Table.Briefing: China

Hendrik Streeck: Boostern statt Lockdown + Hongkongs Corona-Politik+ Beschaffung

  • Hendrik Streeck im Interview: Auffrischung mit Chinas Vakzinen wirkt
  • Lockerungen statt Lockdown in Hongkong
  • Beschaffung: EU will mehr Fairness
  • Scholz und Xi telefonieren
  • Export schwächelt, aber Importe aus Russland steigen
  • Adidas verkauft weniger Turnschuhe 
  • SEC droht chinesischen Unternehmen
  • Hikvision im Fokus der USA
  • Standpunkt von Michael Spence zum “positiven Wettbewerb” USA-China
Liebe Leserin, lieber Leser,

gibt es Alternativen zum harten Lockdown? Der Virologe Hendrik Streeck bejaht diese Frage nicht nur. Im Interview mit Frank Sieren ist er sogar skeptisch, ob sich die Omikron-Variante überhaupt durch Tests und Ausgangssperren langfristig eindämmen lässt. Dafür ist das Virus zu ansteckend.

Streeck teilt stattdessen mit uns eine überraschende Erkenntnis: Der chinesische Impfstoff wirkt nach der dritten Dosis gar nicht so schlecht gegen Omikron. Überraschend ist diese Feststellung aus zwei Gründen. Einerseits, weil sie dem Narrativ vom unwirksamen China-Vakzin widerspricht. Andererseits, weil sie es umso rätselhafter erscheinen lässt, warum China nicht auf Teufel komm raus weiterimpft. Streecks Schlussfolgerung leuchtet umso mehr ein: “China muss die Impfkampagne bei den älteren Menschen vorantreiben.” Das ist der Weg aus der Lockdown-Falle.

Die Corona-Lage in Peking ist weiter ernst und kompliziert, wie es am Montag die Stadtverwaltung umschreibt. 50 neue Fälle – vor allem im Bezirk Shunyi – bedeuten weitere Massentests für die Pekinger. Und auch in Shanghai werden die Einschränkungen wieder verschärft.

Hongkong verfolgt indes eine Strategie, wie Streeck sie nahelegt. Unser Autorenteam hat sich die Corona-Politik in der Sonderverwaltungszone genauer angeschaut – statt eines Lockdowns wie auf dem chinesischen Festland, will Hongkongs neuer Regierungschef John Lee zügig die Grenzen wieder öffnen. Die paradoxe Folge dieser zwei unterschiedlichen Politikansätze: Einreisen aus dem fernen Europa wären dann einfacher als aus dem nahen Festland.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

Hendrik Streeck: “Statt Lockdown die Alten boostern”

Virologe Hendrik Streeck
Virologe Hendrik Streeck

Professor Streeck, was macht die chinesische Regierung in Bezug auf Omikron falsch?

Wir versuchen, die Lage in China von hier aus sehr genau zu beobachten, soweit das möglich ist. Einerseits können wir daraus viel lernen. Zum anderen würde man angesichts der bedrückenden Bilder, die man sieht, gerne helfen. China hat einerseits das Problem, dass die Impfquote mit einem Impfstoff, der im Grunde gut wirkt, gerade bei älteren Menschen noch nicht hoch genug ist…

…Sie sprechen über den chinesischen Impfstoff von Sinovac…

…ja. Er wirkt allerdings erst gut, wenn eine dritte Impfung gegeben wurde. Andererseits bin ich, was die Reaktion auf die fehlenden Impfungen betrifft, also diesen Lockdown, diese wirklich schweren Einschnitte, sehr, sehr skeptisch.

Warum?

Wenn Menschen gezwungen sind, sich in Innenräumen aufhalten, ist es nicht ausgeschlossen, dass das Virus schon im Raum ist – auch, wenn sie vorher PCR negativ getestet wurden. Wenn sie dann in Innenräumen zu mehreren beieinander sitzen, dämmt man die Pandemie nicht ein. Es passiert das Gegenteil: Man erzeugt einen noch größeren Ausbruch.  

Was wäre die Alternative? Chinas Gesundheitssystem ist viel schwächer aufgestellt als das deutsche. In Deutschland haben wir etwa 36 Betten pro 100.000 Einwohner, in China nur 3,5. Eine Öffnung bei so vielen unzureichend geimpften Alten hält das Gesundheitssystem nicht aus.

China muss die Impfkampagne bei den älteren Menschen vorantreiben. Zwar ist die Impfung nicht perfekt; das Virus kann nicht über die Impfung eingedämmt werden. Sicher ist aber inzwischen: Durch die Booster-Impfung lassen sich schwere Verläufe gut vermeiden. Das klappt nicht immer, das muss man einräumen. Aber zum aller-allergrößten Teil können dadurch schwere Verläufe und so auch eine Überbelastung des Gesundheitssystems vermieden werden. Mein Rat wäre also – und das ist wahrscheinlich auch der Rat der WHO für China – nun vor allem an einer Impfkampagne zu arbeiten.

Es ist ja inzwischen erwiesen, dass der chinesische Impfstoff deutlich schwächer wirkt als beispielsweise der von Biontech. Wäre es für die chinesische Regierung nicht sinnvoll, nun in den sauren Apfel zu beißen und endlich einen westlichen Impfstoff zu verwenden?

Ja und nein. Der Sinovac-Impfstoff ist zum Beispiel gar nicht so schlecht. Er bleibt zwar in der Wirksamkeit hinter dem Biontech/Pfizer-Impfstoff zurück. Aber eine kürzlich veröffentlichte Studie hat deutlich gezeigt: Wenn man eine dritte Impfung durchführt, ist die Wirksamkeit von Sinovac und Biontech gleich, was den Schutz vor einem schweren Verlauf der Infektion betrifft. Und vor allem darum geht es nun in China.  

Es gibt ja Bestrebungen auch einen eigenen mRNA-Impfstoff in China zu produzieren und zu entwickeln.

Auch die haben Nachteile. Ich würde mich in dieser akuten Situation darauf konzentrieren, das, was da ist zu nehmen und vor allem die dritte Impfung nach vorne zu bringen.

Es geht bei den Alten um weit über 100 Millionen Menschen. Das dauert selbst in China länger. Ist der Wettlauf mit der Zeit nicht schon verloren?

Ich weiß nicht, wie groß die Vorräte von Sinovac sind. Aber weltweit jedenfalls mangelt es derzeit nicht an Impfstoff. Alleine in Deutschland verfallen, glaube ich, zwei Millionen Impfdosen bis zum Sommer. Das geht vielen Ländern so. In Lateinamerika zum Beispiel wird man die Impfstoffe auch nicht mehr los. China könnte sich von diesen Ländern helfen lassen. Das ist allerdings der politische saure Apfel, von dem Sie vorhin gesprochen haben. In den sollten sie nun jedoch beißen. Es geht nicht anders. Die Null-Covid-Strategie kann China nicht durchhalten. Selbst, wenn es gelänge, die Reisen nach China komplett einzuschränken, können Katzen über die Grenze laufen, Mäuse oder Rehe. In all diesen Tieren können wir das Virus nachweisen, sodass es fast unmöglich ist, so ein Virus einzudämmen. Es ist jedoch möglich, die vulnerable Gruppen schützen.

War die Null-Covid Strategie von Anfang an ein Fehler?

Sie hat ja vor Omikron gut funktioniert. Das Konzept hatte durchaus seinen Reiz. Also zu sagen, man macht das Land zu und muss sich dann keine Sorgen mehr machen vor den Infektionen. Doch nun zeigt sich, es ist unmöglich, zumal es keinen Impfstoff gibt, der wirklich vor Infektionen schützt. Ein Strategieumschwung ist allerdings nicht leicht. Das hat man in Hongkong gesehen. Nun sind Shanghai und China in einer schwierigen Lage gefangen, in der sie versuchen, erstmal wieder Herr der Infektion zu werden, in der aber gleichzeitig bei den Impfungen zu wenig gemacht wird. Diese wären aber eigentlich wichtiger.

In Peking ist man der derzeit in der Test-and-Trace-Phase. Ist das noch sinnvoll bei Omikron?

Das ist ein sehr altes Konzept zur Eindämmung von Infektionskrankheiten und funktioniert in der Regel auch recht gut. Das Problem dabei:  Die Antigen-Tests sind in den ersten Tagen der Infektion nicht wirksam. Die PCR-Tests wiederum haben einen enormen Zeitverzug. Auch weitere Studien werden in Zukunft sehr wahrscheinlich bestätigen, was wir schon wissen. Test and Trace ist kein wirkungsvolles Konzept bei so einem hoch ansteckenden Erreger, weil man einfach zu langsam ist damit.

Aber macht es nicht dennoch Sinn, die Infizierten zu identifizieren?

Generell hilft es schon in der Eindämmung, wenn man das erst einmal versucht. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass immer wieder punktuell Infektionen auftauchen werden, die man nicht nachvollziehen kann, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen. Allein damit kann man die Infektionen jedenfalls nicht dauerhaft unten halten.

Also hilft nichts anderes als Impfen?

Das ist das Wichtigste. Hinzu kommen spezielle Hygiene-Konzepte, vor allem Luft-Hygiene, Konzepte für Einrichtungen mit vulnerablen Gruppen. Großveranstaltungen sollte man natürlich im Moment erst mal nicht haben. Und was immer noch am besten funktioniert: Die Masken, die Infektionen reduzieren. Aber da sind die Chinesen ja vorbildlich. Wir haben aus Asien überhaupt erst gelernt, wie wirksam die Masken sind.

In Peking werden derzeit die Straßen desinfiziert. Macht das Sinn?

Das bringt nicht so viel. Das Virus hält sich nicht lange auf Oberflächen. Bei UV-Strahlung oder höheren Temperaturen noch schlechter.  

Was könne Sie den Menschen sagen, die nun schon über 30 Tage im Lockdown sitzen. Wie lange wird es noch dauern?

Das weiß ich auch nicht. Ich bin selbst auch ein wenig sprachlos, wie Sie vielleicht aus meinen Worten raushören. Man kann ihnen, glaube ich, nur Mut zusprechen. Ich hoffe einfach, dass sich die Lage bald von den Infektionszahlen her bessert, sich aber auch die politische Lage entspannen wird und man einen etwas pragmatischeren Umgang finden wird. Am Ende geht es um den politischen Willen, und den kann kein Virologe einschätzen.

Hendrik Streeck, Jahrgang 1977, ist Professor für Virologie an der Universität Bonn. Derzeit berät er auch die Bundesregierung im Corona-ExpertInnenrat. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei HIV.

  • Corona-Impfstoffe
  • Coronavirus
  • Gesellschaft
  • Gesundheit

Analyse

Hongkong verzichtet auf Chinas Null-Covid-Strategie 

Hongkong möchte nicht länger an der Null-Covid-Strategie festhalten.
Kein Lockdown in Hongkong: vielmehr lockert die Regierung schrittweise die Einschränkungen.

Raus aus dem Dilemma: In seiner Siegesrede am Sonntag hat Hongkongs künftiger Regierungschef John Lee deutlich gemacht, wo die Prioritäten nach seinem Amtsantritt am 1. Juli liegen sollen. Lee und seine neue Mannschaft wollen versuchen, Hongkong schnellstmöglich aus der für die Wirtschaft schädlichen Corona-Isolation zu befreien. Ein Unterfangen, an dem auch die noch amtierende Regierung unter Carrie Lam arbeitet, aber bislang noch keinen Erfolg vermelden konnte.

Seit mehr als zwei Jahren gelten die strengen Maßnahmen, die jede Reise für Hongkonger zu einer Tortur machen. Trips ins Ausland ziehen nach der Rückkehr eine lange Hotel-Isolation in Hongkong nach sich. Nicht einmal Reisen ins benachbarte Shenzhen auf dem chinesischen Festland sind ohne Quarantäne möglich. Zahlreiche Hongkonger waren phasenweise sogar aus ihrer Heimat regelrecht ausgesperrt. Immer wieder wurden kurzfristig Flug- und Einreiseverbote verhängt, die es unmöglich machten, aus vom Coronavirus besonders hart getroffenen Ländern zurückzukommen. Für Touristen und Geschäftsreisende ohne Hongkonger Staatsbürgerschaft war die Stadt bis vor wenigen Tagen sogar komplett dicht.

Die Situation verlangt nicht nur den Menschen vieles ab, auch die wirtschaftliche Produktivität leidet massiv. Unternehmen und ausländische Handelskammern üben Druck auf die Regierung aus, indem sie immer wieder fordern, die Regeln endlich zu lockern.

Und tatsächlich: Anders als auf dem chinesischen Festland, wo die Regierung konsequent an ihrer umstrittenen Null-Covid-Politik festhält, versucht Hongkong, mit größerer Flexibilität eine Rückkehr in die Normalität erreichen. Sie ließ Omikron mehr oder minder durch die Stadt rauschen, ohne panikartig aufgrund der Infektionszahlen die Bevölkerung komplett und monatelang einzusperren. Die Entwicklung scheint die Wahl der Mittel zu rechtfertigen: Die Fallzahlen in Hongkong gingen von mehr als 70.000 Infektionen pro Tag auf zuletzt weniger als 300 zurück.

Hongkongs Behörden genießen mehr Rechte als Shanghai

Als Sonderverwaltungszone genießt Hongkong deutlich mehr Selbstbestimmungsrechte als etwa Shanghai. Auch dort versuchte die Lokalregierung, einen harten Lockdown zu verhindern. Doch Peking sprach ein Machtwort, was zur Folge hatte, dass die Shanghaier Behörden nun Millionen Menschen seit mehr als einem Monat in ihren Wohnungen und Wohnblöcken isoliert. Während Staatsmedien vergangene Woche bereits “Licht am Ende des Tunnels” wähnten, zerstörte eine neue Direktive der Verwaltung am Wochenende die aufkeimende Hoffnung. (China.Table berichtete)

Als im Februar in Hongkong die Corona-Fälle in die Höhe schnellten, sah es zunächst ähnlich düster aus. In Windeseile wurden Container-Lager errichtet, in denen Kontaktpersonen und Infizierte untergebracht werden sollten. Auch gab es Pläne für mehrere Runden von Zwangs-Massentests. Sich im Falle einer Infektion vor einer Einweisung ins Corona-Lager zu schützen, wäre nicht möglich gewesen. Doch dazu kam es nicht mehr. Die Regierung machte keine Anstalten, zu einer Null-Corona-Politik zurückzukehren. Stattdessen erfolgte eine 180-Grad-Wende: Inzwischen sind Restaurants, Kinos, Fitnessstudios und Schwimmbäder wieder weitestgehend normal geöffnet.

Weitere Massentests in Peking angekündigt

Ganz anders entwickelt sich die Lage in Peking. “Die Corona-Situation ist kompliziert und ernst”, sagte ein Sprecher der Stadtverwaltung am Montag. Zu Wochenbeginn wurden wieder 50 neue Fälle diagnostiziert, ein Großteil davon im nördlichen Bezirk Shunyi. Es sei nicht gelungen, Kontaktketten zu brechen, hieß es. Die Kontrollen müssten erhöht werden. Für Dienstag ist der Beginn einer neuen Runde Massentests in insgesamt 17 Bezirken angekündigt.

Kinos oder Fitnessclubs bleiben geschlossen, auch zentrale Parkanlagen sind bis auf Weiteres gesperrt. Betreuung und Unterricht in Kindergärten, Grund- und Mittelschulen finden seit Mitte vergangener Woche nur noch online statt. In Chaoyang und Shunyi ist der öffentliche Nahverkehr ausgesetzt. Ab Donnerstag müssen Bürger:innen ein aktuelles, negatives PCR-Testresultat vorlegen, um öffentliche Einrichtungen betreten zu dürfen.

Erleichterungen dagegen in Hongkong: Zum ersten Mal seit zwei Jahren dürfen wieder Besucher aus dem Ausland in die Stadt reisen. Die Dauer der Hotel-Quarantäne wurde von 14 Tagen auf nur noch sieben Tage verkürzt. Erste Forderungen werden bereits laut, dass diese Quarantäne auch in der eigenen Wohnung verbracht werden kann. Auch die Flugverbote, die für Airlines bisher verhängt wurden, wenn in einem Flieger zu viele positiv Getestete saßen, sollen wesentlich dosierter verhängt werden.

Der gewählte Regierungsschef John Lee spricht zwar noch nicht offen davon, dass Hongkong künftig mit dem Virus leben solle. Klar scheint jedoch, dass die bisherige Corona-Politik Geschichte ist. Hieß es bisher stets, dass die Öffnung zum chinesischen Festland zuerst erfolgen müsse, spricht Lee nun nur noch allgemein von einer “Öffnung der Grenzen” – gemeint ist also, Hongkong gegebenenfalls zunächst aus seiner internationalen Abschottung zu befreien und das Festland warten zu lassen.

Nach seinem Wahlerfolg sagte John Lee jedenfalls: “Ich bin mir der Notwendigkeit sehr bewusst, Hongkong für die Welt zugänglich zu machen. Und es ist auch wichtig, dass Hongkong normale Reisen mit dem Festland wieder aufnehmen kann.” Und zwar in dieser Reihenfolge. Jörn Petring/ Gregor Koppenburg 

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Hongkong
  • John Lee

EU will Chinas Markt für Beschaffung öffnen

Chinesische Konzerne greifen sich öffentliche Bauaufträge für Riesenbrücken in Kroatien, in der Volksrepublik dürfen EU-Firmen aber bei ähnlichen Projekten nicht einmal bei der Ausschreibung mitbieten. Genau das soll sich durch das “Instrument für das internationale Beschaffungswesen” (IPI) ändern. Mit der neuen EU-Verordnung will die Kommission den chinesischen Beschaffungsmarkt aufbrechen. Gleichzeitig will sie Billigangebote aus China bei öffentlichen Ausschreibungen benachteiligen. Über IPI soll bereits im Juni im Europaparlament abgestimmt werden. Dann fehlt nur noch das grüne Licht des EU-Rats, bevor die neuen Vorgaben formal beschlossen sind und in Kraft treten können.

Konkret ist der Plan: Wenn sich ein Drittstaat wie die Volksrepublik weigert, seinen öffentlichen Beschaffungsmarkt für EU-Anbieter im gleichen Ausmaß zu öffnen wie die EU, drohen Sanktionen. So können die Angebote aus China entweder komplett von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden oder bekommen einen Preisaufschlag obendrauf. Für einen Ausschluss bedarf es einer qualifizierten Mehrheit der EU-Regierungen. Das sind zwei Drittel der Mitgliedsstaaten. Geht es dagegen nur um einen Preisaufschlag, wird dieser von Brüssel aus angewiesen. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen und auch nicht bei jeder Ausschreibung:

  • Die EU muss zuerst Untersuchungen zu den Fällen einleiten, in denen eine Beschränkung für EU-Unternehmen auf Beschaffungsmärkten in Drittstaaten vermutet wird;
  • Dann wird bei formalen Konsultationen mit dem betreffenden Land über die Öffnung seines Beschaffungsmarktes gesprochen;
  • Gibt es keine Änderung in dem Drittstaat, kann letztendlich der Zugang für die ausländischen Unternehmen in der EU beschränkt werden;
  • Außerdem greifen Grenzwerte für die Vergabeverfahren: Die neuen Regeln gelten erst für Bauleistungen und Konzessionen bei einem Wert ab 15 Millionen Euro und bei Waren und Dienstleistungen bei einem Wert von mehr als fünf Millionen Euro.
  • Ausnahmen gibt es für Entwicklungsländer. Auch können Ausnahmeregelungen geschaffen werden, wenn beispielsweise große Mengen eines Produktes schnell beschafft werden müssen.

In China gebe es bisher “null Bereitschaft, den Markt zu öffnen”, sagte der für das IPI federführende EU-Abgeordnete Daniel Caspary (CDU) bei einer Pressekonferenz nach der Einigung des EU-Parlaments und des EU-Rats. Der EU gehe es mit dem neuen Instrument nicht darum, den europäischen Markt für Drittstaaten zu schließen, sondern vielmehr darum, andere Länder zu ermutigen, sich zu öffnen. Aber: “Wir wollen im Zweifel wehrhaft sein und Druck ausüben”, so Caspary. Er betonte, dass China mit billigen Aufträgen im Ausland auch Know-how ins eigene Land abziehen wolle.

Weitere Beschränkungen durch “heimische Wertschöpfung”

Die große Frage ist jedoch, ob solche Strafen wirklich dazu führen werden, dass China seine öffentlichen Ausschreibungen für die Europäer öffnet. Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ist noch skeptisch. “Ich denke, grundsätzlich lassen sich die Auswirkungen schwer einschätzen.” Matthes sieht in der Volksrepublik derzeit zwei gegensätzliche Entwicklungen, die den von der EU gewünschten Erfolg mit dem IPI beeinflussen: Einerseits gebe es in China kleine Liberalisierungsschritte, etwa für ausländische Investitionen und Joint-Venture-Bestimmungen oder im Rahmen des Abkommens Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP). Auch bei den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bewege sich zumindest auf dem Papier etwas, so Matthes. “Das ist die eine Seite, wo wir durchaus hier und da positive Entwicklungen in den letzten Jahren gesehen haben.” 

Auf der anderen Seite wolle China zunehmend autark werden. Es fördert das unter anderem durch die “Made in China 2025”-Politik, so der Wirtschaftswissenschaftler. Im Auge habe Peking dabei eine Reihe von Hochtechnologie-Bereichen, unter anderem die Medizintechnik. “Hier gab es sogar noch weitere Einschränkungen für die öffentliche Beschaffung durch Vorgaben zum Domestic Content”, so Matthes.

Laut diesen Vorschriften zur heimischen Wertschöpfung sollen bei der öffentlichen Beschaffung bevorzugt Produkte und Hersteller aus der Volksrepublik gewählt werden. Provinzen wie Zhejiang und Guangdong haben beispielsweise Weiße Listen für die Einfuhr von Medizinprodukten veröffentlicht. Staatliche Krankenhäuser dürfen dort keine importierten Medizinprodukte anschaffen, die nicht auf der Liste stehen. Ausländische Unternehmen werden es in den Bereichen mit Fokus auf “Domestic Content” in Zukunft noch schwerer haben, in Ausschreibungen den Zuschlag zu bekommen, ist sich Matthes sicher. 

Der Markt für öffentliche Beschaffung von Medizintechnik ist ein Paradebeispiel für die zunehmend autark ausgerichtete Politik Chinas: “Die chinesischen Importe von Medizintechnikgütern aus der EU, den USA und der Schweiz sind im vergangenen Jahr zurückgegangen. Darüber hinaus ist der Rückgang der chinesischen Importe von Medizintechnik insbesondere bei den zentralstaatlich beschafften Medizintechnik zu beobachten”, schreiben Forscher:innen der Denkfabrik Europäisches Zentrum für internationale politische Ökonomie in einer Studie. Für diese wurden öffentliche Ausschreibungen in der Medizintechnik in China genauer betrachtet. Chinesische Firmen konnten sich im beobachteten Zeitraum zwischen 2019 und 2021 demnach bei 68 Prozent der Ausschreibungen durchsetzen – Tendenz steigend, wie ECIPE schreibt.

Matthes: Mehr China-Kompetenz auf lokaler Ebene nötig

Weil das IPI mehr Reziprozität schaffen könnte, fällt Matthes ein insgesamt verhalten optimistisches Urteil: “Die Chancen, dass sich in China etwas zum Vorteil europäischer Unternehmen in der öffentlichen Beschaffung tut, ist mit IPI definitiv größer als ohne.” 

Auch für den EU-Markt sei das neue Instrument unverzichtbar, so Matthes. Denn oft gingen chinesische Anbieter mit Dumpingpreisen in den Beschaffungsmarkt. Das ließe sich verhindern, wenn die EU das IPI – nach vergeblichen Verhandlungen mit China – tatsächlich umsetzt. Zudem sei allein die Geschlossenheit der EU ein Zeichen an Peking. Auch wenn EU-Vertreter betonen, es handele sich nicht um ein “Lex China”.

Wie sich die Vorgaben aus Brüssel letztlich konkret in der öffentlichen Beschaffung niederschlagen, sei noch offen, sagt Matthes. “Das hängt auch davon ab, wie die Verwaltungsfachleute in den Kommunen das IPI bei ihren öffentlichen Ausschreibungen in die Praxis umsetzen.” Eine kritische Debatte über Chinas Rolle in der europäischen Wirtschaft könne dabei zu mehr Sensibilität gegenüber chinesischen Dumping-Offerten führen. Daher spricht Matthes sich für mehr China-Kompetenz auch auf regionaler und lokaler Ebene aus, wo Entscheidungen fallen.  

Chinesischer Minister: Markt ist offen genug

Kritiker sehen in dem neuen Vergabe-Instrument zunehmenden Protektionismus der EU. Sie fürchten, dass das Instrument EU-Märkte gegen China abschotten werde, ohne dass sich in der Volksrepublik die Dinge positiv ändern. Die Behauptung, der chinesische Markt sei nicht offen genug für Firmen aus der EU, sei eine “Verzerrung der Fakten”, sagte der für Handel zuständige Minister bei der EU-Vertretung Chinas, Peng Gang, bei einer Online-Veranstaltung der EU-China Business Association (EUCBA).

Unternehmen aus der EU haben in China einen guten Ruf und seien deshalb durchaus sehr gefragt. Das ginge sogar so weit, dass chinesische Lokalregierungen Firmen aus der Heimat “diskriminierten”, weil sie lieber mit ausländischen Anbietern arbeiten wollten, so Peng Gang. “IPI ist bisher nicht implementiert, die Auswirkungen werden erst die Zeit zeigen”, sagt der Minister.

  • EU
  • Handel
  • Industrie
  • RCEP

News

Scholz spricht mit Xi

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping haben sich am Montag über den russischen Angriff auf die Ukraine und seine Auswirkungen unter anderem auf die globale Nahrungsmittelversorgung und Energiesicherheit ausgetauscht. Außerdem sei es in der Videokonferenz um “die Entwicklung und die Konsequenzen der Covid-19-Pandemie, eine vertiefte Kooperation beim Klimaschutz, die Energietransformation sowie die EU-China-Beziehungen” gegangen. Zudem sei über eine weitere Vertiefung der bilateralen Beziehungen und über die Zusammenarbeit im Wirtschaftsbereich gesprochen worden, so die Bundesregierung in einer sehr kurzen Mitteilung.

Wesentlich ausführlicher ging die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua auf das Gespräch ein. Der chinesischen Version zufolge versicherten sich die beiden Spitzenpolitiker, wie wichtig die deutsch-chinesischen Beziehungen seien. Xi betonte demzufolge die Wichtigkeit von Stabilität in unsicheren Zeiten. Deutschland sei ein Land mit erheblichem Einfluss. China und Deutschland unterhielten Beziehungen von hoher Qualität. Das sei das Ergebnis von “gegenseitigen Verpflichtungen zur Win-Win-Kooperation”. China halte an seinem Wunsch nach engerer Zusammenarbeit fest.

Mitteilungen zum Gespräch unterscheiden sich

Xi sagte zu Scholz, dass beide Seiten für Multilateralismus, die Rolle der Vereinten Nationen und die Aufrechterhaltung von Normen in internationalen Beziehungen stehen. Er ermahnte Europa, sich seiner historischen Verantwortung für Stabilität bewusst zu sein und selbst für seine Sicherheit zu sorgen. Der Austausch zum Thema Ukraine mit Scholz sei “freimütig” gewesen. China stehe “auf der Seite des Friedens” und arbeite “auf seine Weise” auf Entspannung hin.

Eine wichtige Botschaft ergibt sich bereits aus Länge und Wortwahl der beiden konkurrierenden Mitteilungen. Das Kanzleramt zeigte sich schmallippig und wollte Hinweise auf einen freundlichen Umgang vermeiden – schließlich hängen dicke Differenzen bezüglich der Haltung zur Invasion zwischen EU und China. Die lange Agenturmeldung von chinesische Seite erweckte dagegen den Eindruck eines langen, freundlichen Austauschs im diplomatischen Normalbetrieb.

Klingbeil fordert zu härterem Kurs gegen China

Xis Mahnung an Europa, für Stabilität zu sorgen und selbst für die eigene Sicherheit zu sorgen, enthielt weitere Botschaften. “Verantwortung” und “Stabilität” sind als Aufforderung zu verstehen, die Ukraine nicht mit Waffen zu versorgen und Russland gewähren zu lassen. Mit dem Aufruf zu europäischer Eigenständigkeit wiederum meint Xi Jinping eine Abkehr von den USA und eine Lockerung demokratischer Bündnisstrukturen. Ein solcher Kurs würde potenziell Chinas Einfluss erhöhen.

Am Sonntag erst hatte SPD-Chef Lars Klingbeil in einem Interview mit dem Fernsehsender Phoenix zu einem anderen Auftreten im Umgang mit der Volksrepublik aufgerufen. Politik und Wirtschaft hätten im Falle Russland stets auf einen politischen Konsens mit Moskau gedrungen. Das sei ein Fehler gewesen, gestand Klingbeil ein und zog daraus den Schluss, dass man China gegenüber “heute anders auftreten und kritischer sein” müsse. China hat die russische Invasion der Ukraine nicht verurteilt, sondern schiebt die Schuld für den Krieg auf die USA und die Nato. grz/fin

  • Deutschland
  • EU
  • Geopolitik
  • Xi Jinping

Export schwächelt – Importe aus Russland steigen

Chinas Exportwachstum ist wie erwartet zurückgegangen. Im April betrug der Anstieg nur noch 3,9 Prozent, wie die Zollverwaltung in Peking am Montag mitteilte. Es handelte sich um den niedrigsten Wert seit dem ersten Corona-Jahr 2020. Im März lag das Plus noch bei 14,7 Prozent. Nach den Lockdowns in Shanghai und anderen wirtschaftsstarken Regionen hatten Ökonomen jedoch fest mit schwächeren Zahlen gerechnet (China.Table berichtete). Auch erhebliche Auswirkungen auf den Handel waren zu erwarten.

In den Zoll-Daten verbergen sich andererseits überraschend gute Nachrichten. China Einfuhren blieben trotz der zahlreichen Krisen ungefähr gleich. Die Lockdowns und die anderen Unsicherheiten haben noch nicht zu einem Absturz der Gesamtkonjunktur geführt. Für Mai erwarten Ökonomen allerdings eine erhebliche Eintrübung, weil sich die negativen Effekte mit der Zeit gegenseitig verstärken. Wenn Omikron sich also weiter verbreitet und zudem Shanghai noch lange im Griff hält, kann sich die Lage rasch verschlechtern. Das merken dann auch die Handelspartner deutlich. Die Importe aus Deutschland gaben um zehn Prozent nach.

Besondere Aufmerksamkeit galt am Montag auch Chinas Handel mit Russland. Dort zeigte sich im April ein gemischtes Bild. Ins Auge sticht zunächst ein Rückgang der chinesischen Exporte nach Russland. Im Vorjahresvergleich fiel die Nachfrage aus dem sanktionierten Nachbarland um 26 Prozent. Mit Beginn der Strafen ist der starke Exporttrend von China nach Russland zusammengebrochen. Diese Entwicklung spiegelt die generelle Wirtschafts- und Zahlungsschwäche im Land Wladimir Putins wider.

Zugleich aber hat Russland in China durchaus einen aufnahmebereiten Markt für die eigenen Waren gefunden: Chinas Import stieg um 57 Prozent. Es handelt sich vor allem um Rohstoffe. Mangels zusätzlicher Pipelines stieg die Einfuhr von russischem Öl jedoch nur um vier Prozent. Es muss per Schiff angeliefert werden. Da zugleich die Nachfrage nach Kraftstoff in China um ein Fünftel gesunken ist, stiegen auf der anderen Seite Chinas Energie-Exporte in andere Weltgegenden. Das bedeutet: China leitet indirekt russisches Öl auf den Weltmarkt weiter. fin

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Handel
  • Rohstoffe
  • Russland
  • Ukraine

Adidas erwartet sinkenden Absatz

Nach einem Gewinneinbruch zu Jahresbeginn schraubt der weltweit zweitgrößte Sportartikelkonzern Adidas die Erwartungen für 2022 zurück. Grund für den schwindenden Optimismus ist das abflauende Geschäft auf dem einstigen Wachstumsmarkt China, das unter Boykottaufrufen gegen westliche Marken und den neuerlichen Coronavirus-Lockdowns in großen Städten leidet. Dort brach der Umsatz in den ersten drei Monaten um 35 Prozent ein, wie Adidas am Freitag in Herzogenaurach mitteilte.

In China erwirtschaftet Adidas traditionell die höchsten Renditen. Dort werde der Umsatz 2022 aber stark sinken. Adidas leidet zudem wegen der langen Lieferzeiten auch noch unter den Nachwirkungen des monatelangen coronabedingten Produktions-Stillstands in Süd-Vietnam. Dort stehen einige der wichtigsten Fabriken für Schuhe und Bekleidung. rtr/fin

  • Adidas
  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Handel
  • Industrie

SEC droht chinesischen Firmen mit Börsen-Ausschluss

Die US-amerikanische Börsenaufsicht (SEC) hat mehr als 80 chinesischen Firmen mit dem Ausschluss von US-amerikanischen Börsen gedroht. Unter den Unternehmen befinden sich Schwergewichte wie JD.com, Jinkosolar, China Petroleum & Chemical, Pinduoduo, Nio und Bilibili. Hintergrund ist ein jahrelanger Streit zwischen den USA und China um die Offenlegungspflichten, denen an US-Börsen notierte Unternehmen nachkommen müssen. Die Unternehmen müssen den US-Behörden ihre Jahresabschlüsse zur Überprüfung offenlegen. Das Ersuchen wurde bisher von China aus Gründen der nationalen Sicherheit abgelehnt. Die Regulierungsbehörden beider Länder sprechen derzeit über eine Vereinbarung zu dem Thema.

Erst im März war Weibo von der SEC gewarnt worden. Allerdings droht den chinesischen Unternehmen kein kurzfristiger Ausschluss von den US-Börsen. Die US-Gesetzgebung sieht einen Ausschluss erst vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihre Bilanzen in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht offenlegen (China.Table berichtete). Das Gesetz stammt aus dem Jahr 2020. Dementsprechend haben die USA und China noch bis mindestens zum Jahr 2024 Zeit für eine Einigung. Laut Bloomberg-Informationen ist die chinesische Seite bereit, den US-Behörden demnächst den gewünschten Zugang zu den Jahresabschlüssen zu gewähren. nib

  • Börse
  • Finanzen
  • USA

USA erwägen Sanktionen gegen Hikvision

Die USA ziehen einem Medienbericht zufolge scharfe Sanktionen gegen das chinesische Videoüberwachungsunternehmen Hikvision in Betracht. Das US-Finanzministerium denke darüber nach, den weltweit größten Hersteller von Überwachungsgeräten und Gesichtserkennungssoftware auf eine Embargo-Liste zu setzen. Die Eintragung auf der sogenannten Liste der Specially Designated Nationals and Blocked Persons (kurz SDN) würde US-Unternehmen und Bürgern den Handel und Finanztransaktionen mit Hikvision verbieten. Außerdem könnte Vermögen des Unternehmens in den USA eingefroren werden. Das berichtete die Financial Times am Mittwoch unter Berufung auf vier nicht näher genannte Regierungsquellen.

Hikvision wäre der erste chinesische Technologiekonzern auf der SDN-Liste – die Sanktionen wären damit noch weitreichender als die US-Strafmaßnahmen gegen Huawei. Dem Bericht zufolge hat Washington bereits damit begonnen, andere Hauptstädte zu informieren, da Hikvision Kunden in mehr als 180 Ländern hat. Das chinesische Unternehmen erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die “potenziellen Maßnahmen der US-Regierung” noch geprüft werden müssen.

Hikvision und seine Produkte sind hochgradig umstritten. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen ermöglicht zu haben, indem es der chinesischen Regierung Kameras verkauft hat, die in Lagern in Xinjiang eingesetzt werden. Die Sanktionen könnten das Verhältnis zwischen Peking und Washington weiter verschlechtern. ari

  • Handel
  • Menschenrechte
  • USA
  • Xinjiang
  • Zivilgesellschaft

Standpunkt

USA und China: Positiver strategischer Wettbewerb

von Michael Spence
Michael Spence schreibt über die Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit China.
Michael Spence, Wirtschaftsnobelpreisträger und Senior Fellow der Denkfabrik Hoover Institution

Mittlerweile ist weithin anerkannt, dass die wirtschaftlichen und technologischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China von einer Kombination aus strategischer Zusammenarbeit und strategischem Wettbewerb geprägt sein werden. Strategische Zusammenarbeit wird in der Regel begrüßt, denn die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen – vom Klimawandel über Pandemien bis hin zur Regulierung im Bereich der Spitzentechnologien – erfordert das Engagement der beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Strategischer Wettbewerb wird jedoch tendenziell als beunruhigende, ja sogar bedrohliche Aussicht betrachtet. Das muss nicht sein.

Die Befürchtungen hinsichtlich des amerikanisch-chinesischen Wettbewerbs, insbesondere im technologischen Bereich, sind Ausdruck einer Überzeugung auf beiden Seiten, dass ein auf nationaler Sicherheit basierender, weitgehender Nullsummen-Ansatz unvermeidlich ist. Diese Annahme steuert die Entscheidungsfindung in eine unkonstruktive, konfrontative Richtung und erhöht die Wahrscheinlichkeit politischer Fehler.

In Wirklichkeit bestehen positive und negative Formen des strategischen Wettbewerbs. Um die Vorzüge des positiven Wettbewerbs – und deren Nutzung – zu verstehen, müssen wir einen Blick darauf werfen, wie Wettbewerb die Innovation in den Volkswirtschaften vorantreibt.

In fortgeschrittenen Volkswirtschaften und Ökonomien mit hohem mittleren Einkommen sind Produkt- und Prozessinnovationen der Motor für Produktivitätssteigerungen – ein entscheidender Faktor für langfristiges BIP-Wachstum. Der öffentliche Sektor spielt durch Investitionen in Humankapital und vorgelagerte wissenschaftliche und technologische Forschung eine Schlüsselrolle bei der Förderung dieser Innovation. Anschließend übernimmt der private Sektor in einem dynamischen Wettbewerbsprozess – von Joseph Schumpeter bekanntermaßen als “schöpferische Zerstörung” bezeichnet.

Schumpeters Schöpferische Zerstörung

Gemäß der Schumpeter’schen Dynamik erlangen die Unternehmen, die erfolgreiche Innovationen hervorgebracht haben, eine gewisse vorübergehende Marktmacht, die eine Kapitalrendite abwirft. Aber in dem Maße, in dem andere weiter Innovationen hervorbringen, schmälern sie die Vorteile des ursprünglichen Innovators. So wiederholt sich der Kreislauf von Wettbewerb und technologischem Fortschritt.

Dieser Prozess reguliert sich jedoch nicht von selbst, und es besteht die Gefahr, dass die ursprünglichen Innovatoren ihre Marktmacht nutzen, um andere daran zu hindern, sie herauszufordern. Die Innovatoren der ersten Stunde können beispielsweise den Zugang zu Märkten verweigern oder erschweren oder potenzielle Wettbewerber aufkaufen, bevor diese zu groß werden. In manchen Fällen werden wettbewerbsfeindliche, etablierte Unternehmen durch Regierungen mittels Subventionen unterstützt.

Um den Wettbewerb – mit all seinen weitreichenden Vorteilen für Innovation und Wachstum – zu erhalten, müssen die Regierungen eine Reihe von Regeln aufstellen, die wettbewerbswidriges Verhalten verbieten oder die Unternehmen abhalten, so zu agieren. Eingebettet sind diese Regeln in die Kartell- oder Wettbewerbspolitik und in Systeme, die die Grenzen der Rechte am geistigen Eigentum festlegen.

Die USA und China sind führend bei der Weiterentwicklung zahlreicher Technologien, die in der Lage sind, das globale Wachstum anzukurbeln. In welchem Ausmaß sich die beiden Länder engagieren, hängt jedoch vor allem von den Zielen ab, die sie verfolgen.

Wie bei den führenden innovativen Unternehmen einer Volkswirtschaft könnte das primäre Ziel in technologischer Vorherrschaft bestehen, also der Schaffung und Aufrechterhaltung eines klaren und dauerhaften technologischen Vorsprungs. Um das zu erreichen, würde ein Staat versuchen, einerseits die Innovation im Land zu beschleunigen und andererseits den größten Konkurrenten zu behindern, indem man ihm beispielsweise den Zugang zu Informationen, Humankapital, anderen wichtigen Vorleistungen oder externen Märkten verwehrt.

Dieses Szenario stellt ein Beispiel für schlechten strategischen Wettbewerb dar. In beiden Ländern – und tatsächlich in der gesamten Weltwirtschaft – wird so der technologische Fortschritt geschwächt, nicht zuletzt durch die größenmäßige Begrenzung des gesamten zugänglichen Marktes. Angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer langfristigen technologischen Vorherrschaft könnten Länder ein stärker praxisorientiertes und potenziell vorteilhafteres Ziel anpeilen. Für die USA besteht es darin, nicht ins Hintertreffen zu geraten; für China, den Aufholprozess in Bereichen abzuschließen, wo man derzeit hinterherhinkt. In diesem Szenario konkurrieren sowohl China als auch die USA, indem sie massiv in die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen ihrer Volkswirtschaften investieren.

Diversifizierung an sich ist dabei keine wettbewerbsfeindliche Politik. Chinas Strategien Made in China 2025 sowie die Initiative des dualen Kreislaufs sehen vor, die technologische Leistungsfähigkeit Chinas zu stärken und gleichzeitig die Abhängigkeit von ausländischen Technologien, Vorleistungen und sogar der Nachfrage zu verringern. Auch das amerikanische Gesetz zur Investition in Innovation durch Forschung und Entwicklung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (der America Competes Act) aus dem Jahr 2022 zielt darauf ab, die wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten des Landes zu verbessern und – nicht zuletzt durch die Verringerung der Abhängigkeit von Importen aus China – seine Lieferketten zu stärken. Obwohl die Gesetzesvorlage noch nicht in ihrer endgültigen Form vorliegt, können die darin enthaltenen Bestimmungen weitgehend mit gutem strategischen Wettbewerb in Einklang gebracht werden.

Guter Wettbewerb in nationaler Sicherheit und Militär sind unmöglich

Der einzige Bereich, in dem guter Wettbewerb unmöglich ist, ist die nationale Sicherheit. Obwohl in Konflikten viele Technologien zum Einsatz kommen können, gilt es, maßgebliche und hauptsächlich für militärische und sicherheitspolitische Zwecke verwendete Technologien von dem ansonsten relativ offenen globalen Technologiewettbewerb abzugrenzen.

Derzeit besteht die Gefahr darin, dass zu viele Technologien als relevant für die nationale Sicherheit eingestuft werden und somit Nullsummenregeln unterliegen. Dieser Ansatz hätte die gleichen Auswirkungen wie das fehlgeleitete Streben nach technologischer Vorherrschaft sowie deren Aufrechterhaltung und würde die wirtschaftlichen Vorteile des Wettbewerbs untergraben.

Idealerweise sollten die Länder anstreben, eine Führungsposition im Bereich Innovation zu erreichen oder sie zu verteidigen, ohne den Versuch zu unternehmen, andere daran zu hindern, sie herauszufordern. Angesichts des beträchtlichen weltwirtschaftlichen Gegenwinds – darunter Bevölkerungsalterung, hohe Staatsverschuldung, zunehmende geopolitische Spannungen und Konflikte sowie angebotsseitige Störungen – und der steigenden Investitionen zur Bewältigung der Herausforderungen in den Bereichen Umwelt und Chancengleichheit benötigt die Welt mehr denn je eine positive Form des strategischen Wettbewerbs.

Michael Spence ist Wirtschaftsnobelpreisträger, Professor Emeritus der Stanford University und Senior Fellow an der Hoover Institution. Übersetzung: Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2022.
www.project-syndicate.org

  • Geopolitik
  • Technologie
  • USA

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Hendrik Streeck im Interview: Auffrischung mit Chinas Vakzinen wirkt
    • Lockerungen statt Lockdown in Hongkong
    • Beschaffung: EU will mehr Fairness
    • Scholz und Xi telefonieren
    • Export schwächelt, aber Importe aus Russland steigen
    • Adidas verkauft weniger Turnschuhe 
    • SEC droht chinesischen Unternehmen
    • Hikvision im Fokus der USA
    • Standpunkt von Michael Spence zum “positiven Wettbewerb” USA-China
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    gibt es Alternativen zum harten Lockdown? Der Virologe Hendrik Streeck bejaht diese Frage nicht nur. Im Interview mit Frank Sieren ist er sogar skeptisch, ob sich die Omikron-Variante überhaupt durch Tests und Ausgangssperren langfristig eindämmen lässt. Dafür ist das Virus zu ansteckend.

    Streeck teilt stattdessen mit uns eine überraschende Erkenntnis: Der chinesische Impfstoff wirkt nach der dritten Dosis gar nicht so schlecht gegen Omikron. Überraschend ist diese Feststellung aus zwei Gründen. Einerseits, weil sie dem Narrativ vom unwirksamen China-Vakzin widerspricht. Andererseits, weil sie es umso rätselhafter erscheinen lässt, warum China nicht auf Teufel komm raus weiterimpft. Streecks Schlussfolgerung leuchtet umso mehr ein: “China muss die Impfkampagne bei den älteren Menschen vorantreiben.” Das ist der Weg aus der Lockdown-Falle.

    Die Corona-Lage in Peking ist weiter ernst und kompliziert, wie es am Montag die Stadtverwaltung umschreibt. 50 neue Fälle – vor allem im Bezirk Shunyi – bedeuten weitere Massentests für die Pekinger. Und auch in Shanghai werden die Einschränkungen wieder verschärft.

    Hongkong verfolgt indes eine Strategie, wie Streeck sie nahelegt. Unser Autorenteam hat sich die Corona-Politik in der Sonderverwaltungszone genauer angeschaut – statt eines Lockdowns wie auf dem chinesischen Festland, will Hongkongs neuer Regierungschef John Lee zügig die Grenzen wieder öffnen. Die paradoxe Folge dieser zwei unterschiedlichen Politikansätze: Einreisen aus dem fernen Europa wären dann einfacher als aus dem nahen Festland.

    Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Interview

    Hendrik Streeck: “Statt Lockdown die Alten boostern”

    Virologe Hendrik Streeck
    Virologe Hendrik Streeck

    Professor Streeck, was macht die chinesische Regierung in Bezug auf Omikron falsch?

    Wir versuchen, die Lage in China von hier aus sehr genau zu beobachten, soweit das möglich ist. Einerseits können wir daraus viel lernen. Zum anderen würde man angesichts der bedrückenden Bilder, die man sieht, gerne helfen. China hat einerseits das Problem, dass die Impfquote mit einem Impfstoff, der im Grunde gut wirkt, gerade bei älteren Menschen noch nicht hoch genug ist…

    …Sie sprechen über den chinesischen Impfstoff von Sinovac…

    …ja. Er wirkt allerdings erst gut, wenn eine dritte Impfung gegeben wurde. Andererseits bin ich, was die Reaktion auf die fehlenden Impfungen betrifft, also diesen Lockdown, diese wirklich schweren Einschnitte, sehr, sehr skeptisch.

    Warum?

    Wenn Menschen gezwungen sind, sich in Innenräumen aufhalten, ist es nicht ausgeschlossen, dass das Virus schon im Raum ist – auch, wenn sie vorher PCR negativ getestet wurden. Wenn sie dann in Innenräumen zu mehreren beieinander sitzen, dämmt man die Pandemie nicht ein. Es passiert das Gegenteil: Man erzeugt einen noch größeren Ausbruch.  

    Was wäre die Alternative? Chinas Gesundheitssystem ist viel schwächer aufgestellt als das deutsche. In Deutschland haben wir etwa 36 Betten pro 100.000 Einwohner, in China nur 3,5. Eine Öffnung bei so vielen unzureichend geimpften Alten hält das Gesundheitssystem nicht aus.

    China muss die Impfkampagne bei den älteren Menschen vorantreiben. Zwar ist die Impfung nicht perfekt; das Virus kann nicht über die Impfung eingedämmt werden. Sicher ist aber inzwischen: Durch die Booster-Impfung lassen sich schwere Verläufe gut vermeiden. Das klappt nicht immer, das muss man einräumen. Aber zum aller-allergrößten Teil können dadurch schwere Verläufe und so auch eine Überbelastung des Gesundheitssystems vermieden werden. Mein Rat wäre also – und das ist wahrscheinlich auch der Rat der WHO für China – nun vor allem an einer Impfkampagne zu arbeiten.

    Es ist ja inzwischen erwiesen, dass der chinesische Impfstoff deutlich schwächer wirkt als beispielsweise der von Biontech. Wäre es für die chinesische Regierung nicht sinnvoll, nun in den sauren Apfel zu beißen und endlich einen westlichen Impfstoff zu verwenden?

    Ja und nein. Der Sinovac-Impfstoff ist zum Beispiel gar nicht so schlecht. Er bleibt zwar in der Wirksamkeit hinter dem Biontech/Pfizer-Impfstoff zurück. Aber eine kürzlich veröffentlichte Studie hat deutlich gezeigt: Wenn man eine dritte Impfung durchführt, ist die Wirksamkeit von Sinovac und Biontech gleich, was den Schutz vor einem schweren Verlauf der Infektion betrifft. Und vor allem darum geht es nun in China.  

    Es gibt ja Bestrebungen auch einen eigenen mRNA-Impfstoff in China zu produzieren und zu entwickeln.

    Auch die haben Nachteile. Ich würde mich in dieser akuten Situation darauf konzentrieren, das, was da ist zu nehmen und vor allem die dritte Impfung nach vorne zu bringen.

    Es geht bei den Alten um weit über 100 Millionen Menschen. Das dauert selbst in China länger. Ist der Wettlauf mit der Zeit nicht schon verloren?

    Ich weiß nicht, wie groß die Vorräte von Sinovac sind. Aber weltweit jedenfalls mangelt es derzeit nicht an Impfstoff. Alleine in Deutschland verfallen, glaube ich, zwei Millionen Impfdosen bis zum Sommer. Das geht vielen Ländern so. In Lateinamerika zum Beispiel wird man die Impfstoffe auch nicht mehr los. China könnte sich von diesen Ländern helfen lassen. Das ist allerdings der politische saure Apfel, von dem Sie vorhin gesprochen haben. In den sollten sie nun jedoch beißen. Es geht nicht anders. Die Null-Covid-Strategie kann China nicht durchhalten. Selbst, wenn es gelänge, die Reisen nach China komplett einzuschränken, können Katzen über die Grenze laufen, Mäuse oder Rehe. In all diesen Tieren können wir das Virus nachweisen, sodass es fast unmöglich ist, so ein Virus einzudämmen. Es ist jedoch möglich, die vulnerable Gruppen schützen.

    War die Null-Covid Strategie von Anfang an ein Fehler?

    Sie hat ja vor Omikron gut funktioniert. Das Konzept hatte durchaus seinen Reiz. Also zu sagen, man macht das Land zu und muss sich dann keine Sorgen mehr machen vor den Infektionen. Doch nun zeigt sich, es ist unmöglich, zumal es keinen Impfstoff gibt, der wirklich vor Infektionen schützt. Ein Strategieumschwung ist allerdings nicht leicht. Das hat man in Hongkong gesehen. Nun sind Shanghai und China in einer schwierigen Lage gefangen, in der sie versuchen, erstmal wieder Herr der Infektion zu werden, in der aber gleichzeitig bei den Impfungen zu wenig gemacht wird. Diese wären aber eigentlich wichtiger.

    In Peking ist man der derzeit in der Test-and-Trace-Phase. Ist das noch sinnvoll bei Omikron?

    Das ist ein sehr altes Konzept zur Eindämmung von Infektionskrankheiten und funktioniert in der Regel auch recht gut. Das Problem dabei:  Die Antigen-Tests sind in den ersten Tagen der Infektion nicht wirksam. Die PCR-Tests wiederum haben einen enormen Zeitverzug. Auch weitere Studien werden in Zukunft sehr wahrscheinlich bestätigen, was wir schon wissen. Test and Trace ist kein wirkungsvolles Konzept bei so einem hoch ansteckenden Erreger, weil man einfach zu langsam ist damit.

    Aber macht es nicht dennoch Sinn, die Infizierten zu identifizieren?

    Generell hilft es schon in der Eindämmung, wenn man das erst einmal versucht. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass immer wieder punktuell Infektionen auftauchen werden, die man nicht nachvollziehen kann, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen. Allein damit kann man die Infektionen jedenfalls nicht dauerhaft unten halten.

    Also hilft nichts anderes als Impfen?

    Das ist das Wichtigste. Hinzu kommen spezielle Hygiene-Konzepte, vor allem Luft-Hygiene, Konzepte für Einrichtungen mit vulnerablen Gruppen. Großveranstaltungen sollte man natürlich im Moment erst mal nicht haben. Und was immer noch am besten funktioniert: Die Masken, die Infektionen reduzieren. Aber da sind die Chinesen ja vorbildlich. Wir haben aus Asien überhaupt erst gelernt, wie wirksam die Masken sind.

    In Peking werden derzeit die Straßen desinfiziert. Macht das Sinn?

    Das bringt nicht so viel. Das Virus hält sich nicht lange auf Oberflächen. Bei UV-Strahlung oder höheren Temperaturen noch schlechter.  

    Was könne Sie den Menschen sagen, die nun schon über 30 Tage im Lockdown sitzen. Wie lange wird es noch dauern?

    Das weiß ich auch nicht. Ich bin selbst auch ein wenig sprachlos, wie Sie vielleicht aus meinen Worten raushören. Man kann ihnen, glaube ich, nur Mut zusprechen. Ich hoffe einfach, dass sich die Lage bald von den Infektionszahlen her bessert, sich aber auch die politische Lage entspannen wird und man einen etwas pragmatischeren Umgang finden wird. Am Ende geht es um den politischen Willen, und den kann kein Virologe einschätzen.

    Hendrik Streeck, Jahrgang 1977, ist Professor für Virologie an der Universität Bonn. Derzeit berät er auch die Bundesregierung im Corona-ExpertInnenrat. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei HIV.

    • Corona-Impfstoffe
    • Coronavirus
    • Gesellschaft
    • Gesundheit

    Analyse

    Hongkong verzichtet auf Chinas Null-Covid-Strategie 

    Hongkong möchte nicht länger an der Null-Covid-Strategie festhalten.
    Kein Lockdown in Hongkong: vielmehr lockert die Regierung schrittweise die Einschränkungen.

    Raus aus dem Dilemma: In seiner Siegesrede am Sonntag hat Hongkongs künftiger Regierungschef John Lee deutlich gemacht, wo die Prioritäten nach seinem Amtsantritt am 1. Juli liegen sollen. Lee und seine neue Mannschaft wollen versuchen, Hongkong schnellstmöglich aus der für die Wirtschaft schädlichen Corona-Isolation zu befreien. Ein Unterfangen, an dem auch die noch amtierende Regierung unter Carrie Lam arbeitet, aber bislang noch keinen Erfolg vermelden konnte.

    Seit mehr als zwei Jahren gelten die strengen Maßnahmen, die jede Reise für Hongkonger zu einer Tortur machen. Trips ins Ausland ziehen nach der Rückkehr eine lange Hotel-Isolation in Hongkong nach sich. Nicht einmal Reisen ins benachbarte Shenzhen auf dem chinesischen Festland sind ohne Quarantäne möglich. Zahlreiche Hongkonger waren phasenweise sogar aus ihrer Heimat regelrecht ausgesperrt. Immer wieder wurden kurzfristig Flug- und Einreiseverbote verhängt, die es unmöglich machten, aus vom Coronavirus besonders hart getroffenen Ländern zurückzukommen. Für Touristen und Geschäftsreisende ohne Hongkonger Staatsbürgerschaft war die Stadt bis vor wenigen Tagen sogar komplett dicht.

    Die Situation verlangt nicht nur den Menschen vieles ab, auch die wirtschaftliche Produktivität leidet massiv. Unternehmen und ausländische Handelskammern üben Druck auf die Regierung aus, indem sie immer wieder fordern, die Regeln endlich zu lockern.

    Und tatsächlich: Anders als auf dem chinesischen Festland, wo die Regierung konsequent an ihrer umstrittenen Null-Covid-Politik festhält, versucht Hongkong, mit größerer Flexibilität eine Rückkehr in die Normalität erreichen. Sie ließ Omikron mehr oder minder durch die Stadt rauschen, ohne panikartig aufgrund der Infektionszahlen die Bevölkerung komplett und monatelang einzusperren. Die Entwicklung scheint die Wahl der Mittel zu rechtfertigen: Die Fallzahlen in Hongkong gingen von mehr als 70.000 Infektionen pro Tag auf zuletzt weniger als 300 zurück.

    Hongkongs Behörden genießen mehr Rechte als Shanghai

    Als Sonderverwaltungszone genießt Hongkong deutlich mehr Selbstbestimmungsrechte als etwa Shanghai. Auch dort versuchte die Lokalregierung, einen harten Lockdown zu verhindern. Doch Peking sprach ein Machtwort, was zur Folge hatte, dass die Shanghaier Behörden nun Millionen Menschen seit mehr als einem Monat in ihren Wohnungen und Wohnblöcken isoliert. Während Staatsmedien vergangene Woche bereits “Licht am Ende des Tunnels” wähnten, zerstörte eine neue Direktive der Verwaltung am Wochenende die aufkeimende Hoffnung. (China.Table berichtete)

    Als im Februar in Hongkong die Corona-Fälle in die Höhe schnellten, sah es zunächst ähnlich düster aus. In Windeseile wurden Container-Lager errichtet, in denen Kontaktpersonen und Infizierte untergebracht werden sollten. Auch gab es Pläne für mehrere Runden von Zwangs-Massentests. Sich im Falle einer Infektion vor einer Einweisung ins Corona-Lager zu schützen, wäre nicht möglich gewesen. Doch dazu kam es nicht mehr. Die Regierung machte keine Anstalten, zu einer Null-Corona-Politik zurückzukehren. Stattdessen erfolgte eine 180-Grad-Wende: Inzwischen sind Restaurants, Kinos, Fitnessstudios und Schwimmbäder wieder weitestgehend normal geöffnet.

    Weitere Massentests in Peking angekündigt

    Ganz anders entwickelt sich die Lage in Peking. “Die Corona-Situation ist kompliziert und ernst”, sagte ein Sprecher der Stadtverwaltung am Montag. Zu Wochenbeginn wurden wieder 50 neue Fälle diagnostiziert, ein Großteil davon im nördlichen Bezirk Shunyi. Es sei nicht gelungen, Kontaktketten zu brechen, hieß es. Die Kontrollen müssten erhöht werden. Für Dienstag ist der Beginn einer neuen Runde Massentests in insgesamt 17 Bezirken angekündigt.

    Kinos oder Fitnessclubs bleiben geschlossen, auch zentrale Parkanlagen sind bis auf Weiteres gesperrt. Betreuung und Unterricht in Kindergärten, Grund- und Mittelschulen finden seit Mitte vergangener Woche nur noch online statt. In Chaoyang und Shunyi ist der öffentliche Nahverkehr ausgesetzt. Ab Donnerstag müssen Bürger:innen ein aktuelles, negatives PCR-Testresultat vorlegen, um öffentliche Einrichtungen betreten zu dürfen.

    Erleichterungen dagegen in Hongkong: Zum ersten Mal seit zwei Jahren dürfen wieder Besucher aus dem Ausland in die Stadt reisen. Die Dauer der Hotel-Quarantäne wurde von 14 Tagen auf nur noch sieben Tage verkürzt. Erste Forderungen werden bereits laut, dass diese Quarantäne auch in der eigenen Wohnung verbracht werden kann. Auch die Flugverbote, die für Airlines bisher verhängt wurden, wenn in einem Flieger zu viele positiv Getestete saßen, sollen wesentlich dosierter verhängt werden.

    Der gewählte Regierungsschef John Lee spricht zwar noch nicht offen davon, dass Hongkong künftig mit dem Virus leben solle. Klar scheint jedoch, dass die bisherige Corona-Politik Geschichte ist. Hieß es bisher stets, dass die Öffnung zum chinesischen Festland zuerst erfolgen müsse, spricht Lee nun nur noch allgemein von einer “Öffnung der Grenzen” – gemeint ist also, Hongkong gegebenenfalls zunächst aus seiner internationalen Abschottung zu befreien und das Festland warten zu lassen.

    Nach seinem Wahlerfolg sagte John Lee jedenfalls: “Ich bin mir der Notwendigkeit sehr bewusst, Hongkong für die Welt zugänglich zu machen. Und es ist auch wichtig, dass Hongkong normale Reisen mit dem Festland wieder aufnehmen kann.” Und zwar in dieser Reihenfolge. Jörn Petring/ Gregor Koppenburg 

    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Hongkong
    • John Lee

    EU will Chinas Markt für Beschaffung öffnen

    Chinesische Konzerne greifen sich öffentliche Bauaufträge für Riesenbrücken in Kroatien, in der Volksrepublik dürfen EU-Firmen aber bei ähnlichen Projekten nicht einmal bei der Ausschreibung mitbieten. Genau das soll sich durch das “Instrument für das internationale Beschaffungswesen” (IPI) ändern. Mit der neuen EU-Verordnung will die Kommission den chinesischen Beschaffungsmarkt aufbrechen. Gleichzeitig will sie Billigangebote aus China bei öffentlichen Ausschreibungen benachteiligen. Über IPI soll bereits im Juni im Europaparlament abgestimmt werden. Dann fehlt nur noch das grüne Licht des EU-Rats, bevor die neuen Vorgaben formal beschlossen sind und in Kraft treten können.

    Konkret ist der Plan: Wenn sich ein Drittstaat wie die Volksrepublik weigert, seinen öffentlichen Beschaffungsmarkt für EU-Anbieter im gleichen Ausmaß zu öffnen wie die EU, drohen Sanktionen. So können die Angebote aus China entweder komplett von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden oder bekommen einen Preisaufschlag obendrauf. Für einen Ausschluss bedarf es einer qualifizierten Mehrheit der EU-Regierungen. Das sind zwei Drittel der Mitgliedsstaaten. Geht es dagegen nur um einen Preisaufschlag, wird dieser von Brüssel aus angewiesen. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen und auch nicht bei jeder Ausschreibung:

    • Die EU muss zuerst Untersuchungen zu den Fällen einleiten, in denen eine Beschränkung für EU-Unternehmen auf Beschaffungsmärkten in Drittstaaten vermutet wird;
    • Dann wird bei formalen Konsultationen mit dem betreffenden Land über die Öffnung seines Beschaffungsmarktes gesprochen;
    • Gibt es keine Änderung in dem Drittstaat, kann letztendlich der Zugang für die ausländischen Unternehmen in der EU beschränkt werden;
    • Außerdem greifen Grenzwerte für die Vergabeverfahren: Die neuen Regeln gelten erst für Bauleistungen und Konzessionen bei einem Wert ab 15 Millionen Euro und bei Waren und Dienstleistungen bei einem Wert von mehr als fünf Millionen Euro.
    • Ausnahmen gibt es für Entwicklungsländer. Auch können Ausnahmeregelungen geschaffen werden, wenn beispielsweise große Mengen eines Produktes schnell beschafft werden müssen.

    In China gebe es bisher “null Bereitschaft, den Markt zu öffnen”, sagte der für das IPI federführende EU-Abgeordnete Daniel Caspary (CDU) bei einer Pressekonferenz nach der Einigung des EU-Parlaments und des EU-Rats. Der EU gehe es mit dem neuen Instrument nicht darum, den europäischen Markt für Drittstaaten zu schließen, sondern vielmehr darum, andere Länder zu ermutigen, sich zu öffnen. Aber: “Wir wollen im Zweifel wehrhaft sein und Druck ausüben”, so Caspary. Er betonte, dass China mit billigen Aufträgen im Ausland auch Know-how ins eigene Land abziehen wolle.

    Weitere Beschränkungen durch “heimische Wertschöpfung”

    Die große Frage ist jedoch, ob solche Strafen wirklich dazu führen werden, dass China seine öffentlichen Ausschreibungen für die Europäer öffnet. Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ist noch skeptisch. “Ich denke, grundsätzlich lassen sich die Auswirkungen schwer einschätzen.” Matthes sieht in der Volksrepublik derzeit zwei gegensätzliche Entwicklungen, die den von der EU gewünschten Erfolg mit dem IPI beeinflussen: Einerseits gebe es in China kleine Liberalisierungsschritte, etwa für ausländische Investitionen und Joint-Venture-Bestimmungen oder im Rahmen des Abkommens Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP). Auch bei den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bewege sich zumindest auf dem Papier etwas, so Matthes. “Das ist die eine Seite, wo wir durchaus hier und da positive Entwicklungen in den letzten Jahren gesehen haben.” 

    Auf der anderen Seite wolle China zunehmend autark werden. Es fördert das unter anderem durch die “Made in China 2025”-Politik, so der Wirtschaftswissenschaftler. Im Auge habe Peking dabei eine Reihe von Hochtechnologie-Bereichen, unter anderem die Medizintechnik. “Hier gab es sogar noch weitere Einschränkungen für die öffentliche Beschaffung durch Vorgaben zum Domestic Content”, so Matthes.

    Laut diesen Vorschriften zur heimischen Wertschöpfung sollen bei der öffentlichen Beschaffung bevorzugt Produkte und Hersteller aus der Volksrepublik gewählt werden. Provinzen wie Zhejiang und Guangdong haben beispielsweise Weiße Listen für die Einfuhr von Medizinprodukten veröffentlicht. Staatliche Krankenhäuser dürfen dort keine importierten Medizinprodukte anschaffen, die nicht auf der Liste stehen. Ausländische Unternehmen werden es in den Bereichen mit Fokus auf “Domestic Content” in Zukunft noch schwerer haben, in Ausschreibungen den Zuschlag zu bekommen, ist sich Matthes sicher. 

    Der Markt für öffentliche Beschaffung von Medizintechnik ist ein Paradebeispiel für die zunehmend autark ausgerichtete Politik Chinas: “Die chinesischen Importe von Medizintechnikgütern aus der EU, den USA und der Schweiz sind im vergangenen Jahr zurückgegangen. Darüber hinaus ist der Rückgang der chinesischen Importe von Medizintechnik insbesondere bei den zentralstaatlich beschafften Medizintechnik zu beobachten”, schreiben Forscher:innen der Denkfabrik Europäisches Zentrum für internationale politische Ökonomie in einer Studie. Für diese wurden öffentliche Ausschreibungen in der Medizintechnik in China genauer betrachtet. Chinesische Firmen konnten sich im beobachteten Zeitraum zwischen 2019 und 2021 demnach bei 68 Prozent der Ausschreibungen durchsetzen – Tendenz steigend, wie ECIPE schreibt.

    Matthes: Mehr China-Kompetenz auf lokaler Ebene nötig

    Weil das IPI mehr Reziprozität schaffen könnte, fällt Matthes ein insgesamt verhalten optimistisches Urteil: “Die Chancen, dass sich in China etwas zum Vorteil europäischer Unternehmen in der öffentlichen Beschaffung tut, ist mit IPI definitiv größer als ohne.” 

    Auch für den EU-Markt sei das neue Instrument unverzichtbar, so Matthes. Denn oft gingen chinesische Anbieter mit Dumpingpreisen in den Beschaffungsmarkt. Das ließe sich verhindern, wenn die EU das IPI – nach vergeblichen Verhandlungen mit China – tatsächlich umsetzt. Zudem sei allein die Geschlossenheit der EU ein Zeichen an Peking. Auch wenn EU-Vertreter betonen, es handele sich nicht um ein “Lex China”.

    Wie sich die Vorgaben aus Brüssel letztlich konkret in der öffentlichen Beschaffung niederschlagen, sei noch offen, sagt Matthes. “Das hängt auch davon ab, wie die Verwaltungsfachleute in den Kommunen das IPI bei ihren öffentlichen Ausschreibungen in die Praxis umsetzen.” Eine kritische Debatte über Chinas Rolle in der europäischen Wirtschaft könne dabei zu mehr Sensibilität gegenüber chinesischen Dumping-Offerten führen. Daher spricht Matthes sich für mehr China-Kompetenz auch auf regionaler und lokaler Ebene aus, wo Entscheidungen fallen.  

    Chinesischer Minister: Markt ist offen genug

    Kritiker sehen in dem neuen Vergabe-Instrument zunehmenden Protektionismus der EU. Sie fürchten, dass das Instrument EU-Märkte gegen China abschotten werde, ohne dass sich in der Volksrepublik die Dinge positiv ändern. Die Behauptung, der chinesische Markt sei nicht offen genug für Firmen aus der EU, sei eine “Verzerrung der Fakten”, sagte der für Handel zuständige Minister bei der EU-Vertretung Chinas, Peng Gang, bei einer Online-Veranstaltung der EU-China Business Association (EUCBA).

    Unternehmen aus der EU haben in China einen guten Ruf und seien deshalb durchaus sehr gefragt. Das ginge sogar so weit, dass chinesische Lokalregierungen Firmen aus der Heimat “diskriminierten”, weil sie lieber mit ausländischen Anbietern arbeiten wollten, so Peng Gang. “IPI ist bisher nicht implementiert, die Auswirkungen werden erst die Zeit zeigen”, sagt der Minister.

    • EU
    • Handel
    • Industrie
    • RCEP

    News

    Scholz spricht mit Xi

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping haben sich am Montag über den russischen Angriff auf die Ukraine und seine Auswirkungen unter anderem auf die globale Nahrungsmittelversorgung und Energiesicherheit ausgetauscht. Außerdem sei es in der Videokonferenz um “die Entwicklung und die Konsequenzen der Covid-19-Pandemie, eine vertiefte Kooperation beim Klimaschutz, die Energietransformation sowie die EU-China-Beziehungen” gegangen. Zudem sei über eine weitere Vertiefung der bilateralen Beziehungen und über die Zusammenarbeit im Wirtschaftsbereich gesprochen worden, so die Bundesregierung in einer sehr kurzen Mitteilung.

    Wesentlich ausführlicher ging die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua auf das Gespräch ein. Der chinesischen Version zufolge versicherten sich die beiden Spitzenpolitiker, wie wichtig die deutsch-chinesischen Beziehungen seien. Xi betonte demzufolge die Wichtigkeit von Stabilität in unsicheren Zeiten. Deutschland sei ein Land mit erheblichem Einfluss. China und Deutschland unterhielten Beziehungen von hoher Qualität. Das sei das Ergebnis von “gegenseitigen Verpflichtungen zur Win-Win-Kooperation”. China halte an seinem Wunsch nach engerer Zusammenarbeit fest.

    Mitteilungen zum Gespräch unterscheiden sich

    Xi sagte zu Scholz, dass beide Seiten für Multilateralismus, die Rolle der Vereinten Nationen und die Aufrechterhaltung von Normen in internationalen Beziehungen stehen. Er ermahnte Europa, sich seiner historischen Verantwortung für Stabilität bewusst zu sein und selbst für seine Sicherheit zu sorgen. Der Austausch zum Thema Ukraine mit Scholz sei “freimütig” gewesen. China stehe “auf der Seite des Friedens” und arbeite “auf seine Weise” auf Entspannung hin.

    Eine wichtige Botschaft ergibt sich bereits aus Länge und Wortwahl der beiden konkurrierenden Mitteilungen. Das Kanzleramt zeigte sich schmallippig und wollte Hinweise auf einen freundlichen Umgang vermeiden – schließlich hängen dicke Differenzen bezüglich der Haltung zur Invasion zwischen EU und China. Die lange Agenturmeldung von chinesische Seite erweckte dagegen den Eindruck eines langen, freundlichen Austauschs im diplomatischen Normalbetrieb.

    Klingbeil fordert zu härterem Kurs gegen China

    Xis Mahnung an Europa, für Stabilität zu sorgen und selbst für die eigene Sicherheit zu sorgen, enthielt weitere Botschaften. “Verantwortung” und “Stabilität” sind als Aufforderung zu verstehen, die Ukraine nicht mit Waffen zu versorgen und Russland gewähren zu lassen. Mit dem Aufruf zu europäischer Eigenständigkeit wiederum meint Xi Jinping eine Abkehr von den USA und eine Lockerung demokratischer Bündnisstrukturen. Ein solcher Kurs würde potenziell Chinas Einfluss erhöhen.

    Am Sonntag erst hatte SPD-Chef Lars Klingbeil in einem Interview mit dem Fernsehsender Phoenix zu einem anderen Auftreten im Umgang mit der Volksrepublik aufgerufen. Politik und Wirtschaft hätten im Falle Russland stets auf einen politischen Konsens mit Moskau gedrungen. Das sei ein Fehler gewesen, gestand Klingbeil ein und zog daraus den Schluss, dass man China gegenüber “heute anders auftreten und kritischer sein” müsse. China hat die russische Invasion der Ukraine nicht verurteilt, sondern schiebt die Schuld für den Krieg auf die USA und die Nato. grz/fin

    • Deutschland
    • EU
    • Geopolitik
    • Xi Jinping

    Export schwächelt – Importe aus Russland steigen

    Chinas Exportwachstum ist wie erwartet zurückgegangen. Im April betrug der Anstieg nur noch 3,9 Prozent, wie die Zollverwaltung in Peking am Montag mitteilte. Es handelte sich um den niedrigsten Wert seit dem ersten Corona-Jahr 2020. Im März lag das Plus noch bei 14,7 Prozent. Nach den Lockdowns in Shanghai und anderen wirtschaftsstarken Regionen hatten Ökonomen jedoch fest mit schwächeren Zahlen gerechnet (China.Table berichtete). Auch erhebliche Auswirkungen auf den Handel waren zu erwarten.

    In den Zoll-Daten verbergen sich andererseits überraschend gute Nachrichten. China Einfuhren blieben trotz der zahlreichen Krisen ungefähr gleich. Die Lockdowns und die anderen Unsicherheiten haben noch nicht zu einem Absturz der Gesamtkonjunktur geführt. Für Mai erwarten Ökonomen allerdings eine erhebliche Eintrübung, weil sich die negativen Effekte mit der Zeit gegenseitig verstärken. Wenn Omikron sich also weiter verbreitet und zudem Shanghai noch lange im Griff hält, kann sich die Lage rasch verschlechtern. Das merken dann auch die Handelspartner deutlich. Die Importe aus Deutschland gaben um zehn Prozent nach.

    Besondere Aufmerksamkeit galt am Montag auch Chinas Handel mit Russland. Dort zeigte sich im April ein gemischtes Bild. Ins Auge sticht zunächst ein Rückgang der chinesischen Exporte nach Russland. Im Vorjahresvergleich fiel die Nachfrage aus dem sanktionierten Nachbarland um 26 Prozent. Mit Beginn der Strafen ist der starke Exporttrend von China nach Russland zusammengebrochen. Diese Entwicklung spiegelt die generelle Wirtschafts- und Zahlungsschwäche im Land Wladimir Putins wider.

    Zugleich aber hat Russland in China durchaus einen aufnahmebereiten Markt für die eigenen Waren gefunden: Chinas Import stieg um 57 Prozent. Es handelt sich vor allem um Rohstoffe. Mangels zusätzlicher Pipelines stieg die Einfuhr von russischem Öl jedoch nur um vier Prozent. Es muss per Schiff angeliefert werden. Da zugleich die Nachfrage nach Kraftstoff in China um ein Fünftel gesunken ist, stiegen auf der anderen Seite Chinas Energie-Exporte in andere Weltgegenden. Das bedeutet: China leitet indirekt russisches Öl auf den Weltmarkt weiter. fin

    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Handel
    • Rohstoffe
    • Russland
    • Ukraine

    Adidas erwartet sinkenden Absatz

    Nach einem Gewinneinbruch zu Jahresbeginn schraubt der weltweit zweitgrößte Sportartikelkonzern Adidas die Erwartungen für 2022 zurück. Grund für den schwindenden Optimismus ist das abflauende Geschäft auf dem einstigen Wachstumsmarkt China, das unter Boykottaufrufen gegen westliche Marken und den neuerlichen Coronavirus-Lockdowns in großen Städten leidet. Dort brach der Umsatz in den ersten drei Monaten um 35 Prozent ein, wie Adidas am Freitag in Herzogenaurach mitteilte.

    In China erwirtschaftet Adidas traditionell die höchsten Renditen. Dort werde der Umsatz 2022 aber stark sinken. Adidas leidet zudem wegen der langen Lieferzeiten auch noch unter den Nachwirkungen des monatelangen coronabedingten Produktions-Stillstands in Süd-Vietnam. Dort stehen einige der wichtigsten Fabriken für Schuhe und Bekleidung. rtr/fin

    • Adidas
    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Handel
    • Industrie

    SEC droht chinesischen Firmen mit Börsen-Ausschluss

    Die US-amerikanische Börsenaufsicht (SEC) hat mehr als 80 chinesischen Firmen mit dem Ausschluss von US-amerikanischen Börsen gedroht. Unter den Unternehmen befinden sich Schwergewichte wie JD.com, Jinkosolar, China Petroleum & Chemical, Pinduoduo, Nio und Bilibili. Hintergrund ist ein jahrelanger Streit zwischen den USA und China um die Offenlegungspflichten, denen an US-Börsen notierte Unternehmen nachkommen müssen. Die Unternehmen müssen den US-Behörden ihre Jahresabschlüsse zur Überprüfung offenlegen. Das Ersuchen wurde bisher von China aus Gründen der nationalen Sicherheit abgelehnt. Die Regulierungsbehörden beider Länder sprechen derzeit über eine Vereinbarung zu dem Thema.

    Erst im März war Weibo von der SEC gewarnt worden. Allerdings droht den chinesischen Unternehmen kein kurzfristiger Ausschluss von den US-Börsen. Die US-Gesetzgebung sieht einen Ausschluss erst vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihre Bilanzen in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht offenlegen (China.Table berichtete). Das Gesetz stammt aus dem Jahr 2020. Dementsprechend haben die USA und China noch bis mindestens zum Jahr 2024 Zeit für eine Einigung. Laut Bloomberg-Informationen ist die chinesische Seite bereit, den US-Behörden demnächst den gewünschten Zugang zu den Jahresabschlüssen zu gewähren. nib

    • Börse
    • Finanzen
    • USA

    USA erwägen Sanktionen gegen Hikvision

    Die USA ziehen einem Medienbericht zufolge scharfe Sanktionen gegen das chinesische Videoüberwachungsunternehmen Hikvision in Betracht. Das US-Finanzministerium denke darüber nach, den weltweit größten Hersteller von Überwachungsgeräten und Gesichtserkennungssoftware auf eine Embargo-Liste zu setzen. Die Eintragung auf der sogenannten Liste der Specially Designated Nationals and Blocked Persons (kurz SDN) würde US-Unternehmen und Bürgern den Handel und Finanztransaktionen mit Hikvision verbieten. Außerdem könnte Vermögen des Unternehmens in den USA eingefroren werden. Das berichtete die Financial Times am Mittwoch unter Berufung auf vier nicht näher genannte Regierungsquellen.

    Hikvision wäre der erste chinesische Technologiekonzern auf der SDN-Liste – die Sanktionen wären damit noch weitreichender als die US-Strafmaßnahmen gegen Huawei. Dem Bericht zufolge hat Washington bereits damit begonnen, andere Hauptstädte zu informieren, da Hikvision Kunden in mehr als 180 Ländern hat. Das chinesische Unternehmen erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die “potenziellen Maßnahmen der US-Regierung” noch geprüft werden müssen.

    Hikvision und seine Produkte sind hochgradig umstritten. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen ermöglicht zu haben, indem es der chinesischen Regierung Kameras verkauft hat, die in Lagern in Xinjiang eingesetzt werden. Die Sanktionen könnten das Verhältnis zwischen Peking und Washington weiter verschlechtern. ari

    • Handel
    • Menschenrechte
    • USA
    • Xinjiang
    • Zivilgesellschaft

    Standpunkt

    USA und China: Positiver strategischer Wettbewerb

    von Michael Spence
    Michael Spence schreibt über die Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit China.
    Michael Spence, Wirtschaftsnobelpreisträger und Senior Fellow der Denkfabrik Hoover Institution

    Mittlerweile ist weithin anerkannt, dass die wirtschaftlichen und technologischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China von einer Kombination aus strategischer Zusammenarbeit und strategischem Wettbewerb geprägt sein werden. Strategische Zusammenarbeit wird in der Regel begrüßt, denn die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen – vom Klimawandel über Pandemien bis hin zur Regulierung im Bereich der Spitzentechnologien – erfordert das Engagement der beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Strategischer Wettbewerb wird jedoch tendenziell als beunruhigende, ja sogar bedrohliche Aussicht betrachtet. Das muss nicht sein.

    Die Befürchtungen hinsichtlich des amerikanisch-chinesischen Wettbewerbs, insbesondere im technologischen Bereich, sind Ausdruck einer Überzeugung auf beiden Seiten, dass ein auf nationaler Sicherheit basierender, weitgehender Nullsummen-Ansatz unvermeidlich ist. Diese Annahme steuert die Entscheidungsfindung in eine unkonstruktive, konfrontative Richtung und erhöht die Wahrscheinlichkeit politischer Fehler.

    In Wirklichkeit bestehen positive und negative Formen des strategischen Wettbewerbs. Um die Vorzüge des positiven Wettbewerbs – und deren Nutzung – zu verstehen, müssen wir einen Blick darauf werfen, wie Wettbewerb die Innovation in den Volkswirtschaften vorantreibt.

    In fortgeschrittenen Volkswirtschaften und Ökonomien mit hohem mittleren Einkommen sind Produkt- und Prozessinnovationen der Motor für Produktivitätssteigerungen – ein entscheidender Faktor für langfristiges BIP-Wachstum. Der öffentliche Sektor spielt durch Investitionen in Humankapital und vorgelagerte wissenschaftliche und technologische Forschung eine Schlüsselrolle bei der Förderung dieser Innovation. Anschließend übernimmt der private Sektor in einem dynamischen Wettbewerbsprozess – von Joseph Schumpeter bekanntermaßen als “schöpferische Zerstörung” bezeichnet.

    Schumpeters Schöpferische Zerstörung

    Gemäß der Schumpeter’schen Dynamik erlangen die Unternehmen, die erfolgreiche Innovationen hervorgebracht haben, eine gewisse vorübergehende Marktmacht, die eine Kapitalrendite abwirft. Aber in dem Maße, in dem andere weiter Innovationen hervorbringen, schmälern sie die Vorteile des ursprünglichen Innovators. So wiederholt sich der Kreislauf von Wettbewerb und technologischem Fortschritt.

    Dieser Prozess reguliert sich jedoch nicht von selbst, und es besteht die Gefahr, dass die ursprünglichen Innovatoren ihre Marktmacht nutzen, um andere daran zu hindern, sie herauszufordern. Die Innovatoren der ersten Stunde können beispielsweise den Zugang zu Märkten verweigern oder erschweren oder potenzielle Wettbewerber aufkaufen, bevor diese zu groß werden. In manchen Fällen werden wettbewerbsfeindliche, etablierte Unternehmen durch Regierungen mittels Subventionen unterstützt.

    Um den Wettbewerb – mit all seinen weitreichenden Vorteilen für Innovation und Wachstum – zu erhalten, müssen die Regierungen eine Reihe von Regeln aufstellen, die wettbewerbswidriges Verhalten verbieten oder die Unternehmen abhalten, so zu agieren. Eingebettet sind diese Regeln in die Kartell- oder Wettbewerbspolitik und in Systeme, die die Grenzen der Rechte am geistigen Eigentum festlegen.

    Die USA und China sind führend bei der Weiterentwicklung zahlreicher Technologien, die in der Lage sind, das globale Wachstum anzukurbeln. In welchem Ausmaß sich die beiden Länder engagieren, hängt jedoch vor allem von den Zielen ab, die sie verfolgen.

    Wie bei den führenden innovativen Unternehmen einer Volkswirtschaft könnte das primäre Ziel in technologischer Vorherrschaft bestehen, also der Schaffung und Aufrechterhaltung eines klaren und dauerhaften technologischen Vorsprungs. Um das zu erreichen, würde ein Staat versuchen, einerseits die Innovation im Land zu beschleunigen und andererseits den größten Konkurrenten zu behindern, indem man ihm beispielsweise den Zugang zu Informationen, Humankapital, anderen wichtigen Vorleistungen oder externen Märkten verwehrt.

    Dieses Szenario stellt ein Beispiel für schlechten strategischen Wettbewerb dar. In beiden Ländern – und tatsächlich in der gesamten Weltwirtschaft – wird so der technologische Fortschritt geschwächt, nicht zuletzt durch die größenmäßige Begrenzung des gesamten zugänglichen Marktes. Angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer langfristigen technologischen Vorherrschaft könnten Länder ein stärker praxisorientiertes und potenziell vorteilhafteres Ziel anpeilen. Für die USA besteht es darin, nicht ins Hintertreffen zu geraten; für China, den Aufholprozess in Bereichen abzuschließen, wo man derzeit hinterherhinkt. In diesem Szenario konkurrieren sowohl China als auch die USA, indem sie massiv in die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen ihrer Volkswirtschaften investieren.

    Diversifizierung an sich ist dabei keine wettbewerbsfeindliche Politik. Chinas Strategien Made in China 2025 sowie die Initiative des dualen Kreislaufs sehen vor, die technologische Leistungsfähigkeit Chinas zu stärken und gleichzeitig die Abhängigkeit von ausländischen Technologien, Vorleistungen und sogar der Nachfrage zu verringern. Auch das amerikanische Gesetz zur Investition in Innovation durch Forschung und Entwicklung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (der America Competes Act) aus dem Jahr 2022 zielt darauf ab, die wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten des Landes zu verbessern und – nicht zuletzt durch die Verringerung der Abhängigkeit von Importen aus China – seine Lieferketten zu stärken. Obwohl die Gesetzesvorlage noch nicht in ihrer endgültigen Form vorliegt, können die darin enthaltenen Bestimmungen weitgehend mit gutem strategischen Wettbewerb in Einklang gebracht werden.

    Guter Wettbewerb in nationaler Sicherheit und Militär sind unmöglich

    Der einzige Bereich, in dem guter Wettbewerb unmöglich ist, ist die nationale Sicherheit. Obwohl in Konflikten viele Technologien zum Einsatz kommen können, gilt es, maßgebliche und hauptsächlich für militärische und sicherheitspolitische Zwecke verwendete Technologien von dem ansonsten relativ offenen globalen Technologiewettbewerb abzugrenzen.

    Derzeit besteht die Gefahr darin, dass zu viele Technologien als relevant für die nationale Sicherheit eingestuft werden und somit Nullsummenregeln unterliegen. Dieser Ansatz hätte die gleichen Auswirkungen wie das fehlgeleitete Streben nach technologischer Vorherrschaft sowie deren Aufrechterhaltung und würde die wirtschaftlichen Vorteile des Wettbewerbs untergraben.

    Idealerweise sollten die Länder anstreben, eine Führungsposition im Bereich Innovation zu erreichen oder sie zu verteidigen, ohne den Versuch zu unternehmen, andere daran zu hindern, sie herauszufordern. Angesichts des beträchtlichen weltwirtschaftlichen Gegenwinds – darunter Bevölkerungsalterung, hohe Staatsverschuldung, zunehmende geopolitische Spannungen und Konflikte sowie angebotsseitige Störungen – und der steigenden Investitionen zur Bewältigung der Herausforderungen in den Bereichen Umwelt und Chancengleichheit benötigt die Welt mehr denn je eine positive Form des strategischen Wettbewerbs.

    Michael Spence ist Wirtschaftsnobelpreisträger, Professor Emeritus der Stanford University und Senior Fellow an der Hoover Institution. Übersetzung: Helga Klinger-Groier

    Copyright: Project Syndicate, 2022.
    www.project-syndicate.org

    • Geopolitik
    • Technologie
    • USA

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen