Table.Briefing: China

Dissidenten in Deutschland + Anti-Spionage-Gesetz

Liebe Leserin, lieber Leser,

möglicherweise agiert der chinesische Geheimdienst auf deutschem Boden. Das ist zumindest die schlüssigste Erklärung für das, was der Demokratie-Aktivistin Su Yutong widerfährt. An ihrer Haustür klingeln Männern und bedrohen sie, im Netz wird ihre deutsche Adresse im Zusammenhang mit schlüpfrigen Bildern veröffentlicht.

Anderen Menschenrechtlern fällt auf, dass sie bei Demos in europäischen Hauptstädten von chinesisch aussehenden Herren fotografiert werden, schreibt Fabian Peltsch. Es werden bereits Forderungen nach einem Anti-Spionage-Gesetz laut. Dabei würde bereits helfen, wenn sich in Deutschlands Sicherheitsbehörden jemand für den Schutz chinesischer Dissidenten zuständig fühlte.

Derweil ist seit wenigen Wochen bereits die Verschärfung des chinesischen Antispionagegesetzes in Kraft. Informationsbeschaffung und Geschäftsberichte von Unternehmen zu prüfen – das gehört zur Kernaufgabe von Beratungsfirmen auch in China. Denn nur so lässt sich bewerten, wie sicher es ist, mit einzelnen Unternehmen Geschäfte zu machen.

Doch mit der Verschärfung des sogenannten Anti-Spionagegesetzes können chinesische Behörden jegliche Informationsbeschaffung willkürlich unter Strafe stellen. Einen ersten Vorgeschmack gab es im Mai bereits, als chinesische Behörden die Büros von renommierten internationalen Beratungsfirmen wie Bain & Company sowie der New Yorker Mintz Group durchsuchten.

“Jede Form der Informationsbeschaffung seitens der Unternehmen kann nun als Spionage ausgelegt werden”, sagt der Ex-Journalist Peter Humphrey, der in Shanghai eine Beratungsfirma betrieb und bereits selbst schlimme Erfahrungen mit dem chinesischen Strafrecht machen musste, im Gespräch mit Marcel Grzanna. 

Ihr
Felix Lee
Bild von Felix  Lee

Analyse

Dissidenten: In Deutschland bedroht

Ein unbekannter Mann fotografiert Transparente während einer Protestveranstaltung.

Im Jahr 2010 floh Su Yutong aus China nach Deutschland. In ihrer Heimat war die Aktivistin, Journalistin und Bloggerin zur Zielscheibe der Behörden geworden, nachdem sie die Tagebücher des ehemaligen Ministerpräsidenten Li Peng in Umlauf gebracht hatte. Li Peng war maßgeblich am Tian’anmen-Massaker 1989 beteiligt.

In Deutschland fühlte Su sich ursprünglich sicher. Inzwischen sieht sie sich auch hier bedroht und unter Druck gesetzt. Sie prangert von Deutschland aus Menschenrechtsverletzungen durch den chinesischen Staat an, zum Beispiel über das US-Medium Radio Free Asia. Regelmäßig nimmt sie an Demonstrationen teil, etwa vor der chinesischen Botschaft in Berlin, und zeigt dabei als eine der wenigen Aktivistinnen chinesischer Herkunft ihr Gesicht.

Drohanrufe und Nachrichten via Whatsapp

Seit Jahren erhält Su Drohanrufe und Nachrichten via Whatsapp und Telegram. In den vergangenen zwei Jahren habe die Bedrohung jedoch eine neue Qualität erreicht. Fremde Männer klingelten an ihrer Tür. Jemand hatte Fotos von ihr auf Sex-Dating-Webseiten hochgeladen und mitsamt ihrer Adresse veröffentlicht.

Es gab Hotelbuchungen in Sus Namen, die dann über anonyme Hinweise bei der Polizei mit Bombendrohungen in Verbindung gebracht wurden, ähnlich jenen, wie sie zuletzt die niederländische Journalistin und ehemalige China-Korrespondentin Marije Vlaskamp öffentlich gemacht hatte. Es seien Zermürbungstaktiken, darauf ausgerichtet, ihre psychische Gesundheit zu zerstören, sagt Su.

“Sie wollen mein Sozialleben zerstören”

“Das Ziel dieser Leute ist, mich ängstlich und nervös zu machen, und mein Sozialleben zu zerstören. Ich habe mir aber gesagt, dass ich ihnen nicht dabei helfen darf, dieses Ziel zu erreichen.” Sus Strategie ist daher die Flucht nach vorn. Auf ihren Social-Media-Kanälen macht sie die Belästigungen und Bedrohungen öffentlich. Sie spricht mit Medien und kontaktiert Polizei und Behörden, so oft es geht. “Ich bewahre die Ruhe, das zeigt ihnen, dass ich keine Angst habe.”

Das Gefühl, in Gefahr zu sein, begleitet sie dennoch ständig. Nachdem immer wieder Männer an ihrer Wohnungstür in Berlin aufgetaucht waren, riet ihr das eingeschaltete LKA, umzuziehen. Su glaubt, dass die chinesische Regierung und die chinesische Botschaft in Deutschland aktiv daran beteiligt waren, ihre Adresse auszuspionieren, und dass sie Menschen dafür bezahlen, sie unter Druck zu setzen.

Su Yutong bei einer Erinnerungs-Aktions für den Schriftsteller Liu Xiaobo.

Buchungen in Hotels unter ihrem Namen in Städten wie Houston, Los Angeles und Istanbul seien teilweise für viel Geld bezahlt worden. Auch deshalb glaubt Su nicht, dass einzelne chinesische Patrioten, sogenannte Little Pinks 小粉红, dahinterstecken, die ihr als “Verräterin Chinas” einen Denkzettel verpassen wollen. Dabei verweist sie auch auf die jüngst bekanntgewordenen Fälle, in denen Chinas Behörden über Polizeistationen im Ausland gezielt Dissidenten verfolgt haben.

Regelmäßig Besuch von Behörden

Auf Demonstrationen tauchten zudem immer wieder chinesisch sprechende Menschen auf, die sie und andere Teilnehmer unverhohlen filmten. Andere Demonstranten wie der in Aachen studierende Tian Ruichen bestätigen das: “Gerade in einer kleinen Stadt wie Aachen können die Teilnehmer leicht identifiziert werden, selbst wenn sie Masken und Sonnenbrillen tragen.”

Die Gefahr bestehe jedoch nicht nur in einer direkten Überwachung vor Ort. Tian glaubt, dass die Behörden auch Fotos von Social-Media-Kanälen wie Wechat auswerten. “Diese Bilder können von der chinesischen Internetüberwachung gesammelt werden, um die Teilnehmer zu identifizieren und die Proteste zu überwachen.”

“Verleumdung und Verunglimpfung Chinas” 

Eine übliche Vorgehensweise ist Tian und Su zufolge, zusätzlich Verwandte von Demonstranten und Aktivisten zu Hause in China mit Anrufen und persönlichen Besuchen unter Druck zu setzen. Besonders zu Jahrestagen des Tian’anmen-Massakers oder politischen Treffen wie dem jährlichen Volkgskongress erhalten ihre Eltern, aber auch ihr Bruder regelmäßig Besuch von den Behörden, sagt Su. In diesem Zusammenhang werde sie dann als “Anti-China-Agentin” gebrandmarkt, die man gemeinsam von ihren Aktivitäten im Ausland abbringen müsse. Andernfalls drohen ernste Konsequenzen. “Früher hatte ich mehr Kontakt zu meiner Familie, aber es wird immer weniger. Ich möchte nicht noch mehr Druck auf sie ausüben”, sagt Su.

Die chinesische Botschaft in Berlin erklärte auf Anfrage deutscher Medien diesen Monat, die Berichte über Repressalien gegenüber Chinesen in Deutschland seien unwahr. “Die Vorwürfe von denjenigen, die behaupteten, dass sie von China belästigt, bedroht oder durch Geldangebot zum Schweigen gebracht wurden, sind reine Erfindung und dienen nur der Verleumdung und Verunglimpfung Chinas”, zitieren SZ und Tagesspiegel aus einer Mail der Botschaft.

Die Polizei fühlt sich nicht zuständig

Die Zeitungen berichteten weiter, dass sich in solchen Fällen weder die Polizei noch die Nachrichtendienste richtig zuständig fühlen. Denn es handelt sich um grenzüberschreitende Unterdrückung. “Fälle wie meiner werden von der Polizei nur als gewöhnliche Drohungen und Belästigungen angesehen. Ich möchte das deutsche Parlament und die Regierung deshalb auffordern, einen Gesetzentwurf einzubringen, nach dem chinesische Agenten und deren Spionage gestoppt und bestraft werden können”, sagt Su Yutong.

Andernfalls werde Peking noch mehr Tür und Tor geöffnet, um seinen Einfluss kritiklos auszuweiten. Schon jetzt spüre man Chinas langen Arm in deutsch-chinesischen Freundschaftsvereinen oder in den Lobeshymnen “nützlicher Idioten” in den Medien, dem Universitätsumfeld und der Geschäftswelt. “Diese Menschen sind ausschließlich an Chinas Wirtschaft interessiert und lassen demokratische Werte wie Meinungsfreiheit und Menschenrechte unter den Tisch fallen”, glaubt Su. “Eines Tages werden die demokratischen Länder den Preis dafür zahlen.”

  • Menschenrechte
  • Polizeistationen

Interview

“Erfüllung der Sorgfaltspflicht praktisch unmöglich”

Peter Humphrey wurde während seiner Arbeit als Wirtschaftsdetektiv 2018 in China zusammen mit seiner Frau verhaftet – noch vor der Verschärfung des Spionageabwehrgesetzes.

Sie haben aufgrund Ihrer Erfahrung kürzlich als Referent mit EU-Parlamentariern in Brüssel gesprochen. Was haben Sie mit ihrem Besuch erreicht?

Ich konnte einen Brief von einem Häftling aus einem chinesischen Gefängnis vorlegen. Der Verfasser hatte das Schreiben in einem von ihm verpackten Produkt versteckt. Es wurde dann in einem Geschäft in Europa gefunden. Darin stand, dass er und andere zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche arbeiten müssen. Es wurden noch mehrere solcher Briefe gefunden. Mein Besuch in Brüssel sollte helfen, die EU-Gesetzgebung zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei deren Lieferketten und ein Importverbot für Produkte aus Gefängnisarbeit voranzubringen.

In China gilt ab dem 1. Juli die Novelle des Gesetzes zur Spionageabwehr. Was bedeutet das für die Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei deren Lieferketten?

Dieses Gesetz macht die Erfüllung der Sorgfaltspflicht praktisch unmöglich. Jede Form der Informationsbeschaffung seitens der Unternehmen kann nun als Spionage ausgelegt werden, wenn sie von den Ermittlern willkürlich als Bedrohung der nationalen Sicherheit definiert wird. Bislang konnten solche Aktivitäten nur als “illegale Beschaffung persönlicher Informationen” geahndet werden. Das gab dann, wie in meinem Fall, ein paar Jahre Gefängnis. Jetzt drohen in vergleichbaren Fällen lebenslange Haft- oder gar Todesstrafen.

Sie selbst waren mit ihrem Unternehmen Chinawhys viele Jahre sehr erfolgreich in der Informationsbeschaffung im Land tätig. Was genau haben Sie dort getan?

Wir haben Gründungsunterlagen und Jahresabschlüsse von Unternehmen geprüft, die in den meisten Ländern öffentlich zugänglich sind. Dazu die Lebensläufe einzelner Aktionäre, die Eigentumsunterlagen von Unternehmen und Einzelpersonen und alles, was sonst noch online verfügbar war. Wir haben diese Daten kombiniert, um zu beurteilen, ob es sicher war, mit einem bestimmten Unternehmen Geschäfte zu machen, oder ob die Risiken zu hoch waren.

Haben Sie auch nicht-öffentlich zugängliche Informationen gesammelt?

Natürlich. Zum Beispiel haben wir Lastwagen gezählt, die durch Eingangstore von Fabriken gefahren sind, um Produktionsmengen berechnen zu können. Oder wir haben diskret mit Menschen gesprochen, die Informationen besaßen. Zweifellos fällt diese Form der Recherche künftig unter die neue Gesetzeslage.

Was wurde ihrer Frau und Ihnen zum Verhängnis?

Einer unserer Kunden ließ zu, dass unser Ermittlungsbericht über eine bestimmte Person in die Hände dieser Person geriet. Sie war sehr einflussreich und aktivierte mächtige Kontakte, um uns verhaften zu lassen. Die Geheimpolizei beschuldigte uns der Spionage, aber wir wehrten uns und wurden schließlich wegen illegaler Beschaffung persönlicher Informationen angeklagt.

Waren sich ihre Kunden von einst der damals schon existierenden Risiken bewusst?

Einige waren vorsichtig und fragten uns, wie wir Informationen sammeln würden. Sie forderten uns auf, nichts Illegales zu tun. Andere versuchten, uns dazu zu drängen, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten. Aber wir haben immer mit legalen Mitteln gearbeitet. Trotzdem wurden wir verhaftet.

Welche Möglichkeiten bleiben der Branche, um künftig in China zu operieren? Nutzen VPN-Tunnel etwas, um Spuren der eigenen Recherchen zu verwischen?

Ich würde davon abraten, solche technischen Tricks zu nutzen. VPN sind in China illegal. Das würde alles noch schlimmer machen.

Was dann?

Der einzig sichere Weg ist es, Untersuchungen von außerhalb des Landes zu betreiben. Und ich warne davor, Hongkong als Standort zu wählen. Dort ist die Informationsbeschaffung inzwischen auch nicht mehr sicher.

Und was tun die Kunden dieser Dienstleister? Die werden ja mit den beschafften Informationen versorgt.

Wenn man das zu Ende denkt, bedeutet das für sie, dass sie ihre Untersuchungsberichte, zum Beispiel über potenzielle Geschäftspartner, nicht in China speichern sollten. Um auf Nummer sicher zu gehen, müssten die Untersuchungsergebnisse ausschließlich außerhalb Chinas übermittelt und nur außerhalb Chinas und in den Köpfen der Manager gespeichert werden. Das reduzierte Maß an Informationen, das jetzt sicher zur Verfügung steht, wird dazu führen, dass ausländische Unternehmen in Zukunft im Blindflug ihre Geschäfte tätigen werden.

Wie sollen sich die ausländischen Unternehmen unter diesen Umständen gemäß der EU-Gesetzgebung verhalten?

Es ist ein Dilemma. Die Firmen werden einige Projekte aufgeben müssen, um die Regularien der EU-Sorgfaltspflicht nicht zu verletzen. Aber chinesische Unternehmen werden darunter leiden, wenn Geschäftsprojekte gestrichen werden. China könnte dann erkennen, dass dies nicht im Interesse des Landes ist, wenn die einheimischen Unternehmen auch weniger Geld verdienen. Auch der Zugang zu westlichen Technologien wird sich dadurch verringern. Das könnte Druck auf Peking ausüben, im eigenen Interesse eine kommerzielle Sorgfaltspflicht-Prüfung zuzulassen. Aber unter Xi werden sich die Dinge wahrscheinlich nicht auf diese Weise verbessern.

Peter Humphrey ist ehemaliger Reuters-Korrespondent und war 15 Jahre lang als Betrugsermittler in China für westliche Firmen tätig. Derzeit ist er externer Forschungspartner des Fairbank Center for Chinese Studies der Harvard University und Mentor für Familien von Ausländern, die in China zu Unrecht inhaftiert wurden.

News

Geldstrafe für Due-Diligence-Firma aus den USA

China hat eine Geldstrafe gegen die US-amerikanische Due-Diligence-Firma Mintz Group verhängt. Das Unternehmen muss nach Angaben des Pekinger Amtes für Statistik umgerechnet rund 1,5 Millionen US-Dollar zahlen, weil es auf illegale Weise Statistiken erhoben habe, wie Bloomberg am Dienstag berichtete.

Demnach soll Mintz bei 37 Projekten zwischen März 2019 und Juli 2022 gegen Gesetze verstoßen haben. Mintz habe “auslandsbezogene Statistiken und Erhebungen” durchgeführt, ohne die entsprechenden Lizenzen für solche Aktivitäten zu erhalten, hieß es in der Erklärung der Behörden. Mintz antwortete zunächst nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.

Im Zusammenhang mit einer Verschärfung des chinesischen “Anti-Spionage-Gesetzes” im Frühjahr gehen die Behörden vor allem auch verschärft gegen US-Beratungsfirmen vor. Im März durchsuchten Beamte Mintz-Büros in Peking und nahmen fünf chinesische Mitarbeiter des Unternehmens fest. Das Außenministerium erklärte damals, das Unternehmen stehe im Verdacht, illegale Geschäfte zu tätigen. Auch bei der China-Tochter der US-Unternehmensberatung Bain gab es im Frühjahr eine Razzia. ck

  • Spionage
  • Unternehmen

US-Sanktionen wegen Tibet-Internaten

US-Außenminister Antony Blinken hat neue Sanktionen gegen chinesische Funktionäre angekündigt. Die Maßnahmen richten sich demnach gegen Beamte der Volksrepublik, die an der “Zwangsassimilation von mehr als einer Million tibetischer Kinder” beteiligt sind. Die USA reagieren damit auf die Implementierung eines Internatssystems in Tibet, das Kinder jeden Alters dazu zwingt, ihre Heimatdörfer zu verlassen und den größten Teil des Jahres getrennt von ihren Familien zu verbringen.

“Die Zwangsmaßnahmen zielen darauf ab, die besonderen sprachlichen, kulturellen und religiösen Traditionen Tibets bei den jüngeren Generationen der Tibeter zu beseitigen”, sagte Blinken. Die neuen Beschränkungen gelten sowohl für aktuelle als auch für ehemalige chinesische Beamte, die für die Bildungspolitik in Tibet mitverantwortlich sind. Man werde mit seinen Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten, um auf die Assimilationspolitik aufmerksam zu machen und Rechenschaft zu fordern, so Blinken.

“Die USA handeln, der EU fehlt wieder Mut”

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Renata Alt (FDP), sieht in der Entscheidung der Amerikaner ein “gutes Beispiel” für Europa. “Die USA handeln, der EU fehlt wieder Mut, um auf Chinas Verletzungen von Menschenrechten entschlossen und konsequent zu reagieren”, sagte Alt. Sie fordert die EU auf, die bestehenden Instrumente im Rahmen der globalen Sanktionsregelung im Bereich der Menschenrechte (Magnitsky Act) selbstbewusster zu nutzen und sich dabei enger mit den demokratischen Partnern USA, Kanada und Großbritannien abzustimmen.

“Weitere Regierungen sollten dem Beispiel der US-Regierung folgen und die für die Zwangsinternate Verantwortlichen im chinesischen Partei- und Staatsapparat sanktionieren”, hieß es seitens der Menschenrechtsorganisation International Campaign for Tibet. Deren Geschäftsführer in Deutschland, Kai Müller, dringt demokratische Staaten darauf, bei der nächsten Überprüfung Chinas im UN-Menschenrechtsrat im Januar kommenden Jahres “mit Nachdruck einen Kurswechsel der Kommunistischen Partei in Tibet zu fordern”.

UN-Sonderberichterstatter schlugen Alarm

Die USA sind das erste Land, das Sanktionen wegen Chinas Internatssystem aussprechen wollen. Bereits im Dezember hatte Washington zwei hochrangige chinesische Beamte wegen grundsätzlicher Menschenrechtsverletzungen in Tibet sanktioniert. China reagierte seinerseits mit Sanktionen gegen zwei US-Bürger. Deutschland dagegen hatte die Schließung der Internate im April dieses Jahres gefordert, seitdem aber keine weiteren Maßnahmen verfolgt.

Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen hatten zu Jahresbeginn einen Bericht veröffentlicht, in dem sie Hinweisen auf die “Akkulturation und Assimilation der tibetischen Kultur an die dominante Han-chinesische Mehrheit durch eine Reihe von Unterdrückungsmaßnahmen” nachgingen.

Der tibetische Exil-Präsident Penpa Tsering wies im Gespräch mit China.Table auf die dramatischen Folgen für fast eine Million Kinder in der Region hin. Ihnen sei der tägliche Kontakt mit ihren Eltern verwehrt, und sie hätten keine Möglichkeit, ihre Muttersprache zu nutzen, weil Tibetisch kategorisch verboten sei. “Wir sind an einem Punkt, an dem tibetische Kinder in den Ferien nach Hause kommen und nicht mehr in der Lage sind, sich mit ihren Eltern fließend zu unterhalten. Sie haben das Tibetische verlernt, während Mutter und Vater zu schlecht Mandarin sprechen”, sagte Tsering. grz

  • China-Sanktionen
  • Menschenrechte
  • Tibet

Hongkong: Länge von Haftstrafen bestätigt

Das Oberste Gericht in Hongkong hat entschieden, dass nach dem nationalen Sicherheitsgesetz verhängte Haftstrafen nicht verkürzt werden können. Bei der Beschreibung der Straflänge verwende das Gesetz “verbindliche Formulierungen”, erklärten die Richter laut der Nachrichtenagentur AFP.

Zuvor war der wegen “Anstachelung zur Abspaltung” zu fünf Jahren Gefängnis verurteilte Student Lui Sai-yu in Berufung gegangen. Er forderte eine Strafminderung, weil er sich schuldig bekannt hatte. Das war bislang eine im Hongkonger Gewohnheitsrecht übliche Praxis.

Nach dem Urteil der obersten Richter ist das Gesetz zur nationalen Sicherheit jedoch strikt anzuwenden. Für eine “Anstiftung zur Abspaltung” sieht dieses Gesetz Strafen von mindestens fünf und höchstens zehn Jahren vor. flee

  • Menschenrechte
  • Nationales Sicherheitsgesetz

Arbeitslose Jugend drängt an Militärakademien

Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit verzeichnen die Militärakademien Rekorde bei ihren Neuzugängen, berichtet die South China Morning Post unter Bezug auf die offizielle Zeitung der Volksbefreiungsarmee. So wurden in diesem Jahr 17.000 Schulabgänger an den insgesamt 27 Akademien aufgenommen, die höchste Zahl seit 2017 und 2.000 mehr als vergangenes Jahr.

Gleichzeitig hat die Jugendarbeitslosigkeit ebenfalls einen historischen Höchststand erreicht. Im Juni war nach offiziellen Angaben mehr als jeder fünfte 16- bis 24-Jährige in den Städten des Landes arbeitslos. Letzte Woche dann stoppte Peking die Veröffentlichung der monatlichen Daten zur Jugendarbeitslosigkeit mit der Begründung, dass die Arbeitskräftestatistiken “weiter verbessert und optimiert” werden müssten.

Das chinesische Verteidigungsministerium hatte im Juni mitgeteilt, dass den neuen Studierenden an den Militärakademien eine große Auswahl von Fächern angeboten werde, die sich “auf die Entwicklung künftiger Kriege fokussieren” würden. cyb

  • Ausbildung
  • Jugendarbeitslosigkeit
  • Militär
  • Volksbefreiungsarmee

Wieder vermeintlicher CIA-Spion festgenommen

Erneut haben Sicherheitkräfte der Volksrepublik China einen vermeintlichen US-Spion festgenommen. Die 39-jährige Person namens Hao sei während eines Studienaufenthaltes in Japan vom US-Geheimdienst CIA angeworben worden, hieß es. Das meldete das Ministerium für Staatssicherheit am Montag über seinen Wechat-Kanal. Ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, ließ die Mitteilung offen.

Nach ihrer Rückkehr nach China habe die Person in einem Ministerium zu arbeiten begonnen und sich danach regelmäßig mit CIA-Mitarbeitern in China getroffen, um den Amerikanern gegen Bezahlung Informationen zu liefern. Die Ermittlungen laufen weiter, erklärte die Staatssicherheit.

Bereits vor knapp zwei Wochen hatten die Behörden die Festnahme eines 52-Jährigen vermeldet der bei einem staatseigenen chinesischen Unternehmen angestellt war und ebenfalls verdeckt für die CIA spioniert haben soll.

Erst zu Beginn des Monats hatte die Staatssicherheit die chinesische Öffentlichkeit aufgerufen, bei der Aufklärung von Spionage im eigenen Land mitzuhelfen. Kurz darauf hatten amerikanische Sicherheitsbehörden zwei Soldaten der US-Marine chinesischer Abstammung unter Spionageverdacht festgenommen. grz

  • Spionage

Heads

Kwon Pyong – Mit dem Jetski ins Asyl

Geflohener Dissident Kwon Pyong
Geflohener Dissident Kwon Pyong auf einem undatierten Selfie.

Die Flucht des 35-jährigen Kwon Pyong per Jetski aus China nach Südkorea hat eine jahrelange Vorgeschichte. Der Nordchinese mit koreanischen Wurzeln aus der Provinz Jilin hatte sich zuvor mehr als zehn Jahre als Aktivist für Bürgerrechte in seiner Heimat eingesetzt und regelmäßig öffentlich gegen die politische Herrschaft von Parteichef Xi Jinping protestiert. Sein Aktivismus brachte ihn Ende 2016 wegen “Untergrabung der Staatsgewalt und Beleidigung des sozialistischen Systems” für anderthalb Jahre hinter Gitter.

Die Verurteilung im Februar 2017 durch das Mittlere Volksgericht in Yanbian stütze sich laut Medienberichten auf die Veröffentlichung von rund 80 Kommentaren in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook. Dort äußerte er sich kritisch zu Chinas hartem Vorgehen gegen Rechtsanwälte in Land, aber auch zum Tian’anmen-Massaker oder der Menschenrechtssituation in Tibet.

Mit Klarnamen kritische Posts in Sozialmedien

2012 hatte Pyong kurze Zeit an der Iowa State University in den USA studiert, ehe er nach Jilin zurückkehrte. 2014 reiste er nach Hongkong, um sich an der Regenschirm-Bewegung “Occupy Hong Kong” zu beteiligen, die demokratische Wahlen in der Region gefordert hatten. Noch kurz vor seiner Verhaftung hatte er in seinem echten Namen und dem Attribut “BraveJohnny” über Twitter den Wunsch einer Hongkonger Unabhängigkeit formuliert.

Im Monat zuvor hatte Pyong auf Twitter ein Foto von sich gepostet, auf dem er ein T-Shirt trägt, das Chinas Parteichef Xi Jinping mit Hitler verglich (#Xitler). Darunter verunglimpfte er Xi in chinesischen Schriftzeichen als “Xi Baozi” (gedämpftes Brötchen) und “Big Spender”. Einem Freund sagte er damals, er plane, am Nationalfeiertag (1. Oktober) mit dem T-Shirt auf die Straße zu gehen, was er offenbar zuvor bereits einmal getan hatte. Der Polizei war er bereits aufgefallen, weil er Postkarten an in China inhaftierte Menschenrechtsanwälte geschrieben hatte.

Von Shandong 300 km bis Incheon

Wenige Tage vor dem Beginn des Prozesses wurden die Anwälte von Kwon Pyong von seinen Eltern ohne ersichtlichen Grund entlassen und durften nicht vor Gericht erscheinen. Menschenrechtsorganisationen vermuten hinter den Vorgängen eine übliche Taktik chinesischer Behörden, die Druck auf Pyongs Eltern ausgeübt hätten, um jede Form eines wirksamen rechtlichen Beistandes für ihren Sohn zu verhindern. Seine Mutter bat ausländische Medien und örtliche Unterstützer, sie nicht mehr zu kontaktieren. Der Prozess gegen Pyong fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Weshalb Pyong mit einem Jetski rund 300 Kilometer über das Gelbe Meer nach Südkorea flüchtete, ist bislang unklar. Er soll sich von der Küste der Provinz Shandong auf den Weg über das Meer gemacht haben. Im Schlepptau des Jetskis soll er fünf Fässer mit Benzin transportiert haben, um unterwegs nicht in Seenot zu geraten. Die koreanische Küstenwache nahm ihn schließlich wegen illegaler Einreise fest.

Dissidenten, die in China in Ungnade gefallen sind, werden in der Regel mit einem Ausreiseverbot belegt. Häufig werden sie ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt und von chinesischen Behörden jahrelang genau im Auge behalten. Staatssicherheit und Polizei statten Dissidenten regelmäßige Besuche ab, um sie vor weiterem Aktivismus oder Kontaktaufnahme mit ausländischen Medien zu warnen.

China bemüht sich um Auslieferung von Dissidenten

Andere Dissidenten berichten davon, dass ihnen jede Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft, auch nach dem Verbüßen ihrer Haftstrafe, verwehrt wird. Weder dürfen sie in eine regelmäßige Anstellung eintreten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, noch dürfen sie den Wohnort wechseln. Vermieter werden gewarnt, den Betroffenen eine neue Bleibe zur Verfügung zu stellen.

Kwon, der mit chinesischem Namen Qian Ping heißt, hat laut koreanischen Medienberichten politisches Asyl beantragt. Die Menschenrechtsorganisation “Anwälte für das Recht des öffentlichen Interesses” hat sich seines Falles angenommen. Es heißt, er wolle in einem anderen Staat um Asyl bitten, wenn die koreanischen Behörden sich dagegen entscheiden.

China versucht seinerseits, asiatische Nachbarstaaten zur Auslieferung geflohener Dissidenten zu bewegen. Erst kürzlich war der Menschenrechtsanwalt Lu Siwei in Laos verhaftet worden, als er sich im Transit nach Thailand befand, um von dort in die USA auszufliegen. Was seitdem mit Lu geschehen ist, ist unklar. Marcel Grzanna

  • Menschenrechte
  • Regenschirm-Bewegung

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    möglicherweise agiert der chinesische Geheimdienst auf deutschem Boden. Das ist zumindest die schlüssigste Erklärung für das, was der Demokratie-Aktivistin Su Yutong widerfährt. An ihrer Haustür klingeln Männern und bedrohen sie, im Netz wird ihre deutsche Adresse im Zusammenhang mit schlüpfrigen Bildern veröffentlicht.

    Anderen Menschenrechtlern fällt auf, dass sie bei Demos in europäischen Hauptstädten von chinesisch aussehenden Herren fotografiert werden, schreibt Fabian Peltsch. Es werden bereits Forderungen nach einem Anti-Spionage-Gesetz laut. Dabei würde bereits helfen, wenn sich in Deutschlands Sicherheitsbehörden jemand für den Schutz chinesischer Dissidenten zuständig fühlte.

    Derweil ist seit wenigen Wochen bereits die Verschärfung des chinesischen Antispionagegesetzes in Kraft. Informationsbeschaffung und Geschäftsberichte von Unternehmen zu prüfen – das gehört zur Kernaufgabe von Beratungsfirmen auch in China. Denn nur so lässt sich bewerten, wie sicher es ist, mit einzelnen Unternehmen Geschäfte zu machen.

    Doch mit der Verschärfung des sogenannten Anti-Spionagegesetzes können chinesische Behörden jegliche Informationsbeschaffung willkürlich unter Strafe stellen. Einen ersten Vorgeschmack gab es im Mai bereits, als chinesische Behörden die Büros von renommierten internationalen Beratungsfirmen wie Bain & Company sowie der New Yorker Mintz Group durchsuchten.

    “Jede Form der Informationsbeschaffung seitens der Unternehmen kann nun als Spionage ausgelegt werden”, sagt der Ex-Journalist Peter Humphrey, der in Shanghai eine Beratungsfirma betrieb und bereits selbst schlimme Erfahrungen mit dem chinesischen Strafrecht machen musste, im Gespräch mit Marcel Grzanna. 

    Ihr
    Felix Lee
    Bild von Felix  Lee

    Analyse

    Dissidenten: In Deutschland bedroht

    Ein unbekannter Mann fotografiert Transparente während einer Protestveranstaltung.

    Im Jahr 2010 floh Su Yutong aus China nach Deutschland. In ihrer Heimat war die Aktivistin, Journalistin und Bloggerin zur Zielscheibe der Behörden geworden, nachdem sie die Tagebücher des ehemaligen Ministerpräsidenten Li Peng in Umlauf gebracht hatte. Li Peng war maßgeblich am Tian’anmen-Massaker 1989 beteiligt.

    In Deutschland fühlte Su sich ursprünglich sicher. Inzwischen sieht sie sich auch hier bedroht und unter Druck gesetzt. Sie prangert von Deutschland aus Menschenrechtsverletzungen durch den chinesischen Staat an, zum Beispiel über das US-Medium Radio Free Asia. Regelmäßig nimmt sie an Demonstrationen teil, etwa vor der chinesischen Botschaft in Berlin, und zeigt dabei als eine der wenigen Aktivistinnen chinesischer Herkunft ihr Gesicht.

    Drohanrufe und Nachrichten via Whatsapp

    Seit Jahren erhält Su Drohanrufe und Nachrichten via Whatsapp und Telegram. In den vergangenen zwei Jahren habe die Bedrohung jedoch eine neue Qualität erreicht. Fremde Männer klingelten an ihrer Tür. Jemand hatte Fotos von ihr auf Sex-Dating-Webseiten hochgeladen und mitsamt ihrer Adresse veröffentlicht.

    Es gab Hotelbuchungen in Sus Namen, die dann über anonyme Hinweise bei der Polizei mit Bombendrohungen in Verbindung gebracht wurden, ähnlich jenen, wie sie zuletzt die niederländische Journalistin und ehemalige China-Korrespondentin Marije Vlaskamp öffentlich gemacht hatte. Es seien Zermürbungstaktiken, darauf ausgerichtet, ihre psychische Gesundheit zu zerstören, sagt Su.

    “Sie wollen mein Sozialleben zerstören”

    “Das Ziel dieser Leute ist, mich ängstlich und nervös zu machen, und mein Sozialleben zu zerstören. Ich habe mir aber gesagt, dass ich ihnen nicht dabei helfen darf, dieses Ziel zu erreichen.” Sus Strategie ist daher die Flucht nach vorn. Auf ihren Social-Media-Kanälen macht sie die Belästigungen und Bedrohungen öffentlich. Sie spricht mit Medien und kontaktiert Polizei und Behörden, so oft es geht. “Ich bewahre die Ruhe, das zeigt ihnen, dass ich keine Angst habe.”

    Das Gefühl, in Gefahr zu sein, begleitet sie dennoch ständig. Nachdem immer wieder Männer an ihrer Wohnungstür in Berlin aufgetaucht waren, riet ihr das eingeschaltete LKA, umzuziehen. Su glaubt, dass die chinesische Regierung und die chinesische Botschaft in Deutschland aktiv daran beteiligt waren, ihre Adresse auszuspionieren, und dass sie Menschen dafür bezahlen, sie unter Druck zu setzen.

    Su Yutong bei einer Erinnerungs-Aktions für den Schriftsteller Liu Xiaobo.

    Buchungen in Hotels unter ihrem Namen in Städten wie Houston, Los Angeles und Istanbul seien teilweise für viel Geld bezahlt worden. Auch deshalb glaubt Su nicht, dass einzelne chinesische Patrioten, sogenannte Little Pinks 小粉红, dahinterstecken, die ihr als “Verräterin Chinas” einen Denkzettel verpassen wollen. Dabei verweist sie auch auf die jüngst bekanntgewordenen Fälle, in denen Chinas Behörden über Polizeistationen im Ausland gezielt Dissidenten verfolgt haben.

    Regelmäßig Besuch von Behörden

    Auf Demonstrationen tauchten zudem immer wieder chinesisch sprechende Menschen auf, die sie und andere Teilnehmer unverhohlen filmten. Andere Demonstranten wie der in Aachen studierende Tian Ruichen bestätigen das: “Gerade in einer kleinen Stadt wie Aachen können die Teilnehmer leicht identifiziert werden, selbst wenn sie Masken und Sonnenbrillen tragen.”

    Die Gefahr bestehe jedoch nicht nur in einer direkten Überwachung vor Ort. Tian glaubt, dass die Behörden auch Fotos von Social-Media-Kanälen wie Wechat auswerten. “Diese Bilder können von der chinesischen Internetüberwachung gesammelt werden, um die Teilnehmer zu identifizieren und die Proteste zu überwachen.”

    “Verleumdung und Verunglimpfung Chinas” 

    Eine übliche Vorgehensweise ist Tian und Su zufolge, zusätzlich Verwandte von Demonstranten und Aktivisten zu Hause in China mit Anrufen und persönlichen Besuchen unter Druck zu setzen. Besonders zu Jahrestagen des Tian’anmen-Massakers oder politischen Treffen wie dem jährlichen Volkgskongress erhalten ihre Eltern, aber auch ihr Bruder regelmäßig Besuch von den Behörden, sagt Su. In diesem Zusammenhang werde sie dann als “Anti-China-Agentin” gebrandmarkt, die man gemeinsam von ihren Aktivitäten im Ausland abbringen müsse. Andernfalls drohen ernste Konsequenzen. “Früher hatte ich mehr Kontakt zu meiner Familie, aber es wird immer weniger. Ich möchte nicht noch mehr Druck auf sie ausüben”, sagt Su.

    Die chinesische Botschaft in Berlin erklärte auf Anfrage deutscher Medien diesen Monat, die Berichte über Repressalien gegenüber Chinesen in Deutschland seien unwahr. “Die Vorwürfe von denjenigen, die behaupteten, dass sie von China belästigt, bedroht oder durch Geldangebot zum Schweigen gebracht wurden, sind reine Erfindung und dienen nur der Verleumdung und Verunglimpfung Chinas”, zitieren SZ und Tagesspiegel aus einer Mail der Botschaft.

    Die Polizei fühlt sich nicht zuständig

    Die Zeitungen berichteten weiter, dass sich in solchen Fällen weder die Polizei noch die Nachrichtendienste richtig zuständig fühlen. Denn es handelt sich um grenzüberschreitende Unterdrückung. “Fälle wie meiner werden von der Polizei nur als gewöhnliche Drohungen und Belästigungen angesehen. Ich möchte das deutsche Parlament und die Regierung deshalb auffordern, einen Gesetzentwurf einzubringen, nach dem chinesische Agenten und deren Spionage gestoppt und bestraft werden können”, sagt Su Yutong.

    Andernfalls werde Peking noch mehr Tür und Tor geöffnet, um seinen Einfluss kritiklos auszuweiten. Schon jetzt spüre man Chinas langen Arm in deutsch-chinesischen Freundschaftsvereinen oder in den Lobeshymnen “nützlicher Idioten” in den Medien, dem Universitätsumfeld und der Geschäftswelt. “Diese Menschen sind ausschließlich an Chinas Wirtschaft interessiert und lassen demokratische Werte wie Meinungsfreiheit und Menschenrechte unter den Tisch fallen”, glaubt Su. “Eines Tages werden die demokratischen Länder den Preis dafür zahlen.”

    • Menschenrechte
    • Polizeistationen

    Interview

    “Erfüllung der Sorgfaltspflicht praktisch unmöglich”

    Peter Humphrey wurde während seiner Arbeit als Wirtschaftsdetektiv 2018 in China zusammen mit seiner Frau verhaftet – noch vor der Verschärfung des Spionageabwehrgesetzes.

    Sie haben aufgrund Ihrer Erfahrung kürzlich als Referent mit EU-Parlamentariern in Brüssel gesprochen. Was haben Sie mit ihrem Besuch erreicht?

    Ich konnte einen Brief von einem Häftling aus einem chinesischen Gefängnis vorlegen. Der Verfasser hatte das Schreiben in einem von ihm verpackten Produkt versteckt. Es wurde dann in einem Geschäft in Europa gefunden. Darin stand, dass er und andere zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche arbeiten müssen. Es wurden noch mehrere solcher Briefe gefunden. Mein Besuch in Brüssel sollte helfen, die EU-Gesetzgebung zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei deren Lieferketten und ein Importverbot für Produkte aus Gefängnisarbeit voranzubringen.

    In China gilt ab dem 1. Juli die Novelle des Gesetzes zur Spionageabwehr. Was bedeutet das für die Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei deren Lieferketten?

    Dieses Gesetz macht die Erfüllung der Sorgfaltspflicht praktisch unmöglich. Jede Form der Informationsbeschaffung seitens der Unternehmen kann nun als Spionage ausgelegt werden, wenn sie von den Ermittlern willkürlich als Bedrohung der nationalen Sicherheit definiert wird. Bislang konnten solche Aktivitäten nur als “illegale Beschaffung persönlicher Informationen” geahndet werden. Das gab dann, wie in meinem Fall, ein paar Jahre Gefängnis. Jetzt drohen in vergleichbaren Fällen lebenslange Haft- oder gar Todesstrafen.

    Sie selbst waren mit ihrem Unternehmen Chinawhys viele Jahre sehr erfolgreich in der Informationsbeschaffung im Land tätig. Was genau haben Sie dort getan?

    Wir haben Gründungsunterlagen und Jahresabschlüsse von Unternehmen geprüft, die in den meisten Ländern öffentlich zugänglich sind. Dazu die Lebensläufe einzelner Aktionäre, die Eigentumsunterlagen von Unternehmen und Einzelpersonen und alles, was sonst noch online verfügbar war. Wir haben diese Daten kombiniert, um zu beurteilen, ob es sicher war, mit einem bestimmten Unternehmen Geschäfte zu machen, oder ob die Risiken zu hoch waren.

    Haben Sie auch nicht-öffentlich zugängliche Informationen gesammelt?

    Natürlich. Zum Beispiel haben wir Lastwagen gezählt, die durch Eingangstore von Fabriken gefahren sind, um Produktionsmengen berechnen zu können. Oder wir haben diskret mit Menschen gesprochen, die Informationen besaßen. Zweifellos fällt diese Form der Recherche künftig unter die neue Gesetzeslage.

    Was wurde ihrer Frau und Ihnen zum Verhängnis?

    Einer unserer Kunden ließ zu, dass unser Ermittlungsbericht über eine bestimmte Person in die Hände dieser Person geriet. Sie war sehr einflussreich und aktivierte mächtige Kontakte, um uns verhaften zu lassen. Die Geheimpolizei beschuldigte uns der Spionage, aber wir wehrten uns und wurden schließlich wegen illegaler Beschaffung persönlicher Informationen angeklagt.

    Waren sich ihre Kunden von einst der damals schon existierenden Risiken bewusst?

    Einige waren vorsichtig und fragten uns, wie wir Informationen sammeln würden. Sie forderten uns auf, nichts Illegales zu tun. Andere versuchten, uns dazu zu drängen, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten. Aber wir haben immer mit legalen Mitteln gearbeitet. Trotzdem wurden wir verhaftet.

    Welche Möglichkeiten bleiben der Branche, um künftig in China zu operieren? Nutzen VPN-Tunnel etwas, um Spuren der eigenen Recherchen zu verwischen?

    Ich würde davon abraten, solche technischen Tricks zu nutzen. VPN sind in China illegal. Das würde alles noch schlimmer machen.

    Was dann?

    Der einzig sichere Weg ist es, Untersuchungen von außerhalb des Landes zu betreiben. Und ich warne davor, Hongkong als Standort zu wählen. Dort ist die Informationsbeschaffung inzwischen auch nicht mehr sicher.

    Und was tun die Kunden dieser Dienstleister? Die werden ja mit den beschafften Informationen versorgt.

    Wenn man das zu Ende denkt, bedeutet das für sie, dass sie ihre Untersuchungsberichte, zum Beispiel über potenzielle Geschäftspartner, nicht in China speichern sollten. Um auf Nummer sicher zu gehen, müssten die Untersuchungsergebnisse ausschließlich außerhalb Chinas übermittelt und nur außerhalb Chinas und in den Köpfen der Manager gespeichert werden. Das reduzierte Maß an Informationen, das jetzt sicher zur Verfügung steht, wird dazu führen, dass ausländische Unternehmen in Zukunft im Blindflug ihre Geschäfte tätigen werden.

    Wie sollen sich die ausländischen Unternehmen unter diesen Umständen gemäß der EU-Gesetzgebung verhalten?

    Es ist ein Dilemma. Die Firmen werden einige Projekte aufgeben müssen, um die Regularien der EU-Sorgfaltspflicht nicht zu verletzen. Aber chinesische Unternehmen werden darunter leiden, wenn Geschäftsprojekte gestrichen werden. China könnte dann erkennen, dass dies nicht im Interesse des Landes ist, wenn die einheimischen Unternehmen auch weniger Geld verdienen. Auch der Zugang zu westlichen Technologien wird sich dadurch verringern. Das könnte Druck auf Peking ausüben, im eigenen Interesse eine kommerzielle Sorgfaltspflicht-Prüfung zuzulassen. Aber unter Xi werden sich die Dinge wahrscheinlich nicht auf diese Weise verbessern.

    Peter Humphrey ist ehemaliger Reuters-Korrespondent und war 15 Jahre lang als Betrugsermittler in China für westliche Firmen tätig. Derzeit ist er externer Forschungspartner des Fairbank Center for Chinese Studies der Harvard University und Mentor für Familien von Ausländern, die in China zu Unrecht inhaftiert wurden.

    News

    Geldstrafe für Due-Diligence-Firma aus den USA

    China hat eine Geldstrafe gegen die US-amerikanische Due-Diligence-Firma Mintz Group verhängt. Das Unternehmen muss nach Angaben des Pekinger Amtes für Statistik umgerechnet rund 1,5 Millionen US-Dollar zahlen, weil es auf illegale Weise Statistiken erhoben habe, wie Bloomberg am Dienstag berichtete.

    Demnach soll Mintz bei 37 Projekten zwischen März 2019 und Juli 2022 gegen Gesetze verstoßen haben. Mintz habe “auslandsbezogene Statistiken und Erhebungen” durchgeführt, ohne die entsprechenden Lizenzen für solche Aktivitäten zu erhalten, hieß es in der Erklärung der Behörden. Mintz antwortete zunächst nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.

    Im Zusammenhang mit einer Verschärfung des chinesischen “Anti-Spionage-Gesetzes” im Frühjahr gehen die Behörden vor allem auch verschärft gegen US-Beratungsfirmen vor. Im März durchsuchten Beamte Mintz-Büros in Peking und nahmen fünf chinesische Mitarbeiter des Unternehmens fest. Das Außenministerium erklärte damals, das Unternehmen stehe im Verdacht, illegale Geschäfte zu tätigen. Auch bei der China-Tochter der US-Unternehmensberatung Bain gab es im Frühjahr eine Razzia. ck

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    • Unternehmen

    US-Sanktionen wegen Tibet-Internaten

    US-Außenminister Antony Blinken hat neue Sanktionen gegen chinesische Funktionäre angekündigt. Die Maßnahmen richten sich demnach gegen Beamte der Volksrepublik, die an der “Zwangsassimilation von mehr als einer Million tibetischer Kinder” beteiligt sind. Die USA reagieren damit auf die Implementierung eines Internatssystems in Tibet, das Kinder jeden Alters dazu zwingt, ihre Heimatdörfer zu verlassen und den größten Teil des Jahres getrennt von ihren Familien zu verbringen.

    “Die Zwangsmaßnahmen zielen darauf ab, die besonderen sprachlichen, kulturellen und religiösen Traditionen Tibets bei den jüngeren Generationen der Tibeter zu beseitigen”, sagte Blinken. Die neuen Beschränkungen gelten sowohl für aktuelle als auch für ehemalige chinesische Beamte, die für die Bildungspolitik in Tibet mitverantwortlich sind. Man werde mit seinen Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten, um auf die Assimilationspolitik aufmerksam zu machen und Rechenschaft zu fordern, so Blinken.

    “Die USA handeln, der EU fehlt wieder Mut”

    Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Renata Alt (FDP), sieht in der Entscheidung der Amerikaner ein “gutes Beispiel” für Europa. “Die USA handeln, der EU fehlt wieder Mut, um auf Chinas Verletzungen von Menschenrechten entschlossen und konsequent zu reagieren”, sagte Alt. Sie fordert die EU auf, die bestehenden Instrumente im Rahmen der globalen Sanktionsregelung im Bereich der Menschenrechte (Magnitsky Act) selbstbewusster zu nutzen und sich dabei enger mit den demokratischen Partnern USA, Kanada und Großbritannien abzustimmen.

    “Weitere Regierungen sollten dem Beispiel der US-Regierung folgen und die für die Zwangsinternate Verantwortlichen im chinesischen Partei- und Staatsapparat sanktionieren”, hieß es seitens der Menschenrechtsorganisation International Campaign for Tibet. Deren Geschäftsführer in Deutschland, Kai Müller, dringt demokratische Staaten darauf, bei der nächsten Überprüfung Chinas im UN-Menschenrechtsrat im Januar kommenden Jahres “mit Nachdruck einen Kurswechsel der Kommunistischen Partei in Tibet zu fordern”.

    UN-Sonderberichterstatter schlugen Alarm

    Die USA sind das erste Land, das Sanktionen wegen Chinas Internatssystem aussprechen wollen. Bereits im Dezember hatte Washington zwei hochrangige chinesische Beamte wegen grundsätzlicher Menschenrechtsverletzungen in Tibet sanktioniert. China reagierte seinerseits mit Sanktionen gegen zwei US-Bürger. Deutschland dagegen hatte die Schließung der Internate im April dieses Jahres gefordert, seitdem aber keine weiteren Maßnahmen verfolgt.

    Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen hatten zu Jahresbeginn einen Bericht veröffentlicht, in dem sie Hinweisen auf die “Akkulturation und Assimilation der tibetischen Kultur an die dominante Han-chinesische Mehrheit durch eine Reihe von Unterdrückungsmaßnahmen” nachgingen.

    Der tibetische Exil-Präsident Penpa Tsering wies im Gespräch mit China.Table auf die dramatischen Folgen für fast eine Million Kinder in der Region hin. Ihnen sei der tägliche Kontakt mit ihren Eltern verwehrt, und sie hätten keine Möglichkeit, ihre Muttersprache zu nutzen, weil Tibetisch kategorisch verboten sei. “Wir sind an einem Punkt, an dem tibetische Kinder in den Ferien nach Hause kommen und nicht mehr in der Lage sind, sich mit ihren Eltern fließend zu unterhalten. Sie haben das Tibetische verlernt, während Mutter und Vater zu schlecht Mandarin sprechen”, sagte Tsering. grz

    • China-Sanktionen
    • Menschenrechte
    • Tibet

    Hongkong: Länge von Haftstrafen bestätigt

    Das Oberste Gericht in Hongkong hat entschieden, dass nach dem nationalen Sicherheitsgesetz verhängte Haftstrafen nicht verkürzt werden können. Bei der Beschreibung der Straflänge verwende das Gesetz “verbindliche Formulierungen”, erklärten die Richter laut der Nachrichtenagentur AFP.

    Zuvor war der wegen “Anstachelung zur Abspaltung” zu fünf Jahren Gefängnis verurteilte Student Lui Sai-yu in Berufung gegangen. Er forderte eine Strafminderung, weil er sich schuldig bekannt hatte. Das war bislang eine im Hongkonger Gewohnheitsrecht übliche Praxis.

    Nach dem Urteil der obersten Richter ist das Gesetz zur nationalen Sicherheit jedoch strikt anzuwenden. Für eine “Anstiftung zur Abspaltung” sieht dieses Gesetz Strafen von mindestens fünf und höchstens zehn Jahren vor. flee

    • Menschenrechte
    • Nationales Sicherheitsgesetz

    Arbeitslose Jugend drängt an Militärakademien

    Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit verzeichnen die Militärakademien Rekorde bei ihren Neuzugängen, berichtet die South China Morning Post unter Bezug auf die offizielle Zeitung der Volksbefreiungsarmee. So wurden in diesem Jahr 17.000 Schulabgänger an den insgesamt 27 Akademien aufgenommen, die höchste Zahl seit 2017 und 2.000 mehr als vergangenes Jahr.

    Gleichzeitig hat die Jugendarbeitslosigkeit ebenfalls einen historischen Höchststand erreicht. Im Juni war nach offiziellen Angaben mehr als jeder fünfte 16- bis 24-Jährige in den Städten des Landes arbeitslos. Letzte Woche dann stoppte Peking die Veröffentlichung der monatlichen Daten zur Jugendarbeitslosigkeit mit der Begründung, dass die Arbeitskräftestatistiken “weiter verbessert und optimiert” werden müssten.

    Das chinesische Verteidigungsministerium hatte im Juni mitgeteilt, dass den neuen Studierenden an den Militärakademien eine große Auswahl von Fächern angeboten werde, die sich “auf die Entwicklung künftiger Kriege fokussieren” würden. cyb

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    Wieder vermeintlicher CIA-Spion festgenommen

    Erneut haben Sicherheitkräfte der Volksrepublik China einen vermeintlichen US-Spion festgenommen. Die 39-jährige Person namens Hao sei während eines Studienaufenthaltes in Japan vom US-Geheimdienst CIA angeworben worden, hieß es. Das meldete das Ministerium für Staatssicherheit am Montag über seinen Wechat-Kanal. Ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, ließ die Mitteilung offen.

    Nach ihrer Rückkehr nach China habe die Person in einem Ministerium zu arbeiten begonnen und sich danach regelmäßig mit CIA-Mitarbeitern in China getroffen, um den Amerikanern gegen Bezahlung Informationen zu liefern. Die Ermittlungen laufen weiter, erklärte die Staatssicherheit.

    Bereits vor knapp zwei Wochen hatten die Behörden die Festnahme eines 52-Jährigen vermeldet der bei einem staatseigenen chinesischen Unternehmen angestellt war und ebenfalls verdeckt für die CIA spioniert haben soll.

    Erst zu Beginn des Monats hatte die Staatssicherheit die chinesische Öffentlichkeit aufgerufen, bei der Aufklärung von Spionage im eigenen Land mitzuhelfen. Kurz darauf hatten amerikanische Sicherheitsbehörden zwei Soldaten der US-Marine chinesischer Abstammung unter Spionageverdacht festgenommen. grz

    • Spionage

    Heads

    Kwon Pyong – Mit dem Jetski ins Asyl

    Geflohener Dissident Kwon Pyong
    Geflohener Dissident Kwon Pyong auf einem undatierten Selfie.

    Die Flucht des 35-jährigen Kwon Pyong per Jetski aus China nach Südkorea hat eine jahrelange Vorgeschichte. Der Nordchinese mit koreanischen Wurzeln aus der Provinz Jilin hatte sich zuvor mehr als zehn Jahre als Aktivist für Bürgerrechte in seiner Heimat eingesetzt und regelmäßig öffentlich gegen die politische Herrschaft von Parteichef Xi Jinping protestiert. Sein Aktivismus brachte ihn Ende 2016 wegen “Untergrabung der Staatsgewalt und Beleidigung des sozialistischen Systems” für anderthalb Jahre hinter Gitter.

    Die Verurteilung im Februar 2017 durch das Mittlere Volksgericht in Yanbian stütze sich laut Medienberichten auf die Veröffentlichung von rund 80 Kommentaren in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook. Dort äußerte er sich kritisch zu Chinas hartem Vorgehen gegen Rechtsanwälte in Land, aber auch zum Tian’anmen-Massaker oder der Menschenrechtssituation in Tibet.

    Mit Klarnamen kritische Posts in Sozialmedien

    2012 hatte Pyong kurze Zeit an der Iowa State University in den USA studiert, ehe er nach Jilin zurückkehrte. 2014 reiste er nach Hongkong, um sich an der Regenschirm-Bewegung “Occupy Hong Kong” zu beteiligen, die demokratische Wahlen in der Region gefordert hatten. Noch kurz vor seiner Verhaftung hatte er in seinem echten Namen und dem Attribut “BraveJohnny” über Twitter den Wunsch einer Hongkonger Unabhängigkeit formuliert.

    Im Monat zuvor hatte Pyong auf Twitter ein Foto von sich gepostet, auf dem er ein T-Shirt trägt, das Chinas Parteichef Xi Jinping mit Hitler verglich (#Xitler). Darunter verunglimpfte er Xi in chinesischen Schriftzeichen als “Xi Baozi” (gedämpftes Brötchen) und “Big Spender”. Einem Freund sagte er damals, er plane, am Nationalfeiertag (1. Oktober) mit dem T-Shirt auf die Straße zu gehen, was er offenbar zuvor bereits einmal getan hatte. Der Polizei war er bereits aufgefallen, weil er Postkarten an in China inhaftierte Menschenrechtsanwälte geschrieben hatte.

    Von Shandong 300 km bis Incheon

    Wenige Tage vor dem Beginn des Prozesses wurden die Anwälte von Kwon Pyong von seinen Eltern ohne ersichtlichen Grund entlassen und durften nicht vor Gericht erscheinen. Menschenrechtsorganisationen vermuten hinter den Vorgängen eine übliche Taktik chinesischer Behörden, die Druck auf Pyongs Eltern ausgeübt hätten, um jede Form eines wirksamen rechtlichen Beistandes für ihren Sohn zu verhindern. Seine Mutter bat ausländische Medien und örtliche Unterstützer, sie nicht mehr zu kontaktieren. Der Prozess gegen Pyong fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

    Weshalb Pyong mit einem Jetski rund 300 Kilometer über das Gelbe Meer nach Südkorea flüchtete, ist bislang unklar. Er soll sich von der Küste der Provinz Shandong auf den Weg über das Meer gemacht haben. Im Schlepptau des Jetskis soll er fünf Fässer mit Benzin transportiert haben, um unterwegs nicht in Seenot zu geraten. Die koreanische Küstenwache nahm ihn schließlich wegen illegaler Einreise fest.

    Dissidenten, die in China in Ungnade gefallen sind, werden in der Regel mit einem Ausreiseverbot belegt. Häufig werden sie ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt und von chinesischen Behörden jahrelang genau im Auge behalten. Staatssicherheit und Polizei statten Dissidenten regelmäßige Besuche ab, um sie vor weiterem Aktivismus oder Kontaktaufnahme mit ausländischen Medien zu warnen.

    China bemüht sich um Auslieferung von Dissidenten

    Andere Dissidenten berichten davon, dass ihnen jede Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft, auch nach dem Verbüßen ihrer Haftstrafe, verwehrt wird. Weder dürfen sie in eine regelmäßige Anstellung eintreten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, noch dürfen sie den Wohnort wechseln. Vermieter werden gewarnt, den Betroffenen eine neue Bleibe zur Verfügung zu stellen.

    Kwon, der mit chinesischem Namen Qian Ping heißt, hat laut koreanischen Medienberichten politisches Asyl beantragt. Die Menschenrechtsorganisation “Anwälte für das Recht des öffentlichen Interesses” hat sich seines Falles angenommen. Es heißt, er wolle in einem anderen Staat um Asyl bitten, wenn die koreanischen Behörden sich dagegen entscheiden.

    China versucht seinerseits, asiatische Nachbarstaaten zur Auslieferung geflohener Dissidenten zu bewegen. Erst kürzlich war der Menschenrechtsanwalt Lu Siwei in Laos verhaftet worden, als er sich im Transit nach Thailand befand, um von dort in die USA auszufliegen. Was seitdem mit Lu geschehen ist, ist unklar. Marcel Grzanna

    • Menschenrechte
    • Regenschirm-Bewegung

    China.Table Redaktion

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