mit der 98. Ausgabe endet heute China.Table Human Rights. Aber keine Sorge: Das bedeutet keineswegs dass wir nicht auch künftig, sehr genau auf die Menschenrechte in China blicken. Im Gegenteil werden wir die Widersprüche, Strategien und Lügen chinesischer Menschenrechtspolitik – oder was auch immer Peking als solches definiert – mit zunehmender Tiefe analysieren.
Die Einflussnahme des Landes auf die Bedeutung und Wahrnehmung von Menschenrechten ist weltweit so groß geworden, dass es unverzichtbar ist, Peking genau auf die Finger zu schauen. Der Versuch des Landes, uns einzulullen mit vermeintlchen Fortschritten im Bereich der Menschenrechte auf Nebenschauplätzen der politischen und wirtschftlichen Arenen, muss wachsam beobachtet und als solcher klar definiert werden. Das wird Table.Media genauso konsequent tun wie in den vergangenen Jahren.
Damit Sie auch weiterhin bestens informiert bleiben über die Tragik in Xinjiang, die Entdemokratisierung Hongkongs, Chinas Einflussnahme auf den UN-Menschenrechtsrat, über den Zustand der chinesischen Zivilgesellschaft oder über die Opfer von Chinas unzähligen Menschenrechtsverletzungen, lesen Sie künftig bitte unser Hauptprodukt China.Table. Dort finden Sie alles, was Sie bislang wöchentlich nur im Briefing zu Menschenrechten gelesen haben.
Vielen Dank für Ihre Treue
Export-Weltmeister China steht im Verdacht, neben Waren, Dienstleistungen und Technologien auch sein autoritäres Regierungssystem im Ausland feilzubieten. So wie die USA vor allem im 20. Jahrhundert die Verbreitung der Demokratie global förderten, so wolle Peking seinerseits der Welt das autokratische Regieren schmackhaft machen.
Doch mehr als Indizien gab es für die Vermutung bislang nicht. Zumal Peking sich gegen den Vorwurf wehrt, anderen Staaten sein System aufdrängen zu wollen. Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sind demnach tabu. Schließlich klopft China jedem auf die Finger, der sich in Angelegenheit einmischt, die China als innenpolitisch definiert.
Diese Darstellung bekommt jedoch zunehmend Risse. Eine gemeinsame Recherche des Onlinemediums Axios und der dänischen Zeitung Politiken weist darauf hin, dass die Kommunistische Partei durchaus interessiert an autokratischen Strukturen in jenen Staaten ist, in denen sie wirtschaftliche oder geostrategische Interessen vertritt. Im Fokus: Afrika.
An der Mwalimu Julius Nyerere Leadership School in Tansania unterrichten chinesische Experten, die aus Peking entsandt werden, um afrikanische Führungskräfte auszubilden. Zu den Studieninhalten zählen beispielsweise das Konzept der “gezielten Armutsbekämpfung” von Chinas Präsident Xi Jinping oder die chinesische Klimapolitik. Daran lässt sich kaum etwas aussetzen.
Doch laut dem Bericht sollen die Gäste aus China den Studenten aus sechs Ländern zudem klassische Ausprägungen autoritären Regierens vermitteln. Nach zahlreichen Gesprächen mit Teilnehmern und Kennern der Schule vor Ort habe sich herausgestellt, dass die Dozenten im Unterricht nachdrücklich empfehlen, eine Regierungspartei solle über dem Staat und den Gerichten stehen. Ein weiterer Tipp der Autokratie-Botschafter lautet: strenge Disziplin innerhalb der Partei zu wahren, um die Einhaltung der Ideologie sicherzustellen.
Die Schule, die 2022 eröffnet wurde, richtet sich vornehmlich an Funktionäre von sechs selbsternannten Befreiungsparteien:
Alle sechs Parteien sind demokratisch an die Spitze der Regierung in ihren Ländern gewählt worden und regieren seit vielen Jahren.
Explizit werden an der Schule ausschließlich junge Mitglieder der Regierungsparteien ausgebildet. Die Oppositionen stehen außen vor. Für Politikwissenschaftlerin Anne-Marie Brady von der Universität von Canterbury in Neuseeland ist das ein klarer Fall von Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. “Wenn man nicht das gesamte politische System unterstützt, sondern nur eine Partei, fördert man den Autoritarismus”, sagt Brady.
Finanziert wurde die Schule mit chinesischem Geld. Auf dem Campus wehen die Flaggen der sechs Parteien und in ihrer Mitte Chinas Nationalflagge. Zur Grundsteinlegung im Jahr 2018 richtete Xi Jinping eine Grußbotschaft an die sechs Parteien, die er als wichtige Kräfte im südlichen Afrika sehe, “um die nationale Befreiung und den wirtschaftlichen Aufbau in ihren jeweiligen Ländern anzuführen”.
Die Ansicht, dass China versucht, den Autoritarismus zu exportieren, ist unter Wissenschaftlern noch nicht allzu weit verbreitet. Daniel Mattingly von der Universität Yale, dessen Forschungsschwerpunkt auf autoritärer Politik in China liegt, findet es jedoch “bemerkenswert”, dass es Kursteilnehmer gibt, die die Schule mit der Erkenntnis verließen, dass man zu einem viel stärkeren Einparteienstaatsmodell übergehen müsse.
Für China wäre eine Autokratisierung demokratischer Staaten deshalb von Vorteil, weil nach einer solchen Umwälzung die wirtschaftlichen Interessen der Volksrepublik leichter durchzusetzen wären. Schließlich verkomplizieren die Mitbestimmung von Oppositionen und Zivilgesellschaft die Prozesse für die chinesische Regierung. Autokratien schaffen schnell und gern Fakten, die meistens auch den Interessen der regierenden Kaste dienen.
Die Schule in Tansania ist nicht der einzige Kanal, über den Chinas Parteistaat seine Botschaften an afrikanische Führungskräfte sendet. Beispielsweise besuchten Vertreter der simbabwischen Regierungspartei ZANU-PF schon im Mai 2019 eine ideologische Schulung durch die KP Chinas in der Provinz Shandong, um die Beziehung zwischen Partei und Regierung zu untersuchen. “Wenn wir über die Vormachtstellung der Partei gegenüber der Regierung sprechen, welche Befugnisse sollte die Partei haben”, war eine Frage, die Parteichef Oppah Muchinguri-Kashiri damals aufwarf.
Im September 2021 eröffnete die ZANU-PF ihre eigene ideologische Ausbildungsschule für Parteikader und Beamte. Gegner der ZANU-PF werfen Präsident Emmerson Mnangagwa vor, das chinesische System kopieren zu wollen.
Auch in die Demokratische Republik Kongo hat China seine Fühler ausgestreckt. 2020 veranstaltete die KPCh eine virtuelle Schulung für rund 50 Beamte der mittleren bis höheren Ebene der Partei der Arbeit. Kernthema damals: Wie die Regierungspartei eine führende Rolle beim sozialen und wirtschaftlichen Aufbau spielen könne.
“Trotz ihres undemokratischen Charakters wirbt die KPCh im Globalen Süden aktiv für ihr Parteistaatsmodell als idealen Weg zur raschen Modernisierung und Gewährleistung politischer Stabilität”, bilanziert der Autoritarismus-Experte Benjamin R. Young von der School of Government and Public Affairs in Virginia gegenüber der japanischen Zeitung Nikkei.
Für Young ist das keine große Überraschung. Die Abteilung für internationale Verbindungen des Zentralkomitees der KPCh kümmert sich seit Jahren um den Aufbau und die Pflege von Beziehungen zu ausländischen politischen Parteien, insbesondere zu denen in Afrika südlich der Sahara. Xi Jinping habe diese Kontaktaufnahme “als Eckpfeiler für die Unterstützung des wachsenden Einflusses Chinas im und um den globalen Süden neu priorisiert.“
Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den Parteien exportiere Peking seine Prinzipien der Zentralisierung und autokratischen Einparteienherrschaft in die Entwicklungsländer. In der Mwalimu Julius Nyerere Leadership School in Tansania sind es gleich sechs Entwicklungsländer auf einmal.
Queque, 26 Jahre, Staatsbedienstete, wohnhaft in Chongqing
Nach zwei Jahren Corona-Isolation war klar, dass Chinas Wirtschaft einen Abschwung erleben würde. In diesem Jahr hat der Staat aufgehört, die Arbeitslosenzahlen junger Menschen zu veröffentlichen. Arbeit zu finden, die gut bezahlt ist und einen nicht komplett auslaugt, ist fast unmöglich geworden. Aufgrund der Kompetenz der Machthaber und des Konjunkturzyklus bin ich persönlich der Meinung, dass der wirtschaftliche Abschwung noch lange anhalten wird.
Das bedeutet für die Menschen der Unter- und Mittelschicht, dass sie weiter Schwierigkeiten haben werden, eine gute Arbeit zu finden. Wir Chinesen sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Prüfungen eine große Rolle spielen. Ich denke, wir können uns deshalb gut auf neue Situationen einstellen. Veränderungen der sozialen Gegebenheiten können schmerzhaft sein, ja. Aber uns daran anzupassen bedeutet, dass wir überleben. Es ist mir peinlich, zuzugeben, dass wir mit der Gesellschaft unzufrieden sind und uns gleichzeitig nicht imstande sehen, das zu ändern.
Ich arbeite derzeit in einem staatlichen Unternehmen, das vom Management her sehr marktorientiert ist. Ich muss um 9 Uhr in der Firma sein. Neben der Mittagspause, die ungefähr eine Stunde dauert, gönne ich mir zwischendurch kleine Pausen und gegen 17.30 Uhr mache ich Feierabend. Oft bin ich aber auch sehr beschäftigt und arbeite auch am Wochenende. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich vielleicht nicht so viel arbeite wie andere in meinem Umfeld. In China gibt es genug Menschen, die deinen Job ebenso gut erledigen können, wenn du es nicht machen willst.
In nicht-staatlichen Unternehmen kann man aus den unterschiedlichsten Gründen entlassen werden, es reicht schon, wenn man älter wird. Das Arbeitsrecht in China bietet bei so etwas keinen perfekten Schutz. Staatliche Unternehmen in China entlassen ihre Mitarbeiter normalerweise nicht so schnell, es sei denn, sie machen einen großen Fehler.
In China können Frauen mit 55 Jahren und Männer mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen. Ich habe aber Angst, dass ich mit 50 schon total ausgelaugt bin. Ich habe von einer Studie gehört, die besagt, dass jedes Arbeitsjahr dich zwei Jahre Lebenszeit kostet, wenn du die 50 erst einmal überschritten hast.
Es ist erstaunlich: Die chinesische Gesellschaft scheint an nichts zu glauben: einige Leute leben für ihre Familie, andere wissen nicht, warum sie leben, aber das Leben eines jeden scheint aus Geld zu bestehen. Ich hoffe, dass sich alles ein wenig entschleunigt und dass wir uns einen Moment Zeit nehmen können, um die Schönheit des Lebens zu sehen und verstehen, dass es mehr als nur Geld in der Welt gibt. Es erscheint mir manchmal so, als seien alle geblendet von etwas, das für eine starke Feindseligkeit unter den Menschen sorgt. Etwas, das dazu führt, dass wir den Sinn für das Gute und das Schöne verlieren. Wenn es um soziale Gerechtigkeit und Klassen geht, habe ich das Gefühl, dass sich ganz Ostasien in einem Zustand der Unterdrückung befindet. Und das weckt Widerstand in mir.
Ich habe schon einmal darüber nachgedacht, auszuwandern, aber ich bin mit nur einem Elternteil aufgewachsen, und mein Herz hängt sehr an meiner Mutter. Deshalb möchte ich bei ihr bleiben und mich um sie kümmern. Es gäbe viele Gründe, China zu verlassen, aber mir reicht dieser eine Grund, um zu bleiben. Chinesische Familienbande sind sehr stark, aber sie können auch eine Bürde sein.
Qiqi, 31 Jahre, Skateboarder aus Peking
Heutzutage ist es relativ einfach, einen Job zu bekommen, den man auch mag, aber es ist wirklich schwer, ihn zu behalten und seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten. Ich habe Hoffnungen für die Zukunft, weil ich hart daran arbeite, meine eigenen Ziele zu erreichen. Noch bin ich aber auf finanzielle Hilfe anderer angewiesen. Ich bin freiberuflich tätig, hauptsächlich arbeite ich an meiner Band und meiner eigenen Skateboard-Marke. Es gibt Druck und Wettbewerb in allen Branchen, egal wie sehr die Leute vorgeben, freundlich und gut zueinander zu sein. Wer hofft denn nicht, dass seine Konkurrenten das Handtuch werfen?
Ich denke noch nicht viel über Dinge wie die Rente nach. Aber ich mache mir schon Sorgen, wovon ich im Alter leben soll (lacht). Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich gerne verreisen, vor allem nach Japan. Für die Zukunft hoffe ich, dass mehr junge Menschen gute Musik hören, mehr mit schönen Dingen in Berührung kommen und dass es weniger Dummköpfe gibt.
Yang, 35 Jahre, Werbefachfrau aus Shanxi. Seit 2022 zum Studium in Berlin.
Ich habe bis vergangenes Jahr für eine Internet-Firma in Peking gearbeitet. Eigentlich ein interessanter Job. Ich machte Kampagnen für bekannte Marken. Aber jeder Tag war auch unglaublich stressig. Sechs Tage die Woche, oftmals bis spät in die Nacht um drei oder vier. Morgens musste ich trotzdem früh ins Büro. Es herrschte hoher Druck. Keiner wollte als Erstes sagen: Oh, ich gehe jetzt nach Hause, ich brauche ein bisschen Freizeit. Im Gegenteil: Jeder wollte beweisen, dass er noch mehr und besser arbeiten kann als die anderen. Jeder stand mit jedem in Konkurrenz! Im Vergleich zu europäischen Ländern gibt es in China viel mehr Menschen. Tausende Universitätsabsolventen konkurrieren um die gleichen Jobs. Menschen, die Familien gründen wollen und diese dann auch ernähren müssen.
Wenn du eine Frau und älter als 30 bist, ist das Berufsleben in China aber nochmal härter. Im April 2022, ziemlich genau einen Monat, nachdem ich 35 Jahre alt geworden war, erklärte mir eine Vorgesetzte, dass es nun noch schwerer für mich sei, befördert zu werden. Und dass viele Firmen einen in diesem Alter nicht mehr einstellen wollen. Solche Sachen kamen aber nicht nur von ihr, sondern auch von Freunden. Viele meiner Kolleginnen wurden ab einem bestimmten Alter immer nervöser und hatten Angst, ihren Job zu verlieren.
Nach der Covid-Pandemie haben viele Firmen in China Mitarbeiter entlassen, um Kosten einzusparen, auch meine. 30 Prozent der Mitarbeiter mussten gehen, insbesondere die Älteren, aber auch solche, die noch Praktika machten oder Trainees waren. Auch ich verlor meinen Job. Ich war nicht geschockt, als es passierte, ich hatte es ja kommen sehen. Ich dachte also darüber nach, wie ich mein Leben ändern könnte. Natürlich machte ich mir Sorgen um mein Einkommen und die Lebenshaltungskosten, aber ich konnte genug kleinere Projekte freiberuflich umsetzen.
Während dieser Zeit begann ich, besseres Englisch zu lernen, um ins Ausland gehen und dort studieren zu können. Ich hatte immer schon den Wunsch, in einem anderen Land zu leben. Berlin war eher eine zufällige Wahl. Ich war hier 2018 mit meinem damaligen Partner zu Besuch, ich mochte die Graffitis, die Straßen, die Flüsse und die Parks. Und ich habe ein paar Freunde, die bereits hier lebten.
Aber es gab noch andere Gründe für mich, China zu verlassen. Ich komme aus einer traditionellen Familie. Meine Eltern hoffen, dass ich heirate, bevor ich zu alt bin. Aber das ist nun wohl schon passiert (lacht). Wenn ich etwas an der chinesischen Gesellschaft ändern könnte, würde ich die Leute überzeugen, sich mehr um eigene Geschäftsfelder zu bemühen, also eigene Start-ups oder Online-Plattformen zu gründen.
Und was ich auf jeden Fall noch ändern würde, ist dieser Ageismus! Nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. In China schreiben viele Firmen ganz offen in ihre Stellenausschreibungen, dass Bewerber über 35 nicht akzeptiert werden. Und das bei gefühlt 90 Prozent der Anzeigen! Das ist doch Wahnsinn. In Europa kann man auch mit über 40 noch weiter Karriere machen. Das ist schon sehr anders als in China. Ich denke, viele jüngere Chinesen haben mittlerweile erkannt, dass diese Art von Arbeitsmarkt unfair ist. Sie sind klug genug, um ihren Job und ihre Gesundheit besser in Einklang zu bringen. Ich blicke positiv in die Zukunft. Es wird besser werden, da bin ich mir sicher.
JL, Designerin, 29 Jahre alt, aus Hebei.
Ich arbeite als freiberufliche Designerin. Anfangs war es nicht leicht, über die Runden zu kommen, aber in den letzten Jahren ist es besser geworden. Ich habe im Grunde jeden Monat neue Aufträge, außerdem arbeite ich an einigen persönlichen Projekten. Nach meinem Abschluss wechselte ich etwa ein halbes Dutzend Mal die Firma, bis ich schließlich eine fand, die mir zusagte. Dort arbeitete ich fünf Jahre lang, bevor ich mich entschloss, mich selbstständig zu machen. Ich weiß nicht wirklich, wie der Arbeitsmarkt heutzutage aussieht, und es interessiert mich auch nicht wirklich. Ich habe in den letzten zwei Jahren erkannt, dass es so etwas wie Arbeitslosigkeit und Ruhestand nicht gibt, wenn man das tut, was man gerne tut und davon leben kann. Ich weiß nicht, was in der Zukunft passieren wird, vielleicht werde ich keine Rente haben, wenn ich alt bin, weil ich nicht für ein “normales” großes Unternehmen arbeite und nicht in der Sozialversicherung bin. Vielleicht werde ich nicht in der Lage sein, mich selbst zu versorgen … Ich hoffe, dass mir eine Lösung einfällt, bevor das passiert.
Das Thema Auswandern war in den letzten Jahren das heißeste Thema in China, und auch ich würde gerne woanders leben. Denn ich möchte in einer Umgebung mit einem anderen System leben, eine andere Kultur erleben. Aber im Moment ist noch nicht klar, welches Land für mich das Geeignetste wäre. Was ich an der heutigen Gesellschaft ändern würde, wenn ich könnte? Zu meiner eigenen Sicherheit beantworte ich diese Frage lieber nicht.
Eigentlich war die starke Luftverschmutzung in der Großregion Peking, Tianjin und Hebei in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Doch für die kommenden Wochen müssen sich die mehr als 100 Millionen Einwohner der Hauptstadtregion wieder auf heftigen Smog einstellen.
Wie der Schweizer Hersteller von Luftreinigungsgeräten IQ Air, der auch international die Luftqualität überwacht, laut AFP mitteilte, betrug die Konzentration der gefährlichen PM2,5-Feinstaubpartikel am Mittwoch das 20-Fache der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Obergrenze. Solche Geräte filtern in Wohnungen den Feinstaub aus der Luft.
Die Behörden sind alarmiert und haben den Verkehr von Kraftfahrzeugen mit hohem Abgasausstoß bereits eingeschränkt. Die Bürger werden gebeten, von Zuhause aus zu arbeiten. Die starke Luftverschmutzung werde aufgrund einer sogenannten Inversionswetterlage voraussichtlich noch bis Mitte November anhalten, berichtet die “Beijing Daily” unter Berufung auf Behördenvertreter.
Bei einer Inversionswetterlage liegen wärmere Luftschichten über den kälteren. Die Luft wird unter einer Art warmen Glocke festgehalten und dadurch am Aufsteigen gehindert. Je mehr Schadstoffe, die von Fabriken und Autos ausgestoßen werden, sich in dieser Luftschicht sammeln, umso dichter wird der Smog. rtr/flee
Der chinesische Präsident Xi Jinping hat angesichts fallender Geburtenraten die Frauen in der Volksrepublik dazu aufgerufen, einen “neuen Trend zur Familie” zu etablieren. Es sei notwendig, “aktiv eine neue Kultur der Ehe und des Gebärens zu kultivieren und junge Menschen bei Ehe, Geburt und Familie stärker zu führen”, sagte er am Montag. Das berichtet die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua.
Die Rolle der Frauen für die Gesellschaft sei in einem Gespräch zwischen Xi und der neuen Führung des Gesamtchinesischen Frauenverbands (All-China Women’s Federation, ACWF) thematisiert worden. Fortschritte im Bereich der Frauenpolitik würden sich nicht nur auf die Frauen selbst auswirken, hieß es weiter. Auch die familiäre und soziale Harmonie sowie der nationale Fortschritt des Landes seien betroffen. rtr
Hongkong hat einer Wissenschaftlerin, die zum Tiananmen-Massaker forscht, das Visum verweigert. Die kanadische Geschichtsprofessorin Rowena He kann damit ihre Lehrtätigkeit an der Chinesischen Universität Hongkong (CUHK) nicht weiter ausüben. Wie die Financial Times am Freitag berichtete, sei He von der Universität “mit sofortiger Wirkung” entlassen worden, wobei die CUHK das abgelehnte Visum durch die städtische Einwanderungsbehörde als Grund angab.
Beobachter werten das verweigerte Visum als Folge des Nationalen Sicherheitsgesetzes, mit dem Peking die bürgerlichen Freiheiten in der Stadt seit den Protesten im Jahr 2019 zunehmend beschränkt. Auch die Hochschulbildung leidet unter den verschärften Kontrollen, schreibt die Financial Times. Eine wachsende Zahl von Akademikern habe Hongkong bereits verlassen.
Auch He erklärte, die Ablehnung ihres Visums symbolisiere “die Verschlechterung der intellektuellen Freiheit in Hongkong”. Eines ihrer Bücher zum Thema Tiananmen wurde bereits im Mai aus öffentlichen Bibliotheken entfernt. “Man hat mir von Anfang an gesagt, ich solle nicht über Tiananmen arbeiten”, erklärt He, die in China zur Welt kam. “Es würde nicht ohne einen Preis kommen. Dieses Mal ist der Preis das Ende meines akademischen Lebens in Hongkong.” fpe
Angesichts sinkender Fortpflanzungsraten in China haben viele Experten viele Ratschläge zur Lösung dieses Problems gegeben. Aber all diesen Vorschlägen mangelt es an einem entscheidenden Bestandteil: einer kritischen Sichtweise der Geschlechterrollen.
Da der Schwerpunkt solcher Untersuchungen hauptsächlich auf den hohen Kosten der Kindererziehung und ihrem Einfluss auf die Geburtenraten lag, wurden die Karrierenachteile, die Frauen erleiden, wenn sie ein Kind bekommen, weitgehend übersehen. Chinas Politiker würden erheblich von der Arbeit der Ökonomin Claudia Goldin von der Harvard University profitieren, die in diesem Jahr für ihre Forschungen zum “Verständnis der Arbeitsmarktergebnisse der Frauen” den Wirtschaftsnobelpreis bekommen hat.
Was also hat eine geschlechterkritische Ökonomie zur sinkenden Fortpflanzungsrate der Chinesinnen zu sagen? Zunächst einmal zeigt die wachsende Literatur über die Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, dass die Geburt eines Kindes einen erheblichen negativen Einfluss auf zukünftige Aussichten und Einkommen haben kann.
Diese “Elternstrafe” könnte eigentlich besser als “Mutterstrafe” bezeichnet werden, da sie fast ausschließlich Frauen betrifft. Die Daten zeigen, dass Frauen mit Kindern weniger arbeiten und verdienen als solche ohne Kinder. Einige Ökonomen beziffern diese “Elternstrafe” auf etwa 20 Prozent des Einkommens.
Mithilfe dieser Zahl haben die Ökonomen Yaohui Zhao, Xiaobo Zhang und ich die lebenslangen Einkommensverluste untersucht, die mit Kindergeburten in China verbunden sind. Dabei kamen wir auf eine Summe von etwa 78.000 US-Dollar. Bereits zuvor hatte das YuWa-Bevölkerungsforschungsinstitut die Kosten von Kindern in China – von steigenden Ernährungspreisen über Mieten bis hin zu Ausbildungskosten – untersucht und für die Zeit von der Geburt bis zum Alter von 18 Jahren auf etwa 66.000 Dollar geschätzt. Dies ist das 6,9-fache des chinesischen Pro-Kopf-BIP – ein viel höherer Faktor als in den Vereinigten Staaten, Frankreich oder Deutschland.
Aber diese Zahlen beziehen sich lediglich auf die direkten Kosten. Einschließlich der “Elternstrafe” betragen die durchschnittlichen Gesamtkosten dafür, in China ein Kind groß zu ziehen, bis zu 144.000 US-Dollar. Während sie im ländlichen Raum wohl eher bei etwa 84.000 Dollar liegen, können sie in Stadtgebieten wie Peking oder Shanghai 300.000 Dollar übersteigen.
Und dies sind lediglich die quantifizierbaren monetären Kosten. Zusätzliche Risiken ergeben sich beispielsweise aus den steigenden Scheidungsraten und den schlecht regulierten Verfahren für die Zuweisung des Sorgerechts: Als Jing Zhang von der Pekinger Rechtsanwaltsvereinigung mehr als 700 Sorgerechtsfälle untersuchte, fand sie heraus, dass in 13 Prozent aller Fälle Kinder zwangsweise getrennt oder vor einem Elternteil versteckt wurden – meist von den Vätern.
Da Chinas steigende Scheidungsrate ein neues Phänomen ist, lassen die Gesetze und deren Durchsetzung in diesem Bereich viel zu wünschen übrig. Fälle von Elternteilen und häufig von Müttern, denen das Sorgerecht zugewiesen wurde, die aber keinen Zugang zu ihren Kindern haben, sind nicht ungewöhnlich.
Wie in den meisten Ländern sind die arbeitenden Frauen in China außerdem überproportional durch familiäre Betreuung und Hausarbeit belastet. Laut der Weltbank liegt die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt in China heute bei 61,1 Prozent (weit über dem weltweiten Durchschnitt von 50 Prozent), aber die Frauen erledigen 2,6-mal so viel unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit wie Männer.
Kein Wunder, dass moderne chinesische Frauen zögern, Kinder zu bekommen. Wie die arbeitenden amerikanischen Frauen, die Goldin untersucht hat, sind die chinesischen Frauen heute sehr anders als ihre Mütter oder Großmütter. Sie sind mit der Ein-Kind-Politik und der umfassenderen Hochschulbildung für Frauen seit 1999 aufgewachsen. Diese Frauen hatten viel bessere Ausbildungsmöglichkeiten und haben nicht nur von den “Reformen und Öffnungen” profitiert, sondern auch von Chinas Anschluss an die Welthandelsorganisation 2001.
Nach den enormen Fortschritten im Ausbildungs-, Arbeits- und Sozialbereich, die sich frühere Generationen kaum hätten vorstellen können, fügen sich viele chinesische Frauen nicht mehr in das traditionelle Modell der Ehe – laut dem Männer Versorger sowie Oberhäupter der Haushalte und ihre Partnerinnen untergeordnete Hausfrauen sind. Sie weigern sich zu akzeptieren, dass ihre gesamte Identität aus Mutterschaft bestehen sollte.
Aber heute erhöht sich – angesichts der hartnäckig niedrigen Fortpflanzungsrate im Land – erneut der soziale Druck auf Frauen, sich “verantwortungsvoll zu verhalten”, also ihre früheren Rollen wieder einzunehmen. Außerdem drängen Eltern ihre Töchter, zu heiraten und Kinder zu bekommen, damit sie keine “übrig gebliebenen Frauen” (Alleinstehende über 27 Jahre) werden. Aber dieser Druck trägt zur Belastung und Unruhe, die viele Frauen beim Eintritt ins Berufsleben sowieso schon spüren, noch stärker bei.
Angesichts dieser überwältigenden Ansprüche tun viele Frauen das Gegenteil dessen, was ihnen gesagt wird, und weigern sich zu heiraten. Das ergibt auch Sinn: Solange sie alleinstehend sind, haben sie keinen Druck, Kinder zu bekommen und die massive Doppelpflicht zu erfüllen, Hausfrau zu sein und gleichzeitig Vollzeit zu arbeiten.
Dies ist der stille Streik der modernen chinesischen Frauen. Da sie sowohl im Büro als auch zu Hause arbeiten müssen, brauchen sie Männer, die die Initiative ergreifen und einen größeren Teil der Verantwortung für Haushalt und Kinder übernehmen. Außerdem benötigen sie bessere politische und regulative Maßnahmen gegen Geschlechterungleichheit.
Daher kann die Lösung für sinkende Fertilitätsraten nicht nur materieller oder monetärer Natur sein. Subventionen für Kinderbetreuung oder Kindergärten sind wichtig, aber es muss auch mehr getan werden, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. China sollte mit seinen politischen und sozialen Werten – am Arbeitsplatz oder zu Hause – die Wahlfreiheit von Frauen und Männern respektieren und fördern. Die Politiker müssen erkennen, dass viele Frauen eine erfolgreiche Karriere wollen, und sie sollten Männer, die im Haushalt und in der Kindererziehung mithelfen, ermutigen und feiern.
China profitiert von seiner außerordentlichen Fähigkeit, politische Ziele erreichen zu können. Gehen chinesische Politiker zusätzliche Schritte, um beiden Geschlechtern mehr Perspektiven zu bieten, könnten sie dadurch nachhaltigere und gesündere Fortpflanzungsraten erreichen und Frauen dabei helfen, wirklich “die Hälfte des Himmels zu tragen“. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
Qian Liu ist Geschäftsführerin der Economist Group in China.
Copyright: Project Syndicate, 2023.
www.project-syndicate.org
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Die Einflussnahme des Landes auf die Bedeutung und Wahrnehmung von Menschenrechten ist weltweit so groß geworden, dass es unverzichtbar ist, Peking genau auf die Finger zu schauen. Der Versuch des Landes, uns einzulullen mit vermeintlchen Fortschritten im Bereich der Menschenrechte auf Nebenschauplätzen der politischen und wirtschftlichen Arenen, muss wachsam beobachtet und als solcher klar definiert werden. Das wird Table.Media genauso konsequent tun wie in den vergangenen Jahren.
Damit Sie auch weiterhin bestens informiert bleiben über die Tragik in Xinjiang, die Entdemokratisierung Hongkongs, Chinas Einflussnahme auf den UN-Menschenrechtsrat, über den Zustand der chinesischen Zivilgesellschaft oder über die Opfer von Chinas unzähligen Menschenrechtsverletzungen, lesen Sie künftig bitte unser Hauptprodukt China.Table. Dort finden Sie alles, was Sie bislang wöchentlich nur im Briefing zu Menschenrechten gelesen haben.
Vielen Dank für Ihre Treue
Export-Weltmeister China steht im Verdacht, neben Waren, Dienstleistungen und Technologien auch sein autoritäres Regierungssystem im Ausland feilzubieten. So wie die USA vor allem im 20. Jahrhundert die Verbreitung der Demokratie global förderten, so wolle Peking seinerseits der Welt das autokratische Regieren schmackhaft machen.
Doch mehr als Indizien gab es für die Vermutung bislang nicht. Zumal Peking sich gegen den Vorwurf wehrt, anderen Staaten sein System aufdrängen zu wollen. Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sind demnach tabu. Schließlich klopft China jedem auf die Finger, der sich in Angelegenheit einmischt, die China als innenpolitisch definiert.
Diese Darstellung bekommt jedoch zunehmend Risse. Eine gemeinsame Recherche des Onlinemediums Axios und der dänischen Zeitung Politiken weist darauf hin, dass die Kommunistische Partei durchaus interessiert an autokratischen Strukturen in jenen Staaten ist, in denen sie wirtschaftliche oder geostrategische Interessen vertritt. Im Fokus: Afrika.
An der Mwalimu Julius Nyerere Leadership School in Tansania unterrichten chinesische Experten, die aus Peking entsandt werden, um afrikanische Führungskräfte auszubilden. Zu den Studieninhalten zählen beispielsweise das Konzept der “gezielten Armutsbekämpfung” von Chinas Präsident Xi Jinping oder die chinesische Klimapolitik. Daran lässt sich kaum etwas aussetzen.
Doch laut dem Bericht sollen die Gäste aus China den Studenten aus sechs Ländern zudem klassische Ausprägungen autoritären Regierens vermitteln. Nach zahlreichen Gesprächen mit Teilnehmern und Kennern der Schule vor Ort habe sich herausgestellt, dass die Dozenten im Unterricht nachdrücklich empfehlen, eine Regierungspartei solle über dem Staat und den Gerichten stehen. Ein weiterer Tipp der Autokratie-Botschafter lautet: strenge Disziplin innerhalb der Partei zu wahren, um die Einhaltung der Ideologie sicherzustellen.
Die Schule, die 2022 eröffnet wurde, richtet sich vornehmlich an Funktionäre von sechs selbsternannten Befreiungsparteien:
Alle sechs Parteien sind demokratisch an die Spitze der Regierung in ihren Ländern gewählt worden und regieren seit vielen Jahren.
Explizit werden an der Schule ausschließlich junge Mitglieder der Regierungsparteien ausgebildet. Die Oppositionen stehen außen vor. Für Politikwissenschaftlerin Anne-Marie Brady von der Universität von Canterbury in Neuseeland ist das ein klarer Fall von Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. “Wenn man nicht das gesamte politische System unterstützt, sondern nur eine Partei, fördert man den Autoritarismus”, sagt Brady.
Finanziert wurde die Schule mit chinesischem Geld. Auf dem Campus wehen die Flaggen der sechs Parteien und in ihrer Mitte Chinas Nationalflagge. Zur Grundsteinlegung im Jahr 2018 richtete Xi Jinping eine Grußbotschaft an die sechs Parteien, die er als wichtige Kräfte im südlichen Afrika sehe, “um die nationale Befreiung und den wirtschaftlichen Aufbau in ihren jeweiligen Ländern anzuführen”.
Die Ansicht, dass China versucht, den Autoritarismus zu exportieren, ist unter Wissenschaftlern noch nicht allzu weit verbreitet. Daniel Mattingly von der Universität Yale, dessen Forschungsschwerpunkt auf autoritärer Politik in China liegt, findet es jedoch “bemerkenswert”, dass es Kursteilnehmer gibt, die die Schule mit der Erkenntnis verließen, dass man zu einem viel stärkeren Einparteienstaatsmodell übergehen müsse.
Für China wäre eine Autokratisierung demokratischer Staaten deshalb von Vorteil, weil nach einer solchen Umwälzung die wirtschaftlichen Interessen der Volksrepublik leichter durchzusetzen wären. Schließlich verkomplizieren die Mitbestimmung von Oppositionen und Zivilgesellschaft die Prozesse für die chinesische Regierung. Autokratien schaffen schnell und gern Fakten, die meistens auch den Interessen der regierenden Kaste dienen.
Die Schule in Tansania ist nicht der einzige Kanal, über den Chinas Parteistaat seine Botschaften an afrikanische Führungskräfte sendet. Beispielsweise besuchten Vertreter der simbabwischen Regierungspartei ZANU-PF schon im Mai 2019 eine ideologische Schulung durch die KP Chinas in der Provinz Shandong, um die Beziehung zwischen Partei und Regierung zu untersuchen. “Wenn wir über die Vormachtstellung der Partei gegenüber der Regierung sprechen, welche Befugnisse sollte die Partei haben”, war eine Frage, die Parteichef Oppah Muchinguri-Kashiri damals aufwarf.
Im September 2021 eröffnete die ZANU-PF ihre eigene ideologische Ausbildungsschule für Parteikader und Beamte. Gegner der ZANU-PF werfen Präsident Emmerson Mnangagwa vor, das chinesische System kopieren zu wollen.
Auch in die Demokratische Republik Kongo hat China seine Fühler ausgestreckt. 2020 veranstaltete die KPCh eine virtuelle Schulung für rund 50 Beamte der mittleren bis höheren Ebene der Partei der Arbeit. Kernthema damals: Wie die Regierungspartei eine führende Rolle beim sozialen und wirtschaftlichen Aufbau spielen könne.
“Trotz ihres undemokratischen Charakters wirbt die KPCh im Globalen Süden aktiv für ihr Parteistaatsmodell als idealen Weg zur raschen Modernisierung und Gewährleistung politischer Stabilität”, bilanziert der Autoritarismus-Experte Benjamin R. Young von der School of Government and Public Affairs in Virginia gegenüber der japanischen Zeitung Nikkei.
Für Young ist das keine große Überraschung. Die Abteilung für internationale Verbindungen des Zentralkomitees der KPCh kümmert sich seit Jahren um den Aufbau und die Pflege von Beziehungen zu ausländischen politischen Parteien, insbesondere zu denen in Afrika südlich der Sahara. Xi Jinping habe diese Kontaktaufnahme “als Eckpfeiler für die Unterstützung des wachsenden Einflusses Chinas im und um den globalen Süden neu priorisiert.“
Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den Parteien exportiere Peking seine Prinzipien der Zentralisierung und autokratischen Einparteienherrschaft in die Entwicklungsländer. In der Mwalimu Julius Nyerere Leadership School in Tansania sind es gleich sechs Entwicklungsländer auf einmal.
Queque, 26 Jahre, Staatsbedienstete, wohnhaft in Chongqing
Nach zwei Jahren Corona-Isolation war klar, dass Chinas Wirtschaft einen Abschwung erleben würde. In diesem Jahr hat der Staat aufgehört, die Arbeitslosenzahlen junger Menschen zu veröffentlichen. Arbeit zu finden, die gut bezahlt ist und einen nicht komplett auslaugt, ist fast unmöglich geworden. Aufgrund der Kompetenz der Machthaber und des Konjunkturzyklus bin ich persönlich der Meinung, dass der wirtschaftliche Abschwung noch lange anhalten wird.
Das bedeutet für die Menschen der Unter- und Mittelschicht, dass sie weiter Schwierigkeiten haben werden, eine gute Arbeit zu finden. Wir Chinesen sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Prüfungen eine große Rolle spielen. Ich denke, wir können uns deshalb gut auf neue Situationen einstellen. Veränderungen der sozialen Gegebenheiten können schmerzhaft sein, ja. Aber uns daran anzupassen bedeutet, dass wir überleben. Es ist mir peinlich, zuzugeben, dass wir mit der Gesellschaft unzufrieden sind und uns gleichzeitig nicht imstande sehen, das zu ändern.
Ich arbeite derzeit in einem staatlichen Unternehmen, das vom Management her sehr marktorientiert ist. Ich muss um 9 Uhr in der Firma sein. Neben der Mittagspause, die ungefähr eine Stunde dauert, gönne ich mir zwischendurch kleine Pausen und gegen 17.30 Uhr mache ich Feierabend. Oft bin ich aber auch sehr beschäftigt und arbeite auch am Wochenende. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich vielleicht nicht so viel arbeite wie andere in meinem Umfeld. In China gibt es genug Menschen, die deinen Job ebenso gut erledigen können, wenn du es nicht machen willst.
In nicht-staatlichen Unternehmen kann man aus den unterschiedlichsten Gründen entlassen werden, es reicht schon, wenn man älter wird. Das Arbeitsrecht in China bietet bei so etwas keinen perfekten Schutz. Staatliche Unternehmen in China entlassen ihre Mitarbeiter normalerweise nicht so schnell, es sei denn, sie machen einen großen Fehler.
In China können Frauen mit 55 Jahren und Männer mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen. Ich habe aber Angst, dass ich mit 50 schon total ausgelaugt bin. Ich habe von einer Studie gehört, die besagt, dass jedes Arbeitsjahr dich zwei Jahre Lebenszeit kostet, wenn du die 50 erst einmal überschritten hast.
Es ist erstaunlich: Die chinesische Gesellschaft scheint an nichts zu glauben: einige Leute leben für ihre Familie, andere wissen nicht, warum sie leben, aber das Leben eines jeden scheint aus Geld zu bestehen. Ich hoffe, dass sich alles ein wenig entschleunigt und dass wir uns einen Moment Zeit nehmen können, um die Schönheit des Lebens zu sehen und verstehen, dass es mehr als nur Geld in der Welt gibt. Es erscheint mir manchmal so, als seien alle geblendet von etwas, das für eine starke Feindseligkeit unter den Menschen sorgt. Etwas, das dazu führt, dass wir den Sinn für das Gute und das Schöne verlieren. Wenn es um soziale Gerechtigkeit und Klassen geht, habe ich das Gefühl, dass sich ganz Ostasien in einem Zustand der Unterdrückung befindet. Und das weckt Widerstand in mir.
Ich habe schon einmal darüber nachgedacht, auszuwandern, aber ich bin mit nur einem Elternteil aufgewachsen, und mein Herz hängt sehr an meiner Mutter. Deshalb möchte ich bei ihr bleiben und mich um sie kümmern. Es gäbe viele Gründe, China zu verlassen, aber mir reicht dieser eine Grund, um zu bleiben. Chinesische Familienbande sind sehr stark, aber sie können auch eine Bürde sein.
Qiqi, 31 Jahre, Skateboarder aus Peking
Heutzutage ist es relativ einfach, einen Job zu bekommen, den man auch mag, aber es ist wirklich schwer, ihn zu behalten und seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten. Ich habe Hoffnungen für die Zukunft, weil ich hart daran arbeite, meine eigenen Ziele zu erreichen. Noch bin ich aber auf finanzielle Hilfe anderer angewiesen. Ich bin freiberuflich tätig, hauptsächlich arbeite ich an meiner Band und meiner eigenen Skateboard-Marke. Es gibt Druck und Wettbewerb in allen Branchen, egal wie sehr die Leute vorgeben, freundlich und gut zueinander zu sein. Wer hofft denn nicht, dass seine Konkurrenten das Handtuch werfen?
Ich denke noch nicht viel über Dinge wie die Rente nach. Aber ich mache mir schon Sorgen, wovon ich im Alter leben soll (lacht). Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich gerne verreisen, vor allem nach Japan. Für die Zukunft hoffe ich, dass mehr junge Menschen gute Musik hören, mehr mit schönen Dingen in Berührung kommen und dass es weniger Dummköpfe gibt.
Yang, 35 Jahre, Werbefachfrau aus Shanxi. Seit 2022 zum Studium in Berlin.
Ich habe bis vergangenes Jahr für eine Internet-Firma in Peking gearbeitet. Eigentlich ein interessanter Job. Ich machte Kampagnen für bekannte Marken. Aber jeder Tag war auch unglaublich stressig. Sechs Tage die Woche, oftmals bis spät in die Nacht um drei oder vier. Morgens musste ich trotzdem früh ins Büro. Es herrschte hoher Druck. Keiner wollte als Erstes sagen: Oh, ich gehe jetzt nach Hause, ich brauche ein bisschen Freizeit. Im Gegenteil: Jeder wollte beweisen, dass er noch mehr und besser arbeiten kann als die anderen. Jeder stand mit jedem in Konkurrenz! Im Vergleich zu europäischen Ländern gibt es in China viel mehr Menschen. Tausende Universitätsabsolventen konkurrieren um die gleichen Jobs. Menschen, die Familien gründen wollen und diese dann auch ernähren müssen.
Wenn du eine Frau und älter als 30 bist, ist das Berufsleben in China aber nochmal härter. Im April 2022, ziemlich genau einen Monat, nachdem ich 35 Jahre alt geworden war, erklärte mir eine Vorgesetzte, dass es nun noch schwerer für mich sei, befördert zu werden. Und dass viele Firmen einen in diesem Alter nicht mehr einstellen wollen. Solche Sachen kamen aber nicht nur von ihr, sondern auch von Freunden. Viele meiner Kolleginnen wurden ab einem bestimmten Alter immer nervöser und hatten Angst, ihren Job zu verlieren.
Nach der Covid-Pandemie haben viele Firmen in China Mitarbeiter entlassen, um Kosten einzusparen, auch meine. 30 Prozent der Mitarbeiter mussten gehen, insbesondere die Älteren, aber auch solche, die noch Praktika machten oder Trainees waren. Auch ich verlor meinen Job. Ich war nicht geschockt, als es passierte, ich hatte es ja kommen sehen. Ich dachte also darüber nach, wie ich mein Leben ändern könnte. Natürlich machte ich mir Sorgen um mein Einkommen und die Lebenshaltungskosten, aber ich konnte genug kleinere Projekte freiberuflich umsetzen.
Während dieser Zeit begann ich, besseres Englisch zu lernen, um ins Ausland gehen und dort studieren zu können. Ich hatte immer schon den Wunsch, in einem anderen Land zu leben. Berlin war eher eine zufällige Wahl. Ich war hier 2018 mit meinem damaligen Partner zu Besuch, ich mochte die Graffitis, die Straßen, die Flüsse und die Parks. Und ich habe ein paar Freunde, die bereits hier lebten.
Aber es gab noch andere Gründe für mich, China zu verlassen. Ich komme aus einer traditionellen Familie. Meine Eltern hoffen, dass ich heirate, bevor ich zu alt bin. Aber das ist nun wohl schon passiert (lacht). Wenn ich etwas an der chinesischen Gesellschaft ändern könnte, würde ich die Leute überzeugen, sich mehr um eigene Geschäftsfelder zu bemühen, also eigene Start-ups oder Online-Plattformen zu gründen.
Und was ich auf jeden Fall noch ändern würde, ist dieser Ageismus! Nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. In China schreiben viele Firmen ganz offen in ihre Stellenausschreibungen, dass Bewerber über 35 nicht akzeptiert werden. Und das bei gefühlt 90 Prozent der Anzeigen! Das ist doch Wahnsinn. In Europa kann man auch mit über 40 noch weiter Karriere machen. Das ist schon sehr anders als in China. Ich denke, viele jüngere Chinesen haben mittlerweile erkannt, dass diese Art von Arbeitsmarkt unfair ist. Sie sind klug genug, um ihren Job und ihre Gesundheit besser in Einklang zu bringen. Ich blicke positiv in die Zukunft. Es wird besser werden, da bin ich mir sicher.
JL, Designerin, 29 Jahre alt, aus Hebei.
Ich arbeite als freiberufliche Designerin. Anfangs war es nicht leicht, über die Runden zu kommen, aber in den letzten Jahren ist es besser geworden. Ich habe im Grunde jeden Monat neue Aufträge, außerdem arbeite ich an einigen persönlichen Projekten. Nach meinem Abschluss wechselte ich etwa ein halbes Dutzend Mal die Firma, bis ich schließlich eine fand, die mir zusagte. Dort arbeitete ich fünf Jahre lang, bevor ich mich entschloss, mich selbstständig zu machen. Ich weiß nicht wirklich, wie der Arbeitsmarkt heutzutage aussieht, und es interessiert mich auch nicht wirklich. Ich habe in den letzten zwei Jahren erkannt, dass es so etwas wie Arbeitslosigkeit und Ruhestand nicht gibt, wenn man das tut, was man gerne tut und davon leben kann. Ich weiß nicht, was in der Zukunft passieren wird, vielleicht werde ich keine Rente haben, wenn ich alt bin, weil ich nicht für ein “normales” großes Unternehmen arbeite und nicht in der Sozialversicherung bin. Vielleicht werde ich nicht in der Lage sein, mich selbst zu versorgen … Ich hoffe, dass mir eine Lösung einfällt, bevor das passiert.
Das Thema Auswandern war in den letzten Jahren das heißeste Thema in China, und auch ich würde gerne woanders leben. Denn ich möchte in einer Umgebung mit einem anderen System leben, eine andere Kultur erleben. Aber im Moment ist noch nicht klar, welches Land für mich das Geeignetste wäre. Was ich an der heutigen Gesellschaft ändern würde, wenn ich könnte? Zu meiner eigenen Sicherheit beantworte ich diese Frage lieber nicht.
Eigentlich war die starke Luftverschmutzung in der Großregion Peking, Tianjin und Hebei in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Doch für die kommenden Wochen müssen sich die mehr als 100 Millionen Einwohner der Hauptstadtregion wieder auf heftigen Smog einstellen.
Wie der Schweizer Hersteller von Luftreinigungsgeräten IQ Air, der auch international die Luftqualität überwacht, laut AFP mitteilte, betrug die Konzentration der gefährlichen PM2,5-Feinstaubpartikel am Mittwoch das 20-Fache der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Obergrenze. Solche Geräte filtern in Wohnungen den Feinstaub aus der Luft.
Die Behörden sind alarmiert und haben den Verkehr von Kraftfahrzeugen mit hohem Abgasausstoß bereits eingeschränkt. Die Bürger werden gebeten, von Zuhause aus zu arbeiten. Die starke Luftverschmutzung werde aufgrund einer sogenannten Inversionswetterlage voraussichtlich noch bis Mitte November anhalten, berichtet die “Beijing Daily” unter Berufung auf Behördenvertreter.
Bei einer Inversionswetterlage liegen wärmere Luftschichten über den kälteren. Die Luft wird unter einer Art warmen Glocke festgehalten und dadurch am Aufsteigen gehindert. Je mehr Schadstoffe, die von Fabriken und Autos ausgestoßen werden, sich in dieser Luftschicht sammeln, umso dichter wird der Smog. rtr/flee
Der chinesische Präsident Xi Jinping hat angesichts fallender Geburtenraten die Frauen in der Volksrepublik dazu aufgerufen, einen “neuen Trend zur Familie” zu etablieren. Es sei notwendig, “aktiv eine neue Kultur der Ehe und des Gebärens zu kultivieren und junge Menschen bei Ehe, Geburt und Familie stärker zu führen”, sagte er am Montag. Das berichtet die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua.
Die Rolle der Frauen für die Gesellschaft sei in einem Gespräch zwischen Xi und der neuen Führung des Gesamtchinesischen Frauenverbands (All-China Women’s Federation, ACWF) thematisiert worden. Fortschritte im Bereich der Frauenpolitik würden sich nicht nur auf die Frauen selbst auswirken, hieß es weiter. Auch die familiäre und soziale Harmonie sowie der nationale Fortschritt des Landes seien betroffen. rtr
Hongkong hat einer Wissenschaftlerin, die zum Tiananmen-Massaker forscht, das Visum verweigert. Die kanadische Geschichtsprofessorin Rowena He kann damit ihre Lehrtätigkeit an der Chinesischen Universität Hongkong (CUHK) nicht weiter ausüben. Wie die Financial Times am Freitag berichtete, sei He von der Universität “mit sofortiger Wirkung” entlassen worden, wobei die CUHK das abgelehnte Visum durch die städtische Einwanderungsbehörde als Grund angab.
Beobachter werten das verweigerte Visum als Folge des Nationalen Sicherheitsgesetzes, mit dem Peking die bürgerlichen Freiheiten in der Stadt seit den Protesten im Jahr 2019 zunehmend beschränkt. Auch die Hochschulbildung leidet unter den verschärften Kontrollen, schreibt die Financial Times. Eine wachsende Zahl von Akademikern habe Hongkong bereits verlassen.
Auch He erklärte, die Ablehnung ihres Visums symbolisiere “die Verschlechterung der intellektuellen Freiheit in Hongkong”. Eines ihrer Bücher zum Thema Tiananmen wurde bereits im Mai aus öffentlichen Bibliotheken entfernt. “Man hat mir von Anfang an gesagt, ich solle nicht über Tiananmen arbeiten”, erklärt He, die in China zur Welt kam. “Es würde nicht ohne einen Preis kommen. Dieses Mal ist der Preis das Ende meines akademischen Lebens in Hongkong.” fpe
Angesichts sinkender Fortpflanzungsraten in China haben viele Experten viele Ratschläge zur Lösung dieses Problems gegeben. Aber all diesen Vorschlägen mangelt es an einem entscheidenden Bestandteil: einer kritischen Sichtweise der Geschlechterrollen.
Da der Schwerpunkt solcher Untersuchungen hauptsächlich auf den hohen Kosten der Kindererziehung und ihrem Einfluss auf die Geburtenraten lag, wurden die Karrierenachteile, die Frauen erleiden, wenn sie ein Kind bekommen, weitgehend übersehen. Chinas Politiker würden erheblich von der Arbeit der Ökonomin Claudia Goldin von der Harvard University profitieren, die in diesem Jahr für ihre Forschungen zum “Verständnis der Arbeitsmarktergebnisse der Frauen” den Wirtschaftsnobelpreis bekommen hat.
Was also hat eine geschlechterkritische Ökonomie zur sinkenden Fortpflanzungsrate der Chinesinnen zu sagen? Zunächst einmal zeigt die wachsende Literatur über die Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, dass die Geburt eines Kindes einen erheblichen negativen Einfluss auf zukünftige Aussichten und Einkommen haben kann.
Diese “Elternstrafe” könnte eigentlich besser als “Mutterstrafe” bezeichnet werden, da sie fast ausschließlich Frauen betrifft. Die Daten zeigen, dass Frauen mit Kindern weniger arbeiten und verdienen als solche ohne Kinder. Einige Ökonomen beziffern diese “Elternstrafe” auf etwa 20 Prozent des Einkommens.
Mithilfe dieser Zahl haben die Ökonomen Yaohui Zhao, Xiaobo Zhang und ich die lebenslangen Einkommensverluste untersucht, die mit Kindergeburten in China verbunden sind. Dabei kamen wir auf eine Summe von etwa 78.000 US-Dollar. Bereits zuvor hatte das YuWa-Bevölkerungsforschungsinstitut die Kosten von Kindern in China – von steigenden Ernährungspreisen über Mieten bis hin zu Ausbildungskosten – untersucht und für die Zeit von der Geburt bis zum Alter von 18 Jahren auf etwa 66.000 Dollar geschätzt. Dies ist das 6,9-fache des chinesischen Pro-Kopf-BIP – ein viel höherer Faktor als in den Vereinigten Staaten, Frankreich oder Deutschland.
Aber diese Zahlen beziehen sich lediglich auf die direkten Kosten. Einschließlich der “Elternstrafe” betragen die durchschnittlichen Gesamtkosten dafür, in China ein Kind groß zu ziehen, bis zu 144.000 US-Dollar. Während sie im ländlichen Raum wohl eher bei etwa 84.000 Dollar liegen, können sie in Stadtgebieten wie Peking oder Shanghai 300.000 Dollar übersteigen.
Und dies sind lediglich die quantifizierbaren monetären Kosten. Zusätzliche Risiken ergeben sich beispielsweise aus den steigenden Scheidungsraten und den schlecht regulierten Verfahren für die Zuweisung des Sorgerechts: Als Jing Zhang von der Pekinger Rechtsanwaltsvereinigung mehr als 700 Sorgerechtsfälle untersuchte, fand sie heraus, dass in 13 Prozent aller Fälle Kinder zwangsweise getrennt oder vor einem Elternteil versteckt wurden – meist von den Vätern.
Da Chinas steigende Scheidungsrate ein neues Phänomen ist, lassen die Gesetze und deren Durchsetzung in diesem Bereich viel zu wünschen übrig. Fälle von Elternteilen und häufig von Müttern, denen das Sorgerecht zugewiesen wurde, die aber keinen Zugang zu ihren Kindern haben, sind nicht ungewöhnlich.
Wie in den meisten Ländern sind die arbeitenden Frauen in China außerdem überproportional durch familiäre Betreuung und Hausarbeit belastet. Laut der Weltbank liegt die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt in China heute bei 61,1 Prozent (weit über dem weltweiten Durchschnitt von 50 Prozent), aber die Frauen erledigen 2,6-mal so viel unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit wie Männer.
Kein Wunder, dass moderne chinesische Frauen zögern, Kinder zu bekommen. Wie die arbeitenden amerikanischen Frauen, die Goldin untersucht hat, sind die chinesischen Frauen heute sehr anders als ihre Mütter oder Großmütter. Sie sind mit der Ein-Kind-Politik und der umfassenderen Hochschulbildung für Frauen seit 1999 aufgewachsen. Diese Frauen hatten viel bessere Ausbildungsmöglichkeiten und haben nicht nur von den “Reformen und Öffnungen” profitiert, sondern auch von Chinas Anschluss an die Welthandelsorganisation 2001.
Nach den enormen Fortschritten im Ausbildungs-, Arbeits- und Sozialbereich, die sich frühere Generationen kaum hätten vorstellen können, fügen sich viele chinesische Frauen nicht mehr in das traditionelle Modell der Ehe – laut dem Männer Versorger sowie Oberhäupter der Haushalte und ihre Partnerinnen untergeordnete Hausfrauen sind. Sie weigern sich zu akzeptieren, dass ihre gesamte Identität aus Mutterschaft bestehen sollte.
Aber heute erhöht sich – angesichts der hartnäckig niedrigen Fortpflanzungsrate im Land – erneut der soziale Druck auf Frauen, sich “verantwortungsvoll zu verhalten”, also ihre früheren Rollen wieder einzunehmen. Außerdem drängen Eltern ihre Töchter, zu heiraten und Kinder zu bekommen, damit sie keine “übrig gebliebenen Frauen” (Alleinstehende über 27 Jahre) werden. Aber dieser Druck trägt zur Belastung und Unruhe, die viele Frauen beim Eintritt ins Berufsleben sowieso schon spüren, noch stärker bei.
Angesichts dieser überwältigenden Ansprüche tun viele Frauen das Gegenteil dessen, was ihnen gesagt wird, und weigern sich zu heiraten. Das ergibt auch Sinn: Solange sie alleinstehend sind, haben sie keinen Druck, Kinder zu bekommen und die massive Doppelpflicht zu erfüllen, Hausfrau zu sein und gleichzeitig Vollzeit zu arbeiten.
Dies ist der stille Streik der modernen chinesischen Frauen. Da sie sowohl im Büro als auch zu Hause arbeiten müssen, brauchen sie Männer, die die Initiative ergreifen und einen größeren Teil der Verantwortung für Haushalt und Kinder übernehmen. Außerdem benötigen sie bessere politische und regulative Maßnahmen gegen Geschlechterungleichheit.
Daher kann die Lösung für sinkende Fertilitätsraten nicht nur materieller oder monetärer Natur sein. Subventionen für Kinderbetreuung oder Kindergärten sind wichtig, aber es muss auch mehr getan werden, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. China sollte mit seinen politischen und sozialen Werten – am Arbeitsplatz oder zu Hause – die Wahlfreiheit von Frauen und Männern respektieren und fördern. Die Politiker müssen erkennen, dass viele Frauen eine erfolgreiche Karriere wollen, und sie sollten Männer, die im Haushalt und in der Kindererziehung mithelfen, ermutigen und feiern.
China profitiert von seiner außerordentlichen Fähigkeit, politische Ziele erreichen zu können. Gehen chinesische Politiker zusätzliche Schritte, um beiden Geschlechtern mehr Perspektiven zu bieten, könnten sie dadurch nachhaltigere und gesündere Fortpflanzungsraten erreichen und Frauen dabei helfen, wirklich “die Hälfte des Himmels zu tragen“. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
Qian Liu ist Geschäftsführerin der Economist Group in China.
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