die chinesische Regierung hat ihre Null-Covid-Strategie diskret beerdigt. Wo sich demokratische Minister hingestellt und lautstark Lockerungen verkündet hätten, treten in China Bürokraten vor die Presse und sprechen von “Optimierungen” der bestehenden Politik.
Tatsächlich ist alles abgeschafft, was Null-Covid ausmacht: flächendeckende Lockdowns, strenge Isolation von Fällen und Kontakten, das Diktat der Corona-App, zermürbende Dauertesterei und ständiger Distanzunterricht. Stattdessen heißt es jetzt: Impfen, Impfen, Impfen. Xi Jinping ist eben doch für Überraschungen gut.
Dass sich die Partei dabei auch dem Druck der Straße gebeugt hat, wird sie offiziell nicht zugestehen, nicht einmal öffentlich dementieren. Stattdessen wird sie ihre eigene Geschichte stricken, die die Ereignisse der vergangenen Tage als Politik aus einem Guss darstellen wird. Denn die Partei, so lehrt uns der heutige Standpunkt eines anonymen chinesischen Autors, die hat einfach inmer recht.
Die Corona-Maßnahmen waren in den vergangenen zweieinhalb Jahren die größte Quelle für Unmut unter chinesischen und ausländischen Bewohnern des Landes – jetzt kommen die Lockerungen Schlag auf Schlag. Die Gesundheitskommission hat am Mittwoch eine Pressekonferenz abgehalten und darin de facto das Ende der Null-Covid-Strategie bekannt gegeben. Offiziell handelt es allerdings nur um ihre “aktive Optimierung”, schließlich war die Strategie bis gestern noch hochgelobte Staatsdoktrin.
Hier die Änderungen im Überblick:
Das Programm klingt nach einer enormen Befreiung für die Lockdown-geplagten Stadtbewohner. Es ist ganz offensichtlich die Antwort auf die Unzufriedenheit, die sie klar geäußert haben. Doch die Lockerungen werfen Fragen auf.
Der Berliner Virologe Christian Drosten warnt in einem Interview sogar davor, dass China zur Brutstätte für neue Varianten werden könnte. Ein mutationsfreudiges Virus trifft dort auf eine große und nur wenig immune Bevölkerung.
Tatsächlich ist eine Rückkehr zu Kontaktbeschränkungen wahrscheinlich, wenn auch durch die Hintertür. Wenn sich Corona unter Schülerinnen und Schülern ausbreitet, werden die Schulen eben doch schließen müssen. Die Omikron-Variante von Sars-CoV-2 ist so ansteckend, dass die radikalen Kontaktbeschränkungen der vergangenen acht Monate das einzig wirksame Mittel waren, das Virus zu kontrollieren (China.Table berichtete). Das ist einer der Gründe dafür, dass China im Frühjahr nach weitgehend virusfreien zwei Jahren plötzlich so heftige Probleme bekommen hat.
Jetzt droht China eine exponentielle Ausbreitung: Fallzahlen, die immer schneller steigen. Das lässt sich nur schwer wieder einfangen. Auch wenn Vize-Ministerpräsidentin Sun Chunlan als Grund für die Lockerungen die Harmlosigkeit von Omikron nennt: Die Variante ist für ältere und vorerkrankte Patienten mit schlechtem Impfschutz auch keineswegs harmlos – die Sterberate war in Europa vor allem wegen der Booster-Impfungen gesunken. China hat pro Kopf zudem nur halb so viele Krankenhausbetten wie Deutschland. Nur 68 Prozent der chinesischen Senioren sind geboostert, in Deutschland sind es 86 und in Japan 90 Prozent.
Umso dringender ist es jetzt, die Impfquote unter den Älteren hochzutreiben. Zheng Zhongwei, Direktor des Wissenschaftszentrums der Nationalen Gesundheitskommission, betonte die Sicherheit und Wirksamkeit des chinesischen Corona-Vakzins. Die älteren Menschen sollen sich unbedingt boostern lassen, so die Kommission; eine Impfpflicht werde es aber nicht geben. Auch die 18- bis 59-Jährigen, deren Impfung mehr als ein halbes Jahr zurückliege, bräuchten eine Auffrischung.
In China läuft also eine neue Impfkampagne an. Doch bis die Gefährdeten geboostert sind, wird es noch dauern. Auf eine Überlastung der Krankenhäuser in der Zwischenzeit kann die Gesundheitskommission eigentlich nur mit einer Rückkehr zu Einschränkungen reagieren.
Die Download-Zahlen von Twitter und Telegram sind in China in den letzten Tagen nach oben geschnellt. Das berichtet die South China Morning Post. Twitter stand am Montag demnach auf Platz acht der beliebtesten kostenfreien iOS-Apps. Normalerweise liegt das Programm jenseits von Platz 100. Telegram stieg am Sonntag sogar auf Platz sechs der sozialen Netzwerke und konnte sich einige Tage auf diesem Rang halten.
Die Beliebtheit der Apps steht im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten gegen die strengen Covid-Maßnahmen, die am Wochenende Fahrt aufnahmen. Während Videos und Bilder der Proteste auf den am meisten verbreiteten chinesischen Diensten WeChat und Weibo schnell gelöscht wurden, waren sie auf Twitter und Telegram verfügbar. In China können Twitter und Telegram nur über einen VPN-Client verwendet werden, da sie zensiert sind. jul
Die Polizei nutzt offenbar Gesichtserkennungssoftware und Handydaten, um Demonstranten aufzuspüren und festzunehmen, die vergangenes Wochenende gegen die Covid-Maßnahmen auf die Straße gegangen sind. Das sagte die Menschenrechtsanwältin Wang Shengsheng aus der Stadt Zhengzhou der Nachrichtenagentur AFP. Sie bietet Demonstranten kostenlose Rechtsberatung an.
In Peking könnte die Polizei die Standortdaten von Telefonen verwendet haben, die entweder von Scannern vor Ort erfasst wurden oder beim Überprüfen der Corona-App, vermutet die Juristin. Viele ihrer Klienten aus Peking reagierten verwirrt auf Vorwürfe der Polizei: Sie waren nun an einer Demo vorbeigelaufen, hatten aber nicht teilgenommen. Wie AFP berichtet, haben mehr als 20 Menschen in den vergangenen Tagen Rat bei der Anwältin gesucht. flee
Unter dem Motto “Chinas weißes Blatt für Freiheit” protestierten am Samstag rund 300 Menschen auf der Jannowitzbrücke vor der chinesischen Botschaft in Berlin. Auf ihren Plakaten forderten sie ein Ende der Lockdowns, aber auch Rede- und Pressefreiheit, sowie die Freilassung von in China festgenommenen Demonstrierenden. Einige Schilder zeigten Karikaturen, darunter Xi Jinping als Pu der Bär und “Xitler” mit Hitlerbärtchen. Flankiert wurde die Menge – in der sich auch Taiwaner, Hongkonger und Uiguren befanden – von zwei Polizeibussen.
Viele Teilnehmer hatten aus Angst vor Verfolgung ihre Gesichter vermummt, trugen Masken und Sonnenbrillen. Als am Nachmittag im obersten Stockwerk des Botschaftsgebäudes ein Mann ans Fenster trat und die Menge mit einem Smartphone filmte, skandierten die Demonstranten “下来做核酸” – “komm runter und mach einen Covid-Test”. Auch ertönten wie bereits bei den Demonstrationen in Shanghai Rufe, die den Rücktritt Xi Jinpings und das Ende der Einparteienherrschaft forderten.
Im Laufe des Nachmittags hielten mehrere Teilnehmer Reden auf Deutsch, Englisch und Chinesisch, unter ihnen ein junger Uigure und zwei Austauschstudentinnen, die erklärten, dass die “Diktatur die Fessel des Volkes” sei und “eine gesunde Gesellschaft viele unterschiedliche Stimmen” brauche.
Zu den Sprechenden gehörte Luo Shengchun, Ehefrau des inhaftierten Menschenrechtsanwalts Ding Jiaxi, die sich während eines Berlin-Besuchs spontan entschieden hatte, an der Versammlung teilzunehmen. Luo las aus einem Brief ihres Ehemanns, den dieser im April seinem Anwalt diktiert hatte. Am Rande des Protests äußerte Luo gegenüber China.Table ihre Hoffnung auf Veränderung. “Ich denke, dass die Weiß-Papier-Revolution Erfolg haben wird. Aber es braucht Zeit. Wir müssen weiter kämpfen, bis alle politischen Gefangenen frei sind.” fpe
Die Organisation International Campaign for Tibet (ICT) ruft die Bundesregierung dazu auf, den Tibet-Konflikt mit in ihre China-Strategie aufzunehmen. “Eine kohärente China-Politik der Bundesregierung sollte die Frage der Menschenrechte und die Rechte ganzer Volksgruppen wie der Tibeter als einen zentralen Bestandteil ihrer Beziehungen zur Volksrepublik China verstehen”, forderte Kai Müller, Geschäftsführer von ICT.
Zumindest Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) will die wirtschaftliche Kooperation mit China stärker als bisher von der dortigen Menschenrechtslage abhängig machen. Das geht aus dem Entwurf für eine neue China-Strategie der Bundesregierung hervor. Das Papier hat das Auswärtige Amt Mitte November an die anderen Ministerien verteilt und befindet sich in der Abstimmung. Es wird damit gerechnet, dass insbesondere das Kanzleramt unter Olaf Scholz (SPD) allzu scharfe Kritik an China herausnehmen wird. flee
Das kanadische Büro von Amnesty International war nach eigenen Angaben Opfer einer chinesischen Cyberattacke. Der Hackerangriff sei erstmals am 5. Oktober entdeckt worden, erklärte Ketty Nivyabandi, Generalsekretärin von Amnesty International Kanada am Montag in einem Statement. Die Hacker verfolgten demnach unter anderem das Ziel, Kontaktlisten zu stehlen und die Pläne der Organisation auszuspionieren. Auch prominente chinesische Aktivisten standen bei dem “ausgefeilten” Hackerangriff im Fokus. Aufgrund der verwendeten Technik und der Vorgehensweise stehe vermutlich eine “vom chinesischen Staat geförderte oder beauftragte” Gruppe hinter der Attacke, erklärt Secureworks, ein US-Dienstleister für Cybersicherheit. fpe
Ein wesentlicher Aspekt der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Chinas ist: Wer einmal dabei ist, kann nicht mehr austreten.
Die Möglichkeit, aus der Partei auszutreten, ist zwar in der Satzung der Partei verankert, aber praktisch existiert sie nicht. Der einzige Weg, die Partei zu verlassen, ist der Ausschluss. Und wenn es einmal so weit ist, hat man ein großes Problem. Das ist einer der Gründe, warum die Zahl der Parteimitglieder stetig ansteigt. Ein anderer Grund ist natürlich die wachsende Bevölkerungszahl in China.
Als weltweit größte politische Vereinigung rühmt sich die KPCh mit 97 Millionen Mitgliedern, was ungefähr der gesamten Bevölkerung von Deutschland, Österreich und der Schweiz entspricht. Wie viele davon tatsächlich an den Kommunismus glauben, lässt sich dagegen unmöglich sagen. Aber diese Zahl dürfte nahezu bei null liegen.
In China – wie auch in anderen Teilen der Welt – ist der Kommunismus als Ideologie bankrott. Obwohl die Partei immer noch den Stempel des Kommunismus trägt, entfernt sie sich nicht nur von der klassischen kommunistischen Zukunftsvision, sondern auch von den grundlegenden Doktrinen des Marxismus, wie etwa der Analyse der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeitern.
Vielmehr entwickeln die Spitzenpolitiker und hochrangigen Apparatschiks laufend neue Konzepte und Theorien, wie zuletzt den “Chinesischen Traum” und “Xi Jinpings Ideen des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter”. Im Mittelpunkt des stetig wachsenden Flickenteppichs von Jargons stehen folgende Aspekte: Die Aufgabe der KP China ist es,
Jedes Parteimitglied vermag Slogans zu diesen Zielen oder Abwandlungen davon zu skandieren. Einige sind sogar in der Lage, lange Vorträge darüber zu halten. Aber die Zahl derjenigen, die der Partei aufrichtig aus diesen Gründen beitreten, ist äußerst gering.
Infolge der zügellosen Korruption und der chronischen sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit herrscht nahezu im gesamten Land blanker Zynismus. Die Menschen verfolgen ausschließlich ihre Eigeninteressen.
Obwohl es der KPCh an überzeugenden, inspirierenden politischen Ideen mangelt, hat sie sich dennoch unangefochten an der Macht gehalten. Und es ist eine ungeschriebene Regel, dass die oberste Führungsriege jeder staatlichen Organisation auf allen Ebenen Mitglied der Partei sein muss. Dies gilt auch für die Armee, staatliche Unternehmen und sonstige öffentliche Einrichtungen, wie Krankenhäuser und Universitäten.
Die Partei, die Staatsunternehmen und der öffentliche Sektor stehen im kommunistischen China immer an oberster Stelle. Unter Xi Jinping ist ihre Position noch stärker geworden. Wer berufliche oder persönliche Ambitionen hegt, weiß also, wohin er sich wenden muss. Eine Mitgliedschaft mag zwar keine Garantie für Macht und Geld sein, aber schaden kann sie auf jeden Fall nicht.
Wer Mitglied werden möchte, muss fachliche Kompetenz vorweisen. Am wichtigsten ist jedoch, der Parteilinie zu folgen, das heißt, sich dem Parteisprech zu bedienen und der Parteipolitik stets die Treue zu halten. Freies Denken oder das Äußern von abweichenden Gedanken ist ein absolutes Tabu. Das wahre Ich muss stets verborgen bleiben, egal, wie es auch aussehen mag.
Doch mit einem Beitritt ist es noch lange nicht getan. Die Parteikomitees aller Organisationen auf den verschiedenen Ebenen schulen ihre Mitglieder im Rahmen von Versammlungen und Studiensitzungen laufend in den neuesten Konzepten und Richtlinien. Dabei bedienen sie sich zum Beispiel Abschriften von Parteiführern und Büchern über deren Gedanken und Theorien.
Von Zeit zu Zeit werden besonders vorbildliche Parteimitglieder präsentiert, die angeblich ihre Freizeit dem Parteistudium widmen. Das interessanteste Beispiel war ein junges Paar, das 2016 in seiner Hochzeitsnacht die Parteisatzung abschrieb.
Die Partei betreibt zudem Parteischulen auf Zentral-, Provinz- und Kreisebene. Parteifunktionäre der oberen und mittleren Ränge müssen alle paar Jahre abwechselnd eine Vollzeitschulung über Parteipolitik absolvieren. Die Kurse können dabei bis zu 4 Monate dauern (und sind übrigens eine großartige Gelegenheit zum Knüpfen von Kontakten).
Im Zeitalter der Neuen Medien hat die Partei mit dem technischen Fortschritt bestens Schritt gehalten. Sie hat eine eigene Internetseite und eine ausgefeilte App zur Bildung ihrer Mitglieder entwickelt. Sie heißen auf Chinesisch “Xuexi Qiangguo”, was wörtlich übersetzt “studiere und stärke die Nation” bedeutet. Dort haben Mitglieder auch die Möglichkeit, sich anhand von Quizfragen selbst zu testen. Typische Fragen lauten etwa: “Was sind die wichtigsten Punkte von Xi Jinpings Gedanken zur Diplomatie?” Oder: “Welche Strafe erhält ein Mitglied, wenn es unbegründete Kritik an der zentralen Führung der Partei übt?”
In einer Bildungskampagne haben zahlreiche Parteigremien festgelegt, wie viel Zeit ihre Mitglieder auf der Website oder in der App verbringen müssen. Ausschussvorsitzende oder Mandatsträger haben die Möglichkeit, dies zu überprüfen.
Sämtliche Bildungsmaßnahmen dienen in gewisser Weise der Gehirnwäsche. Es handelt sich um Rituale, die die Treue zur Partei fördern sollen. Das größte aller Rituale ist der große Parteikongress, der einmal alle fünf Jahre stattfindet.
Hin und wieder gehen einige Bildungsinitiativen nach hinten los. Auf dem letzten Parteitag 2017 rief Xi die Mitglieder dazu auf, “das ursprüngliche Herz nicht zu vergessen und die Mission fest im Gedächtnis zu behalten”. Kurz darauf wurde eine Bildungsinitiative mit diesem Zitat als Thema gestartet. Als Lernmaterial diente der im selben Jahr erschienene deutsche Film “Der junge Karl Marx”, der das Leben von Marx zwischen 1843 und 1848 zeigt. Parteimitglieder und Regierungsangestellte wurden aufgerufen, sich den Film während der Arbeitszeit in Kinos anzuschauen.
Es scheint keine schlechte Idee zu sein, dass eine kommunistische Partei Marx als ihr “ursprüngliches Herz” aufgreift.
Unglücklicherweise wurde dabei übersehen, dass ein zentrales Thema, mit dem sich Marx befasste, das durch kapitalistische Ausbeutung verursachte Elend der Arbeiter war. Etwas, das zufälligerweise im heutigen China lautstark Anklang fand.
Selbstverständlich hatten die Studenten der renommierten Peking-Universität eine unabhängige Gesellschaft für Marxismus gegründet. Einige von ihnen schlossen sich den Arbeitern in Peking und Shenzhen an, um für die Rechte der Arbeiter zu demonstrieren, was wiederum zu einem harten Durchgreifen der Regierung in Peking führte.
Damit wurde den Partei- und Regierungsfunktionären klar, dass ein grundlegender Bestandteil des Marxismus sehr gefährlich ist. So ist das Lied “Die Internationale”, die Hymne der sozialistischen Arbeiterbewegung, die die Unterdrückten auffordert, sich zum Kampf zu erheben, in China inzwischen praktisch verboten. Wer das Lied laut und öffentlich singt, sei es als Einzelner oder in einer Gruppe, riskiert die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zu ziehen und verhaftet zu werden.
Die marxistischen Lehren, auf die sich die Partei nach wie vor bequem berufen kann, sind das Volkseigentum und die Diktatur des Proletariats, mit denen die Partei ihr Macht- und Wirtschaftsmonopol begründet.
die chinesische Regierung hat ihre Null-Covid-Strategie diskret beerdigt. Wo sich demokratische Minister hingestellt und lautstark Lockerungen verkündet hätten, treten in China Bürokraten vor die Presse und sprechen von “Optimierungen” der bestehenden Politik.
Tatsächlich ist alles abgeschafft, was Null-Covid ausmacht: flächendeckende Lockdowns, strenge Isolation von Fällen und Kontakten, das Diktat der Corona-App, zermürbende Dauertesterei und ständiger Distanzunterricht. Stattdessen heißt es jetzt: Impfen, Impfen, Impfen. Xi Jinping ist eben doch für Überraschungen gut.
Dass sich die Partei dabei auch dem Druck der Straße gebeugt hat, wird sie offiziell nicht zugestehen, nicht einmal öffentlich dementieren. Stattdessen wird sie ihre eigene Geschichte stricken, die die Ereignisse der vergangenen Tage als Politik aus einem Guss darstellen wird. Denn die Partei, so lehrt uns der heutige Standpunkt eines anonymen chinesischen Autors, die hat einfach inmer recht.
Die Corona-Maßnahmen waren in den vergangenen zweieinhalb Jahren die größte Quelle für Unmut unter chinesischen und ausländischen Bewohnern des Landes – jetzt kommen die Lockerungen Schlag auf Schlag. Die Gesundheitskommission hat am Mittwoch eine Pressekonferenz abgehalten und darin de facto das Ende der Null-Covid-Strategie bekannt gegeben. Offiziell handelt es allerdings nur um ihre “aktive Optimierung”, schließlich war die Strategie bis gestern noch hochgelobte Staatsdoktrin.
Hier die Änderungen im Überblick:
Das Programm klingt nach einer enormen Befreiung für die Lockdown-geplagten Stadtbewohner. Es ist ganz offensichtlich die Antwort auf die Unzufriedenheit, die sie klar geäußert haben. Doch die Lockerungen werfen Fragen auf.
Der Berliner Virologe Christian Drosten warnt in einem Interview sogar davor, dass China zur Brutstätte für neue Varianten werden könnte. Ein mutationsfreudiges Virus trifft dort auf eine große und nur wenig immune Bevölkerung.
Tatsächlich ist eine Rückkehr zu Kontaktbeschränkungen wahrscheinlich, wenn auch durch die Hintertür. Wenn sich Corona unter Schülerinnen und Schülern ausbreitet, werden die Schulen eben doch schließen müssen. Die Omikron-Variante von Sars-CoV-2 ist so ansteckend, dass die radikalen Kontaktbeschränkungen der vergangenen acht Monate das einzig wirksame Mittel waren, das Virus zu kontrollieren (China.Table berichtete). Das ist einer der Gründe dafür, dass China im Frühjahr nach weitgehend virusfreien zwei Jahren plötzlich so heftige Probleme bekommen hat.
Jetzt droht China eine exponentielle Ausbreitung: Fallzahlen, die immer schneller steigen. Das lässt sich nur schwer wieder einfangen. Auch wenn Vize-Ministerpräsidentin Sun Chunlan als Grund für die Lockerungen die Harmlosigkeit von Omikron nennt: Die Variante ist für ältere und vorerkrankte Patienten mit schlechtem Impfschutz auch keineswegs harmlos – die Sterberate war in Europa vor allem wegen der Booster-Impfungen gesunken. China hat pro Kopf zudem nur halb so viele Krankenhausbetten wie Deutschland. Nur 68 Prozent der chinesischen Senioren sind geboostert, in Deutschland sind es 86 und in Japan 90 Prozent.
Umso dringender ist es jetzt, die Impfquote unter den Älteren hochzutreiben. Zheng Zhongwei, Direktor des Wissenschaftszentrums der Nationalen Gesundheitskommission, betonte die Sicherheit und Wirksamkeit des chinesischen Corona-Vakzins. Die älteren Menschen sollen sich unbedingt boostern lassen, so die Kommission; eine Impfpflicht werde es aber nicht geben. Auch die 18- bis 59-Jährigen, deren Impfung mehr als ein halbes Jahr zurückliege, bräuchten eine Auffrischung.
In China läuft also eine neue Impfkampagne an. Doch bis die Gefährdeten geboostert sind, wird es noch dauern. Auf eine Überlastung der Krankenhäuser in der Zwischenzeit kann die Gesundheitskommission eigentlich nur mit einer Rückkehr zu Einschränkungen reagieren.
Die Download-Zahlen von Twitter und Telegram sind in China in den letzten Tagen nach oben geschnellt. Das berichtet die South China Morning Post. Twitter stand am Montag demnach auf Platz acht der beliebtesten kostenfreien iOS-Apps. Normalerweise liegt das Programm jenseits von Platz 100. Telegram stieg am Sonntag sogar auf Platz sechs der sozialen Netzwerke und konnte sich einige Tage auf diesem Rang halten.
Die Beliebtheit der Apps steht im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten gegen die strengen Covid-Maßnahmen, die am Wochenende Fahrt aufnahmen. Während Videos und Bilder der Proteste auf den am meisten verbreiteten chinesischen Diensten WeChat und Weibo schnell gelöscht wurden, waren sie auf Twitter und Telegram verfügbar. In China können Twitter und Telegram nur über einen VPN-Client verwendet werden, da sie zensiert sind. jul
Die Polizei nutzt offenbar Gesichtserkennungssoftware und Handydaten, um Demonstranten aufzuspüren und festzunehmen, die vergangenes Wochenende gegen die Covid-Maßnahmen auf die Straße gegangen sind. Das sagte die Menschenrechtsanwältin Wang Shengsheng aus der Stadt Zhengzhou der Nachrichtenagentur AFP. Sie bietet Demonstranten kostenlose Rechtsberatung an.
In Peking könnte die Polizei die Standortdaten von Telefonen verwendet haben, die entweder von Scannern vor Ort erfasst wurden oder beim Überprüfen der Corona-App, vermutet die Juristin. Viele ihrer Klienten aus Peking reagierten verwirrt auf Vorwürfe der Polizei: Sie waren nun an einer Demo vorbeigelaufen, hatten aber nicht teilgenommen. Wie AFP berichtet, haben mehr als 20 Menschen in den vergangenen Tagen Rat bei der Anwältin gesucht. flee
Unter dem Motto “Chinas weißes Blatt für Freiheit” protestierten am Samstag rund 300 Menschen auf der Jannowitzbrücke vor der chinesischen Botschaft in Berlin. Auf ihren Plakaten forderten sie ein Ende der Lockdowns, aber auch Rede- und Pressefreiheit, sowie die Freilassung von in China festgenommenen Demonstrierenden. Einige Schilder zeigten Karikaturen, darunter Xi Jinping als Pu der Bär und “Xitler” mit Hitlerbärtchen. Flankiert wurde die Menge – in der sich auch Taiwaner, Hongkonger und Uiguren befanden – von zwei Polizeibussen.
Viele Teilnehmer hatten aus Angst vor Verfolgung ihre Gesichter vermummt, trugen Masken und Sonnenbrillen. Als am Nachmittag im obersten Stockwerk des Botschaftsgebäudes ein Mann ans Fenster trat und die Menge mit einem Smartphone filmte, skandierten die Demonstranten “下来做核酸” – “komm runter und mach einen Covid-Test”. Auch ertönten wie bereits bei den Demonstrationen in Shanghai Rufe, die den Rücktritt Xi Jinpings und das Ende der Einparteienherrschaft forderten.
Im Laufe des Nachmittags hielten mehrere Teilnehmer Reden auf Deutsch, Englisch und Chinesisch, unter ihnen ein junger Uigure und zwei Austauschstudentinnen, die erklärten, dass die “Diktatur die Fessel des Volkes” sei und “eine gesunde Gesellschaft viele unterschiedliche Stimmen” brauche.
Zu den Sprechenden gehörte Luo Shengchun, Ehefrau des inhaftierten Menschenrechtsanwalts Ding Jiaxi, die sich während eines Berlin-Besuchs spontan entschieden hatte, an der Versammlung teilzunehmen. Luo las aus einem Brief ihres Ehemanns, den dieser im April seinem Anwalt diktiert hatte. Am Rande des Protests äußerte Luo gegenüber China.Table ihre Hoffnung auf Veränderung. “Ich denke, dass die Weiß-Papier-Revolution Erfolg haben wird. Aber es braucht Zeit. Wir müssen weiter kämpfen, bis alle politischen Gefangenen frei sind.” fpe
Die Organisation International Campaign for Tibet (ICT) ruft die Bundesregierung dazu auf, den Tibet-Konflikt mit in ihre China-Strategie aufzunehmen. “Eine kohärente China-Politik der Bundesregierung sollte die Frage der Menschenrechte und die Rechte ganzer Volksgruppen wie der Tibeter als einen zentralen Bestandteil ihrer Beziehungen zur Volksrepublik China verstehen”, forderte Kai Müller, Geschäftsführer von ICT.
Zumindest Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) will die wirtschaftliche Kooperation mit China stärker als bisher von der dortigen Menschenrechtslage abhängig machen. Das geht aus dem Entwurf für eine neue China-Strategie der Bundesregierung hervor. Das Papier hat das Auswärtige Amt Mitte November an die anderen Ministerien verteilt und befindet sich in der Abstimmung. Es wird damit gerechnet, dass insbesondere das Kanzleramt unter Olaf Scholz (SPD) allzu scharfe Kritik an China herausnehmen wird. flee
Das kanadische Büro von Amnesty International war nach eigenen Angaben Opfer einer chinesischen Cyberattacke. Der Hackerangriff sei erstmals am 5. Oktober entdeckt worden, erklärte Ketty Nivyabandi, Generalsekretärin von Amnesty International Kanada am Montag in einem Statement. Die Hacker verfolgten demnach unter anderem das Ziel, Kontaktlisten zu stehlen und die Pläne der Organisation auszuspionieren. Auch prominente chinesische Aktivisten standen bei dem “ausgefeilten” Hackerangriff im Fokus. Aufgrund der verwendeten Technik und der Vorgehensweise stehe vermutlich eine “vom chinesischen Staat geförderte oder beauftragte” Gruppe hinter der Attacke, erklärt Secureworks, ein US-Dienstleister für Cybersicherheit. fpe
Ein wesentlicher Aspekt der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Chinas ist: Wer einmal dabei ist, kann nicht mehr austreten.
Die Möglichkeit, aus der Partei auszutreten, ist zwar in der Satzung der Partei verankert, aber praktisch existiert sie nicht. Der einzige Weg, die Partei zu verlassen, ist der Ausschluss. Und wenn es einmal so weit ist, hat man ein großes Problem. Das ist einer der Gründe, warum die Zahl der Parteimitglieder stetig ansteigt. Ein anderer Grund ist natürlich die wachsende Bevölkerungszahl in China.
Als weltweit größte politische Vereinigung rühmt sich die KPCh mit 97 Millionen Mitgliedern, was ungefähr der gesamten Bevölkerung von Deutschland, Österreich und der Schweiz entspricht. Wie viele davon tatsächlich an den Kommunismus glauben, lässt sich dagegen unmöglich sagen. Aber diese Zahl dürfte nahezu bei null liegen.
In China – wie auch in anderen Teilen der Welt – ist der Kommunismus als Ideologie bankrott. Obwohl die Partei immer noch den Stempel des Kommunismus trägt, entfernt sie sich nicht nur von der klassischen kommunistischen Zukunftsvision, sondern auch von den grundlegenden Doktrinen des Marxismus, wie etwa der Analyse der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeitern.
Vielmehr entwickeln die Spitzenpolitiker und hochrangigen Apparatschiks laufend neue Konzepte und Theorien, wie zuletzt den “Chinesischen Traum” und “Xi Jinpings Ideen des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter”. Im Mittelpunkt des stetig wachsenden Flickenteppichs von Jargons stehen folgende Aspekte: Die Aufgabe der KP China ist es,
Jedes Parteimitglied vermag Slogans zu diesen Zielen oder Abwandlungen davon zu skandieren. Einige sind sogar in der Lage, lange Vorträge darüber zu halten. Aber die Zahl derjenigen, die der Partei aufrichtig aus diesen Gründen beitreten, ist äußerst gering.
Infolge der zügellosen Korruption und der chronischen sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit herrscht nahezu im gesamten Land blanker Zynismus. Die Menschen verfolgen ausschließlich ihre Eigeninteressen.
Obwohl es der KPCh an überzeugenden, inspirierenden politischen Ideen mangelt, hat sie sich dennoch unangefochten an der Macht gehalten. Und es ist eine ungeschriebene Regel, dass die oberste Führungsriege jeder staatlichen Organisation auf allen Ebenen Mitglied der Partei sein muss. Dies gilt auch für die Armee, staatliche Unternehmen und sonstige öffentliche Einrichtungen, wie Krankenhäuser und Universitäten.
Die Partei, die Staatsunternehmen und der öffentliche Sektor stehen im kommunistischen China immer an oberster Stelle. Unter Xi Jinping ist ihre Position noch stärker geworden. Wer berufliche oder persönliche Ambitionen hegt, weiß also, wohin er sich wenden muss. Eine Mitgliedschaft mag zwar keine Garantie für Macht und Geld sein, aber schaden kann sie auf jeden Fall nicht.
Wer Mitglied werden möchte, muss fachliche Kompetenz vorweisen. Am wichtigsten ist jedoch, der Parteilinie zu folgen, das heißt, sich dem Parteisprech zu bedienen und der Parteipolitik stets die Treue zu halten. Freies Denken oder das Äußern von abweichenden Gedanken ist ein absolutes Tabu. Das wahre Ich muss stets verborgen bleiben, egal, wie es auch aussehen mag.
Doch mit einem Beitritt ist es noch lange nicht getan. Die Parteikomitees aller Organisationen auf den verschiedenen Ebenen schulen ihre Mitglieder im Rahmen von Versammlungen und Studiensitzungen laufend in den neuesten Konzepten und Richtlinien. Dabei bedienen sie sich zum Beispiel Abschriften von Parteiführern und Büchern über deren Gedanken und Theorien.
Von Zeit zu Zeit werden besonders vorbildliche Parteimitglieder präsentiert, die angeblich ihre Freizeit dem Parteistudium widmen. Das interessanteste Beispiel war ein junges Paar, das 2016 in seiner Hochzeitsnacht die Parteisatzung abschrieb.
Die Partei betreibt zudem Parteischulen auf Zentral-, Provinz- und Kreisebene. Parteifunktionäre der oberen und mittleren Ränge müssen alle paar Jahre abwechselnd eine Vollzeitschulung über Parteipolitik absolvieren. Die Kurse können dabei bis zu 4 Monate dauern (und sind übrigens eine großartige Gelegenheit zum Knüpfen von Kontakten).
Im Zeitalter der Neuen Medien hat die Partei mit dem technischen Fortschritt bestens Schritt gehalten. Sie hat eine eigene Internetseite und eine ausgefeilte App zur Bildung ihrer Mitglieder entwickelt. Sie heißen auf Chinesisch “Xuexi Qiangguo”, was wörtlich übersetzt “studiere und stärke die Nation” bedeutet. Dort haben Mitglieder auch die Möglichkeit, sich anhand von Quizfragen selbst zu testen. Typische Fragen lauten etwa: “Was sind die wichtigsten Punkte von Xi Jinpings Gedanken zur Diplomatie?” Oder: “Welche Strafe erhält ein Mitglied, wenn es unbegründete Kritik an der zentralen Führung der Partei übt?”
In einer Bildungskampagne haben zahlreiche Parteigremien festgelegt, wie viel Zeit ihre Mitglieder auf der Website oder in der App verbringen müssen. Ausschussvorsitzende oder Mandatsträger haben die Möglichkeit, dies zu überprüfen.
Sämtliche Bildungsmaßnahmen dienen in gewisser Weise der Gehirnwäsche. Es handelt sich um Rituale, die die Treue zur Partei fördern sollen. Das größte aller Rituale ist der große Parteikongress, der einmal alle fünf Jahre stattfindet.
Hin und wieder gehen einige Bildungsinitiativen nach hinten los. Auf dem letzten Parteitag 2017 rief Xi die Mitglieder dazu auf, “das ursprüngliche Herz nicht zu vergessen und die Mission fest im Gedächtnis zu behalten”. Kurz darauf wurde eine Bildungsinitiative mit diesem Zitat als Thema gestartet. Als Lernmaterial diente der im selben Jahr erschienene deutsche Film “Der junge Karl Marx”, der das Leben von Marx zwischen 1843 und 1848 zeigt. Parteimitglieder und Regierungsangestellte wurden aufgerufen, sich den Film während der Arbeitszeit in Kinos anzuschauen.
Es scheint keine schlechte Idee zu sein, dass eine kommunistische Partei Marx als ihr “ursprüngliches Herz” aufgreift.
Unglücklicherweise wurde dabei übersehen, dass ein zentrales Thema, mit dem sich Marx befasste, das durch kapitalistische Ausbeutung verursachte Elend der Arbeiter war. Etwas, das zufälligerweise im heutigen China lautstark Anklang fand.
Selbstverständlich hatten die Studenten der renommierten Peking-Universität eine unabhängige Gesellschaft für Marxismus gegründet. Einige von ihnen schlossen sich den Arbeitern in Peking und Shenzhen an, um für die Rechte der Arbeiter zu demonstrieren, was wiederum zu einem harten Durchgreifen der Regierung in Peking führte.
Damit wurde den Partei- und Regierungsfunktionären klar, dass ein grundlegender Bestandteil des Marxismus sehr gefährlich ist. So ist das Lied “Die Internationale”, die Hymne der sozialistischen Arbeiterbewegung, die die Unterdrückten auffordert, sich zum Kampf zu erheben, in China inzwischen praktisch verboten. Wer das Lied laut und öffentlich singt, sei es als Einzelner oder in einer Gruppe, riskiert die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zu ziehen und verhaftet zu werden.
Die marxistischen Lehren, auf die sich die Partei nach wie vor bequem berufen kann, sind das Volkseigentum und die Diktatur des Proletariats, mit denen die Partei ihr Macht- und Wirtschaftsmonopol begründet.