Table.Briefing: China

JadeWeserPort + Baidu und Geely + LFP-Batterien

  • Nach dem Klimagipfel: Kooperation und Konkurrenz
  • Merkels Peking-Reise mit Wirecard im Gepäck
  • Chinas maritimer Einfluss in Europa
  • Baidu und Geely investieren Milliarden in Smart-Car-Technologien
  • Daniel Burow: LFP: Vorteil für China im Batteriemarkt
  • Im Portrait: Qin Gang
  • Zur Sprache: 鸡娃 jīwá – den Nachwuchs “pushen”
Liebe Leserin, lieber Leser,

seit Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin ist, wiegen ihre Worte doppelt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie als Mitglied der nächsten Bundesregierung die Geschicke des Landes mit bestimmen, vielleicht sogar an ihrer Spitze. Als eine Mischung aus “Dialog und Härte” definierte sie jetzt den aus ihrer Sicht notwendigen Umgang mit China. China-Kenner und Stakeholder werden die nächsten Monate nutzen müssen, um der Grünen ihre Agenda und ihre Interessen in China glaubwürdig zu erläutern.

Wie ernst Xi Jinping die Reduzierung des CO2-Ausstoßes nimmt und welche regulatorischen Mittel er dafür einsetzt, interessiert nicht nur uns alle im Allgemeinen, sondern auch jeden, der in China wirtschaftlich tätig und damit betroffen ist. Beim Klimagipfel von Joe Biden konnte man erste Konturen von Xis Plänen erkennen. Christiane Kühl bewertet den Gipfel und insbesondere das Gewicht der Zusagen von Xi Jinping, den Anteil der Kohlekraft in China zu reduzieren.

Insgesamt gut 200 Stunden hat Finn Mayer-Kuckuk die Sitzungen des Wirecard-Untersuchungsausschusses in den vergangenen Monaten verfolgt. Zuletzt musste dort Angela Merkel am Freitag den Parlamentariern erklären, warum sie sich in Peking für ein Unternehmen eingesetzt hat, dessen betrügerische Geschäftsgebaren zum Zeitpunkt ihrer Fürsprache längst Gegenstand öffentlicher Berichterstattungen waren. Ein Wirtschaftskrimi zwischen Berlin und Peking.

Rund 100 Millionen Euro wollen chinesische Investoren in den Wilhelmshavener Jade-Weser-Port stecken. Frank Sieren ordnet die Pläne in Pekings Seidenstraßeninitiative ein.

Und der Automotive-Experte Daniel Burow erläutert im Standpunkt, was europäische Batterie-Hersteller zu erwarten haben, wenn im nächsten Jahr der Patentschutz für die LFP-Technologie ausläuft und der europäische Markt für chinesische Hersteller offen ist.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche.

Ihre
Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Presseschau

China tightens credit conditions in bid to balance growth and debt FT PAY
Biden’s pledge to slash US emissions turns spotlight on China THE GUARDIAN
Facebook Moves Against ‘Evil Eye’ Hackers Targeting Uyghurs WIRED
EU hits out at Beijing’s actions in South China Sea SCMP
The $115 Trillion Price Tag to Cut Global Emissions WSJ
Creating alternatives to China’s Belt and Road FT PAY
China startet mit Bau von “Himmelspalast” N-TV
Was ist mit Chinas Digitalheld passiert? ZEIT
Baerbock plädiert für mehr Druck auf Russland und China WELT
Militärmacht China: Aufrüsten für eine neue Weltordnung? DLF

Analyse

Nach dem Klimagipfel: Kooperation und Konkurrenz

Joe Bidens Klimagipfel ist vorbei; und nun beginnen die Experten ihre Analysen: Was bedeuten die auf dem virtuellen Gipfel gemachten Zusagen von rund 40 Staats- und Regierungschefs? Und bringt all dies auch geopolitische Verschiebungen – neue Kooperationen und Konfliktlinien etwa? Eine der Überraschungen war die Ankündigung von Brasiliens Präsident Bolsonaro, die Emissionen seines Landes bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Doch das Überraschungsmoment war schnell vorüber: Einen Tag nach dem Gipfel kürzte Bolsonaro das Budget seines Umweltministeriums für 2021 um 24 Prozent.

Solche Kehrtwendungen sind von China nicht zu erwarten. Xi hielt sich bei seinem Auftritt an die typische Prämisse, lieber zu wenig zu versprechen als zu viel – und das schon gar nicht unter Druck von anderen Staaten. Ganz im Sinne sozialistischer Pläne ist es immer besser das Plansoll am Ende zu übertreffen, als die Messlatte zu reißen – inklusive Gesichtsverlust. Insofern ist Xis zunächst mager erscheinende Ankündigung, ab 2025 den Kohleverbrauch zu senken, durchaus etwas wert.

“Xi hat noch nie zuvor eine solche Erklärung zur Reduzierung des Kohleverbrauchs oder zur Kontrolle neuer Kohlekraftwerke abgegeben”, betonte Lauri Myllyvirta, leitender Analyst am Center for Research on Energy and Clean Air und Experte für China, auf Twitter. “Dies bringt aber nur dann etwas, wenn jetzt konkrete Ziele und Richtlinien folgen. Aber Xis Bemerkungen ebnen den Weg dafür.”

Tatsächlich gibt diese nun vor aller Welt gegebene Zusage Xi etwas in die Hände im Ringen mit den Provinzen um die Kohle. Wenn Xi sagt, dass China den Ausbau der Kohle strikt begrenzen werde, kommen möglicherweise bereits erteilte provinzielle Genehmigungen für neue Kohlekraftwerke auf den Prüfstand. Zumal Xi auf dem Klimagipfel betonte, dass er nichts von ständigen Kehrtwenden in der Klimapolitik halte. Der Elefant im Raum waren hier die USA, die unter Biden Vorgänger Trump das Pariser Klima-Abkommen verließen und keinerlei Anstrengungen zum Klimaschutz unternahmen. Ein gewisses Misstrauen in Bezug auf die Verlässlichkeit der USA nach der nächsten Präsidentenwahl gibt es daher nicht nur in China.

Was bringt die Klimapolitik geopolitisch?

Und was bedeutet die Klimadiplomatie der letzten Wochen für das generelle Verhältnis zwischen China und den USA? Die USA behandeln das Klima im Zusammenhang mit China seit neuestem ähnlich wie die EU getrennt von anderen Themen. Sowohl Washington als auch Brüssel beschreiben ihr Verhältnis zu China als geprägt von Rivalität, Wettbewerb und Kooperation – je nachdem, worum es geht. China stimme diesem Ansatz nicht zu, sagt Byford Tsang von der Klima-Denkfabrik E3G in London China.Table. “Aber in der Praxis machen sie es aktuell mit“. Wie es mit dem Klima weitergehe, hänge auch davon ab, ob China dies weiter so handhabe, so Tsang.

Wobei Peking Entscheidung darüber umgekehrt von der China-Politik der anderen abhängen dürfte. Am Tag des Gipfels entschied der Ausschuss für auswärtige Beziehungen des US-Senats, den “Strategic Competition Act” zu unterstützen – ein von beiden Parteien des Kongresses befürwortetes Gesetz, das sich gezielt gegen China richtet. Der Entwurf enthält die Möglichkeit zu einem Boykott der Olympischen Spiele 2022 in Peking durch US-Beamte, soll internationale Entwicklungsgelder erhöhen und die Zusammenarbeit mit Verbündeten und internationalen Organisationen verstärken – gegenüber China. Das Timing dürfte Peking nicht gefallen haben.

Die nächsten Monate bis zum Klimagipfel in Glasgow im November werden also zeigen, inwieweit die USA und China ihre durch eine gemeinsame Erklärung der beiden Klimabeauftragten John Kerry und Xie Zhenhua wieder aufs Gleis gesetzte Klima-Zusammenarbeit umsetzen. Xie sagte laut einem Bericht der South China Morning Post vom Wochenende, Peking und Washington hätten den Dialog wieder aufgenommen, einschließlich mehrerer Runden von Videokonferenzen seit Februar zwischen ihm selbst und Kerry. China und die USA hätten zudem vereinbart, ihre jeweiligen Pläne zum Erreichen der Kohlenstoff-Neutralität noch vor dem Cop26-Gipfel in Glasgow vorzustellen. Auf dem Gipfel müssen alle Staaten laut dem Pariser Klimaabkommen ehrgeizigere Pläne vorstellen.

Milliardenmarkt Klima-Technologien

“Auch wenn es mit der Kooperation beim Klimawandel klappt, wird auch bei diesem Thema letztlich Konkurrenz entstehen“, erwartet Byford Tsang. Bei dem Gipfel beschworen viele Teilnehmer, darunter US-Außenminister Antony Blinken, die Chancen für Unternehmen durch die Entwicklung neuer Technologien. Die US-Energieministerin Jennifer Granholm sagte am Freitag, die Entwicklung sauberer Energietechnologien würde bis 2030 einen “23-Milliarden-Dollar-Markt” erschließen. Die Schlüsselbereiche, die die US-Regierung in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und der Industrie entwickeln möchte, seien Wasserstoff, das Auffangen von CO2, industrielle Kraftstoffe und Batterien, sowie Solarenergie. Auch China fördert den Aufbau modernster Umwelt-Technologien wie diesen. Dass dieser Sektor in die Fänge der wirtschaftlichen Konflikte gerät, ist daher nicht unwahrscheinlich. Einen CO2-Grenzmechanismus für klima-unfreundlich produzierte Importwaren, wie ihn die EU diskutiert, lehnte Kerry in einem Video-Interview indes ab.

Li Shuo von Greenpeace East Asia hält das Konzept von Rivalität, Konkurrenz und Kooperation ohnehin für unpassend. “Im Kontext zwischen den USA und China – und in gewissem Maße auch für die EU und China – besteht die Gefahr dieser Fehlwahrnehmung darin, dass Wettbewerb oder Konfrontation die einzigen Alternativen sind, sobald die Zusammenarbeit politisch nicht mehr vorteilhaft erscheint”, schrieb Li, Experte für die Schnittstelle von Umwelt und Politik, auf Twitter. Er befürwortet, was er “Einbindung” (engl: Engagement) nennt – wie durch Kerrys Visite in Shanghai. Diese Einbindung enthalte alle drei Elemente, sei aber doch anders – und beinhalte die Möglichkeit zur Überredung. Es mag eine theoretische Debatte sein. Doch Überredung ist tatsächlich etwas anderes, als wenn auf Basis von jeweils allein getroffenen Entscheidungen der Staaten kooperiert wird – oder eben nicht. Daher begrüßten die meisten Beobachter an der gemeinsamen Erklärung von Kerry und Xie vor allem, dass sie überhaupt zustande kam.

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Merkels Peking-Reise mit Wirecard im Gepäck

Als Angela Merkel am Freitag vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages antreten musste, ging es um China. Die Fragen der Abgeordneten betrafen vor allem die Schützenhilfe des Kanzleramts für den Eintritt Wirecards auf den chinesischen Markt im September 2019. Das Unternehmen hatte damals vor, den kleinen chinesischen Finanzdienstleister Allscore zu übernehmen und zu einem Konkurrenten für Alipay hochzupäppeln. Merkel hat seinerzeit entweder bei Präsident Xi Jinping oder bei Premier Li Keqiang für den Deal geworben.

An der Flankierung eines geplanten Markteintritts hatte keine Bundestags-Fraktion etwas auszusetzen – das Engagement Merkels erhielt durchweg die Zustimmung der Abgeordneten. Mitarbeiter Merkels und des Finanzministeriums hatten dem Ausschuss bei ihrem Aussagen in den vergangenen Monaten bereits die Besonderheiten des Chinageschäfts erklärt. Die KP Chinas erwartet, in internationale Transaktionen eingebunden zu werden. An der feierlichen Unterzeichnung im Beisein von politischen Führungspersonen führt dann kein Weg vorbei. Wenn ein Deal aber den Segen der obersten Führung hat, befindet er sich auf der Überholspur.

Es waren andere Fragen, die die Neugier der Abgeordneten geweckt hatten. Welche Rolle spielte der Berater und Ex-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg? Er hatte für Wirecard einen Zugang zum Kanzleramt hergestellt. Und warum machte sich Merkel überhaupt für ein Unternehmen stark, das bereits von Betrugsvorwürfen umgeben war?

Denn das Kanzleramt als Ganzes war nicht komplett ahnungslos. Das hatte der Ausschuss bereits im Dezember herausgearbeitet. Der junge Beamte Michael Papageorgiou war Anfang 2019 von der Deutschen Bundesbank an das Finanzreferat des Kanzleramts ausgeliehen. Er hatte seinerzeit dazu geraten, eine Terminanfrage von Wirecard-Chef Markus Braun “aus Termingründen” abzusagen, weil es zu viele Zweifel an dessen Seriosität gebe. Papageorgiou hat die Kanzlerin damit vor einem direkten Kontakt zu dem Betrugsunternehmen bewahrt.

Im Eilverfahren in die Kanzlerinnen-Mappe

Acht Monate später waren diese Zweifel jedoch vergessen, als die Kanzlerin das Unternehmen auf die Liste ihrer China-Anliegen setzte. “Beim mächtigsten Mann Chinas lobbyiert man nicht für jede Pommesbude”, wundert sich der Abgeordnete Fabio De Masi von den Linken. Die Kanzlerin gehe mit den zehn wichtigsten Anliegen Deutschlands und Europas in so ein Gespräch – und eines davon war nun ausgerechnet ein Unternehmen, dessen Firmengeschichte von Betrugsgerüchten begleitet war?

De Masi hat für dieses Rätsel jedoch auch gleich eine Lösung parat. Diese wiederum hängt mit der Figur zu Guttenberg zusammen. Dieser war bekanntlich Wirtschafts- und Verteidigungsminister unter Merkel, bevor der Betrug mit seiner Doktorarbeit aufflog. Seitdem hat er in New York die Beratungsfirma Spitzberg Partners gegründet. Der Name ist ein Kunstprodukt, es gibt gar keine Frau oder Herrn Spitzberg. Der Geschäftszweck ist vor allem Lobbyarbeit. Zu Guttenberg hat kurz vor der China-Reise in lockerem Ton um ein Treffen mit Merkel gebeten. Zu diesem Zeitpunkt hatte er von Wirecard den Auftrag, den Markteintritt in China zu flankieren. Im Erfolgsfall hätte ihm nach der Allscore-Übernahme eine millionenschwere Prämie gewunken.

Merkel hatte der Terminanfrage des Lobbyisten stattgegeben, weil sie “selbstverständlich Gesprächswünschen ehemaliger Mitglieder der Bundesregierung” entspreche. An Wirecard als Gesprächsthema erinnerte sich Merkel nach eigener Aussage zwar nicht, doch das sei angesichts der vielen Themen, mit denen sie sich beschäftige, nicht ungewöhnlich. Als zu Guttenberg jedoch auf Unternehmensanliegen zu sprechen kam, habe sie ihn auf die zuständigen Fachleute im Bundeskanzleramt verwiesen. Sie habe damals nicht gewusst, dass zu Guttenberg ein Beratungsmandat bei Wirecard habe.

Keine Zeit für eine eingehende Prüfung

Im Prinzip hat Merkel richtig gehandelt, indem sie die Sache zur Prüfung an die Fachleute weitergegeben hat – und doch sieht De Masi hier ein Problem. Indem zu Guttenberg gleich ganz oben angeklopft hat, wurden die aufmerksamen Fachleute der unteren Ebene übersprungen. So beschäftigte sich gleich Lars-Hendrik Röller mit dem Ansinnen. Röller ist Ökonom und der Wirtschaftsberater der Kanzlerin. Diese setzte Wirecard auf die Liste der Anliegen in China. Das war zwei Tage vor Abflug, wie Röller im Dezember vor dem Ausschuss ausgesagt hatte. “Es gab keinen Grund, hier böswillig zu sein” und der Bitte Wirecards nicht zu entsprechen. Schließlich habe es sich um einen Dax-Konzern gehandelt, dessen Bilanzen von Wirtschaftsprüfern abgesegnet waren. Konkret habe Wirecard die Erlaubnis der People’s Bank of China für die Übernahme von Allscore plus eine Lizenz als Zahlungsdienstleister benötigt.

Merkel konnte die Motive für ihr Engagement insgesamt schlüssig erklären. Wirecard passte gut zur Strategie der Bundesregierung, die Bereitschaft Chinas zur Marktöffnung auszutesten und zugleich Vorreiter für den Markteintritt zu schaffen. Da es gerade in der Finanzindustrie bei “Reform und Öffnung” noch hapert, wäre ein Zahlungsdienstleister ein exzellenter Testballon gewesen. Damals befand sich das CAI in Verhandlungen, und durch solche Schachzüge habe sich der gute Willen in Peking ausloten lassen.

Im Rückblick stellt sich die Lage allerdings anders dar. Die wahren Motive von Firmenchef Markus Braun für den Versuch der Allscore-Übernahme sind heute besser bekannt. Die schnelle Expansion in Asien diente generell dazu, den groß angelegten Betrug zu verschleiern. In den Tochter- und Partnergesellschaften von Dubai über Indien bis Singapur erzeugte das Unternehmen die Scheingewinne, mit denen es seine Bilanz aufblähte. Die Zukäufe boten auch eine gute Rechtfertigung, hohe Verluste unauffällig wegzubuchen.

Die Expansion diente auch als Begründung dafür, immer höhere Kreditlinien bei den Banken zu beantragen. “Man bemäntelte das gefälschte Wachstum damit, dass man Töchter in anderen Ländern erworben habe”, sagte Finanzexperte Florian Toncar von der FDP. Die Möglichkeit, in China zuzukaufen, sei unter diesen Umständen ein “Himmelsgeschenk” gewesen, so Toncar. Der große chinesische Markt hätte für Braun und seine Komplizen die Möglichkeit geboten, das Wachstumsmärchen weiterzuspinnen.

Welche Rolle hatte Frau Röller?

Bei der Vernehmung Merkels sprachen mehrere Abgeordnete die Kanzlerin auch auf die Gattin ihres Wirtschaftsberaters an. Frau Dr. Zhentang Zhang-Röller war in den Akten zu dem Skandal aufgetaucht, weil sie auf der Peking-Reise offenbar einen Kontakt mit dem Chef des chinesischen Unternehmens Mintech hatte. Dieser wollte sich danach mit Wirecard-Chef Braun vernetzen. Röller gab diesen Wunsch an die Berater von Wirecard weiter.

Auf der Ausschusssitzung am 17. Dezember ereignete sich dann eine seltsame Szene. Die Abgeordneten fragten Röller danach, welchen Beruf seine Frau habe. Dieser antwortete: “Hausfrau”. Seine Aussage gibt bis heute Rätsel auf. Zhentang Zhang-Röller ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und hat beispielsweise für das DIW in Berlin gearbeitet. Ab 2008 hat sie zwar eine längere Familienpause eingelegt, doch ganz inaktiv war sie zumindest in den vergangenen Jahren nicht. Sie hatte zwischendurch eine Investmentfirma gegründet und wieder dicht gemacht, und sie war “Networkerin” für die die Firma BHS Berlin Health, die reichen Chinesen medizinische Behandlungen in Deutschland vermittelt. Außerdem steht sie in Verbindung mit der RHT Europe GmbH, die in der Pandemie Luftreiniger aus Hongkong in Deutschland angeboten hat.

All das ist soweit nicht ehrenrührig. Es wäre umgekehrt verwunderlich, wenn sich Zhang-Röller mit ihren Qualifikationen wirklich langfristig auf eine Rolle als Hausfrau beschränkte. Die RHT Europe hat zudem “kaum Umsatz gemacht”, wie das Unternehmen auf Frage des China.Table mitteilte. Zhang-Röller habe dort nach Aussage der Geschäftsführerin zudem nur eine begrenzte Rolle. Ihr Gatte hat bisher nicht klargestellt, warum er die beruflichen Aktivitäten vor dem Ausschuss nicht benennen wollte. Der Vorsitzende Kay Gottschalk (AfD) bestätige dem China.Table aber, dass Herr Röller ihm einen Brief geschrieben hat: Seine Frau engagiere sich durchaus bei Firmen. Eventuell wird der Ausschuss Röller noch einmal zu den Details befragen.

Im Gesamtbild ist jedoch bisher weder an Merkel noch an Röller ein nennenswerter Vorwurf hängengeblieben. Das Engagement für die deutsche Wirtschaft gehört zu ihren Kernaufgaben. Und auch wenn es damals schon Berichte über Betrug bei Wirecard gab, konnte sich kaum jemand dessen Ausmaß vorstellen. In Deutschland hatte sich schließlich noch ein Dax-Unternehmen als reine Betrugsnummer herausgestellt.

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Chinas maritimer Einfluss in Europa

Für die Menschen in der Region Wilhelmshaven ist es eine große Hoffnung – für Brüssel ein politisches Ärgernis. China Logistics, eines der größten chinesischen Logistikunternehmen, investiert 100 Millionen Euro in den Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven. Es ist der einzige Container-Tiefwasserhafen Deutschlands. Das bedeutet, er ist unabhängig von Ebbe und Flut. Mit den Liniendiensten der Reedereikonsortien Ocean Alliance und 2M sind via Wilhelmshaven direkt die Destinationen Ningbo, Xingang, Dalian, Shanghai, Yantian, Xiamen und Hong Kong zu erreichen. Eigentlich sollten die Bauarbeiten schon vergangenen April beginnen und dieses Jahr sollte der Alltagsbetrieb starten. China Logistics, ein Tochterunternehmen der staatseigenen China Chengtong Holding Group (CCT), hat einen Erbbaurechtsvertrag über 20 Hektar Fläche im Güterverkehrszentrum (GVZ) des Jade-Weser-Port Wilhelmshaven unterzeichnet. Das Logistikzentrum “China Logistics-Wilhelmshaven Hub” sollte 40.000 Quadratmeter Hallenfläche und 110.000 Quadratmeter ungedeckter Lagerfläche für den Umschlag chinesischer Waren nutzen. In einem zweiten Bauabschnitt ist eine weitere Halle mit 20.000 Quadratmeter Fläche geplant. Das Gesamtinvestitionsvolumen für das Projekt beträgt rund 100 Millionen Euro. Langfristiges Ziel der chinesischen Partner ist der Umschlag von rund 100.000 TEU pro Jahr. Das Grundstück wird mit einem Bahnanschluss versehen, so dass mittelfristig Schienenverkehr aus China nach Wilhelmshaven geleitet werden kann. 

Corona bremst das Investment

Auch knapp acht Jahre nach der Inbetriebnahme ist der “JadeWeserPort”, wie er offiziell heißt, noch nicht ausgelastet. Zwar sind dort 1000 Arbeitsplätze in den letzten Jahren entstanden. Aber noch immer sind von den 150 Hektar erst 90 vermarktet. Das soll sich mit dem chinesischen Engagement ändern. Doch Corona bremst die Entwicklung. Die Zusammenarbeit mit den chinesischen Partnern stockt derzeit. “Jetzt sind wir coronabedingt leider in eine zähe Phase gekommen”, sagt Ingo Meidinger, Vertriebsleiter der Marketinggesellschaft für den Container Terminal. Vertreter von China Logistics  würden eigentlich für Gespräche in Wilhelmshaven erwartet. “All das ist schwierig, wenn man nicht reisen darf”, sagte Meiniger. Besonders tragisch: Das Containergeschäft aus China zieht wieder an. Der JadeWeserPort kann jedoch nicht in dem Maße profitieren, wie er profitieren würde, wenn die Anlagen schon fertig wären. 

In den ersten zwei Monaten dieses Jahres hat etwa der Wettbewerber Bremerhaven 858.000 Standardcontainer umgeschlagen – ein Plus von 12,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. “Die Importe aus China und Fernost boomen”, sagt Robert Völkl, Geschäftsführer des Vereins Bremer Spediteure gegenüber dem Weser-Kurier. “Manche deutsche Unternehmen aus dem Handel und der Industrie hatten oder haben noch Nachholbedarf.” 

Investitionsziel europäische Häfen

Obwohl China den Schienenverkehr stetig ausbaut, entfällt der größte Teil des Warentransportes zwischen China und Europa noch immer auf den Seeweg. Entlang seiner sogenannten “maritimen Seidenstraße” errichtet China weltweit neue Häfen, sichert sich Beteiligungen und baut die Infrastruktur alter und oft maroder Anlagen weiter aus. Die große Erfolgsgeschichte in Europa ist dabei sicher der Hafen von Piräus, der einen Endpunkt der maritimen Seidenstraße bildet, die von China über den Indischen Ozean ins Rote Meer führt. Innerhalb von zehn Jahren hat der chinesische Schifffahrtsgigant Cosco den Containerumschlagplatz zum am schnellsten wachsenden Mittelmeerhafen gemacht. Der Warenumschlag hat sich seit der Übernahme durch die Chinesen im Krisenjahr 2008 verdreizehnfacht. Dadurch ist der griechische Hafen heute bereits die Nummer vier in Europa, hinter Rotterdam, Antwerpen und Hamburg. 

Cosco und ihre Schwesterfirma China Merchant investieren bereits in 14 europäische HäfenHierzu zählen Mehrheitsbeteiligungen an Mittelmeerhäfen wie Valencia, Bilbao und Madrid sowie Anteile an den Nordrange-Häfen Rotterdam, Antwerpen und Zeebrügge. Insgesamt sind chinesische Unternehmen an 11 der 20 größten Häfen in Europa beteiligt. Weltweit kontrolliert Peking mittlerweile jedes vierte Containerterminal und bringt dafür das Geschäft gleich mit.  

Die wichtigsten Häfen für die maritime Silk-Road in Europa sind neben Piräus die Häfen Triest in Italien und Sines in Portugal. Durch den Transport über Triest statt über nördliche Häfen wie Rotterdam und Hamburg verkürzt sich die Lieferzeit ab Schanghai um zehn, ab Hongkong um neun Tage. 

Furcht vor der Schuldenfalle

In Brüssel herrscht jedoch nach wie vor Misstrauen gegenüber der chinesischen Hafen-Expansion. Im Falle von Piräus wurde wiederholt bemängelt, dass die Anwesenheit der Chinesen zu niedrigeren Löhnen, höheren Mieten und einer Benachteiligung lokaler Anbieter geführt habe. In Triest erhielt die Hamburger Hafengesellschaft HHLA zuletzt auf Druck aus Rom den Zuschlag für eine 50,1-prozentige Beteiligung am 28 Hektar großen Multifunktions-Terminal “Piattaforma Logistica Trieste” (PLT) im Hafen von Triest, obwohl sich auch die Chinesen dafür beworben hatten. Eine Konzession an Brüssel. Denn eigentlich ist Rom sehr eng mit China verbunden. Als einziges G7-Land ist Italien 2019 der Belt & Road Initiative (BRI) beigetreten.   

Der Hafen in der nördlichen Adria ist mit eigenem Bahnanschluss ein ausbaufähiges Tor nach Zentral- und Osteuropa. Die Hamburger wollen den Hafen nun so weit ausbauen, dass hier jährlich bis zu 300.000 Container und etwa 700.000 Tonnen Güter umgeschlagen werden können.

Einige Politiker in Brüssel fürchten nun, dass Peking ähnlich wie mit Sri Lanka verfahren könnte, wo vor vier Jahren erfolgreich staatliches Eigentum in Form des Hambantota-Hafens als Ausgleichzahlung für Schulden eingefordert wurde. Passieren könnte das zum Beispiel im Fall des EU-Beitrittskandidaten Montenegro mit dessen größtem Hafen in der Küstenstadt Bar. Die Regierung in Podgorica hat 2014 bei der chinesischen Staatsbank Exim einen Kredit in Höhe von 944 Millionen Euro für ein Autobahnprojekt aufgenommen. Mitte diesen Jahres sind nun die ersten Raten des mit zwei Prozent verzinsten Kredites fällig. Montenegros Finanzbehörden melden aber, dass die Schuldenlast die Möglichkeiten des von Corona gebeutelten 600.000-Einwohner-Landes aller Voraussicht nach übersteigen wird (China.Table berichtete). Die neue Autobahn, mit der sich Montenegro finanziell übernommen hat, soll die Adria-Stadt übers Gebirge nach Boljare mit der Grenze zu Serbien verbinden.

Der Hafen von Piräus ging damals auch nur an die Chinesen, weil Brüssel die Augen vor der geopolitischen Realität verschloss. Die EU und der Internationale Währungsfonds hatten während der Schuldenkrise 2008 Druck auf Griechenland ausgeübt, den Hafen zu privatisieren, sich andererseits aber nicht darum bemüht, dass ein europäisches Unternehmen substantiell mitbietet. Hafenbetreiber in Hamburg, Bremerhaven oder Rotterdam hatten damals noch kein Interesse daran, dass Schiffsladungen bereits in Griechenland gelöscht werden und nicht mehr die iberische Halbinsel umrunden muss. Und so nutzten die Chinesen ihre Chance. An Triest und Hamburg sieht man, dass sich die Einstellung der Hafenbetreiber in Nordeuropa zu diesem Thema geändert hat. 

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News

Baidu und Geely investieren in Smart-Car-Technologien

Baidu und Geely wollen mit ihrem Joint-Venture Jidu Auto in den nächsten fünf Jahren umgerechnet knapp 6,4 Milliarden Euro in die Entwicklung von Smart-Car-Technologien investieren, wie Bloomberg berichtet. Demzufolge sollen in den nächsten zwei bis drei Jahren 2.500 bis 3.000 neue Mitarbeiter eingestellt werden, 500 davon Software-Ingenieure. Das erste Modell des Joint Ventures (China.Table berichtete) soll ein Elektroauto werden und innerhalb der nächsten drei Jahre auf den Markt kommen. Baidu erforscht schon seit mehreren Jahren Technologien für selbstfahrende Autos. Die Kooperation “könnte Geely einen dringend benötigten Technologievorsprung bei der Entwicklung intelligenter Elektrofahrzeuge verschaffen” schreibt Bloomberg. nib

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EU: China gefährdet Frieden im Südchinesischen Meer

Die Europäische Union hat China wegen des Vorgehens im Südchinesischen Meer um das zu den Spratly-Inseln gehörenden Whitsun-Riff scharf kritisiert. “Spannungen im Südchinesischen Meer, einschließlich der jüngsten Anwesenheit großer chinesischer Schiffe am Whitsun-Riff, gefährden Frieden und Stabilität in der Region”, teilte ein Sprecher des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) mit. Die EU sei gegen “einseitige Maßnahmen, die die regionale Stabilität und die auf internationalen Regeln basierende Ordnung untergraben könnten” hieß es in der Mitteilung.

Zwischen den Philippinen und der Volksrepublik gibt es bereits seit längerem Streit um das Gebiet. China hatte zuletzt mehrere Schiffe in die Nähe des Riffs geschickt. Nach Pekings Angaben handelt es sich dabei um Schiffe von Fischern, die philippinische Regierung in Manila und Beobachter:innen sehen daran jedoch eine wachsende Seemiliz Chinas. Brüssel forderte nun alle Beteiligten auf, Streitigkeiten im Einklang mit dem Völkerrecht friedlich beizulegen, und hob ein internationales Schiedsverfahren hervor, das 2016 zugunsten der Philippinen entschieden hatte, während die meisten Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer als ungültig erklärt wurden.

China beansprucht das gesamte Südchinesische Meer für sich. Das Whitsun-Riff, der chinesische Name lautet Niu’e Jiao, ist nach Ansicht Pekings Teil der chinesischen Nansha-Inseln. Die EU-Außenminister hatten erst vergangene Woche die Indopazifik-Strategie Brüssels verabschiedet, die ein stärkeres Engagement der EU in der Region vorsieht. ari

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Standpunkt

LFP: Vorteil für China im Batteriemarkt

Von Daniel Burow
Daniel Burow über die Trends der Batterieindustrie in China.

Das Kürzel LFP steht für Lithiumeisenphosphat, das als Kathodenmaterial in Lithium-Ionen-Batteriezellen eingesetzt wird. Es ist günstig herzustellen, vergleichsweise einfach zu handhaben und gilt aus Gründen seiner chemischen Struktur als sehr sicher. Als die chinesische Industrie sich auf den langen Marsch in Richtung E-Mobilität machte, galt die durch ein europäisch-kanadisches Konsortium lizenzierte chemische Verbindung deshalb als das Material der Wahl. China handelte früh ein langfristiges Abkommen aus, das den Unternehmen des Landes bis heute die lizenzgebührenfreie Nutzung auf dem Heimatmarkt erlaubt.

Vor circa zehn Jahren, als die deutsche Automobilindustrie sich für chinesische Batteriehersteller zu interessieren begann, schwenkte der Fokus allerdings auf Nickel-Kobalt-Mangan-Kathoden (NCM). Nur mit diesem energiereicheren Material, so der Tenor aus den Forschungsabteilungen der Autokonzerne, ließen sich die Anforderung an immer größere Reichweiten von Elektroautos erfüllen. Heute, da E-Autos nicht nur das Premiumsegment, sondern auch den Massenmarkt erobern sollen und sich ein unerwartet steiler Markthochlauf ankündigt, rücken die Themen Kosteneffizienz und Rohstoffverfügbarkeit mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Und LFP scheint vor einem späten Comeback zu stehen. 

Neue Anwendungsfelder erschlossen

So richtig verschwunden war LFP indes nie vom Batteriemarkt. Auf dem in China über die letzten Jahre immens gewachsenen Markt der Elektrobusse etwa spielt das Material seinen Sicherheitsvorteil aus. NCM-Materialien haben den Nachteil, dass sie beim Überladen oder Überhitzen chemisch instabil werden, sich in einer Kettenreaktion zersetzen und damit hohe Energiemengen freisetzen können – der gefürchtete Thermal Runaway. Während man im PKW-Bereich darauf setzte, das Risiko vor allem durch Steuerelektronik zu minimieren, die nach hohen Sicherheitsstandards ausgelegt ist, wollte die chinesische Regierung bei Bussen auf Nummer sicher gehen. Der Einsatz von NCM ist hier nach wie vor untersagt, es bleibt nur die Alternative LFP. Ob diese Politik ihren Ursprung allein in Sicherheitsbedenken hat oder auch in industriepolitischen Erwägungen – bei NCM-Batteriezellen besitzen Hersteller aus Japan und Südkorea einen technologischen Vorsprung – sei dahingestellt. Zusammen mit der ebenfalls rasant ansteigenden Nachfrage nach stationären Energiespeichern und Batterien für E-Scooter war durchgehend für eine solide Nachfrage nach LFP-Materialien gesorgt. Denn in beiden Anwendungsfeldern spielen Energiedichten eine untergeordnete Rolle, Kosten dagegen eine entscheidende.

Elon Musk und VW setzen auf LFP

Für viel Beachtung in der Branche sorgte im Februar dieses Jahres nun – wie so oft – ein Tweet von Elon Musk: “Nickel ist unsere größte Sorge für das Hochskalieren der Lithium-Ionen-Zellproduktion. Deshalb steigen wir bei Fahrzeugen mit Standard-Reichweite auf eine Eisen-Kathode um.” Tesla kündigte bereits bei seinem Battery Day im vergangenen Jahr an, für die in seiner Gigafactory Shanghai hergestellten Model 3 mit Standardreichweite künftig auf LFP-Zellen des chinesischen Zellherstellers Contemporary Amperex Technologies (CATL) zu setzen. Bislang kamen vor allem NCM-Zellen des koreanischen Herstellers LG Chem zum Einsatz.

Damit adressiert Tesla ein Thema, das auch europäischen Autoherstellern zunehmend Sorge bereitet. Auch Volkswagen kündigte bei seinem Power Day im März an, für Volumenmodelle künftig auf LFP-Zellen setzen zu wollen. Neben dem deutlichen Kostenvorteil führte VW dabei auch eine nachhaltige Lieferkette als Kriterium für die Auswahl des Kathodenmaterials an. “Nachhaltig” darf hier wohl nicht nur aus dem sozial-ökologischen Blickwinkel (Stichwort Kobalt aus Krisenregionen) verstanden werden, sondern durchaus auch im Hinblick auf die langfristige Versorgungssicherheit. In einem vor wenigen Wochen im Auftrag des Joint Research Centers der Europäischen Kommission erschienenen Bericht weist das Rohstoffanalysehaus Roskill auf sich abzeichnende Versorgungsprobleme hin. Die Nickelversorgung, so die Analysten, drohe ab 2027 dem Bedarf in der Europäischen Union nicht mehr gerecht zu werden. Eisen dagegen ist das zweithäufigste Element in der Erdkruste und leicht in großen Mengen zugänglich. So erscheint es logisch, dass Roskill in einer weiteren, im Januar veröffentlichten, Marktstudie einen positiven Ausblick für den Marktanteil von LFP äußert. 

Chinas Batterieindustrie profitiert vom Trend zu LFP

In China war bereits 2020 ein Anstieg der LFP-Batterieproduktion für Elektrofahrzeuge von circa 21 Prozent zu verzeichnen. Die chinesische Batterieindustrie wartete demnach nicht auf einen Musk-Tweet, sondern antizipierte die Entwicklung bereits zuvor. Eine gewichtige Rolle dabei spielt sicher auch die Kehrtwende in der Subventionspolitik, welche die chinesische Regierung gerade vollzieht. Zwar wurden im Zuge der Covid-19-Krise die Subventionen für den Kauf von Elektrofahrzeugen noch einmal um zwei Jahre verlängert. 2022 sollen sie jedoch auslaufen und die Regierung beabsichtigt, stattdessen stärker in Ladeinfrastruktur zu investieren. Die chinesische Subventionssystematik bevorzugte in der Vergangenheit vor allem reichweitenstarke rein batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge. Es ist davon auszugehen, dass künftig das Kosten-Nutzen-Verhältnis eine deutlich größere Rolle spielen wird. Zudem dürfte ein dichteres Netz an Lademöglichkeiten Druck aus dem Streben nach immer größeren Reichweiten nehmen. Der chinesische Markt könnte hierbei als Blaupause dienen für die Situation in Europa

Der chinesischen Batterieindustrie kommt die Entwicklung entgegen, ist sie doch bei LFP historisch stark aufgestellt und bei der NCM-Technologie nach wie vor noch nicht auf dem Stand der koreanischen Konkurrenz. Die Markteintrittsbarrieren sind bei der LFP-Technologie deutlich geringer als beim NCM, da das Material dank seiner chemischen Stabilität keine so hohen Anforderungen an die Produktionsbedingungen stellt. Das reduziert die Investitionskosten immens und Prozessmängel haben weniger gravierende Auswirkungen als beim empfindlicheren NCM. Nicht zuletzt deswegen und aufgrund der stabilen Binnennachfrage nach LFP-Zellen konnten in China in wenigen Jahren eine beachtliche Zahl Batteriezellhersteller entstehen und teils zu Global Playern heranwachsen. Während die europäische Industrie ihr Heil lange Zeit im “nächsten Technologiesprung” gesucht hat, hat man in China mit dem für das Land so typischen Pragmatismus bei der einfachsten und kostengünstigsten Technologie begonnen.

BYD hat eine starke Marktposition

Ein Unternehmen, das vom Comeback des LFPs besonders stark profitieren könnte, ist BYD. Der an den Börsen von Hongkong und Shenzhen notierte Mischkonzern hielt durchgehend an der LFP-Technologie auch im PKW-Bereich fest. Den Energiedichtenachteil des Materials machte das Unternehmen bei seiner “Blade Battery” an anderer Stelle wett. Indem die Batterie auf die übliche Aufbauweise aus mehreren Modulen verzichtet, sondern die Zellen direkt in das Gesamtsystem integriert (Cell-to-Pack-Technologie), werden wettbewerbsfähige Energiedichten erreicht. In einer im Januar in Nature Energy veröffentlichten Studie wird die auf das Volumen bezogene Energiedichte beim BYD Han – dem ersten Automodell, das die Technologie nutzt – sogar höher angegeben als die des Tesla Model 3 LR aus dem Modelljahr 2017. Hinzu kommen Vorteile von LFP in puncto Schnellladefähigkeit und Lebensdauer. Dem Portal BusinessKorea zufolge hat nun Hyundai Interesse an der Blade Battery für seine in China verkauften Modelle angemeldet. 

Inspiration für den Namen der Batterie sind besonders lange, schmale Zellen, welche die gesamte Breite des Batteriepacks ausfüllen und ihm so auch mechanische Steifigkeit verleihen. Das ungewöhnliche Format stellt besondere Herausforderungen an die Herstellung. Einem Insider aus der chinesischen Batterieindustrie zufolge waren circa zwei Jahre Entwicklungsarbeit notwendig – Aufwand, den BYD zu einem anhaltenden Wettbewerbsvorteil ausbauen könnte.  

Vertikale Integration und neuer Wettbewerb

Ein weiterer Wettbewerbsvorteil von BYD ist, dass das Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette bis hinunter zur LFP-Materialproduktion beherrscht. Gleiches gilt für den chinesischen Wettbewerber Gotion High-Tech, an dem sich Volkswagen im vergangenen Jahr mit 26 Prozent beteiligt hat. Für nicht-chinesische Materialhersteller wie etwa die BASF könnte das Geschäft allerdings bald lukrativer werden. Denn 2022 beginnen die Patente für das Herstellverfahren des Materials auszulaufen und damit auch die fälligen Lizenzgebühren. Gleichzeitig jedoch gelten auch die Exportbeschränkungen für chinesische Firmen dann nicht mehr. Das Wettrennen auf einem freier werdenden Markt ist also eröffnet und womöglich werden sich weitere Akteure dazugesellen. 

Auch CATL investiert derweil massiv in vertikale Integration. Im Januar kündigte der Branchenführer aus der südchinesischen Fujian-Provinz an, mit seiner Tochtergesellschaft Shenzhen Dynanonic für 280 Millionen US-Dollar eine LFP-Fabrik zu errichten. CATL-Gründer Zeng Yuqun kommentierte dazu: “Für eine gewisse Zeit hat Lithiumeisenphosphat noch Raum für Verbesserungen, es ist noch immer der absolute Mainstream für viele Anwendungen.” Oder in anderen Worten: Totgesagte leben länger. 

Dr. Daniel Burow ist Chemiker und Technischer Projektleiter. Er hat für deutsche und chinesische Unternehmen in der Automobilindustrie gearbeitet und im Themengebiet Batteriematerialien promoviert.

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Portrait

Qin Gang

Vize-Außenminister und möglicher Botschafter in Washington

Xi Jinping soll ihm vertrauen. Damit allein hat Qin Gang Zugang zum engsten Kreis der Führungselite in der Kommunistischen Partei. Nun wird er als einer der heißesten Nachfolge-Kandidaten für den Posten des scheidenden chinesischen Botschafters Cui Tiankai in Washington gehandelt. In einer Zeit, in der die USA und China neben Androhungen von Sanktionen, Grabenkämpfen um die internationale Vormachtstellung ihrer Länder und einer zunehmenden Entfremdung in der gegenseitigen Außenpolitik ständig anecken, kommt Qin in dieser Position umso mehr Bedeutung zu. Die Wahl von Qin Gang unterstreicht auch die Vermutungen, dass Qin hoch in der Gunst Xi Jinpings steht und darum mit dieser besonders heiklen Aufgabe betraut werden soll.

Erlangt hat Qin Gang sich das Vertrauen des ersten Mannes Chinas durch harte Arbeit an seiner Karriere. Als Xi relativ neu im Amt war und sein Bild international ins Rechte Licht gerückt werden musste, war Qin für das Protokoll im Außenministerium verantwortlich. Er konnte darauf einwirken, dass Xi auf der internationalen Bühne auch als derjenige wahrgenommen wird, der China in eine neue Ära führt.

So war es Qin Gang, der Xi auf vielen seiner Auslandsreisen als Protokollchef begleitete und bei den großen Banketten daheim darauf achtete, wie Xis Auftritte nicht nur für die Staatsmedien, sondern vor allem für die Staatschefs aus dem Ausland inszeniert wurde. Dass er seinen Job gut gemacht hat, zeigt auch die Beförderung zum Vizeaußenminister 2018. Hinter Wang Yi, der schon seit 2013 Außenminister ist und zudem im Ausland studiert hat und der als Hardliner gilt, hat Qin fast drei Jahre lang die zweite Geige gespielt. Hierbei hat er nun offenbar genügend Erfahrungen gesammelt, um in die Position eines Botschafters aufzurücken. 

Qin Gangs steile Karriere

Im Außenministerium hat Qin Gang eine sehr steile Karriere hingelegt: Der 55-Jährige ist dort seit 33 Jahren tätig. Direkt nach seiner Ausbildung an der Universität von Tianjin hat er die Beamtenlaufbahn eingeschlagen. Vor seiner Rolle als Vizeaußenminister war Qin neben seiner Tätigkeit als Außenamtssprecher auch für die Europaabteilung zuständig. Qin war zuvor viele Jahre in London für die chinesische Botschaft in Großbritannien und Nordirland als Sekretär (1995-1999) tätig. Von 2002 bis 2005 kehrte er ein zweites Mal als Berater an die chinesische Botschaft nach England zurück. 2010 nochmals, aber da schon mit dem Titel eines Ministers. In den Jahren zwischen seinen drei Auslandsaufenthalten in England ist Qin dabei immer wieder ins Außenministerium in Peking zurückgekehrt. Dort ist er erst zum Direktor der Europaabteilung aufgestiegen (1999-2002) und hat sich dann zum Direktor des Informationsdienstes und Sprecher des Außenamts (2005-2010) hochgearbeitet. Dadurch hat er innerhalb des Außenministeriums in Peking nicht den Anschluss verloren.

Internationale Beobachter haben dennoch zunächst mit Verwunderung auf die Nachricht der möglichen Entsendung Qins nach Washington reagiert. Denn er bringt wenig Erfahrungen im Umgang mit den USA mit. Das wird von Keith Zhai vom Wall Street Journal jedoch insofern als “positives Zeichen” gesehen, weil ein Botschafter ohne US-Vorbelastung als positiver Neubeginn der Beziehungen gesehen werden kann. Als Qins Gegenpart wird derzeit Nicholas Burns als neuer US-Botschafter für China gehandelt. Der Karriere-Diplomat und Harvard-Professor hat erst Mitte April bei einer virtuellen Veranstaltung Europa dafür gerügt, einen “taktischen Fehler” begangen zu haben, dass sie ein Investitionsabkommen mit China erzielt hatten. Burns fordert einen stärkeren Zusammenhalt von Europa, den USA und Japan.

Möglich, dass Peking Qin Gang gerade wegen seiner Europa-Erfahrungen für das Amt in Washington ausgewählt hat. Ein Botschafter in der amerikanischen Hauptstadt, der weiß, wie die Europäer ticken, weiß wahrscheinlich besser als jeder andere, wie man Keile in die transatlantische Verhältnisse treibt – zum Wohle Chinas. Ning Wang 

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Zur Sprache

jīwá 鸡娃 – den Nachwuchs “huhnen”

Wurden Sie als Kind “gehuhnt”? Oder “huhnen” Sie vielleicht gerade den eigenen Nachwuchs? Sollten Sie jetzt verständnismäßig wie “das Huhn vorm Berg” stehen, keine Sorge! Da geht es Ihnen nämlich nicht anders als wohl den meisten Chinesen, die den Begriff 鸡娃 jīwá – wörtlich “Kinder huhnen” – zum ersten Mal hören. Doch ein Verweis auf die Wortherkunft macht für Muttersprachler schnell klar, was gemeint ist: Das “Huhn” ist hier der bekannten chinesischen Redensart 打鸡血dǎ jīxiě entlehnt, wörtlich “sich Hühnerblut injizieren” oder dieses injiziert bekommen. Dieses “geflügelte Wort” steht als Synonym für “aufgekratzt/aufgedreht sein” bzw. sich oder andere “pushen/anfeuern”. Es soll auf den – natürlich längst verworfenen – alten Volksirrglauben zurückgehen, man könne sich durch das Spritzen von Hühnerblut den Elan eines aufgescheuchten Hühnchens in die Blutbahn jagen. Natürlich ist das Quatsch. Doch die Redewendung hat sich trotzdem bis heute gehalten.

Und neuerdings wird sie kreativ übertragen, nämlich auf ein aktuelles Phänomen, das zunehmend unter aufgescheuchten chinesischen Eltern der Mittel- und Oberschicht zu beobachten und dem großen gesellschaftlichen Konkurrenzdruck in Chinas Großstädten geschuldet ist. Seine “Kinder aufhuhnen” – oder besser gesagt sie ordentlich “pushen” – bedeutet nichts anderes, als enorme zeitliche und finanzielle Ressourcen zu mobilisieren, um dem Nachwuchs im Rennen um die begehrten Plätze an Eliteuniversitäten wie Tsinghua, Renmin-Daxue oder der Peking Universität früh einige Zentimeter Vorsprung zu verschaffen. Das beginnt schon im Kindergartenalter und reicht bis zur chinesischen Hochschulaufnahmeprüfung Gaokao. Beliebte “Aufhuhner” sind Turbo-Nachhilfe, teure außerschulische Nachmittags- und Wochenendkurse jeglicher Spielart (Piano, Ballett, exotische Fremdsprachen, Baseball, logisches Denken und wer weiß nicht was) oder aufwendige Ferienexkursionen, die manchmal bis zum Nord- oder Südpol reichen.

Doch die Wortneuschöpfung gibt nicht nur Einblick in die gestresste chinesische Elternseele, sondern verrät auch etwas über den Charme der chinesischen Sprache! Denn im Chinesischen sind die Grenzen zwischen Wortklassen noch immer oft fließend, was auf das sprachliche Erbe des Altchinesischen zurückgeht, wo es einst praktisch gar keine Unterscheidungen zwischen Gattungen wie Substantiv, Adjektiv oder Verb gab. Im modernen Putonghua sind Wörter zwar längst nicht mehr so biegsam wie einst. Sie lassen sich in der Regel wenigen Wortartkategorien zuordnen, in denen sie standardmäßig auftauchen. Doch gibt es eben dennoch oft Überschneidungen, sodass Nomen oft auch lässig als Adjektiv oder Verb verwendet werden können. Die neueste Wortschöpfung 鸡娃 jīwá (wörtl. “Huhn” plus “Kleinkind”), wo das Huhn einfach zu “huhnen” wird, zeigt, dass chinesische Muttersprachler diesen Sprachspielraum erfrischend kreativ nutzen. Bleibt nur die Frage: Und wen “huhnen” Sie so?

Verena Menzel 孟维娜 betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

  • Verena Menzel

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Nach dem Klimagipfel: Kooperation und Konkurrenz
    • Merkels Peking-Reise mit Wirecard im Gepäck
    • Chinas maritimer Einfluss in Europa
    • Baidu und Geely investieren Milliarden in Smart-Car-Technologien
    • Daniel Burow: LFP: Vorteil für China im Batteriemarkt
    • Im Portrait: Qin Gang
    • Zur Sprache: 鸡娃 jīwá – den Nachwuchs “pushen”
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    seit Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin ist, wiegen ihre Worte doppelt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie als Mitglied der nächsten Bundesregierung die Geschicke des Landes mit bestimmen, vielleicht sogar an ihrer Spitze. Als eine Mischung aus “Dialog und Härte” definierte sie jetzt den aus ihrer Sicht notwendigen Umgang mit China. China-Kenner und Stakeholder werden die nächsten Monate nutzen müssen, um der Grünen ihre Agenda und ihre Interessen in China glaubwürdig zu erläutern.

    Wie ernst Xi Jinping die Reduzierung des CO2-Ausstoßes nimmt und welche regulatorischen Mittel er dafür einsetzt, interessiert nicht nur uns alle im Allgemeinen, sondern auch jeden, der in China wirtschaftlich tätig und damit betroffen ist. Beim Klimagipfel von Joe Biden konnte man erste Konturen von Xis Plänen erkennen. Christiane Kühl bewertet den Gipfel und insbesondere das Gewicht der Zusagen von Xi Jinping, den Anteil der Kohlekraft in China zu reduzieren.

    Insgesamt gut 200 Stunden hat Finn Mayer-Kuckuk die Sitzungen des Wirecard-Untersuchungsausschusses in den vergangenen Monaten verfolgt. Zuletzt musste dort Angela Merkel am Freitag den Parlamentariern erklären, warum sie sich in Peking für ein Unternehmen eingesetzt hat, dessen betrügerische Geschäftsgebaren zum Zeitpunkt ihrer Fürsprache längst Gegenstand öffentlicher Berichterstattungen waren. Ein Wirtschaftskrimi zwischen Berlin und Peking.

    Rund 100 Millionen Euro wollen chinesische Investoren in den Wilhelmshavener Jade-Weser-Port stecken. Frank Sieren ordnet die Pläne in Pekings Seidenstraßeninitiative ein.

    Und der Automotive-Experte Daniel Burow erläutert im Standpunkt, was europäische Batterie-Hersteller zu erwarten haben, wenn im nächsten Jahr der Patentschutz für die LFP-Technologie ausläuft und der europäische Markt für chinesische Hersteller offen ist.

    Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche.

    Ihre
    Antje Sirleschtov
    Bild von Antje  Sirleschtov

    Presseschau

    China tightens credit conditions in bid to balance growth and debt FT PAY
    Biden’s pledge to slash US emissions turns spotlight on China THE GUARDIAN
    Facebook Moves Against ‘Evil Eye’ Hackers Targeting Uyghurs WIRED
    EU hits out at Beijing’s actions in South China Sea SCMP
    The $115 Trillion Price Tag to Cut Global Emissions WSJ
    Creating alternatives to China’s Belt and Road FT PAY
    China startet mit Bau von “Himmelspalast” N-TV
    Was ist mit Chinas Digitalheld passiert? ZEIT
    Baerbock plädiert für mehr Druck auf Russland und China WELT
    Militärmacht China: Aufrüsten für eine neue Weltordnung? DLF

    Analyse

    Nach dem Klimagipfel: Kooperation und Konkurrenz

    Joe Bidens Klimagipfel ist vorbei; und nun beginnen die Experten ihre Analysen: Was bedeuten die auf dem virtuellen Gipfel gemachten Zusagen von rund 40 Staats- und Regierungschefs? Und bringt all dies auch geopolitische Verschiebungen – neue Kooperationen und Konfliktlinien etwa? Eine der Überraschungen war die Ankündigung von Brasiliens Präsident Bolsonaro, die Emissionen seines Landes bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Doch das Überraschungsmoment war schnell vorüber: Einen Tag nach dem Gipfel kürzte Bolsonaro das Budget seines Umweltministeriums für 2021 um 24 Prozent.

    Solche Kehrtwendungen sind von China nicht zu erwarten. Xi hielt sich bei seinem Auftritt an die typische Prämisse, lieber zu wenig zu versprechen als zu viel – und das schon gar nicht unter Druck von anderen Staaten. Ganz im Sinne sozialistischer Pläne ist es immer besser das Plansoll am Ende zu übertreffen, als die Messlatte zu reißen – inklusive Gesichtsverlust. Insofern ist Xis zunächst mager erscheinende Ankündigung, ab 2025 den Kohleverbrauch zu senken, durchaus etwas wert.

    “Xi hat noch nie zuvor eine solche Erklärung zur Reduzierung des Kohleverbrauchs oder zur Kontrolle neuer Kohlekraftwerke abgegeben”, betonte Lauri Myllyvirta, leitender Analyst am Center for Research on Energy and Clean Air und Experte für China, auf Twitter. “Dies bringt aber nur dann etwas, wenn jetzt konkrete Ziele und Richtlinien folgen. Aber Xis Bemerkungen ebnen den Weg dafür.”

    Tatsächlich gibt diese nun vor aller Welt gegebene Zusage Xi etwas in die Hände im Ringen mit den Provinzen um die Kohle. Wenn Xi sagt, dass China den Ausbau der Kohle strikt begrenzen werde, kommen möglicherweise bereits erteilte provinzielle Genehmigungen für neue Kohlekraftwerke auf den Prüfstand. Zumal Xi auf dem Klimagipfel betonte, dass er nichts von ständigen Kehrtwenden in der Klimapolitik halte. Der Elefant im Raum waren hier die USA, die unter Biden Vorgänger Trump das Pariser Klima-Abkommen verließen und keinerlei Anstrengungen zum Klimaschutz unternahmen. Ein gewisses Misstrauen in Bezug auf die Verlässlichkeit der USA nach der nächsten Präsidentenwahl gibt es daher nicht nur in China.

    Was bringt die Klimapolitik geopolitisch?

    Und was bedeutet die Klimadiplomatie der letzten Wochen für das generelle Verhältnis zwischen China und den USA? Die USA behandeln das Klima im Zusammenhang mit China seit neuestem ähnlich wie die EU getrennt von anderen Themen. Sowohl Washington als auch Brüssel beschreiben ihr Verhältnis zu China als geprägt von Rivalität, Wettbewerb und Kooperation – je nachdem, worum es geht. China stimme diesem Ansatz nicht zu, sagt Byford Tsang von der Klima-Denkfabrik E3G in London China.Table. “Aber in der Praxis machen sie es aktuell mit“. Wie es mit dem Klima weitergehe, hänge auch davon ab, ob China dies weiter so handhabe, so Tsang.

    Wobei Peking Entscheidung darüber umgekehrt von der China-Politik der anderen abhängen dürfte. Am Tag des Gipfels entschied der Ausschuss für auswärtige Beziehungen des US-Senats, den “Strategic Competition Act” zu unterstützen – ein von beiden Parteien des Kongresses befürwortetes Gesetz, das sich gezielt gegen China richtet. Der Entwurf enthält die Möglichkeit zu einem Boykott der Olympischen Spiele 2022 in Peking durch US-Beamte, soll internationale Entwicklungsgelder erhöhen und die Zusammenarbeit mit Verbündeten und internationalen Organisationen verstärken – gegenüber China. Das Timing dürfte Peking nicht gefallen haben.

    Die nächsten Monate bis zum Klimagipfel in Glasgow im November werden also zeigen, inwieweit die USA und China ihre durch eine gemeinsame Erklärung der beiden Klimabeauftragten John Kerry und Xie Zhenhua wieder aufs Gleis gesetzte Klima-Zusammenarbeit umsetzen. Xie sagte laut einem Bericht der South China Morning Post vom Wochenende, Peking und Washington hätten den Dialog wieder aufgenommen, einschließlich mehrerer Runden von Videokonferenzen seit Februar zwischen ihm selbst und Kerry. China und die USA hätten zudem vereinbart, ihre jeweiligen Pläne zum Erreichen der Kohlenstoff-Neutralität noch vor dem Cop26-Gipfel in Glasgow vorzustellen. Auf dem Gipfel müssen alle Staaten laut dem Pariser Klimaabkommen ehrgeizigere Pläne vorstellen.

    Milliardenmarkt Klima-Technologien

    “Auch wenn es mit der Kooperation beim Klimawandel klappt, wird auch bei diesem Thema letztlich Konkurrenz entstehen“, erwartet Byford Tsang. Bei dem Gipfel beschworen viele Teilnehmer, darunter US-Außenminister Antony Blinken, die Chancen für Unternehmen durch die Entwicklung neuer Technologien. Die US-Energieministerin Jennifer Granholm sagte am Freitag, die Entwicklung sauberer Energietechnologien würde bis 2030 einen “23-Milliarden-Dollar-Markt” erschließen. Die Schlüsselbereiche, die die US-Regierung in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und der Industrie entwickeln möchte, seien Wasserstoff, das Auffangen von CO2, industrielle Kraftstoffe und Batterien, sowie Solarenergie. Auch China fördert den Aufbau modernster Umwelt-Technologien wie diesen. Dass dieser Sektor in die Fänge der wirtschaftlichen Konflikte gerät, ist daher nicht unwahrscheinlich. Einen CO2-Grenzmechanismus für klima-unfreundlich produzierte Importwaren, wie ihn die EU diskutiert, lehnte Kerry in einem Video-Interview indes ab.

    Li Shuo von Greenpeace East Asia hält das Konzept von Rivalität, Konkurrenz und Kooperation ohnehin für unpassend. “Im Kontext zwischen den USA und China – und in gewissem Maße auch für die EU und China – besteht die Gefahr dieser Fehlwahrnehmung darin, dass Wettbewerb oder Konfrontation die einzigen Alternativen sind, sobald die Zusammenarbeit politisch nicht mehr vorteilhaft erscheint”, schrieb Li, Experte für die Schnittstelle von Umwelt und Politik, auf Twitter. Er befürwortet, was er “Einbindung” (engl: Engagement) nennt – wie durch Kerrys Visite in Shanghai. Diese Einbindung enthalte alle drei Elemente, sei aber doch anders – und beinhalte die Möglichkeit zur Überredung. Es mag eine theoretische Debatte sein. Doch Überredung ist tatsächlich etwas anderes, als wenn auf Basis von jeweils allein getroffenen Entscheidungen der Staaten kooperiert wird – oder eben nicht. Daher begrüßten die meisten Beobachter an der gemeinsamen Erklärung von Kerry und Xie vor allem, dass sie überhaupt zustande kam.

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    Merkels Peking-Reise mit Wirecard im Gepäck

    Als Angela Merkel am Freitag vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages antreten musste, ging es um China. Die Fragen der Abgeordneten betrafen vor allem die Schützenhilfe des Kanzleramts für den Eintritt Wirecards auf den chinesischen Markt im September 2019. Das Unternehmen hatte damals vor, den kleinen chinesischen Finanzdienstleister Allscore zu übernehmen und zu einem Konkurrenten für Alipay hochzupäppeln. Merkel hat seinerzeit entweder bei Präsident Xi Jinping oder bei Premier Li Keqiang für den Deal geworben.

    An der Flankierung eines geplanten Markteintritts hatte keine Bundestags-Fraktion etwas auszusetzen – das Engagement Merkels erhielt durchweg die Zustimmung der Abgeordneten. Mitarbeiter Merkels und des Finanzministeriums hatten dem Ausschuss bei ihrem Aussagen in den vergangenen Monaten bereits die Besonderheiten des Chinageschäfts erklärt. Die KP Chinas erwartet, in internationale Transaktionen eingebunden zu werden. An der feierlichen Unterzeichnung im Beisein von politischen Führungspersonen führt dann kein Weg vorbei. Wenn ein Deal aber den Segen der obersten Führung hat, befindet er sich auf der Überholspur.

    Es waren andere Fragen, die die Neugier der Abgeordneten geweckt hatten. Welche Rolle spielte der Berater und Ex-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg? Er hatte für Wirecard einen Zugang zum Kanzleramt hergestellt. Und warum machte sich Merkel überhaupt für ein Unternehmen stark, das bereits von Betrugsvorwürfen umgeben war?

    Denn das Kanzleramt als Ganzes war nicht komplett ahnungslos. Das hatte der Ausschuss bereits im Dezember herausgearbeitet. Der junge Beamte Michael Papageorgiou war Anfang 2019 von der Deutschen Bundesbank an das Finanzreferat des Kanzleramts ausgeliehen. Er hatte seinerzeit dazu geraten, eine Terminanfrage von Wirecard-Chef Markus Braun “aus Termingründen” abzusagen, weil es zu viele Zweifel an dessen Seriosität gebe. Papageorgiou hat die Kanzlerin damit vor einem direkten Kontakt zu dem Betrugsunternehmen bewahrt.

    Im Eilverfahren in die Kanzlerinnen-Mappe

    Acht Monate später waren diese Zweifel jedoch vergessen, als die Kanzlerin das Unternehmen auf die Liste ihrer China-Anliegen setzte. “Beim mächtigsten Mann Chinas lobbyiert man nicht für jede Pommesbude”, wundert sich der Abgeordnete Fabio De Masi von den Linken. Die Kanzlerin gehe mit den zehn wichtigsten Anliegen Deutschlands und Europas in so ein Gespräch – und eines davon war nun ausgerechnet ein Unternehmen, dessen Firmengeschichte von Betrugsgerüchten begleitet war?

    De Masi hat für dieses Rätsel jedoch auch gleich eine Lösung parat. Diese wiederum hängt mit der Figur zu Guttenberg zusammen. Dieser war bekanntlich Wirtschafts- und Verteidigungsminister unter Merkel, bevor der Betrug mit seiner Doktorarbeit aufflog. Seitdem hat er in New York die Beratungsfirma Spitzberg Partners gegründet. Der Name ist ein Kunstprodukt, es gibt gar keine Frau oder Herrn Spitzberg. Der Geschäftszweck ist vor allem Lobbyarbeit. Zu Guttenberg hat kurz vor der China-Reise in lockerem Ton um ein Treffen mit Merkel gebeten. Zu diesem Zeitpunkt hatte er von Wirecard den Auftrag, den Markteintritt in China zu flankieren. Im Erfolgsfall hätte ihm nach der Allscore-Übernahme eine millionenschwere Prämie gewunken.

    Merkel hatte der Terminanfrage des Lobbyisten stattgegeben, weil sie “selbstverständlich Gesprächswünschen ehemaliger Mitglieder der Bundesregierung” entspreche. An Wirecard als Gesprächsthema erinnerte sich Merkel nach eigener Aussage zwar nicht, doch das sei angesichts der vielen Themen, mit denen sie sich beschäftige, nicht ungewöhnlich. Als zu Guttenberg jedoch auf Unternehmensanliegen zu sprechen kam, habe sie ihn auf die zuständigen Fachleute im Bundeskanzleramt verwiesen. Sie habe damals nicht gewusst, dass zu Guttenberg ein Beratungsmandat bei Wirecard habe.

    Keine Zeit für eine eingehende Prüfung

    Im Prinzip hat Merkel richtig gehandelt, indem sie die Sache zur Prüfung an die Fachleute weitergegeben hat – und doch sieht De Masi hier ein Problem. Indem zu Guttenberg gleich ganz oben angeklopft hat, wurden die aufmerksamen Fachleute der unteren Ebene übersprungen. So beschäftigte sich gleich Lars-Hendrik Röller mit dem Ansinnen. Röller ist Ökonom und der Wirtschaftsberater der Kanzlerin. Diese setzte Wirecard auf die Liste der Anliegen in China. Das war zwei Tage vor Abflug, wie Röller im Dezember vor dem Ausschuss ausgesagt hatte. “Es gab keinen Grund, hier böswillig zu sein” und der Bitte Wirecards nicht zu entsprechen. Schließlich habe es sich um einen Dax-Konzern gehandelt, dessen Bilanzen von Wirtschaftsprüfern abgesegnet waren. Konkret habe Wirecard die Erlaubnis der People’s Bank of China für die Übernahme von Allscore plus eine Lizenz als Zahlungsdienstleister benötigt.

    Merkel konnte die Motive für ihr Engagement insgesamt schlüssig erklären. Wirecard passte gut zur Strategie der Bundesregierung, die Bereitschaft Chinas zur Marktöffnung auszutesten und zugleich Vorreiter für den Markteintritt zu schaffen. Da es gerade in der Finanzindustrie bei “Reform und Öffnung” noch hapert, wäre ein Zahlungsdienstleister ein exzellenter Testballon gewesen. Damals befand sich das CAI in Verhandlungen, und durch solche Schachzüge habe sich der gute Willen in Peking ausloten lassen.

    Im Rückblick stellt sich die Lage allerdings anders dar. Die wahren Motive von Firmenchef Markus Braun für den Versuch der Allscore-Übernahme sind heute besser bekannt. Die schnelle Expansion in Asien diente generell dazu, den groß angelegten Betrug zu verschleiern. In den Tochter- und Partnergesellschaften von Dubai über Indien bis Singapur erzeugte das Unternehmen die Scheingewinne, mit denen es seine Bilanz aufblähte. Die Zukäufe boten auch eine gute Rechtfertigung, hohe Verluste unauffällig wegzubuchen.

    Die Expansion diente auch als Begründung dafür, immer höhere Kreditlinien bei den Banken zu beantragen. “Man bemäntelte das gefälschte Wachstum damit, dass man Töchter in anderen Ländern erworben habe”, sagte Finanzexperte Florian Toncar von der FDP. Die Möglichkeit, in China zuzukaufen, sei unter diesen Umständen ein “Himmelsgeschenk” gewesen, so Toncar. Der große chinesische Markt hätte für Braun und seine Komplizen die Möglichkeit geboten, das Wachstumsmärchen weiterzuspinnen.

    Welche Rolle hatte Frau Röller?

    Bei der Vernehmung Merkels sprachen mehrere Abgeordnete die Kanzlerin auch auf die Gattin ihres Wirtschaftsberaters an. Frau Dr. Zhentang Zhang-Röller war in den Akten zu dem Skandal aufgetaucht, weil sie auf der Peking-Reise offenbar einen Kontakt mit dem Chef des chinesischen Unternehmens Mintech hatte. Dieser wollte sich danach mit Wirecard-Chef Braun vernetzen. Röller gab diesen Wunsch an die Berater von Wirecard weiter.

    Auf der Ausschusssitzung am 17. Dezember ereignete sich dann eine seltsame Szene. Die Abgeordneten fragten Röller danach, welchen Beruf seine Frau habe. Dieser antwortete: “Hausfrau”. Seine Aussage gibt bis heute Rätsel auf. Zhentang Zhang-Röller ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und hat beispielsweise für das DIW in Berlin gearbeitet. Ab 2008 hat sie zwar eine längere Familienpause eingelegt, doch ganz inaktiv war sie zumindest in den vergangenen Jahren nicht. Sie hatte zwischendurch eine Investmentfirma gegründet und wieder dicht gemacht, und sie war “Networkerin” für die die Firma BHS Berlin Health, die reichen Chinesen medizinische Behandlungen in Deutschland vermittelt. Außerdem steht sie in Verbindung mit der RHT Europe GmbH, die in der Pandemie Luftreiniger aus Hongkong in Deutschland angeboten hat.

    All das ist soweit nicht ehrenrührig. Es wäre umgekehrt verwunderlich, wenn sich Zhang-Röller mit ihren Qualifikationen wirklich langfristig auf eine Rolle als Hausfrau beschränkte. Die RHT Europe hat zudem “kaum Umsatz gemacht”, wie das Unternehmen auf Frage des China.Table mitteilte. Zhang-Röller habe dort nach Aussage der Geschäftsführerin zudem nur eine begrenzte Rolle. Ihr Gatte hat bisher nicht klargestellt, warum er die beruflichen Aktivitäten vor dem Ausschuss nicht benennen wollte. Der Vorsitzende Kay Gottschalk (AfD) bestätige dem China.Table aber, dass Herr Röller ihm einen Brief geschrieben hat: Seine Frau engagiere sich durchaus bei Firmen. Eventuell wird der Ausschuss Röller noch einmal zu den Details befragen.

    Im Gesamtbild ist jedoch bisher weder an Merkel noch an Röller ein nennenswerter Vorwurf hängengeblieben. Das Engagement für die deutsche Wirtschaft gehört zu ihren Kernaufgaben. Und auch wenn es damals schon Berichte über Betrug bei Wirecard gab, konnte sich kaum jemand dessen Ausmaß vorstellen. In Deutschland hatte sich schließlich noch ein Dax-Unternehmen als reine Betrugsnummer herausgestellt.

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    Chinas maritimer Einfluss in Europa

    Für die Menschen in der Region Wilhelmshaven ist es eine große Hoffnung – für Brüssel ein politisches Ärgernis. China Logistics, eines der größten chinesischen Logistikunternehmen, investiert 100 Millionen Euro in den Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven. Es ist der einzige Container-Tiefwasserhafen Deutschlands. Das bedeutet, er ist unabhängig von Ebbe und Flut. Mit den Liniendiensten der Reedereikonsortien Ocean Alliance und 2M sind via Wilhelmshaven direkt die Destinationen Ningbo, Xingang, Dalian, Shanghai, Yantian, Xiamen und Hong Kong zu erreichen. Eigentlich sollten die Bauarbeiten schon vergangenen April beginnen und dieses Jahr sollte der Alltagsbetrieb starten. China Logistics, ein Tochterunternehmen der staatseigenen China Chengtong Holding Group (CCT), hat einen Erbbaurechtsvertrag über 20 Hektar Fläche im Güterverkehrszentrum (GVZ) des Jade-Weser-Port Wilhelmshaven unterzeichnet. Das Logistikzentrum “China Logistics-Wilhelmshaven Hub” sollte 40.000 Quadratmeter Hallenfläche und 110.000 Quadratmeter ungedeckter Lagerfläche für den Umschlag chinesischer Waren nutzen. In einem zweiten Bauabschnitt ist eine weitere Halle mit 20.000 Quadratmeter Fläche geplant. Das Gesamtinvestitionsvolumen für das Projekt beträgt rund 100 Millionen Euro. Langfristiges Ziel der chinesischen Partner ist der Umschlag von rund 100.000 TEU pro Jahr. Das Grundstück wird mit einem Bahnanschluss versehen, so dass mittelfristig Schienenverkehr aus China nach Wilhelmshaven geleitet werden kann. 

    Corona bremst das Investment

    Auch knapp acht Jahre nach der Inbetriebnahme ist der “JadeWeserPort”, wie er offiziell heißt, noch nicht ausgelastet. Zwar sind dort 1000 Arbeitsplätze in den letzten Jahren entstanden. Aber noch immer sind von den 150 Hektar erst 90 vermarktet. Das soll sich mit dem chinesischen Engagement ändern. Doch Corona bremst die Entwicklung. Die Zusammenarbeit mit den chinesischen Partnern stockt derzeit. “Jetzt sind wir coronabedingt leider in eine zähe Phase gekommen”, sagt Ingo Meidinger, Vertriebsleiter der Marketinggesellschaft für den Container Terminal. Vertreter von China Logistics  würden eigentlich für Gespräche in Wilhelmshaven erwartet. “All das ist schwierig, wenn man nicht reisen darf”, sagte Meiniger. Besonders tragisch: Das Containergeschäft aus China zieht wieder an. Der JadeWeserPort kann jedoch nicht in dem Maße profitieren, wie er profitieren würde, wenn die Anlagen schon fertig wären. 

    In den ersten zwei Monaten dieses Jahres hat etwa der Wettbewerber Bremerhaven 858.000 Standardcontainer umgeschlagen – ein Plus von 12,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. “Die Importe aus China und Fernost boomen”, sagt Robert Völkl, Geschäftsführer des Vereins Bremer Spediteure gegenüber dem Weser-Kurier. “Manche deutsche Unternehmen aus dem Handel und der Industrie hatten oder haben noch Nachholbedarf.” 

    Investitionsziel europäische Häfen

    Obwohl China den Schienenverkehr stetig ausbaut, entfällt der größte Teil des Warentransportes zwischen China und Europa noch immer auf den Seeweg. Entlang seiner sogenannten “maritimen Seidenstraße” errichtet China weltweit neue Häfen, sichert sich Beteiligungen und baut die Infrastruktur alter und oft maroder Anlagen weiter aus. Die große Erfolgsgeschichte in Europa ist dabei sicher der Hafen von Piräus, der einen Endpunkt der maritimen Seidenstraße bildet, die von China über den Indischen Ozean ins Rote Meer führt. Innerhalb von zehn Jahren hat der chinesische Schifffahrtsgigant Cosco den Containerumschlagplatz zum am schnellsten wachsenden Mittelmeerhafen gemacht. Der Warenumschlag hat sich seit der Übernahme durch die Chinesen im Krisenjahr 2008 verdreizehnfacht. Dadurch ist der griechische Hafen heute bereits die Nummer vier in Europa, hinter Rotterdam, Antwerpen und Hamburg. 

    Cosco und ihre Schwesterfirma China Merchant investieren bereits in 14 europäische HäfenHierzu zählen Mehrheitsbeteiligungen an Mittelmeerhäfen wie Valencia, Bilbao und Madrid sowie Anteile an den Nordrange-Häfen Rotterdam, Antwerpen und Zeebrügge. Insgesamt sind chinesische Unternehmen an 11 der 20 größten Häfen in Europa beteiligt. Weltweit kontrolliert Peking mittlerweile jedes vierte Containerterminal und bringt dafür das Geschäft gleich mit.  

    Die wichtigsten Häfen für die maritime Silk-Road in Europa sind neben Piräus die Häfen Triest in Italien und Sines in Portugal. Durch den Transport über Triest statt über nördliche Häfen wie Rotterdam und Hamburg verkürzt sich die Lieferzeit ab Schanghai um zehn, ab Hongkong um neun Tage. 

    Furcht vor der Schuldenfalle

    In Brüssel herrscht jedoch nach wie vor Misstrauen gegenüber der chinesischen Hafen-Expansion. Im Falle von Piräus wurde wiederholt bemängelt, dass die Anwesenheit der Chinesen zu niedrigeren Löhnen, höheren Mieten und einer Benachteiligung lokaler Anbieter geführt habe. In Triest erhielt die Hamburger Hafengesellschaft HHLA zuletzt auf Druck aus Rom den Zuschlag für eine 50,1-prozentige Beteiligung am 28 Hektar großen Multifunktions-Terminal “Piattaforma Logistica Trieste” (PLT) im Hafen von Triest, obwohl sich auch die Chinesen dafür beworben hatten. Eine Konzession an Brüssel. Denn eigentlich ist Rom sehr eng mit China verbunden. Als einziges G7-Land ist Italien 2019 der Belt & Road Initiative (BRI) beigetreten.   

    Der Hafen in der nördlichen Adria ist mit eigenem Bahnanschluss ein ausbaufähiges Tor nach Zentral- und Osteuropa. Die Hamburger wollen den Hafen nun so weit ausbauen, dass hier jährlich bis zu 300.000 Container und etwa 700.000 Tonnen Güter umgeschlagen werden können.

    Einige Politiker in Brüssel fürchten nun, dass Peking ähnlich wie mit Sri Lanka verfahren könnte, wo vor vier Jahren erfolgreich staatliches Eigentum in Form des Hambantota-Hafens als Ausgleichzahlung für Schulden eingefordert wurde. Passieren könnte das zum Beispiel im Fall des EU-Beitrittskandidaten Montenegro mit dessen größtem Hafen in der Küstenstadt Bar. Die Regierung in Podgorica hat 2014 bei der chinesischen Staatsbank Exim einen Kredit in Höhe von 944 Millionen Euro für ein Autobahnprojekt aufgenommen. Mitte diesen Jahres sind nun die ersten Raten des mit zwei Prozent verzinsten Kredites fällig. Montenegros Finanzbehörden melden aber, dass die Schuldenlast die Möglichkeiten des von Corona gebeutelten 600.000-Einwohner-Landes aller Voraussicht nach übersteigen wird (China.Table berichtete). Die neue Autobahn, mit der sich Montenegro finanziell übernommen hat, soll die Adria-Stadt übers Gebirge nach Boljare mit der Grenze zu Serbien verbinden.

    Der Hafen von Piräus ging damals auch nur an die Chinesen, weil Brüssel die Augen vor der geopolitischen Realität verschloss. Die EU und der Internationale Währungsfonds hatten während der Schuldenkrise 2008 Druck auf Griechenland ausgeübt, den Hafen zu privatisieren, sich andererseits aber nicht darum bemüht, dass ein europäisches Unternehmen substantiell mitbietet. Hafenbetreiber in Hamburg, Bremerhaven oder Rotterdam hatten damals noch kein Interesse daran, dass Schiffsladungen bereits in Griechenland gelöscht werden und nicht mehr die iberische Halbinsel umrunden muss. Und so nutzten die Chinesen ihre Chance. An Triest und Hamburg sieht man, dass sich die Einstellung der Hafenbetreiber in Nordeuropa zu diesem Thema geändert hat. 

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    News

    Baidu und Geely investieren in Smart-Car-Technologien

    Baidu und Geely wollen mit ihrem Joint-Venture Jidu Auto in den nächsten fünf Jahren umgerechnet knapp 6,4 Milliarden Euro in die Entwicklung von Smart-Car-Technologien investieren, wie Bloomberg berichtet. Demzufolge sollen in den nächsten zwei bis drei Jahren 2.500 bis 3.000 neue Mitarbeiter eingestellt werden, 500 davon Software-Ingenieure. Das erste Modell des Joint Ventures (China.Table berichtete) soll ein Elektroauto werden und innerhalb der nächsten drei Jahre auf den Markt kommen. Baidu erforscht schon seit mehreren Jahren Technologien für selbstfahrende Autos. Die Kooperation “könnte Geely einen dringend benötigten Technologievorsprung bei der Entwicklung intelligenter Elektrofahrzeuge verschaffen” schreibt Bloomberg. nib

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    EU: China gefährdet Frieden im Südchinesischen Meer

    Die Europäische Union hat China wegen des Vorgehens im Südchinesischen Meer um das zu den Spratly-Inseln gehörenden Whitsun-Riff scharf kritisiert. “Spannungen im Südchinesischen Meer, einschließlich der jüngsten Anwesenheit großer chinesischer Schiffe am Whitsun-Riff, gefährden Frieden und Stabilität in der Region”, teilte ein Sprecher des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) mit. Die EU sei gegen “einseitige Maßnahmen, die die regionale Stabilität und die auf internationalen Regeln basierende Ordnung untergraben könnten” hieß es in der Mitteilung.

    Zwischen den Philippinen und der Volksrepublik gibt es bereits seit längerem Streit um das Gebiet. China hatte zuletzt mehrere Schiffe in die Nähe des Riffs geschickt. Nach Pekings Angaben handelt es sich dabei um Schiffe von Fischern, die philippinische Regierung in Manila und Beobachter:innen sehen daran jedoch eine wachsende Seemiliz Chinas. Brüssel forderte nun alle Beteiligten auf, Streitigkeiten im Einklang mit dem Völkerrecht friedlich beizulegen, und hob ein internationales Schiedsverfahren hervor, das 2016 zugunsten der Philippinen entschieden hatte, während die meisten Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer als ungültig erklärt wurden.

    China beansprucht das gesamte Südchinesische Meer für sich. Das Whitsun-Riff, der chinesische Name lautet Niu’e Jiao, ist nach Ansicht Pekings Teil der chinesischen Nansha-Inseln. Die EU-Außenminister hatten erst vergangene Woche die Indopazifik-Strategie Brüssels verabschiedet, die ein stärkeres Engagement der EU in der Region vorsieht. ari

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    Standpunkt

    LFP: Vorteil für China im Batteriemarkt

    Von Daniel Burow
    Daniel Burow über die Trends der Batterieindustrie in China.

    Das Kürzel LFP steht für Lithiumeisenphosphat, das als Kathodenmaterial in Lithium-Ionen-Batteriezellen eingesetzt wird. Es ist günstig herzustellen, vergleichsweise einfach zu handhaben und gilt aus Gründen seiner chemischen Struktur als sehr sicher. Als die chinesische Industrie sich auf den langen Marsch in Richtung E-Mobilität machte, galt die durch ein europäisch-kanadisches Konsortium lizenzierte chemische Verbindung deshalb als das Material der Wahl. China handelte früh ein langfristiges Abkommen aus, das den Unternehmen des Landes bis heute die lizenzgebührenfreie Nutzung auf dem Heimatmarkt erlaubt.

    Vor circa zehn Jahren, als die deutsche Automobilindustrie sich für chinesische Batteriehersteller zu interessieren begann, schwenkte der Fokus allerdings auf Nickel-Kobalt-Mangan-Kathoden (NCM). Nur mit diesem energiereicheren Material, so der Tenor aus den Forschungsabteilungen der Autokonzerne, ließen sich die Anforderung an immer größere Reichweiten von Elektroautos erfüllen. Heute, da E-Autos nicht nur das Premiumsegment, sondern auch den Massenmarkt erobern sollen und sich ein unerwartet steiler Markthochlauf ankündigt, rücken die Themen Kosteneffizienz und Rohstoffverfügbarkeit mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Und LFP scheint vor einem späten Comeback zu stehen. 

    Neue Anwendungsfelder erschlossen

    So richtig verschwunden war LFP indes nie vom Batteriemarkt. Auf dem in China über die letzten Jahre immens gewachsenen Markt der Elektrobusse etwa spielt das Material seinen Sicherheitsvorteil aus. NCM-Materialien haben den Nachteil, dass sie beim Überladen oder Überhitzen chemisch instabil werden, sich in einer Kettenreaktion zersetzen und damit hohe Energiemengen freisetzen können – der gefürchtete Thermal Runaway. Während man im PKW-Bereich darauf setzte, das Risiko vor allem durch Steuerelektronik zu minimieren, die nach hohen Sicherheitsstandards ausgelegt ist, wollte die chinesische Regierung bei Bussen auf Nummer sicher gehen. Der Einsatz von NCM ist hier nach wie vor untersagt, es bleibt nur die Alternative LFP. Ob diese Politik ihren Ursprung allein in Sicherheitsbedenken hat oder auch in industriepolitischen Erwägungen – bei NCM-Batteriezellen besitzen Hersteller aus Japan und Südkorea einen technologischen Vorsprung – sei dahingestellt. Zusammen mit der ebenfalls rasant ansteigenden Nachfrage nach stationären Energiespeichern und Batterien für E-Scooter war durchgehend für eine solide Nachfrage nach LFP-Materialien gesorgt. Denn in beiden Anwendungsfeldern spielen Energiedichten eine untergeordnete Rolle, Kosten dagegen eine entscheidende.

    Elon Musk und VW setzen auf LFP

    Für viel Beachtung in der Branche sorgte im Februar dieses Jahres nun – wie so oft – ein Tweet von Elon Musk: “Nickel ist unsere größte Sorge für das Hochskalieren der Lithium-Ionen-Zellproduktion. Deshalb steigen wir bei Fahrzeugen mit Standard-Reichweite auf eine Eisen-Kathode um.” Tesla kündigte bereits bei seinem Battery Day im vergangenen Jahr an, für die in seiner Gigafactory Shanghai hergestellten Model 3 mit Standardreichweite künftig auf LFP-Zellen des chinesischen Zellherstellers Contemporary Amperex Technologies (CATL) zu setzen. Bislang kamen vor allem NCM-Zellen des koreanischen Herstellers LG Chem zum Einsatz.

    Damit adressiert Tesla ein Thema, das auch europäischen Autoherstellern zunehmend Sorge bereitet. Auch Volkswagen kündigte bei seinem Power Day im März an, für Volumenmodelle künftig auf LFP-Zellen setzen zu wollen. Neben dem deutlichen Kostenvorteil führte VW dabei auch eine nachhaltige Lieferkette als Kriterium für die Auswahl des Kathodenmaterials an. “Nachhaltig” darf hier wohl nicht nur aus dem sozial-ökologischen Blickwinkel (Stichwort Kobalt aus Krisenregionen) verstanden werden, sondern durchaus auch im Hinblick auf die langfristige Versorgungssicherheit. In einem vor wenigen Wochen im Auftrag des Joint Research Centers der Europäischen Kommission erschienenen Bericht weist das Rohstoffanalysehaus Roskill auf sich abzeichnende Versorgungsprobleme hin. Die Nickelversorgung, so die Analysten, drohe ab 2027 dem Bedarf in der Europäischen Union nicht mehr gerecht zu werden. Eisen dagegen ist das zweithäufigste Element in der Erdkruste und leicht in großen Mengen zugänglich. So erscheint es logisch, dass Roskill in einer weiteren, im Januar veröffentlichten, Marktstudie einen positiven Ausblick für den Marktanteil von LFP äußert. 

    Chinas Batterieindustrie profitiert vom Trend zu LFP

    In China war bereits 2020 ein Anstieg der LFP-Batterieproduktion für Elektrofahrzeuge von circa 21 Prozent zu verzeichnen. Die chinesische Batterieindustrie wartete demnach nicht auf einen Musk-Tweet, sondern antizipierte die Entwicklung bereits zuvor. Eine gewichtige Rolle dabei spielt sicher auch die Kehrtwende in der Subventionspolitik, welche die chinesische Regierung gerade vollzieht. Zwar wurden im Zuge der Covid-19-Krise die Subventionen für den Kauf von Elektrofahrzeugen noch einmal um zwei Jahre verlängert. 2022 sollen sie jedoch auslaufen und die Regierung beabsichtigt, stattdessen stärker in Ladeinfrastruktur zu investieren. Die chinesische Subventionssystematik bevorzugte in der Vergangenheit vor allem reichweitenstarke rein batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge. Es ist davon auszugehen, dass künftig das Kosten-Nutzen-Verhältnis eine deutlich größere Rolle spielen wird. Zudem dürfte ein dichteres Netz an Lademöglichkeiten Druck aus dem Streben nach immer größeren Reichweiten nehmen. Der chinesische Markt könnte hierbei als Blaupause dienen für die Situation in Europa

    Der chinesischen Batterieindustrie kommt die Entwicklung entgegen, ist sie doch bei LFP historisch stark aufgestellt und bei der NCM-Technologie nach wie vor noch nicht auf dem Stand der koreanischen Konkurrenz. Die Markteintrittsbarrieren sind bei der LFP-Technologie deutlich geringer als beim NCM, da das Material dank seiner chemischen Stabilität keine so hohen Anforderungen an die Produktionsbedingungen stellt. Das reduziert die Investitionskosten immens und Prozessmängel haben weniger gravierende Auswirkungen als beim empfindlicheren NCM. Nicht zuletzt deswegen und aufgrund der stabilen Binnennachfrage nach LFP-Zellen konnten in China in wenigen Jahren eine beachtliche Zahl Batteriezellhersteller entstehen und teils zu Global Playern heranwachsen. Während die europäische Industrie ihr Heil lange Zeit im “nächsten Technologiesprung” gesucht hat, hat man in China mit dem für das Land so typischen Pragmatismus bei der einfachsten und kostengünstigsten Technologie begonnen.

    BYD hat eine starke Marktposition

    Ein Unternehmen, das vom Comeback des LFPs besonders stark profitieren könnte, ist BYD. Der an den Börsen von Hongkong und Shenzhen notierte Mischkonzern hielt durchgehend an der LFP-Technologie auch im PKW-Bereich fest. Den Energiedichtenachteil des Materials machte das Unternehmen bei seiner “Blade Battery” an anderer Stelle wett. Indem die Batterie auf die übliche Aufbauweise aus mehreren Modulen verzichtet, sondern die Zellen direkt in das Gesamtsystem integriert (Cell-to-Pack-Technologie), werden wettbewerbsfähige Energiedichten erreicht. In einer im Januar in Nature Energy veröffentlichten Studie wird die auf das Volumen bezogene Energiedichte beim BYD Han – dem ersten Automodell, das die Technologie nutzt – sogar höher angegeben als die des Tesla Model 3 LR aus dem Modelljahr 2017. Hinzu kommen Vorteile von LFP in puncto Schnellladefähigkeit und Lebensdauer. Dem Portal BusinessKorea zufolge hat nun Hyundai Interesse an der Blade Battery für seine in China verkauften Modelle angemeldet. 

    Inspiration für den Namen der Batterie sind besonders lange, schmale Zellen, welche die gesamte Breite des Batteriepacks ausfüllen und ihm so auch mechanische Steifigkeit verleihen. Das ungewöhnliche Format stellt besondere Herausforderungen an die Herstellung. Einem Insider aus der chinesischen Batterieindustrie zufolge waren circa zwei Jahre Entwicklungsarbeit notwendig – Aufwand, den BYD zu einem anhaltenden Wettbewerbsvorteil ausbauen könnte.  

    Vertikale Integration und neuer Wettbewerb

    Ein weiterer Wettbewerbsvorteil von BYD ist, dass das Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette bis hinunter zur LFP-Materialproduktion beherrscht. Gleiches gilt für den chinesischen Wettbewerber Gotion High-Tech, an dem sich Volkswagen im vergangenen Jahr mit 26 Prozent beteiligt hat. Für nicht-chinesische Materialhersteller wie etwa die BASF könnte das Geschäft allerdings bald lukrativer werden. Denn 2022 beginnen die Patente für das Herstellverfahren des Materials auszulaufen und damit auch die fälligen Lizenzgebühren. Gleichzeitig jedoch gelten auch die Exportbeschränkungen für chinesische Firmen dann nicht mehr. Das Wettrennen auf einem freier werdenden Markt ist also eröffnet und womöglich werden sich weitere Akteure dazugesellen. 

    Auch CATL investiert derweil massiv in vertikale Integration. Im Januar kündigte der Branchenführer aus der südchinesischen Fujian-Provinz an, mit seiner Tochtergesellschaft Shenzhen Dynanonic für 280 Millionen US-Dollar eine LFP-Fabrik zu errichten. CATL-Gründer Zeng Yuqun kommentierte dazu: “Für eine gewisse Zeit hat Lithiumeisenphosphat noch Raum für Verbesserungen, es ist noch immer der absolute Mainstream für viele Anwendungen.” Oder in anderen Worten: Totgesagte leben länger. 

    Dr. Daniel Burow ist Chemiker und Technischer Projektleiter. Er hat für deutsche und chinesische Unternehmen in der Automobilindustrie gearbeitet und im Themengebiet Batteriematerialien promoviert.

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    Portrait

    Qin Gang

    Vize-Außenminister und möglicher Botschafter in Washington

    Xi Jinping soll ihm vertrauen. Damit allein hat Qin Gang Zugang zum engsten Kreis der Führungselite in der Kommunistischen Partei. Nun wird er als einer der heißesten Nachfolge-Kandidaten für den Posten des scheidenden chinesischen Botschafters Cui Tiankai in Washington gehandelt. In einer Zeit, in der die USA und China neben Androhungen von Sanktionen, Grabenkämpfen um die internationale Vormachtstellung ihrer Länder und einer zunehmenden Entfremdung in der gegenseitigen Außenpolitik ständig anecken, kommt Qin in dieser Position umso mehr Bedeutung zu. Die Wahl von Qin Gang unterstreicht auch die Vermutungen, dass Qin hoch in der Gunst Xi Jinpings steht und darum mit dieser besonders heiklen Aufgabe betraut werden soll.

    Erlangt hat Qin Gang sich das Vertrauen des ersten Mannes Chinas durch harte Arbeit an seiner Karriere. Als Xi relativ neu im Amt war und sein Bild international ins Rechte Licht gerückt werden musste, war Qin für das Protokoll im Außenministerium verantwortlich. Er konnte darauf einwirken, dass Xi auf der internationalen Bühne auch als derjenige wahrgenommen wird, der China in eine neue Ära führt.

    So war es Qin Gang, der Xi auf vielen seiner Auslandsreisen als Protokollchef begleitete und bei den großen Banketten daheim darauf achtete, wie Xis Auftritte nicht nur für die Staatsmedien, sondern vor allem für die Staatschefs aus dem Ausland inszeniert wurde. Dass er seinen Job gut gemacht hat, zeigt auch die Beförderung zum Vizeaußenminister 2018. Hinter Wang Yi, der schon seit 2013 Außenminister ist und zudem im Ausland studiert hat und der als Hardliner gilt, hat Qin fast drei Jahre lang die zweite Geige gespielt. Hierbei hat er nun offenbar genügend Erfahrungen gesammelt, um in die Position eines Botschafters aufzurücken. 

    Qin Gangs steile Karriere

    Im Außenministerium hat Qin Gang eine sehr steile Karriere hingelegt: Der 55-Jährige ist dort seit 33 Jahren tätig. Direkt nach seiner Ausbildung an der Universität von Tianjin hat er die Beamtenlaufbahn eingeschlagen. Vor seiner Rolle als Vizeaußenminister war Qin neben seiner Tätigkeit als Außenamtssprecher auch für die Europaabteilung zuständig. Qin war zuvor viele Jahre in London für die chinesische Botschaft in Großbritannien und Nordirland als Sekretär (1995-1999) tätig. Von 2002 bis 2005 kehrte er ein zweites Mal als Berater an die chinesische Botschaft nach England zurück. 2010 nochmals, aber da schon mit dem Titel eines Ministers. In den Jahren zwischen seinen drei Auslandsaufenthalten in England ist Qin dabei immer wieder ins Außenministerium in Peking zurückgekehrt. Dort ist er erst zum Direktor der Europaabteilung aufgestiegen (1999-2002) und hat sich dann zum Direktor des Informationsdienstes und Sprecher des Außenamts (2005-2010) hochgearbeitet. Dadurch hat er innerhalb des Außenministeriums in Peking nicht den Anschluss verloren.

    Internationale Beobachter haben dennoch zunächst mit Verwunderung auf die Nachricht der möglichen Entsendung Qins nach Washington reagiert. Denn er bringt wenig Erfahrungen im Umgang mit den USA mit. Das wird von Keith Zhai vom Wall Street Journal jedoch insofern als “positives Zeichen” gesehen, weil ein Botschafter ohne US-Vorbelastung als positiver Neubeginn der Beziehungen gesehen werden kann. Als Qins Gegenpart wird derzeit Nicholas Burns als neuer US-Botschafter für China gehandelt. Der Karriere-Diplomat und Harvard-Professor hat erst Mitte April bei einer virtuellen Veranstaltung Europa dafür gerügt, einen “taktischen Fehler” begangen zu haben, dass sie ein Investitionsabkommen mit China erzielt hatten. Burns fordert einen stärkeren Zusammenhalt von Europa, den USA und Japan.

    Möglich, dass Peking Qin Gang gerade wegen seiner Europa-Erfahrungen für das Amt in Washington ausgewählt hat. Ein Botschafter in der amerikanischen Hauptstadt, der weiß, wie die Europäer ticken, weiß wahrscheinlich besser als jeder andere, wie man Keile in die transatlantische Verhältnisse treibt – zum Wohle Chinas. Ning Wang 

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    jīwá 鸡娃 – den Nachwuchs “huhnen”

    Wurden Sie als Kind “gehuhnt”? Oder “huhnen” Sie vielleicht gerade den eigenen Nachwuchs? Sollten Sie jetzt verständnismäßig wie “das Huhn vorm Berg” stehen, keine Sorge! Da geht es Ihnen nämlich nicht anders als wohl den meisten Chinesen, die den Begriff 鸡娃 jīwá – wörtlich “Kinder huhnen” – zum ersten Mal hören. Doch ein Verweis auf die Wortherkunft macht für Muttersprachler schnell klar, was gemeint ist: Das “Huhn” ist hier der bekannten chinesischen Redensart 打鸡血dǎ jīxiě entlehnt, wörtlich “sich Hühnerblut injizieren” oder dieses injiziert bekommen. Dieses “geflügelte Wort” steht als Synonym für “aufgekratzt/aufgedreht sein” bzw. sich oder andere “pushen/anfeuern”. Es soll auf den – natürlich längst verworfenen – alten Volksirrglauben zurückgehen, man könne sich durch das Spritzen von Hühnerblut den Elan eines aufgescheuchten Hühnchens in die Blutbahn jagen. Natürlich ist das Quatsch. Doch die Redewendung hat sich trotzdem bis heute gehalten.

    Und neuerdings wird sie kreativ übertragen, nämlich auf ein aktuelles Phänomen, das zunehmend unter aufgescheuchten chinesischen Eltern der Mittel- und Oberschicht zu beobachten und dem großen gesellschaftlichen Konkurrenzdruck in Chinas Großstädten geschuldet ist. Seine “Kinder aufhuhnen” – oder besser gesagt sie ordentlich “pushen” – bedeutet nichts anderes, als enorme zeitliche und finanzielle Ressourcen zu mobilisieren, um dem Nachwuchs im Rennen um die begehrten Plätze an Eliteuniversitäten wie Tsinghua, Renmin-Daxue oder der Peking Universität früh einige Zentimeter Vorsprung zu verschaffen. Das beginnt schon im Kindergartenalter und reicht bis zur chinesischen Hochschulaufnahmeprüfung Gaokao. Beliebte “Aufhuhner” sind Turbo-Nachhilfe, teure außerschulische Nachmittags- und Wochenendkurse jeglicher Spielart (Piano, Ballett, exotische Fremdsprachen, Baseball, logisches Denken und wer weiß nicht was) oder aufwendige Ferienexkursionen, die manchmal bis zum Nord- oder Südpol reichen.

    Doch die Wortneuschöpfung gibt nicht nur Einblick in die gestresste chinesische Elternseele, sondern verrät auch etwas über den Charme der chinesischen Sprache! Denn im Chinesischen sind die Grenzen zwischen Wortklassen noch immer oft fließend, was auf das sprachliche Erbe des Altchinesischen zurückgeht, wo es einst praktisch gar keine Unterscheidungen zwischen Gattungen wie Substantiv, Adjektiv oder Verb gab. Im modernen Putonghua sind Wörter zwar längst nicht mehr so biegsam wie einst. Sie lassen sich in der Regel wenigen Wortartkategorien zuordnen, in denen sie standardmäßig auftauchen. Doch gibt es eben dennoch oft Überschneidungen, sodass Nomen oft auch lässig als Adjektiv oder Verb verwendet werden können. Die neueste Wortschöpfung 鸡娃 jīwá (wörtl. “Huhn” plus “Kleinkind”), wo das Huhn einfach zu “huhnen” wird, zeigt, dass chinesische Muttersprachler diesen Sprachspielraum erfrischend kreativ nutzen. Bleibt nur die Frage: Und wen “huhnen” Sie so?

    Verena Menzel 孟维娜 betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

    • Verena Menzel

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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