Table.Briefing: China

Hans-Peter Friedrich im Interview + LGBTQ-Rechte

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie erhalten diese Ausgabe des China.Table ein zweites Mal, weil wegen eines technischen Fehlers das Interview mit Herrn Friedrich in der ersten Version nicht lesbar war.

Hans-Peter Friedrich von der CSU war Innenminister und Vizepräsident des Bundestags, doch zuletzt war er vor allem für sein Engagement bei der China-Brücke bekannt. Dieser Verein setzt sich für gute Kontakte zur Volksrepublik ein. Ein lobenswerter Ansatz, sagen die einen. Andere sehen darin ein Vehikel der Einflussnahme Pekings.

Im Interview mit Michael Radunski und Felix Lee erklärt Friedrich seine Haltung zu China und den Grund für sein Engagement in der China-Brücke. Er erkennt an, dass die chinesische Bevölkerung enger und enger kontrolliert wird. Dennoch hält er China als Wirtschaftspartner für unverzichtbar. Und: Friedrich nimmt Stellung zu seiner Aussage, China sei “keine Diktatur” – und revidiert sie zum Teil.

Der schwindende Spielraum in der Gesellschaft zeigt sich auch an der Situation der Gruppe, in der es in unserem zweiten Text geht. Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle und andere Menschen, die geschlechtlich nicht der vermeintlichen Norm entsprechen, also LGBTQ+, erfahren in China immer weniger Freiheit. Die Behörden schließen ihre Institutionen und zensieren Inhalte mit ihren Themen, schreibt Fabian Peltsch.

Im Jahrzehnt vor der Ära Xi hat die Partei zwar ebenfalls politische Ruhe eingefordert, dafür aber Freiheit der Lebensführung gewährt. Die KP unter Xi redet wieder mehr ins Private hinein. Auf staatliche Unterstützung für Menschen, die anders sind als sein persönliches Bild vom idealen Chinesen, ist nicht mehr zu hoffen.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Analyse

“China und Deutschland sind optimale Partner”

Hans-Peter Friedrich, ehemaliger Bundesinnenminister und Vorsitzender der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe, im Gespräch mit Michael Radunski und Felix Lee.

Sie kommen gerade zurück aus China. Was haben Sie dort gemacht?

Ich bin als Mitglied des Ausschusses für Klimaschutz- und Energie zu Gesprächen mit Vertretern Nationalen Volkskongresses nach China gereist. Es ging also vor allem um europäische Klimapolitik.

In so angespannten Zeiten haben Sie nicht über Außenpolitik gesprochen?

Ich bin kein Außenpolitiker und maße mir nicht an, über diese hochkomplexen außenpolitischen Themen im Ausland zu diskutieren. Ich bin Wirtschaftspolitiker, vor allem Mittelstandspolitiker, mit großer Leidenschaft. In diesem Zusammenhang ist für mich auch die Energiepolitik von großer Wichtigkeit.

Na gut. Welche Eindrücke haben Sie in China gewonnen?

Die Folgen der Null-Covid-Politik, vor allem die wirtschaftlichen, sind massiv. Uns betrifft das auch, denn die chinesischen Wachstumszahlen haben unmittelbare Auswirkungen auch auf uns. 

Und gesellschaftlich?

Die Kontrolle in China hat in den vergangenen Jahren erkennbar zugenommen. Das war tatsächlich sehr befremdlich für mich. Die Führung in Peking hat die Pandemie genutzt, alles durchzudigitalisieren, und damit alle Kontrollmöglichkeiten zu intensivieren. Was mir auch aufgefallen ist: Nach meinem Gefühl gibt es eine Verdoppelung der chinesischen Fahnen, die überall hängen. Das zeigt, in welche Richtung es in China geht. Die Spielräume werden kleiner – und zwar für alle, für Aus- wie Inländer. 

Wie sollten wir darauf reagieren?

Nicht so, wie wir es tun, nicht mit eigenen Restriktionen oder Investitionskontrollen. Faktisch findet derzeit ein Decoupling statt, egal wie die deutsche Regierung das nennen mag. Etliche Vereinbarungen wie zur Industrie 4.0. laufen aus, Staatsbürgschaften werden gedeckelt, die Messeförderung für mittelständische Unternehmen wird reduziert. Das sind große Fehler. 

Also was sollte die deutsche Regierung tun?

Ich erwarte, dass sie unsere Interessen – Zugang der deutschen Unternehmen zu den Märkten, deren Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen sowie Freiraum für wirtschaftliche Betätigungen – offensiv in Peking vertritt und sich nicht verkriecht nach dem Motto: Ihr macht dicht, dann machen wir auch dicht. 

Erkennen Sie denn bei den Chinesen ein Interesse an Gesprächen?

Ja. Die Regierung in Peking hat großes Interesse an guten Beziehungen zu Deutschland – und wir, unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen, haben daran ebenfalls Interesse. In einer solchen Situation muss man miteinander reden und verhandeln. Aus meiner Sicht sind China und Deutschland optimale Partner.

Ein autoritäres China und das demokratische Deutschland?

Ihre Frage zeigt das aktuelle Problem: Überall haben Sicherheitspolitiker das Sagen. Es geht um innere und äußere Sicherheit, um Abschottung, Misstrauen und Konflikt. Für einen Sicherheitspolitiker wäre es einfacher, wenn es China gar nicht gäbe. Aber für einen Wirtschaftspolitiker wäre es ein Problem, weil ein großer Teil unseres Wohlstandes mit China zusammenhängt. Die Stimme der Wirtschaftspolitiker hat seit vielen Jahren in der Außenwirtschaftspolitik an Gewicht verloren. Das muss sich wieder ändern. Ich schaue aus der Perspektive eines Wirtschaftspolitikers auf die Dinge, denn das ist die Grundlage unseres Wohlstands. Und ja, hier sind China und Deutschland optimale Partner. Sehen Sie denn nicht die Chance?

Welche? 

Die Kombination aus der Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der Skalierung des chinesischen Marktes von 1,4 Milliarden Menschen. Das ist eine optimale Möglichkeit, Innovationen marktfähig zu machen.

Das erhöht doch die Gefahr eines unfreiwilligen Techniktransfers.

Nein. Blicken wir in die Zukunft am Beispiel Energiewende: In China können sie zehn Technologien nebeneinander haben. Der Markt reicht immer aus, um alle zehn irgendwie marktfähig zu machen. Mit China zusammen können wir die Energiewende schaffen. Ungefähr ein Viertel des Wissens der Welt befindet sich dort. Bei dieser Menschheitsaufgabe können wir nicht einfach auf dieses Wissen verzichten.

Dann erfinden und bauen die Chinesen alles allein. 

Die Chinesen sind in puncto autonomes Fahren und Batterie-Forschung heute Technologieführer. Das stimmt. Aber dass die Restriktionen in China zunehmen, lässt die Innovationsfähigkeit dort leiden. Wenn wir dann unsere Innovationsfähigkeit kombinieren mit der Skalierung der chinesischen Wirtschaft, dann haben wir alle Möglichkeiten. Wir sollten chinesische Wertschöpfung in Deutschland verpflichten, wie umgekehrt deutsche Unternehmen in China dort zu Wertschöpfung angehalten sind. 

Und die Menschenrechte lassen wir einfach weg?

Also zum Thema Menschenrechte: Wenn man für die Menschen wirklich was erreichen will, egal wo, egal in welchem Land, dann muss man das in Einzelfällen sehr gezielt tun. Die Vorstellung, dass wir aus Deutschland heraus die Chinesen zu irgendetwas zwingen können, halte ich für abenteuerlich. Wenn uns Fälle bekannt werden und wir den Menschen wirklich helfen wollen, müssen wir konkret an diesen Fällen arbeiten.

Schwierig bei einer Million inhaftierten Uiguren. 

Auch dazu braucht man gute Verbindungen. Da hilft kein Decoupling und Abschottung. Man muss miteinander reden können, man muss verhandeln können. Das ist das Entscheidende. 

Allerdings befindet sich Deutschland nicht im luftleeren Raum. Die USA drängen auf eine harte Haltung gegenüber China.

Die Amerikaner sind sehr hart in ihren verbalen Beschreibungen der politischen Beziehungen, aber faktisch nimmt das Geschäftsvolumen zwischen China und Amerika permanent zu. Während die Politiker sich oben für die Galerie zoffen, wird abseits der Kameras Big Business gemacht. Das muss man wissen, wenn man als europäischer Politiker Verantwortung hat für die Zukunft des eigenen Landes. Es ist Zeit, dass wir unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen definieren. 

Sie meinen, Deutschland hat sich vor den amerikanischen Karren spannen lassen? 

Ich sage, wir müssen selbst wissen, was wir wollen. Und wenn wir nicht erkennen, wie wichtig offene Märkte für die deutsche und europäische Wirtschaft sind, dann ist das ein schlimmer Fehler. Da können die Amerikaner nichts dafür. 

Also alles öffnen? Oder um eine aktuelle Debatte aufzugreifen: Cosco gleich den ganzen Hamburger Hafen verkaufen?

Eine völlig irrationale Diskussion. Erstens scheint es so zu sein, dass nicht Cosco zuerst die Idee hatte, dort einzusteigen, sondern der Hamburger Hafen auf Cosco zugegangen ist, weil sie Angst hatten, dass sie abgehängt werden im Verhältnis zu anderen europäischen Häfen. Zweitens sollte man den Hamburger Hafen als eine Infrastruktur sehen, wo alle Menschen, die Handel treiben wollen, egal aus welchen Ländern sie kommen, freie Zugangsmöglichkeiten haben. Nun geht es um 25 Prozent am Betrieb eines einzigen Terminals. Ich sehe darin kein Problem. Im Gegenteil. Wir sehen, dass die chinesischen Investitionen in Deutschland zurückgehen. Die Chinesen sehen unsere aufgeregten Diskussionen und sagen: Na gut, dann investieren wir unser Geld eben in andere europäische Länder.

Als Ausweg haben Sie die China-Brücke gegründet?

Die China-Brücke geht zurück auf meine Gespräche 2019 mit deutschen Unternehmen in Shanghai. Viele Mittelständler sagten mir, die deutsche Politik kümmere sich zu wenig um ihre Anliegen. Deshalb wollte ich unterhalb der großen Politik, losgelöst von außenpolitischen Konflikten, eine neue Plattform für neue Gesprächskanäle schaffen. Wegen Corona wurde es schwierig. Aber ich freue mich zu sehen, dass die China-Brücke jetzt wieder Fahrt aufnimmt. 

Das Problem ist, dass China sich seither dramatisch verändert hat. 

Das stimmt, aber lassen wir das Politische mal beiseite. Die Corona-Pandemie und die gestörten Lieferketten waren ja keine politischen Entscheidungen. Aber sie haben uns gezeigt, dass wir eine Strategie der Risikostreuung brauchen. Nur: Das sollte sich nicht gegen ein einzelnes Land richten, nicht gegen China, nicht gegen Kanada, nicht gegen die USA. Jeder Mittelständler überlegt, ob er zu sehr von einem Kunden abhängig ist. Aber das hat nichts mit China und seinem System zu tun. Das ist einfach eine Frage der ökonomischen Vernunft.

Stichwort Chinas System. Sie sollen gesagt haben, China sei keine Diktatur. Was ist es denn?

Zunächst muss ich sagen: Ich finde es einfach unglaublich, dass aus einem Gespräch, das ich mit einer Journalistin hatte, einzelne Sätze ohne Absprache und aus dem Zusammenhang gerissen veröffentlicht werden. Und zu ihrer Frage: Natürlich ist China keine Demokratie. Es ist ein autoritäres System und die totalitären Züge nehmen deutlich zu.

Also keine Diktatur? 

Was heißt Diktatur? Nach unserer Definition ist es eine Diktatur. Aber man muss sehen, dass es in China auch eine Vielzahl an Rückkopplungen gibt. China ist ein Riesenreich mit vielen auch regionalen Akteuren, bei denen es durchaus unterschiedliche Ansätze und Vorstellungen gibt. Nur das habe ich versucht auszudrücken.

Andere Medien beschreiben Sie als “Pekings Mann im Bundestag”, vor dem Hintergrund, dass Peking versucht, auf einflussreiche Politiker im Ausland Einfluss zu nehmen und so die Wahrnehmung zu ihren Gunsten zu verändern. 

Ich halte das für Verleumdung. Ich kann doch nicht jeden chinesischen Menschen, der freundlich zu mir ist, unterstellen, dass er mich manipulieren will. Ich sage ganz offen, dass ich immer ein sehr positives Verhältnis zur chinesischen Kultur, zu den Menschen und dem Land gehabt habe, seit ich vor 20 Jahren zum ersten Mal in China war. Als Wirtschaftspolitiker bin ich zudem von Chinas Weg in die Marktwirtschaft fasziniert. Und ich sehe jetzt mit einiger Skepsis, dass Xi Jinping versucht, die marktwirtschaftlichen Prinzipien zurückzudrängen. Das ist nicht zum Wohl der chinesischen Wirtschaft – und schlecht für uns.

Hans-Peter Friedrich (66), war von 2011 bis 2013 Bundesinnenminister und von 2017 bis 2021 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Seit 1998 sitzt der CSU-Politiker im Bundestag und ist zuständig für Klimaschutz und Energie. 2019 gründete er mit Vertretern aus der Wirtschaft die China-Brücke und war deren Gründungsvorsitzender. Er ist zudem Vorsitzender der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe.

  • China-Strategie
  • Geopolitik
  • Handel
  • Menschenrechte
  • Technologie
  • Wirtschaft

Schwierige Zeiten für LGBTQ-Personen

Ein Bild aus besseren Zeiten: Schwule und Lesben beim Gay Pride in Shanghai 2009.

Mit der Schließung des Beijing LGBT Center am 15. Mai verschwand der wohl wichtigste und landesweit bekannteste Safe Space für Menschen in China, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich und queer identifizieren. Das 2008 gegründete Zentrum hatte sich für ihre Rechte eingesetzt und Unterstützung angeboten, etwa bei Fragen zur physischen und mentalen Gesundheit, Diskriminierung und Rechten.

Die Arbeit zivilgesellschaftlicher Gruppen insgesamt, und LGBTQ-freundlicher Organisationen im Besonderen, ist in China in den vergangenen zehn Jahren immer schwieriger geworden. Schon 2021 wurde die Gruppe LGBT Rights Advocacy China aufgelöst, die sich vor Gericht für Homosexuelle eingesetzt hatte. Im selben Jahr wurden fast 20 WeChat-Konten von LGBTQ- und Gender-Studiengruppen geschlossen.

Feindliches Umfeld für LGBTQ-Organisationen

Queere Dating-Apps und andere Gruppen in den sozialen Netzwerken verschwanden. Zum Teil wurden sie Opfer des sogenannten “Shadow Banning”, durch das sie von reichweitenstarken Zielgruppen abgeschnitten werden. Formal sanktioniert wird das Vorgehen durch Pekings Kampagne gegen Nichtregierungsorganisationen. Seit Anfang 2017 gilt in der Volksrepublik das NGO-Gesetz, das die Gruppen in ihrer Arbeit stark beschränkt.

Die Kommunistische Partei duldet immer weniger Organisationen neben sich. Dabei erfüllten die Gruppen in der Wahrnehmung der Betroffenen eine wichtige Funktion. Das Beijing LGBT Center hatte beispielsweise eine Hotline für Selbstmordgefährdete eingerichtet. Daneben hatte sich das Zentrum für eine größere Sichtbarkeit der Community in der chinesischen Gesellschaft stark gemacht. 2016 führte es etwa die größte jemals durchgeführte Umfrage zu Fragen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in China durch. Mehrmals waren chinesische Universitäten an den Forschungen des Zentrums beteiligt.

Die Unterdrückten verlieren ihr Zuhause

Als offiziellen Grund für die Schließung des LGBT Center nannten die Verantwortlichen dort “unvorhersehbare Umstände” und “höhere Gewalt”. Ihre Diskretion ist vermutlich staatlichem Druck geschuldet. Der Filmemacher Popo Fan, der das Zentrum mit aufgebaut hat und zeitweilig Vorstandsmitglied war, schreibt auf seiner Facebook-Seite: “Dies ist nicht nur ein großer Verlust für die LGBT-Kultur und die Zivilgesellschaft in China, sondern bedeutet auch, dass viele der Unterdrückten ihr Zuhause verloren haben.”

Bis heute wurde nicht öffentlich bekannt, ob das Zentrum auf Druck von oben schließen musste. Mitglieder des Zentrums berichteten der Deutschen Welle jedoch, dass sie häufig von der Polizei verhört und schikaniert worden waren.

Die Regierung ist tendenziell gegen LGBT-Rechte

Wer sich jetzt noch engagiert, lebt gefährlich. “Es ist sehr riskant, heute in China Veranstaltungen wie eine Pride Parade abzuhalten. Die Regierung könnte so etwas schnell als politischen Protest einstufen, was Freiheitsstrafen für die Organisatoren nach sich ziehen kann”, erklärt Monika Ke im Gespräch mit Table.Media (Name geändert).

Die Journalistin und trans* Frau hat sich besonders mit der Repräsentation von LGBTQ in chinesischen Sozialmedien befasst. “Einerseits haben Personen abseits heteronormativer Rollenbilder dort mehr Sichtbarkeit denn je. Andererseits werden klassische Rollenbilder und Familienwerte verherrlicht.” Ke sieht durchaus eine unrühmliche Rolle der Regierung. “Konservative Anti-LGBTQ-Aktivisten kontrollieren diese Narrative genau.”

Diskriminierung am Arbeitsplatz

Homosexualität wurde in der Volksrepublik 1997 offiziell entkriminalisiert. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft aber nach wie vor verboten, sexuelle Orientierungen jenseits des Mainstreams im Alltag oft mit Tabus belegt. Auch am Arbeitsplatz ist Diskriminierung keine Seltenheit, wie Ke berichtet. “Das offizielle Framing lautet, dass es in China keine Verfolgung und Unterdrückung von LBGTQ-Personen gibt, dass sie laut der Verfassung Menschen wie alle anderen seien, und demzufolge ein Gesetz, das ihre Diskriminierung ahndet, nicht nötig sei. Aber so einfach ist es natürlich nicht.”

Ke spricht aus Erfahrung. Auch sie erlebte Diskriminierung am Arbeitsplatz und wurde schlussendlich aus der Firma gedrängt, ohne sich wirklich dagegen wehren zu können.

Die Partei will mehr traditionelle Ehen

Ein Grund, warum der Staat zuletzt stärker gegen LGBTQ-Gruppen vorging, dürfte auch mit der Überalterung der chinesischen Gesellschaft zu tun haben, der die Regierung entgegenzuwirken versucht, indem sie klassische Familien- und Geschlechterrollen propagiert. Der Diskurs in den USA und Europa wird dabei auch von den chinesischen Staatsmedien genutzt, um die Diskussion in China in bestimmte Richtungen zu lenken, glaubt Ke. “Die Frage mit den öffentlichen Toiletten wird auch in China heiß diskutiert oder J.K. Rowling zu einer Art Anti-Transgender-Ikone hochstilisiert, die Opfer einer Hexenjagd wurde.”

Gleichzeitig würden viele Konservative versuchen, LGBTQ-Themen als Verschwörung ausländischer Kräfte oder Auswüchse des Kapitalismus darzustellen, die Chinas nationale Interessen angreifen. Dabei sei die chinesische Öffentlichkeit insgesamt toleranter geworden, sagt Ke. Viele jungen Menschen sehen sich als Allies – Verbündete – der Community.

Im Jahr 2018 wurde ein Versuch, LGBTQ-Inhalte auf Weibo zu verbieten, durch einen kollektiven Online-Aufschrei gestoppt. “Gleichzeitig sind die Hasskommentare heftiger denn je”, sagt Ke. “Die Gesellschaft scheint in Bezug auf LGBTQ-Themen zunehmend polarisiert zu sein, und natürlich gewinnen die Konservativen in den chinesischen sozialen Medien mehr Macht als die Progressiven. Das wird sich in naher Zukunft nicht ändern.”

  • Gesellschaft
  • LGBTQ
  • Menschenrechte
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News

Tendenziell positives Fazit nach Yellen-Besuch

US-Finanzministerin Janet Yellen zog nach ihrem viertägigen China-Besuch ein wohlwollendes Fazit. Der Besuch habe dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen den USA und China auf eine “sichere Grundlage” zu stellen, sagte die 76-Jährige am Sonntag vor ihrer Abreise aus Peking. Dort hatte sie sich unter anderem mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang und dem Finanzminister der Volksrepublik, He Lifeng, für Gespräche getroffen. Diese seien “direkt, substanziell und produktiv” gewesen, sagte Yellen.

Wie erwartet, wurden während der Gespräche keine konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Beziehungen beschlossen. Yellen erklärte, dass zwischen den beiden Regierungen weiterhin “erhebliche Meinungsverschiedenheiten” bestehen. “Kein Besuch wird unsere Herausforderungen über Nacht lösen.” Beide Länder müssten einen Weg finden, “gemeinsam zu leben und den globalen Wohlstand zu teilen”. Deshalb sei es für die USA äußerst wichtig, einen “belastbaren und produktiven Kommunikationskanal” mit China aufzubauen, vor allem auch in Wirtschaftsfragen.

Auch das Fazit der chinesischen Seite fiel weitgehend positiv aus. Finanzminister He Lifeng sprach von einem konstruktiven, intensiven und offenen Austausch. China wolle eine “Stärkung der Kommunikation” zwischen den beiden Ländern. Probleme bestünden jedoch weiterhin, etwa die von den USA verhängten Sanktionen, die Chinas Zugriff auf Halbleiter und andere Technologien einschränken. Yellen betonte am Sonntag erneut, dass die US-Sanktionen ausschließlich der nationalen Sicherheit dienten. Die USA nutzten diese Maßnahmen nicht nutzen, wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. fpe

  • Geopolitik
  • USA

Deutscher zum Spitzeln gezwungen

Die Rechercheorganisation Correctiv berichtet über den Fall eines chinesischstämmigen Deutschen, den die Behörden in China zur Preisgabe der Namen von Regierungskritikern zwingen wollten. Die chinesische Geheimpolizei hat den Mann bei der Einreise nach China am Flughafen festgenommen. Die Beamten zwangen ihn demnach zu dem Geständnis, in Deutschland an Aktivitäten gegen China teilgenommen zu haben.

Der Fall zeigt, wie schwer es für ausgewanderte Chinesen zuweilen ist, sich dem Griff des Regimes zu entziehen. Das gilt insbesondere, wenn sie sich für Demokratie engagieren oder kritisch äußern.

Der Zugriff durch chinesische Sicherheitsleute konnte nur erfolgen, weil der Deutschchinese zu einem Pflichtbesuch in China zurückreisen musste, um nach Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft seinen chinesischen Pass aufzugeben. Dieser vorgeschriebene Schritt stellt dem Correctiv-Bericht zufolge ein erhebliches Risiko beim Wechsel der Staatsbürgerschaft dar. fin

Frankreich fordert eigene Gallium-Quellen für EU

Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire kündigte am Sonntag an, er werde die EU-Kommission auffordern, Germanium und Gallium in den Katalog der kritischen Rohstoffe aufzunehmen, mit denen sich die EU selbst versorgen sollte. “Ziehen wir es vor, diese Produkte aus China zu importieren, wo sie unter schlechten ökologischen Bedingungen hergestellt werden, oder im eigenen Land mit besseren ökologischen Standards?”, sagte Le Maire dem Fernsehsender LCI.

Westliche Autohersteller und Maschinenbauer bereiten sich mittlerweile auf chinesische Exportbeschränkungen für Rohstoffe vor, die für die Elektromobilität und Digitalisierung wichtig sind. Volkswagen hob jüngst die Bedeutung kritischer Rohstoffe für die Automobilproduktion hervor, für die die chinesische Regierung ab August Exportkontrollen einführen will. So seien Gallium und Germanium wichtige Ressourcen etwa für Leuchtdioden oder Hochfrequenzanwendungen und spielten eine Rolle bei künftigen autonomen Fahrfunktionen. rtr

  • Frankreich
  • Handel
  • kritische Rohstoffe
  • Umwelt

Alibaba stellt eigenen KI-Bildgenerator vor

Das chinesische Tech-Unternehmen Alibaba hat einen Bildgenerator auf Basis künstlicher Intelligenz entwickelt, der mit den etablierten US-Anbietern DALL-E von OpenAI und Midjourney Inc. konkurrieren soll. Zunächst werde das Programm in einer Beta-Version für Unternehmenskunden zur Verfügung stehen, erklärte die Alibaba Group am Freitag bei der Vorstellung auf der World Artificial Intelligence Conference in Shanghai. Die Software soll “Tongyi Wanxiang” heißen. Der Name lässt sich übersetzen mit “Wahrheit aus zehntausenden von Bildern”.

Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass generative KI der Weltwirtschaft jedes Jahr einen Wert von 7,3 Billionen Dollar bringen könnte. Nach dem Erfolg des Chatbots und des Bildgenerators von OpenAI bemühen sich daher mehrere große chinesische Technologieunternehmen intensiv um die Einführung von KI-Produkten und -Dienstleistungen. Und das, obwohl generative KI-Dienste in China noch gar keine behördliche Genehmigung für eine breite Verbreitung erhalten haben. So haben Baidu und Sensetime kürzlich ebenfalls KI-Bildgeneratoren vorgestellt. rtr

  • Künstliche Intelligenz
  • Technologie

Presseschau

Yellen nennt Welt groß genug für USA und China ZEIT
Trade war would be “disastrous for both of us”, US tells China TELEGRAPH
China and Russia looking to expand Shanghai Cooperation Organisation as alternative to Western order, analysts say SCMP
Australiens Premier Albanese in Berlin: Ein Partner gegen die Abhängigkeit von China TAGESSPIEGEL
Jagd auf Kritiker: Chinas illegale Polizeistationen im Ausland ZDF
Expert weighs in – China view on SCO summit: Iran welcome, need to “save” group from India INDIANEXPRESS
“Ukrainian strategy has become a model”: Taiwanese beef up military to face China threat THEGUARDIAN
China ramps up naval base works to accommodate rapidly growing fleet SCMP
China plans massive listening programme at the North Pole after declaring success in Arctic test of underwater device SCMP
Wegen Plänen für AKW-Abwasser: China will Lebensmittelimporte aus Japan verbieten N-TV
Ron DeSantis says he will try to revoke China’s trade status if elected president THEGUARDIAN
Sächsischer Staatsminister Schmidt besucht China L-IZ
Verzicht auf Handel mit China – für deutsche Wirtschaft keine Option PROSIEBEN
Hilfe von außen: Audi sucht Plattform-Partner in China AUTOMOBILWOCHE
Wie die Chinesen den deutschen Automarkt knacken wollen FAZ
China verdonnert Alibaba-Finanztochter Ant zu Milliardenstrafe HANDELSBLATT
Chinesische Regierung will private Investmentfonds stärker regulieren HANDELSBLATT
Toter nach Erdrutsch in China HANDELSBLATT
China zeigt an einer “Weltkonferenz” seine Vorstellungen von künstlicher Intelligenz. Doch die Welt ist kaum zu sehen NZZ
KI in China: Nur im Sinne von Xi Jinping? ZDF
Chinese universities vow to target fake graduate job data as employment outlook worsens SCMP
Als “Neutrale” bei Asienspielen: 500 Russen und Belarussen dürfen in China starten N-TV
The climate of Mars changed dramatically 400,000 years ago, Chinese rover finds SPACE
Dating-Trend: Frauen verkleiden sich als männliche Videospielhelden – und gehen mit anderen Frauen aus STERN

Heads

Carina Rother – Die kuriosen Feinheiten Taiwans

Carina Rother ist freie Journalistin und Autorin in Taiwan.

Nicht die tagesaktuellen oder hochbrisanten, sondern die verborgenen Geschichten Taiwans interessieren Carina Rother am meisten. Denn die erzählen oft mehr über das Land, in dem die freie Journalistin seit sieben Jahren lebt. Nach ihrem Sinologie-Studium in Göttingen und London wollte sie 2016 in Taiwan ihre Sprachkenntnisse vertiefen. Sie flog hin und ist seitdem geblieben.

“Es ist sehr leicht, sich für Taiwan zu begeistern”, sagt sie. “Natürlich gibt es diesen David-gegen-Goliath-Status, der Sympathien weckt, aber für mich sind es vor allem die Menschen.” Rother beschreibt die Taiwaner als warmherzig und offen, es sei einfach, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen. Ganz anders als sie es während ihres Studienjahres in China erlebte, das ihr immer ein wenig fremd blieb.  

Journalistische Ausbildung in Taiwan

Der öffentlich-rechtliche Sender Radio Taiwan International ist ein kleiner Fremdsprachensender mit überwiegend regionalem Programm. Dort begann Rothers Einstieg in den Journalismus. Drei Jahre lernte sie die Medienarbeit der alten Schule, bevor sie sich 2021 selbstständig machte. Ihre Auftraggeber sind in erster Linie deutsche Medien, unter anderem die Deutschlandfunk-Redaktion, die sich während der Corona-Pandemie dafür interessierte, warum Taiwan so gut durch die Krise kommt. Heute ist Corona in den Hintergrund gerückt und Rother hat mehr Zeit für die kleineren Themen, die ihr umso lieber sind.

Für eine deutsche Radiosendung recherchierte sie kürzlich über den taiwanischen Brauch des Namens-Orakels. Wenn in Taiwan ein Kind geboren wird, gehen viele Eltern mit den Zahlen der Geburt (Minute, Stunde, Tag und Jahr) zu einem Numerologen. Dieser entwirft anhand der Zahlen, dem Tierkreiszeichen und Geburtselement ein Lebensorakel für den Nachwuchs. Auf dieser Grundlage wählen der Astrologe und die Eltern einen Namen für das Kind aus. Der Name soll in Harmonie zum Schicksal des Kindes stehen und ein glückbringendes Leben herbeiführen.

Tatsächlich ist es in Taiwan auch üblich, den eigenen Namen zu wechseln, wenn man später zu anderen Schlüssen kommt. Viele Menschen wechseln ihren Namen sogar mehrfach. “Es sind diese Kuriositäten und Feinheiten der Kultur, die mir hier im Alltag immer wieder Rätsel aufgeben”, sagt Rother. “Und ich habe große Freude daran, sie mir selbst und schließlich auch dem deutschen Publikum zu erklären.”  

Mit dem Moped über die Insel 

Was Rother dabei auch antreibt, ist die Auseinandersetzung mit dem taiwanischen Denken und den dortigen Grundannahmen. “Taiwan ist ein unglaublich wichtiger Faktor in der gegenwärtigen Weltpolitik, in den Diskursen um nationale Sicherheit.” In Deutschland verstehe die Öffentlichkeit das Land noch viel zu wenig, sagt sie – und möchte das ändern.

In den vergangenen Jahren hat Rother fast jeden Winkel der Insel bereist, sie fährt mit den Zügen an zufällige Orte, mietet sich eines der günstigen Mopeds, die man überall in Taiwan bekommt und mit denen sie auch die entlegensten Plätze erreicht. Hier kommt sie der Seele des Landes näher, die sie in ihren Texten festhält und in ihrem Buch “Taiwan: Insel der Vielfalt”, das in diesem Jahr erschienen ist.  

Jetzt allerdings stehen die ausgiebigen Entdeckungstouren erst einmal hinten an; Rother ist vor kurzem Mutter geworden. Ob die Familie in Taiwan bleibt? Ein schnelles “Ja” ist ihre Antwort. “Ich finde es schön, wenn meine Tochter die ersten Lebensjahre hier verbringt, weil Taiwan auch Teil meiner Identität ist, die ich mit ihr teilen möchte.” Svenja Napp

  • Gesellschaft
  • Taiwan

Personalien

Ryan Hass wird neuer Direktor des John L. Thornton China Center der US-Denkfabrik Brookings Institution. Hass folgt auf Cheng Li, der seine 17-jährige Tätigkeit bei Brookings als Non-Resident Senior Fellow fortsetzen wird. Das China Center wurde 2006 gegründet, um Analysen und politische Empfehlungen für die US-Außenpolitik in Bezug auf China zu entwickeln.

Marc Matern ist seit Juli Mitglied des Verwaltungsrats bei Expotechnik China. Das Frankfurter Unternehmen entwickelt Architektur- und Kommunikationskonzepte für Markeninszenierungen und ist seit 2003 mit einem Büro in Shanghai in China präsent.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

  • Brookings

Dessert

Die Hitzewelle in China zwingt zu drastischen Maßnahmen. Um sich vor den aggressiven UV-Strahlen zu schützen, wagt sich diese Frau nur mit Gesichtsmaske und Handschuhen in den Pekinger Stadtverkehr. In den vergangenen zwei Wochen überstieg das Thermometer hier mehrmals die 40-Grad-Marke. Meteorologen sprechen schon jetzt vom heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Hans-Peter Friedrich von der CSU war Innenminister und Vizepräsident des Bundestags, doch zuletzt war er vor allem für sein Engagement bei der China-Brücke bekannt. Dieser Verein setzt sich für gute Kontakte zur Volksrepublik ein. Ein lobenswerter Ansatz, sagen die einen. Andere sehen darin ein Vehikel der Einflussnahme Pekings.

    Im Interview mit Michael Radunski und Felix Lee erklärt Friedrich seine Haltung zu China und den Grund für sein Engagement in der China-Brücke. Er erkennt an, dass die chinesische Bevölkerung enger und enger kontrolliert wird. Dennoch hält er China als Wirtschaftspartner für unverzichtbar. Und: Friedrich nimmt Stellung zu seiner Aussage, China sei “keine Diktatur” – und revidiert sie zum Teil.

    Der schwindende Spielraum in der Gesellschaft zeigt sich auch an der Situation der Gruppe, in der es in unserem zweiten Text geht. Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle und andere Menschen, die geschlechtlich nicht der vermeintlichen Norm entsprechen, also LGBTQ+, erfahren in China immer weniger Freiheit. Die Behörden schließen ihre Institutionen und zensieren Inhalte mit ihren Themen, schreibt Fabian Peltsch.

    Im Jahrzehnt vor der Ära Xi hat die Partei zwar ebenfalls politische Ruhe eingefordert, dafür aber Freiheit der Lebensführung gewährt. Die KP unter Xi redet wieder mehr ins Private hinein. Auf staatliche Unterstützung für Menschen, die anders sind als sein persönliches Bild vom idealen Chinesen, ist nicht mehr zu hoffen.

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Analyse

    “China und Deutschland sind optimale Partner”

    Hans-Peter Friedrich, ehemaliger Bundesinnenminister und Vorsitzender der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe, im Gespräch mit Michael Radunski und Felix Lee.

    Sie kommen gerade zurück aus China. Was haben Sie dort gemacht?

    Ich bin als Mitglied des Ausschusses für Klimaschutz- und Energie zu Gesprächen mit Vertretern Nationalen Volkskongresses nach China gereist. Es ging also vor allem um europäische Klimapolitik.

    In so angespannten Zeiten haben Sie nicht über Außenpolitik gesprochen?

    Ich bin kein Außenpolitiker und maße mir nicht an, über diese hochkomplexen außenpolitischen Themen im Ausland zu diskutieren. Ich bin Wirtschaftspolitiker, vor allem Mittelstandspolitiker, mit großer Leidenschaft. In diesem Zusammenhang ist für mich auch die Energiepolitik von großer Wichtigkeit.

    Na gut. Welche Eindrücke haben Sie in China gewonnen?

    Die Folgen der Null-Covid-Politik, vor allem die wirtschaftlichen, sind massiv. Uns betrifft das auch, denn die chinesischen Wachstumszahlen haben unmittelbare Auswirkungen auch auf uns. 

    Und gesellschaftlich?

    Die Kontrolle in China hat in den vergangenen Jahren erkennbar zugenommen. Das war tatsächlich sehr befremdlich für mich. Die Führung in Peking hat die Pandemie genutzt, alles durchzudigitalisieren, und damit alle Kontrollmöglichkeiten zu intensivieren. Was mir auch aufgefallen ist: Nach meinem Gefühl gibt es eine Verdoppelung der chinesischen Fahnen, die überall hängen. Das zeigt, in welche Richtung es in China geht. Die Spielräume werden kleiner – und zwar für alle, für Aus- wie Inländer. 

    Wie sollten wir darauf reagieren?

    Nicht so, wie wir es tun, nicht mit eigenen Restriktionen oder Investitionskontrollen. Faktisch findet derzeit ein Decoupling statt, egal wie die deutsche Regierung das nennen mag. Etliche Vereinbarungen wie zur Industrie 4.0. laufen aus, Staatsbürgschaften werden gedeckelt, die Messeförderung für mittelständische Unternehmen wird reduziert. Das sind große Fehler. 

    Also was sollte die deutsche Regierung tun?

    Ich erwarte, dass sie unsere Interessen – Zugang der deutschen Unternehmen zu den Märkten, deren Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen sowie Freiraum für wirtschaftliche Betätigungen – offensiv in Peking vertritt und sich nicht verkriecht nach dem Motto: Ihr macht dicht, dann machen wir auch dicht. 

    Erkennen Sie denn bei den Chinesen ein Interesse an Gesprächen?

    Ja. Die Regierung in Peking hat großes Interesse an guten Beziehungen zu Deutschland – und wir, unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen, haben daran ebenfalls Interesse. In einer solchen Situation muss man miteinander reden und verhandeln. Aus meiner Sicht sind China und Deutschland optimale Partner.

    Ein autoritäres China und das demokratische Deutschland?

    Ihre Frage zeigt das aktuelle Problem: Überall haben Sicherheitspolitiker das Sagen. Es geht um innere und äußere Sicherheit, um Abschottung, Misstrauen und Konflikt. Für einen Sicherheitspolitiker wäre es einfacher, wenn es China gar nicht gäbe. Aber für einen Wirtschaftspolitiker wäre es ein Problem, weil ein großer Teil unseres Wohlstandes mit China zusammenhängt. Die Stimme der Wirtschaftspolitiker hat seit vielen Jahren in der Außenwirtschaftspolitik an Gewicht verloren. Das muss sich wieder ändern. Ich schaue aus der Perspektive eines Wirtschaftspolitikers auf die Dinge, denn das ist die Grundlage unseres Wohlstands. Und ja, hier sind China und Deutschland optimale Partner. Sehen Sie denn nicht die Chance?

    Welche? 

    Die Kombination aus der Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der Skalierung des chinesischen Marktes von 1,4 Milliarden Menschen. Das ist eine optimale Möglichkeit, Innovationen marktfähig zu machen.

    Das erhöht doch die Gefahr eines unfreiwilligen Techniktransfers.

    Nein. Blicken wir in die Zukunft am Beispiel Energiewende: In China können sie zehn Technologien nebeneinander haben. Der Markt reicht immer aus, um alle zehn irgendwie marktfähig zu machen. Mit China zusammen können wir die Energiewende schaffen. Ungefähr ein Viertel des Wissens der Welt befindet sich dort. Bei dieser Menschheitsaufgabe können wir nicht einfach auf dieses Wissen verzichten.

    Dann erfinden und bauen die Chinesen alles allein. 

    Die Chinesen sind in puncto autonomes Fahren und Batterie-Forschung heute Technologieführer. Das stimmt. Aber dass die Restriktionen in China zunehmen, lässt die Innovationsfähigkeit dort leiden. Wenn wir dann unsere Innovationsfähigkeit kombinieren mit der Skalierung der chinesischen Wirtschaft, dann haben wir alle Möglichkeiten. Wir sollten chinesische Wertschöpfung in Deutschland verpflichten, wie umgekehrt deutsche Unternehmen in China dort zu Wertschöpfung angehalten sind. 

    Und die Menschenrechte lassen wir einfach weg?

    Also zum Thema Menschenrechte: Wenn man für die Menschen wirklich was erreichen will, egal wo, egal in welchem Land, dann muss man das in Einzelfällen sehr gezielt tun. Die Vorstellung, dass wir aus Deutschland heraus die Chinesen zu irgendetwas zwingen können, halte ich für abenteuerlich. Wenn uns Fälle bekannt werden und wir den Menschen wirklich helfen wollen, müssen wir konkret an diesen Fällen arbeiten.

    Schwierig bei einer Million inhaftierten Uiguren. 

    Auch dazu braucht man gute Verbindungen. Da hilft kein Decoupling und Abschottung. Man muss miteinander reden können, man muss verhandeln können. Das ist das Entscheidende. 

    Allerdings befindet sich Deutschland nicht im luftleeren Raum. Die USA drängen auf eine harte Haltung gegenüber China.

    Die Amerikaner sind sehr hart in ihren verbalen Beschreibungen der politischen Beziehungen, aber faktisch nimmt das Geschäftsvolumen zwischen China und Amerika permanent zu. Während die Politiker sich oben für die Galerie zoffen, wird abseits der Kameras Big Business gemacht. Das muss man wissen, wenn man als europäischer Politiker Verantwortung hat für die Zukunft des eigenen Landes. Es ist Zeit, dass wir unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen definieren. 

    Sie meinen, Deutschland hat sich vor den amerikanischen Karren spannen lassen? 

    Ich sage, wir müssen selbst wissen, was wir wollen. Und wenn wir nicht erkennen, wie wichtig offene Märkte für die deutsche und europäische Wirtschaft sind, dann ist das ein schlimmer Fehler. Da können die Amerikaner nichts dafür. 

    Also alles öffnen? Oder um eine aktuelle Debatte aufzugreifen: Cosco gleich den ganzen Hamburger Hafen verkaufen?

    Eine völlig irrationale Diskussion. Erstens scheint es so zu sein, dass nicht Cosco zuerst die Idee hatte, dort einzusteigen, sondern der Hamburger Hafen auf Cosco zugegangen ist, weil sie Angst hatten, dass sie abgehängt werden im Verhältnis zu anderen europäischen Häfen. Zweitens sollte man den Hamburger Hafen als eine Infrastruktur sehen, wo alle Menschen, die Handel treiben wollen, egal aus welchen Ländern sie kommen, freie Zugangsmöglichkeiten haben. Nun geht es um 25 Prozent am Betrieb eines einzigen Terminals. Ich sehe darin kein Problem. Im Gegenteil. Wir sehen, dass die chinesischen Investitionen in Deutschland zurückgehen. Die Chinesen sehen unsere aufgeregten Diskussionen und sagen: Na gut, dann investieren wir unser Geld eben in andere europäische Länder.

    Als Ausweg haben Sie die China-Brücke gegründet?

    Die China-Brücke geht zurück auf meine Gespräche 2019 mit deutschen Unternehmen in Shanghai. Viele Mittelständler sagten mir, die deutsche Politik kümmere sich zu wenig um ihre Anliegen. Deshalb wollte ich unterhalb der großen Politik, losgelöst von außenpolitischen Konflikten, eine neue Plattform für neue Gesprächskanäle schaffen. Wegen Corona wurde es schwierig. Aber ich freue mich zu sehen, dass die China-Brücke jetzt wieder Fahrt aufnimmt. 

    Das Problem ist, dass China sich seither dramatisch verändert hat. 

    Das stimmt, aber lassen wir das Politische mal beiseite. Die Corona-Pandemie und die gestörten Lieferketten waren ja keine politischen Entscheidungen. Aber sie haben uns gezeigt, dass wir eine Strategie der Risikostreuung brauchen. Nur: Das sollte sich nicht gegen ein einzelnes Land richten, nicht gegen China, nicht gegen Kanada, nicht gegen die USA. Jeder Mittelständler überlegt, ob er zu sehr von einem Kunden abhängig ist. Aber das hat nichts mit China und seinem System zu tun. Das ist einfach eine Frage der ökonomischen Vernunft.

    Stichwort Chinas System. Sie sollen gesagt haben, China sei keine Diktatur. Was ist es denn?

    Zunächst muss ich sagen: Ich finde es einfach unglaublich, dass aus einem Gespräch, das ich mit einer Journalistin hatte, einzelne Sätze ohne Absprache und aus dem Zusammenhang gerissen veröffentlicht werden. Und zu ihrer Frage: Natürlich ist China keine Demokratie. Es ist ein autoritäres System und die totalitären Züge nehmen deutlich zu.

    Also keine Diktatur? 

    Was heißt Diktatur? Nach unserer Definition ist es eine Diktatur. Aber man muss sehen, dass es in China auch eine Vielzahl an Rückkopplungen gibt. China ist ein Riesenreich mit vielen auch regionalen Akteuren, bei denen es durchaus unterschiedliche Ansätze und Vorstellungen gibt. Nur das habe ich versucht auszudrücken.

    Andere Medien beschreiben Sie als “Pekings Mann im Bundestag”, vor dem Hintergrund, dass Peking versucht, auf einflussreiche Politiker im Ausland Einfluss zu nehmen und so die Wahrnehmung zu ihren Gunsten zu verändern. 

    Ich halte das für Verleumdung. Ich kann doch nicht jeden chinesischen Menschen, der freundlich zu mir ist, unterstellen, dass er mich manipulieren will. Ich sage ganz offen, dass ich immer ein sehr positives Verhältnis zur chinesischen Kultur, zu den Menschen und dem Land gehabt habe, seit ich vor 20 Jahren zum ersten Mal in China war. Als Wirtschaftspolitiker bin ich zudem von Chinas Weg in die Marktwirtschaft fasziniert. Und ich sehe jetzt mit einiger Skepsis, dass Xi Jinping versucht, die marktwirtschaftlichen Prinzipien zurückzudrängen. Das ist nicht zum Wohl der chinesischen Wirtschaft – und schlecht für uns.

    Hans-Peter Friedrich (66), war von 2011 bis 2013 Bundesinnenminister und von 2017 bis 2021 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Seit 1998 sitzt der CSU-Politiker im Bundestag und ist zuständig für Klimaschutz und Energie. 2019 gründete er mit Vertretern aus der Wirtschaft die China-Brücke und war deren Gründungsvorsitzender. Er ist zudem Vorsitzender der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe.

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    Schwierige Zeiten für LGBTQ-Personen

    Ein Bild aus besseren Zeiten: Schwule und Lesben beim Gay Pride in Shanghai 2009.

    Mit der Schließung des Beijing LGBT Center am 15. Mai verschwand der wohl wichtigste und landesweit bekannteste Safe Space für Menschen in China, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich und queer identifizieren. Das 2008 gegründete Zentrum hatte sich für ihre Rechte eingesetzt und Unterstützung angeboten, etwa bei Fragen zur physischen und mentalen Gesundheit, Diskriminierung und Rechten.

    Die Arbeit zivilgesellschaftlicher Gruppen insgesamt, und LGBTQ-freundlicher Organisationen im Besonderen, ist in China in den vergangenen zehn Jahren immer schwieriger geworden. Schon 2021 wurde die Gruppe LGBT Rights Advocacy China aufgelöst, die sich vor Gericht für Homosexuelle eingesetzt hatte. Im selben Jahr wurden fast 20 WeChat-Konten von LGBTQ- und Gender-Studiengruppen geschlossen.

    Feindliches Umfeld für LGBTQ-Organisationen

    Queere Dating-Apps und andere Gruppen in den sozialen Netzwerken verschwanden. Zum Teil wurden sie Opfer des sogenannten “Shadow Banning”, durch das sie von reichweitenstarken Zielgruppen abgeschnitten werden. Formal sanktioniert wird das Vorgehen durch Pekings Kampagne gegen Nichtregierungsorganisationen. Seit Anfang 2017 gilt in der Volksrepublik das NGO-Gesetz, das die Gruppen in ihrer Arbeit stark beschränkt.

    Die Kommunistische Partei duldet immer weniger Organisationen neben sich. Dabei erfüllten die Gruppen in der Wahrnehmung der Betroffenen eine wichtige Funktion. Das Beijing LGBT Center hatte beispielsweise eine Hotline für Selbstmordgefährdete eingerichtet. Daneben hatte sich das Zentrum für eine größere Sichtbarkeit der Community in der chinesischen Gesellschaft stark gemacht. 2016 führte es etwa die größte jemals durchgeführte Umfrage zu Fragen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in China durch. Mehrmals waren chinesische Universitäten an den Forschungen des Zentrums beteiligt.

    Die Unterdrückten verlieren ihr Zuhause

    Als offiziellen Grund für die Schließung des LGBT Center nannten die Verantwortlichen dort “unvorhersehbare Umstände” und “höhere Gewalt”. Ihre Diskretion ist vermutlich staatlichem Druck geschuldet. Der Filmemacher Popo Fan, der das Zentrum mit aufgebaut hat und zeitweilig Vorstandsmitglied war, schreibt auf seiner Facebook-Seite: “Dies ist nicht nur ein großer Verlust für die LGBT-Kultur und die Zivilgesellschaft in China, sondern bedeutet auch, dass viele der Unterdrückten ihr Zuhause verloren haben.”

    Bis heute wurde nicht öffentlich bekannt, ob das Zentrum auf Druck von oben schließen musste. Mitglieder des Zentrums berichteten der Deutschen Welle jedoch, dass sie häufig von der Polizei verhört und schikaniert worden waren.

    Die Regierung ist tendenziell gegen LGBT-Rechte

    Wer sich jetzt noch engagiert, lebt gefährlich. “Es ist sehr riskant, heute in China Veranstaltungen wie eine Pride Parade abzuhalten. Die Regierung könnte so etwas schnell als politischen Protest einstufen, was Freiheitsstrafen für die Organisatoren nach sich ziehen kann”, erklärt Monika Ke im Gespräch mit Table.Media (Name geändert).

    Die Journalistin und trans* Frau hat sich besonders mit der Repräsentation von LGBTQ in chinesischen Sozialmedien befasst. “Einerseits haben Personen abseits heteronormativer Rollenbilder dort mehr Sichtbarkeit denn je. Andererseits werden klassische Rollenbilder und Familienwerte verherrlicht.” Ke sieht durchaus eine unrühmliche Rolle der Regierung. “Konservative Anti-LGBTQ-Aktivisten kontrollieren diese Narrative genau.”

    Diskriminierung am Arbeitsplatz

    Homosexualität wurde in der Volksrepublik 1997 offiziell entkriminalisiert. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft aber nach wie vor verboten, sexuelle Orientierungen jenseits des Mainstreams im Alltag oft mit Tabus belegt. Auch am Arbeitsplatz ist Diskriminierung keine Seltenheit, wie Ke berichtet. “Das offizielle Framing lautet, dass es in China keine Verfolgung und Unterdrückung von LBGTQ-Personen gibt, dass sie laut der Verfassung Menschen wie alle anderen seien, und demzufolge ein Gesetz, das ihre Diskriminierung ahndet, nicht nötig sei. Aber so einfach ist es natürlich nicht.”

    Ke spricht aus Erfahrung. Auch sie erlebte Diskriminierung am Arbeitsplatz und wurde schlussendlich aus der Firma gedrängt, ohne sich wirklich dagegen wehren zu können.

    Die Partei will mehr traditionelle Ehen

    Ein Grund, warum der Staat zuletzt stärker gegen LGBTQ-Gruppen vorging, dürfte auch mit der Überalterung der chinesischen Gesellschaft zu tun haben, der die Regierung entgegenzuwirken versucht, indem sie klassische Familien- und Geschlechterrollen propagiert. Der Diskurs in den USA und Europa wird dabei auch von den chinesischen Staatsmedien genutzt, um die Diskussion in China in bestimmte Richtungen zu lenken, glaubt Ke. “Die Frage mit den öffentlichen Toiletten wird auch in China heiß diskutiert oder J.K. Rowling zu einer Art Anti-Transgender-Ikone hochstilisiert, die Opfer einer Hexenjagd wurde.”

    Gleichzeitig würden viele Konservative versuchen, LGBTQ-Themen als Verschwörung ausländischer Kräfte oder Auswüchse des Kapitalismus darzustellen, die Chinas nationale Interessen angreifen. Dabei sei die chinesische Öffentlichkeit insgesamt toleranter geworden, sagt Ke. Viele jungen Menschen sehen sich als Allies – Verbündete – der Community.

    Im Jahr 2018 wurde ein Versuch, LGBTQ-Inhalte auf Weibo zu verbieten, durch einen kollektiven Online-Aufschrei gestoppt. “Gleichzeitig sind die Hasskommentare heftiger denn je”, sagt Ke. “Die Gesellschaft scheint in Bezug auf LGBTQ-Themen zunehmend polarisiert zu sein, und natürlich gewinnen die Konservativen in den chinesischen sozialen Medien mehr Macht als die Progressiven. Das wird sich in naher Zukunft nicht ändern.”

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    Tendenziell positives Fazit nach Yellen-Besuch

    US-Finanzministerin Janet Yellen zog nach ihrem viertägigen China-Besuch ein wohlwollendes Fazit. Der Besuch habe dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen den USA und China auf eine “sichere Grundlage” zu stellen, sagte die 76-Jährige am Sonntag vor ihrer Abreise aus Peking. Dort hatte sie sich unter anderem mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang und dem Finanzminister der Volksrepublik, He Lifeng, für Gespräche getroffen. Diese seien “direkt, substanziell und produktiv” gewesen, sagte Yellen.

    Wie erwartet, wurden während der Gespräche keine konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Beziehungen beschlossen. Yellen erklärte, dass zwischen den beiden Regierungen weiterhin “erhebliche Meinungsverschiedenheiten” bestehen. “Kein Besuch wird unsere Herausforderungen über Nacht lösen.” Beide Länder müssten einen Weg finden, “gemeinsam zu leben und den globalen Wohlstand zu teilen”. Deshalb sei es für die USA äußerst wichtig, einen “belastbaren und produktiven Kommunikationskanal” mit China aufzubauen, vor allem auch in Wirtschaftsfragen.

    Auch das Fazit der chinesischen Seite fiel weitgehend positiv aus. Finanzminister He Lifeng sprach von einem konstruktiven, intensiven und offenen Austausch. China wolle eine “Stärkung der Kommunikation” zwischen den beiden Ländern. Probleme bestünden jedoch weiterhin, etwa die von den USA verhängten Sanktionen, die Chinas Zugriff auf Halbleiter und andere Technologien einschränken. Yellen betonte am Sonntag erneut, dass die US-Sanktionen ausschließlich der nationalen Sicherheit dienten. Die USA nutzten diese Maßnahmen nicht nutzen, wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. fpe

    • Geopolitik
    • USA

    Deutscher zum Spitzeln gezwungen

    Die Rechercheorganisation Correctiv berichtet über den Fall eines chinesischstämmigen Deutschen, den die Behörden in China zur Preisgabe der Namen von Regierungskritikern zwingen wollten. Die chinesische Geheimpolizei hat den Mann bei der Einreise nach China am Flughafen festgenommen. Die Beamten zwangen ihn demnach zu dem Geständnis, in Deutschland an Aktivitäten gegen China teilgenommen zu haben.

    Der Fall zeigt, wie schwer es für ausgewanderte Chinesen zuweilen ist, sich dem Griff des Regimes zu entziehen. Das gilt insbesondere, wenn sie sich für Demokratie engagieren oder kritisch äußern.

    Der Zugriff durch chinesische Sicherheitsleute konnte nur erfolgen, weil der Deutschchinese zu einem Pflichtbesuch in China zurückreisen musste, um nach Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft seinen chinesischen Pass aufzugeben. Dieser vorgeschriebene Schritt stellt dem Correctiv-Bericht zufolge ein erhebliches Risiko beim Wechsel der Staatsbürgerschaft dar. fin

    Frankreich fordert eigene Gallium-Quellen für EU

    Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire kündigte am Sonntag an, er werde die EU-Kommission auffordern, Germanium und Gallium in den Katalog der kritischen Rohstoffe aufzunehmen, mit denen sich die EU selbst versorgen sollte. “Ziehen wir es vor, diese Produkte aus China zu importieren, wo sie unter schlechten ökologischen Bedingungen hergestellt werden, oder im eigenen Land mit besseren ökologischen Standards?”, sagte Le Maire dem Fernsehsender LCI.

    Westliche Autohersteller und Maschinenbauer bereiten sich mittlerweile auf chinesische Exportbeschränkungen für Rohstoffe vor, die für die Elektromobilität und Digitalisierung wichtig sind. Volkswagen hob jüngst die Bedeutung kritischer Rohstoffe für die Automobilproduktion hervor, für die die chinesische Regierung ab August Exportkontrollen einführen will. So seien Gallium und Germanium wichtige Ressourcen etwa für Leuchtdioden oder Hochfrequenzanwendungen und spielten eine Rolle bei künftigen autonomen Fahrfunktionen. rtr

    • Frankreich
    • Handel
    • kritische Rohstoffe
    • Umwelt

    Alibaba stellt eigenen KI-Bildgenerator vor

    Das chinesische Tech-Unternehmen Alibaba hat einen Bildgenerator auf Basis künstlicher Intelligenz entwickelt, der mit den etablierten US-Anbietern DALL-E von OpenAI und Midjourney Inc. konkurrieren soll. Zunächst werde das Programm in einer Beta-Version für Unternehmenskunden zur Verfügung stehen, erklärte die Alibaba Group am Freitag bei der Vorstellung auf der World Artificial Intelligence Conference in Shanghai. Die Software soll “Tongyi Wanxiang” heißen. Der Name lässt sich übersetzen mit “Wahrheit aus zehntausenden von Bildern”.

    Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass generative KI der Weltwirtschaft jedes Jahr einen Wert von 7,3 Billionen Dollar bringen könnte. Nach dem Erfolg des Chatbots und des Bildgenerators von OpenAI bemühen sich daher mehrere große chinesische Technologieunternehmen intensiv um die Einführung von KI-Produkten und -Dienstleistungen. Und das, obwohl generative KI-Dienste in China noch gar keine behördliche Genehmigung für eine breite Verbreitung erhalten haben. So haben Baidu und Sensetime kürzlich ebenfalls KI-Bildgeneratoren vorgestellt. rtr

    • Künstliche Intelligenz
    • Technologie

    Presseschau

    Yellen nennt Welt groß genug für USA und China ZEIT
    Trade war would be “disastrous for both of us”, US tells China TELEGRAPH
    China and Russia looking to expand Shanghai Cooperation Organisation as alternative to Western order, analysts say SCMP
    Australiens Premier Albanese in Berlin: Ein Partner gegen die Abhängigkeit von China TAGESSPIEGEL
    Jagd auf Kritiker: Chinas illegale Polizeistationen im Ausland ZDF
    Expert weighs in – China view on SCO summit: Iran welcome, need to “save” group from India INDIANEXPRESS
    “Ukrainian strategy has become a model”: Taiwanese beef up military to face China threat THEGUARDIAN
    China ramps up naval base works to accommodate rapidly growing fleet SCMP
    China plans massive listening programme at the North Pole after declaring success in Arctic test of underwater device SCMP
    Wegen Plänen für AKW-Abwasser: China will Lebensmittelimporte aus Japan verbieten N-TV
    Ron DeSantis says he will try to revoke China’s trade status if elected president THEGUARDIAN
    Sächsischer Staatsminister Schmidt besucht China L-IZ
    Verzicht auf Handel mit China – für deutsche Wirtschaft keine Option PROSIEBEN
    Hilfe von außen: Audi sucht Plattform-Partner in China AUTOMOBILWOCHE
    Wie die Chinesen den deutschen Automarkt knacken wollen FAZ
    China verdonnert Alibaba-Finanztochter Ant zu Milliardenstrafe HANDELSBLATT
    Chinesische Regierung will private Investmentfonds stärker regulieren HANDELSBLATT
    Toter nach Erdrutsch in China HANDELSBLATT
    China zeigt an einer “Weltkonferenz” seine Vorstellungen von künstlicher Intelligenz. Doch die Welt ist kaum zu sehen NZZ
    KI in China: Nur im Sinne von Xi Jinping? ZDF
    Chinese universities vow to target fake graduate job data as employment outlook worsens SCMP
    Als “Neutrale” bei Asienspielen: 500 Russen und Belarussen dürfen in China starten N-TV
    The climate of Mars changed dramatically 400,000 years ago, Chinese rover finds SPACE
    Dating-Trend: Frauen verkleiden sich als männliche Videospielhelden – und gehen mit anderen Frauen aus STERN

    Heads

    Carina Rother – Die kuriosen Feinheiten Taiwans

    Carina Rother ist freie Journalistin und Autorin in Taiwan.

    Nicht die tagesaktuellen oder hochbrisanten, sondern die verborgenen Geschichten Taiwans interessieren Carina Rother am meisten. Denn die erzählen oft mehr über das Land, in dem die freie Journalistin seit sieben Jahren lebt. Nach ihrem Sinologie-Studium in Göttingen und London wollte sie 2016 in Taiwan ihre Sprachkenntnisse vertiefen. Sie flog hin und ist seitdem geblieben.

    “Es ist sehr leicht, sich für Taiwan zu begeistern”, sagt sie. “Natürlich gibt es diesen David-gegen-Goliath-Status, der Sympathien weckt, aber für mich sind es vor allem die Menschen.” Rother beschreibt die Taiwaner als warmherzig und offen, es sei einfach, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen. Ganz anders als sie es während ihres Studienjahres in China erlebte, das ihr immer ein wenig fremd blieb.  

    Journalistische Ausbildung in Taiwan

    Der öffentlich-rechtliche Sender Radio Taiwan International ist ein kleiner Fremdsprachensender mit überwiegend regionalem Programm. Dort begann Rothers Einstieg in den Journalismus. Drei Jahre lernte sie die Medienarbeit der alten Schule, bevor sie sich 2021 selbstständig machte. Ihre Auftraggeber sind in erster Linie deutsche Medien, unter anderem die Deutschlandfunk-Redaktion, die sich während der Corona-Pandemie dafür interessierte, warum Taiwan so gut durch die Krise kommt. Heute ist Corona in den Hintergrund gerückt und Rother hat mehr Zeit für die kleineren Themen, die ihr umso lieber sind.

    Für eine deutsche Radiosendung recherchierte sie kürzlich über den taiwanischen Brauch des Namens-Orakels. Wenn in Taiwan ein Kind geboren wird, gehen viele Eltern mit den Zahlen der Geburt (Minute, Stunde, Tag und Jahr) zu einem Numerologen. Dieser entwirft anhand der Zahlen, dem Tierkreiszeichen und Geburtselement ein Lebensorakel für den Nachwuchs. Auf dieser Grundlage wählen der Astrologe und die Eltern einen Namen für das Kind aus. Der Name soll in Harmonie zum Schicksal des Kindes stehen und ein glückbringendes Leben herbeiführen.

    Tatsächlich ist es in Taiwan auch üblich, den eigenen Namen zu wechseln, wenn man später zu anderen Schlüssen kommt. Viele Menschen wechseln ihren Namen sogar mehrfach. “Es sind diese Kuriositäten und Feinheiten der Kultur, die mir hier im Alltag immer wieder Rätsel aufgeben”, sagt Rother. “Und ich habe große Freude daran, sie mir selbst und schließlich auch dem deutschen Publikum zu erklären.”  

    Mit dem Moped über die Insel 

    Was Rother dabei auch antreibt, ist die Auseinandersetzung mit dem taiwanischen Denken und den dortigen Grundannahmen. “Taiwan ist ein unglaublich wichtiger Faktor in der gegenwärtigen Weltpolitik, in den Diskursen um nationale Sicherheit.” In Deutschland verstehe die Öffentlichkeit das Land noch viel zu wenig, sagt sie – und möchte das ändern.

    In den vergangenen Jahren hat Rother fast jeden Winkel der Insel bereist, sie fährt mit den Zügen an zufällige Orte, mietet sich eines der günstigen Mopeds, die man überall in Taiwan bekommt und mit denen sie auch die entlegensten Plätze erreicht. Hier kommt sie der Seele des Landes näher, die sie in ihren Texten festhält und in ihrem Buch “Taiwan: Insel der Vielfalt”, das in diesem Jahr erschienen ist.  

    Jetzt allerdings stehen die ausgiebigen Entdeckungstouren erst einmal hinten an; Rother ist vor kurzem Mutter geworden. Ob die Familie in Taiwan bleibt? Ein schnelles “Ja” ist ihre Antwort. “Ich finde es schön, wenn meine Tochter die ersten Lebensjahre hier verbringt, weil Taiwan auch Teil meiner Identität ist, die ich mit ihr teilen möchte.” Svenja Napp

    • Gesellschaft
    • Taiwan

    Personalien

    Ryan Hass wird neuer Direktor des John L. Thornton China Center der US-Denkfabrik Brookings Institution. Hass folgt auf Cheng Li, der seine 17-jährige Tätigkeit bei Brookings als Non-Resident Senior Fellow fortsetzen wird. Das China Center wurde 2006 gegründet, um Analysen und politische Empfehlungen für die US-Außenpolitik in Bezug auf China zu entwickeln.

    Marc Matern ist seit Juli Mitglied des Verwaltungsrats bei Expotechnik China. Das Frankfurter Unternehmen entwickelt Architektur- und Kommunikationskonzepte für Markeninszenierungen und ist seit 2003 mit einem Büro in Shanghai in China präsent.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    • Brookings

    Dessert

    Die Hitzewelle in China zwingt zu drastischen Maßnahmen. Um sich vor den aggressiven UV-Strahlen zu schützen, wagt sich diese Frau nur mit Gesichtsmaske und Handschuhen in den Pekinger Stadtverkehr. In den vergangenen zwei Wochen überstieg das Thermometer hier mehrmals die 40-Grad-Marke. Meteorologen sprechen schon jetzt vom heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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