gestern jährte sich zum 34. Mal die blutige Niederschlagung der Studentenproteste in Peking am 4. Juni 1989. Während in Festlandchina wie gewohnt jedes Gedenken rigoros verhindert wird, geht die Polizei nun auch in Hongkong mit demonstrativer Härte vor, es gab viele Festnahmen. Die einstigen Mahnwachen: Unmöglich. Allein in Taiwan darf der Opfer gedacht werden. William Lai, Taiwans Vizepräsident, bringt auf den Punkt, was der unterschiedliche Umgang mit dem Gedenken auch zeigt. Nämlich, “dass Demokratie und Autoritarismus die größten Unterschiede zwischen Taiwan und China sind”. Mehr dazu lesen Sie in unseren News.
“Taiwan ist Chinas Taiwan.” Es sei an den Chinesen, zu entscheiden, was mit Taiwan geschehe. Das sagte Li Shangfu, Chinas Verteidigungsminister, an die USA gerichtet am Wochenende, beim Shangri-La-Dialog in Singapur. “Wenn es jemand wagen sollte, Taiwan von China abzuspalten, wird das chinesische Militär nicht eine Sekunde zögern.” Unversöhnlich war die Stimmung zwischen den beiden Großmächten, einen direkten Austausch lehnte die chinesische Seite ab. Das ist gefährlich, analysiert Michael Radunski, denn damit wächst die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation.
Chinas Militär bereitet sich vor – mit deutscher Unterstützung. Gegen hohe Geldzahlungen bilden offenbar ehemalige Offiziere der Bundeswehr chinesische Kampfpiloten aus. Um Grundlagentraining gehe es dabei aber nicht, die chinesische Seite wolle wissen, “wie der Westen trainiert, wie die Stimmung innerhalb der Truppen ist und welche Techniken und Kampftaktiken für den Ernstfall erprobt werden”, erklärt Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider in unserer Analyse. Solchen Maßnahmen deuten demnach auch darauf hin, dass China seine Angriffsabsichten auf Taiwan nicht mehr verschleiert.
Boris Pistorius ist sichtlich verärgert, als er am Wochenende vor die Kameras tritt. Kurz zuvor hatte sich der deutsche Verteidigungsminister in Singapur mit seinem chinesischen Amtskollegen Li Shangfu getroffen. Was am Rande des Shangri-La-Dialogs als freundlicher Austausch angedacht war, endete in einer klaren Ansage an China. “Ich habe deutlich gemacht, dass ich erwarte, dass diese Praxis unverzüglich beendet wird”, sagte Pistorius nach dem Treffen. Zudem habe er dem chinesischen General klargemacht, “dass er sicherlich nicht amüsiert wäre, wenn ich das meinerseits probieren würde”.
Was Pistorius meint, hat es in sich – und ist ein weiterer Rückschlag in den ohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen China und Deutschland. Aktuelle Recherchen von ZDF und Spiegel belegen, wie China gezielt ehemalige Bundeswehrsoldaten angeworben hat, damit sie in der Volksrepublik chinesische Kampfpiloten ausbilden. Was schon vor zehn Jahren begonnen haben soll, hat sich über die Zeit offenbar zu einem ausgefeilten System entwickelt. Das Bedenkliche: Es handelt sich keineswegs um eine neue Strategie Chinas. Und: Vor Deutschland waren mindestens auch die USA und Großbritannien betroffen.
In den vorliegenden Fällen der ehemaligen Bundeswehrpiloten soll es sich allerdings nicht um ideologische Überläufer handeln. Vielmehr haben offenbar vor allem die fürstlichen Gehälter eine entscheidende Rolle gespielt: Kampfpiloten der Bundeswehr beenden normalerweise mit 41 Jahren ihre Karriere im Cockpit. Das hat biologische Gründe, wie nachlassende Reflexe oder eine schwächer werdende Sehkraft. Wer sich in diesem Alter in den Ruhestand verabschiedet, erhält in der Regel etwa 50 Prozent des letzten Gehalts als Pension. Aus Sicht vieler Ex-Piloten offenbar zu wenig. Etliche nehmen daher nach ihrem Ausscheiden aus dem Militärdienst Nebentätigkeiten an.
Eine luxuriöse Offerte aus China kommt da sehr gelegen. In den vorliegenden Berichten ist von mehreren Hunderttausend Euro die Rede. Zum Vergleich: Ex-Piloten der britischen Royal Air Force soll von chinesischer Seite umgerechnet 275.000 Euro geboten worden sein, damit sie ihr Expertenwissen mit der chinesischen Luftwaffe teilen.
Klar ist: Die ehemaligen Bundeswehrsoldaten werden ihren chinesischen Kollegen keineswegs eine fliegerische Grundausbildung angetragen haben. “Hier geht es um sensitive, sicherheitsrelevante Informationen“, sagt Eberhard Sandschneider zu Table.Media. “Die chinesische Seite will wissen, wie der Westen trainiert, wie die Stimmung innerhalb der Truppen ist und welche Techniken und Kampftaktiken für den Ernstfall erprobt werden”, erklärt der Politikwissenschaftler.
Allerdings verfalle solches Fachwissen auch sehr schnell. Nach ein, zwei Jahren würden sich sowohl Technik und Taktik schon wieder ändern. “China wird daher auch in Zukunft versuchen, immer möglichst nah an aktive Personen heranzukommen.”
Im Anwerben sieht Sandschneider allerdings nicht das Problem, er bezeichnet es vielmehr als “verständliches Vorgehen, um ein vorhandenes Technologie- und Ausbildungsgefälle zu beseitigen“. Das Problem sieht der Partner des Beratungsinstituts “Berlin Global Advisors” vielmehr auf deutscher Seite. “Hier müssen klare Regeln gefunden werden, wie man sensibles Wissen schützen kann“, sagt Sandschneider.
CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt ist alarmiert. “Es ist völlig inakzeptabel, wenn deutsche Soldaten ihr Wissen an Nicht-Nato-Partner versilbern. Pistorius muss hier dringend die Truppendienstgerichte und den Militärischen Abschirmdienst dazu bringen, sowohl soldatenrechtliche als auch strafrechtliche Tatbestände zu prüfen, von Landesverrat bis zum ebenfalls im Strafgesetzbuch verankerten Völkerstrafrecht”, sagt der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss zu Table.Media.
Agnieszka Brugger warnt: “Das sind mehr als alarmierende erste Erkenntnisse. Gegenüber Staaten wie China und ihrer aggressiven Informationsgewinnung braucht es gerade in der aktuellen Situation maximale Wachsamkeit“, sagt die Sicherheitspolitikerin der Grünen zu Table.Media.
Denn die vorliegenden Fälle spiegeln eine durchaus gängige Praxis wider. Seit Jahren werben ausländische Dienste um die Gunst ehemaliger Entscheidungsträger. Die Avancen reichen von einfachen Schmeicheleien über Einladungen zu Reisen bis hin zu lukrativen Beratungsverträgen. Altkanzler Gerhard Schröder erhielt wohl kaum wegen seiner betriebswirtschaftlichen Fachkenntnisse vom russischen Energiekonzern Gazprom einen lukrativen Posten.
Der deutsche Verfassungsschutz warnt explizit vor Russland, Iran und China. Zur Volksrepublik heißt es: “In Deutschland stehen die Ziele Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie Militär im Fokus der chinesischen Dienste”.
Was von manch einem harmlos als “Graue-Bärte-Strategie” bezeichnet wird, hat ein klares Ziel: vorhandenes Know-how abschöpfen. Lange Zeit galten Gremien wie der Auswärtige Ausschuss als attraktives Ziel, da hier sensible geostrategische Themen besprochen werden.
Doch China hat seinen Zielbereich erweitert: Vormals konzentrierten sich die Anwerbungen meist auf die Bereiche Politik und Wirtschaft, inzwischen sind längst auch Deutschlands Wissenschaft und Militärs betroffen.
Die ehemaligen Bundeswehrsoldaten sollen den Berichten zufolge über Briefkastenfirmen auf den Seychellen bezahlt worden sein. Mindestens drei von ihnen arbeiteten demnach für das Pekinger Unternehmen Lode Technology Ltd, offiziell als “Aviation Consultant Contractor”. Anteilseigner von Lode Technology ist kein Geringerer als Su Bin, ein vor Jahren enttarnter chinesischer Spion.
Su spionierte jahrelang US-Militärgeheimnisse aus, darunter das vierstrahlige Militärtransportflugzeug C-17 Globemaster sowie die Tarnkappenjäger F-35 und F-22. In einer abgefangenen E-Mail prahlte Su, er habe F-35-Testpläne und Blaupausen erhalten, die es China ermöglichen würden, schnell mit den USA gleichzuziehen. 2014 wurde Su verhaftet, zwei Jahre später bekannte er sich vor einem US-Bundesgericht in Kalifornien schuldig und wurde an China ausgeliefert.
Roderich Kiesewetter ist von den Meldungen über die deutschen Piloten nicht sonderlich überrascht. “Sie sollten uns nicht verwundern. China kauft ganz gezielt und strategisch Wissen und Fähigkeiten aus westlichen Staaten ein, um seine militärischen Fähigkeiten zu stärken”, sagt der CDU-Außenpolitiker und Oberst a.D. der Bundeswehr zu Table.Media. Deutschland sei bisher ausgesprochen blauäugig und naiv gegenüber China aufgetreten.
Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste warnt: “Wir müssen uns bewusst sein, dass China mit dem Know-how von Ex-Piloten aus Großbritannien, Deutschland und anderen Nato-Staaten gezielt Luftangriffs- und Verteidigungstechniken der Nato erwirbt, und China mit solchen Maßnahmen seine Angriffsabsichten auf Taiwan nicht mehr verschleiert.”
Boris Pistorius berichtete übrigens nach seinem Gespräch mit Chinas Verteidigungsminister, dass Li Shangfu den Vorgang erst gar nicht bestritten habe. Der chinesische Verteidigungsminister soll lediglich versucht haben, die Bedeutung der deutschen Piloten zu relativieren. Es handelt sich dabei um wenig mehr als bemühte Schadensbegrenzung in Zeiten, in denen China eigentlich Europa auf seine Seite ziehen will. Michael Radunksi; Mitarbeit: Stefan Braun.
Als Li Shangfu und Lloyd Austin sich in Singapur kurz die Hände schüttelten, keimte umgehend Hoffnung auf. Handelte es sich um ein Signal der Entspannung zwischen China und den USA? Würde es vielleicht doch noch zu direkten Gesprächen zwischen den beiden Verteidigungsministern kommen? Die Bühne dazu war am Wochenende jedenfalls bereit: der Shangri-La-Dialog, Asiens Sicherheitskonferenz, tagte von Freitag bis Sonntag in Singapur.
Doch die Hoffnungen wurden enttäuscht. Mehr noch: In Singapur wurde das Gegenteil deutlich. Selbst wenn sich Vertreter von China und den USA im gleichen Raum befinden, sind sie Welten voneinander entfernt. Ob Taiwan oder Südchinesisches Meer – derzeit stehen sich die beiden Supermächte vollkommen unversöhnlich gegenüber.
So warnte Chinas Verteidigungsminister Li Shangfu am Sonntag in einer Rede: “Es lässt sich nicht abstreiten, dass ein ernster Konflikt oder eine Konfrontation zwischen China und den USA eine unerträgliche Katastrophe für die Welt wären.”
Zugleich warnte er jedoch vor einem zunehmenden US-Engagement im Indopazifik: “Einige Länder mischen sich in die internen und regionalen Angelegenheiten anderer Länder ein, verhängen häufig einseitige Sanktionen, drohen mit Gewaltanwendung, starten überall Farbrevolutionen und Stellvertreterkriege”, sagte Li. “Sie gehen dann, nachdem sie Chaos in eine Region gebracht und ein Durcheinander hinterlassen haben. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich dies im asiatisch-pazifischen Raum wiederholt.”
In Bezug auf Taiwan warnte Li explizit: “Taiwan ist Chinas Taiwan.” Es sei an den Chinesen, zu entscheiden, was mit Taiwan geschehe. “Wenn es jemand wagen sollte, Taiwan von China abzuspalten, wird das chinesische Militär nicht eine Sekunde zögern.” Chinas Verteidigungsminister kritisierte Waffenlieferungen und andere Aktivitäten rund um die Insel vor der Ostküste Chinas: Ausländische Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge, die derzeit durch die Taiwan-Straße patrouillierten, seien dort nicht zur friedlichen Durchfahrt, sondern zur “Provokation”.
Am Tag zuvor hatte auch US-Verteidigungsminister Austin vor einer militärischen Auseinandersetzung um Taiwan gewarnt. “Täuschen Sie sich nicht: Ein Konflikt in der Taiwan-Straße wäre verheerend“, sagte Austin in seiner Rede am Samstag. Zugleich betont er jedoch die “tiefe Verpflichtung” der USA, im Einklang mit der Ein-China-Politik den Status quo zu erhalten. Man werde sich einer einseitigen Änderung dieses Status quo kategorisch entgegenstellen – egal von welcher Seite solche Versuche unternommen würden. Austin spielte damit auf die harschen Drohungen Chinas an, sich notfalls die Insel militärisch einzuverleiben.
Ein Konflikt um Taiwan stehe allerdings weder unmittelbar bevor, noch sei er unvermeidlich, sagte Austin. Es sei daher die Aufgabe der USA und ihrer Verbündeten, die Abschreckung aufrechtzuerhalten und noch zu verstärken. Die gesamte Welt habe ein Interesse an der Wahrung von Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße. Die Sicherheit globaler Handelsrouten und weltweiter Versorgungswege sei davon abhängig.
Die scharfen Äußerungen von Li und Austin zeigen deutlich, wie wichtig ein direkter Austausch zwischen China und den USA derzeit wäre. Doch während er sich zu bilateralen Gesprächen mit seinen Amtskollegen aus Australien, Deutschland, Großbritannien, Japan, Malaysia und Südkorea traf, lehnt Li ein Treffen mit Austin ab – von besagtem Händedruck am Anfang der Konferenz einmal angesehen.
Wie gefährlich ein solcher Kurs ist, scheint den Protagonisten durchaus bewusst. “Ein warmer Händedruck beim Abendessen ist kein Ersatz für einen substanziellen Austausch”, sagte Austin. Je mehr man miteinander spreche, desto besser ließen sich die Missverständnisse und Fehlkalkulationen vermeiden, die zu Krisen und Konflikten führen könnten. Und so versicherte der US-Verteidigungsminister: Für einen verantwortungsbewussten Verteidigungspolitiker sei “jederzeit” die richtige Zeit, um miteinander zu sprechen.
Das sieht die chinesische Seite derzeit anders – und hatte schon im Vorfeld der Sicherheitskonferenz ein entsprechendes Gesuch der Amerikaner kurzerhand abgelehnt. Chinas Verteidigungsminister legte in Singapur nochmals nach und forderte als Voraussetzung für Gespräche “gegenseitigen Respekt”. “Wenn wir keinen gegenseitigen Respekt haben, dann wird die Kommunikation nicht produktiv sein”, sagte Li.
Die ablehnende Haltung Lis hat einen persönlichen Hintergrund: Der chinesische General steht seit 2018 auf amerikanischen Sanktionslisten, da er an Waffengeschäften mit Russland beteiligt gewesen sein soll. In seiner ehemaligen Funktion als Leiter der Abteilung für Ausrüstung und Bewaffnung der Zentralen Militärkommission (中央军委装备发展部) soll er russische Kampfflugzeuge und Luftabwehrsysteme eingekauft haben.
Sicherheitsexperten vermuten, dass die Chinesen ganz bewusst einen militärischen Dialog ablehnen: Auf diese Weise versuche Peking für Unsicherheit zu sorgen. Die USA sollen nicht sicher sein, wie weit China im Ernstfall gehen würde und über welche Maßnahmen die Volksrepublik verfüge.
Doch diese “strategische Unsicherheit” ist ein gefährliches Unterfangen. Immer wieder kommt es unvorhergesehen zu Zwischenfällen zwischen chinesischen und amerikanischen Einheiten – selbst an diesem Wochenende. Demnach soll sich ein chinesisches Kampfschiff dem Bug der USS Chung-Hoon bis auf weniger als 140 Meter genähert haben. Ein ähnlich riskanter Zwischenfall ereignete sich vergangene Woche zwischen einem US-Kampfjet und einem chinesischen Kampfflugzeug. Ohne feste Kommunikationskanäle auf militärischer Ebene ist die Gefahr groß, dass derartige Zwischenfälle ungeplant eskalieren und außer Kontrolle geraten.
Derartige Sorgen bestimmten am Wochenende auch die Sicherheitskonferenz in Singapur. Am Sonntag richtete der Gastgeber einen öffentlichen Appell an China und die USA.
Singapurs Verteidigungsminister Ng Eng Hen warnte: “Die Staats- und Regierungschefs Südostasiens sind zutiefst besorgt, dass eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen China und den USA unsere Staaten unweigerlich schwierige Entscheidungen aufzwingen wird.” Die Kommunikationskanäle zwischen den beiden Staaten müssten umgehend wieder aktiviert werden, forderte Ng und machte klar: Im Falle einer Krise ist es zu spät.
Auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius nahm am Shangri-La-Dialog teil. Er kündigte am Sonntag in Singapur an, dass die Bundesmarine im kommenden Jahr zwei Kriegsschiffe in den Indopazifik entsenden werde. Eine Fregatte und ein Versorgungsschiff würden 2024 in die Region aufbrechen. Die Einsätze der Bundesmarine seien nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet, sagte Pistorius laut Redemanuskript. “Sie dienen dem Schutz der regelbasierten internationalen Ordnung, die wir alle unterzeichnet haben und von der wir alle profitieren sollten – sei es im Mittelmeer, im Golf von Bengalen oder im Südchinesischen Meer.”
Zum 34. Jahrestag des Tian’anmen-Massakers ist in Hongkong und Taiwan der Geschehnisse des 4. Juni 1989 gedacht worden. In Hongkong wurden zahlreiche Menschen durchsucht und festgenommen. Vier Menschen wurden wegen “aufrührerischer” Absichten, weitere vier wegen Landfriedensbruch festgenommen. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen forderte am Sonntag die umgehenden Freilassung der Festgenommenen. In zahlreichen Städten auf der Welt fanden Gedenkveranstaltungen statt, darunter auch in New York, Berlin und Sydney.
Auf die Frage nach der Reaktion der Regierung in Peking auf die weltweiten Veranstaltungen anlässlich des Jahrestages sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Mao Ning, dass die Regierung bereits “zu einer klaren Schlussfolgerung über die politischen Unruhen in den späten 1980er-Jahren” gekommen sei.
In Festlandchina werden sämtliche Proteste und Erinnerungsveranstaltungen zum 4. Juni von jeher verhindert. Bürgerrechtler und Angehörige werden im Vorfeld des Jahrestages häufig unter Hausarrest gestellt oder an andere Orte gebracht. Besonders der Tian’anmen-Platz wird streng überwacht.
Eine Gruppe von Verwandten, die “Tian’anmen Mütter”, äußerten sich vor dem Jahrestag in einer Erklärung, die von der in New York ansässigen Menschenrechtsorganisation Human Rights in China veröffentlicht wurde. Darin sagten sie: “Die Qual endet nie. Obwohl 34 Jahre vergangen sind, quält uns, die Familienangehörigen der Getöteten, der Schmerz über den Verlust unserer Lieben in dieser einen Nacht bis heute”. Die Angehörigen fordern eine Aufarbeitung. “Wir warten darauf, dass die Regierung sich bei den Familien aller Opfer entschuldigt und dem Volk gegenüber ihr Bedauern über das Massaker von 1989 ausspricht.” Der Appell wurde von 116 Personen unterzeichnet.
Aufgrund der strikten Beschränkungen waren in diesem Jahr auch in Hongkong große Mahnwachen nicht möglich. Besonders im Victoria Park hatten sich sonst alljährlich Demonstranten zusammengefunden, um an die blutige Niederschlagung der Studentenproteste zu erinnern. 2019 waren es noch Zehntausende, die bei Kerzenlicht Andacht hielten. In diesem Jahr wurden 6.000 Polizisten eingesetzt, um Mahnwachen und Proteste zu verhindern, darunter Beamte der Terrorismusbekämpfung.
Hochrangige Beamte in Hongkong wollten keine Auskunft darüber geben, ob Gedenkveranstaltungen nach dem nationalen Sicherheitsgesetz illegal sind. China hatte dieses 2020 nach Massenprotesten in Hongkong erlassen und die Demokratiebewegung damit erstickt.
Stille Proteste gab es trotzdem – allerdings nur durch vereinzelte Personen, wie zum Beispiel die Besitzer von Buchläden. Die inhaftierte Hongkonger Aktivistin Chow Hang-tung, Anführerin einer Gruppe, die bisher Mahnwachen am 4. Juni organisiert hatte, kündigte einen 34-stündigen Hungerstreik an.
Im demokratischen Taiwan dagegen sind am 4. Juni Proteste und Mahnwachen erlaubt. Dort richteten Aktivisten auf dem Liberty Square in Taipeh eine Gedenkstätte ein, mit Trauerblumen und einer “Säule der Schande”.
Vizepräsident William Lai von der Demokratischen Fortschrittspartei sagte, dass die Ereignisse von 1989 diskutiert und erinnert werden müssten. “Die Erinnerungsveranstaltung am 4. Juni findet in Taipeh weiter statt. Das zeigt, dass Demokratie und Autoritarismus die größten Unterschiede zwischen Taiwan und China sind”, sagte Lai.
Taiwans Regierung forderte die Kommunistische Partei in China auf, über die Lehren der Niederschlagung der Demokratiebewegung zu reflektieren. Präsidentin Tsai Ing-wen äußerte die Hoffnung, dass junge Leute in China eines Tages die Freiheit bekommen, ohne Angst ihre Meinung auszudrücken. jul/rtr
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht China weiterhin als möglichen Vermittler. “China ist größer und starker als Russland und könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, Frieden zu schaffen“, sagte Selenskyj in einem Interview mit dem Wall Street Journal. “Ich würde nicht wollen, dass so ein Land einfach nur dabei zusieht, wie Menschen sterben. Für ein großes Land ist so eine Rolle einzunehmen die eigentliche Bedeutung von nationaler Größe. Das hier ist kein Gemälde und auch kein Museum. Es ist ein echter, blutiger Krieg.” Die ukrainische Regierung versucht, die Unterstützung von Ländern wie China, Indien und Brasilien zu gewinnen, die weiterhin gute Beziehungen zu Russland unterhalten.
Die Ukraine sei bereit für eine Gegenoffensive gegen Russland, sagte Selenskyj in dem Gespräch. Diese könnte allerdings lange dauern und sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln. Am Freitag trat in Peking erstmals seit seiner Rückkehr Chinas Sondergesandter für die Ukraine, Li Hui, für eine Pressekonferenz vor die Kameras. “Das Risiko einer Eskalation zwischen Russland und der Ukraine ist nach wie vor hoch“, sagte Li. Er sprach zudem davon, dass die Positionen der zwei Parteien sehr weit auseinander liegen und der Weg zum Verhandlungstisch “schwierig” sei.
Dass Lis Gespräche der letzten Wochen in Europa Bewegung in den Konflikt gebracht haben, schien eher nicht der Fall zu sein. Gefragt nach den Ursachen des Krieges, erwähnte der Diplomat den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht, sondern führte die Probleme der “europäischen Sicherheitsarchitektur” an. Die Krise hätte “historisch komplexe und realistische Gründe”, sagte Li. Damit folgte er dem bisher aus Peking verbreiteten Narrativ.
Der Sondergesandte versuchte bei seiner Pressekonferenz merklich, die Erwartungen an die Friedensinitiative herunterzudrehen. Um einen “schnellen Sieg” sei es bei seinen Verhandlungsgesprächen nie gegangen. Bei seinen Reisen sei es vor allem darum gegangen, die unterschiedlichen Positionen zu verstehen. Er kündigte an, dass eine zweite chinesische Delegation entsandt werde, einen Termin nannte er jedoch nicht.
China hat Russlands Angriff auf die Ukraine bisher nicht verurteilt. In einem Telefonat mit Xi Jinping im April hat Selenskyj diesen dazu angehalten, Russland nicht mit Waffen oder anderen Technologien zu versorgen. Xi hatte damals versichert, dies nicht zu tun.
Die EU arbeitet derzeit an ihrem elften Sanktionspaket gegen Russland. Darin soll der Fokus auf der Umgehung der bisherigen Strafmaßnahmen liegen. Das könnte nun auch chinesische Firmen treffen. Ein Durchbruch bei den Verhandlungen zu dem Sanktionspaket werden EU-Diplomatenkreisen zufolge für die kommende Woche erwartet. jul/ari
Die Brics-Gruppe möchte ihren globalen Einfluss weiter ausbauen. Auf einem Treffen der Außenminister und -ministerinnen der Gruppe in Kapstadt haben sich vor allem China und Russland für eine Erweiterung starkgemacht.
Derzeit gehören den Brics fünf große Schwellenländer an – neben China und Russland sind das Brasilien, Indien und Gastgeber Südafrika. Chinas Vizeaußenminister Ma Zhaoxu erklärte, sein Land freue sich über die Aussicht auf den Beitritt weiterer Länder. Dies würde Einfluss und Macht der Brics-Gruppe erhöhen, um die Interessen der Entwicklungsländer zu vertreten. Die Brics seien “inklusiv … in scharfem Kontrast zum kleinen Kreis einiger Länder”, sagte Ma – ein wie üblich verklausulierter Seitenhieb gegen die G7.
Mehr als ein Dutzend Länder haben Interesse an einem Beitritt zu den Brics gezeigt, darunter Iran, Saudi-Arabien, Venezuela, Argentinien, Algerien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Indonesien. Die Außenminister Irans und Saudi-Arabiens waren in Kapstadt sogar vor Ort.
China ist das wirtschaftliche und politische Schwergewicht der Gruppe. Sein Bruttoinlandsprodukt ist mehr als doppelt so groß wie das aller vier anderen Mitglieder zusammen. Die New Development Bank der Gruppe, auch Brics-Bank genannt, hat ihren Sitz in Shanghai. Warum China nicht Außenminister Qin Gang nach Kapstadt geschickt hatte, blieb aber unklar. Die weiteren vier Mitglieder hatten ihre Ressortchefs geschickt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow wurde dort – anders als im Herbst beim G20-Treffen – keineswegs gemieden, sondern als gleichberechtigtes Mitglied empfangen. ck
Bei einem Erdrutsch in einem Bergwerk in Chinas südwestlicher Provinz Sichuan sind einem Bericht des staatlichen Fernsehsenders CCTV zufolge am Sonntag 19 Menschen ums Leben gekommen. Der Erdrutsch ereignete sich gegen 6 Uhr morgens in einem Berggebiet nahe der Stadt Leshan im Süden der Provinz.
Demnach stürzte der Berghang auf die Produktions- und Wohnanlagen eines örtlichen Bergbauunternehmens. Mehr als 180 Rettungskräfte wurden zum Unglücksort entsandt, die Such- und Rettungsarbeiten sind inzwischen abgeschlossen. Die Ursache des Erdrutsches wird dem Bericht zufolge nun untersucht. rtr/jul
Ein ganzes Leben in einem Buch, mehr als 80 Jahre. Ein Mädchen, dessen Füße gebunden wurden – Füße, die auch als erwachsene Frau noch schmerzen, eine Zwangsheirat, Enteignung und Demütigung durch die Hand des Staates. Shi Mei hat dieses Leben aufgeschrieben, in ihrem deutschsprachigen Debütroman “Tamariske in der Wüste”, der im Herbst erscheint. Und hätte man Shi vor vielen Jahren gefragt, ob sie einmal ein Buch schreiben würde, sogar eines, das eng mit ihrer eigenen Familiengeschichte verwoben ist, hätte sie wohl entschieden den Kopf geschüttelt.
Shi ist in der Wüste geboren, in Taklamakan in Nordwestchina. Als Kind zog sie mit ihren Eltern in die Nähe der Kreisstadt Yongdeng und wuchs dort in der endlosen Weite der Wüste Gobi auf. Mit 16 machte sie eine Ausbildung zur Schweißerin und studierte später Englisch in Shanghai. “Die Zeit als Schweißerin am Wasserkraftwerk am Gelben Fluss war besonders prägend”, sagt Shi. Hier habe sie sich gewandelt – vom zufriedenen Landmädchen zu einer jungen Frau mit Entdeckungslust auf die weite Welt.
Von Shanghai wollte Shi zum Studieren nach Amerika, aber die Liebe durchkreuzte ihre Pläne, erzählt sie. In China lernte sie ihren deutschen Mann kennen und folgte ihm in der Transsibirischen Eisenbahn in seine Heimat – das war 1990. Hier orientierte sie sich neu, schloss eine Ausbildung zur Informatikerin ab. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Prokuristin in einer Firma für Sondermaschinenbau, sie übersetzt und dolmetscht im technischen Bereich. Und jetzt ein Roman in der Sprache, die sie erst lernen musste: “Dass ich auch auf Deutsch schreibe, begann mit der Beerdigungsfeier meiner Großmutter.”
Als Shis chinesische Großmutter starb, kamen mehr als 300 Menschen aus dem Dorf zu ihrer Beerdigung, verbrannten Totengeld und nahmen Abschied. “Das hat mich tief beeindruckt und ich begann, Details aus ihrem Leben zu recherchieren und ihre Geschichte aufzuschreiben.”
Ihre Großmutter sei wie ein Spiegelbild für so viele Frauen ihrer Zeit, sagt Shi. Ihr Roman soll deutschen Leserinnen und Lesern von den chinesischen Sitten und Bräuchen des 20. Jahrhunderts erzählen, vom Leben in einer großen Familie und den Zwängen der geltenden Schönheitsideale. “Meine Großmutter, die meiner Hauptfigur als Vorbild galt, überlebte nicht nur die harten Zeiten, sondern erblühte auch.”
Im Herbst wird Shi auf ihre erste Lesereise gehen, aber bis dahin hat sie noch einiges zu tun: “Ich schreibe gerade an meinem zweiten Roman, der im Sommer fertig werden soll”, erzählt sie. Auch darin werden Elemente ihrer eigenen Biografie auftauchen. “Es gibt ein Mädchen, das in der Wüste Taklamalan geboren ist, und nach Deutschland auswandert” – so viel möchte sie schon jetzt verraten. Svenja Napp
Martin Benninghoff wird Ende des Jahres neuer China-Korrespondent für das Handelsblatt. Bisher leitet Benninghoff das Politik-Ressort der Frankfurter Rundschau.
Simina Mistreanu wird neue Korrespondentin für die Region Greater China bei der Nachrichtenagentur Associated Press. Sie wird von Taipeh aus berichten.
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In heißem Fett ausgebackene Teigstreifen (油条 yóutiáo), frisch frittierte Frühlingsröllchen (春卷 chūnjuǎn), rot geschmorte Schweineschwarte (红烧肉 hóngshāoròu) und knusprig gebackene Pekingente (北京烤鸭 Běijīng kǎoyā) – in der chinesischen Küche wird es gerne mal fettig, deftig, ölig. Doch wussten Sie, dass das auch für das Zwischenmenschliche gelten kann?
Chinas Damenwelt schimpft neuerdings gerne über “fettige” beziehungsweise “ölige” Typen. Wer jetzt an unappetitliche Themen wie fettige Haare, speckige Handyhüllen oder schmalzige Ohren denkt, kratzt semantisch leider nur an der Oberfläche. Denn das Attribut 油腻 yóunì (wörtlich “fettig, ölig”) greift im neuen, übertragenen Sinne noch weiter. Als yóunì sind in China schmierige Typen mittleren Alters verschrien, die einfach peinlich und trotz ihres nicht wirklich fortgeschrittenen Alters furchtbar altbacken, wenig elegant, wenn nicht sogar ein bisschen unachtsam verlottert sind, im gesamten Auftreten und der Wortwahl eben alles andere als zum Dahinschmelzen.
Zwar stehen solche Männerexemplare in der Mitte des Lebens, doch sie geben sich altklug und grundlos weltmännisch, bringen ständig schnulzige bis schleimige Sprüche oder erklären Gott und die Welt. Trotz ihres überbordenden Selbstbewusstseins sind diese Herren dem Empfinden des weiblichen Geschlechts nach allerdings ein klarer Reinfall. In den sozialen Medien finden sich dieser Tage etliche Videos von Frauen, die diese schmierigen Typen imitieren.
Der Trendbegriff 油腻 yóunì setzt sich zusammen aus den Wortbestandteilen 油 yóu “Öl, ölig” und 腻 nì “fettig, schwer verdaulich”. Letzteres Zeichen kann im übertragenen Sinne auch “etwas satthaben” bedeuten.
Ursprünglich wurde das Wort natürlich im kulinarischen Kontext verwendet. Mittlerweile ist es in der chinesischen Umgangssprache aber zu einer gängigen Moserschablone für vieles Schmierige oder Schmalzige avanciert. Und um nicht unnötig Öl in den Genderzwist zu gießen, sei gesagt, dass natürlich auch die Damenwelt manchmal als fetttriefend verulkt werden kann, im Falle öliger Wortwahl oder schmierigen Verhaltens. Prototypisch bekommen allerdings tatsächlich in der Regel männliche Möchtegern-Macker mit der Trendvokabel ihr Fett weg.
Wenn es bei Ihrem Chinesisch-Studium läuft wie geschmiert, werden Ihnen Ihre chinesischen Gesprächspartner übrigens über die Jahre noch die eine oder andere “ölige” Vokabel unterbuttern. So etwa die eingangs erwähnte frittierte Teigstange namens 油条 yóutiáo, der man vokabelmäßig als Newbie schon mal auf den Leim gehen kann. Denn “Ölteigstange”, genauer gesagt “alte Ölteigstange” (老油条 lǎoyóutiáo), ist das chinesische Sprachpendant zu unserem “alten Fuchs”. Gemeint sind aalglatte Kerle oder Ladies, die schon lange im Geschäft sind, wissen wie der Hase läuft und sich darauf verstehen, sich durchzumogeln beziehungsweise Schlupflöcher für sich zu entdecken.
Nicht selten nutzen solche Exemplare zudem gewieft ihren sogenannten “Ölmund” (油嘴 yóuzuǐ), um Butter bei die Fische zu geben, sprich: ihre Ziele geschickt zu erreichen. Statt anderen Honig ums Maul zu schmieren, wie man im Deutschen sagen würde, ölt man in China lieber die Lippen. Als 油嘴 yóuzuǐ (auch in der Langversion 油嘴滑舌 yóuzuǐ-huáshé “öliger Mund und glitschige Zunge”) tituliert man im Reich der Mitte also wortgewandte Schmeichler beziehungsweise aalglatte Schleimer. Nützlich für den Alltagsgebrauch ist hier auch das Sätzchen: 他嘴很油 Tā zuǐ hěn yóu – “Er ist ein Schleimer” (wörtlich: sein Mund ist sehr fettig / ölig).
Feuern freudig erregte chinesische Freunde Sie beim Firmenfußball-Match an und dazu auf, “Öl hinzuzugeben” (加油! jiāyóu!), kommen Sie bitte ebenfalls nicht auf falsche Gedanken. Sie werden nicht dazu angestiftet, Öl ins Feuer zu gießen, sondern all ihre Kräfte in die Partie reinzubuttern. Für Mandarin-Cracks sicher nichts Neues: 加油 jiāyóu ist ein typischer Anfeuerungsspruch in China, der wörtlich “Gib Gas!” bedeutet (eine Kurzform von 加大油门 jiādà yóumén “mehr Gas geben / stärker aufs Gas drücken”). Er wird nicht nur im Sport verwendet, sondern taucht fast schon inflationär in allen möglichen Lebenslagen auf, in denen Chinesen Ihnen Mut zusprechen beziehungsweise Sie anspornen wollen. Im Deutschen sind die Übersetzungsmöglichkeiten daher je nach Kontext weit gefächert und reichen von “Auf geht’s!” über “Gib alles!” bis hin zu “Du schaffst das!”.
Butterweiche Knie bekommt man derweil, wenn man erfährt, was es mit der nächsten Schmalzvokabel auf sich hat, dem “Abwasserkanal-Öl”, auf Chinesisch 地沟油 dìgōuyóu (von 地沟 dìgōu – Abwasserkanal / Abwassertunnel). Das Wort hat tatsächlich einen eigenen Wörterbucheintrag. Leider ist hier ausnahmsweise mal genau das gemeint, wonach es klingt. Es geht um Öl im Abwasserkanal, besser gesagt aus dem selbigen. In der Vergangenheit gab es in Chinas Städten nämlich immer mal wieder betrügerische Gastronomie-Ganoven, die einen Reibach damit machten, das Speiseöl aus dem Abwasser von Restaurants abzuschöpfen und auf unappetitliche Weise zu recyceln. In aufbereiteter Form landete das alte Brat- und Frittierfett dann erneut in der Wokpfanne und damit im Magen.
Der Hintergrund: In der chinesischen Küche wird bekanntlich gebraten und gebrutzelt, was das Zeug hält. Die Cuisine ist für ihren hohen Speiseölbedarf bei der Zubereitung berüchtigt, der auch einen hohen Kostenfaktor darstellt. In diesem Zusammenhang wundert es dann auch kaum, dass unsere “Küchenschürze” auf Chinesisch neben 围裙 (wéiqún) “Umwickelkleid” oder “Umwickelrock” auch einfach “Ölrock” (油裙 yóuqún) heißt. Zurück aber zum “Ekelöl”: Glücklicherweise nahmen Chinas Behörden das Problem sehr ernst und in Angriff und trockneten den Öl-Mafia-Sumpf erfolgreich aus, sodass man seine triefenden Teigstangen heute im Regelfall wieder allerorts bedenkenlos genießen kann.
Völlig harmlos ist es dagegen, wenn in China Ölsterne (油星子 yóuxīngzi oder油星 yóuxīng) beziehungsweise Fettblumen (油花 yóuhuā) in der Suppe schwimmen. Beides sind poetische Pendants zu unseren deutschen “Fettaugen”. Hier ist wohl eher die deutsche Vokabel für Fremdsprachenlerner etwas scary oder zumindest gewöhnungsbedürftig.
Nach Energieeinsparung klingt derweil die letzte Schmiervokabel für heute, nämlich die “Ölsparlampe” (省油灯 shěngyóudēng). Die einzigen, die hier allerdings Energie sparen, sind potenzielle Wettstreiter und Widersacher. Gemeint sind nämlich Duckmäuser beziehungsweise Ja-Sager, die auf Sparflamme laufen, kaum aus der Reihe tanzen und daher leicht zu handhaben beziehungsweise einzuschüchtern sind.
So viel fettiges Idiomatisches will jetzt natürlich erst einmal sprachlich verdaut sein. Doch vielleicht rutscht ja die eine oder andere deftige Vokabel in ihren aktiven Wortschatz und sie ölen und polieren so ihre chinesische Ausdrucksweise. Damit dürften Sie dann sicher Eindruck schinden, wenn nicht sogar überschwängliche Komplimente ernten. Und Chinesisch-Lob geht bekanntlich, wie wir unter Sprachlernern natürlich alle wissen, runter wie Öl.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
gestern jährte sich zum 34. Mal die blutige Niederschlagung der Studentenproteste in Peking am 4. Juni 1989. Während in Festlandchina wie gewohnt jedes Gedenken rigoros verhindert wird, geht die Polizei nun auch in Hongkong mit demonstrativer Härte vor, es gab viele Festnahmen. Die einstigen Mahnwachen: Unmöglich. Allein in Taiwan darf der Opfer gedacht werden. William Lai, Taiwans Vizepräsident, bringt auf den Punkt, was der unterschiedliche Umgang mit dem Gedenken auch zeigt. Nämlich, “dass Demokratie und Autoritarismus die größten Unterschiede zwischen Taiwan und China sind”. Mehr dazu lesen Sie in unseren News.
“Taiwan ist Chinas Taiwan.” Es sei an den Chinesen, zu entscheiden, was mit Taiwan geschehe. Das sagte Li Shangfu, Chinas Verteidigungsminister, an die USA gerichtet am Wochenende, beim Shangri-La-Dialog in Singapur. “Wenn es jemand wagen sollte, Taiwan von China abzuspalten, wird das chinesische Militär nicht eine Sekunde zögern.” Unversöhnlich war die Stimmung zwischen den beiden Großmächten, einen direkten Austausch lehnte die chinesische Seite ab. Das ist gefährlich, analysiert Michael Radunski, denn damit wächst die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation.
Chinas Militär bereitet sich vor – mit deutscher Unterstützung. Gegen hohe Geldzahlungen bilden offenbar ehemalige Offiziere der Bundeswehr chinesische Kampfpiloten aus. Um Grundlagentraining gehe es dabei aber nicht, die chinesische Seite wolle wissen, “wie der Westen trainiert, wie die Stimmung innerhalb der Truppen ist und welche Techniken und Kampftaktiken für den Ernstfall erprobt werden”, erklärt Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider in unserer Analyse. Solchen Maßnahmen deuten demnach auch darauf hin, dass China seine Angriffsabsichten auf Taiwan nicht mehr verschleiert.
Boris Pistorius ist sichtlich verärgert, als er am Wochenende vor die Kameras tritt. Kurz zuvor hatte sich der deutsche Verteidigungsminister in Singapur mit seinem chinesischen Amtskollegen Li Shangfu getroffen. Was am Rande des Shangri-La-Dialogs als freundlicher Austausch angedacht war, endete in einer klaren Ansage an China. “Ich habe deutlich gemacht, dass ich erwarte, dass diese Praxis unverzüglich beendet wird”, sagte Pistorius nach dem Treffen. Zudem habe er dem chinesischen General klargemacht, “dass er sicherlich nicht amüsiert wäre, wenn ich das meinerseits probieren würde”.
Was Pistorius meint, hat es in sich – und ist ein weiterer Rückschlag in den ohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen China und Deutschland. Aktuelle Recherchen von ZDF und Spiegel belegen, wie China gezielt ehemalige Bundeswehrsoldaten angeworben hat, damit sie in der Volksrepublik chinesische Kampfpiloten ausbilden. Was schon vor zehn Jahren begonnen haben soll, hat sich über die Zeit offenbar zu einem ausgefeilten System entwickelt. Das Bedenkliche: Es handelt sich keineswegs um eine neue Strategie Chinas. Und: Vor Deutschland waren mindestens auch die USA und Großbritannien betroffen.
In den vorliegenden Fällen der ehemaligen Bundeswehrpiloten soll es sich allerdings nicht um ideologische Überläufer handeln. Vielmehr haben offenbar vor allem die fürstlichen Gehälter eine entscheidende Rolle gespielt: Kampfpiloten der Bundeswehr beenden normalerweise mit 41 Jahren ihre Karriere im Cockpit. Das hat biologische Gründe, wie nachlassende Reflexe oder eine schwächer werdende Sehkraft. Wer sich in diesem Alter in den Ruhestand verabschiedet, erhält in der Regel etwa 50 Prozent des letzten Gehalts als Pension. Aus Sicht vieler Ex-Piloten offenbar zu wenig. Etliche nehmen daher nach ihrem Ausscheiden aus dem Militärdienst Nebentätigkeiten an.
Eine luxuriöse Offerte aus China kommt da sehr gelegen. In den vorliegenden Berichten ist von mehreren Hunderttausend Euro die Rede. Zum Vergleich: Ex-Piloten der britischen Royal Air Force soll von chinesischer Seite umgerechnet 275.000 Euro geboten worden sein, damit sie ihr Expertenwissen mit der chinesischen Luftwaffe teilen.
Klar ist: Die ehemaligen Bundeswehrsoldaten werden ihren chinesischen Kollegen keineswegs eine fliegerische Grundausbildung angetragen haben. “Hier geht es um sensitive, sicherheitsrelevante Informationen“, sagt Eberhard Sandschneider zu Table.Media. “Die chinesische Seite will wissen, wie der Westen trainiert, wie die Stimmung innerhalb der Truppen ist und welche Techniken und Kampftaktiken für den Ernstfall erprobt werden”, erklärt der Politikwissenschaftler.
Allerdings verfalle solches Fachwissen auch sehr schnell. Nach ein, zwei Jahren würden sich sowohl Technik und Taktik schon wieder ändern. “China wird daher auch in Zukunft versuchen, immer möglichst nah an aktive Personen heranzukommen.”
Im Anwerben sieht Sandschneider allerdings nicht das Problem, er bezeichnet es vielmehr als “verständliches Vorgehen, um ein vorhandenes Technologie- und Ausbildungsgefälle zu beseitigen“. Das Problem sieht der Partner des Beratungsinstituts “Berlin Global Advisors” vielmehr auf deutscher Seite. “Hier müssen klare Regeln gefunden werden, wie man sensibles Wissen schützen kann“, sagt Sandschneider.
CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt ist alarmiert. “Es ist völlig inakzeptabel, wenn deutsche Soldaten ihr Wissen an Nicht-Nato-Partner versilbern. Pistorius muss hier dringend die Truppendienstgerichte und den Militärischen Abschirmdienst dazu bringen, sowohl soldatenrechtliche als auch strafrechtliche Tatbestände zu prüfen, von Landesverrat bis zum ebenfalls im Strafgesetzbuch verankerten Völkerstrafrecht”, sagt der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss zu Table.Media.
Agnieszka Brugger warnt: “Das sind mehr als alarmierende erste Erkenntnisse. Gegenüber Staaten wie China und ihrer aggressiven Informationsgewinnung braucht es gerade in der aktuellen Situation maximale Wachsamkeit“, sagt die Sicherheitspolitikerin der Grünen zu Table.Media.
Denn die vorliegenden Fälle spiegeln eine durchaus gängige Praxis wider. Seit Jahren werben ausländische Dienste um die Gunst ehemaliger Entscheidungsträger. Die Avancen reichen von einfachen Schmeicheleien über Einladungen zu Reisen bis hin zu lukrativen Beratungsverträgen. Altkanzler Gerhard Schröder erhielt wohl kaum wegen seiner betriebswirtschaftlichen Fachkenntnisse vom russischen Energiekonzern Gazprom einen lukrativen Posten.
Der deutsche Verfassungsschutz warnt explizit vor Russland, Iran und China. Zur Volksrepublik heißt es: “In Deutschland stehen die Ziele Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie Militär im Fokus der chinesischen Dienste”.
Was von manch einem harmlos als “Graue-Bärte-Strategie” bezeichnet wird, hat ein klares Ziel: vorhandenes Know-how abschöpfen. Lange Zeit galten Gremien wie der Auswärtige Ausschuss als attraktives Ziel, da hier sensible geostrategische Themen besprochen werden.
Doch China hat seinen Zielbereich erweitert: Vormals konzentrierten sich die Anwerbungen meist auf die Bereiche Politik und Wirtschaft, inzwischen sind längst auch Deutschlands Wissenschaft und Militärs betroffen.
Die ehemaligen Bundeswehrsoldaten sollen den Berichten zufolge über Briefkastenfirmen auf den Seychellen bezahlt worden sein. Mindestens drei von ihnen arbeiteten demnach für das Pekinger Unternehmen Lode Technology Ltd, offiziell als “Aviation Consultant Contractor”. Anteilseigner von Lode Technology ist kein Geringerer als Su Bin, ein vor Jahren enttarnter chinesischer Spion.
Su spionierte jahrelang US-Militärgeheimnisse aus, darunter das vierstrahlige Militärtransportflugzeug C-17 Globemaster sowie die Tarnkappenjäger F-35 und F-22. In einer abgefangenen E-Mail prahlte Su, er habe F-35-Testpläne und Blaupausen erhalten, die es China ermöglichen würden, schnell mit den USA gleichzuziehen. 2014 wurde Su verhaftet, zwei Jahre später bekannte er sich vor einem US-Bundesgericht in Kalifornien schuldig und wurde an China ausgeliefert.
Roderich Kiesewetter ist von den Meldungen über die deutschen Piloten nicht sonderlich überrascht. “Sie sollten uns nicht verwundern. China kauft ganz gezielt und strategisch Wissen und Fähigkeiten aus westlichen Staaten ein, um seine militärischen Fähigkeiten zu stärken”, sagt der CDU-Außenpolitiker und Oberst a.D. der Bundeswehr zu Table.Media. Deutschland sei bisher ausgesprochen blauäugig und naiv gegenüber China aufgetreten.
Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste warnt: “Wir müssen uns bewusst sein, dass China mit dem Know-how von Ex-Piloten aus Großbritannien, Deutschland und anderen Nato-Staaten gezielt Luftangriffs- und Verteidigungstechniken der Nato erwirbt, und China mit solchen Maßnahmen seine Angriffsabsichten auf Taiwan nicht mehr verschleiert.”
Boris Pistorius berichtete übrigens nach seinem Gespräch mit Chinas Verteidigungsminister, dass Li Shangfu den Vorgang erst gar nicht bestritten habe. Der chinesische Verteidigungsminister soll lediglich versucht haben, die Bedeutung der deutschen Piloten zu relativieren. Es handelt sich dabei um wenig mehr als bemühte Schadensbegrenzung in Zeiten, in denen China eigentlich Europa auf seine Seite ziehen will. Michael Radunksi; Mitarbeit: Stefan Braun.
Als Li Shangfu und Lloyd Austin sich in Singapur kurz die Hände schüttelten, keimte umgehend Hoffnung auf. Handelte es sich um ein Signal der Entspannung zwischen China und den USA? Würde es vielleicht doch noch zu direkten Gesprächen zwischen den beiden Verteidigungsministern kommen? Die Bühne dazu war am Wochenende jedenfalls bereit: der Shangri-La-Dialog, Asiens Sicherheitskonferenz, tagte von Freitag bis Sonntag in Singapur.
Doch die Hoffnungen wurden enttäuscht. Mehr noch: In Singapur wurde das Gegenteil deutlich. Selbst wenn sich Vertreter von China und den USA im gleichen Raum befinden, sind sie Welten voneinander entfernt. Ob Taiwan oder Südchinesisches Meer – derzeit stehen sich die beiden Supermächte vollkommen unversöhnlich gegenüber.
So warnte Chinas Verteidigungsminister Li Shangfu am Sonntag in einer Rede: “Es lässt sich nicht abstreiten, dass ein ernster Konflikt oder eine Konfrontation zwischen China und den USA eine unerträgliche Katastrophe für die Welt wären.”
Zugleich warnte er jedoch vor einem zunehmenden US-Engagement im Indopazifik: “Einige Länder mischen sich in die internen und regionalen Angelegenheiten anderer Länder ein, verhängen häufig einseitige Sanktionen, drohen mit Gewaltanwendung, starten überall Farbrevolutionen und Stellvertreterkriege”, sagte Li. “Sie gehen dann, nachdem sie Chaos in eine Region gebracht und ein Durcheinander hinterlassen haben. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich dies im asiatisch-pazifischen Raum wiederholt.”
In Bezug auf Taiwan warnte Li explizit: “Taiwan ist Chinas Taiwan.” Es sei an den Chinesen, zu entscheiden, was mit Taiwan geschehe. “Wenn es jemand wagen sollte, Taiwan von China abzuspalten, wird das chinesische Militär nicht eine Sekunde zögern.” Chinas Verteidigungsminister kritisierte Waffenlieferungen und andere Aktivitäten rund um die Insel vor der Ostküste Chinas: Ausländische Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge, die derzeit durch die Taiwan-Straße patrouillierten, seien dort nicht zur friedlichen Durchfahrt, sondern zur “Provokation”.
Am Tag zuvor hatte auch US-Verteidigungsminister Austin vor einer militärischen Auseinandersetzung um Taiwan gewarnt. “Täuschen Sie sich nicht: Ein Konflikt in der Taiwan-Straße wäre verheerend“, sagte Austin in seiner Rede am Samstag. Zugleich betont er jedoch die “tiefe Verpflichtung” der USA, im Einklang mit der Ein-China-Politik den Status quo zu erhalten. Man werde sich einer einseitigen Änderung dieses Status quo kategorisch entgegenstellen – egal von welcher Seite solche Versuche unternommen würden. Austin spielte damit auf die harschen Drohungen Chinas an, sich notfalls die Insel militärisch einzuverleiben.
Ein Konflikt um Taiwan stehe allerdings weder unmittelbar bevor, noch sei er unvermeidlich, sagte Austin. Es sei daher die Aufgabe der USA und ihrer Verbündeten, die Abschreckung aufrechtzuerhalten und noch zu verstärken. Die gesamte Welt habe ein Interesse an der Wahrung von Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße. Die Sicherheit globaler Handelsrouten und weltweiter Versorgungswege sei davon abhängig.
Die scharfen Äußerungen von Li und Austin zeigen deutlich, wie wichtig ein direkter Austausch zwischen China und den USA derzeit wäre. Doch während er sich zu bilateralen Gesprächen mit seinen Amtskollegen aus Australien, Deutschland, Großbritannien, Japan, Malaysia und Südkorea traf, lehnt Li ein Treffen mit Austin ab – von besagtem Händedruck am Anfang der Konferenz einmal angesehen.
Wie gefährlich ein solcher Kurs ist, scheint den Protagonisten durchaus bewusst. “Ein warmer Händedruck beim Abendessen ist kein Ersatz für einen substanziellen Austausch”, sagte Austin. Je mehr man miteinander spreche, desto besser ließen sich die Missverständnisse und Fehlkalkulationen vermeiden, die zu Krisen und Konflikten führen könnten. Und so versicherte der US-Verteidigungsminister: Für einen verantwortungsbewussten Verteidigungspolitiker sei “jederzeit” die richtige Zeit, um miteinander zu sprechen.
Das sieht die chinesische Seite derzeit anders – und hatte schon im Vorfeld der Sicherheitskonferenz ein entsprechendes Gesuch der Amerikaner kurzerhand abgelehnt. Chinas Verteidigungsminister legte in Singapur nochmals nach und forderte als Voraussetzung für Gespräche “gegenseitigen Respekt”. “Wenn wir keinen gegenseitigen Respekt haben, dann wird die Kommunikation nicht produktiv sein”, sagte Li.
Die ablehnende Haltung Lis hat einen persönlichen Hintergrund: Der chinesische General steht seit 2018 auf amerikanischen Sanktionslisten, da er an Waffengeschäften mit Russland beteiligt gewesen sein soll. In seiner ehemaligen Funktion als Leiter der Abteilung für Ausrüstung und Bewaffnung der Zentralen Militärkommission (中央军委装备发展部) soll er russische Kampfflugzeuge und Luftabwehrsysteme eingekauft haben.
Sicherheitsexperten vermuten, dass die Chinesen ganz bewusst einen militärischen Dialog ablehnen: Auf diese Weise versuche Peking für Unsicherheit zu sorgen. Die USA sollen nicht sicher sein, wie weit China im Ernstfall gehen würde und über welche Maßnahmen die Volksrepublik verfüge.
Doch diese “strategische Unsicherheit” ist ein gefährliches Unterfangen. Immer wieder kommt es unvorhergesehen zu Zwischenfällen zwischen chinesischen und amerikanischen Einheiten – selbst an diesem Wochenende. Demnach soll sich ein chinesisches Kampfschiff dem Bug der USS Chung-Hoon bis auf weniger als 140 Meter genähert haben. Ein ähnlich riskanter Zwischenfall ereignete sich vergangene Woche zwischen einem US-Kampfjet und einem chinesischen Kampfflugzeug. Ohne feste Kommunikationskanäle auf militärischer Ebene ist die Gefahr groß, dass derartige Zwischenfälle ungeplant eskalieren und außer Kontrolle geraten.
Derartige Sorgen bestimmten am Wochenende auch die Sicherheitskonferenz in Singapur. Am Sonntag richtete der Gastgeber einen öffentlichen Appell an China und die USA.
Singapurs Verteidigungsminister Ng Eng Hen warnte: “Die Staats- und Regierungschefs Südostasiens sind zutiefst besorgt, dass eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen China und den USA unsere Staaten unweigerlich schwierige Entscheidungen aufzwingen wird.” Die Kommunikationskanäle zwischen den beiden Staaten müssten umgehend wieder aktiviert werden, forderte Ng und machte klar: Im Falle einer Krise ist es zu spät.
Auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius nahm am Shangri-La-Dialog teil. Er kündigte am Sonntag in Singapur an, dass die Bundesmarine im kommenden Jahr zwei Kriegsschiffe in den Indopazifik entsenden werde. Eine Fregatte und ein Versorgungsschiff würden 2024 in die Region aufbrechen. Die Einsätze der Bundesmarine seien nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet, sagte Pistorius laut Redemanuskript. “Sie dienen dem Schutz der regelbasierten internationalen Ordnung, die wir alle unterzeichnet haben und von der wir alle profitieren sollten – sei es im Mittelmeer, im Golf von Bengalen oder im Südchinesischen Meer.”
Zum 34. Jahrestag des Tian’anmen-Massakers ist in Hongkong und Taiwan der Geschehnisse des 4. Juni 1989 gedacht worden. In Hongkong wurden zahlreiche Menschen durchsucht und festgenommen. Vier Menschen wurden wegen “aufrührerischer” Absichten, weitere vier wegen Landfriedensbruch festgenommen. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen forderte am Sonntag die umgehenden Freilassung der Festgenommenen. In zahlreichen Städten auf der Welt fanden Gedenkveranstaltungen statt, darunter auch in New York, Berlin und Sydney.
Auf die Frage nach der Reaktion der Regierung in Peking auf die weltweiten Veranstaltungen anlässlich des Jahrestages sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Mao Ning, dass die Regierung bereits “zu einer klaren Schlussfolgerung über die politischen Unruhen in den späten 1980er-Jahren” gekommen sei.
In Festlandchina werden sämtliche Proteste und Erinnerungsveranstaltungen zum 4. Juni von jeher verhindert. Bürgerrechtler und Angehörige werden im Vorfeld des Jahrestages häufig unter Hausarrest gestellt oder an andere Orte gebracht. Besonders der Tian’anmen-Platz wird streng überwacht.
Eine Gruppe von Verwandten, die “Tian’anmen Mütter”, äußerten sich vor dem Jahrestag in einer Erklärung, die von der in New York ansässigen Menschenrechtsorganisation Human Rights in China veröffentlicht wurde. Darin sagten sie: “Die Qual endet nie. Obwohl 34 Jahre vergangen sind, quält uns, die Familienangehörigen der Getöteten, der Schmerz über den Verlust unserer Lieben in dieser einen Nacht bis heute”. Die Angehörigen fordern eine Aufarbeitung. “Wir warten darauf, dass die Regierung sich bei den Familien aller Opfer entschuldigt und dem Volk gegenüber ihr Bedauern über das Massaker von 1989 ausspricht.” Der Appell wurde von 116 Personen unterzeichnet.
Aufgrund der strikten Beschränkungen waren in diesem Jahr auch in Hongkong große Mahnwachen nicht möglich. Besonders im Victoria Park hatten sich sonst alljährlich Demonstranten zusammengefunden, um an die blutige Niederschlagung der Studentenproteste zu erinnern. 2019 waren es noch Zehntausende, die bei Kerzenlicht Andacht hielten. In diesem Jahr wurden 6.000 Polizisten eingesetzt, um Mahnwachen und Proteste zu verhindern, darunter Beamte der Terrorismusbekämpfung.
Hochrangige Beamte in Hongkong wollten keine Auskunft darüber geben, ob Gedenkveranstaltungen nach dem nationalen Sicherheitsgesetz illegal sind. China hatte dieses 2020 nach Massenprotesten in Hongkong erlassen und die Demokratiebewegung damit erstickt.
Stille Proteste gab es trotzdem – allerdings nur durch vereinzelte Personen, wie zum Beispiel die Besitzer von Buchläden. Die inhaftierte Hongkonger Aktivistin Chow Hang-tung, Anführerin einer Gruppe, die bisher Mahnwachen am 4. Juni organisiert hatte, kündigte einen 34-stündigen Hungerstreik an.
Im demokratischen Taiwan dagegen sind am 4. Juni Proteste und Mahnwachen erlaubt. Dort richteten Aktivisten auf dem Liberty Square in Taipeh eine Gedenkstätte ein, mit Trauerblumen und einer “Säule der Schande”.
Vizepräsident William Lai von der Demokratischen Fortschrittspartei sagte, dass die Ereignisse von 1989 diskutiert und erinnert werden müssten. “Die Erinnerungsveranstaltung am 4. Juni findet in Taipeh weiter statt. Das zeigt, dass Demokratie und Autoritarismus die größten Unterschiede zwischen Taiwan und China sind”, sagte Lai.
Taiwans Regierung forderte die Kommunistische Partei in China auf, über die Lehren der Niederschlagung der Demokratiebewegung zu reflektieren. Präsidentin Tsai Ing-wen äußerte die Hoffnung, dass junge Leute in China eines Tages die Freiheit bekommen, ohne Angst ihre Meinung auszudrücken. jul/rtr
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht China weiterhin als möglichen Vermittler. “China ist größer und starker als Russland und könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, Frieden zu schaffen“, sagte Selenskyj in einem Interview mit dem Wall Street Journal. “Ich würde nicht wollen, dass so ein Land einfach nur dabei zusieht, wie Menschen sterben. Für ein großes Land ist so eine Rolle einzunehmen die eigentliche Bedeutung von nationaler Größe. Das hier ist kein Gemälde und auch kein Museum. Es ist ein echter, blutiger Krieg.” Die ukrainische Regierung versucht, die Unterstützung von Ländern wie China, Indien und Brasilien zu gewinnen, die weiterhin gute Beziehungen zu Russland unterhalten.
Die Ukraine sei bereit für eine Gegenoffensive gegen Russland, sagte Selenskyj in dem Gespräch. Diese könnte allerdings lange dauern und sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln. Am Freitag trat in Peking erstmals seit seiner Rückkehr Chinas Sondergesandter für die Ukraine, Li Hui, für eine Pressekonferenz vor die Kameras. “Das Risiko einer Eskalation zwischen Russland und der Ukraine ist nach wie vor hoch“, sagte Li. Er sprach zudem davon, dass die Positionen der zwei Parteien sehr weit auseinander liegen und der Weg zum Verhandlungstisch “schwierig” sei.
Dass Lis Gespräche der letzten Wochen in Europa Bewegung in den Konflikt gebracht haben, schien eher nicht der Fall zu sein. Gefragt nach den Ursachen des Krieges, erwähnte der Diplomat den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht, sondern führte die Probleme der “europäischen Sicherheitsarchitektur” an. Die Krise hätte “historisch komplexe und realistische Gründe”, sagte Li. Damit folgte er dem bisher aus Peking verbreiteten Narrativ.
Der Sondergesandte versuchte bei seiner Pressekonferenz merklich, die Erwartungen an die Friedensinitiative herunterzudrehen. Um einen “schnellen Sieg” sei es bei seinen Verhandlungsgesprächen nie gegangen. Bei seinen Reisen sei es vor allem darum gegangen, die unterschiedlichen Positionen zu verstehen. Er kündigte an, dass eine zweite chinesische Delegation entsandt werde, einen Termin nannte er jedoch nicht.
China hat Russlands Angriff auf die Ukraine bisher nicht verurteilt. In einem Telefonat mit Xi Jinping im April hat Selenskyj diesen dazu angehalten, Russland nicht mit Waffen oder anderen Technologien zu versorgen. Xi hatte damals versichert, dies nicht zu tun.
Die EU arbeitet derzeit an ihrem elften Sanktionspaket gegen Russland. Darin soll der Fokus auf der Umgehung der bisherigen Strafmaßnahmen liegen. Das könnte nun auch chinesische Firmen treffen. Ein Durchbruch bei den Verhandlungen zu dem Sanktionspaket werden EU-Diplomatenkreisen zufolge für die kommende Woche erwartet. jul/ari
Die Brics-Gruppe möchte ihren globalen Einfluss weiter ausbauen. Auf einem Treffen der Außenminister und -ministerinnen der Gruppe in Kapstadt haben sich vor allem China und Russland für eine Erweiterung starkgemacht.
Derzeit gehören den Brics fünf große Schwellenländer an – neben China und Russland sind das Brasilien, Indien und Gastgeber Südafrika. Chinas Vizeaußenminister Ma Zhaoxu erklärte, sein Land freue sich über die Aussicht auf den Beitritt weiterer Länder. Dies würde Einfluss und Macht der Brics-Gruppe erhöhen, um die Interessen der Entwicklungsländer zu vertreten. Die Brics seien “inklusiv … in scharfem Kontrast zum kleinen Kreis einiger Länder”, sagte Ma – ein wie üblich verklausulierter Seitenhieb gegen die G7.
Mehr als ein Dutzend Länder haben Interesse an einem Beitritt zu den Brics gezeigt, darunter Iran, Saudi-Arabien, Venezuela, Argentinien, Algerien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Indonesien. Die Außenminister Irans und Saudi-Arabiens waren in Kapstadt sogar vor Ort.
China ist das wirtschaftliche und politische Schwergewicht der Gruppe. Sein Bruttoinlandsprodukt ist mehr als doppelt so groß wie das aller vier anderen Mitglieder zusammen. Die New Development Bank der Gruppe, auch Brics-Bank genannt, hat ihren Sitz in Shanghai. Warum China nicht Außenminister Qin Gang nach Kapstadt geschickt hatte, blieb aber unklar. Die weiteren vier Mitglieder hatten ihre Ressortchefs geschickt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow wurde dort – anders als im Herbst beim G20-Treffen – keineswegs gemieden, sondern als gleichberechtigtes Mitglied empfangen. ck
Bei einem Erdrutsch in einem Bergwerk in Chinas südwestlicher Provinz Sichuan sind einem Bericht des staatlichen Fernsehsenders CCTV zufolge am Sonntag 19 Menschen ums Leben gekommen. Der Erdrutsch ereignete sich gegen 6 Uhr morgens in einem Berggebiet nahe der Stadt Leshan im Süden der Provinz.
Demnach stürzte der Berghang auf die Produktions- und Wohnanlagen eines örtlichen Bergbauunternehmens. Mehr als 180 Rettungskräfte wurden zum Unglücksort entsandt, die Such- und Rettungsarbeiten sind inzwischen abgeschlossen. Die Ursache des Erdrutsches wird dem Bericht zufolge nun untersucht. rtr/jul
Ein ganzes Leben in einem Buch, mehr als 80 Jahre. Ein Mädchen, dessen Füße gebunden wurden – Füße, die auch als erwachsene Frau noch schmerzen, eine Zwangsheirat, Enteignung und Demütigung durch die Hand des Staates. Shi Mei hat dieses Leben aufgeschrieben, in ihrem deutschsprachigen Debütroman “Tamariske in der Wüste”, der im Herbst erscheint. Und hätte man Shi vor vielen Jahren gefragt, ob sie einmal ein Buch schreiben würde, sogar eines, das eng mit ihrer eigenen Familiengeschichte verwoben ist, hätte sie wohl entschieden den Kopf geschüttelt.
Shi ist in der Wüste geboren, in Taklamakan in Nordwestchina. Als Kind zog sie mit ihren Eltern in die Nähe der Kreisstadt Yongdeng und wuchs dort in der endlosen Weite der Wüste Gobi auf. Mit 16 machte sie eine Ausbildung zur Schweißerin und studierte später Englisch in Shanghai. “Die Zeit als Schweißerin am Wasserkraftwerk am Gelben Fluss war besonders prägend”, sagt Shi. Hier habe sie sich gewandelt – vom zufriedenen Landmädchen zu einer jungen Frau mit Entdeckungslust auf die weite Welt.
Von Shanghai wollte Shi zum Studieren nach Amerika, aber die Liebe durchkreuzte ihre Pläne, erzählt sie. In China lernte sie ihren deutschen Mann kennen und folgte ihm in der Transsibirischen Eisenbahn in seine Heimat – das war 1990. Hier orientierte sie sich neu, schloss eine Ausbildung zur Informatikerin ab. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Prokuristin in einer Firma für Sondermaschinenbau, sie übersetzt und dolmetscht im technischen Bereich. Und jetzt ein Roman in der Sprache, die sie erst lernen musste: “Dass ich auch auf Deutsch schreibe, begann mit der Beerdigungsfeier meiner Großmutter.”
Als Shis chinesische Großmutter starb, kamen mehr als 300 Menschen aus dem Dorf zu ihrer Beerdigung, verbrannten Totengeld und nahmen Abschied. “Das hat mich tief beeindruckt und ich begann, Details aus ihrem Leben zu recherchieren und ihre Geschichte aufzuschreiben.”
Ihre Großmutter sei wie ein Spiegelbild für so viele Frauen ihrer Zeit, sagt Shi. Ihr Roman soll deutschen Leserinnen und Lesern von den chinesischen Sitten und Bräuchen des 20. Jahrhunderts erzählen, vom Leben in einer großen Familie und den Zwängen der geltenden Schönheitsideale. “Meine Großmutter, die meiner Hauptfigur als Vorbild galt, überlebte nicht nur die harten Zeiten, sondern erblühte auch.”
Im Herbst wird Shi auf ihre erste Lesereise gehen, aber bis dahin hat sie noch einiges zu tun: “Ich schreibe gerade an meinem zweiten Roman, der im Sommer fertig werden soll”, erzählt sie. Auch darin werden Elemente ihrer eigenen Biografie auftauchen. “Es gibt ein Mädchen, das in der Wüste Taklamalan geboren ist, und nach Deutschland auswandert” – so viel möchte sie schon jetzt verraten. Svenja Napp
Martin Benninghoff wird Ende des Jahres neuer China-Korrespondent für das Handelsblatt. Bisher leitet Benninghoff das Politik-Ressort der Frankfurter Rundschau.
Simina Mistreanu wird neue Korrespondentin für die Region Greater China bei der Nachrichtenagentur Associated Press. Sie wird von Taipeh aus berichten.
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In heißem Fett ausgebackene Teigstreifen (油条 yóutiáo), frisch frittierte Frühlingsröllchen (春卷 chūnjuǎn), rot geschmorte Schweineschwarte (红烧肉 hóngshāoròu) und knusprig gebackene Pekingente (北京烤鸭 Běijīng kǎoyā) – in der chinesischen Küche wird es gerne mal fettig, deftig, ölig. Doch wussten Sie, dass das auch für das Zwischenmenschliche gelten kann?
Chinas Damenwelt schimpft neuerdings gerne über “fettige” beziehungsweise “ölige” Typen. Wer jetzt an unappetitliche Themen wie fettige Haare, speckige Handyhüllen oder schmalzige Ohren denkt, kratzt semantisch leider nur an der Oberfläche. Denn das Attribut 油腻 yóunì (wörtlich “fettig, ölig”) greift im neuen, übertragenen Sinne noch weiter. Als yóunì sind in China schmierige Typen mittleren Alters verschrien, die einfach peinlich und trotz ihres nicht wirklich fortgeschrittenen Alters furchtbar altbacken, wenig elegant, wenn nicht sogar ein bisschen unachtsam verlottert sind, im gesamten Auftreten und der Wortwahl eben alles andere als zum Dahinschmelzen.
Zwar stehen solche Männerexemplare in der Mitte des Lebens, doch sie geben sich altklug und grundlos weltmännisch, bringen ständig schnulzige bis schleimige Sprüche oder erklären Gott und die Welt. Trotz ihres überbordenden Selbstbewusstseins sind diese Herren dem Empfinden des weiblichen Geschlechts nach allerdings ein klarer Reinfall. In den sozialen Medien finden sich dieser Tage etliche Videos von Frauen, die diese schmierigen Typen imitieren.
Der Trendbegriff 油腻 yóunì setzt sich zusammen aus den Wortbestandteilen 油 yóu “Öl, ölig” und 腻 nì “fettig, schwer verdaulich”. Letzteres Zeichen kann im übertragenen Sinne auch “etwas satthaben” bedeuten.
Ursprünglich wurde das Wort natürlich im kulinarischen Kontext verwendet. Mittlerweile ist es in der chinesischen Umgangssprache aber zu einer gängigen Moserschablone für vieles Schmierige oder Schmalzige avanciert. Und um nicht unnötig Öl in den Genderzwist zu gießen, sei gesagt, dass natürlich auch die Damenwelt manchmal als fetttriefend verulkt werden kann, im Falle öliger Wortwahl oder schmierigen Verhaltens. Prototypisch bekommen allerdings tatsächlich in der Regel männliche Möchtegern-Macker mit der Trendvokabel ihr Fett weg.
Wenn es bei Ihrem Chinesisch-Studium läuft wie geschmiert, werden Ihnen Ihre chinesischen Gesprächspartner übrigens über die Jahre noch die eine oder andere “ölige” Vokabel unterbuttern. So etwa die eingangs erwähnte frittierte Teigstange namens 油条 yóutiáo, der man vokabelmäßig als Newbie schon mal auf den Leim gehen kann. Denn “Ölteigstange”, genauer gesagt “alte Ölteigstange” (老油条 lǎoyóutiáo), ist das chinesische Sprachpendant zu unserem “alten Fuchs”. Gemeint sind aalglatte Kerle oder Ladies, die schon lange im Geschäft sind, wissen wie der Hase läuft und sich darauf verstehen, sich durchzumogeln beziehungsweise Schlupflöcher für sich zu entdecken.
Nicht selten nutzen solche Exemplare zudem gewieft ihren sogenannten “Ölmund” (油嘴 yóuzuǐ), um Butter bei die Fische zu geben, sprich: ihre Ziele geschickt zu erreichen. Statt anderen Honig ums Maul zu schmieren, wie man im Deutschen sagen würde, ölt man in China lieber die Lippen. Als 油嘴 yóuzuǐ (auch in der Langversion 油嘴滑舌 yóuzuǐ-huáshé “öliger Mund und glitschige Zunge”) tituliert man im Reich der Mitte also wortgewandte Schmeichler beziehungsweise aalglatte Schleimer. Nützlich für den Alltagsgebrauch ist hier auch das Sätzchen: 他嘴很油 Tā zuǐ hěn yóu – “Er ist ein Schleimer” (wörtlich: sein Mund ist sehr fettig / ölig).
Feuern freudig erregte chinesische Freunde Sie beim Firmenfußball-Match an und dazu auf, “Öl hinzuzugeben” (加油! jiāyóu!), kommen Sie bitte ebenfalls nicht auf falsche Gedanken. Sie werden nicht dazu angestiftet, Öl ins Feuer zu gießen, sondern all ihre Kräfte in die Partie reinzubuttern. Für Mandarin-Cracks sicher nichts Neues: 加油 jiāyóu ist ein typischer Anfeuerungsspruch in China, der wörtlich “Gib Gas!” bedeutet (eine Kurzform von 加大油门 jiādà yóumén “mehr Gas geben / stärker aufs Gas drücken”). Er wird nicht nur im Sport verwendet, sondern taucht fast schon inflationär in allen möglichen Lebenslagen auf, in denen Chinesen Ihnen Mut zusprechen beziehungsweise Sie anspornen wollen. Im Deutschen sind die Übersetzungsmöglichkeiten daher je nach Kontext weit gefächert und reichen von “Auf geht’s!” über “Gib alles!” bis hin zu “Du schaffst das!”.
Butterweiche Knie bekommt man derweil, wenn man erfährt, was es mit der nächsten Schmalzvokabel auf sich hat, dem “Abwasserkanal-Öl”, auf Chinesisch 地沟油 dìgōuyóu (von 地沟 dìgōu – Abwasserkanal / Abwassertunnel). Das Wort hat tatsächlich einen eigenen Wörterbucheintrag. Leider ist hier ausnahmsweise mal genau das gemeint, wonach es klingt. Es geht um Öl im Abwasserkanal, besser gesagt aus dem selbigen. In der Vergangenheit gab es in Chinas Städten nämlich immer mal wieder betrügerische Gastronomie-Ganoven, die einen Reibach damit machten, das Speiseöl aus dem Abwasser von Restaurants abzuschöpfen und auf unappetitliche Weise zu recyceln. In aufbereiteter Form landete das alte Brat- und Frittierfett dann erneut in der Wokpfanne und damit im Magen.
Der Hintergrund: In der chinesischen Küche wird bekanntlich gebraten und gebrutzelt, was das Zeug hält. Die Cuisine ist für ihren hohen Speiseölbedarf bei der Zubereitung berüchtigt, der auch einen hohen Kostenfaktor darstellt. In diesem Zusammenhang wundert es dann auch kaum, dass unsere “Küchenschürze” auf Chinesisch neben 围裙 (wéiqún) “Umwickelkleid” oder “Umwickelrock” auch einfach “Ölrock” (油裙 yóuqún) heißt. Zurück aber zum “Ekelöl”: Glücklicherweise nahmen Chinas Behörden das Problem sehr ernst und in Angriff und trockneten den Öl-Mafia-Sumpf erfolgreich aus, sodass man seine triefenden Teigstangen heute im Regelfall wieder allerorts bedenkenlos genießen kann.
Völlig harmlos ist es dagegen, wenn in China Ölsterne (油星子 yóuxīngzi oder油星 yóuxīng) beziehungsweise Fettblumen (油花 yóuhuā) in der Suppe schwimmen. Beides sind poetische Pendants zu unseren deutschen “Fettaugen”. Hier ist wohl eher die deutsche Vokabel für Fremdsprachenlerner etwas scary oder zumindest gewöhnungsbedürftig.
Nach Energieeinsparung klingt derweil die letzte Schmiervokabel für heute, nämlich die “Ölsparlampe” (省油灯 shěngyóudēng). Die einzigen, die hier allerdings Energie sparen, sind potenzielle Wettstreiter und Widersacher. Gemeint sind nämlich Duckmäuser beziehungsweise Ja-Sager, die auf Sparflamme laufen, kaum aus der Reihe tanzen und daher leicht zu handhaben beziehungsweise einzuschüchtern sind.
So viel fettiges Idiomatisches will jetzt natürlich erst einmal sprachlich verdaut sein. Doch vielleicht rutscht ja die eine oder andere deftige Vokabel in ihren aktiven Wortschatz und sie ölen und polieren so ihre chinesische Ausdrucksweise. Damit dürften Sie dann sicher Eindruck schinden, wenn nicht sogar überschwängliche Komplimente ernten. Und Chinesisch-Lob geht bekanntlich, wie wir unter Sprachlernern natürlich alle wissen, runter wie Öl.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.