Table.Briefing: China

Habeck will USA überzeugen + Nachbarn rüsten gegen China auf

Liebe Leserin, lieber Leser,

am Wochenende war unsere stellvertretende Chefredakteurin Helene Bubrowski mit Robert Habeck in den USA unterwegs. Dort versuchte der Bundeswirtschaftsminister, seinen amerikanischen Gesprächspartnern Deutschlands China-Strategie näherzubringen: mehr Skepsis im China-Geschäft – aber keine völlige Abkopplung. Die Regierung Biden forderte umgekehrt mehr Druck auf China und eine Verringerung des Handels. Dabei sind die USA selbst der größte Abnehmer chinesischer Waren.

Dan Smith, Direktor des renommierten Stockholm International Peace Research Institute (Sipri), erklärt im Interview mit Michael Radunski die Schwerpunkte und Ziele, aber auch Schwachpunkte des chinesischen Militärs. Chinesische Unternehmen gehören inzwischen zu den größten Waffenproduzenten der Welt. “Für Chinesen mag das ermutigend klingen. Von außen betrachtet ist es aber eine besorgniserregende Entwicklung”, sagt Smith.

Und diese Sorge spiegelt sich auch im neuen Sipri-Bericht zu Waffenverkäufen wider: Nirgendwo auf der Welt werden so viel Waffen nachgefragt wie in Asien und Ozeanien. Chinas Nachbarn wollen sich für den Fall der Fälle wappnen. Der größte Anbieter von Kriegsgerät für die Kunden in Fernost: die USA.

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Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Analyse

Habeck wirbt in Amerika für den deutschen Mittelweg in der Chinapolitik 

Während seiner viertägigen USA-Reise hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bemüht, Vertreter der amerikanischen Regierung vom deutschen Kurswechsel in der China-Politik zu überzeugen. “Wir haben die Haltung gegenüber China deutlich geändert im Vergleich zur Vorgängerregierung”, betonte der Grünen-Politiker in Washington. “Wir haben eine China-Strategie erarbeitet, wir schauen bei Investitionsprüfungen deutlich schärfer hin.”

Die kürzlich vorgestellte Wirtschaftssicherheitsstrategie der Bundesregierung ziele darauf ab, die Produktion kritischer Materialien wie Halbleiter in Europa anzusiedeln. “Wir haben viel unternommen, um zu diversifizieren”, sagte Habeck, aber machte zugleich deutlich, wo die Grenzen liegen: Man werde, “nicht decoupeln und die Handelsbeziehungen einschränken”. Es gehe darum, “nicht naiv zu sein.” 

Die Bundesregierung versucht, den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden macht Druck auf die Europäer, den Handel mit China weiter einzuschränken und etwa Hightech-Geräte zur Chipproduktion nicht mehr in das Land zu liefern. Überhaupt sind den Vereinigten Staaten die Großinvestitionen der deutschen Chemieindustrie in China und die Abhängigkeit der deutschen Autobauer vom chinesischen Markt ein Dorn im Auge.

Habeck registriert Verständnis für deutschen Kurs

Habeck hat sich bei seinem Besuch mit US-Handelsministerin Gina Raimondo, Finanzministerin Janet Yellen und dem Sicherheitsberater Jake Sullivan ausgetauscht. Seine Einschätzung: “Die Amerikaner sehen den Kurswechsel sehr wohl und respektieren ihn auch.” Der Minister führt zur Begründung nicht allein wirtschaftliche Interessen an, er argumentiert geostrategisch: “Wir arbeiten darauf hin, dass es immer möglich ist, (mit China) in Beziehung zu bleiben.”

China solle das Interesse an einem ökonomisch gedeihlichen und friedlichen Miteinander behalten, “damit es nicht dazu kommt, dass andere Prinzipien oder andere Formen, militärische gar, das letzte Wort haben. Das muss auf jeden Fall verhindert werden.” In der Bundesregierung geht die Sorge um, dass sich China im Fall einer weiteren Isolierung mit Russland und Iran verbünden könnte. Trotz aller Schwierigkeiten führte zuletzt der einzige Weg, auf Moskau einzuwirken, über Peking. 

Allerdings stellt sich die Frage, ob Deutschland damit denselben Fehler macht wie vor 2022 gegenüber Russland. Auch damals ging es um wirtschaftliche Interessen. Über Jahre war aber auch das Argument zu hören, dass die wirtschaftliche Verflechtung wichtig sei, um den Kreml in Schach zu halten. Das Kanzleramt (Merkel und später Scholz) ist erst nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 von der Pipeline Nordstream 2 abgerückt.

Von einem Rückzug aus China “keine Spur”

Die US-Kritik hat zudem eine faktische Basis. Allein Volkswagen verkauft rund 40 Prozent seiner Autos in China und fährt die Hälfte seines Gewinns in der Volksrepublik ein. In sein Forschungs- und Entwicklungszentrum in der Provinz Anhui will VW weitere rund drei Milliarden Euro investieren. BASF stellt gerade in der Stadt Zhanjiang ein riesiges Werk im Wert von zehn Milliarden Euro fertig. Zugleich bauen beide Dax-Konzerne Stellen in Deutschland ab.

Auch andere deutsche Firmen verstärken ihr Engagement in China, als gebe es keine Diskussion um Risikominierung. Nach Angaben der Bundesbank vom Februar stiegen die deutschen Investitionen im vergangenen Jahr um 4,3 Prozent auf 11,9 Milliarden Euro. Der Anteil Chinas an den gesamten ausländischen Direktinvestitionen der deutschen Wirtschaft hat erstmals seit 2014 wieder die Marke von zehn Prozent überschritten.

Ökonom Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), der die Zahlen untersucht hat, sieht von “Diversifizierung keine Spur”. Der Grund dafür liegt auch im Verständnis des Begriffs “De-Risking”. Die Politik versteht darunter, die Geschäfte mit und in China wirklich zurückzufahren, um Abhängigkeiten abzubauen. Die Konzerne wollen dagegen Handelsrisiken verringern, indem sie die Produktion vor Ort stärken, um im Notfall für den chinesischen Markt weiterproduzieren zu können. Sie meinen mit De-Risking eine Lokalisierung.

Auch die USA denken nicht an Abschied von China-Geschäft

Die besonders enge wirtschaftliche Verflechtung Deutschlands mit China ist Grund für die Mahnungen des BDI, nicht zu verkennen, dass China ein “zentraler Wirtschaftspartner” bleibe. 2023 ist der Warenhandel zwischen Deutschland und China bereits um 15,5 Prozent gesunken.

Zur Wahrheit gehört außerdem: Auch die USA sind weit davon entfernt, sich von ihrem China-Geschäft zu verabschieden, das Handelsvolumen betrug 2023 rund 575 Milliarden US-Dollar. Der Großteil davon, 472 Milliarden Dollar, entfallen auf die Einfuhr von Waren. Apple beispielsweise stellt immer noch 95 Prozent seiner Produkte in China her.

US-Firmen verlassen sich nach Beobachtung von Wirtschaftspraktikern zum Teil sogar noch mehr auf Produktionen in China als europäische. “Die deutschen Unternehmen in den USA sind viel weniger abhängig von chinesischen Lieferketten als die amerikanischen”, glaubt Mark Tomkins, Geschäftsführer der Außenhandelskammer-Chicago. 

Ampel ist uneins – trotz Zeitenwende

Die Habeck-Reise nach Washington fällt in eine Zeit sehr unterschiedlicher Ansichten zur Zukunft des China-Geschäfts. Wie sehr sich die Einstellung gewandelt hat, zeigt vor allem die Diskussionen über den Verbau chinesischer Technologie beim 5G-Mobilfunkstandard oder der Streit um den Anteilserwerb der chinesischen Reederei Cosco an einem Terminal des Hamburger Hafens.

Die Ampel-Partner nehmen auch hier unterschiedliche Haltungen ein. Wenn es allein nach den Grünen ginge, wäre der Kurs gegenüber China strenger. Scholz gibt sich der Industrie gegenüber vergleichsweise verständnisvoll.

Trump-Präsidentschaft könnte Kurswechsel nötig machen

Zweifel bestehen allerdings, ob die Bundesregierung mit diesem Sowohl-als-auch-Kurs durchkommt, sollte Donald Trump im November ein zweites Mal zum US-Präsidenten gewählt werden. 2018 hatte er durch höhere Importzölle auf chinesische Waren einen Handelsstreit vom Zaun gebrochen, der die Weltwirtschaft insgesamt traf. Kürzlich kündigte er an, im Fall seiner Wahl Zölle von 60 Prozent oder sogar mehr auf chinesische Importe zu erheben.

In diesem Szenario müssten sich die Europäer auf Probleme mit der US-Regierung einstellen, wenn sie nicht auf den amerikanischen Kurs einschwenken. Unabhängig vom Ausgang der Wahl sagte Habeck in Washington dem Sender RTL: Wenn er gezwungen wäre, zwischen USA und China zu wählen, “dann würde ich sagen: Das Verhältnis zu den USA ist dominant, auch militärisch, wirtschaftlich”. Mitarbeit: ari/fin/flee

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Angst vor Peking: Chinas Nachbarn kaufen immer mehr Waffen

Nirgendwo auf der Welt werden so viel Waffen gekauft wie in Asien und Ozeanien. Das geht aus dem aktuellen Bericht “Trends bei internationalen Waffentransfers, 2023” des renommierten Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) hervor, der an diesem Montag veröffentlicht wird. Demnach gingen rund 37 Prozent aller Großwaffenkäufe im Zeitraum von 2019 bis 2023 an Staaten in Asien und Ozeanien. Insgesamt ist dies ein leichter Rückgang gegenüber dem Zeitraum von 2014 bis 2018. Damals gingen 41 Prozent des weltweiten Waffenhandels in die Region.

Die wichtigsten Erkenntnisse des Berichts für die Region lauten:

  • Chinas Nachbarn rüsten auf – aus Angst vor Pekings außenpolitischen Ambitionen.
  • Taiwans Waffenimporte gingen zurück, aber neue Käufe sind schon geplant.
  • Die USA sind erstmals seit 25 Jahren größter Waffenverkäufer in Asienpazifik.
  • Chinas Waffenkäufe gehen zurück, weil Peking inzwischen selbst Waffen von hoher Qualität herstellen kann.

Chinas Nachbarn fürchten Pekings Ambitionen

Im neuen Sipri-Bericht stechen vor allem die Waffenimporte von Chinas direkten Nachbarstaaten hervor: Japans Einkäufe legten um satte 155 Prozent zu, die Philippinen kauften 105 Prozent mehr Waffen ein, Südkoreas Militärimporte stiegen immerhin um 6,5 Prozent.

“Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die anhaltend hohen Waffenimporte Japans und anderer Verbündeter und Partner der USA in Asien und Ozeanien größtenteils auf einen Schlüsselfaktor zurückzuführen sind: Besorgnis über Chinas Ambitionen“, erklärt Siemon Wezeman, leitender Forscher bei Sipri Arms Transfers Programm.

Überraschung Taiwan: Waffenkäufe der Insel gehen zurück

Überraschend erscheint auf den ersten Blick die Entwicklung der Waffenimporte nach Taiwan. Sie sind im Berichtszeitraum um 69 Prozent gesunken – trotz der immer größer werdenden Spannungen mit China. So schickt die chinesische Volksbefreiungsarmee immer mehr Flugzeuge über die Mittellinie der Taiwanstraße. Experten sprechen von “hybrider Kriegsführung”: China mischt dabei militärische und nicht-militärische Druckmittel, ohne dass die Krise akut wird.

Doch Taiwan hat in seinen Militärplanungen längst auf den wachsenden Druck reagiert: So sind in den kommenden fünf Jahren große Anschaffungen geplant, unter anderem der Kauf von 66 Kampfflugzeugen, 108 Panzern und 460 Anti-Schiffs-Raketen. Geliefert wird fast alles von den USA, die den Sipri-Recherchen zufolge in den Jahren von 2019 bis 2023 für über 99 Prozent der taiwanischen Waffenimporte verantwortlich sind.

USA sind Hauptlieferant von Waffen

Das führt zur nächsten wichtigen Erkenntnis des Sipri-Berichts: Zum ersten Mal seit 25 Jahren waren die Vereinigten Staaten der größte Waffenlieferant nach Asien und Ozeanien. Auf die USA entfielen 34 Prozent der regionalen Waffenimporte, gefolgt von Russland mit 19 Prozent und China mit 13 Prozent. “Die USA, die ihre Wahrnehmung einer chinesischen Bedrohung teilen, sind ein wachsender Lieferant für die Region”, sagt Wezeman.

Für Japan und Südkorea sind die USA laut Sipri schon jetzt mit Abstand der wichtigste Lieferant: 97 Prozent der japanischen Waffenimporte stammen aus den USA; bei Südkorea sind es immerhin 72 Prozent. Beide Länder versuchen, mit den Käufen ihre Fähigkeiten für Langstreckenangriffen zu verbessern. So lieferten die USA im Zeitraum von 2019 bis 23 nach Japan 29 Kampfflugzeuge, zudem bestellte Tokio zuletzt 400 Langstrecken-Landangriffsraketen. Diese würden Japan erstmals in die Lage versetzen, Ziele tief in China oder Nordkorea zu erreichen, heißt es in dem Sipri-Bericht.

China stellt inzwischen Waffen selbst her

Chinas Waffenimporte sind hingegen um 44 Prozent geschrumpft. Der Grund für den drastischen Rückgang ist in China selbst zu finden: Die Volksrepublik ist zunehmend in der Lage, eigene Großwaffen zu entwerfen und herzustellen.

Entsprechend ist damit zu rechnen, dass Chinas Waffenimporte auch in Zukunft weiter abnehmen werden, da die Führung unter Partei- und Staatschef Xi Jinping großen Wert darauf legt, die eigenen Kapazitäten weiterzuentwickeln. Das wird allerdings weitere Sorgen in der Region hervorrufen – auf Taiwan, in Japan, Südkorea oder auch auf den Philippinen.

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Interview

Direktor des Sipri-Instituts: “Chinas Aufrüstung ist auf seine unmittelbaren territorialen Ziele ausgerichtet”

Interview mit Dan Smith, Direktor des renommierten Stockholm International Peace Research Institute (Sipri).

China hat gerade seinen Militärhaushalt abermals um 7,2 Prozent erhöht – das ist deutlich mehr als sein Wirtschaftswachstum. Viele Analysten sehen in China die größte Bedrohung des 21. Jahrhunderts. Wie bedrohlich ist Chinas Aufrüstung?

China ist das einzige Land, das seine Militärausgaben jedes Jahr in den vergangenen 28 Jahren, die wir erfasst haben, erhöht hat. Dies gilt für kein anderes Land der Welt. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist ein stetiger Anstieg zu verzeichnen. Mittlerweile ist China auf Platz Zwei der weltweiten Tabelle, nur die USA gehen noch mehr für ihr Militär aus. Deutlich mehr.

Wo schlägt sich die rapide Aufrüstung nieder?

China hat eine sehr große Marine und eine sehr große Luftwaffe. Wir verzeichnen auch einen Aufstieg der chinesischen Rüstungsindustrie – quantitativ wie auch qualitativ. Trotz schwieriger Datenlage ist klar, dass zwei oder drei chinesische Unternehmen zu den zehn größten Waffenproduzenten der Welt gehören. Für Chinesen mag das ermutigend klingen. Von außen betrachtet ist es aber eine besorgniserregende Entwicklung.

Erkennen Sie Schwerpunkte innerhalb Chinas Aufrüstung?

Waffentechnisch liegt der Schwerpunkt offensichtlich auf der Marine. Der politisch-strategische Fokus liegt auf dem geografisch nahen Gebiet, das zeigen die Entwicklungen im Südchinesischen Meer wie auch im Ostchinesischen Meer, wo China sich mit Japan um Inseln streitet. Der deutlichste Schwerpunkt liegt jedoch auf Taiwan.

Wie gefährlich ist die Situation um Taiwan?

Chinas erklärtes Ziel ist klar: die Eingliederung Taiwans in die Volksrepublik China. Im Moment scheint die chinesische Linie so zu sein: Wir bestehen darauf, dass die Vereinigung zustande kommt, vorzugsweise mit friedlichen Mitteln. Aber sie sollte auf jeden Fall stattfinden.

Und wenn nicht, könnte China sich Taiwan mit Gewalt einverleiben – aus rein militärischer Sicht?

Militärisch wäre es ein enorm riskantes Unterfangen. Ich bin mir nicht sicher, ob China über die nötigen amphibischen Fähigkeiten verfügt, die es dafür brauchen würden. Sie bräuchten amphibische Ausrüstung in sehr, sehr großem Ausmaß, wenn sie tatsächlich vorhaben, Taiwan mit Gewalt einzunehmen. Und selbst wenn sie diese Fähigkeit hätten, wäre es immer noch eine enorm riskante und gefährliche Aufgabe.

Also gibt es so bald keinen Krieg um Taiwan?

Ich habe keine Kristallkugel, um das zu sagen. Aber die Führung in Peking ist überzeugt, dass ein starkes Militär dem politischen Druck mehr Kraft verleiht.

Sehen Sie umfassendere strategische Ziele hinter Chinas militärischer Aufrüstung?

Im Großen und Ganzen will Peking deutlich machen, dass China eine Weltmacht, eine Großmacht ist. Das passt zum Anspruch, die internationale Ordnung zu verändern. Die internationale Ordnung, wie wir sie heute kennen, basiert im Wesentlichen auf der Macht der USA – und China möchte dieses System ändern. Auf operativer Ebene ist die Aufrüstung hingegen eindeutig auf Chinas unmittelbare territorialen Ziele und die unmittelbare regionale Sicherheit ausgerichtet.

Ist Chinas Aufrüstung eine besondere Bedrohung?

Im Grunde denke ich schon, ja. Aber ich bin weniger geneigt zu glauben, dass der Aufbau eine unmittelbare Bedrohung darstellt. Ich mache mir weniger Sorgen als einige Leute aus den USA oder sogar aus Europa mit ihrer unnötig alarmierenden Rhetorik.

Das überrascht ein wenig.

Man muss das große Ganze sehen. Wir sprechen von einer Welt, in der mehr Geld für Militär ausgegeben wird als je zuvor. Der weltweite Ausbau des Militärs belief sich im vergangenen Jahr auf mehr als 2,2 Billionen US-Dollar. Das ist etwa ein Drittel mehr als am Ende des Kalten Krieges.

Das bedeutet …

… dass die Welt ein gefährlicherer Ort ist, mit mehr Kriegen, mehr Waffen und mehr langfristigen Bedrohungen wie dem Klimawandel, der Umweltkrise und dem Risiko einer Pandemie als je zuvor. Das ist also insgesamt eine besorgniserregende Situation. Und Chinas militärische Aufrüstung ist Teil dieser besorgniserregenden Situation.

Wie steht es um die Qualität des chinesischen Militärs? Zuletzt gab es Berichte über Raketen, die mit Wasser statt mit Treibstoff gefüllt waren.

Zunächst muss man bedenken, dass das Sipri Stockholm International Peace Research Institute kein Geheimdienst ist. Aber soweit wir es von außen beurteilen können, scheint Chinas militärische Ausrüstung und ihre neuen Technologien größtenteils recht fortgeschritten sind. Im Allgemeinen sind sie zuverlässig und in vielerlei Hinsicht beeindruckend.

“Im Allgemeinen”. Das klingt so, als würde es ein Aber geben.

Aber wir wissen nicht, wie Chinas Militär im Ernstfall abschneiden würde, da China seit etwa 40 Jahren, seit den Zusammenstößen mit Vietnam, nicht mehr aktiv an Kriegen beteiligt war. Und selbst damals war die Leistung des chinesischen Militärs nicht besonders effizient oder erfolgreich. Man kann also vermuten, dass Chinas Streitkräfte in der Praxis möglicherweise weniger effektiv sind, als es auf dem Papier erscheinen mag.

Könnte das ein Lichtblick am Horizont sein, dass China zögern könnte, seine militärische Macht einzusetzen, weil es nicht weiß, ob es schlagkräftig genug wäre?

Ich denke, das stimmt. Wenn Sie einen Staat haben, der es gewohnt ist, bewaffnete Gewalt anzuwenden, sind sie ziemlich zuversichtlich. Wer es hingegen nicht gewohnt ist, Waffengewalt einzusetzen, wird etwas zurückhaltender und vorsichtiger in seinem Urteil sein.

Wie wichtig sind in diesen Überlegungen andere Kriege?

Sehr wichtig. In Bezug auf Taiwan gibt es ein geostrategisches und geopolitisches Kalkül, das China anstellt. Aus meiner Sicht hat die Reaktion des Westens auf den Krieg in der Ukraine China etwas davon abgehalten zu denken: Nun können wir das Gleiche mit Taiwan tun. Das ist ein Grund, warum nicht nur in Europa, sondern auch in Ostasien alle sehr genau darauf achten, was im US-Kongress in Bezug auf die Ukraine passiert, denn die Signale, die der US-Kongress an Russland geben kann, sind auch Signale an China.

Kommen wir zurück zu unserem Ausgangspunkt: China als größte Bedrohung. Schätzen wir China dann vielleicht falsch ein?

In gewisser Weise ja. Was wir oftmals vergessen, wenn wir China betrachten, ist eine vergleichende Perspektive. Wenn wir nach China blicken, sehen wir die beeindruckende Steigerung der Militärausgaben, neue Waffensystemen und riesige Streitkräften sowie den Druck, den diese Aufrüstung auf die unmittelbare Region erzeugt. Aber denken Sie weiter, an eine Macht, die sich auf der anderen Seite des Ozeans befindet und die ebenfalls in dieser Region großen Druck ausübt – und nicht nur in dieser Region, sondern auch auf der anderen Seite der Welt, im Mittelmeer und anderen Teilen der Welt. Die USA sind noch immer mit großem Abstand die größte Militärmacht der Welt.

Also alles doch nicht so besorgniserregend?

Verstehen Sie mich nicht falsch, China muss ernst genommen werden. Seine Aufrüstung ist bedrohlich, und China verfügt ohne Zweifel über beträchtliche militärische Fähigkeiten. Aber wir brauchen eine vergleichende Perspektive, um Chinas Beziehung zu den Vereinigten Staaten zu verstehen.

Dan Smith ist Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri). Das Institut erforscht Militär- und Verteidigungsentwicklungen weltweit.

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News

Sondergesandter Li Hui zu Gesprächen in Berlin

Pekings Sondergesandter für Eurasien, Li Hui, hat am Samstag Gespräche in Berlin geführt. Li traf Thomas Bagger, Staatssekretär im Auswärtigem Amt, wie die staatliche Tageszeitung Global Times auf X berichtete. Li warnte demnach bei dem Treffen vor einer weiteren Eskalation im Krieg gegen die Ukraine. Diese stünde “nicht im Einklang mit den gemeinsamen Interessen der internationalen Gemeinschaft, einschließlich Chinas und Deutschlands”, sagte Li der chinesischen Meldung zufolge. Li hatte am Donnerstag die Ukraine besucht. Seine nächste Station nach Berlin soll Paris sein.

Der chinesische Sondergesandte soll die Möglichkeiten von Friedensgesprächen zwischen der Ukraine und Russland ausloten. Bisher war seine Reise in Brüssel und Warschau EU-Kreisen zufolge nicht unbedingt erfolgreich. Bei Gesprächen mit EU-Vertretern habe Li vor allem das russische Narrativ wiederholt. Der Sondergesandte habe zudem Kritik an den EU-Sanktionen gegen chinesische Firmen geäußert. In Kiew blieb er am Freitag nur wenige Stunden. ari

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Verbraucherpreise steigen zum ersten Mal seit sechs Monaten

Die Verbraucherpreise in China sind zum ersten Mal seit sechs Monaten gestiegen. Grund war das chinesische Neujahrsfest. Der Verbraucherpreisindex (CPI) stieg im Februar im Jahresvergleich um 0,7 Prozent, wie Daten des Nationalen Statistikamtes (NBS) am Samstag zeigten. Ökonomen befürchten in China eine konjunkturschädliche Deflation, bei der die Leute in Erwartung niedrigerer Preise ihr Geld zusammenhalten. So gesehen ist der minimale Anstieg eine gute Nachricht.

Der Sprung in den positiven Bereich stand im Gegensatz zum Rückgang von 0,8 Prozent im Januar, dem stärksten Rückgang seit mehr als 14 Jahren. Im Februar dieses Jahres stieg der Verbraucherpreisindex im Vergleich zum Vormonat um ein Prozent und übertraf damit den Anstieg von 0,3 Prozent im Januar und das von den Wirtschaftsexperten prognostizierte Wachstum von 0,7 Prozent. Der Erzeugerpreisindex (PPI) fiel jedoch im Februar um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während er im Vormonat um 2,5 Prozent gesunken war. Die Erzeugerpreise sind seit mehr als einem Jahr rückläufig. rtr/ari

  • Gesellschaft
  • Konjunktur

Presseschau

Ukraine war: China calls for direct peace talks with Russia, offers help to ‘build bridges’ SCMP
China und der Ukrainekrieg: Peking hält weiter zu Putin FAZ
Volkskongress in China: Wenn die Gesichtserkennung versagt, wirds brenzlig TAGESANZEIGER
Stagnation in der Volksrepublik: China will verschuldete Bauunternehmen auflösen N-TV
Immobilienkrise: China verschärft Ton gegen angeschlagene Immobilienkonzerne HANDELSBLATT
Aramco sees China demand growing, eyes more investments REUTERS
Xi Jinping greift durch: China wappnet sich für einen Kalten Krieg mit den USA FAZ
Sicherheitsexperte Ashley J. Tellis: “Wenn China offen Atombomben testet, löst das eine Kettenreaktion aus”. China baut sein Atomwaffenarsenal aus, Indien und Pakistan werden nervös NZZ
Shanghai Zhenhua denies posing cybersecurity risk to US ports REUTERS
US mulls blacklisting CXMT to curb China”s chip advance, Bloomberg News says REUTERS
China”s lithium market set for long-term uptrend, says Ganfeng Lithium REUTERS
China strengthens its grip on global lithium trade amid processing plant building boom in Zimbabwe SCMP
West scrambles for ‘insurance policy’ as China raids Earth’s raw materials: US and Europe struggle to break Beijing’s stranglehold over critical minerals TELEGRAPH
China’s Nobel winning novelist Mo Yan targeted by growing band of online nationalists SCMP
Warum China die Taiwanstraße beherrschen will DIE PRESSE
Peking droht Taiwan und dem Westen: Chinas Imperialismus ist eine echte Gefahr TAGESSPIEGEL
China to spend growing defence budget on combat readiness and ‘preparation for war’ SCMP
North Korean missiles developed with foreign help, Nikkei finds NIKKEI.COM
Philippines’ new playbook is a threat to South China Sea peace SCMP

Personalien

Carlson Tong soll neuer Vorsitzender der Hongkonger Börse werden. Tong wird den Posten nach dem 24. April übernehmen. Er war lange Zeit der Vorsitzende von KPMG China.

Oliver Matthees ist seit Beginn des Monats Sales Director bei Eugina Limited in Hongkong. Er war bis Ende Januar Director of Sales Asia Pacific bei Martosca Asia Pacific Limited, ebenfalls in Hongkong.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Zur Sprache

Cloud-Katzenkoksen

云吸猫 – yúnxīmāo – Cloud-Katzenkoksen

Sie sind unruhig, rastlos, fahrig? Können auf dem Bürosessel keinen klaren Gedanken fassen und es zieht Ihre schwitzigen Hände immer wieder magisch Richtung Smartphone? Nun, vielleicht sind das einfach Entzugserscheinungen und es wird mal wieder Zeit, online ein paar Katzen zu schnupfen! Denn seien wir doch mal ehrlich: Nachdem man sich ein paar schnurrende Stubentiger auf YouTube oder Tiktok reingezogen hat, kann man einfach wieder klarer denken, sieht die Welt gleich wieder ganz anders aus.

Die Chinesen haben den Suchtfaktor von Samtpfötchen natürlich auch längst erkannt und ihm sogar ein augenzwinkerndes Verbaldenkmal gesetzt, in Form der Trendvokabel 吸猫 xīmāo – ganz wörtlich “Katzen inhalieren” (von 吸 xī “(auf)saugen, inhalieren, einatmen” + 猫 māo “Katze”). Das Wortspiel weckt bei Muttersprachlern Assoziationen zu anderem klassischen Suchtverhalten wie 吸烟 xīyān “rauchen” (wörtlich: “Rauch inhalieren”), 吸大麻 xī dàmá “kiffen, Marihuana rauchen” (“Marihuana inhalieren”) oder ganz allgemein 吸毒 xīdú “Drogen nehmen” (“Rauschmittel inhalieren”).

Abgeleitet ist die Maunz-Metapher aus dem unverfänglichen Ausdruck 吸猫体质 xīmāo tǐzhì (体质 tǐzhì für “körperliche Konstitution”) – das chinesische Pendant zur englischen “cat person”, also eine Person, die von Natur aus gut mit Katzen kann. Hier stand das Zeichen 吸 xī noch für 吸引 xīyǐn “anziehen, anlocken”. Die Netzgemeinde zog dann die Analogie zum gleichlautenden 吸 xī wie in吸毒 xīdú “Drogen nehmen, sich Drogen reinziehen; drogensüchtig sein”, inspiriert von der zunehmenden Zahl an Katzenjunkies im Netz, die ihre schnurrenden Lieblinge Social-Media-wirksam streicheln und durchkneten (撸猫 lū māo), herzen und knutschen, ja manchmal regelrecht an ihnen nuckeln. Et voilà – geboren war das Bild des Katzen koksenden Cat-aholic.

Wer sich seine Mietzen-Dosis übrigens nicht im realen Alltag besorgen kann – weil zum Beispiel die Mäuse für ein katzengerechtes Apartment oder jobbedingt einfach die zeitlichen Kraulkapazitäten für den eigenen Stubentiger fehlen – der weicht einfach in den virtuellen Raum aus. Dealer, die mit lupenreinem Samtpfötchen-Stoff versorgen, lungern im Netz schließlich auf allen gängigen Social-Media-Plattformen herum, von Douyin (抖音Dǒuyīn) über Little Red Book (小红书 Xiǎohóngshū) bis hin zur WeChat-Timeline (微信朋友圈 Wēixìn péngyouquān). Hier kann man sich Millionen Kitty-Pics und lustige Katzenclips reinziehen und sich so zumindest virtuell mit Vierpfotern volldröhnen. Auch hierfür zaubert das Mandarin natürlich einen eigenen Neologismus aus dem Hut: 云吸猫 yúnxīmāo “Cloud-Katzenkoksen” – sprich: virtuell seiner Katzensucht frönen.

Diese Onlinesucht läuft unter chinesischen Cat-aholics auch unter dem Codewort der Cyber- bzw. Cloud-Katzenhaltung (云养猫 yúnyǎngmāo). Man fungiert also nur virtuell als Haustierhalter, in dem man am Katzenalltag anderer Haustigerherrchen beziehungsweise -frauchen teilnimmt. 

Die Cloud-Tierhaltung reiht sich übrigens geschmeidig in eine ganze Reihe anderer “Wolkenwörter” ein, die sich seit dem weitläufigen Online-Shift vieler Lebensbereiche zu Coronazeiten etabliert haben und seither durch den chinesischen Sprachhorizont wabern. Darunter Phänomene wie Cloud-Unterricht (云上课 yúnshàngkè – Onlineunterricht), Cloud-Arbeit (云办公 yúnbàngōng – Homeoffice) oder Cloud-Bewerbungsgespräche (云面试 yúnmiànshì – Online-Bewerbungsgespräche). Zu den Cyberblüten zählen außerdem noch Cloud-Essensverabredungen (云聚餐 yúnjùcān – virtuelles gemeinsames Essen mit Freunden, z.B. per Zoom- oder Teams-Schalte) oder Cloud-Reisen (云旅游yúnlǚyóu – kostenloses virtuelles Verreisen über Internetinhalte bequem von Zuhause aus).

In Coronazeiten gab es in China gar Cloud-Entertainment-Formate (云综艺yúnzōngyì), bei denen Promis und Gäste in Unterhaltungssendungen einfach per Videoschalte zusammenkamen. Wer derweil den schlimmen Verdacht hegt, selbst der digitalen Samtpfötchensucht verfallen zu sein und nicht vom Handybildschirm loskommt, um sich entsprechende Hilfe zu holen, für den ist vielleicht Cloud-Diagnose (云问诊 yúnwènzhěn – von 问诊 wènzhěn “Patientenbefragung”, eines der klassischen Diagnose-Verfahren in der TCM) die Lösung – also eine Ferndiagnose per Onlinesprechstunde.

Ein deutliches Warnzeichen für eine solche Abhängigkeit wäre zum Beispiel, wenn Ihnen Montagmorgen zu Arbeitsbeginn nach durchzechter Katzen-Clip-Nacht noch der Katzenkater im Kopf brummt. Um Ihnen derartigen Katzenjammer und einen ungemütlichen kalten Entzug zu ersparen, nehmen Sie sich lieber folgenden Warnhinweis der chinesischen Onlinecommunity zu Herzen, der eigentlich im Vorspann jedes Kitty-Clips weltweit gezeigt werden sollte: 

小心,吸猫会上瘾!

Xiǎoxīn, xīmāo huì shàngyǐn!

“Vorsicht – Katzen koksen kann süchtig machen!” 

Sagen Sie also bitte nicht, man hätte Sie beim Chinesischlernen nicht schon ausdrücklich gewarnt.

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    am Wochenende war unsere stellvertretende Chefredakteurin Helene Bubrowski mit Robert Habeck in den USA unterwegs. Dort versuchte der Bundeswirtschaftsminister, seinen amerikanischen Gesprächspartnern Deutschlands China-Strategie näherzubringen: mehr Skepsis im China-Geschäft – aber keine völlige Abkopplung. Die Regierung Biden forderte umgekehrt mehr Druck auf China und eine Verringerung des Handels. Dabei sind die USA selbst der größte Abnehmer chinesischer Waren.

    Dan Smith, Direktor des renommierten Stockholm International Peace Research Institute (Sipri), erklärt im Interview mit Michael Radunski die Schwerpunkte und Ziele, aber auch Schwachpunkte des chinesischen Militärs. Chinesische Unternehmen gehören inzwischen zu den größten Waffenproduzenten der Welt. “Für Chinesen mag das ermutigend klingen. Von außen betrachtet ist es aber eine besorgniserregende Entwicklung”, sagt Smith.

    Und diese Sorge spiegelt sich auch im neuen Sipri-Bericht zu Waffenverkäufen wider: Nirgendwo auf der Welt werden so viel Waffen nachgefragt wie in Asien und Ozeanien. Chinas Nachbarn wollen sich für den Fall der Fälle wappnen. Der größte Anbieter von Kriegsgerät für die Kunden in Fernost: die USA.

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    Analyse

    Habeck wirbt in Amerika für den deutschen Mittelweg in der Chinapolitik 

    Während seiner viertägigen USA-Reise hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bemüht, Vertreter der amerikanischen Regierung vom deutschen Kurswechsel in der China-Politik zu überzeugen. “Wir haben die Haltung gegenüber China deutlich geändert im Vergleich zur Vorgängerregierung”, betonte der Grünen-Politiker in Washington. “Wir haben eine China-Strategie erarbeitet, wir schauen bei Investitionsprüfungen deutlich schärfer hin.”

    Die kürzlich vorgestellte Wirtschaftssicherheitsstrategie der Bundesregierung ziele darauf ab, die Produktion kritischer Materialien wie Halbleiter in Europa anzusiedeln. “Wir haben viel unternommen, um zu diversifizieren”, sagte Habeck, aber machte zugleich deutlich, wo die Grenzen liegen: Man werde, “nicht decoupeln und die Handelsbeziehungen einschränken”. Es gehe darum, “nicht naiv zu sein.” 

    Die Bundesregierung versucht, den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden macht Druck auf die Europäer, den Handel mit China weiter einzuschränken und etwa Hightech-Geräte zur Chipproduktion nicht mehr in das Land zu liefern. Überhaupt sind den Vereinigten Staaten die Großinvestitionen der deutschen Chemieindustrie in China und die Abhängigkeit der deutschen Autobauer vom chinesischen Markt ein Dorn im Auge.

    Habeck registriert Verständnis für deutschen Kurs

    Habeck hat sich bei seinem Besuch mit US-Handelsministerin Gina Raimondo, Finanzministerin Janet Yellen und dem Sicherheitsberater Jake Sullivan ausgetauscht. Seine Einschätzung: “Die Amerikaner sehen den Kurswechsel sehr wohl und respektieren ihn auch.” Der Minister führt zur Begründung nicht allein wirtschaftliche Interessen an, er argumentiert geostrategisch: “Wir arbeiten darauf hin, dass es immer möglich ist, (mit China) in Beziehung zu bleiben.”

    China solle das Interesse an einem ökonomisch gedeihlichen und friedlichen Miteinander behalten, “damit es nicht dazu kommt, dass andere Prinzipien oder andere Formen, militärische gar, das letzte Wort haben. Das muss auf jeden Fall verhindert werden.” In der Bundesregierung geht die Sorge um, dass sich China im Fall einer weiteren Isolierung mit Russland und Iran verbünden könnte. Trotz aller Schwierigkeiten führte zuletzt der einzige Weg, auf Moskau einzuwirken, über Peking. 

    Allerdings stellt sich die Frage, ob Deutschland damit denselben Fehler macht wie vor 2022 gegenüber Russland. Auch damals ging es um wirtschaftliche Interessen. Über Jahre war aber auch das Argument zu hören, dass die wirtschaftliche Verflechtung wichtig sei, um den Kreml in Schach zu halten. Das Kanzleramt (Merkel und später Scholz) ist erst nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 von der Pipeline Nordstream 2 abgerückt.

    Von einem Rückzug aus China “keine Spur”

    Die US-Kritik hat zudem eine faktische Basis. Allein Volkswagen verkauft rund 40 Prozent seiner Autos in China und fährt die Hälfte seines Gewinns in der Volksrepublik ein. In sein Forschungs- und Entwicklungszentrum in der Provinz Anhui will VW weitere rund drei Milliarden Euro investieren. BASF stellt gerade in der Stadt Zhanjiang ein riesiges Werk im Wert von zehn Milliarden Euro fertig. Zugleich bauen beide Dax-Konzerne Stellen in Deutschland ab.

    Auch andere deutsche Firmen verstärken ihr Engagement in China, als gebe es keine Diskussion um Risikominierung. Nach Angaben der Bundesbank vom Februar stiegen die deutschen Investitionen im vergangenen Jahr um 4,3 Prozent auf 11,9 Milliarden Euro. Der Anteil Chinas an den gesamten ausländischen Direktinvestitionen der deutschen Wirtschaft hat erstmals seit 2014 wieder die Marke von zehn Prozent überschritten.

    Ökonom Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), der die Zahlen untersucht hat, sieht von “Diversifizierung keine Spur”. Der Grund dafür liegt auch im Verständnis des Begriffs “De-Risking”. Die Politik versteht darunter, die Geschäfte mit und in China wirklich zurückzufahren, um Abhängigkeiten abzubauen. Die Konzerne wollen dagegen Handelsrisiken verringern, indem sie die Produktion vor Ort stärken, um im Notfall für den chinesischen Markt weiterproduzieren zu können. Sie meinen mit De-Risking eine Lokalisierung.

    Auch die USA denken nicht an Abschied von China-Geschäft

    Die besonders enge wirtschaftliche Verflechtung Deutschlands mit China ist Grund für die Mahnungen des BDI, nicht zu verkennen, dass China ein “zentraler Wirtschaftspartner” bleibe. 2023 ist der Warenhandel zwischen Deutschland und China bereits um 15,5 Prozent gesunken.

    Zur Wahrheit gehört außerdem: Auch die USA sind weit davon entfernt, sich von ihrem China-Geschäft zu verabschieden, das Handelsvolumen betrug 2023 rund 575 Milliarden US-Dollar. Der Großteil davon, 472 Milliarden Dollar, entfallen auf die Einfuhr von Waren. Apple beispielsweise stellt immer noch 95 Prozent seiner Produkte in China her.

    US-Firmen verlassen sich nach Beobachtung von Wirtschaftspraktikern zum Teil sogar noch mehr auf Produktionen in China als europäische. “Die deutschen Unternehmen in den USA sind viel weniger abhängig von chinesischen Lieferketten als die amerikanischen”, glaubt Mark Tomkins, Geschäftsführer der Außenhandelskammer-Chicago. 

    Ampel ist uneins – trotz Zeitenwende

    Die Habeck-Reise nach Washington fällt in eine Zeit sehr unterschiedlicher Ansichten zur Zukunft des China-Geschäfts. Wie sehr sich die Einstellung gewandelt hat, zeigt vor allem die Diskussionen über den Verbau chinesischer Technologie beim 5G-Mobilfunkstandard oder der Streit um den Anteilserwerb der chinesischen Reederei Cosco an einem Terminal des Hamburger Hafens.

    Die Ampel-Partner nehmen auch hier unterschiedliche Haltungen ein. Wenn es allein nach den Grünen ginge, wäre der Kurs gegenüber China strenger. Scholz gibt sich der Industrie gegenüber vergleichsweise verständnisvoll.

    Trump-Präsidentschaft könnte Kurswechsel nötig machen

    Zweifel bestehen allerdings, ob die Bundesregierung mit diesem Sowohl-als-auch-Kurs durchkommt, sollte Donald Trump im November ein zweites Mal zum US-Präsidenten gewählt werden. 2018 hatte er durch höhere Importzölle auf chinesische Waren einen Handelsstreit vom Zaun gebrochen, der die Weltwirtschaft insgesamt traf. Kürzlich kündigte er an, im Fall seiner Wahl Zölle von 60 Prozent oder sogar mehr auf chinesische Importe zu erheben.

    In diesem Szenario müssten sich die Europäer auf Probleme mit der US-Regierung einstellen, wenn sie nicht auf den amerikanischen Kurs einschwenken. Unabhängig vom Ausgang der Wahl sagte Habeck in Washington dem Sender RTL: Wenn er gezwungen wäre, zwischen USA und China zu wählen, “dann würde ich sagen: Das Verhältnis zu den USA ist dominant, auch militärisch, wirtschaftlich”. Mitarbeit: ari/fin/flee

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    Angst vor Peking: Chinas Nachbarn kaufen immer mehr Waffen

    Nirgendwo auf der Welt werden so viel Waffen gekauft wie in Asien und Ozeanien. Das geht aus dem aktuellen Bericht “Trends bei internationalen Waffentransfers, 2023” des renommierten Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) hervor, der an diesem Montag veröffentlicht wird. Demnach gingen rund 37 Prozent aller Großwaffenkäufe im Zeitraum von 2019 bis 2023 an Staaten in Asien und Ozeanien. Insgesamt ist dies ein leichter Rückgang gegenüber dem Zeitraum von 2014 bis 2018. Damals gingen 41 Prozent des weltweiten Waffenhandels in die Region.

    Die wichtigsten Erkenntnisse des Berichts für die Region lauten:

    • Chinas Nachbarn rüsten auf – aus Angst vor Pekings außenpolitischen Ambitionen.
    • Taiwans Waffenimporte gingen zurück, aber neue Käufe sind schon geplant.
    • Die USA sind erstmals seit 25 Jahren größter Waffenverkäufer in Asienpazifik.
    • Chinas Waffenkäufe gehen zurück, weil Peking inzwischen selbst Waffen von hoher Qualität herstellen kann.

    Chinas Nachbarn fürchten Pekings Ambitionen

    Im neuen Sipri-Bericht stechen vor allem die Waffenimporte von Chinas direkten Nachbarstaaten hervor: Japans Einkäufe legten um satte 155 Prozent zu, die Philippinen kauften 105 Prozent mehr Waffen ein, Südkoreas Militärimporte stiegen immerhin um 6,5 Prozent.

    “Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die anhaltend hohen Waffenimporte Japans und anderer Verbündeter und Partner der USA in Asien und Ozeanien größtenteils auf einen Schlüsselfaktor zurückzuführen sind: Besorgnis über Chinas Ambitionen“, erklärt Siemon Wezeman, leitender Forscher bei Sipri Arms Transfers Programm.

    Überraschung Taiwan: Waffenkäufe der Insel gehen zurück

    Überraschend erscheint auf den ersten Blick die Entwicklung der Waffenimporte nach Taiwan. Sie sind im Berichtszeitraum um 69 Prozent gesunken – trotz der immer größer werdenden Spannungen mit China. So schickt die chinesische Volksbefreiungsarmee immer mehr Flugzeuge über die Mittellinie der Taiwanstraße. Experten sprechen von “hybrider Kriegsführung”: China mischt dabei militärische und nicht-militärische Druckmittel, ohne dass die Krise akut wird.

    Doch Taiwan hat in seinen Militärplanungen längst auf den wachsenden Druck reagiert: So sind in den kommenden fünf Jahren große Anschaffungen geplant, unter anderem der Kauf von 66 Kampfflugzeugen, 108 Panzern und 460 Anti-Schiffs-Raketen. Geliefert wird fast alles von den USA, die den Sipri-Recherchen zufolge in den Jahren von 2019 bis 2023 für über 99 Prozent der taiwanischen Waffenimporte verantwortlich sind.

    USA sind Hauptlieferant von Waffen

    Das führt zur nächsten wichtigen Erkenntnis des Sipri-Berichts: Zum ersten Mal seit 25 Jahren waren die Vereinigten Staaten der größte Waffenlieferant nach Asien und Ozeanien. Auf die USA entfielen 34 Prozent der regionalen Waffenimporte, gefolgt von Russland mit 19 Prozent und China mit 13 Prozent. “Die USA, die ihre Wahrnehmung einer chinesischen Bedrohung teilen, sind ein wachsender Lieferant für die Region”, sagt Wezeman.

    Für Japan und Südkorea sind die USA laut Sipri schon jetzt mit Abstand der wichtigste Lieferant: 97 Prozent der japanischen Waffenimporte stammen aus den USA; bei Südkorea sind es immerhin 72 Prozent. Beide Länder versuchen, mit den Käufen ihre Fähigkeiten für Langstreckenangriffen zu verbessern. So lieferten die USA im Zeitraum von 2019 bis 23 nach Japan 29 Kampfflugzeuge, zudem bestellte Tokio zuletzt 400 Langstrecken-Landangriffsraketen. Diese würden Japan erstmals in die Lage versetzen, Ziele tief in China oder Nordkorea zu erreichen, heißt es in dem Sipri-Bericht.

    China stellt inzwischen Waffen selbst her

    Chinas Waffenimporte sind hingegen um 44 Prozent geschrumpft. Der Grund für den drastischen Rückgang ist in China selbst zu finden: Die Volksrepublik ist zunehmend in der Lage, eigene Großwaffen zu entwerfen und herzustellen.

    Entsprechend ist damit zu rechnen, dass Chinas Waffenimporte auch in Zukunft weiter abnehmen werden, da die Führung unter Partei- und Staatschef Xi Jinping großen Wert darauf legt, die eigenen Kapazitäten weiterzuentwickeln. Das wird allerdings weitere Sorgen in der Region hervorrufen – auf Taiwan, in Japan, Südkorea oder auch auf den Philippinen.

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    Interview

    Direktor des Sipri-Instituts: “Chinas Aufrüstung ist auf seine unmittelbaren territorialen Ziele ausgerichtet”

    Interview mit Dan Smith, Direktor des renommierten Stockholm International Peace Research Institute (Sipri).

    China hat gerade seinen Militärhaushalt abermals um 7,2 Prozent erhöht – das ist deutlich mehr als sein Wirtschaftswachstum. Viele Analysten sehen in China die größte Bedrohung des 21. Jahrhunderts. Wie bedrohlich ist Chinas Aufrüstung?

    China ist das einzige Land, das seine Militärausgaben jedes Jahr in den vergangenen 28 Jahren, die wir erfasst haben, erhöht hat. Dies gilt für kein anderes Land der Welt. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist ein stetiger Anstieg zu verzeichnen. Mittlerweile ist China auf Platz Zwei der weltweiten Tabelle, nur die USA gehen noch mehr für ihr Militär aus. Deutlich mehr.

    Wo schlägt sich die rapide Aufrüstung nieder?

    China hat eine sehr große Marine und eine sehr große Luftwaffe. Wir verzeichnen auch einen Aufstieg der chinesischen Rüstungsindustrie – quantitativ wie auch qualitativ. Trotz schwieriger Datenlage ist klar, dass zwei oder drei chinesische Unternehmen zu den zehn größten Waffenproduzenten der Welt gehören. Für Chinesen mag das ermutigend klingen. Von außen betrachtet ist es aber eine besorgniserregende Entwicklung.

    Erkennen Sie Schwerpunkte innerhalb Chinas Aufrüstung?

    Waffentechnisch liegt der Schwerpunkt offensichtlich auf der Marine. Der politisch-strategische Fokus liegt auf dem geografisch nahen Gebiet, das zeigen die Entwicklungen im Südchinesischen Meer wie auch im Ostchinesischen Meer, wo China sich mit Japan um Inseln streitet. Der deutlichste Schwerpunkt liegt jedoch auf Taiwan.

    Wie gefährlich ist die Situation um Taiwan?

    Chinas erklärtes Ziel ist klar: die Eingliederung Taiwans in die Volksrepublik China. Im Moment scheint die chinesische Linie so zu sein: Wir bestehen darauf, dass die Vereinigung zustande kommt, vorzugsweise mit friedlichen Mitteln. Aber sie sollte auf jeden Fall stattfinden.

    Und wenn nicht, könnte China sich Taiwan mit Gewalt einverleiben – aus rein militärischer Sicht?

    Militärisch wäre es ein enorm riskantes Unterfangen. Ich bin mir nicht sicher, ob China über die nötigen amphibischen Fähigkeiten verfügt, die es dafür brauchen würden. Sie bräuchten amphibische Ausrüstung in sehr, sehr großem Ausmaß, wenn sie tatsächlich vorhaben, Taiwan mit Gewalt einzunehmen. Und selbst wenn sie diese Fähigkeit hätten, wäre es immer noch eine enorm riskante und gefährliche Aufgabe.

    Also gibt es so bald keinen Krieg um Taiwan?

    Ich habe keine Kristallkugel, um das zu sagen. Aber die Führung in Peking ist überzeugt, dass ein starkes Militär dem politischen Druck mehr Kraft verleiht.

    Sehen Sie umfassendere strategische Ziele hinter Chinas militärischer Aufrüstung?

    Im Großen und Ganzen will Peking deutlich machen, dass China eine Weltmacht, eine Großmacht ist. Das passt zum Anspruch, die internationale Ordnung zu verändern. Die internationale Ordnung, wie wir sie heute kennen, basiert im Wesentlichen auf der Macht der USA – und China möchte dieses System ändern. Auf operativer Ebene ist die Aufrüstung hingegen eindeutig auf Chinas unmittelbare territorialen Ziele und die unmittelbare regionale Sicherheit ausgerichtet.

    Ist Chinas Aufrüstung eine besondere Bedrohung?

    Im Grunde denke ich schon, ja. Aber ich bin weniger geneigt zu glauben, dass der Aufbau eine unmittelbare Bedrohung darstellt. Ich mache mir weniger Sorgen als einige Leute aus den USA oder sogar aus Europa mit ihrer unnötig alarmierenden Rhetorik.

    Das überrascht ein wenig.

    Man muss das große Ganze sehen. Wir sprechen von einer Welt, in der mehr Geld für Militär ausgegeben wird als je zuvor. Der weltweite Ausbau des Militärs belief sich im vergangenen Jahr auf mehr als 2,2 Billionen US-Dollar. Das ist etwa ein Drittel mehr als am Ende des Kalten Krieges.

    Das bedeutet …

    … dass die Welt ein gefährlicherer Ort ist, mit mehr Kriegen, mehr Waffen und mehr langfristigen Bedrohungen wie dem Klimawandel, der Umweltkrise und dem Risiko einer Pandemie als je zuvor. Das ist also insgesamt eine besorgniserregende Situation. Und Chinas militärische Aufrüstung ist Teil dieser besorgniserregenden Situation.

    Wie steht es um die Qualität des chinesischen Militärs? Zuletzt gab es Berichte über Raketen, die mit Wasser statt mit Treibstoff gefüllt waren.

    Zunächst muss man bedenken, dass das Sipri Stockholm International Peace Research Institute kein Geheimdienst ist. Aber soweit wir es von außen beurteilen können, scheint Chinas militärische Ausrüstung und ihre neuen Technologien größtenteils recht fortgeschritten sind. Im Allgemeinen sind sie zuverlässig und in vielerlei Hinsicht beeindruckend.

    “Im Allgemeinen”. Das klingt so, als würde es ein Aber geben.

    Aber wir wissen nicht, wie Chinas Militär im Ernstfall abschneiden würde, da China seit etwa 40 Jahren, seit den Zusammenstößen mit Vietnam, nicht mehr aktiv an Kriegen beteiligt war. Und selbst damals war die Leistung des chinesischen Militärs nicht besonders effizient oder erfolgreich. Man kann also vermuten, dass Chinas Streitkräfte in der Praxis möglicherweise weniger effektiv sind, als es auf dem Papier erscheinen mag.

    Könnte das ein Lichtblick am Horizont sein, dass China zögern könnte, seine militärische Macht einzusetzen, weil es nicht weiß, ob es schlagkräftig genug wäre?

    Ich denke, das stimmt. Wenn Sie einen Staat haben, der es gewohnt ist, bewaffnete Gewalt anzuwenden, sind sie ziemlich zuversichtlich. Wer es hingegen nicht gewohnt ist, Waffengewalt einzusetzen, wird etwas zurückhaltender und vorsichtiger in seinem Urteil sein.

    Wie wichtig sind in diesen Überlegungen andere Kriege?

    Sehr wichtig. In Bezug auf Taiwan gibt es ein geostrategisches und geopolitisches Kalkül, das China anstellt. Aus meiner Sicht hat die Reaktion des Westens auf den Krieg in der Ukraine China etwas davon abgehalten zu denken: Nun können wir das Gleiche mit Taiwan tun. Das ist ein Grund, warum nicht nur in Europa, sondern auch in Ostasien alle sehr genau darauf achten, was im US-Kongress in Bezug auf die Ukraine passiert, denn die Signale, die der US-Kongress an Russland geben kann, sind auch Signale an China.

    Kommen wir zurück zu unserem Ausgangspunkt: China als größte Bedrohung. Schätzen wir China dann vielleicht falsch ein?

    In gewisser Weise ja. Was wir oftmals vergessen, wenn wir China betrachten, ist eine vergleichende Perspektive. Wenn wir nach China blicken, sehen wir die beeindruckende Steigerung der Militärausgaben, neue Waffensystemen und riesige Streitkräften sowie den Druck, den diese Aufrüstung auf die unmittelbare Region erzeugt. Aber denken Sie weiter, an eine Macht, die sich auf der anderen Seite des Ozeans befindet und die ebenfalls in dieser Region großen Druck ausübt – und nicht nur in dieser Region, sondern auch auf der anderen Seite der Welt, im Mittelmeer und anderen Teilen der Welt. Die USA sind noch immer mit großem Abstand die größte Militärmacht der Welt.

    Also alles doch nicht so besorgniserregend?

    Verstehen Sie mich nicht falsch, China muss ernst genommen werden. Seine Aufrüstung ist bedrohlich, und China verfügt ohne Zweifel über beträchtliche militärische Fähigkeiten. Aber wir brauchen eine vergleichende Perspektive, um Chinas Beziehung zu den Vereinigten Staaten zu verstehen.

    Dan Smith ist Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri). Das Institut erforscht Militär- und Verteidigungsentwicklungen weltweit.

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    Sondergesandter Li Hui zu Gesprächen in Berlin

    Pekings Sondergesandter für Eurasien, Li Hui, hat am Samstag Gespräche in Berlin geführt. Li traf Thomas Bagger, Staatssekretär im Auswärtigem Amt, wie die staatliche Tageszeitung Global Times auf X berichtete. Li warnte demnach bei dem Treffen vor einer weiteren Eskalation im Krieg gegen die Ukraine. Diese stünde “nicht im Einklang mit den gemeinsamen Interessen der internationalen Gemeinschaft, einschließlich Chinas und Deutschlands”, sagte Li der chinesischen Meldung zufolge. Li hatte am Donnerstag die Ukraine besucht. Seine nächste Station nach Berlin soll Paris sein.

    Der chinesische Sondergesandte soll die Möglichkeiten von Friedensgesprächen zwischen der Ukraine und Russland ausloten. Bisher war seine Reise in Brüssel und Warschau EU-Kreisen zufolge nicht unbedingt erfolgreich. Bei Gesprächen mit EU-Vertretern habe Li vor allem das russische Narrativ wiederholt. Der Sondergesandte habe zudem Kritik an den EU-Sanktionen gegen chinesische Firmen geäußert. In Kiew blieb er am Freitag nur wenige Stunden. ari

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    Verbraucherpreise steigen zum ersten Mal seit sechs Monaten

    Die Verbraucherpreise in China sind zum ersten Mal seit sechs Monaten gestiegen. Grund war das chinesische Neujahrsfest. Der Verbraucherpreisindex (CPI) stieg im Februar im Jahresvergleich um 0,7 Prozent, wie Daten des Nationalen Statistikamtes (NBS) am Samstag zeigten. Ökonomen befürchten in China eine konjunkturschädliche Deflation, bei der die Leute in Erwartung niedrigerer Preise ihr Geld zusammenhalten. So gesehen ist der minimale Anstieg eine gute Nachricht.

    Der Sprung in den positiven Bereich stand im Gegensatz zum Rückgang von 0,8 Prozent im Januar, dem stärksten Rückgang seit mehr als 14 Jahren. Im Februar dieses Jahres stieg der Verbraucherpreisindex im Vergleich zum Vormonat um ein Prozent und übertraf damit den Anstieg von 0,3 Prozent im Januar und das von den Wirtschaftsexperten prognostizierte Wachstum von 0,7 Prozent. Der Erzeugerpreisindex (PPI) fiel jedoch im Februar um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während er im Vormonat um 2,5 Prozent gesunken war. Die Erzeugerpreise sind seit mehr als einem Jahr rückläufig. rtr/ari

    • Gesellschaft
    • Konjunktur

    Presseschau

    Ukraine war: China calls for direct peace talks with Russia, offers help to ‘build bridges’ SCMP
    China und der Ukrainekrieg: Peking hält weiter zu Putin FAZ
    Volkskongress in China: Wenn die Gesichtserkennung versagt, wirds brenzlig TAGESANZEIGER
    Stagnation in der Volksrepublik: China will verschuldete Bauunternehmen auflösen N-TV
    Immobilienkrise: China verschärft Ton gegen angeschlagene Immobilienkonzerne HANDELSBLATT
    Aramco sees China demand growing, eyes more investments REUTERS
    Xi Jinping greift durch: China wappnet sich für einen Kalten Krieg mit den USA FAZ
    Sicherheitsexperte Ashley J. Tellis: “Wenn China offen Atombomben testet, löst das eine Kettenreaktion aus”. China baut sein Atomwaffenarsenal aus, Indien und Pakistan werden nervös NZZ
    Shanghai Zhenhua denies posing cybersecurity risk to US ports REUTERS
    US mulls blacklisting CXMT to curb China”s chip advance, Bloomberg News says REUTERS
    China”s lithium market set for long-term uptrend, says Ganfeng Lithium REUTERS
    China strengthens its grip on global lithium trade amid processing plant building boom in Zimbabwe SCMP
    West scrambles for ‘insurance policy’ as China raids Earth’s raw materials: US and Europe struggle to break Beijing’s stranglehold over critical minerals TELEGRAPH
    China’s Nobel winning novelist Mo Yan targeted by growing band of online nationalists SCMP
    Warum China die Taiwanstraße beherrschen will DIE PRESSE
    Peking droht Taiwan und dem Westen: Chinas Imperialismus ist eine echte Gefahr TAGESSPIEGEL
    China to spend growing defence budget on combat readiness and ‘preparation for war’ SCMP
    North Korean missiles developed with foreign help, Nikkei finds NIKKEI.COM
    Philippines’ new playbook is a threat to South China Sea peace SCMP

    Personalien

    Carlson Tong soll neuer Vorsitzender der Hongkonger Börse werden. Tong wird den Posten nach dem 24. April übernehmen. Er war lange Zeit der Vorsitzende von KPMG China.

    Oliver Matthees ist seit Beginn des Monats Sales Director bei Eugina Limited in Hongkong. Er war bis Ende Januar Director of Sales Asia Pacific bei Martosca Asia Pacific Limited, ebenfalls in Hongkong.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Zur Sprache

    Cloud-Katzenkoksen

    云吸猫 – yúnxīmāo – Cloud-Katzenkoksen

    Sie sind unruhig, rastlos, fahrig? Können auf dem Bürosessel keinen klaren Gedanken fassen und es zieht Ihre schwitzigen Hände immer wieder magisch Richtung Smartphone? Nun, vielleicht sind das einfach Entzugserscheinungen und es wird mal wieder Zeit, online ein paar Katzen zu schnupfen! Denn seien wir doch mal ehrlich: Nachdem man sich ein paar schnurrende Stubentiger auf YouTube oder Tiktok reingezogen hat, kann man einfach wieder klarer denken, sieht die Welt gleich wieder ganz anders aus.

    Die Chinesen haben den Suchtfaktor von Samtpfötchen natürlich auch längst erkannt und ihm sogar ein augenzwinkerndes Verbaldenkmal gesetzt, in Form der Trendvokabel 吸猫 xīmāo – ganz wörtlich “Katzen inhalieren” (von 吸 xī “(auf)saugen, inhalieren, einatmen” + 猫 māo “Katze”). Das Wortspiel weckt bei Muttersprachlern Assoziationen zu anderem klassischen Suchtverhalten wie 吸烟 xīyān “rauchen” (wörtlich: “Rauch inhalieren”), 吸大麻 xī dàmá “kiffen, Marihuana rauchen” (“Marihuana inhalieren”) oder ganz allgemein 吸毒 xīdú “Drogen nehmen” (“Rauschmittel inhalieren”).

    Abgeleitet ist die Maunz-Metapher aus dem unverfänglichen Ausdruck 吸猫体质 xīmāo tǐzhì (体质 tǐzhì für “körperliche Konstitution”) – das chinesische Pendant zur englischen “cat person”, also eine Person, die von Natur aus gut mit Katzen kann. Hier stand das Zeichen 吸 xī noch für 吸引 xīyǐn “anziehen, anlocken”. Die Netzgemeinde zog dann die Analogie zum gleichlautenden 吸 xī wie in吸毒 xīdú “Drogen nehmen, sich Drogen reinziehen; drogensüchtig sein”, inspiriert von der zunehmenden Zahl an Katzenjunkies im Netz, die ihre schnurrenden Lieblinge Social-Media-wirksam streicheln und durchkneten (撸猫 lū māo), herzen und knutschen, ja manchmal regelrecht an ihnen nuckeln. Et voilà – geboren war das Bild des Katzen koksenden Cat-aholic.

    Wer sich seine Mietzen-Dosis übrigens nicht im realen Alltag besorgen kann – weil zum Beispiel die Mäuse für ein katzengerechtes Apartment oder jobbedingt einfach die zeitlichen Kraulkapazitäten für den eigenen Stubentiger fehlen – der weicht einfach in den virtuellen Raum aus. Dealer, die mit lupenreinem Samtpfötchen-Stoff versorgen, lungern im Netz schließlich auf allen gängigen Social-Media-Plattformen herum, von Douyin (抖音Dǒuyīn) über Little Red Book (小红书 Xiǎohóngshū) bis hin zur WeChat-Timeline (微信朋友圈 Wēixìn péngyouquān). Hier kann man sich Millionen Kitty-Pics und lustige Katzenclips reinziehen und sich so zumindest virtuell mit Vierpfotern volldröhnen. Auch hierfür zaubert das Mandarin natürlich einen eigenen Neologismus aus dem Hut: 云吸猫 yúnxīmāo “Cloud-Katzenkoksen” – sprich: virtuell seiner Katzensucht frönen.

    Diese Onlinesucht läuft unter chinesischen Cat-aholics auch unter dem Codewort der Cyber- bzw. Cloud-Katzenhaltung (云养猫 yúnyǎngmāo). Man fungiert also nur virtuell als Haustierhalter, in dem man am Katzenalltag anderer Haustigerherrchen beziehungsweise -frauchen teilnimmt. 

    Die Cloud-Tierhaltung reiht sich übrigens geschmeidig in eine ganze Reihe anderer “Wolkenwörter” ein, die sich seit dem weitläufigen Online-Shift vieler Lebensbereiche zu Coronazeiten etabliert haben und seither durch den chinesischen Sprachhorizont wabern. Darunter Phänomene wie Cloud-Unterricht (云上课 yúnshàngkè – Onlineunterricht), Cloud-Arbeit (云办公 yúnbàngōng – Homeoffice) oder Cloud-Bewerbungsgespräche (云面试 yúnmiànshì – Online-Bewerbungsgespräche). Zu den Cyberblüten zählen außerdem noch Cloud-Essensverabredungen (云聚餐 yúnjùcān – virtuelles gemeinsames Essen mit Freunden, z.B. per Zoom- oder Teams-Schalte) oder Cloud-Reisen (云旅游yúnlǚyóu – kostenloses virtuelles Verreisen über Internetinhalte bequem von Zuhause aus).

    In Coronazeiten gab es in China gar Cloud-Entertainment-Formate (云综艺yúnzōngyì), bei denen Promis und Gäste in Unterhaltungssendungen einfach per Videoschalte zusammenkamen. Wer derweil den schlimmen Verdacht hegt, selbst der digitalen Samtpfötchensucht verfallen zu sein und nicht vom Handybildschirm loskommt, um sich entsprechende Hilfe zu holen, für den ist vielleicht Cloud-Diagnose (云问诊 yúnwènzhěn – von 问诊 wènzhěn “Patientenbefragung”, eines der klassischen Diagnose-Verfahren in der TCM) die Lösung – also eine Ferndiagnose per Onlinesprechstunde.

    Ein deutliches Warnzeichen für eine solche Abhängigkeit wäre zum Beispiel, wenn Ihnen Montagmorgen zu Arbeitsbeginn nach durchzechter Katzen-Clip-Nacht noch der Katzenkater im Kopf brummt. Um Ihnen derartigen Katzenjammer und einen ungemütlichen kalten Entzug zu ersparen, nehmen Sie sich lieber folgenden Warnhinweis der chinesischen Onlinecommunity zu Herzen, der eigentlich im Vorspann jedes Kitty-Clips weltweit gezeigt werden sollte: 

    小心,吸猫会上瘾!

    Xiǎoxīn, xīmāo huì shàngyǐn!

    “Vorsicht – Katzen koksen kann süchtig machen!” 

    Sagen Sie also bitte nicht, man hätte Sie beim Chinesischlernen nicht schon ausdrücklich gewarnt.

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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