Zwangsarbeit betroffenen Uiguren.
Die Entwicklung zeigt die enge gegenseitige Abhängigkeit zwischen China und vor allem den westlichen Industrieländern: Einerseits kommen drei Viertel aller Solarprodukte aus der Volksrepublik. Sie sind für die globale Energiewende und die Einhaltung der Klimaziele nötig. Andererseits steigt im Westen der Druck für mehr Unabhängigkeit von China und Lieferketten ohne Menschenrechtsverstöße – worauf wiederum China reagiert.
Ob diese doppelten Lieferketten bis ins letzte Detail realistisch sind, ist allerdings unklar. So sind etwa die Lieferketten beim metallurgischen Silizium intransparent, dem Ausgangsstoff für Polysilizium. Importeure können kaum sicherzustellen, dass es dafür keine Zwangsarbeit gibt. “Von den sieben chinesischen Polysilizium-Herstellern unter den weltweiten Top Ten beziehen sechs maßgebliche Mengen an metallurgischem Silizium aus Xinjiang“, sagt Bernreuter.
Schon jetzt umgehen chinesische Hersteller US-Importzölle und Menschenrechts-Regeln durch Verlagerung: Sie investieren stärker in Ländern wie Vietnam und Malaysia. Für die dortige Produktion kaufen erste Unternehmen Ausgangsstoffe nicht mehr in China, so Bernreuter. Xinjiang-freie Lieferketten sind also möglich. Was bleibt, ist die Abhängigkeit von China: Denn im Konfliktfall könnten auch chinesische Unternehmen in Vietnam oder Malaysia damit drohen, ihre Exporte in den Westen einzustellen.
Die Bundesregierung steckt wie andere Industrieländer auch in einem Dilemma. Um die Klimaziele zu erreichen, will sie die Erneuerbaren massiv ausbauen. Gleichzeitig sollen die Abhängigkeiten von China verringern werden.
Doch China dominiert den Weltmarkt bei allen wichtigen Produktionsschritten. Die Volksrepublik hält einen Marktanteil (2021) von:
Der Anteil könnte bei Polysilizium, Solar-Ingots (Blöcke aus Halbleiter-Material, aus denen die Wafer gesägt werden) und Wafern auf 95 Prozent wachsen, so der jüngste World Energy Outlook. Insgesamt macht China drei Viertel des Welthandels bei Solarprodukten aus.
Bei den europäischen Importen zeigt sich dementsprechend ein deutliches Bild. 90 Prozent der EU-Importe bei Solarmodulen geht auf China zurück. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Importe verdoppelt.
In einem kürzlich geleakten Entwurf der China-Strategie des Auswärtiges Amtes wird China als “Wettbewerber bei der grünen Transformation” bezeichnet. Wegen der “starken bis beherrschenden Stellung” Chinas etwa im Solarbereich könnten “einseitige Abhängigkeiten entstehen”, so der Entwurf. Man wolle diese “Abhängigkeiten (…) unter dem Aspekt der Risikominimierung verringern”.
Das Auswärtige Amt ist wegen der Zwangsarbeits-Problematik “im EU-Rahmen auch bereit, Importstopps aus Regionen mit besonders massiven Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen, wenn Lieferketten frei von Menschenrechtsverletzungen mit anderen Mitteln nicht sichergestellt werden können”, wie der Entwurf festhält.
Die USA sind da schon weiter. Sie haben bereits einen Importstopp verhängt und den “Uyghur Forced Labour Prevention Act” verabschiedet. Das Gesetz dreht die Beweislast um:
Bis Jahresende könnten US-Solar-Importe mit einer Kapazität von bis zwölf Gigawatt betroffen sein. Doch laut Jenny Chase vom Think-Tank BloombergNEF werde das den Solar-Ausbau in den USA “nicht stark bremsen”.
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat die Brisanz der Entwicklung offenbar erkannt. Er will die Massenfertigung von Solarmodulen und Windkraftanlagen in der EU mit einer Europäischen Plattform für Transformationstechnologien fördern (Europe.Table berichtete).
In einer Aktuellen Stunde im Bundestag haben Abgeordnete verschiedener Parteien ihren Respekt vor den Demonstrierenden in China zum Ausdruck gebracht.
“Ihr Mut ist uns Beispiel, wir verneigen uns vor ihnen”, sagte der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff und zollte den Demonstranten gegen die repressive Null-Covid-Politik seinen Respekt. Für die SPD äußerte Dagmar Schmidt die Hoffnung auf “einen friedlichen Umgang” der chinesischen Führung mit den Protesten und “auf mehr Freiheit für die Menschen in China”. “Die Kraft der Freiheit wird sich früher oder später auch in China durchsetzen”, zeigte sich der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid überzeugt. Von “bemerkenswerten Protesten” sprach auch der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul.
Für die Bundesregierung warb Staatsminister Tobias Lindner (Grüne) vom Außenministerium für weitere Zusammenarbeit mit China, aber auf der Grundlage einer regelbasierten Ordnung und “in Einklang mit unseren Werten“. Es werde in unterschiedlichen Bereichen, etwa beim Klimaschutz, weiter Zusammenarbeit geben müssen. Zugleich stehe die Bundesregierung aber “solidarisch an der Seite aller Menschen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen wollen, in China und weltweit”. flee
In der Südmetropole Guangzhou ist die Polizei am Mittwochmorgen mit Protestierenden zusammengestoßen. Die aufgebrachte Menge warf Metallgitter auf die Beamten, die überwiegend in weißen Schutzanzügen angetreten waren.
Im Laufe des Mittwochs reagierte die Stadtregierung mit einer Reihe von Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Das Leben der Bürger solle künftig so wenig wie möglich gestört werden, versicherte die Gesundheitskommission. Kontakte von Infizierten sollten ihre Quarantäne zu Hause verbringen können, sagte ihre stellvertretende Vorsitzende Zhang Yi. Die Stadt stufte zahlreiche Bezirke auf “niedriges Risiko” herunter. Guangzhou hat 19 Millionen Einwohner.
Die Zentralregierung hatte im November bereits einen “zielgerichteteren Ansatz” der Corona-Bekämpfung angekündigt. Demonstrationen gegen die Maßnahmen in rund 20 Städten von Freitag bis Montag setzen die Regierung derzeit erheblich unter Druck, die Kontaktbeschränkungen noch weiter zu lockern. Zugleich steigen die Infektionszahlen weiter. fin
Angesichts der Lockdowns im Zuge der steigenden Corona-Zahlen und der jüngsten Proteste gegen die Maßnahmen hat sich die Stimmung in der chinesischen Wirtschaft noch weiter verschlechtert. Die offiziellen Einkaufsmanagerindizes (PMI) für Dienstleistungen und für die Industrie fielen im November noch schlechter aus als erwartet. Das Stimmungsbarometer für die Industrie fiel von 49,2 Punkten im Oktober auf nur noch 48 Punkte im November, teilte das Statistikamt in Peking am Mittwoch mit. Das ist der schwächste Wert seit April. Analysten hatten mit 49 Zählern gerechnet.
Werte unter der 50er-Marke bei den wichtigen Konjunkturbarometern deuten auf einen Rückgang der Wachstumsdynamik hin. Das Dienstleistungsbarometer sank im November von 48,7 auf gar nur noch 46,7 Punkte. Hier hatten Volkswirte mit 48 Zählern gerechnet. Der Gesamtindex rutschte dann auch ebenso deutlich ab von 49,0 Punkte auf 47,1.
Experten gehen davon aus, dass die chinesische Zentralbank in den nächsten Monaten weitere Stützungsmaßnahmen beschließen wird – zumal die chinesische Führung grundsätzlich weiter an der strikten Zero-Covid-Strategie festhalten will. Für den Dezember und auch für das erste Quartal sei aber wahrscheinlich mit weiter nachlassender Dynamik zu rechnen, erwartet Zhang Zhiwei, Chefvolkswirt bei Pinpoint Asset Management.
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) warnte angesichts der rigorosen Haltung der Regierung bereits vor Risiken. Möglicherweise müsse der Fonds seine Prognose für Chinas Wirtschaftswachstum nach unten korrigieren, erklärte IWF-Chefin Kristalina Georgieva am Dienstag in Berlin. Sie verwies zudem auf die Schwierigkeiten auf dem Immobiliensektor. Peking habe Spielraum, um die Wirtschaft zu fördern und sich damit dem Abwärtsdruck zu widersetzen, sagte Georgieva weiter. Der IWF hat für dieses Jahr China ein Wachstum von 3,2 Prozent vorausgesagt und für das kommende Jahr 4,4 Prozent. flee/rtr
Zwei chinesische und sechs russische Kampfflugzeuge sind laut Angaben aus Seoul in Südkoreas Luftraumüberwachungszone eingedrungen. Südkorea habe daraufhin eigene Jets aufsteigen lassen, teilte der Militärstab in Seoul am Mittwoch mit. Südkoreas eigentlicher Luftraum sei aber nicht verletzt worden. Den Angaben nach drangen am frühen Morgen zunächst wiederholt chinesische H-6-Bomber in die Koreanische Luftverteidigungszone (KADIZ) ein. Diese ergänzt Südkoreas Luftraum als eine Art Pufferzone. Einige Stunden später seien sie dann von russischen Jets begleitet worden, darunter TU-95-Bomber und SU-35-Kampfjets. In ähnlicher Weise drangen chinesische Kampfjets zuletzt auch immer wieder in Taiwans Luftverteidigungszone ein.
Beim Außenministertreffen der Nato-Staaten riefen unterdessen Länder wie Tschechien, Norwegen und Schweden zu mehr Vorsicht gegenüber China auf. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte vor einer “neuen Abhängigkeit” etwa bei Seltenen Erden oder Elektronik-Chips. Das Militärbündnis müsse zudem auf China einwirken, damit es im russischen Angriffskrieg “zu keiner Katastrophe kommt, was Atomwaffen angeht”, sagte Asselborn am Mittwoch. Auch Nato-Chef Jens Stoltenberg warnte: Der Krieg in der Ukraine habe “gefährliche Abhängigkeit von russischem Gas” aufgezeigt. “Das sollte uns auch dazu veranlassen, unsere Abhängigkeiten von anderen autoritären Regimen – nicht zuletzt China – für unsere Lieferketten, Technologie oder Infrastruktur zu bewerten.”
Wachsende Sorge über die militärischen Fähigkeiten der Volksrepublik demonstriert auch ein neuer US-Bericht: Das Atomwaffenarsenal Chinas dürfte sich demnach bis 2035 mehr als verdreifachen. In dem am Dienstag veröffentlichten Bericht des US-Verteidigungsministeriums heißt es, China verfüge inzwischen über mehr als 400 atomare Sprengköpfe. “Wenn China das Tempo seiner atomaren Expansion beibehält, wird es (bis 2035) wahrscheinlich ein Arsenal von rund 1.500 Sprengköpfen haben”, hieß es in dem Papier.
China modernisiert dem Bericht zufolge auch seine ballistischen Raketen, die Atomsprengköpfe transportieren könnten. Die Volksrepublik habe im vergangenen Jahr bei Tests rund 135 ballistische Raketen abgefeuert – “mehr als der Rest der Welt zusammen”. Ausgenommen von dieser Statistik sind bei bewaffneten Konflikten abgefeuerte Raketen, zum Beispiel in der Ukraine. Pentagon-Sprecher Pat Ryder warnte am Dienstag, ein Anwachsen von Chinas Atomwaffenarsenal würde zu wachsender Instabilität führen. “Je mehr Proliferation es gibt, desto besorgniserregender ist es, desto destabilisierender für die Region ist es”, sagte Ryder. rtr/ari
“Peking ist sicher nicht der einfachste, aber der spannendste Ort, den ich mir als Journalistin gerade vorstellen kann”, sagt Miriam Steimer. Vor einigen Monaten ist sie als ZDF-Korrespondentin nach China gegangen, seit Oktober leitet sie das ZDF-Studio Ostasien in Peking. Dabei hatte Steimer ganz andere Pläne.
“Eigentlich wollte ich in Paris arbeiten”, erzählt sie. “Als sich allerdings die Möglichkeit eröffnete, nach Peking zu gehen, hat mich das gereizt.” Steimer hat gründlich überlegt und sich schließlich beherzt beworben. “Immerhin fängt Peking auch mit P an”, scherzt sie.
Dass es in China zwar spannend, aber nicht einfach sein würde, zeigte sich schon bei der Ankunft: Kaum gelandet ging es direkt in eine zweiwöchige Hotelquarantäne. “Alle Chinesinnen und Chinesen, die ich in den ersten beiden Wochen kennengelernt habe, trugen weiße Ganzkörper-Schutzanzüge. Das ist schon ein ungewöhnlicher Start in einem neuen Land.”
Auch beruflich steht Steimer nun vor neuen Herausforderungen: Es ist das erste Mal, dass sie als Journalistin in einer Diktatur arbeitet – eine Diktatur, die Journalismus gänzlich anders definiert als Steimer selbst. “Ich finde es besonders schwierig, so viele Dinge ‘mitdenken’ zu müssen. Zum Beispiel, welche Konsequenzen es für Interviewpartner haben kann, wenn sie mit uns sprechen.”
Für das ZDF ist Steimer schon seit ihrer Journalismus-Ausbildung im Einsatz. Als Reporterin und Redakteurin arbeitete sie für die verschiedenen Ausspielwege der “heute”-Nachrichten, in den vergangenen Jahren war sie Programmreferentin des ZDF-Chefredakteurs, Redakteurin für die Sendereihe “Was nun …?” und gelegentlich Moderatorin des Nachrichtenmagazins “heute – in Europa”. “Ich habe ein Reporterherz”, sagt Steimer. “Am liebsten bin ich im Land unterwegs, spreche mit Menschen, lerne neue Realitäten kennen und stelle ganz, ganz viele Fragen.”
Diese Neugierde hat sie jetzt auch nach China geführt – ein Land, mit dem Steimer bisher kaum Berührungspunkte hatte. “Es ist ein neues Feld, das mich jeden Tag fasziniert”, sagt sie. “China zeigt sich ständig anders, je nachdem in welcher Ecke des Landes wir gerade unterwegs sind – so kompliziert das durch die Null-Covid-Politik der Regierung auch gerade ist.”
Fragt man Steimer, ob sie sich schon eingelebt hat in Peking, muss sie unterscheiden. “Arbeitsmäßig ging das schnell”, sagt sie. Taiwan, Corona, Hitzewelle, Parteitag, Scholz-Besuch – es war direkt einiges zu tun. “Privat allerdings, hänge ich noch etwas hinterher.” Die Ankunft unter den besonderen Umständen dauert. Svenja Napp
Miriam Kunze leitet bei Volkswagen in Hefei eine Abteilung für Batteriezellentwicklung. Sie war zuvor in Salzgitter mit Anodentechnologie beschäftigt. Zuvor hat die Chemikerin für Continental gearbeitet.
Lindsay Chu wird neuer CEO von DBS Asia Capital und in Personalunion Leiter der Investmentabteilung für China und Hongkong. Chu kommt von Nomura. Bei DBS folgt er auf Anuruk Karoonyavanich.
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Die drei chinesischen Astronauten Fei Junlong, Deng Qingming und Zhang Lu sind am Mittwoch auf der Raumstation “Tiangong” eingetroffen. Sie dockten mit der “Shenzhou-15” an der Raumstation an und sollen nun etwa eine Woche gemeinsam mit den drei Kollegen verbringen, die bereits seit einem halben Jahr auf der Station leben und arbeiten und nun abgelöst werden. Die mit “Shenzhou-15” beginnende sechsmonatige Mission soll die letzte in der Aufbauphase des Himmelspalasts sein, wie Tiangong übersetzt heißt.