wir vom China.Table glauben natürlich fest an Astrologie – zumindest an die chinesische Variante. Was so viele Menschen in ihrem Denken beeinflusst, kann ja gar nicht falsch sein. Die ersten Babys, die am Sonntag im Jahr des Hasen geboren werden, bringen ganz bestimmt völlig andere Eigenschaften mit auf die Welt als die letzten Tiger des alten Jahres am Samstag. Hasen sind dem fernöstlichen Horoskop zufolge höflich, vorsichtig, zögerlich, hingebungsvoll, großzügig und fleißig.
Wir wagen auch in diesem Jahr unseren Ausblick auf die Ereignisse im Zeichen des Hasen. Amelie Richter und Felix Lee haben die wichtigsten astrologischen Trends zusammengetragen. Was viele Chinesen glauben, ist eben gut zu wissen.
Im gesamten chinesischen Kulturkreis feiern die Menschen das Frühlingsfest bekanntlich im Kreis der Familie. In diesem Jahr haben sich nach der Pandemie-Pause wieder Hunderte von Millionen Menschen auf den Weg zu ihren Angehörigen gemacht. Die größte Reisebewegung der Menschheit findet wieder statt.
Normalerweise wäre jetzt auch die Zeit für Auslandsreisen, doch die Öffnung im Dezember kam zu knapp vor dem Fest. Die Leute haben noch keine neuen Pässe und die Reisebranche bietet noch nicht genug Flüge an. Für den Herbst ist aber ein neuer Boom der Auslandsreisen zu erwarten, analysiert unser Team in Peking. Die chinesischen Touristen sind hochwillkommen: Sie geben am meisten Geld aus.
Bei Johnny Erling geht es heute um einen vermeintlichen Höllenhasen, den die Künstler-Legende Huang Yongyu für die Briefmarke zum Fest entworfen hat. Huang hat mit seinen Anspielungen erneut eine aufgeladene Diskussion ausgelöst.
In den kommenden Tagen können Sie nicht nur im Mond einen Hasen entdecken, sondern auch in unserem ebenso runden Logo. Nach der Kuh und dem Tiger ist es das dritte Mal, dass China.Table das Tierkreiszeichen in seine Identität aufnimmt.
Ein turbulentes und konfliktreiches Jahr liegt hinter uns. Kein Wunder. Tiger gelten als aufbrausend, aggressiv und unberechenbar. Und genau so war das Tigerjahr 2022 mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine, Xi Jinpings Umschalten von Null- auf Full-Covid-Politik und den wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in vielen Ländern der Welt.
Die gute Nachricht: Das nun anstehende Jahr des Hasen, das in der Nacht zu Sonntag beginnt, verspricht, entspannter zu werden. Denn das Zeichen des Hasen steht der chinesischen Astrologie zufolge für Frieden, Wohlstand und Langlebigkeit. Zu den Hasen-Geborenen gehören bisher die Jahrgänge 1927, 1939, 1951, 1963, 1975, 1987, 1999 und 2011.
Jedes der insgesamt zwölf Tierkreiszeichen ist zudem verbunden mit den Elementen Holz, Wasser, Erde, Feuer und Metall. Und weil 2023 ein Wasserjahr ist, verspricht das Jahr besonders fließend zu sein, also damit auch harmonisch und weniger abrupt. Das Jahr des Wasserhasen kommt also wie gerufen.
Nach dem harten Pandemiejahr, das die Menschen in China mit Verzögerung, aber umso massiver getroffen hat, sehnen sich viele Menschen nach genau diesen Eigenschaften. Wasser verkörpert in der chinesischen Astrologie Sensibilität und Flexibilität. Viele hoffen daher auf einen fließenden Übergang zurück in die Normalität.
Weniger fließend war bisher die abrupte Änderung von der Zero- auf eine Full-Covid-Politik. Bei einer Öffnung in kleinen Schritten hätte sich jeder besser auf die Veränderungen einstellen können. Die gegenwärtige Führung scheint jedoch genau das Gegenteil zu praktizieren: Es wird nicht mehr getestet, Beschränkungen gibt es so gut wie keine mehr, auch keine Maskenpflicht. Das Virus kann sich ausgerechnet am Frühlingsfest hemmungslos ausbreiten. Aber wer weiß, vielleicht besinnt die Führung sich im Laufe der Neujahrsfeiertage und geht die Öffnung etwas behutsamer an. Zumindest verlässlichere Infektionszahlen würden schon helfen.
Was die Geopolitik betrifft, erwartet der Hongkonger Astrologe Raymond Lo, dass der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine abflauen und es damit auch weniger Spannungen zwischen Ost und West geben wird. “Dies bedeutet jedoch nicht, dass Konflikte und Kriege vollständig verschwinden werden”, betont der Astrologe. Vielmehr würden die Kämpfe mehr unterschwellig und im Geheimen geführt. Er meint damit Attentate, Staatsstreiche, Proteste und terroristische Aktivitäten. Lo verweist auf eines der berühmtesten Attentate der Geschichte: die Ermordung von Präsident John F. Kennedy im Jahr 1963. Auch das war ein Jahr des Wasserhasen.
Wenig zuversichtlich blickt dagegen eine Mehrheit der Experten, die das China-Institut Merics in seinem jährlichen Ausblick befragt hat, auf das Hasenjahr. Immerhin 55 Prozent der Befragten rechnen mit einer Verschlechterung der Beziehungen der Volksrepublik zur EU und anderen westlichen Ländern, weil Peking im Ukraine-Krieg weiter Putin unterstützt. China und Russland werden demnach ihre Beziehungen vertiefen.
Und auch bei den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China werden deutliche Verschlechterungen erwartet. 81 Prozent der Befragten gaben an, pessimistisch bezüglich der Situation von in China tätigen EU-Bürgern und Bürgerinnen zu sein. Aber vielleicht ist das nur eine relative Betrachtung. Schlimmer als das Jahr 2022 ginge gar nicht, sagte EU-Handelskammerchef Jörg Wuttke bei der Präsentation der Umfrage von Merics. Das Hasenjahr könne nur besser werden.
Anlegern rät Sameer Goel, Leiter der Makro-Strategie der Deutschen Bank für den asiatisch-pazifischen Raum, zu Ruhe und Geduld, typische Eigenschaften des Hasen, um zum entscheidenden Moment agil zu sein. Er zitiert ein chinesisches Sprichwort: “Wer auf einem Tiger reitet, fürchtet sich, abzusteigen.” Die Weltwirtschaft im zurückliegenden Jahr des Tigers sei sehr turbulent gewesen: die hohe Inflation, die die rascheste Straffung der Zinspolitik seit Jahrzehnten zur Folge hatte, die Geopolitik, die wiederum die Energie- und Rohstoffpreise auf Rekordhöhe trieb und Chinas Null-Covid-Politik, die zeitweise die chinesische Wirtschaft lahm legte.
“Wir glauben, dass 2023 nach dem Bust- und Boom-Muster der letzten Jahre ein Jahr des Übergangs zu mehr Normalität sein wird”, sagt Finanzmarktanalyst Goel. “Nach der Volatilität des vergangenen Jahres werden wir Geduld brauchen, zusammen mit Agilität, um durch dieses Jahr des Übergangs zu navigieren.”
Vom zähnefletschenden Tiger zum flauschigen Wasserhasen – das könnte auch international den Gesellschaften vieler Länder guttun. Ein wenig Durchatmen ist angesagt. Das Jahr des Übergangs könnte auch gesamtgesellschaftliche Debatten wieder in ruhigere Gefilde bringen. Diskussionsstoff gab es im vergangenen Jahr genug. Hasen sind der Beschreibung der Tierkreiszeichen nach bekannt für emotionale Intelligenz, Einfühlsamkeit und Sensibilität. Mehr Empathie könnte beim Angehen der Probleme, die alle betreffen, durchaus nicht schaden.
Das Hasenjahr könnte so etwas wie ein Gaumenreiniger bei der Weinprobe werden. Eine Pause, unaufgeregt und mit genügend Raum für Kreativität. Auch wenn es naheliegt, im Hasenjahr viel Nachwuchs zu erwarten, ist das falsch. Geburtenstarke Jahrgänge sind Studien zufolge zumindest in Hongkong eher Drachenjahre. Der Trend der schrumpfenden Bevölkerungszahl wird also wohl auch nicht vom Wasserhasen aufgehalten werden. So sensibel der Hase auch ist, ihm wird ein Hang zur Über-Sensibilität nachgesagt. Um Konflikte zu vermeiden, hält er mit seiner echten Meinung gern hinter dem Berg – und lässt so im Tiefen vielleicht etwas brodeln.
Ein prominenter Hase wünscht sich für 2023 wahrscheinlich definitiv weniger Aufregung: der US-Schauspieler Johnny Depp, geboren 1963. Er war im vergangenen Tigerjahr vor allem mit dem Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard in den Schlagzeilen. Ebenfalls bekannte Hasen sind Brangelina: US-Schauspieler Brad Pitt wurde 1963 geboren, die Schauspielerin Angelina Jolie im Jahr 1975. Aber auch Genies wie Albert Einstein (1879) oder der Ballzauberer Lionel Messi (1987) sind im Jahr der mümmelnden Nagetiere auf die Welt gekommen.
Die Sängerin Madison Beer stammt aus dem Hasenjahr 1999. Der Youtuber Ryan Kaji ist einer der jüngsten Hasen. Er wurde 2011 geboren und ist wahrscheinlich vor allem Eltern bekannt: Mit dem Kanal “Ryans ToysReview” wurde er mit Auspack- und Bewertungsvideos zu Spielsachen berühmt. Von chinesischen Berühmtheiten ist beispielsweise der Kaiser Qianlong (1711) ein Hase, so auch der bekannte Geschäftsmann und Gründer von Soho China, Pan Shiyi (1963). Die Schauspielerin Wang Zi Wen ist ein Hase aus dem Jahr 1987. Schauspieler und Wushu-Kämpfer Jet Li ist ein Wasserhase aus dem Jahr 1963.
Möge der Wasserhase ein wenig Ruhe in die kommenden Monate bringen. Denn dem 2024 anstehenden Holzdrachen wird nachgesagt, eine neugierige und unersättliche Partybombe zu sein. Felix Lee/Amelie Richter
Als Peking kürzlich verkündete, dass Chinesen nach drei Jahren Pandemie endlich wieder ohne große Hürden ins Ausland reisen dürfen, brach im Urlaubsparadies Thailand eine heftige Debatte aus. Einerseits ist die Wirtschaft des Landes auf die Gäste aus der Volksrepublik angewiesen, andererseits hatte die Regierung Sorge wegen der Corona-Welle in China. Am Ende siegten die Interessen der Reisebranche. Rund elf Millionen Besucher aus China kamen im Jahr vor der Pandemie nach Thailand. Damit ist es mit Abstand das beliebteste ausländische Urlaubsziel für Chinesen vor Japan, Vietnam und Südkorea.
Genau wie Hoteliers in Thailand hofft ein Großteil der globalen Tourismusindustrie auf einen Aufschwung durch die Rückkehr chinesischer Gäste. Bei denen ist die Reiselust groß. “Meine Tochter ist jetzt 13 Jahre alt. Wir fanden, dass sie vor der Pandemie zu jung für lange Reisen war. Jetzt soll sie endlich die Welt sehen”, erzählt eine Pekingerin, die plant, so schnell wie möglich mit ihrer ganzen Familie zu verreisen.
Klar ist jedoch auch, dass es zum in den kommenden Tagen anstehenden Neujahrsfest noch keine große Reisewelle ins Ausland geben wird. Viele Chinesen müssen zunächst neue Pässe beantragen, was erst seit dem 8. Januar wieder möglich ist. Für viele Reiseziele müssen zudem Visa beantragt werden und auch dafür fehlt die Zeit. Vor allem aber gebe es “derzeit noch viel zu wenig Flüge”, berichtet der Mitarbeiter einer Reiseagentur. Über die Feiertage dürfte also zunächst die heimische Tourismusindustrie profitieren. Auch Reisen in die Sonderverwaltungsregionen Hongkong und Macau stehen hoch im Kurs.
Ab dem zweiten Quartal, wenn wieder mehr Flüge verfügbar sind, rechnen Beobachter mit einer sprunghaft steigenden Zahl chinesischer Auslandsreisen. Für Ende September und Oktober wird sogar eine wahre Explosion vorhergesagt. Das Mid-Autumn Festival geht dann direkt in die “goldene Woche” über, einer Kette von freien Tagen um den chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober. Wenn sie die Brückentage freinehmen, können Chinesen für zehn Tage am Stück verreisen.
Noch im Jahr 2019 unternahmen Chinesen 154 Millionen Auslandsreisen und waren damit globaler Reiseweltmeister. Zum Vergleich: US-Bürger machten im selben Jahr rund 100 Millionen Reisen ins Ausland und gaben dabei mit 1.363 US-Dollar pro Person deutlich weniger aus als Chinesen. Die ließen sich ihren Urlaub im Schnitt 1.852 Dollar kosten.
Die insgesamt rund 255 Milliarden Dollar, die Chinesen noch 2019 für Reisen ins Ausland ausgegeben haben, waren in den drei Pandemie-Jahren weitgehend verschwunden. 2021 reisten nur noch 8,5 Millionen Chinesen ins Ausland. Das war noch bevor Chinas Regierung die Ausreise-Regeln im vergangenen Jahr weiter verschärfte.
Zwar schaffte es vor der Pandemie kein einziges europäisches Land in die Liste der zehn beliebtesten Reiseziele für Chinesen. Doch nahm die Zahl der Gäste spürbar zu. Deutschland und das Schloss Neuschwanstein gehörten zum Pflichtprogramm vieler chinesischer Reisegruppen, die in oft nur einer Woche gleich mehrere europäische Staaten besuchten.
In Hamburg oder Düsseldorf heuerten Boutiquen extra Personal mit Chinesisch-Kenntnissen an, um die Kunden aus Fernost ganz nach ihren Bedürfnissen bedienen zu können. Diese Sprachkenntnisse dürften schon bald wieder von Vorteil sein. Jörn Petring
23.01.2023, 8:30 Uhr
Chinaforum Bayern, Breakfast Club (vor Ort): Zwischen Gigaherzgipfel und Systemabsturz – Taiwans Chipindustrie und ihre Bedeutung für die Weltwirtschaft Mehr
24.01.2023, 15:30 Uhr (22:30 Uhr Beijing time)
Center for Strategic & International Studies, Webinar: ChinaPower: Debate on US-China Economic Cooperation Mehr
24.01.2023, 18:30 Uhr
Konfuzius Institut Trier, Vortrag (vor Ort): Prof. Dr. Hans van Ess: Konfuzius und Marx im 21. Jahrhundert Mehr
25.01.2023, 18:00 Uhr
Institut für Sinologie der Universität Heidelberg, Vortrag (vor Ort): Zur (Un)Sachlichkeit in politischen Debatten über China Mehr
26.01.2023, 10:00 Uhr (17:00 Uhr Beijing time)
Stars for leaders of the next generation, Webinar: Post-Putin Russia and Post-Covid China Mehr
26.01.2023, 12:00 Uhr (19:00 Uhr Beijing time)
Kiel Institut für Weltwirtschaft, Global China Conversations: Ideologie vor Wirtschaft: Vor welchen Herausforderungen stehen europäische Unternehmen in China? Mehr
Der im Berliner Exil lebende chinesische Schriftsteller und Dissident Liao Yiwu hat die westlichen Staatsoberhäupter dazu aufgerufen, eine von Werten und Idealen geprägte Politik zu verfolgen. Als diesjähriger Redner der Stuttgarter Zukunftsrede warnte er zudem vor den Folgen des weiteren Aufstiegs der chinesischen Volkswirtschaft.
Der Westen habe von Chinas Wachstum profitiert, “aber wenn man diese Tyrannei weiter wachsen lässt, dann werden am Ende alle in der Hölle sein”. Langfristig wäre es aus seiner Sicht gut, wenn China auseinanderbreche und stattdessen aus mehreren kleineren Ländern bestehe, die gut zusammenarbeiten, sagte Liao. Der Schriftsteller rührt damit an einem politischen Tabu. Die geografische Einheit und die nationale Integrität sind identitätsstiftende Nationalziele der Volksrepublik.
Die Stuttgarter Zukunftsrede findet alle zwei Jahre statt und ist eine Initiative des Literaturhauses Stuttgart, des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart sowie des Evangelischen Bildungszentrums Hospitalhof Stuttgart.
Liao Yiwu sprach in seiner Rede unter anderem auch von seiner Zeit in chinesischen Gefängnissen. 1989 hatte er als Reaktion auf die Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens das Gedicht “Massaker” veröffentlicht. Daraufhin wurde er für vier Jahre inhaftiert. Seit mehr als zehn Jahren lebt der Schriftsteller in Deutschland. jul
Erste Testläufe für einen Hyperloop-Zug in Datong, Shanxi sind erfolgreich verlaufen, berichtet die South China Morning Post. Auf der zwei Kilometer langen Teststrecke wurden demnach 50 km/h erreicht und mehrmals 210 Meter zurückgelegt.
Bei dem Test haben kritische Komponenten wie ein supraleitender Magnet, die Elektronik und KI-Sicherheitskontrollen wie geplant funktioniert. Der Zug wird von Ingenieuren der staatlichen China Aerospace Science and Industry Corporation (CASIC) entwickelt. Die erfolgreichen Testläufe ermöglichen nun Experimente bei höheren Geschwindigkeiten. Ziel ist es, die Kapseln in einer Vakuumröhre auf bis zu 1000 km/h zu beschleunigen und damit Menschen und Güter zu transportieren.
Das Projekt läuft seit einem Jahrzehnt. Es ähnelt Elon Musks Hyperloop-Projekt. Aktuell erreichen die schnellsten Hochgeschwindigkeitszüge 350 km/h. Der Transrapid in Shanghai beschleunigt kurzzeitig auf bis zu 430 km/h. Eine Magnetschwebebahn des chinesischen Staatskonzerns CRRC soll bis auf 600 km/h beschleunigen können, sie wird aktuell getestet. Die Idee von Magnetzügen in Röhren und ihr Einsatz in China sind laut dem kürzlich verstorbenen Transrapid-Planer Hartmut Heine durchaus realistisch. jul
Staatsmedien feierten am Donnerstag die Wahl von Staatschef Xi Jinping als Abgeordneten der Provinz Jiangsu für den Nationalen Volkskongress. “Hunderte Millionen Menschen lieben ihren Führer!”, zitierte die Zeitschrift Qiushi die Delegierten des örtlichen Volkskongresses von Jiangsu. Xi war zuvor einstimmig gewählt worden. Die Staatsmedien nannten seine Entsendung trotz der Erwartbarkeit des Ereignisses “historisch”. Es habe donnernden Applaus gegeben. Der NVK ist Chinas gelenktes Parlament.
Seine übliche Tour durch Provinzen vor dem Neujahrsfest ließ Xi in diesem Jahr ausfallen. Er hielt stattdessen online eine Rede mit den üblichen Versatzstücken zu seiner Politik und ließ sich per Video mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verbinden. Er inspizierte sogar eine Militäreinheit per Videoschalte. fin
Die taiwanische Regierung ist geschlossen zurückgetreten, um Platz für neue Minister zu machen. Premier Su Tseng-chang hat dafür am Donnerstag Präsidentin Tsai Ing-wen um seine Entlassung gebeten. Die Demokratische Fortschrittspartei DDP reagiert damit auf deutliche Verluste bei der Regionalwahl im November. Eine neue Regierungstruppe soll idealerweise schon nach den Urlaubstagen zum Frühlingsfest feststehen. Der 75-jährige Su tritt voraussichtlich nicht wieder an. fin
Chinesen feiern nach dem Zwölfer-Zyklus der Tierkreiszeichen 2023 als neues Jahr des Hasen. Es beginnt nach dem traditionellen Mondkalender um Mitternacht auf Sonntag. Zu Ehren des Hasen durfte Chinas weltberühmter Künstler Huang Yongyu für die Staatliche Post zwei Motivmarken entwerfen. Empörte Blogger entfachten einen virtuellen Sturm. Sie unterstellten Huang bösartige Absichten.
Denn der dieses Großmeister chinesischer Malerei, vielseitiger Kunst und Satiriker – er wird in diesem Jahr 99 Jahre alt – lieferte zwei Karikaturen ab. Sein erstes Hoppelwesen schien der Unterwelt entkommen: ein Kinderschreck mit blauem Fell und glühend roten Augen. Ein Hase mit Menschenhänden, der Stift und Notizblock bereithält, um mit China abzurechnen. So zumindest befand ein Blogger, der unter dem blumigen Pseudonym “Orchideengarten aus Zhejiang” (严州兰苑) eine Wutmail postete: “Giftig! …sieht aus wie eine Ratte, die im Labor ein neues Corona-Virus herstellt. In einer Hand hält sie den Füller des höllischen Buchhalters Panguan und in der anderen die Listen über Leben und Tod. Schockierend ist die Zahl 120!” (“毒!…一只在实验室做新冠病毒试验的老鼠~一只手拿着判官笔一只手拿着生死簿还有令人心惊胆战的120!)
Seit dem 5. Januar verkaufen Postämter die Marken. Seither schmäht die Online-Gemeinde Huangs “hässlichen” Hasen. Für sie ist er eine dämonenhafte Kreatur, ein “Omikron-Hase” (奥密克戒兔),der mitten in Chinas entfesselter Pandemie Haken schlägt. Verschwörungstheorien deuten auf den Nennwert der Briefmarke, 1,20 Yuan. 120 sei aber Chinas Telefonnotruf für ärztliche Hilfe. Dazu passt, dass Huangs zweites Hasenbild scheinbar auch voller Anspielungen steckt. Im Vordergrund zeige es zwar drei putzige Hasen beim Ringelreihen. Doch im Hintergrund verstecke sich der Mondhase Yutu, der nach der Sage (玉兔捣药) Arzneien stampft.
Mit Logik kommt man dagegen nicht an. 1,20 Yuan kostet das Porto für einen Inlandsbrief. Auch ist Chinas Trauerfarbe nicht blau, sondern weiß. Zeichner Huang reagierte schmunzelnd in einem Video-Clip: Hasen malen sei keine große Kunst. Das könne jeder. “Ich habe sie gemalt, um alle happy zu stimmen.” (画个兔子邮票是开心的事 …让大家高兴). Die einzige Anspielung stecke in den Worten für “Blauer Hase”. Sie sind – gleich ausgesprochen, aber mit anderen Schriftzeichen geschrieben – Homophone für den Neujahrswunsch nach “großartigen Plänen” (蓝色兔子谐音”宏伟蓝图”).
Der grotesk-komische Online-Streit, den eine Minderheit angezettelt hat, heizte den realen Run der Mehrheit auf die Marken erst richtig an. Markenfans standen bis zu drei Tagen vor Ausgabetermin an – und mobilisierten ihre Familien, um sich beim Schlangestehen abzuwechseln. Sie witterten die sprichwörtliche Aktie des kleinen Mannes.
Die Postämter verkauften ihre Bestände oft innerhalb der ersten Stunde. 200.000 Bestellungen notierte das Online-Kaufhaus Taobao. Auch die Vorräte dort waren rasch vergriffen, obwohl sich die Post vorbereitet hatte: Sie druckte die Marken in Rekordauflagen von jeweils 39,5 Millionen Exemplaren.
Zum Auslöser der explodierenden Nachfrage wurde eine Mischung aus volkstümlichem Aberglauben, gepaart mit der Gier nach Schnäppchen und der Bekanntheit des Huang Yongyu. Die Hasen 2023 sind das dritte Tierkreiszeichen, das er für Chinas Post entwarf, seit sie 1980 erstmals Sondermarken zum Jahr des Affen herausgab.
Jedes chinesische Kind wächst seither mit der Mär der roten Affenmarke auf, die Huang 1980 für Chinas Post zeichnete. Sie wurde quasi ein chinesisches Pendant zur blauen Mauritius. Mit einem Nennwert von acht Fen – das damalige Porto für einen Inlandsbrief – stieg sie zum teuersten Postwertzeichen der Volksrepublik auf. Ihr heutiger Marktpreis liegt bei weit über 1.000 Euro, obwohl sie 1980 bereits in einer Auflage von fünf Millionen Exemplaren erschien.
Vom absurden Hype profitierte auch ein deutscher Chefingenieur, der am frühen Wuhaner Großprojekt eines aus Duisburg importierten Kaltwalzwerks mitarbeitete. In der Yangtse-Stadt vertrieb er sich die Freizeit, indem er mit seinem Sohn bis 1984 China-Briefmarken bogenweise kaufte. Im November 2022 ließ der Sohn die über Jahrzehnte weggeschlossene Sammlung vom Auktionshaus Felzmann versteigern, darunter ein Bogen mit 40 Affenmarken. Der Vater hatte sie 1980 für 3,20 Yuan gekauft. Der Ausruf startete mit 25.000 Euro. Der Zuschlag fiel bei 39.000 Euro.
Seine zweite Neujahrsmarke malte Huang 2016. Es war wieder ein Jahr des Affen. Er zeichnete ihn mit einem Pfirsich, dem Symbol für langes Leben, und spielte auf die Sage vom Affenkönig-Rebellen Sun Wukong an. Der erdreistete sich, einen Pfirsich aus dem Himmlischen Garten zu stehlen. Als weiteres Motiv entwarf Huang einen Affen mit zwei Jungen. Es war sein Plädoyer gegen Chinas Ein-Kind-Politik. “Alle sind hinter diesen Marken her als seien sie selber Affen”, schrieb damals missbilligend Xinhua.
Als ich Huang vor zwölf Jahren – zum Hasenjahr 2011 – in seinem Pekinger Atelier besuchte, zeigte er mir ein Bild, das er für sich selbst gemalt hatte. Inspiriert vom Sprichwort, wonach ein schlauer Hase zum Überleben drei Schlupflöcher braucht, hatte er drei Hasen gezeichnet, die vergnügt in nur einem Loch hocken. “Wir brauchen hierzulande nicht mehr so viele Plätze, um uns zu verstecken”, sagte Huang verschmitzt. Als ich wissen wollte, ob er Chinas Gesellschaft auf einem guten Weg zur Normalität sehe, stellte er mir als rhetorische Gegenfrage: “Wäre es so, bräuchten wir uns dann noch ein Mao-Portrait am Tiananmen-Tor aufzuhängen?”
So viel Skepsis hielt ihn nicht ab, staatstragende Werke wie eine 24 Meter lange und sieben Meter hohe Bildstickerei mit Flüssen und Bergen zu entwerfen. Sein Wandbild schmückt im riesigen Mao-Mausoleum auf dem Tiananmen-Platz den Empfangsraum hinter Maos Marmorbüste.
Doch er lässt sich weder für Parteipropaganda noch von Kritikern des Systems vereinnahmen. Jüngst tauchte online ein angebliches Protestfoto von ihm auf, gegen Pekings Umgang mit der Pandemie. Es zeigt ihn mit seiner Zeichnung einer Hand, die Peking den bekannten ausgestreckten Mittelfinger zeigt. Daneben steht der Ausruf: “Das Volk ist aufgebracht!” (中国人活得有气).
Das Foto war eine Fälschung. Für die Manipulation wurden ein Finger und ein Schriftzeichen übermalt. Auf dem nach dem Covid 19-Ausbruch in Wuhan gemalten Originalplakat zeigen zwei Finger das Victoryzeichen V. Der Ausruf heißt: “Das Volk ist voller Elan!” (中国人活得有气势).
Dabei hätte Huang hinreichend Grund, verbittert zu sein. Er überlebte brutale Verfolgungen – in der Anfangsphase der traumatischen Kulturrevolution durch aufgehetzte Rotgardisten und sieben Jahre später durch intrigante Gefährten von Mao, darunter dessen Frau Jiang Qing.
Der Reihe nach: 1966 lehrte Huang an Pekings Hochschule für Schöne Künste als ihr jüngster Professor. Kulturrevolutionäre brandmarkten den Dekan Ye Qianyu, Maler Lu Gongliu und Huang als Konterrevolutionäre und Verräter an Mao. Am 23. August 1966 wurden alle drei Künstler nach öffentlichem Tribunal blutig ausgepeitscht. Huang überlebte 242 Hiebe mit dem Ledergürtel.
Jahre der Landarbeit in einer Kaderschule in der Provinz Hebei folgten. 1973 wurden Huang und weitere Maler plötzlich aus der Verbannung nach Peking zurückgeholt – vom damaligen Premier Zhou Enlai. Heute weiß man, dass es auf Geheiß Maos geschah. Peking sollte nach dem Nixon-Besuch 1972 nun erwarteten weiteren Staatsgästen des Westens ein freundlicheres Bild bieten. Huang und andere Maler sollten dafür ein Wandbild vom Jangtse-Strom als Blickfang im Foyer des neugebauten Peking-Hotels malen.
Huang, der wieder Bekannte besuchen durfte, zeichnete für einen Freund als privates Geschenk eines seiner Lieblingsmotive – das Tuschebild einer Eule mit einem geschlossenen und einem offenen Auge. Das war der Beginn des berüchtigten Eulenbild-Vorfalls, deren Opfer an erster Stelle Huang wurde. Er erfuhr nicht, dass der Freund die ihm geschenkte Zeichnung weitergab und sie in einen Shanghaier Katalog moderner Malerei einging. Zhou Enlai wollte international wieder für Chinas Kunst werben lassen.
Doch gerade dieser Katalog wurde Steilvorlage für eine mächtige Gruppe ultralinker Gefolgsleute um Maos Frau Jiang Qing, darunter auch der damalige Kulturminister Yu Huiyong. Er machte sich zum Wortführer für eine erneute Verfolgung der “schwarzen bourgeoisen Malerei”, Chinas Wort für entartete Kunst, mit der angebliche Feinde das Ende von Maos Kulturrevolution betreiben wollten. Am 15. Februar 1974 zeigte die Pekinger Kunstgalerie eine Kritik-Ausstellung “Schwarzer Malerei” mit 215 Bilder der achtzehn besten Maler Chinas. Huangs Eule ist darunter das mit Abstand “schwärzeste Bild”. Die Eule halte ein Auge offen und eines geschlossen. Der Künstler drücke so seine Gleichgültigkeit und Verachtung für Mao und den Sozialismus aus.
Pekings Kulturkritiker Li Hui hat in einer umfassenden Biografie über Huang Yongyu (李辉: 黄永玉传奇) das damalige Ränkespiel nachrecherchiert, das in Wirklichkeit den verhassten Premier Zhou Enlai zu Fall bringen sollte. Huang hat sich das Original des Vorschlags für eine Kampagne gegen die Schwarze Kunst mit der handschriftlichen Zustimmung aller Beteiligten, auch Maos Frau, beschafft, rahmen lassen und in sein Schlafzimmer gehängt, schreibt Li Hui. Für Huang ist es Realsatire, für andere ein Stück Zeitgeschichte aus dem chinesischen Tollhaus in der Spätphase der Kulturrevolution.
Ausgerechnet der wankelmütige Diktator Mao sorgte dafür, dass die Verfolgung der Künstler abrupt endete. Als ihm die Fotos der Kritikausstellung “Schwarze Kunst” gezeigt wurden, um seine “höchste Weisung” zum Start eines landesweiten Kulturkampfs zu erhalten, kann der alterssieche Mao nichts Anrüchiges erkennen. Er lobt sogar Huangs Eule. Ein geschlossenes und ein offenes Auge sei bei Eulen üblich. Einst habe ihm ein deutscher Maler so ein Bild geschenkt. Die Kampagne endete unverrichteter Dinge.
Das aktuell beste Portrait über Huang Yongyu und eine Hommage auf ihn als Satiriker veröffentlichten Reporter 2022 in der Zeitschrift Renwu (人物), Persönlichkeiten. Sie nannten ihren Essay: “Solange Menschen lachen können, ist noch nichts verloren” (人只要笑,就没有输).
Huang kann lachen. Auf das Jahr des Hasen folgt 2024 das Jahr des Drachen. Dann wird er 100 Jahre alt. Auf seine Neujahrszeichnung darf man gespannt sein. Den Reportern von Renwu verriet er, dass er eine Jahrhundert-Ausstellung vorbereitet. Falls sie ihn dann regungslos sehen, “zwickt mich und guckt nach. Wenn ich lache, lebe ich noch” (到时候胳肢我一下,看看我笑不笑. 笑了,我就还活着).
Vera Langener ist seit Anfang Januar Analystin für Energy & Infrastructure in Asia & Europe bei der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft KfW DEG.
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Das Jahr des Hasen wird auch von Lego begangen. Mit Sets zum chinesischen Neujahrsfest trumpft der dänische Spielzeughersteller schon seit Jahren auf – und hat natürlich die chinesische Kundschaft im Visier.
Die Volksrepublik ist inzwischen der wichtigste Absatzmarkt, fast die Hälfte der weltweit 850 Lego-Stores befinden sich dort. Doch auch in Europa sind diese Sets als Sammlerstücke begehrt. Die Bausätze aus den vergangenen Jahren werden auf Ebay und Amazon zum drei- und vierfachen des Originalpreises angeboten.
wir vom China.Table glauben natürlich fest an Astrologie – zumindest an die chinesische Variante. Was so viele Menschen in ihrem Denken beeinflusst, kann ja gar nicht falsch sein. Die ersten Babys, die am Sonntag im Jahr des Hasen geboren werden, bringen ganz bestimmt völlig andere Eigenschaften mit auf die Welt als die letzten Tiger des alten Jahres am Samstag. Hasen sind dem fernöstlichen Horoskop zufolge höflich, vorsichtig, zögerlich, hingebungsvoll, großzügig und fleißig.
Wir wagen auch in diesem Jahr unseren Ausblick auf die Ereignisse im Zeichen des Hasen. Amelie Richter und Felix Lee haben die wichtigsten astrologischen Trends zusammengetragen. Was viele Chinesen glauben, ist eben gut zu wissen.
Im gesamten chinesischen Kulturkreis feiern die Menschen das Frühlingsfest bekanntlich im Kreis der Familie. In diesem Jahr haben sich nach der Pandemie-Pause wieder Hunderte von Millionen Menschen auf den Weg zu ihren Angehörigen gemacht. Die größte Reisebewegung der Menschheit findet wieder statt.
Normalerweise wäre jetzt auch die Zeit für Auslandsreisen, doch die Öffnung im Dezember kam zu knapp vor dem Fest. Die Leute haben noch keine neuen Pässe und die Reisebranche bietet noch nicht genug Flüge an. Für den Herbst ist aber ein neuer Boom der Auslandsreisen zu erwarten, analysiert unser Team in Peking. Die chinesischen Touristen sind hochwillkommen: Sie geben am meisten Geld aus.
Bei Johnny Erling geht es heute um einen vermeintlichen Höllenhasen, den die Künstler-Legende Huang Yongyu für die Briefmarke zum Fest entworfen hat. Huang hat mit seinen Anspielungen erneut eine aufgeladene Diskussion ausgelöst.
In den kommenden Tagen können Sie nicht nur im Mond einen Hasen entdecken, sondern auch in unserem ebenso runden Logo. Nach der Kuh und dem Tiger ist es das dritte Mal, dass China.Table das Tierkreiszeichen in seine Identität aufnimmt.
Ein turbulentes und konfliktreiches Jahr liegt hinter uns. Kein Wunder. Tiger gelten als aufbrausend, aggressiv und unberechenbar. Und genau so war das Tigerjahr 2022 mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine, Xi Jinpings Umschalten von Null- auf Full-Covid-Politik und den wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in vielen Ländern der Welt.
Die gute Nachricht: Das nun anstehende Jahr des Hasen, das in der Nacht zu Sonntag beginnt, verspricht, entspannter zu werden. Denn das Zeichen des Hasen steht der chinesischen Astrologie zufolge für Frieden, Wohlstand und Langlebigkeit. Zu den Hasen-Geborenen gehören bisher die Jahrgänge 1927, 1939, 1951, 1963, 1975, 1987, 1999 und 2011.
Jedes der insgesamt zwölf Tierkreiszeichen ist zudem verbunden mit den Elementen Holz, Wasser, Erde, Feuer und Metall. Und weil 2023 ein Wasserjahr ist, verspricht das Jahr besonders fließend zu sein, also damit auch harmonisch und weniger abrupt. Das Jahr des Wasserhasen kommt also wie gerufen.
Nach dem harten Pandemiejahr, das die Menschen in China mit Verzögerung, aber umso massiver getroffen hat, sehnen sich viele Menschen nach genau diesen Eigenschaften. Wasser verkörpert in der chinesischen Astrologie Sensibilität und Flexibilität. Viele hoffen daher auf einen fließenden Übergang zurück in die Normalität.
Weniger fließend war bisher die abrupte Änderung von der Zero- auf eine Full-Covid-Politik. Bei einer Öffnung in kleinen Schritten hätte sich jeder besser auf die Veränderungen einstellen können. Die gegenwärtige Führung scheint jedoch genau das Gegenteil zu praktizieren: Es wird nicht mehr getestet, Beschränkungen gibt es so gut wie keine mehr, auch keine Maskenpflicht. Das Virus kann sich ausgerechnet am Frühlingsfest hemmungslos ausbreiten. Aber wer weiß, vielleicht besinnt die Führung sich im Laufe der Neujahrsfeiertage und geht die Öffnung etwas behutsamer an. Zumindest verlässlichere Infektionszahlen würden schon helfen.
Was die Geopolitik betrifft, erwartet der Hongkonger Astrologe Raymond Lo, dass der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine abflauen und es damit auch weniger Spannungen zwischen Ost und West geben wird. “Dies bedeutet jedoch nicht, dass Konflikte und Kriege vollständig verschwinden werden”, betont der Astrologe. Vielmehr würden die Kämpfe mehr unterschwellig und im Geheimen geführt. Er meint damit Attentate, Staatsstreiche, Proteste und terroristische Aktivitäten. Lo verweist auf eines der berühmtesten Attentate der Geschichte: die Ermordung von Präsident John F. Kennedy im Jahr 1963. Auch das war ein Jahr des Wasserhasen.
Wenig zuversichtlich blickt dagegen eine Mehrheit der Experten, die das China-Institut Merics in seinem jährlichen Ausblick befragt hat, auf das Hasenjahr. Immerhin 55 Prozent der Befragten rechnen mit einer Verschlechterung der Beziehungen der Volksrepublik zur EU und anderen westlichen Ländern, weil Peking im Ukraine-Krieg weiter Putin unterstützt. China und Russland werden demnach ihre Beziehungen vertiefen.
Und auch bei den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China werden deutliche Verschlechterungen erwartet. 81 Prozent der Befragten gaben an, pessimistisch bezüglich der Situation von in China tätigen EU-Bürgern und Bürgerinnen zu sein. Aber vielleicht ist das nur eine relative Betrachtung. Schlimmer als das Jahr 2022 ginge gar nicht, sagte EU-Handelskammerchef Jörg Wuttke bei der Präsentation der Umfrage von Merics. Das Hasenjahr könne nur besser werden.
Anlegern rät Sameer Goel, Leiter der Makro-Strategie der Deutschen Bank für den asiatisch-pazifischen Raum, zu Ruhe und Geduld, typische Eigenschaften des Hasen, um zum entscheidenden Moment agil zu sein. Er zitiert ein chinesisches Sprichwort: “Wer auf einem Tiger reitet, fürchtet sich, abzusteigen.” Die Weltwirtschaft im zurückliegenden Jahr des Tigers sei sehr turbulent gewesen: die hohe Inflation, die die rascheste Straffung der Zinspolitik seit Jahrzehnten zur Folge hatte, die Geopolitik, die wiederum die Energie- und Rohstoffpreise auf Rekordhöhe trieb und Chinas Null-Covid-Politik, die zeitweise die chinesische Wirtschaft lahm legte.
“Wir glauben, dass 2023 nach dem Bust- und Boom-Muster der letzten Jahre ein Jahr des Übergangs zu mehr Normalität sein wird”, sagt Finanzmarktanalyst Goel. “Nach der Volatilität des vergangenen Jahres werden wir Geduld brauchen, zusammen mit Agilität, um durch dieses Jahr des Übergangs zu navigieren.”
Vom zähnefletschenden Tiger zum flauschigen Wasserhasen – das könnte auch international den Gesellschaften vieler Länder guttun. Ein wenig Durchatmen ist angesagt. Das Jahr des Übergangs könnte auch gesamtgesellschaftliche Debatten wieder in ruhigere Gefilde bringen. Diskussionsstoff gab es im vergangenen Jahr genug. Hasen sind der Beschreibung der Tierkreiszeichen nach bekannt für emotionale Intelligenz, Einfühlsamkeit und Sensibilität. Mehr Empathie könnte beim Angehen der Probleme, die alle betreffen, durchaus nicht schaden.
Das Hasenjahr könnte so etwas wie ein Gaumenreiniger bei der Weinprobe werden. Eine Pause, unaufgeregt und mit genügend Raum für Kreativität. Auch wenn es naheliegt, im Hasenjahr viel Nachwuchs zu erwarten, ist das falsch. Geburtenstarke Jahrgänge sind Studien zufolge zumindest in Hongkong eher Drachenjahre. Der Trend der schrumpfenden Bevölkerungszahl wird also wohl auch nicht vom Wasserhasen aufgehalten werden. So sensibel der Hase auch ist, ihm wird ein Hang zur Über-Sensibilität nachgesagt. Um Konflikte zu vermeiden, hält er mit seiner echten Meinung gern hinter dem Berg – und lässt so im Tiefen vielleicht etwas brodeln.
Ein prominenter Hase wünscht sich für 2023 wahrscheinlich definitiv weniger Aufregung: der US-Schauspieler Johnny Depp, geboren 1963. Er war im vergangenen Tigerjahr vor allem mit dem Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard in den Schlagzeilen. Ebenfalls bekannte Hasen sind Brangelina: US-Schauspieler Brad Pitt wurde 1963 geboren, die Schauspielerin Angelina Jolie im Jahr 1975. Aber auch Genies wie Albert Einstein (1879) oder der Ballzauberer Lionel Messi (1987) sind im Jahr der mümmelnden Nagetiere auf die Welt gekommen.
Die Sängerin Madison Beer stammt aus dem Hasenjahr 1999. Der Youtuber Ryan Kaji ist einer der jüngsten Hasen. Er wurde 2011 geboren und ist wahrscheinlich vor allem Eltern bekannt: Mit dem Kanal “Ryans ToysReview” wurde er mit Auspack- und Bewertungsvideos zu Spielsachen berühmt. Von chinesischen Berühmtheiten ist beispielsweise der Kaiser Qianlong (1711) ein Hase, so auch der bekannte Geschäftsmann und Gründer von Soho China, Pan Shiyi (1963). Die Schauspielerin Wang Zi Wen ist ein Hase aus dem Jahr 1987. Schauspieler und Wushu-Kämpfer Jet Li ist ein Wasserhase aus dem Jahr 1963.
Möge der Wasserhase ein wenig Ruhe in die kommenden Monate bringen. Denn dem 2024 anstehenden Holzdrachen wird nachgesagt, eine neugierige und unersättliche Partybombe zu sein. Felix Lee/Amelie Richter
Als Peking kürzlich verkündete, dass Chinesen nach drei Jahren Pandemie endlich wieder ohne große Hürden ins Ausland reisen dürfen, brach im Urlaubsparadies Thailand eine heftige Debatte aus. Einerseits ist die Wirtschaft des Landes auf die Gäste aus der Volksrepublik angewiesen, andererseits hatte die Regierung Sorge wegen der Corona-Welle in China. Am Ende siegten die Interessen der Reisebranche. Rund elf Millionen Besucher aus China kamen im Jahr vor der Pandemie nach Thailand. Damit ist es mit Abstand das beliebteste ausländische Urlaubsziel für Chinesen vor Japan, Vietnam und Südkorea.
Genau wie Hoteliers in Thailand hofft ein Großteil der globalen Tourismusindustrie auf einen Aufschwung durch die Rückkehr chinesischer Gäste. Bei denen ist die Reiselust groß. “Meine Tochter ist jetzt 13 Jahre alt. Wir fanden, dass sie vor der Pandemie zu jung für lange Reisen war. Jetzt soll sie endlich die Welt sehen”, erzählt eine Pekingerin, die plant, so schnell wie möglich mit ihrer ganzen Familie zu verreisen.
Klar ist jedoch auch, dass es zum in den kommenden Tagen anstehenden Neujahrsfest noch keine große Reisewelle ins Ausland geben wird. Viele Chinesen müssen zunächst neue Pässe beantragen, was erst seit dem 8. Januar wieder möglich ist. Für viele Reiseziele müssen zudem Visa beantragt werden und auch dafür fehlt die Zeit. Vor allem aber gebe es “derzeit noch viel zu wenig Flüge”, berichtet der Mitarbeiter einer Reiseagentur. Über die Feiertage dürfte also zunächst die heimische Tourismusindustrie profitieren. Auch Reisen in die Sonderverwaltungsregionen Hongkong und Macau stehen hoch im Kurs.
Ab dem zweiten Quartal, wenn wieder mehr Flüge verfügbar sind, rechnen Beobachter mit einer sprunghaft steigenden Zahl chinesischer Auslandsreisen. Für Ende September und Oktober wird sogar eine wahre Explosion vorhergesagt. Das Mid-Autumn Festival geht dann direkt in die “goldene Woche” über, einer Kette von freien Tagen um den chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober. Wenn sie die Brückentage freinehmen, können Chinesen für zehn Tage am Stück verreisen.
Noch im Jahr 2019 unternahmen Chinesen 154 Millionen Auslandsreisen und waren damit globaler Reiseweltmeister. Zum Vergleich: US-Bürger machten im selben Jahr rund 100 Millionen Reisen ins Ausland und gaben dabei mit 1.363 US-Dollar pro Person deutlich weniger aus als Chinesen. Die ließen sich ihren Urlaub im Schnitt 1.852 Dollar kosten.
Die insgesamt rund 255 Milliarden Dollar, die Chinesen noch 2019 für Reisen ins Ausland ausgegeben haben, waren in den drei Pandemie-Jahren weitgehend verschwunden. 2021 reisten nur noch 8,5 Millionen Chinesen ins Ausland. Das war noch bevor Chinas Regierung die Ausreise-Regeln im vergangenen Jahr weiter verschärfte.
Zwar schaffte es vor der Pandemie kein einziges europäisches Land in die Liste der zehn beliebtesten Reiseziele für Chinesen. Doch nahm die Zahl der Gäste spürbar zu. Deutschland und das Schloss Neuschwanstein gehörten zum Pflichtprogramm vieler chinesischer Reisegruppen, die in oft nur einer Woche gleich mehrere europäische Staaten besuchten.
In Hamburg oder Düsseldorf heuerten Boutiquen extra Personal mit Chinesisch-Kenntnissen an, um die Kunden aus Fernost ganz nach ihren Bedürfnissen bedienen zu können. Diese Sprachkenntnisse dürften schon bald wieder von Vorteil sein. Jörn Petring
23.01.2023, 8:30 Uhr
Chinaforum Bayern, Breakfast Club (vor Ort): Zwischen Gigaherzgipfel und Systemabsturz – Taiwans Chipindustrie und ihre Bedeutung für die Weltwirtschaft Mehr
24.01.2023, 15:30 Uhr (22:30 Uhr Beijing time)
Center for Strategic & International Studies, Webinar: ChinaPower: Debate on US-China Economic Cooperation Mehr
24.01.2023, 18:30 Uhr
Konfuzius Institut Trier, Vortrag (vor Ort): Prof. Dr. Hans van Ess: Konfuzius und Marx im 21. Jahrhundert Mehr
25.01.2023, 18:00 Uhr
Institut für Sinologie der Universität Heidelberg, Vortrag (vor Ort): Zur (Un)Sachlichkeit in politischen Debatten über China Mehr
26.01.2023, 10:00 Uhr (17:00 Uhr Beijing time)
Stars for leaders of the next generation, Webinar: Post-Putin Russia and Post-Covid China Mehr
26.01.2023, 12:00 Uhr (19:00 Uhr Beijing time)
Kiel Institut für Weltwirtschaft, Global China Conversations: Ideologie vor Wirtschaft: Vor welchen Herausforderungen stehen europäische Unternehmen in China? Mehr
Der im Berliner Exil lebende chinesische Schriftsteller und Dissident Liao Yiwu hat die westlichen Staatsoberhäupter dazu aufgerufen, eine von Werten und Idealen geprägte Politik zu verfolgen. Als diesjähriger Redner der Stuttgarter Zukunftsrede warnte er zudem vor den Folgen des weiteren Aufstiegs der chinesischen Volkswirtschaft.
Der Westen habe von Chinas Wachstum profitiert, “aber wenn man diese Tyrannei weiter wachsen lässt, dann werden am Ende alle in der Hölle sein”. Langfristig wäre es aus seiner Sicht gut, wenn China auseinanderbreche und stattdessen aus mehreren kleineren Ländern bestehe, die gut zusammenarbeiten, sagte Liao. Der Schriftsteller rührt damit an einem politischen Tabu. Die geografische Einheit und die nationale Integrität sind identitätsstiftende Nationalziele der Volksrepublik.
Die Stuttgarter Zukunftsrede findet alle zwei Jahre statt und ist eine Initiative des Literaturhauses Stuttgart, des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart sowie des Evangelischen Bildungszentrums Hospitalhof Stuttgart.
Liao Yiwu sprach in seiner Rede unter anderem auch von seiner Zeit in chinesischen Gefängnissen. 1989 hatte er als Reaktion auf die Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens das Gedicht “Massaker” veröffentlicht. Daraufhin wurde er für vier Jahre inhaftiert. Seit mehr als zehn Jahren lebt der Schriftsteller in Deutschland. jul
Erste Testläufe für einen Hyperloop-Zug in Datong, Shanxi sind erfolgreich verlaufen, berichtet die South China Morning Post. Auf der zwei Kilometer langen Teststrecke wurden demnach 50 km/h erreicht und mehrmals 210 Meter zurückgelegt.
Bei dem Test haben kritische Komponenten wie ein supraleitender Magnet, die Elektronik und KI-Sicherheitskontrollen wie geplant funktioniert. Der Zug wird von Ingenieuren der staatlichen China Aerospace Science and Industry Corporation (CASIC) entwickelt. Die erfolgreichen Testläufe ermöglichen nun Experimente bei höheren Geschwindigkeiten. Ziel ist es, die Kapseln in einer Vakuumröhre auf bis zu 1000 km/h zu beschleunigen und damit Menschen und Güter zu transportieren.
Das Projekt läuft seit einem Jahrzehnt. Es ähnelt Elon Musks Hyperloop-Projekt. Aktuell erreichen die schnellsten Hochgeschwindigkeitszüge 350 km/h. Der Transrapid in Shanghai beschleunigt kurzzeitig auf bis zu 430 km/h. Eine Magnetschwebebahn des chinesischen Staatskonzerns CRRC soll bis auf 600 km/h beschleunigen können, sie wird aktuell getestet. Die Idee von Magnetzügen in Röhren und ihr Einsatz in China sind laut dem kürzlich verstorbenen Transrapid-Planer Hartmut Heine durchaus realistisch. jul
Staatsmedien feierten am Donnerstag die Wahl von Staatschef Xi Jinping als Abgeordneten der Provinz Jiangsu für den Nationalen Volkskongress. “Hunderte Millionen Menschen lieben ihren Führer!”, zitierte die Zeitschrift Qiushi die Delegierten des örtlichen Volkskongresses von Jiangsu. Xi war zuvor einstimmig gewählt worden. Die Staatsmedien nannten seine Entsendung trotz der Erwartbarkeit des Ereignisses “historisch”. Es habe donnernden Applaus gegeben. Der NVK ist Chinas gelenktes Parlament.
Seine übliche Tour durch Provinzen vor dem Neujahrsfest ließ Xi in diesem Jahr ausfallen. Er hielt stattdessen online eine Rede mit den üblichen Versatzstücken zu seiner Politik und ließ sich per Video mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verbinden. Er inspizierte sogar eine Militäreinheit per Videoschalte. fin
Die taiwanische Regierung ist geschlossen zurückgetreten, um Platz für neue Minister zu machen. Premier Su Tseng-chang hat dafür am Donnerstag Präsidentin Tsai Ing-wen um seine Entlassung gebeten. Die Demokratische Fortschrittspartei DDP reagiert damit auf deutliche Verluste bei der Regionalwahl im November. Eine neue Regierungstruppe soll idealerweise schon nach den Urlaubstagen zum Frühlingsfest feststehen. Der 75-jährige Su tritt voraussichtlich nicht wieder an. fin
Chinesen feiern nach dem Zwölfer-Zyklus der Tierkreiszeichen 2023 als neues Jahr des Hasen. Es beginnt nach dem traditionellen Mondkalender um Mitternacht auf Sonntag. Zu Ehren des Hasen durfte Chinas weltberühmter Künstler Huang Yongyu für die Staatliche Post zwei Motivmarken entwerfen. Empörte Blogger entfachten einen virtuellen Sturm. Sie unterstellten Huang bösartige Absichten.
Denn der dieses Großmeister chinesischer Malerei, vielseitiger Kunst und Satiriker – er wird in diesem Jahr 99 Jahre alt – lieferte zwei Karikaturen ab. Sein erstes Hoppelwesen schien der Unterwelt entkommen: ein Kinderschreck mit blauem Fell und glühend roten Augen. Ein Hase mit Menschenhänden, der Stift und Notizblock bereithält, um mit China abzurechnen. So zumindest befand ein Blogger, der unter dem blumigen Pseudonym “Orchideengarten aus Zhejiang” (严州兰苑) eine Wutmail postete: “Giftig! …sieht aus wie eine Ratte, die im Labor ein neues Corona-Virus herstellt. In einer Hand hält sie den Füller des höllischen Buchhalters Panguan und in der anderen die Listen über Leben und Tod. Schockierend ist die Zahl 120!” (“毒!…一只在实验室做新冠病毒试验的老鼠~一只手拿着判官笔一只手拿着生死簿还有令人心惊胆战的120!)
Seit dem 5. Januar verkaufen Postämter die Marken. Seither schmäht die Online-Gemeinde Huangs “hässlichen” Hasen. Für sie ist er eine dämonenhafte Kreatur, ein “Omikron-Hase” (奥密克戒兔),der mitten in Chinas entfesselter Pandemie Haken schlägt. Verschwörungstheorien deuten auf den Nennwert der Briefmarke, 1,20 Yuan. 120 sei aber Chinas Telefonnotruf für ärztliche Hilfe. Dazu passt, dass Huangs zweites Hasenbild scheinbar auch voller Anspielungen steckt. Im Vordergrund zeige es zwar drei putzige Hasen beim Ringelreihen. Doch im Hintergrund verstecke sich der Mondhase Yutu, der nach der Sage (玉兔捣药) Arzneien stampft.
Mit Logik kommt man dagegen nicht an. 1,20 Yuan kostet das Porto für einen Inlandsbrief. Auch ist Chinas Trauerfarbe nicht blau, sondern weiß. Zeichner Huang reagierte schmunzelnd in einem Video-Clip: Hasen malen sei keine große Kunst. Das könne jeder. “Ich habe sie gemalt, um alle happy zu stimmen.” (画个兔子邮票是开心的事 …让大家高兴). Die einzige Anspielung stecke in den Worten für “Blauer Hase”. Sie sind – gleich ausgesprochen, aber mit anderen Schriftzeichen geschrieben – Homophone für den Neujahrswunsch nach “großartigen Plänen” (蓝色兔子谐音”宏伟蓝图”).
Der grotesk-komische Online-Streit, den eine Minderheit angezettelt hat, heizte den realen Run der Mehrheit auf die Marken erst richtig an. Markenfans standen bis zu drei Tagen vor Ausgabetermin an – und mobilisierten ihre Familien, um sich beim Schlangestehen abzuwechseln. Sie witterten die sprichwörtliche Aktie des kleinen Mannes.
Die Postämter verkauften ihre Bestände oft innerhalb der ersten Stunde. 200.000 Bestellungen notierte das Online-Kaufhaus Taobao. Auch die Vorräte dort waren rasch vergriffen, obwohl sich die Post vorbereitet hatte: Sie druckte die Marken in Rekordauflagen von jeweils 39,5 Millionen Exemplaren.
Zum Auslöser der explodierenden Nachfrage wurde eine Mischung aus volkstümlichem Aberglauben, gepaart mit der Gier nach Schnäppchen und der Bekanntheit des Huang Yongyu. Die Hasen 2023 sind das dritte Tierkreiszeichen, das er für Chinas Post entwarf, seit sie 1980 erstmals Sondermarken zum Jahr des Affen herausgab.
Jedes chinesische Kind wächst seither mit der Mär der roten Affenmarke auf, die Huang 1980 für Chinas Post zeichnete. Sie wurde quasi ein chinesisches Pendant zur blauen Mauritius. Mit einem Nennwert von acht Fen – das damalige Porto für einen Inlandsbrief – stieg sie zum teuersten Postwertzeichen der Volksrepublik auf. Ihr heutiger Marktpreis liegt bei weit über 1.000 Euro, obwohl sie 1980 bereits in einer Auflage von fünf Millionen Exemplaren erschien.
Vom absurden Hype profitierte auch ein deutscher Chefingenieur, der am frühen Wuhaner Großprojekt eines aus Duisburg importierten Kaltwalzwerks mitarbeitete. In der Yangtse-Stadt vertrieb er sich die Freizeit, indem er mit seinem Sohn bis 1984 China-Briefmarken bogenweise kaufte. Im November 2022 ließ der Sohn die über Jahrzehnte weggeschlossene Sammlung vom Auktionshaus Felzmann versteigern, darunter ein Bogen mit 40 Affenmarken. Der Vater hatte sie 1980 für 3,20 Yuan gekauft. Der Ausruf startete mit 25.000 Euro. Der Zuschlag fiel bei 39.000 Euro.
Seine zweite Neujahrsmarke malte Huang 2016. Es war wieder ein Jahr des Affen. Er zeichnete ihn mit einem Pfirsich, dem Symbol für langes Leben, und spielte auf die Sage vom Affenkönig-Rebellen Sun Wukong an. Der erdreistete sich, einen Pfirsich aus dem Himmlischen Garten zu stehlen. Als weiteres Motiv entwarf Huang einen Affen mit zwei Jungen. Es war sein Plädoyer gegen Chinas Ein-Kind-Politik. “Alle sind hinter diesen Marken her als seien sie selber Affen”, schrieb damals missbilligend Xinhua.
Als ich Huang vor zwölf Jahren – zum Hasenjahr 2011 – in seinem Pekinger Atelier besuchte, zeigte er mir ein Bild, das er für sich selbst gemalt hatte. Inspiriert vom Sprichwort, wonach ein schlauer Hase zum Überleben drei Schlupflöcher braucht, hatte er drei Hasen gezeichnet, die vergnügt in nur einem Loch hocken. “Wir brauchen hierzulande nicht mehr so viele Plätze, um uns zu verstecken”, sagte Huang verschmitzt. Als ich wissen wollte, ob er Chinas Gesellschaft auf einem guten Weg zur Normalität sehe, stellte er mir als rhetorische Gegenfrage: “Wäre es so, bräuchten wir uns dann noch ein Mao-Portrait am Tiananmen-Tor aufzuhängen?”
So viel Skepsis hielt ihn nicht ab, staatstragende Werke wie eine 24 Meter lange und sieben Meter hohe Bildstickerei mit Flüssen und Bergen zu entwerfen. Sein Wandbild schmückt im riesigen Mao-Mausoleum auf dem Tiananmen-Platz den Empfangsraum hinter Maos Marmorbüste.
Doch er lässt sich weder für Parteipropaganda noch von Kritikern des Systems vereinnahmen. Jüngst tauchte online ein angebliches Protestfoto von ihm auf, gegen Pekings Umgang mit der Pandemie. Es zeigt ihn mit seiner Zeichnung einer Hand, die Peking den bekannten ausgestreckten Mittelfinger zeigt. Daneben steht der Ausruf: “Das Volk ist aufgebracht!” (中国人活得有气).
Das Foto war eine Fälschung. Für die Manipulation wurden ein Finger und ein Schriftzeichen übermalt. Auf dem nach dem Covid 19-Ausbruch in Wuhan gemalten Originalplakat zeigen zwei Finger das Victoryzeichen V. Der Ausruf heißt: “Das Volk ist voller Elan!” (中国人活得有气势).
Dabei hätte Huang hinreichend Grund, verbittert zu sein. Er überlebte brutale Verfolgungen – in der Anfangsphase der traumatischen Kulturrevolution durch aufgehetzte Rotgardisten und sieben Jahre später durch intrigante Gefährten von Mao, darunter dessen Frau Jiang Qing.
Der Reihe nach: 1966 lehrte Huang an Pekings Hochschule für Schöne Künste als ihr jüngster Professor. Kulturrevolutionäre brandmarkten den Dekan Ye Qianyu, Maler Lu Gongliu und Huang als Konterrevolutionäre und Verräter an Mao. Am 23. August 1966 wurden alle drei Künstler nach öffentlichem Tribunal blutig ausgepeitscht. Huang überlebte 242 Hiebe mit dem Ledergürtel.
Jahre der Landarbeit in einer Kaderschule in der Provinz Hebei folgten. 1973 wurden Huang und weitere Maler plötzlich aus der Verbannung nach Peking zurückgeholt – vom damaligen Premier Zhou Enlai. Heute weiß man, dass es auf Geheiß Maos geschah. Peking sollte nach dem Nixon-Besuch 1972 nun erwarteten weiteren Staatsgästen des Westens ein freundlicheres Bild bieten. Huang und andere Maler sollten dafür ein Wandbild vom Jangtse-Strom als Blickfang im Foyer des neugebauten Peking-Hotels malen.
Huang, der wieder Bekannte besuchen durfte, zeichnete für einen Freund als privates Geschenk eines seiner Lieblingsmotive – das Tuschebild einer Eule mit einem geschlossenen und einem offenen Auge. Das war der Beginn des berüchtigten Eulenbild-Vorfalls, deren Opfer an erster Stelle Huang wurde. Er erfuhr nicht, dass der Freund die ihm geschenkte Zeichnung weitergab und sie in einen Shanghaier Katalog moderner Malerei einging. Zhou Enlai wollte international wieder für Chinas Kunst werben lassen.
Doch gerade dieser Katalog wurde Steilvorlage für eine mächtige Gruppe ultralinker Gefolgsleute um Maos Frau Jiang Qing, darunter auch der damalige Kulturminister Yu Huiyong. Er machte sich zum Wortführer für eine erneute Verfolgung der “schwarzen bourgeoisen Malerei”, Chinas Wort für entartete Kunst, mit der angebliche Feinde das Ende von Maos Kulturrevolution betreiben wollten. Am 15. Februar 1974 zeigte die Pekinger Kunstgalerie eine Kritik-Ausstellung “Schwarzer Malerei” mit 215 Bilder der achtzehn besten Maler Chinas. Huangs Eule ist darunter das mit Abstand “schwärzeste Bild”. Die Eule halte ein Auge offen und eines geschlossen. Der Künstler drücke so seine Gleichgültigkeit und Verachtung für Mao und den Sozialismus aus.
Pekings Kulturkritiker Li Hui hat in einer umfassenden Biografie über Huang Yongyu (李辉: 黄永玉传奇) das damalige Ränkespiel nachrecherchiert, das in Wirklichkeit den verhassten Premier Zhou Enlai zu Fall bringen sollte. Huang hat sich das Original des Vorschlags für eine Kampagne gegen die Schwarze Kunst mit der handschriftlichen Zustimmung aller Beteiligten, auch Maos Frau, beschafft, rahmen lassen und in sein Schlafzimmer gehängt, schreibt Li Hui. Für Huang ist es Realsatire, für andere ein Stück Zeitgeschichte aus dem chinesischen Tollhaus in der Spätphase der Kulturrevolution.
Ausgerechnet der wankelmütige Diktator Mao sorgte dafür, dass die Verfolgung der Künstler abrupt endete. Als ihm die Fotos der Kritikausstellung “Schwarze Kunst” gezeigt wurden, um seine “höchste Weisung” zum Start eines landesweiten Kulturkampfs zu erhalten, kann der alterssieche Mao nichts Anrüchiges erkennen. Er lobt sogar Huangs Eule. Ein geschlossenes und ein offenes Auge sei bei Eulen üblich. Einst habe ihm ein deutscher Maler so ein Bild geschenkt. Die Kampagne endete unverrichteter Dinge.
Das aktuell beste Portrait über Huang Yongyu und eine Hommage auf ihn als Satiriker veröffentlichten Reporter 2022 in der Zeitschrift Renwu (人物), Persönlichkeiten. Sie nannten ihren Essay: “Solange Menschen lachen können, ist noch nichts verloren” (人只要笑,就没有输).
Huang kann lachen. Auf das Jahr des Hasen folgt 2024 das Jahr des Drachen. Dann wird er 100 Jahre alt. Auf seine Neujahrszeichnung darf man gespannt sein. Den Reportern von Renwu verriet er, dass er eine Jahrhundert-Ausstellung vorbereitet. Falls sie ihn dann regungslos sehen, “zwickt mich und guckt nach. Wenn ich lache, lebe ich noch” (到时候胳肢我一下,看看我笑不笑. 笑了,我就还活着).
Vera Langener ist seit Anfang Januar Analystin für Energy & Infrastructure in Asia & Europe bei der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft KfW DEG.
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Das Jahr des Hasen wird auch von Lego begangen. Mit Sets zum chinesischen Neujahrsfest trumpft der dänische Spielzeughersteller schon seit Jahren auf – und hat natürlich die chinesische Kundschaft im Visier.
Die Volksrepublik ist inzwischen der wichtigste Absatzmarkt, fast die Hälfte der weltweit 850 Lego-Stores befinden sich dort. Doch auch in Europa sind diese Sets als Sammlerstücke begehrt. Die Bausätze aus den vergangenen Jahren werden auf Ebay und Amazon zum drei- und vierfachen des Originalpreises angeboten.