Table.Briefing: China

Hendrik Streeck: Boostern statt Lockdown + Tech-Crackdown vor dem Ende?

  • Hendrik Streeck im Interview: Auffrischung mit Chinas Vakzinen wirkt
  • Anzeichen für ein Ende des Tech-Crackdowns
  • Hongkong – John Lee neuer Regierungschef
  • Rückschlag für Impfstoff-Diplomatie
  • Lockdown in Shanghai bleibt bestehen
  • Adidas verkauft weniger Turnschuhe
  • Asien-Spiele wegen Corona abgesagt
  • Verwaltung schmeißt Windows-PCs raus
  • Standpunkte von Michael Spence zum “positiven Wettbewerb” USA-China
  • Zur Sprache: “Menschenfleischsuche”
Liebe Leserin, lieber Leser,

gibt es Alternativen zum harten Lockdown? Der Virologe Hendrik Streeck bejaht diese Frage nicht nur. Im Interview mit Frank Sieren ist er sogar skeptisch, ob sich die Omikron-Variante überhaupt durch Tests und Ausgangssperren langfristig eindämmen lässt. Dafür ist das Virus zu ansteckend.

Streeck teilt stattdessen mit uns eine überraschende Erkenntnis: Der chinesische Impfstoff wirkt nach der dritten Dosis gar nicht so schlecht gegen Omikron. Überraschend ist diese Feststellung aus zwei Gründen. Einerseits, weil sie dem Narrativ vom unwirksamen China-Vakzin widerspricht. Andererseits, weil sie es umso rätselhafter erscheinen lässt, warum China nicht auf Teufel komm raus weiterimpft. Streecks Schlussfolgerung leuchtet umso mehr ein: “China muss die Impfkampagne bei den älteren Menschen vorantreiben.” Das ist der Weg aus der Lockdown-Falle.

Die harte Regulierung der Internetfirmen, in der China-Szene auch bekannt als “Tech-Crackdown”, könnte schon bald abebben. Unser Team in Peking sieht jedenfalls deutliche Anzeichen für einen Politikwechsel. Peking hat den Technik-Milliardären klargemacht, wer die Macht im Land hat – die Partei, nicht die Herren über die Algorithmen – und kann nun wieder mehr Wachstum des Sektors zulassen.

Wir möchten Sie auch auf zwei unserer Veranstaltungen in dieser Woche hinweisen.

  • Mit den Wissenschaftlern Stefan Schmalz und Philipp Köncke von der Universität Erfurt diskutieren wir am 11. Mai über Chinas Impfdiplomatie und den Zugang der Dritten Welt zu Vakzinen.
  • Klaus Mühlhahn von der Zeppelin-Universität und Julia Haes stellen am 12. Mai ihr neues Buch vor: “Hongkong: Umkämpfte Metropole – von 1841 bis heute”.

Einen guten Start in die Woche wünscht

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Interview

Hendrik Streeck: “Statt Lockdown die Alten boostern”

Virologe Hendrik Streeck
Virologe Hendrik Streeck

Professor Streeck, was macht die chinesische Regierung in Bezug auf Omikron falsch?

Wir versuchen, die Lage in China von hier aus sehr genau zu beobachten, soweit das möglich ist. Einerseits können wir daraus viel lernen. Zum anderen würde man angesichts der bedrückenden Bilder, die man sieht, gerne helfen. China hat einerseits das Problem, dass die Impfquote mit einem Impfstoff, der im Grunde gut wirkt, gerade bei älteren Menschen noch nicht hoch genug ist…

…Sie sprechen über den chinesischen Impfstoff von Sinovac…

…ja. Er wirkt allerdings erst gut, wenn eine dritte Impfung gegeben wurde. Andererseits bin ich, was die Reaktion auf die fehlenden Impfungen betrifft, also diesen Lockdown, diese wirklich schweren Einschnitte, sehr, sehr skeptisch.

Warum?

Wenn Menschen gezwungen sind, sich in Innenräumen aufhalten, ist es nicht ausgeschlossen, dass das Virus schon im Raum ist – auch, wenn sie vorher PCR negativ getestet wurden. Wenn sie dann in Innenräumen zu mehreren beieinander sitzen, dämmt man die Pandemie nicht ein. Es passiert das Gegenteil: Man erzeugt einen noch größeren Ausbruch.  

Was wäre die Alternative? Chinas Gesundheitssystem ist viel schwächer aufgestellt als das deutsche. In Deutschland haben wir etwa 36 Betten pro 100.000 Einwohner, in China nur 3,5. Eine Öffnung bei so vielen unzureichend geimpften Alten hält das Gesundheitssystem nicht aus.

China muss die Impfkampagne bei den älteren Menschen vorantreiben. Zwar ist die Impfung nicht perfekt; das Virus kann nicht über die Impfung eingedämmt werden. Sicher ist aber inzwischen: Durch die Booster-Impfung lassen sich schwere Verläufe gut vermeiden. Das klappt nicht immer, das muss man einräumen. Aber zum aller-allergrößten Teil können dadurch schwere Verläufe und so auch eine Überbelastung des Gesundheitssystems vermieden werden. Mein Rat wäre also – und das ist wahrscheinlich auch der Rat der WHO für China – nun vor allem an einer Impfkampagne zu arbeiten.

Es ist ja inzwischen erwiesen, dass der chinesische Impfstoff deutlich schwächer wirkt als beispielsweise der von Biontech. Wäre es für die chinesische Regierung nicht sinnvoll, nun in den sauren Apfel zu beißen und endlich einen westlichen Impfstoff zu verwenden?

Ja und nein. Der Sinovac-Impfstoff ist zum Beispiel gar nicht so schlecht. Er bleibt zwar in der Wirksamkeit hinter dem Biontech/Pfizer-Impfstoff zurück. Aber eine kürzlich veröffentlichte Studie hat deutlich gezeigt: Wenn man eine dritte Impfung durchführt, ist die Wirksamkeit von Sinovac und Biontech gleich, was den Schutz vor einem schweren Verlauf der Infektion betrifft. Und vor allem darum geht es nun in China.  

Es gibt ja Bestrebungen auch einen eigenen mRNA-Impfstoff in China zu produzieren und zu entwickeln.

Auch die haben Nachteile. Ich würde mich in dieser akuten Situation darauf konzentrieren, das, was da ist zu nehmen und vor allem die dritte Impfung nach vorne zu bringen.

Es geht bei den Alten um weit über 100 Millionen Menschen. Das dauert selbst in China länger. Ist der Wettlauf mit der Zeit nicht schon verloren?

Ich weiß nicht, wie groß die Vorräte von Sinovac sind. Aber weltweit jedenfalls mangelt es derzeit nicht an Impfstoff. Alleine in Deutschland verfallen, glaube ich, zwei Millionen Impfdosen bis zum Sommer. Das geht vielen Ländern so. In Lateinamerika zum Beispiel wird man die Impfstoffe auch nicht mehr los. China könnte sich von diesen Ländern helfen lassen. Das ist allerdings der politische saure Apfel, von dem Sie vorhin gesprochen haben. In den sollten sie nun jedoch beißen. Es geht nicht anders. Die Null-Covid-Strategie kann China nicht durchhalten. Selbst, wenn es gelänge, die Reisen nach China komplett einzuschränken, können Katzen über die Grenze laufen, Mäuse oder Rehe. In all diesen Tieren können wir das Virus nachweisen, sodass es fast unmöglich ist, so ein Virus einzudämmen. Es ist jedoch möglich, die vulnerable Gruppen schützen.

War die Null-Covid Strategie von Anfang an ein Fehler?

Sie hat ja vor Omikron gut funktioniert. Das Konzept hatte durchaus seinen Reiz. Also zu sagen, man macht das Land zu und muss sich dann keine Sorgen mehr machen vor den Infektionen. Doch nun zeigt sich, es ist unmöglich, zumal es keinen Impfstoff gibt, der wirklich vor Infektionen schützt. Ein Strategieumschwung ist allerdings nicht leicht. Das hat man in Hongkong gesehen. Nun sind Shanghai und China in einer schwierigen Lage gefangen, in der sie versuchen, erstmal wieder Herr der Infektion zu werden, in der aber gleichzeitig bei den Impfungen zu wenig gemacht wird. Diese wären aber eigentlich wichtiger.

In Peking ist man der derzeit in der Test-and-Trace-Phase. Ist das noch sinnvoll bei Omikron?

Das ist ein sehr altes Konzept zur Eindämmung von Infektionskrankheiten und funktioniert in der Regel auch recht gut. Das Problem dabei:  Die Antigen-Tests sind in den ersten Tagen der Infektion nicht wirksam. Die PCR-Tests wiederum haben einen enormen Zeitverzug. Auch weitere Studien werden in Zukunft sehr wahrscheinlich bestätigen, was wir schon wissen. Test and Trace ist kein wirkungsvolles Konzept bei so einem hoch ansteckenden Erreger, weil man einfach zu langsam ist damit.

Aber macht es nicht dennoch Sinn, die Infizierten zu identifizieren?

Generell hilft es schon in der Eindämmung, wenn man das erst einmal versucht. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass immer wieder punktuell Infektionen auftauchen werden, die man nicht nachvollziehen kann, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen. Allein damit kann man die Infektionen jedenfalls nicht dauerhaft unten halten.

Also hilft nichts anderes als Impfen?

Das ist das Wichtigste. Hinzu kommen spezielle Hygiene-Konzepte, vor allem Luft-Hygiene, Konzepte für Einrichtungen mit vulnerablen Gruppen. Großveranstaltungen sollte man natürlich im Moment erst mal nicht haben. Und was immer noch am besten funktioniert: Die Masken, die Infektionen reduzieren. Aber da sind die Chinesen ja vorbildlich. Wir haben aus Asien überhaupt erst gelernt, wie wirksam die Masken sind.

In Peking werden derzeit die Straßen desinfiziert. Macht das Sinn?

Das bringt nicht so viel. Das Virus hält sich nicht lange auf Oberflächen. Bei UV-Strahlung oder höheren Temperaturen noch schlechter.  

Was könne Sie den Menschen sagen, die nun schon über 30 Tage im Lockdown sitzen. Wie lange wird es noch dauern?

Das weiß ich auch nicht. Ich bin selbst auch ein wenig sprachlos, wie Sie vielleicht aus meinen Worten raushören. Man kann ihnen, glaube ich, nur Mut zusprechen. Ich hoffe einfach, dass sich die Lage bald von den Infektionszahlen her bessert, sich aber auch die politische Lage entspannen wird und man einen etwas pragmatischeren Umgang finden wird. Am Ende geht es um den politischen Willen, und den kann kein Virologe einschätzen.

Hendrik Streeck, Jahrgang 1977, ist Professor für Virologie an der Universität Bonn. Derzeit berät er auch die Bundesregierung im Corona-ExpertInnenrat. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei HIV.

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Analyse

Steht der Tech-Crackdown vor dem Ende?

Geht es um chinesische Tech-Aktien, liegen die Nerven von Investoren nach wie vor blank. Jedes Gerücht kann panische Kursstürze auslösen, wie erneut am vergangenen Dienstag deutlich wurde: Chinesische Staatsmedien berichteten, dass in der ostchinesischen Metropole Hangzhou der Manager einer IT-Firma, dessen Nachname Ma laute, festgenommen wurde. 

Sofort gingen Anleger vom Schlimmsten aus. Der Aktienkurs von Alibaba rauschte in den Keller, schließlich hat der größte Internethändler des Landes seinen Sitz in Hangzhou und wurde von Milliardär Jack Ma gegründet. Erst nachdem die örtliche Polizei klargestellt hatte, dass es sich bei dem Festgenommenen nicht um den Tech-Milliardär handelte, erholte sich der Alibaba-Kurs wieder. 

Der kurzzeitige Kurssturz um rund zehn Prozent zeigt, wie gewaltig das Vertrauen von Aktionären in den vergangenen eineinhalb Jahren des chinesischen Tech-Crackdowns beschädigt wurde. Verdenken kann man es ihnen nicht. Die harten Maßnahmen der Regierung  führten dazu, dass Unternehmen wie Alibaba, Tencent und Meituan, die vor zwei Jahren noch die großen Stars der chinesischen Internet-Wirtschaft waren, bis zu 70 Prozent an Wert verloren haben. 

Immer deutlicher lassen sich derzeit Anzeichen eines Umdenkens der Regierung erkennen. Bereits Mitte März sicherte der Pekinger Staatsrat in einer Erklärung zu, die Märkte stabil halten zu wollen. Die Regierung werde sicherstellen, dass jede Regulierung mit “erheblichen Auswirkungen auf die Kapitalmärkte” im Voraus mit den Finanzbehörden koordiniert werde, sagte der für die Wirtschaftspolitik verantwortliche Vizepremier Liu He. Der Staatsrats-Ausschuss für Finanzstabilität und Entwicklung versprach zudem in einer kurzen Erklärung, das Vorgehen gegen Big Tech “so schnell wie möglich” abzuschließen. 

Umgang mit Technikfirmen: Regierung deutet Entspannung an

Am vergangenen Freitag legte die Führung noch einmal nach. In einer weiteren Erklärung des Staatsrates hieß es, dass der Internetindustrie eine “gesunde Entwicklung” ermöglicht werden soll. Noch wichtiger: Wie die South China Morning Post und Reuters übereinstimmend berichteten, soll in den kommenden Tagen ein Treffen auf höchster Ebene stattfinden. Präsident Xi Jinping und andere politische Top-Führer wollen sich demnach mit den Bossen der Tech-Firmen zusammensetzen. 

Die Kernbotschaft an Technologieunternehmen werde sein, dass der Staat sie wachsen sehen möchte, schreibt die South China Morning Post unter Berufung auf einer mit dem Vorgang vertrauten Quelle. Auch sollen die Tech-Firmen eingebunden werden, um den durch die strengen Corona-Maßnahmen ausgelösten wirtschaftlichen Abschwung der zweitgrößten Volkswirtschaft zu bremsen. So könnten die Firmen etwa dabei helfen, über ihre Plattformen Konsumgutscheine an die Bevölkerung auszugeben. 

Dass Peking die zuvor gescholtenen Tech-Konzerne nun wieder ins Boot holen will, könnte laut Analysten dazu führen, dass auch die Aktien-Kurse der Firmen nach einer eineinhalbjährigen Talfahrt endlich einen Boden finden werden. Erste Investoren scheinen genau darauf zu wetten. Seit der chinesische Staatsrat Mitte März die ersten Entspannungszeichen sendete, hat der NASDAQ Golden Dragon China Index, der chinesische Tech-Werte abbildet, gegen den breiten Markttrend um 26 Prozent zugelegt. Dennoch dürften viele Anleger auf hohen Verlusten sitzen. Gerechnet von seinem Höchststand im Februar  2021 liegt der Dragon-Index noch immer mehr als 60 Prozent im Minus. 

Chinas Tech-Werte sind Risiken in den USA ausgesetzt

Selbst, wenn Peking seinen Kurs gegenüber den Tech-Riesen nun ändern sollte: Sämtliche Risiken können mit Sicherheit nicht über Nacht ausgeräumt werden. Mit Problemen kämpfen Alibaba und Co. schließlich nach wie vor, auch in den USA. Schon länger fordert die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC von den rund 280 in den USA gelisteten Unternehmen aus China, sich vollständig an US-Bilanzierungsvorschriften zu halten.

Die SEC will bei den chinesischen Firmen die gleichen umfänglichen Durchgriffsrechte durchsetzen wie bei US-Unternehmen. Bisher gelingt das aber in vielen Fällen nicht, weshalb die Behörde gedroht hat, dass chinesische Firmen im schlimmsten Fall von US-Börsen ausgeschlossen werden könnten

Zwar gehen wenige Beobachter so weit wie die US-Investmentbank JPMorgan, die Chinas Tech-Branche im März als “nicht investierbar” bezeichnete. Dennoch werden sich Anleger weiterhin auf heftige Kursschwankungen einstellen müssen. Jörn Petring/Gregor Koppenburg 

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News

John Lee neuer Regierungschef von Hongkong

John Lee wird neuer Regierungschef von Hongkong. Am Sonntag stimmten 1.416 Mitglieder des Peking-nahen Wahlausschusses für den 64-Jährigen, acht unterstützten ihn nicht. Es gab keinen Gegenkandidaten. Seine Vorgängerin Carrie Lam war nicht wieder angetreten. Die EU kritisierte die Wahl. Sie habe gegen die “demokratischen Grundsätze und den politischen Pluralismus” verstoßen.

Die fünfjährige Amtszeit von Lees Vorgängerin endet am 30. Juni. In Carrie Lams Regierungszeit fallen die Corona-Pandemie und monatelange pro-demokratischen Kundgebungen. Die teils gewaltsamen Proteste führten dazu, dass die Zentralregierung ein umfassendes Sicherheitsgesetz erließ, das ihr weitreichende Befugnisse einräumt. Lee war während der Proteste gegen die Regierung 2019 und des massiven Vorgehens gegen die Demokratiebewegung Sicherheitschef in der Millionenmetropole (China.Table berichtete). Die USA verhängten 2020 gegen Lee wie auch gegen Lam Sanktionen wegen der Beteiligung “an der Nötigung, Verhaftung, Festnahme oder Inhaftierung von Personen” im Rahmen des Sicherheitsgesetzes.

Bei der Bekanntgabe seiner Kandidatur Anfang April hatte Lee angekündigt, ein neues Kapitel für die Finanzmetropole aufschlagen zu wollen. Priorität habe die Loyalität Hongkongs gegenüber der chinesischen Zentralregierung in Peking. Auch Lösungen für die chronische Wohnungsnot stehen ganz oben auf der Agenda. rtr/nib

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Impfstoff-Exporte brechen ein

Chinas Impfstoffhersteller haben im April 97 Prozent weniger Coronavirus-Impfstoffe exportiert als noch zu Höchstzeiten im September 2021. Im vergangenen Monat wurden laut Unicef nur noch 6,8 Millionen Impfstoff-Dosen exportiert, berichtet Nikkei Asia. Ursache ist die geringere Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe gegen die Omikron-Variante.

Das ist ein herber Rückschlag für die Impfstoff-Diplomatie der Volksrepublik. Zum Vergleich: Im April wurden demnach fast 56 Millionen Dosen des von Biontech und Pfizer entwickelten Impfstoff exportiert. Das bedeutet zwar auch einen Rückgang von 71 Prozent gegenüber September 2021. Dennoch wurden noch mehr als achtmal mehr Biontech-Impfdosen exportiert als chinesische.

Die chinesischen Impfstoffe werden demnach kaum noch für die Dritt-Impfung in Partnerländern benutzt. In großen Staaten wie Pakistan, Indonesien oder Bangladesch ging die Nutzung chinesischer Impfstoffe für die Booster-Impfung um jeweils mehr als 90 Prozent zurück. Brasilien und Indonesien haben die im letzten Jahr ausgelaufenen Verträge für chinesische Impfstoffe nicht verlängert. nib

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Insider: Shanghai verschärft Corona-Beschränkungen

Die chinesische Millionenmetropole Shanghai verschärft Insidern zufolge ihre bereits strengen Coronavirus-Beschränkungen. So wolle sie den Virusausbruch bis Ende des Monats in den Griff bekommen, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Auch wenn die Neuansteckungen zuletzt gesunken seien, sollten die Restriktionen bis Ende Mai in Kraft bleiben, um einen erneuten Ausbruch zu verhindern.

Die Personen sagten, dass die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit bis zum Ende des Monats aufrechterhalten werden, da ein Wiederanstieg der Fallzahlen befürchtet wird. In einigen Bezirken haben die Behörden die Menschen in ihre Wohnungen zurückbeordert, nachdem sie zwischenzeitlich für kurze Spaziergänge oder schnelle Einkäufe ihre Wohnungen verlassen durften.

Die lange Isolation und die Angst vor der Einweisung in Quarantäne-Zentren, in denen es manchmal an Duschen und anderen grundlegenden Bedingungen fehlt, haben unter der Shanghaier Bevölkerung zu einer weit verbreiteten Frustration und sogar zu Auseinandersetzungen geführt. rtr/nib

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Adidas erwartet sinkenden Absatz

Nach einem Gewinneinbruch zu Jahresbeginn schraubt der weltweit zweitgrößte Sportartikelkonzern Adidas die Erwartungen für 2022 zurück. Grund für den schwindenden Optimismus ist das abflauende Geschäft auf dem einstigen Wachstumsmarkt China, das unter Boykottaufrufen gegen westliche Marken und den neuerlichen Coronavirus-Lockdowns in großen Städten leidet. Dort brach der Umsatz in den ersten drei Monaten um 35 Prozent ein, wie Adidas am Freitag in Herzogenaurach mitteilte.

In China erwirtschaftet Adidas traditionell die höchsten Renditen. Dort werde der Umsatz 2022 aber stark sinken. Adidas leidet zudem wegen der langen Lieferzeiten auch noch unter den Nachwirkungen des monatelangen coronabedingten Produktions-Stillstands in Süd-Vietnam. Dort stehen einige der wichtigsten Fabriken für Schuhe und Bekleidung. rtr/fin

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Asienspiele in Hangzhou verschoben


Angesichts der steigenden Coronavirus-Infektionszahlen hat der Veranstalter die Asienspiele in China vorerst abgesagt. “Der Olympische Rat in Asien hat angekündigt, dass die 19. Asienspiele, die ursprünglich vom 10. bis 25. September 2022 in Hangzhou stattfinden sollten, verschoben werden”, hieß es in einer Erklärung des Rats. Ein Grund für die Verschiebung wurde in der offiziellen Mitteilung nicht genannt. Auch ein neues Datum stand zunächst nicht fest.

Für die Spiele wurden in Hangzhou Dutzende Wettkampfstätten errichtet. Bis vor Kurzem wollten die Organisatoren die Spiele nach demselben Konzept wie die Olympischen Winterspiele in Peking mit einer geschlossenen Blase (Closed Loop) abhalten.

Die Asiatischen Jugendspiele, die für Dezember in Shantou geplant waren, wurden ganz abgesagt. Diese waren bereits 2021 verschoben worden. Die nächsten Jugendspiele finden deshalb 2025 in Usbekistan statt, wie es in der Mitteilung hieß. ari

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  • Sport

Behörden rangieren Windows-PCs aus

Die chinesische Regierung will sich von ausländischen Computerfabrikaten trennen. Die Verwaltung auf allen Ebenen soll PCs nicht-chinesischer Marken dafür binnen zwei Jahren durch chinesische Alternativen ersetzen. Diese Regelung gelte auch für Staatsbetriebe, berichtet Bloomberg. Die staatlichen Stellen müssen dazu rund 50 Millionen Rechner ausrangieren.

Hintergründe sind das Streben nach höherer Datensicherheit und nach technischer Autarkie. Die Anweisung besagt nämlich auch, dass auf den neuen PCs nur einheimische Betriebssysteme laufen dürfen – also nicht Windows vom US-Anbieter Microsoft. China will laut Bloomberg zudem die Abhängigkeit von Produkten westlicher Rivalen verringern. fin

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Presseschau

Peking-treuer Hardliner neuer Regierungschef in Hongkong T-ONLINE
China verbannt ausländische PCs und Windows aus Behörden und Staatsbetrieben HEISE
Chinas Haltung zum Ukraine-Krieg: Moskau und Peking eint ein gemeinsames Feindbild DEUTSCHLANDFUNK KULTUR
SPD will ihre Außenpolitik neu ausrichten: Weniger Russland, weniger China N-TV
Kampf gegen Covid: China setzt auf noch schärfere Coronabeschränkungen SPIEGEL
China und Null-Covid-Strategie: Peking droht Kritikern FAZ
26 Millionen Menschen isoliert: Wieler und Ciesek haben kein Verständnis für Null-Covid in China RND
EU-Anti-Fake-News-Agentur startet Entlarvung auf Chinesisch EURONEWS
China Remains an Outlier in a World of Surging Inflation WSJ
Ukraine, China, Trade Set to Dominate US-ASEAN Summit Agenda VOA NEWS
Trump’s trade war looms over soybean farmers 4 years later CNN
China tells US it will not be scared off by sanctions over Taiwan YAHOO
Taiwan says hopes world would sanction China if it invades REUTERS
Australian officials raise ‘serious concerns’ with China about Solomon Islands deal ABC
53 Tote nach Hauseinsturz in China – Polizei nimmt mehrere Personen fest FRANKFURTER RUNDSCHAU

Standpunkt

USA und China: Positiver strategischer Wettbewerb

von Michael Spence
Michael Spence schreibt über die Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit China.
Michael Spence, Wirtschaftsnobelpreisträger und Senior Fellow der Denkfabrik Hoover Institution

Mittlerweile ist weithin anerkannt, dass die wirtschaftlichen und technologischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China von einer Kombination aus strategischer Zusammenarbeit und strategischem Wettbewerb geprägt sein werden. Strategische Zusammenarbeit wird in der Regel begrüßt, denn die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen – vom Klimawandel über Pandemien bis hin zur Regulierung im Bereich der Spitzentechnologien – erfordert das Engagement der beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Strategischer Wettbewerb wird jedoch tendenziell als beunruhigende, ja sogar bedrohliche Aussicht betrachtet. Das muss nicht sein.

Die Befürchtungen hinsichtlich des amerikanisch-chinesischen Wettbewerbs, insbesondere im technologischen Bereich, sind Ausdruck einer Überzeugung auf beiden Seiten, dass ein auf nationaler Sicherheit basierender, weitgehender Nullsummen-Ansatz unvermeidlich ist. Diese Annahme steuert die Entscheidungsfindung in eine unkonstruktive, konfrontative Richtung und erhöht die Wahrscheinlichkeit politischer Fehler.

In Wirklichkeit bestehen positive und negative Formen des strategischen Wettbewerbs. Um die Vorzüge des positiven Wettbewerbs – und deren Nutzung – zu verstehen, müssen wir einen Blick darauf werfen, wie Wettbewerb die Innovation in den Volkswirtschaften vorantreibt.

In fortgeschrittenen Volkswirtschaften und Ökonomien mit hohem mittleren Einkommen sind Produkt- und Prozessinnovationen der Motor für Produktivitätssteigerungen – ein entscheidender Faktor für langfristiges BIP-Wachstum. Der öffentliche Sektor spielt durch Investitionen in Humankapital und vorgelagerte wissenschaftliche und technologische Forschung eine Schlüsselrolle bei der Förderung dieser Innovation. Anschließend übernimmt der private Sektor in einem dynamischen Wettbewerbsprozess – von Joseph Schumpeter bekanntermaßen als “schöpferische Zerstörung” bezeichnet.

Schumpeters Schöpferische Zerstörung

Gemäß der Schumpeter’schen Dynamik erlangen die Unternehmen, die erfolgreiche Innovationen hervorgebracht haben, eine gewisse vorübergehende Marktmacht, die eine Kapitalrendite abwirft. Aber in dem Maße, in dem andere weiter Innovationen hervorbringen, schmälern sie die Vorteile des ursprünglichen Innovators. So wiederholt sich der Kreislauf von Wettbewerb und technologischem Fortschritt.

Dieser Prozess reguliert sich jedoch nicht von selbst, und es besteht die Gefahr, dass die ursprünglichen Innovatoren ihre Marktmacht nutzen, um andere daran zu hindern, sie herauszufordern. Die Innovatoren der ersten Stunde können beispielsweise den Zugang zu Märkten verweigern oder erschweren oder potenzielle Wettbewerber aufkaufen, bevor diese zu groß werden. In manchen Fällen werden wettbewerbsfeindliche, etablierte Unternehmen durch Regierungen mittels Subventionen unterstützt.

Um den Wettbewerb – mit all seinen weitreichenden Vorteilen für Innovation und Wachstum – zu erhalten, müssen die Regierungen eine Reihe von Regeln aufstellen, die wettbewerbswidriges Verhalten verbieten oder die Unternehmen abhalten, so zu agieren. Eingebettet sind diese Regeln in die Kartell- oder Wettbewerbspolitik und in Systeme, die die Grenzen der Rechte am geistigen Eigentum festlegen.

Die USA und China sind führend bei der Weiterentwicklung zahlreicher Technologien, die in der Lage sind, das globale Wachstum anzukurbeln. In welchem Ausmaß sich die beiden Länder engagieren, hängt jedoch vor allem von den Zielen ab, die sie verfolgen.

Wie bei den führenden innovativen Unternehmen einer Volkswirtschaft könnte das primäre Ziel in technologischer Vorherrschaft bestehen, also der Schaffung und Aufrechterhaltung eines klaren und dauerhaften technologischen Vorsprungs. Um das zu erreichen, würde ein Staat versuchen, einerseits die Innovation im Land zu beschleunigen und andererseits den größten Konkurrenten zu behindern, indem man ihm beispielsweise den Zugang zu Informationen, Humankapital, anderen wichtigen Vorleistungen oder externen Märkten verwehrt.

Dieses Szenario stellt ein Beispiel für schlechten strategischen Wettbewerb dar. In beiden Ländern – und tatsächlich in der gesamten Weltwirtschaft – wird so der technologische Fortschritt geschwächt, nicht zuletzt durch die größenmäßige Begrenzung des gesamten zugänglichen Marktes. Angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer langfristigen technologischen Vorherrschaft könnten Länder ein stärker praxisorientiertes und potenziell vorteilhafteres Ziel anpeilen. Für die USA besteht es darin, nicht ins Hintertreffen zu geraten; für China, den Aufholprozess in Bereichen abzuschließen, wo man derzeit hinterherhinkt. In diesem Szenario konkurrieren sowohl China als auch die USA, indem sie massiv in die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen ihrer Volkswirtschaften investieren.

Diversifizierung an sich ist dabei keine wettbewerbsfeindliche Politik. Chinas Strategien Made in China 2025 sowie die Initiative des dualen Kreislaufs sehen vor, die technologische Leistungsfähigkeit Chinas zu stärken und gleichzeitig die Abhängigkeit von ausländischen Technologien, Vorleistungen und sogar der Nachfrage zu verringern. Auch das amerikanische Gesetz zur Investition in Innovation durch Forschung und Entwicklung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (der America Competes Act) aus dem Jahr 2022 zielt darauf ab, die wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten des Landes zu verbessern und – nicht zuletzt durch die Verringerung der Abhängigkeit von Importen aus China – seine Lieferketten zu stärken. Obwohl die Gesetzesvorlage noch nicht in ihrer endgültigen Form vorliegt, können die darin enthaltenen Bestimmungen weitgehend mit gutem strategischen Wettbewerb in Einklang gebracht werden.

Guter Wettbewerb in nationaler Sicherheit und Militär sind unmöglich

Der einzige Bereich, in dem guter Wettbewerb unmöglich ist, ist die nationale Sicherheit. Obwohl in Konflikten viele Technologien zum Einsatz kommen können, gilt es, maßgebliche und hauptsächlich für militärische und sicherheitspolitische Zwecke verwendete Technologien von dem ansonsten relativ offenen globalen Technologiewettbewerb abzugrenzen.

Derzeit besteht die Gefahr darin, dass zu viele Technologien als relevant für die nationale Sicherheit eingestuft werden und somit Nullsummenregeln unterliegen. Dieser Ansatz hätte die gleichen Auswirkungen wie das fehlgeleitete Streben nach technologischer Vorherrschaft sowie deren Aufrechterhaltung und würde die wirtschaftlichen Vorteile des Wettbewerbs untergraben.

Idealerweise sollten die Länder anstreben, eine Führungsposition im Bereich Innovation zu erreichen oder sie zu verteidigen, ohne den Versuch zu unternehmen, andere daran zu hindern, sie herauszufordern. Angesichts des beträchtlichen weltwirtschaftlichen Gegenwinds – darunter Bevölkerungsalterung, hohe Staatsverschuldung, zunehmende geopolitische Spannungen und Konflikte sowie angebotsseitige Störungen – und der steigenden Investitionen zur Bewältigung der Herausforderungen in den Bereichen Umwelt und Chancengleichheit benötigt die Welt mehr denn je eine positive Form des strategischen Wettbewerbs.

Michael Spence ist Wirtschaftsnobelpreisträger, Professor Emeritus der Stanford University und Senior Fellow an der Hoover Institution. Übersetzung: Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2022.
www.project-syndicate.org

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Personalien

Daniel Weninger ist seit Anfang April Chief of Sales and Service Officer beim österreichischen Maschinenhersteller Nexus Elastomer Systems in Suzhou, Jiangsu. Weninger war zuvor beim österreichischen Maschinenhersteller Engel in Minhang tätig.

Sascha Rensen ist neuer Global Business Development Manager beim Verpackungshersteller Nefab in Wuxi. Bis Ende März war Rensen Deputy General Manager bei Kaiser Construction.

Benjamin Bland tritt in dieser Woche die Stelle als Direktor des Asien-Pazifik-Programms des britischen Thintanks Chatham House an. Bland war bisher bei der australischen Denkfabrik Lowy Institute tätig.

Zur Sprache

“Menschenfleischsuche”

Menschenfleischsuche ist das Aufspüren von Informationen oder Identitäten.
人肉 – rénròu – “Menschenfleischsuche”

Wenn Ihnen chinesische Bekannte erzählen, Chinas Internetnutzer seien mal wieder erfolgreich auf Menschenfleischjagd (人肉搜索 rénròu sōusuǒ) gegangen, bitte erst einmal tief Luft holen. Nein, es geht nicht um Kannibalismus im Cyberspace. Auch wenn Ihr Wörterbuch den schrecklichen Anfangsverdacht zunächst erhärten mag. Denn ganz wörtlich bedeutet 人肉搜索 (rénròu sōusuǒ) tatsächlich “Menschenfleisch-Suche” (von 人肉 rénròu “Menschenfleisch” und 搜索 sōusuǒ “Suche” wie zum Beispiel in 网络搜索 wǎngluò sōusuǒ “Internetsuche” oder  搜索引擎 sōusuǒ yǐnqíng “Suchmaschine”).

Gemeint ist aber schlicht das akribische Aufstöbern von Informationen und Identitäten per Menschenhand beziehungsweise über menschliche Kontakte. Im Gegensatz zur maschinellen Suche (机器搜索 jīqì sōusuǒ) wird hier auf die Kraft der flinken Hände der menschlichen Masse gesetzt, es geht also um das Crowdsourcing von Informationen.

Bei der Recherchearbeit geht die Netzgemeinde oft alles andere als zimperlich vor. In einer Art Selbstjustiz wurde schon der eine oder andere Promi oder Normalsterbliche informationsmäßig “erlegt”. Vielleicht hat sich deshalb die Kurzform des Begriffs durchgesetzt. Umgangssprachlich ist meist nämlich nur noch davon die Rede, jemanden zu “menschenfleischeln” (Beispiel: 我人肉他了 Wǒ rénròu tā le “Ich hab ihn gemenschenfleischelt” – gemeint ist: “Ich habe ihn im Netz aufgespürt.”).

Und das digitale Zielrohr wird mittlerweile immer häufiger ausgepackt. Vornehmlich dann, wenn Videos von vermeintlichem Fehlverhalten oder Screenshots von empörenden Posts viral gehen. Einmal ins digitale Wespennest gestochen, schwärmt sogleich eine aufgebrachte und informationshungrige Armada emsiger Recherchebienen aus, um die Buhmänner bzw. Buhfrauen digital dingfest zu machen. Über Internet-Suchmaschinen, Social-Media-Spuren und sogar Leaks im Bekanntenkreis der Anvisierten werden so die Identität, pikante Details und alle möglichen Hintergrundinformationen über die Betroffenen ausgegraben sowie im Netz geteilt und diskutiert. Privatsphäre adé, Gesicht dahin.

Auch in China ist diese Form der digitalen Selbstjustiz natürlich sehr umstritten. Zwar dient sie einerseits nicht selten als eine Art basisdemokratisches Toolkit, über das Missstände aufgedeckt und anprangert werden und bewirkt daher manchmal positive Veränderungen. Andererseits artet die Onlinetreibjagd aber oft auch einfach in Häme, Hetze und Hatespeach aus, sodass am Ende keinem geholfen ist.

Eingefleischte Vegetarier müssen beim Chinesischlernen übrigens ohnehin sehr stark sein. Denn nicht selten taucht an unerwarteter Stelle die eine oder andere fleischige Vokabel auf. So werden Unruhestifter, Querulanten und Störenfriede von Nordchinesen gerne auch mal als 滚刀肉 gǔndāoròu bezeichnet (wörtlich “Messerrollfleisch” – eigentlich ein Wort für zähes, minderwertiges Fleisch, das sich nur schwer schneiden und verarbeiten lässt).

“Junges Frischfleisch” (小鲜肉 xiǎoxiānròu) zergeht dagegen butterweich auf der Zunge. Es ist das chinesische Trendwort für knackige männliche Newcomer (zum Beispiel in Boybands oder Seifenopern). Bei Serien und Filmen aus dem Ausland bekommt man in China unter der Hand manchmal sogar “rohes Fleisch” (生肉 shēngròu) serviert. So nämlich heißen umgangssprachlich Originalproduktionen ohne chinesische Untertitel (die durch Übersetzung vorgekaute Variante nennt man entsprechend 熟肉 shóuròu “gares Fleisch”).

Und wer selbst bei so vielen verrückten Vokabeln völlig behäbig, träge und teilnahmslos bleibt, dem attestieren die Chinesen ein “fleischiges Temperament” (肉脾气 ròu píqi). Denn 肉 ròu ist in der Umgangssprache auch einfach ein Synonym für das Adjektiv “lethargisch”. Da macht das Chinesische seinem Wortklassenroulette mal wieder alle Ehre.

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

  • Gesellschaft

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
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    • Anzeichen für ein Ende des Tech-Crackdowns
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    • Lockdown in Shanghai bleibt bestehen
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    • Asien-Spiele wegen Corona abgesagt
    • Verwaltung schmeißt Windows-PCs raus
    • Standpunkte von Michael Spence zum “positiven Wettbewerb” USA-China
    • Zur Sprache: “Menschenfleischsuche”
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    gibt es Alternativen zum harten Lockdown? Der Virologe Hendrik Streeck bejaht diese Frage nicht nur. Im Interview mit Frank Sieren ist er sogar skeptisch, ob sich die Omikron-Variante überhaupt durch Tests und Ausgangssperren langfristig eindämmen lässt. Dafür ist das Virus zu ansteckend.

    Streeck teilt stattdessen mit uns eine überraschende Erkenntnis: Der chinesische Impfstoff wirkt nach der dritten Dosis gar nicht so schlecht gegen Omikron. Überraschend ist diese Feststellung aus zwei Gründen. Einerseits, weil sie dem Narrativ vom unwirksamen China-Vakzin widerspricht. Andererseits, weil sie es umso rätselhafter erscheinen lässt, warum China nicht auf Teufel komm raus weiterimpft. Streecks Schlussfolgerung leuchtet umso mehr ein: “China muss die Impfkampagne bei den älteren Menschen vorantreiben.” Das ist der Weg aus der Lockdown-Falle.

    Die harte Regulierung der Internetfirmen, in der China-Szene auch bekannt als “Tech-Crackdown”, könnte schon bald abebben. Unser Team in Peking sieht jedenfalls deutliche Anzeichen für einen Politikwechsel. Peking hat den Technik-Milliardären klargemacht, wer die Macht im Land hat – die Partei, nicht die Herren über die Algorithmen – und kann nun wieder mehr Wachstum des Sektors zulassen.

    Wir möchten Sie auch auf zwei unserer Veranstaltungen in dieser Woche hinweisen.

    • Mit den Wissenschaftlern Stefan Schmalz und Philipp Köncke von der Universität Erfurt diskutieren wir am 11. Mai über Chinas Impfdiplomatie und den Zugang der Dritten Welt zu Vakzinen.
    • Klaus Mühlhahn von der Zeppelin-Universität und Julia Haes stellen am 12. Mai ihr neues Buch vor: “Hongkong: Umkämpfte Metropole – von 1841 bis heute”.

    Einen guten Start in die Woche wünscht

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Interview

    Hendrik Streeck: “Statt Lockdown die Alten boostern”

    Virologe Hendrik Streeck
    Virologe Hendrik Streeck

    Professor Streeck, was macht die chinesische Regierung in Bezug auf Omikron falsch?

    Wir versuchen, die Lage in China von hier aus sehr genau zu beobachten, soweit das möglich ist. Einerseits können wir daraus viel lernen. Zum anderen würde man angesichts der bedrückenden Bilder, die man sieht, gerne helfen. China hat einerseits das Problem, dass die Impfquote mit einem Impfstoff, der im Grunde gut wirkt, gerade bei älteren Menschen noch nicht hoch genug ist…

    …Sie sprechen über den chinesischen Impfstoff von Sinovac…

    …ja. Er wirkt allerdings erst gut, wenn eine dritte Impfung gegeben wurde. Andererseits bin ich, was die Reaktion auf die fehlenden Impfungen betrifft, also diesen Lockdown, diese wirklich schweren Einschnitte, sehr, sehr skeptisch.

    Warum?

    Wenn Menschen gezwungen sind, sich in Innenräumen aufhalten, ist es nicht ausgeschlossen, dass das Virus schon im Raum ist – auch, wenn sie vorher PCR negativ getestet wurden. Wenn sie dann in Innenräumen zu mehreren beieinander sitzen, dämmt man die Pandemie nicht ein. Es passiert das Gegenteil: Man erzeugt einen noch größeren Ausbruch.  

    Was wäre die Alternative? Chinas Gesundheitssystem ist viel schwächer aufgestellt als das deutsche. In Deutschland haben wir etwa 36 Betten pro 100.000 Einwohner, in China nur 3,5. Eine Öffnung bei so vielen unzureichend geimpften Alten hält das Gesundheitssystem nicht aus.

    China muss die Impfkampagne bei den älteren Menschen vorantreiben. Zwar ist die Impfung nicht perfekt; das Virus kann nicht über die Impfung eingedämmt werden. Sicher ist aber inzwischen: Durch die Booster-Impfung lassen sich schwere Verläufe gut vermeiden. Das klappt nicht immer, das muss man einräumen. Aber zum aller-allergrößten Teil können dadurch schwere Verläufe und so auch eine Überbelastung des Gesundheitssystems vermieden werden. Mein Rat wäre also – und das ist wahrscheinlich auch der Rat der WHO für China – nun vor allem an einer Impfkampagne zu arbeiten.

    Es ist ja inzwischen erwiesen, dass der chinesische Impfstoff deutlich schwächer wirkt als beispielsweise der von Biontech. Wäre es für die chinesische Regierung nicht sinnvoll, nun in den sauren Apfel zu beißen und endlich einen westlichen Impfstoff zu verwenden?

    Ja und nein. Der Sinovac-Impfstoff ist zum Beispiel gar nicht so schlecht. Er bleibt zwar in der Wirksamkeit hinter dem Biontech/Pfizer-Impfstoff zurück. Aber eine kürzlich veröffentlichte Studie hat deutlich gezeigt: Wenn man eine dritte Impfung durchführt, ist die Wirksamkeit von Sinovac und Biontech gleich, was den Schutz vor einem schweren Verlauf der Infektion betrifft. Und vor allem darum geht es nun in China.  

    Es gibt ja Bestrebungen auch einen eigenen mRNA-Impfstoff in China zu produzieren und zu entwickeln.

    Auch die haben Nachteile. Ich würde mich in dieser akuten Situation darauf konzentrieren, das, was da ist zu nehmen und vor allem die dritte Impfung nach vorne zu bringen.

    Es geht bei den Alten um weit über 100 Millionen Menschen. Das dauert selbst in China länger. Ist der Wettlauf mit der Zeit nicht schon verloren?

    Ich weiß nicht, wie groß die Vorräte von Sinovac sind. Aber weltweit jedenfalls mangelt es derzeit nicht an Impfstoff. Alleine in Deutschland verfallen, glaube ich, zwei Millionen Impfdosen bis zum Sommer. Das geht vielen Ländern so. In Lateinamerika zum Beispiel wird man die Impfstoffe auch nicht mehr los. China könnte sich von diesen Ländern helfen lassen. Das ist allerdings der politische saure Apfel, von dem Sie vorhin gesprochen haben. In den sollten sie nun jedoch beißen. Es geht nicht anders. Die Null-Covid-Strategie kann China nicht durchhalten. Selbst, wenn es gelänge, die Reisen nach China komplett einzuschränken, können Katzen über die Grenze laufen, Mäuse oder Rehe. In all diesen Tieren können wir das Virus nachweisen, sodass es fast unmöglich ist, so ein Virus einzudämmen. Es ist jedoch möglich, die vulnerable Gruppen schützen.

    War die Null-Covid Strategie von Anfang an ein Fehler?

    Sie hat ja vor Omikron gut funktioniert. Das Konzept hatte durchaus seinen Reiz. Also zu sagen, man macht das Land zu und muss sich dann keine Sorgen mehr machen vor den Infektionen. Doch nun zeigt sich, es ist unmöglich, zumal es keinen Impfstoff gibt, der wirklich vor Infektionen schützt. Ein Strategieumschwung ist allerdings nicht leicht. Das hat man in Hongkong gesehen. Nun sind Shanghai und China in einer schwierigen Lage gefangen, in der sie versuchen, erstmal wieder Herr der Infektion zu werden, in der aber gleichzeitig bei den Impfungen zu wenig gemacht wird. Diese wären aber eigentlich wichtiger.

    In Peking ist man der derzeit in der Test-and-Trace-Phase. Ist das noch sinnvoll bei Omikron?

    Das ist ein sehr altes Konzept zur Eindämmung von Infektionskrankheiten und funktioniert in der Regel auch recht gut. Das Problem dabei:  Die Antigen-Tests sind in den ersten Tagen der Infektion nicht wirksam. Die PCR-Tests wiederum haben einen enormen Zeitverzug. Auch weitere Studien werden in Zukunft sehr wahrscheinlich bestätigen, was wir schon wissen. Test and Trace ist kein wirkungsvolles Konzept bei so einem hoch ansteckenden Erreger, weil man einfach zu langsam ist damit.

    Aber macht es nicht dennoch Sinn, die Infizierten zu identifizieren?

    Generell hilft es schon in der Eindämmung, wenn man das erst einmal versucht. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass immer wieder punktuell Infektionen auftauchen werden, die man nicht nachvollziehen kann, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen. Allein damit kann man die Infektionen jedenfalls nicht dauerhaft unten halten.

    Also hilft nichts anderes als Impfen?

    Das ist das Wichtigste. Hinzu kommen spezielle Hygiene-Konzepte, vor allem Luft-Hygiene, Konzepte für Einrichtungen mit vulnerablen Gruppen. Großveranstaltungen sollte man natürlich im Moment erst mal nicht haben. Und was immer noch am besten funktioniert: Die Masken, die Infektionen reduzieren. Aber da sind die Chinesen ja vorbildlich. Wir haben aus Asien überhaupt erst gelernt, wie wirksam die Masken sind.

    In Peking werden derzeit die Straßen desinfiziert. Macht das Sinn?

    Das bringt nicht so viel. Das Virus hält sich nicht lange auf Oberflächen. Bei UV-Strahlung oder höheren Temperaturen noch schlechter.  

    Was könne Sie den Menschen sagen, die nun schon über 30 Tage im Lockdown sitzen. Wie lange wird es noch dauern?

    Das weiß ich auch nicht. Ich bin selbst auch ein wenig sprachlos, wie Sie vielleicht aus meinen Worten raushören. Man kann ihnen, glaube ich, nur Mut zusprechen. Ich hoffe einfach, dass sich die Lage bald von den Infektionszahlen her bessert, sich aber auch die politische Lage entspannen wird und man einen etwas pragmatischeren Umgang finden wird. Am Ende geht es um den politischen Willen, und den kann kein Virologe einschätzen.

    Hendrik Streeck, Jahrgang 1977, ist Professor für Virologie an der Universität Bonn. Derzeit berät er auch die Bundesregierung im Corona-ExpertInnenrat. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei HIV.

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    Analyse

    Steht der Tech-Crackdown vor dem Ende?

    Geht es um chinesische Tech-Aktien, liegen die Nerven von Investoren nach wie vor blank. Jedes Gerücht kann panische Kursstürze auslösen, wie erneut am vergangenen Dienstag deutlich wurde: Chinesische Staatsmedien berichteten, dass in der ostchinesischen Metropole Hangzhou der Manager einer IT-Firma, dessen Nachname Ma laute, festgenommen wurde. 

    Sofort gingen Anleger vom Schlimmsten aus. Der Aktienkurs von Alibaba rauschte in den Keller, schließlich hat der größte Internethändler des Landes seinen Sitz in Hangzhou und wurde von Milliardär Jack Ma gegründet. Erst nachdem die örtliche Polizei klargestellt hatte, dass es sich bei dem Festgenommenen nicht um den Tech-Milliardär handelte, erholte sich der Alibaba-Kurs wieder. 

    Der kurzzeitige Kurssturz um rund zehn Prozent zeigt, wie gewaltig das Vertrauen von Aktionären in den vergangenen eineinhalb Jahren des chinesischen Tech-Crackdowns beschädigt wurde. Verdenken kann man es ihnen nicht. Die harten Maßnahmen der Regierung  führten dazu, dass Unternehmen wie Alibaba, Tencent und Meituan, die vor zwei Jahren noch die großen Stars der chinesischen Internet-Wirtschaft waren, bis zu 70 Prozent an Wert verloren haben. 

    Immer deutlicher lassen sich derzeit Anzeichen eines Umdenkens der Regierung erkennen. Bereits Mitte März sicherte der Pekinger Staatsrat in einer Erklärung zu, die Märkte stabil halten zu wollen. Die Regierung werde sicherstellen, dass jede Regulierung mit “erheblichen Auswirkungen auf die Kapitalmärkte” im Voraus mit den Finanzbehörden koordiniert werde, sagte der für die Wirtschaftspolitik verantwortliche Vizepremier Liu He. Der Staatsrats-Ausschuss für Finanzstabilität und Entwicklung versprach zudem in einer kurzen Erklärung, das Vorgehen gegen Big Tech “so schnell wie möglich” abzuschließen. 

    Umgang mit Technikfirmen: Regierung deutet Entspannung an

    Am vergangenen Freitag legte die Führung noch einmal nach. In einer weiteren Erklärung des Staatsrates hieß es, dass der Internetindustrie eine “gesunde Entwicklung” ermöglicht werden soll. Noch wichtiger: Wie die South China Morning Post und Reuters übereinstimmend berichteten, soll in den kommenden Tagen ein Treffen auf höchster Ebene stattfinden. Präsident Xi Jinping und andere politische Top-Führer wollen sich demnach mit den Bossen der Tech-Firmen zusammensetzen. 

    Die Kernbotschaft an Technologieunternehmen werde sein, dass der Staat sie wachsen sehen möchte, schreibt die South China Morning Post unter Berufung auf einer mit dem Vorgang vertrauten Quelle. Auch sollen die Tech-Firmen eingebunden werden, um den durch die strengen Corona-Maßnahmen ausgelösten wirtschaftlichen Abschwung der zweitgrößten Volkswirtschaft zu bremsen. So könnten die Firmen etwa dabei helfen, über ihre Plattformen Konsumgutscheine an die Bevölkerung auszugeben. 

    Dass Peking die zuvor gescholtenen Tech-Konzerne nun wieder ins Boot holen will, könnte laut Analysten dazu führen, dass auch die Aktien-Kurse der Firmen nach einer eineinhalbjährigen Talfahrt endlich einen Boden finden werden. Erste Investoren scheinen genau darauf zu wetten. Seit der chinesische Staatsrat Mitte März die ersten Entspannungszeichen sendete, hat der NASDAQ Golden Dragon China Index, der chinesische Tech-Werte abbildet, gegen den breiten Markttrend um 26 Prozent zugelegt. Dennoch dürften viele Anleger auf hohen Verlusten sitzen. Gerechnet von seinem Höchststand im Februar  2021 liegt der Dragon-Index noch immer mehr als 60 Prozent im Minus. 

    Chinas Tech-Werte sind Risiken in den USA ausgesetzt

    Selbst, wenn Peking seinen Kurs gegenüber den Tech-Riesen nun ändern sollte: Sämtliche Risiken können mit Sicherheit nicht über Nacht ausgeräumt werden. Mit Problemen kämpfen Alibaba und Co. schließlich nach wie vor, auch in den USA. Schon länger fordert die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC von den rund 280 in den USA gelisteten Unternehmen aus China, sich vollständig an US-Bilanzierungsvorschriften zu halten.

    Die SEC will bei den chinesischen Firmen die gleichen umfänglichen Durchgriffsrechte durchsetzen wie bei US-Unternehmen. Bisher gelingt das aber in vielen Fällen nicht, weshalb die Behörde gedroht hat, dass chinesische Firmen im schlimmsten Fall von US-Börsen ausgeschlossen werden könnten

    Zwar gehen wenige Beobachter so weit wie die US-Investmentbank JPMorgan, die Chinas Tech-Branche im März als “nicht investierbar” bezeichnete. Dennoch werden sich Anleger weiterhin auf heftige Kursschwankungen einstellen müssen. Jörn Petring/Gregor Koppenburg 

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    News

    John Lee neuer Regierungschef von Hongkong

    John Lee wird neuer Regierungschef von Hongkong. Am Sonntag stimmten 1.416 Mitglieder des Peking-nahen Wahlausschusses für den 64-Jährigen, acht unterstützten ihn nicht. Es gab keinen Gegenkandidaten. Seine Vorgängerin Carrie Lam war nicht wieder angetreten. Die EU kritisierte die Wahl. Sie habe gegen die “demokratischen Grundsätze und den politischen Pluralismus” verstoßen.

    Die fünfjährige Amtszeit von Lees Vorgängerin endet am 30. Juni. In Carrie Lams Regierungszeit fallen die Corona-Pandemie und monatelange pro-demokratischen Kundgebungen. Die teils gewaltsamen Proteste führten dazu, dass die Zentralregierung ein umfassendes Sicherheitsgesetz erließ, das ihr weitreichende Befugnisse einräumt. Lee war während der Proteste gegen die Regierung 2019 und des massiven Vorgehens gegen die Demokratiebewegung Sicherheitschef in der Millionenmetropole (China.Table berichtete). Die USA verhängten 2020 gegen Lee wie auch gegen Lam Sanktionen wegen der Beteiligung “an der Nötigung, Verhaftung, Festnahme oder Inhaftierung von Personen” im Rahmen des Sicherheitsgesetzes.

    Bei der Bekanntgabe seiner Kandidatur Anfang April hatte Lee angekündigt, ein neues Kapitel für die Finanzmetropole aufschlagen zu wollen. Priorität habe die Loyalität Hongkongs gegenüber der chinesischen Zentralregierung in Peking. Auch Lösungen für die chronische Wohnungsnot stehen ganz oben auf der Agenda. rtr/nib

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    Impfstoff-Exporte brechen ein

    Chinas Impfstoffhersteller haben im April 97 Prozent weniger Coronavirus-Impfstoffe exportiert als noch zu Höchstzeiten im September 2021. Im vergangenen Monat wurden laut Unicef nur noch 6,8 Millionen Impfstoff-Dosen exportiert, berichtet Nikkei Asia. Ursache ist die geringere Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe gegen die Omikron-Variante.

    Das ist ein herber Rückschlag für die Impfstoff-Diplomatie der Volksrepublik. Zum Vergleich: Im April wurden demnach fast 56 Millionen Dosen des von Biontech und Pfizer entwickelten Impfstoff exportiert. Das bedeutet zwar auch einen Rückgang von 71 Prozent gegenüber September 2021. Dennoch wurden noch mehr als achtmal mehr Biontech-Impfdosen exportiert als chinesische.

    Die chinesischen Impfstoffe werden demnach kaum noch für die Dritt-Impfung in Partnerländern benutzt. In großen Staaten wie Pakistan, Indonesien oder Bangladesch ging die Nutzung chinesischer Impfstoffe für die Booster-Impfung um jeweils mehr als 90 Prozent zurück. Brasilien und Indonesien haben die im letzten Jahr ausgelaufenen Verträge für chinesische Impfstoffe nicht verlängert. nib

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    Insider: Shanghai verschärft Corona-Beschränkungen

    Die chinesische Millionenmetropole Shanghai verschärft Insidern zufolge ihre bereits strengen Coronavirus-Beschränkungen. So wolle sie den Virusausbruch bis Ende des Monats in den Griff bekommen, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Auch wenn die Neuansteckungen zuletzt gesunken seien, sollten die Restriktionen bis Ende Mai in Kraft bleiben, um einen erneuten Ausbruch zu verhindern.

    Die Personen sagten, dass die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit bis zum Ende des Monats aufrechterhalten werden, da ein Wiederanstieg der Fallzahlen befürchtet wird. In einigen Bezirken haben die Behörden die Menschen in ihre Wohnungen zurückbeordert, nachdem sie zwischenzeitlich für kurze Spaziergänge oder schnelle Einkäufe ihre Wohnungen verlassen durften.

    Die lange Isolation und die Angst vor der Einweisung in Quarantäne-Zentren, in denen es manchmal an Duschen und anderen grundlegenden Bedingungen fehlt, haben unter der Shanghaier Bevölkerung zu einer weit verbreiteten Frustration und sogar zu Auseinandersetzungen geführt. rtr/nib

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    Adidas erwartet sinkenden Absatz

    Nach einem Gewinneinbruch zu Jahresbeginn schraubt der weltweit zweitgrößte Sportartikelkonzern Adidas die Erwartungen für 2022 zurück. Grund für den schwindenden Optimismus ist das abflauende Geschäft auf dem einstigen Wachstumsmarkt China, das unter Boykottaufrufen gegen westliche Marken und den neuerlichen Coronavirus-Lockdowns in großen Städten leidet. Dort brach der Umsatz in den ersten drei Monaten um 35 Prozent ein, wie Adidas am Freitag in Herzogenaurach mitteilte.

    In China erwirtschaftet Adidas traditionell die höchsten Renditen. Dort werde der Umsatz 2022 aber stark sinken. Adidas leidet zudem wegen der langen Lieferzeiten auch noch unter den Nachwirkungen des monatelangen coronabedingten Produktions-Stillstands in Süd-Vietnam. Dort stehen einige der wichtigsten Fabriken für Schuhe und Bekleidung. rtr/fin

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    Asienspiele in Hangzhou verschoben


    Angesichts der steigenden Coronavirus-Infektionszahlen hat der Veranstalter die Asienspiele in China vorerst abgesagt. “Der Olympische Rat in Asien hat angekündigt, dass die 19. Asienspiele, die ursprünglich vom 10. bis 25. September 2022 in Hangzhou stattfinden sollten, verschoben werden”, hieß es in einer Erklärung des Rats. Ein Grund für die Verschiebung wurde in der offiziellen Mitteilung nicht genannt. Auch ein neues Datum stand zunächst nicht fest.

    Für die Spiele wurden in Hangzhou Dutzende Wettkampfstätten errichtet. Bis vor Kurzem wollten die Organisatoren die Spiele nach demselben Konzept wie die Olympischen Winterspiele in Peking mit einer geschlossenen Blase (Closed Loop) abhalten.

    Die Asiatischen Jugendspiele, die für Dezember in Shantou geplant waren, wurden ganz abgesagt. Diese waren bereits 2021 verschoben worden. Die nächsten Jugendspiele finden deshalb 2025 in Usbekistan statt, wie es in der Mitteilung hieß. ari

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    Behörden rangieren Windows-PCs aus

    Die chinesische Regierung will sich von ausländischen Computerfabrikaten trennen. Die Verwaltung auf allen Ebenen soll PCs nicht-chinesischer Marken dafür binnen zwei Jahren durch chinesische Alternativen ersetzen. Diese Regelung gelte auch für Staatsbetriebe, berichtet Bloomberg. Die staatlichen Stellen müssen dazu rund 50 Millionen Rechner ausrangieren.

    Hintergründe sind das Streben nach höherer Datensicherheit und nach technischer Autarkie. Die Anweisung besagt nämlich auch, dass auf den neuen PCs nur einheimische Betriebssysteme laufen dürfen – also nicht Windows vom US-Anbieter Microsoft. China will laut Bloomberg zudem die Abhängigkeit von Produkten westlicher Rivalen verringern. fin

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    Presseschau

    Peking-treuer Hardliner neuer Regierungschef in Hongkong T-ONLINE
    China verbannt ausländische PCs und Windows aus Behörden und Staatsbetrieben HEISE
    Chinas Haltung zum Ukraine-Krieg: Moskau und Peking eint ein gemeinsames Feindbild DEUTSCHLANDFUNK KULTUR
    SPD will ihre Außenpolitik neu ausrichten: Weniger Russland, weniger China N-TV
    Kampf gegen Covid: China setzt auf noch schärfere Coronabeschränkungen SPIEGEL
    China und Null-Covid-Strategie: Peking droht Kritikern FAZ
    26 Millionen Menschen isoliert: Wieler und Ciesek haben kein Verständnis für Null-Covid in China RND
    EU-Anti-Fake-News-Agentur startet Entlarvung auf Chinesisch EURONEWS
    China Remains an Outlier in a World of Surging Inflation WSJ
    Ukraine, China, Trade Set to Dominate US-ASEAN Summit Agenda VOA NEWS
    Trump’s trade war looms over soybean farmers 4 years later CNN
    China tells US it will not be scared off by sanctions over Taiwan YAHOO
    Taiwan says hopes world would sanction China if it invades REUTERS
    Australian officials raise ‘serious concerns’ with China about Solomon Islands deal ABC
    53 Tote nach Hauseinsturz in China – Polizei nimmt mehrere Personen fest FRANKFURTER RUNDSCHAU

    Standpunkt

    USA und China: Positiver strategischer Wettbewerb

    von Michael Spence
    Michael Spence schreibt über die Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit China.
    Michael Spence, Wirtschaftsnobelpreisträger und Senior Fellow der Denkfabrik Hoover Institution

    Mittlerweile ist weithin anerkannt, dass die wirtschaftlichen und technologischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China von einer Kombination aus strategischer Zusammenarbeit und strategischem Wettbewerb geprägt sein werden. Strategische Zusammenarbeit wird in der Regel begrüßt, denn die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen – vom Klimawandel über Pandemien bis hin zur Regulierung im Bereich der Spitzentechnologien – erfordert das Engagement der beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Strategischer Wettbewerb wird jedoch tendenziell als beunruhigende, ja sogar bedrohliche Aussicht betrachtet. Das muss nicht sein.

    Die Befürchtungen hinsichtlich des amerikanisch-chinesischen Wettbewerbs, insbesondere im technologischen Bereich, sind Ausdruck einer Überzeugung auf beiden Seiten, dass ein auf nationaler Sicherheit basierender, weitgehender Nullsummen-Ansatz unvermeidlich ist. Diese Annahme steuert die Entscheidungsfindung in eine unkonstruktive, konfrontative Richtung und erhöht die Wahrscheinlichkeit politischer Fehler.

    In Wirklichkeit bestehen positive und negative Formen des strategischen Wettbewerbs. Um die Vorzüge des positiven Wettbewerbs – und deren Nutzung – zu verstehen, müssen wir einen Blick darauf werfen, wie Wettbewerb die Innovation in den Volkswirtschaften vorantreibt.

    In fortgeschrittenen Volkswirtschaften und Ökonomien mit hohem mittleren Einkommen sind Produkt- und Prozessinnovationen der Motor für Produktivitätssteigerungen – ein entscheidender Faktor für langfristiges BIP-Wachstum. Der öffentliche Sektor spielt durch Investitionen in Humankapital und vorgelagerte wissenschaftliche und technologische Forschung eine Schlüsselrolle bei der Förderung dieser Innovation. Anschließend übernimmt der private Sektor in einem dynamischen Wettbewerbsprozess – von Joseph Schumpeter bekanntermaßen als “schöpferische Zerstörung” bezeichnet.

    Schumpeters Schöpferische Zerstörung

    Gemäß der Schumpeter’schen Dynamik erlangen die Unternehmen, die erfolgreiche Innovationen hervorgebracht haben, eine gewisse vorübergehende Marktmacht, die eine Kapitalrendite abwirft. Aber in dem Maße, in dem andere weiter Innovationen hervorbringen, schmälern sie die Vorteile des ursprünglichen Innovators. So wiederholt sich der Kreislauf von Wettbewerb und technologischem Fortschritt.

    Dieser Prozess reguliert sich jedoch nicht von selbst, und es besteht die Gefahr, dass die ursprünglichen Innovatoren ihre Marktmacht nutzen, um andere daran zu hindern, sie herauszufordern. Die Innovatoren der ersten Stunde können beispielsweise den Zugang zu Märkten verweigern oder erschweren oder potenzielle Wettbewerber aufkaufen, bevor diese zu groß werden. In manchen Fällen werden wettbewerbsfeindliche, etablierte Unternehmen durch Regierungen mittels Subventionen unterstützt.

    Um den Wettbewerb – mit all seinen weitreichenden Vorteilen für Innovation und Wachstum – zu erhalten, müssen die Regierungen eine Reihe von Regeln aufstellen, die wettbewerbswidriges Verhalten verbieten oder die Unternehmen abhalten, so zu agieren. Eingebettet sind diese Regeln in die Kartell- oder Wettbewerbspolitik und in Systeme, die die Grenzen der Rechte am geistigen Eigentum festlegen.

    Die USA und China sind führend bei der Weiterentwicklung zahlreicher Technologien, die in der Lage sind, das globale Wachstum anzukurbeln. In welchem Ausmaß sich die beiden Länder engagieren, hängt jedoch vor allem von den Zielen ab, die sie verfolgen.

    Wie bei den führenden innovativen Unternehmen einer Volkswirtschaft könnte das primäre Ziel in technologischer Vorherrschaft bestehen, also der Schaffung und Aufrechterhaltung eines klaren und dauerhaften technologischen Vorsprungs. Um das zu erreichen, würde ein Staat versuchen, einerseits die Innovation im Land zu beschleunigen und andererseits den größten Konkurrenten zu behindern, indem man ihm beispielsweise den Zugang zu Informationen, Humankapital, anderen wichtigen Vorleistungen oder externen Märkten verwehrt.

    Dieses Szenario stellt ein Beispiel für schlechten strategischen Wettbewerb dar. In beiden Ländern – und tatsächlich in der gesamten Weltwirtschaft – wird so der technologische Fortschritt geschwächt, nicht zuletzt durch die größenmäßige Begrenzung des gesamten zugänglichen Marktes. Angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer langfristigen technologischen Vorherrschaft könnten Länder ein stärker praxisorientiertes und potenziell vorteilhafteres Ziel anpeilen. Für die USA besteht es darin, nicht ins Hintertreffen zu geraten; für China, den Aufholprozess in Bereichen abzuschließen, wo man derzeit hinterherhinkt. In diesem Szenario konkurrieren sowohl China als auch die USA, indem sie massiv in die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen ihrer Volkswirtschaften investieren.

    Diversifizierung an sich ist dabei keine wettbewerbsfeindliche Politik. Chinas Strategien Made in China 2025 sowie die Initiative des dualen Kreislaufs sehen vor, die technologische Leistungsfähigkeit Chinas zu stärken und gleichzeitig die Abhängigkeit von ausländischen Technologien, Vorleistungen und sogar der Nachfrage zu verringern. Auch das amerikanische Gesetz zur Investition in Innovation durch Forschung und Entwicklung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (der America Competes Act) aus dem Jahr 2022 zielt darauf ab, die wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten des Landes zu verbessern und – nicht zuletzt durch die Verringerung der Abhängigkeit von Importen aus China – seine Lieferketten zu stärken. Obwohl die Gesetzesvorlage noch nicht in ihrer endgültigen Form vorliegt, können die darin enthaltenen Bestimmungen weitgehend mit gutem strategischen Wettbewerb in Einklang gebracht werden.

    Guter Wettbewerb in nationaler Sicherheit und Militär sind unmöglich

    Der einzige Bereich, in dem guter Wettbewerb unmöglich ist, ist die nationale Sicherheit. Obwohl in Konflikten viele Technologien zum Einsatz kommen können, gilt es, maßgebliche und hauptsächlich für militärische und sicherheitspolitische Zwecke verwendete Technologien von dem ansonsten relativ offenen globalen Technologiewettbewerb abzugrenzen.

    Derzeit besteht die Gefahr darin, dass zu viele Technologien als relevant für die nationale Sicherheit eingestuft werden und somit Nullsummenregeln unterliegen. Dieser Ansatz hätte die gleichen Auswirkungen wie das fehlgeleitete Streben nach technologischer Vorherrschaft sowie deren Aufrechterhaltung und würde die wirtschaftlichen Vorteile des Wettbewerbs untergraben.

    Idealerweise sollten die Länder anstreben, eine Führungsposition im Bereich Innovation zu erreichen oder sie zu verteidigen, ohne den Versuch zu unternehmen, andere daran zu hindern, sie herauszufordern. Angesichts des beträchtlichen weltwirtschaftlichen Gegenwinds – darunter Bevölkerungsalterung, hohe Staatsverschuldung, zunehmende geopolitische Spannungen und Konflikte sowie angebotsseitige Störungen – und der steigenden Investitionen zur Bewältigung der Herausforderungen in den Bereichen Umwelt und Chancengleichheit benötigt die Welt mehr denn je eine positive Form des strategischen Wettbewerbs.

    Michael Spence ist Wirtschaftsnobelpreisträger, Professor Emeritus der Stanford University und Senior Fellow an der Hoover Institution. Übersetzung: Helga Klinger-Groier

    Copyright: Project Syndicate, 2022.
    www.project-syndicate.org

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    Personalien

    Daniel Weninger ist seit Anfang April Chief of Sales and Service Officer beim österreichischen Maschinenhersteller Nexus Elastomer Systems in Suzhou, Jiangsu. Weninger war zuvor beim österreichischen Maschinenhersteller Engel in Minhang tätig.

    Sascha Rensen ist neuer Global Business Development Manager beim Verpackungshersteller Nefab in Wuxi. Bis Ende März war Rensen Deputy General Manager bei Kaiser Construction.

    Benjamin Bland tritt in dieser Woche die Stelle als Direktor des Asien-Pazifik-Programms des britischen Thintanks Chatham House an. Bland war bisher bei der australischen Denkfabrik Lowy Institute tätig.

    Zur Sprache

    “Menschenfleischsuche”

    Menschenfleischsuche ist das Aufspüren von Informationen oder Identitäten.
    人肉 – rénròu – “Menschenfleischsuche”

    Wenn Ihnen chinesische Bekannte erzählen, Chinas Internetnutzer seien mal wieder erfolgreich auf Menschenfleischjagd (人肉搜索 rénròu sōusuǒ) gegangen, bitte erst einmal tief Luft holen. Nein, es geht nicht um Kannibalismus im Cyberspace. Auch wenn Ihr Wörterbuch den schrecklichen Anfangsverdacht zunächst erhärten mag. Denn ganz wörtlich bedeutet 人肉搜索 (rénròu sōusuǒ) tatsächlich “Menschenfleisch-Suche” (von 人肉 rénròu “Menschenfleisch” und 搜索 sōusuǒ “Suche” wie zum Beispiel in 网络搜索 wǎngluò sōusuǒ “Internetsuche” oder  搜索引擎 sōusuǒ yǐnqíng “Suchmaschine”).

    Gemeint ist aber schlicht das akribische Aufstöbern von Informationen und Identitäten per Menschenhand beziehungsweise über menschliche Kontakte. Im Gegensatz zur maschinellen Suche (机器搜索 jīqì sōusuǒ) wird hier auf die Kraft der flinken Hände der menschlichen Masse gesetzt, es geht also um das Crowdsourcing von Informationen.

    Bei der Recherchearbeit geht die Netzgemeinde oft alles andere als zimperlich vor. In einer Art Selbstjustiz wurde schon der eine oder andere Promi oder Normalsterbliche informationsmäßig “erlegt”. Vielleicht hat sich deshalb die Kurzform des Begriffs durchgesetzt. Umgangssprachlich ist meist nämlich nur noch davon die Rede, jemanden zu “menschenfleischeln” (Beispiel: 我人肉他了 Wǒ rénròu tā le “Ich hab ihn gemenschenfleischelt” – gemeint ist: “Ich habe ihn im Netz aufgespürt.”).

    Und das digitale Zielrohr wird mittlerweile immer häufiger ausgepackt. Vornehmlich dann, wenn Videos von vermeintlichem Fehlverhalten oder Screenshots von empörenden Posts viral gehen. Einmal ins digitale Wespennest gestochen, schwärmt sogleich eine aufgebrachte und informationshungrige Armada emsiger Recherchebienen aus, um die Buhmänner bzw. Buhfrauen digital dingfest zu machen. Über Internet-Suchmaschinen, Social-Media-Spuren und sogar Leaks im Bekanntenkreis der Anvisierten werden so die Identität, pikante Details und alle möglichen Hintergrundinformationen über die Betroffenen ausgegraben sowie im Netz geteilt und diskutiert. Privatsphäre adé, Gesicht dahin.

    Auch in China ist diese Form der digitalen Selbstjustiz natürlich sehr umstritten. Zwar dient sie einerseits nicht selten als eine Art basisdemokratisches Toolkit, über das Missstände aufgedeckt und anprangert werden und bewirkt daher manchmal positive Veränderungen. Andererseits artet die Onlinetreibjagd aber oft auch einfach in Häme, Hetze und Hatespeach aus, sodass am Ende keinem geholfen ist.

    Eingefleischte Vegetarier müssen beim Chinesischlernen übrigens ohnehin sehr stark sein. Denn nicht selten taucht an unerwarteter Stelle die eine oder andere fleischige Vokabel auf. So werden Unruhestifter, Querulanten und Störenfriede von Nordchinesen gerne auch mal als 滚刀肉 gǔndāoròu bezeichnet (wörtlich “Messerrollfleisch” – eigentlich ein Wort für zähes, minderwertiges Fleisch, das sich nur schwer schneiden und verarbeiten lässt).

    “Junges Frischfleisch” (小鲜肉 xiǎoxiānròu) zergeht dagegen butterweich auf der Zunge. Es ist das chinesische Trendwort für knackige männliche Newcomer (zum Beispiel in Boybands oder Seifenopern). Bei Serien und Filmen aus dem Ausland bekommt man in China unter der Hand manchmal sogar “rohes Fleisch” (生肉 shēngròu) serviert. So nämlich heißen umgangssprachlich Originalproduktionen ohne chinesische Untertitel (die durch Übersetzung vorgekaute Variante nennt man entsprechend 熟肉 shóuròu “gares Fleisch”).

    Und wer selbst bei so vielen verrückten Vokabeln völlig behäbig, träge und teilnahmslos bleibt, dem attestieren die Chinesen ein “fleischiges Temperament” (肉脾气 ròu píqi). Denn 肉 ròu ist in der Umgangssprache auch einfach ein Synonym für das Adjektiv “lethargisch”. Da macht das Chinesische seinem Wortklassenroulette mal wieder alle Ehre.

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

    • Gesellschaft

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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