Table.Briefing: China

„Der Westen schwächt sich selbst“ + Tiktok-Verkauf als Menetekel für Tech-Firmen

Liebe Leserin, lieber Leser,

nicht China schwächt uns – “wir schwächen uns selbst”. Diese schonungslose Diagnose der Gesamtlage stellt der Geopolitik-Stratege Grégoire Roos im Interview mit Michael Radunski. China nutze bloß die riesigen Lücken, die Europa und die USA hinterlassen, indem sie nicht für das einstehen, an das sie glauben.

China ist eben eine Großmacht, die ihre Interessen verteidigt. Wenn wir das in seiner ganzen Konsequenz verinnerlichen würden, wären wir im Umgang mit dem Land schon ein ganzes Stück weiter.

Die USA stehen kurz davor, der chinesischen Firma Bytedance die US-Version der App Tiktok wegzunehmen. Das wäre für junge amerikanische Nutzer vermutlich das Ende der beliebten App in ihrer heutigen Form, denn der neue Besitzer wird vermutlich nicht alle Daten und Algorithmen erhalten.

Marcel Grzanna hat sich angesehen, was das für Tiktok in Europa bedeuten könnte. Bei anderen Themen – etwa Produkten aus Zwangsarbeit – ist die EU schließlich den USA gefolgt. Zuerst wird sich aber zeigen müssen, ob der Zwangsverkauf die Prüfung durch US-Gerichte übersteht.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Interview

Geopolitik-Stratege Grégoire Roos: “Schlussendlich sind wir es, die die chinesische Herausforderung in eine Bedrohung verwandeln”

Diskussion zwischen Grégoire Roos (rechts) und China.Table-Redakteur Michael Radunski im Pavillon der BMW Foundation Herbert Quandt in München.

Wie gefährlich ist China für westliche Demokratien?

Man sollte die Frage so nicht formulieren. Wenn man sich anschaut, was liberale Demokratien im vergangenen Jahrzehnt erschüttert hat, sehe ich drei Hauptprobleme. Erstens: die Polarisierung der politischen Diskussionen. Zweitens: die weitverbreitete Zunahme von Desinformation durch soziale Medien. Drittens: haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wir sind geschwächt, weil westliche Gesellschaften nicht für das einstehen, woran sie glauben. Der Grund ist nicht China. Wir schwächen uns selbst.

Also alles unsere Schuld – und es hat nichts mit China zu tun?

Überhaupt nicht. China ist eine Großmacht, die ihre Interessen verteidigt. Das Problem ist, dass westliche Demokratien nicht akzeptieren können, dass eine Macht wie China ihre Interessen verteidigt. Sobald Sie verstehen, dass es in der Natur einer Großmacht liegt, ihre Interessen zu wahren und zu verteidigen, verstehen Sie, dass es sich lohnt, ebenfalls die eigenen Interessen zu verteidigen.

China fordert die westlichen Demokratien offen heraus.

Ja. Und China ist eine Herausforderung, die zur Bedrohung werden kann – wie jede Herausforderung. Doch aus den USA kommen auch Drohungen. Nach US-Recht können Sanktionen gegen Sie verhängt werden, wenn Sie den US-Dollar verwenden, selbst wenn Sie in einem Drittland Geschäfte tätigen. Dies ist für unsere Wirtschaft weitaus bedrohlicher als das, was die Chinesen tun. Schlussendlich sind wir es, die die chinesische Herausforderung in eine Bedrohung verwandeln.

Inwiefern?

Nur ein Beispiel: Das EU-Parlament hat den Verbrennungsmotor verboten – eine Technologie, in der wir Weltspitze sind. Damit pushen wir Chinas Automobilindustrie und subventionieren sie gewissermaßen. Ich erinnere mich an Menschen, die vor einem Jahrzehnt lachten und sagten: “Chinesen, die Autos bauen, vergesst es.” Jetzt lachen die Chinesen, weil sie nicht nur ihre Autos in China verkaufen, sondern wir ihre Autos auch hier in Europa kaufen. Wir sollten selbstkritisch sein, wir erschaffen unsere eigenen Schwächen und verwandeln auf diese Weise normale Herausforderungen in grundlegende Bedrohungen.

Grundlegend ist es, wenn Xi Jinping das chinesische Modell als der Demokratie überlegen anpreist.

Jahrelang dachten wir, unser Modell sei das Beste. Aus diesem Grund sind einige Länder in den Irak einmarschiert. Ich komme aus Frankreich. Die Franzosen marschierten zusammen mit den Briten in Libyen ein. Ich bin kein Befürworter Chinas, aber ich versuche, unsere eigenen Widersprüche zu betrachten.

Und China?

Ich glaube nicht, dass sie sich so offen und radikal einmischen, wie es unsere liberalen Demokratien in den vergangenen Jahrzehnten getan haben oder in jüngerer Zeit Russland. Sie lassen uns unsere demokratischen Institutionen genießen, erwarten aber, dass wir respektieren, dass sich ihre Institutionen davon unterscheiden. Wir sollten uns auf unsere eigenen Schwächen konzentrieren, anstatt zu versuchen, Menschen in China oder anderen Ländern zu belehren.

Sie sagen, China respektiere unser System, und wir sollten Chinas System respektieren – dann wäre alles in Ordnung. Aber in einer vernetzten Welt funktioniert das so nicht.

Deshalb müssen wir die Tür für Dialog offenhalten. Ich habe in den vergangenen Monaten viele Kongressabgeordnete getroffen – darunter auch Republikaner. Sie alle sind besorgt über diese emotionale Anti-China-Rhetorik, die ihrer Meinung nach zu nichts führen wird.

Dann mal ganz konkret. Sollten wir bei den Themen Xinjiang und Tibet für unsere Werte eintreten – oder respektieren, dass China ein anderes System hat?

Nein, wir sollten dafür kämpfen. Aber was bedeutet das?

Sagen Sie es mir.

Wir müssen zu Hause jedem klarmachen, dass wir als Bürger auch Verbraucher sind. Wir sollten alles verbieten, was in diesen Regionen hergestellt wurde, damit wir diese Wirtschaft nicht unterstützen. Aber …

Wieso aber? Die Situation ist doch eindeutig.

Aber das gilt für China, wie für viele andere Länder auch. Menschen loben gerne Werte. Das ist leicht und sehr theoretisch. Aber wissen sie, wie ihr Telefon hergestellt wurde und welche Konsequenzen es hat, wenn sie alle ein, zwei Jahre das Telefon wechseln? Der Präsident Ghanas erzählte mir, dass sein Land zu einem der am stärksten verschmutzten Länder der Welt geworden sei, weil Fast Fashion in Europa und den USA gekauft werde – und nicht in China.

Was sagt das über unsere Gesellschaften aus?

Ich denke, dass eine verantwortungsvolle Bürgerschaft von grundlegender Bedeutung ist. Der Westen zeichnet sich dadurch aus, dass das Individuum an erster Stelle steht – ob gut oder schlecht, darüber urteile ich nicht. Aber wenn es zuerst um den Einzelnen geht, dann sollte man jeden in der Gesellschaft für sein Handeln verantwortlich machen.

Das ist eine Seite. Das andere ist die systemische Rivalität.

Hier haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem. In der Vergangenheit mussten sich die Länder zwischen Washington und Moskau entscheiden. Heute würden wir Peking oder Washington sagen. Aber einige Länder wollen nicht wählen müssen, sondern schlicht für ihre eigenen nationalen Interessen kämpfen. In dieser Situation müssen wir glaubwürdig sein, um die Menschen davon zu überzeugen, attraktiv zu sein. Der Wandel muss hier beginnen.

Was können wir von China lernen?

Die Fähigkeit, langfristig zu denken – denn das gelingt ihnen sehr gut. Demokratien scheinen dazu heutzutage nicht in der Lage zu sein. Die westliche Politik ist in eine Art Dekadenz verfallen, weil nur die Wiederwahl zählt. In dem Moment, als verantwortungsvolle Führung die politische Bühne verlassen hat, begann die Demokratie zu bröckeln. So einfach ist das.

Warum sind wir so kurzsichtig?

Es ist der Verfall des politischen Systems. Es ist das völlige Fehlen vom Interesse daran, was Sie der nächsten Generation übergeben werden. Ein verantwortungsvoller Anführer ist jemand, der sagt: Auch wenn mein politischer Konkurrent mein Nachfolger wird, werde ich stolz ein Land übergeben, das widerstandsfähiger geworden ist.

Welche globalen Folgen hat Chinas Erfolg?

Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, was Chinas Erfolg nicht ist: Ich habe viele Gespräche mit Regierungsmitgliedern aus Asien und Afrika geführt. Sie wollen ihre Länder nicht in ein chinesisches System verwandeln. Das zeigt: Wir erleben nicht das Ende der Demokratie, sie wird lediglich auf die Probe gestellt. Aber wenn wir diese Prüfung bestehen, steigern Sie ihre Widerstandsfähigkeit. Ich bin sehr optimistisch. Aber es gibt noch viel zu tun.

Grégoire Roos ist bei der BMW Foundation Herbert Quandt für die Koordination des politischen Dialogs und der politischen Innovation zuständig. 

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Analyse

US-Verbot: Tiktok droht der Spagat zwischen Friede für Bytedance oder Verzicht auf Milliarden

Die Videoplattform Tiktok ist Beispiel dafür, wie multilaterale Tech-Unternehmen zu Opfern des Konflikts der Machtblöcke werden können. Eingekeilt zwischen einem möglichen Verbot in den USA einerseits und Drohungen der chinesischen Regierung andererseits, steht das Unternehmen vor der Wahl zwischen zwei unternehmerisch schlechten Entscheidungen.

Das US-Parlament hat mit der Zustimmung zu einem Gesetzentwurf in der vergangenen Woche klargemacht, dass es die Verbindungen der beliebten Mobilfon-Anwendung zu dessen chinesischem Mutterhaus Bytedance nicht länger akzeptieren möchte.

Wenn auch der Senat dem Gesetz zustimmt, müsste die US-Version von Tiktok verkauft werden. Ein Dilemma: Genau das hat die chinesische Regierung seinerseits vor einigen Jahren faktisch verboten, als sie die Algorithmen chinesischer Tech-Firmen mit einem gesetzlichen Exportverbot belegte.

Den größten Einzelmarkt verlieren?

Damit bleiben den Verantwortlichen zwei Möglichkeiten, sollte das Gesetz in Kraft treten: Entweder sie akzeptieren ein Verbot und verlieren ihren größten Einzelmarkt, um dem Mutterkonzern in der Volksrepublik nicht zu schaden. Oder sie nehmen regulatorische Maßnahmen gegen Bytedance in der Heimat in Kauf, um zumindest die Abermilliarden US-Dollar einzustreichen, die der Verkauf bringen könnte.

Dass sich Tiktok nicht kampflos seinem Schicksal ergeben wird, wurde vor ein paar Tagen klar, als das Unternehmen seine größte Einflussmöglichkeit in den USA nutzte – seine 170 Millionen Nutzer. Tiktok hatte über seine Anwendung zum Protest aufgerufen, indem es die Nutzer motivierte, bei deren Vertretern im Repräsentantenhaus anzurufen und ein Veto einzulegen. “Teilen Sie dem Kongress mit, was Tiktok für Sie bedeutet, und fordern Sie ihn auf, mit Nein zu stimmen”, lautete die Nachricht. “Erheben Sie jetzt Ihre Stimme – bevor Ihre Regierung 170 Millionen Amerikanern ihr verfassungsmäßiges Recht auf freie Meinungsäußerung entzieht”, hieß es weiter.

Tiktoks Rechnung ging nur teilweise auf

Tiktok zeichnete ein Szenario, in dem Millionen von Unternehmen Schaden erleiden, die Lebensgrundlage unzähliger Kreativer im ganzen Land zerstört und Künstlern ein Publikum verwehrt bleiben würde. Die Nutzer mussten lediglich ihre Postleitzahl eingeben und bekamen die Telefonnummer des für sie zuständigen Parlamentariers auf das Display serviert, um ihren Widerstand gegen ein mögliches Verbotsgesetz zu formulieren.

Die Rechnung ging jedoch nur teilweise auf. Zwar hagelte es Anrufe in den Abgeordneten-Büros. Doch das Votum zugunsten eines Zwangsverkaufs erhielt dennoch eine Mehrheit von 352:65 Stimmen. Der Protest mithilfe der eigenen App und die Verbreitung von Kontaktdaten bestärkten möglicherweise die Skepsis der Parlamentarier, statt sie zum Umdenken zu bewegen. Der Konzern bediente genau jene Ängste, die – berechtigt oder nicht – in der politischen Elite der USA kursieren: Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, Zugriff auf persönliche Daten amerikanischer Bürger und ein zu laxer Umgang damit.

Trümpfe im globalen Cyberspace

Tech-Unternehmen bringen außerdem eine Expertise mit, die im 21. Jahrhundert mehr bedeutet als reine wirtschaftliche Triebkraft. Stattdessen sind ihr Know-how, ihre technologischen Entwicklungen und die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter Trümpfe im globalen Cyberspace, wenn man sie auf ihrer Seite hat. Ihre intimen Kenntnisse über Kunden und die Kontrolle über Algorithmen machen sie zu relevanten Akteuren auf dem digitalen Kriegsschauplatz. Chinesische Tech-Konzerne sind zudem zur Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden verpflichtet.

Die Kommunikationsstrategie von Tiktok sieht deshalb vor, seine Unabhängigkeit von Bytedance und damit von den chinesischen Behörden zu betonen. Sollte die rhetorische Distanz tatsächlich existieren, könnte der chinesischen Regierung ein Verbot von TikTok außerhalb der Volksrepublik egal sein. Stattdessen aber spricht das Außenministerium von Unterdrückung und Mobbing und sieht den fairen Wettbewerb verletzt. Chinesische Staatsmedien stoßen ins gleiche Horn.

Werkzeug zur Erlangung der Deutungshoheit von Ereignissen

Die Macht sozialer Medien ist immens. Regelmäßig treiben Nutzer sozialer Medien die Politik vor sich her – nicht nur in den USA. Auch der mögliche Missbrauch der Plattformen als Werkzeug zum Gewinn der Deutungshoheit von Ereignissen oder die Einmischung in lokale Debatten und Wahlen anderer Staaten befeuern die Sorge. Nicht umsonst sperrt China den Zugang zu jenen Plattformen im eigenen Land, über die das Regime keine Kontrolle hat. Ihrerseits wird der chinesischen Regierung vorgeworfen, Tiktok als Propaganda-Vehikel im Rest der Welt einzusetzen.

In Indien ist die App aus Sorge um chinesische Einflussnahme schon seit einigen Jahren generell verboten. Im Iran, Nepal oder Kirgistan mokieren die Behörden Verstöße gegen religiöse oder gesellschaftliche Standards. In zahlreichen weiteren Staaten wurden vorübergehende Verbote von TikTok wieder aufgehoben, nachdem die Plattform Forderungen der jeweiligen Behörden erfüllt hatten.

Meinungsfreiheit in Demokratien ein hohes Gut

In demokratischen Staaten provoziert die Auseinandersetzung um ein Tiktok-Verbot immer auch die Sorge um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Sehr bewusst spielte Tiktok deshalb diese Karte bei seinem Protest-Aufruf an die US-Kunden. Die Meinungsfreiheit ist in Demokratien ein hohes Gut und wird auch richterlich geschützt. Nicht zuletzt deswegen kassierte ein Gericht im US-Bundesstaat Montana im vergangenen Jahr ein dort verabschiedetes Gesetz wieder ein, das den Download von Tiktok innerhalb Montanas verboten hätte.

In Europa konzentriert sich die Debatte deshalb vornehmlich um Tiktoks Umgang mit dem Datenschutz. In Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden ist der Umgang des Anbieters mit den Kundendaten ins Visier der Behörden geraten. Die irische Data Protection Commission hat sogar eine formelle Untersuchung der Datenschutzpraktiken von Tiktok eingeleitet. In Irland hat der Anbieter seinen europäischen Hauptsitz.

Tiktok-Kampagne des EU-Parlaments

In vielen EU-Staaten und auch in der Brüsseler Verwaltung selbst ist die Nutzung von Tiktok über dienstliche Mobiltelefone von Beamten verboten. Der Zwiespalt, in dem sich die Politik in Europa befindet, offenbart sich jedoch in der Absicht des EU-Parlaments, eine Tiktok-Kampagne für die anstehende Europawahl im Juni zu starten.

“Die Generaldirektion für Kommunikation plant, eine institutionelle Präsenz auf der Plattform einzurichten, ohne zunächst die Geräte und Netzwerke des Europäischen Parlaments zu nutzen”, hatte der Pressedienst dem Nachrichtenportal Euractiv erklärt. Dies würde es dem Parlament ermöglichen, Desinformation zu bekämpfen und Botschaften an die Nutzer zu vermitteln, während die Systeme des Parlaments sicher blieben.

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News

EU-Lieferkettengesetz und Vorgabe zu Recycling-Plastik nehmen wichtige Hürde

Nach zwei gescheiterten Versuchen hat es im dritten Anlauf geklappt: Das EU-Lieferkettengesetz erreichte am Freitag im Ausschuss der stellvertretenden EU-Botschafter die qualifizierte Mehrheit. Die EU-Gesetzgebung hat damit eine wichtige Hürde genommen – sie muss aber Ende April noch im EU-Parlament bestätigt werden. Es ist zu erwarten, dass das EU-Lieferkettengesetz chinesischen Geschäftsinteressen in Europa und die Geschäftstätigkeit von EU-Firmen in China erschweren wird.

Die mit dem Parlament ausgehandelten Trilogergebnisse waren zuvor zweimal am Widerstand unter anderem Deutschlands, Frankreichs und Italiens gescheitert. Deutschland enthielt sich auch dieses Mal der Stimme, weil sich die Ampelkoalition nicht auf eine Position einigen konnte. Neben Deutschland enthielten sich acht weitere Mitgliedstaaten: Österreich, Bulgarien, Tschechien, Litauen, Estland, Malta, Ungarn und die Slowakei. Schweden beanspruchte mehr Zeit für die Prüfung.

Um Unterstützung für die Gesetzgebung zu gewinnen, wurde die Schwelle angehoben: Das Gesetz umfasst nur noch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern, zuvor waren es 500, und mit einem Jahresumsatz von 450 Millionen Euro, zuvor lag dieser bei 150 Millionen Euro. Auch die in einem früheren Entwurf aufgeführten Hochrisikosektoren wurden aus dem Gesetz gestrichen. Zudem werden chinesische und andere Drittstaaten-Unternehmen zur Einhaltung des EU-Lieferkettengesetzes gezwungen, wenn sie innerhalb der EU hohe Umsätze erzielen.

Der Botschafter-Ausschuss stimmte am Freitag außerdem einem De-facto-Einfuhrverbot für recycelte Kunststoffe von außerhalb der EU zu. Die Vorgabe ist Teil der neuen EU-Verpackungsregeln. Die Vorgabe will Hersteller in China und anderswo auf der Welt dazu verpflichten, die in Europa für recycelte Kunststoffverpackungen geltenden Standards einzuhalten. Sollte der recycelte Kunststoff aus China nicht die gleichen Standards erfüllen, die von Herstellern in der EU gefordert werden, würde ihm der Zugang zum EU-Markt verwehrt.

Die chinesische Handelskammer an die EU nannte beide Entwicklungen “sehr besorgniserregend”. Sie warnt vor steigenden Preisen. “Die EU sollte davon absehen, Marktbarrieren zu errichten, die Nicht-EU-Produzenten behindern”, teilte die Handelskammer mit. Brüssel hatte zuletzt auch eine Einigung zur Gesetzgebung gegen Produkte aus Zwangsarbeit erreicht. ari

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Bericht: Chinesischer EU-Botschafter Fu Cong verlässt Brüssel

Der chinesische EU-Botschafter Fu Cong soll einem Medienbericht zufolge auf einen anderen Posten gesetzt werden. Fu werde nach New York gehen und dort neuer chinesischer Botschafter bei den Vereinten Nationen werden, berichtete Bloomberg unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Der 58 Jahre alte Fu war seit Dezember 2022 in Brüssel.

Zuvor war die Stelle fast ein Jahr lang vakant. Die EU-China-Beziehungen hatten sich in der Amtszeit Fus eher verschlechtert. Dass Fu nach nur kurzer Amtszeit die belgische Hauptstadt verlässt, spricht tendenziell nicht unbedingt für Zufriedenheit mit seiner Arbeit in Peking. ari

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Zwölf Aktivisten in Hongkong wegen Stürmung des Parlaments zu Haftstrafen verurteilt

Trauriger Anlass und dennoch feierlich: Bei der Verleihung des Menschenrechtspreises Schneelöwe der International Campaign for Tibet gedenken die Preisträger auch den Verurteilten der Hongkonger Demokratiebewegung.

Knapp fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Pro-Demokratie-Proteste in Hongkong hat ein Gericht am Samstag zwölf Aktivisten zu Haftstrafen zwischen viereinhalb und sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zu den vom Bezirksrichter Li Chi-ho Verurteilten gehören die in Hongkong bekannten politischen Aktivisten Ventus Lau, Owen Chow, Althea Suen und der Schauspieler Gregory Wong.

Die Verurteilungen stehen im Zusammenhang mit der Stürmung des Stadtparlaments am 1. Juli 2019. Damals drangen Hunderte Demonstranten in das Gebäude des Parlaments von Hongkong ein, zerschlugen Fenster und strömten ins Innere. Die Demonstranten verließen das Gebäude, als die Polizei in den umliegenden Straßen Tränengas einsetzte und das Gebäude wieder in Besitz nahm. 

Richter Li begründete das ungewöhnlich harte Urteil damit, dass der Legislativrat einen “einzigartigen verfassungsmäßigen Status” habe. Das Vorgehen der Protestierenden habe “auf die Stadtregierung abgezielt”. Nach der Verkündigung der Urteile brachen einige der Unterstützer der Angeklagten im Gerichtssaal in Tränen aus. Einige riefen: “Haltet durch!”

ICT verleiht Preis an Initiativen für Hongkong und gegen Zwangsinternate

Bei der Verleihung des Menschenrechtspreises “Schneelöwe” der Organisation International Campaign for Tibet (ICT) erinnerte Preisträger Ray Wong an die Verurteilten. “Ich danke allen Hongkongern, die nie aufgehört haben, für unsere Freiheit zu kämpfen.” Der Menschenrechtspreis “Schneelöwe” ging dieses Mal an die in Deutschland tätige Organisation “Freiheit für Hongkong”. Wong ist Mitbegründer und musste wie inzwischen Zehntausende Hongkonger wegen der massiv zugenommen Repression seine Heimat verlassen und im Ausland um Exil bitten. Er studiert derzeit in Göttingen. Seine Mitstreiterin Amy Siu fügte hinzu: “Gemeinsam sind wir stärker und gemeinsam kämpfen wir für eine bessere Zukunft.”

Ebenfalls mit dem Schneelöwe-Menschenrechtspreis geehrt wurde die in den USA tätige tibetische Aktivistin Lhadon Tethong. Sie hat zuletzt das System von Zwangsinternaten aufgedeckt, das mehr als eine Million tibetischer Kinder von ihren Familien trennt. Mit dem Preis zeichnet die ICT Einzelpersonen oder Organisationen aus, die sich für Menschenrechte und Demokratie in Tibet, China, Xinjiang, der Südmongolei, Hongkong und Taiwan einsetzen. flee

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  • Menschenrechte
  • Tibet

Xpeng kündigt günstige E-Autos für junge Zielgruppe an

Der E-Auto-Hersteller Xpeng kündigt die Einführung einer neuen, besonders preiswerten Marke an. Die Billigmodelle sollen zwischen 100.000 Yuan und 150.000 Yuan (13.000 bis 19.400 Euro) kosten, erklärte Xpeng-Chef He Xiaopeng nach Angaben des Konzerns auf der offiziellen Wechat-Seite des Unternehmens. Damit erhöht Xpeng den Druck im Preiskampf der E-Auto-Hersteller. Xpeng will die günstigen Pkw nach und nach mit verschiedenen Stufen intelligenter Fahrfunktionen ausstatten. Die neue Marke solle “das erste KI-unterstützte Auto für junge Leute” sein. rtr

  • Autoindustrie
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E-Auto-Hersteller sollen auf chinesische Mikrochips umsteigen

Die chinesische Regierung fordert die Elektroauto-Hersteller des Landes dazu auf, von westlich-taiwanischen Fabrikaten möglichst auf einheimische Mikrochips umzustellen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Der Übergang zur Selbstversorgung mit Halbleitern soll möglichst schnell vorankommen. Dazu sollen sich die Abnehmer auf chinesische Chips einstellen; die heimische Halbleiterindustrie braucht Aufträge, um die nötigen Investitionen stemmen zu können. Beiden Zielen würde es nützen, wenn Chips für E-Autos künftig aus China kämen.

Zuständig ist das Ministerium für Industrie und IT. Die Behörde ermahnte die Autohersteller wie BYD, Xpeng, Nio oder Geely, Chips von internationalen Marken wie Nvidia, Qualcomm, Intel, Renesas, Texas Instruments oder Global Foundries wo immer möglich zu meiden und durch chinesische Modelle mit ähnlichem Leistungsumfang zu ersetzen. Nio beispielsweise kooperiert beim autonomen Fahren mit Nvidia. fin

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Presseschau

Wladimir Putins Machtspiele: Russland wendet sich Asien zu DW
Malediven, China und Indien: Machtspiele im Indischen Ozean TAGESSCHAU
Indien will seine Raketen mit mehreren Atomsprengköpfen bestücken – und beschleunigt das nukleare Wettrüsten NZZ
Chinas allmächtiger Herrscher Xi Jinping gibt sich auf einmal als Reformer NZZ
Brazil launches China anti-dumping probes after imports soar FINANCIAL TIMES
China is planning to break its dependency on Australia and Brazil for iron ore. Africa is the key SCMP
Chinas “Generation Z” treibt den Goldpreis hoch THE EUROPEAN
China’s cryptocurrency investors made gains of about US$1 billion in 2023 despite sweeping government ban SCMP
Shenzhen als Chinas Modellstadt gegen die Krise HANDELSBLATT
Barriers come down in Hong Kong border town as China plans closer ties FINANCIAL TIMES
China ends 9-year decline in new marriages in 2023, but divorces also climb SCMP
After the pandemic, young Chinese again want to study abroad, just not so much in the US AP NEWS
BMW apologizes after criticism from annual Chinese consumer show REUTERS
Xpeng to launch cheaper EV brand amid fierce China price competition REUTERS
China”s EV, battery and chip firms seek bigger global reach ASIA
China’s underground neutrino lab unveils the mysteries of the universe INTERESTINGENGINEERING
Tencent acquires two ByteDance gaming studios TECHNODE
EU probes AliExpress over possibly illegal online products NIKKEI.COM

Standpunkt

Die Grenzen der Renminbi-Internationalisierung

Von Sandra Heep
Sandra Heep
Sandra Heep ist Professorin für Wirtschaft und Gesellschaft Chinas an der Hochschule Bremen.

Mit zunehmenden außenpolitischen Konflikten und einer immer stärkeren Fokussierung der chinesischen Regierung auf sicherheitspolitische Fragen hat die Internationalisierung des Renminbi für Beijing eine neue Dringlichkeit gewonnen.

Als Chinas Zentralbank vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise begann, erste Weichen für die Internationalisierung des Renminbi zu stellen, standen finanzpolitische Motive im Vordergrund. Priorität hatte die Etablierung des Renminbi als Zahlungsmittel im internationalen Handel, um China unabhängig von der Verfügbarkeit von US-Dollar zu machen und Wechselkursrisiken zu reduzieren.

Auf lange Sicht aber sollte sich die chinesische Währung nach dem Willen Beijings zu einer globalen Leitwährung entwickeln, in der internationale Investoren ihr Vermögen anlegen und Zentralbanken ihre Währungsreserven halten. Denn das würde der chinesischen Regierung nicht nur größere makroökonomische Spielräume eröffnen, sondern ihr auch ein vielfältig einsetzbares außenpolitisches Instrument zur Sicherung von Autonomie und Einfluss zur Verfügung stellen.

Mit der Reaktion des Westens auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat die außenpolitische Dimension der Währungsinternationalisierung erheblich an Bedeutung gewonnen. Die weitreichenden Finanzsanktionen der USA und ihrer Verbündeten gegenüber Moskau führten Beijing die eigene Verletzlichkeit vor Augen. Um etwa im Falle eines militärischen Konflikts um Taiwan weniger verwundbar gegenüber westlichen Finanzsanktionen dazustehen, intensivierte die chinesische Führung ihre Anstrengungen zur Etablierung des Renminbi als internationales Zahlungsmittel.

Erste Erfolge – aber nur im eigenen Umfeld

Erfolge konnte sie damit in Hinblick auf Chinas grenzüberschreitende Finanztransaktionen erzielen, in denen der Renminbi im März 2023 mit einem Anteil von 48 Prozent zum ersten Mal eine wichtigere Rolle spielte als der US-Dollar. Im globalen Zahlungsverkehr kommt dem Renminbi jedoch weiterhin eine nur geringe Bedeutung zu. So wurden im Januar 2024 lediglich 4,5 Prozent des über Swift laufenden internationalen Zahlungsverkehrs in Renminbi abgewickelt. Damit lag Chinas Währung weit hinter

  • dem US-Dollar (46,6 Prozent) und
  • dem Euro (23 Prozent), aber in greifbarer Nähe
  • zum Britischen Pfund (7,1 Prozent) und
  • vor dem Japanischen Yen (3,6 Prozent).

Kapitalverkehrskontrollen bleiben der größte Hemmschuh

Während der Renminbi für Chinas grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr immer bedeutender wird, vollziehen sich in Chinas Politik, Wirtschaft und Finanzsystem Entwicklungen, die einen möglichen Status des Renminbi als globale Leitwährung in immer weitere Ferne rücken lassen. Ein grundsätzliches Hindernis, das den Internationalisierungsbemühungen von Anbeginn an im Wege stand, sind Chinas Kapitalverkehrskontrollen, die der chinesischen Regierung dazu dienen, ihren Einfluss auf das chinesische Finanzsystem zu sichern – gleichzeitig aber den Zugriff internationaler Investoren und Zentralbanken auf Chinas Kapitalmärkte einschränken.

Beijing nutzt seinen Einfluss auf das Finanzsystem, um durch die Gewährung kostengünstiger Finanzierung Staatsunternehmen zu unterstützen und industriepolitische Ziele zu verfolgen. Da diese Steuerungsfunktionen im Kontext einer allgemeinen Verschärfung der politischen Kontrolle über die Wirtschaft unter Xi Jinping an Bedeutung gewonnen haben, ist eine weitreichende Liberalisierung der Kapitalverkehrskontrollen weniger wahrscheinlich geworden.

Öffnung könnte Kapitalflucht dramatisch beschleunigen

Erschwerend hinzu kommt, dass eine solche Liberalisierung vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme Chinas ausgesprochen riskant wäre. Massive Kursverluste auf Chinas Aktienmärkten, eine sich zuspitzende Immobilienkrise, sinkende Wachstumsraten und ein schwindendes Vertrauen chinesischer Konsumenten und Investoren in die wirtschaftliche Zukunft Chinas haben trotz bestehender Kapitalverkehrskontrollen bereits im vergangenen Jahr zu erheblichen Kapitalabflüssen geführt.

Würden die Kontrollen bei fortbestehenden wirtschaftlichen Problemen weiter gelockert, ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend verstärken würde. Das wäre insbesondere aufgrund der steigenden Verschuldung problematisch, die sich 2023 bereits auf 288 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belief. Denn eine Kapitalflucht in großem Stil könnte die Refinanzierung der Schulden von Immobilienunternehmen und Lokalregierungen erheblich erschweren und die wirtschaftlichen Probleme Chinas damit weiter verschärfen.

Machtkonzentration auf Xi untergräbt Vertrauen

Doch auch die politische Entwicklung Chinas steht der Etablierung des Renminbi als globaler Leitwährung zunehmend im Wege. Denn eine solche Funktion kann sich nur auf der Basis des Vertrauens privater Investoren und staatlicher Institutionen in die Sicherheit der in dieser Währung angelegten Vermögenswerte entwickeln, das wiederum auf einem Vertrauen in die Eigentumsrechte, die wirtschaftliche Resilienz und die Regierungskompetenz des die Währung ausgebenden Staates beruht.

Dieses Vertrauen aber wird durch die zunehmende Machtkonzentration in den Händen Xi Jinpings, eine oft erratisch wirkende und ideologisch motivierte Wirtschaftspolitik sowie ein wachsendes Transparenzdefizit – nicht zuletzt auch in Hinblick auf wirtschaftliche Daten – immer weiter unterlaufen. Bleibt Beijing auf diesem Kurs, wird der Renminbi den Status eines wichtigen Instruments in Chinas grenzüberschreitendem Zahlungsverkehr nur schwerlich überschreiten. Damit gewinnt China geopolitisch an Autonomie, doch bleibt ihm die Entwicklung eines machtvollen Instrumentariums von Finanzsanktionen verwehrt.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Veranstaltungsreihe ,,Global China Conversations” des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), deren Medienpartner China.Table ist.

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  • Reformen
  • Renminbi
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Personalien

Bahtiyar Altindag ist seit Anfang des Monats Senior Manager for Quality Management Market & Customer bei Mercedes in Peking. Er war zuvor Manager für Measurement Technology Pilotplant bei Mercedes in Sindelfingen.  

Tobias Müller ist seit Anfang März Team Coordinator Product Management Connectivity & Intelligent Cockpit bei Audi in Peking. Müller war zuvor Project Lead bei Audi und Product Manager bei der Volkswagen-Tochter Cariad. 

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Am Freitag ist mit der italienischen MSC Bellissima nach vier Jahren Abstinenz wieder ein internationales Kreuzfahrtschiff mit Passagieren in den Hafen von Shanghai eingelaufen. Die Branche hatte aufgrund von Corona-Restriktionen in China länger als in Europa oder den USA pausieren müssen.

Der Kreuzfahrttourismus gilt in China als Wachstumsmarkt, der jedoch schwer zu knacken ist. Von April bis September 2024 soll das 5.700 Gäste fassende Schiff nun in Shanghai und Shenzhen stationiert werden, um sich ganz auf chinesische Kunden konzentrieren zu können.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    nicht China schwächt uns – “wir schwächen uns selbst”. Diese schonungslose Diagnose der Gesamtlage stellt der Geopolitik-Stratege Grégoire Roos im Interview mit Michael Radunski. China nutze bloß die riesigen Lücken, die Europa und die USA hinterlassen, indem sie nicht für das einstehen, an das sie glauben.

    China ist eben eine Großmacht, die ihre Interessen verteidigt. Wenn wir das in seiner ganzen Konsequenz verinnerlichen würden, wären wir im Umgang mit dem Land schon ein ganzes Stück weiter.

    Die USA stehen kurz davor, der chinesischen Firma Bytedance die US-Version der App Tiktok wegzunehmen. Das wäre für junge amerikanische Nutzer vermutlich das Ende der beliebten App in ihrer heutigen Form, denn der neue Besitzer wird vermutlich nicht alle Daten und Algorithmen erhalten.

    Marcel Grzanna hat sich angesehen, was das für Tiktok in Europa bedeuten könnte. Bei anderen Themen – etwa Produkten aus Zwangsarbeit – ist die EU schließlich den USA gefolgt. Zuerst wird sich aber zeigen müssen, ob der Zwangsverkauf die Prüfung durch US-Gerichte übersteht.

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    Finn Mayer-Kuckuk
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    Interview

    Geopolitik-Stratege Grégoire Roos: “Schlussendlich sind wir es, die die chinesische Herausforderung in eine Bedrohung verwandeln”

    Diskussion zwischen Grégoire Roos (rechts) und China.Table-Redakteur Michael Radunski im Pavillon der BMW Foundation Herbert Quandt in München.

    Wie gefährlich ist China für westliche Demokratien?

    Man sollte die Frage so nicht formulieren. Wenn man sich anschaut, was liberale Demokratien im vergangenen Jahrzehnt erschüttert hat, sehe ich drei Hauptprobleme. Erstens: die Polarisierung der politischen Diskussionen. Zweitens: die weitverbreitete Zunahme von Desinformation durch soziale Medien. Drittens: haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wir sind geschwächt, weil westliche Gesellschaften nicht für das einstehen, woran sie glauben. Der Grund ist nicht China. Wir schwächen uns selbst.

    Also alles unsere Schuld – und es hat nichts mit China zu tun?

    Überhaupt nicht. China ist eine Großmacht, die ihre Interessen verteidigt. Das Problem ist, dass westliche Demokratien nicht akzeptieren können, dass eine Macht wie China ihre Interessen verteidigt. Sobald Sie verstehen, dass es in der Natur einer Großmacht liegt, ihre Interessen zu wahren und zu verteidigen, verstehen Sie, dass es sich lohnt, ebenfalls die eigenen Interessen zu verteidigen.

    China fordert die westlichen Demokratien offen heraus.

    Ja. Und China ist eine Herausforderung, die zur Bedrohung werden kann – wie jede Herausforderung. Doch aus den USA kommen auch Drohungen. Nach US-Recht können Sanktionen gegen Sie verhängt werden, wenn Sie den US-Dollar verwenden, selbst wenn Sie in einem Drittland Geschäfte tätigen. Dies ist für unsere Wirtschaft weitaus bedrohlicher als das, was die Chinesen tun. Schlussendlich sind wir es, die die chinesische Herausforderung in eine Bedrohung verwandeln.

    Inwiefern?

    Nur ein Beispiel: Das EU-Parlament hat den Verbrennungsmotor verboten – eine Technologie, in der wir Weltspitze sind. Damit pushen wir Chinas Automobilindustrie und subventionieren sie gewissermaßen. Ich erinnere mich an Menschen, die vor einem Jahrzehnt lachten und sagten: “Chinesen, die Autos bauen, vergesst es.” Jetzt lachen die Chinesen, weil sie nicht nur ihre Autos in China verkaufen, sondern wir ihre Autos auch hier in Europa kaufen. Wir sollten selbstkritisch sein, wir erschaffen unsere eigenen Schwächen und verwandeln auf diese Weise normale Herausforderungen in grundlegende Bedrohungen.

    Grundlegend ist es, wenn Xi Jinping das chinesische Modell als der Demokratie überlegen anpreist.

    Jahrelang dachten wir, unser Modell sei das Beste. Aus diesem Grund sind einige Länder in den Irak einmarschiert. Ich komme aus Frankreich. Die Franzosen marschierten zusammen mit den Briten in Libyen ein. Ich bin kein Befürworter Chinas, aber ich versuche, unsere eigenen Widersprüche zu betrachten.

    Und China?

    Ich glaube nicht, dass sie sich so offen und radikal einmischen, wie es unsere liberalen Demokratien in den vergangenen Jahrzehnten getan haben oder in jüngerer Zeit Russland. Sie lassen uns unsere demokratischen Institutionen genießen, erwarten aber, dass wir respektieren, dass sich ihre Institutionen davon unterscheiden. Wir sollten uns auf unsere eigenen Schwächen konzentrieren, anstatt zu versuchen, Menschen in China oder anderen Ländern zu belehren.

    Sie sagen, China respektiere unser System, und wir sollten Chinas System respektieren – dann wäre alles in Ordnung. Aber in einer vernetzten Welt funktioniert das so nicht.

    Deshalb müssen wir die Tür für Dialog offenhalten. Ich habe in den vergangenen Monaten viele Kongressabgeordnete getroffen – darunter auch Republikaner. Sie alle sind besorgt über diese emotionale Anti-China-Rhetorik, die ihrer Meinung nach zu nichts führen wird.

    Dann mal ganz konkret. Sollten wir bei den Themen Xinjiang und Tibet für unsere Werte eintreten – oder respektieren, dass China ein anderes System hat?

    Nein, wir sollten dafür kämpfen. Aber was bedeutet das?

    Sagen Sie es mir.

    Wir müssen zu Hause jedem klarmachen, dass wir als Bürger auch Verbraucher sind. Wir sollten alles verbieten, was in diesen Regionen hergestellt wurde, damit wir diese Wirtschaft nicht unterstützen. Aber …

    Wieso aber? Die Situation ist doch eindeutig.

    Aber das gilt für China, wie für viele andere Länder auch. Menschen loben gerne Werte. Das ist leicht und sehr theoretisch. Aber wissen sie, wie ihr Telefon hergestellt wurde und welche Konsequenzen es hat, wenn sie alle ein, zwei Jahre das Telefon wechseln? Der Präsident Ghanas erzählte mir, dass sein Land zu einem der am stärksten verschmutzten Länder der Welt geworden sei, weil Fast Fashion in Europa und den USA gekauft werde – und nicht in China.

    Was sagt das über unsere Gesellschaften aus?

    Ich denke, dass eine verantwortungsvolle Bürgerschaft von grundlegender Bedeutung ist. Der Westen zeichnet sich dadurch aus, dass das Individuum an erster Stelle steht – ob gut oder schlecht, darüber urteile ich nicht. Aber wenn es zuerst um den Einzelnen geht, dann sollte man jeden in der Gesellschaft für sein Handeln verantwortlich machen.

    Das ist eine Seite. Das andere ist die systemische Rivalität.

    Hier haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem. In der Vergangenheit mussten sich die Länder zwischen Washington und Moskau entscheiden. Heute würden wir Peking oder Washington sagen. Aber einige Länder wollen nicht wählen müssen, sondern schlicht für ihre eigenen nationalen Interessen kämpfen. In dieser Situation müssen wir glaubwürdig sein, um die Menschen davon zu überzeugen, attraktiv zu sein. Der Wandel muss hier beginnen.

    Was können wir von China lernen?

    Die Fähigkeit, langfristig zu denken – denn das gelingt ihnen sehr gut. Demokratien scheinen dazu heutzutage nicht in der Lage zu sein. Die westliche Politik ist in eine Art Dekadenz verfallen, weil nur die Wiederwahl zählt. In dem Moment, als verantwortungsvolle Führung die politische Bühne verlassen hat, begann die Demokratie zu bröckeln. So einfach ist das.

    Warum sind wir so kurzsichtig?

    Es ist der Verfall des politischen Systems. Es ist das völlige Fehlen vom Interesse daran, was Sie der nächsten Generation übergeben werden. Ein verantwortungsvoller Anführer ist jemand, der sagt: Auch wenn mein politischer Konkurrent mein Nachfolger wird, werde ich stolz ein Land übergeben, das widerstandsfähiger geworden ist.

    Welche globalen Folgen hat Chinas Erfolg?

    Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, was Chinas Erfolg nicht ist: Ich habe viele Gespräche mit Regierungsmitgliedern aus Asien und Afrika geführt. Sie wollen ihre Länder nicht in ein chinesisches System verwandeln. Das zeigt: Wir erleben nicht das Ende der Demokratie, sie wird lediglich auf die Probe gestellt. Aber wenn wir diese Prüfung bestehen, steigern Sie ihre Widerstandsfähigkeit. Ich bin sehr optimistisch. Aber es gibt noch viel zu tun.

    Grégoire Roos ist bei der BMW Foundation Herbert Quandt für die Koordination des politischen Dialogs und der politischen Innovation zuständig. 

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    Analyse

    US-Verbot: Tiktok droht der Spagat zwischen Friede für Bytedance oder Verzicht auf Milliarden

    Die Videoplattform Tiktok ist Beispiel dafür, wie multilaterale Tech-Unternehmen zu Opfern des Konflikts der Machtblöcke werden können. Eingekeilt zwischen einem möglichen Verbot in den USA einerseits und Drohungen der chinesischen Regierung andererseits, steht das Unternehmen vor der Wahl zwischen zwei unternehmerisch schlechten Entscheidungen.

    Das US-Parlament hat mit der Zustimmung zu einem Gesetzentwurf in der vergangenen Woche klargemacht, dass es die Verbindungen der beliebten Mobilfon-Anwendung zu dessen chinesischem Mutterhaus Bytedance nicht länger akzeptieren möchte.

    Wenn auch der Senat dem Gesetz zustimmt, müsste die US-Version von Tiktok verkauft werden. Ein Dilemma: Genau das hat die chinesische Regierung seinerseits vor einigen Jahren faktisch verboten, als sie die Algorithmen chinesischer Tech-Firmen mit einem gesetzlichen Exportverbot belegte.

    Den größten Einzelmarkt verlieren?

    Damit bleiben den Verantwortlichen zwei Möglichkeiten, sollte das Gesetz in Kraft treten: Entweder sie akzeptieren ein Verbot und verlieren ihren größten Einzelmarkt, um dem Mutterkonzern in der Volksrepublik nicht zu schaden. Oder sie nehmen regulatorische Maßnahmen gegen Bytedance in der Heimat in Kauf, um zumindest die Abermilliarden US-Dollar einzustreichen, die der Verkauf bringen könnte.

    Dass sich Tiktok nicht kampflos seinem Schicksal ergeben wird, wurde vor ein paar Tagen klar, als das Unternehmen seine größte Einflussmöglichkeit in den USA nutzte – seine 170 Millionen Nutzer. Tiktok hatte über seine Anwendung zum Protest aufgerufen, indem es die Nutzer motivierte, bei deren Vertretern im Repräsentantenhaus anzurufen und ein Veto einzulegen. “Teilen Sie dem Kongress mit, was Tiktok für Sie bedeutet, und fordern Sie ihn auf, mit Nein zu stimmen”, lautete die Nachricht. “Erheben Sie jetzt Ihre Stimme – bevor Ihre Regierung 170 Millionen Amerikanern ihr verfassungsmäßiges Recht auf freie Meinungsäußerung entzieht”, hieß es weiter.

    Tiktoks Rechnung ging nur teilweise auf

    Tiktok zeichnete ein Szenario, in dem Millionen von Unternehmen Schaden erleiden, die Lebensgrundlage unzähliger Kreativer im ganzen Land zerstört und Künstlern ein Publikum verwehrt bleiben würde. Die Nutzer mussten lediglich ihre Postleitzahl eingeben und bekamen die Telefonnummer des für sie zuständigen Parlamentariers auf das Display serviert, um ihren Widerstand gegen ein mögliches Verbotsgesetz zu formulieren.

    Die Rechnung ging jedoch nur teilweise auf. Zwar hagelte es Anrufe in den Abgeordneten-Büros. Doch das Votum zugunsten eines Zwangsverkaufs erhielt dennoch eine Mehrheit von 352:65 Stimmen. Der Protest mithilfe der eigenen App und die Verbreitung von Kontaktdaten bestärkten möglicherweise die Skepsis der Parlamentarier, statt sie zum Umdenken zu bewegen. Der Konzern bediente genau jene Ängste, die – berechtigt oder nicht – in der politischen Elite der USA kursieren: Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, Zugriff auf persönliche Daten amerikanischer Bürger und ein zu laxer Umgang damit.

    Trümpfe im globalen Cyberspace

    Tech-Unternehmen bringen außerdem eine Expertise mit, die im 21. Jahrhundert mehr bedeutet als reine wirtschaftliche Triebkraft. Stattdessen sind ihr Know-how, ihre technologischen Entwicklungen und die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter Trümpfe im globalen Cyberspace, wenn man sie auf ihrer Seite hat. Ihre intimen Kenntnisse über Kunden und die Kontrolle über Algorithmen machen sie zu relevanten Akteuren auf dem digitalen Kriegsschauplatz. Chinesische Tech-Konzerne sind zudem zur Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden verpflichtet.

    Die Kommunikationsstrategie von Tiktok sieht deshalb vor, seine Unabhängigkeit von Bytedance und damit von den chinesischen Behörden zu betonen. Sollte die rhetorische Distanz tatsächlich existieren, könnte der chinesischen Regierung ein Verbot von TikTok außerhalb der Volksrepublik egal sein. Stattdessen aber spricht das Außenministerium von Unterdrückung und Mobbing und sieht den fairen Wettbewerb verletzt. Chinesische Staatsmedien stoßen ins gleiche Horn.

    Werkzeug zur Erlangung der Deutungshoheit von Ereignissen

    Die Macht sozialer Medien ist immens. Regelmäßig treiben Nutzer sozialer Medien die Politik vor sich her – nicht nur in den USA. Auch der mögliche Missbrauch der Plattformen als Werkzeug zum Gewinn der Deutungshoheit von Ereignissen oder die Einmischung in lokale Debatten und Wahlen anderer Staaten befeuern die Sorge. Nicht umsonst sperrt China den Zugang zu jenen Plattformen im eigenen Land, über die das Regime keine Kontrolle hat. Ihrerseits wird der chinesischen Regierung vorgeworfen, Tiktok als Propaganda-Vehikel im Rest der Welt einzusetzen.

    In Indien ist die App aus Sorge um chinesische Einflussnahme schon seit einigen Jahren generell verboten. Im Iran, Nepal oder Kirgistan mokieren die Behörden Verstöße gegen religiöse oder gesellschaftliche Standards. In zahlreichen weiteren Staaten wurden vorübergehende Verbote von TikTok wieder aufgehoben, nachdem die Plattform Forderungen der jeweiligen Behörden erfüllt hatten.

    Meinungsfreiheit in Demokratien ein hohes Gut

    In demokratischen Staaten provoziert die Auseinandersetzung um ein Tiktok-Verbot immer auch die Sorge um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Sehr bewusst spielte Tiktok deshalb diese Karte bei seinem Protest-Aufruf an die US-Kunden. Die Meinungsfreiheit ist in Demokratien ein hohes Gut und wird auch richterlich geschützt. Nicht zuletzt deswegen kassierte ein Gericht im US-Bundesstaat Montana im vergangenen Jahr ein dort verabschiedetes Gesetz wieder ein, das den Download von Tiktok innerhalb Montanas verboten hätte.

    In Europa konzentriert sich die Debatte deshalb vornehmlich um Tiktoks Umgang mit dem Datenschutz. In Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden ist der Umgang des Anbieters mit den Kundendaten ins Visier der Behörden geraten. Die irische Data Protection Commission hat sogar eine formelle Untersuchung der Datenschutzpraktiken von Tiktok eingeleitet. In Irland hat der Anbieter seinen europäischen Hauptsitz.

    Tiktok-Kampagne des EU-Parlaments

    In vielen EU-Staaten und auch in der Brüsseler Verwaltung selbst ist die Nutzung von Tiktok über dienstliche Mobiltelefone von Beamten verboten. Der Zwiespalt, in dem sich die Politik in Europa befindet, offenbart sich jedoch in der Absicht des EU-Parlaments, eine Tiktok-Kampagne für die anstehende Europawahl im Juni zu starten.

    “Die Generaldirektion für Kommunikation plant, eine institutionelle Präsenz auf der Plattform einzurichten, ohne zunächst die Geräte und Netzwerke des Europäischen Parlaments zu nutzen”, hatte der Pressedienst dem Nachrichtenportal Euractiv erklärt. Dies würde es dem Parlament ermöglichen, Desinformation zu bekämpfen und Botschaften an die Nutzer zu vermitteln, während die Systeme des Parlaments sicher blieben.

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    News

    EU-Lieferkettengesetz und Vorgabe zu Recycling-Plastik nehmen wichtige Hürde

    Nach zwei gescheiterten Versuchen hat es im dritten Anlauf geklappt: Das EU-Lieferkettengesetz erreichte am Freitag im Ausschuss der stellvertretenden EU-Botschafter die qualifizierte Mehrheit. Die EU-Gesetzgebung hat damit eine wichtige Hürde genommen – sie muss aber Ende April noch im EU-Parlament bestätigt werden. Es ist zu erwarten, dass das EU-Lieferkettengesetz chinesischen Geschäftsinteressen in Europa und die Geschäftstätigkeit von EU-Firmen in China erschweren wird.

    Die mit dem Parlament ausgehandelten Trilogergebnisse waren zuvor zweimal am Widerstand unter anderem Deutschlands, Frankreichs und Italiens gescheitert. Deutschland enthielt sich auch dieses Mal der Stimme, weil sich die Ampelkoalition nicht auf eine Position einigen konnte. Neben Deutschland enthielten sich acht weitere Mitgliedstaaten: Österreich, Bulgarien, Tschechien, Litauen, Estland, Malta, Ungarn und die Slowakei. Schweden beanspruchte mehr Zeit für die Prüfung.

    Um Unterstützung für die Gesetzgebung zu gewinnen, wurde die Schwelle angehoben: Das Gesetz umfasst nur noch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern, zuvor waren es 500, und mit einem Jahresumsatz von 450 Millionen Euro, zuvor lag dieser bei 150 Millionen Euro. Auch die in einem früheren Entwurf aufgeführten Hochrisikosektoren wurden aus dem Gesetz gestrichen. Zudem werden chinesische und andere Drittstaaten-Unternehmen zur Einhaltung des EU-Lieferkettengesetzes gezwungen, wenn sie innerhalb der EU hohe Umsätze erzielen.

    Der Botschafter-Ausschuss stimmte am Freitag außerdem einem De-facto-Einfuhrverbot für recycelte Kunststoffe von außerhalb der EU zu. Die Vorgabe ist Teil der neuen EU-Verpackungsregeln. Die Vorgabe will Hersteller in China und anderswo auf der Welt dazu verpflichten, die in Europa für recycelte Kunststoffverpackungen geltenden Standards einzuhalten. Sollte der recycelte Kunststoff aus China nicht die gleichen Standards erfüllen, die von Herstellern in der EU gefordert werden, würde ihm der Zugang zum EU-Markt verwehrt.

    Die chinesische Handelskammer an die EU nannte beide Entwicklungen “sehr besorgniserregend”. Sie warnt vor steigenden Preisen. “Die EU sollte davon absehen, Marktbarrieren zu errichten, die Nicht-EU-Produzenten behindern”, teilte die Handelskammer mit. Brüssel hatte zuletzt auch eine Einigung zur Gesetzgebung gegen Produkte aus Zwangsarbeit erreicht. ari

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    Bericht: Chinesischer EU-Botschafter Fu Cong verlässt Brüssel

    Der chinesische EU-Botschafter Fu Cong soll einem Medienbericht zufolge auf einen anderen Posten gesetzt werden. Fu werde nach New York gehen und dort neuer chinesischer Botschafter bei den Vereinten Nationen werden, berichtete Bloomberg unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Der 58 Jahre alte Fu war seit Dezember 2022 in Brüssel.

    Zuvor war die Stelle fast ein Jahr lang vakant. Die EU-China-Beziehungen hatten sich in der Amtszeit Fus eher verschlechtert. Dass Fu nach nur kurzer Amtszeit die belgische Hauptstadt verlässt, spricht tendenziell nicht unbedingt für Zufriedenheit mit seiner Arbeit in Peking. ari

    • EU

    Zwölf Aktivisten in Hongkong wegen Stürmung des Parlaments zu Haftstrafen verurteilt

    Trauriger Anlass und dennoch feierlich: Bei der Verleihung des Menschenrechtspreises Schneelöwe der International Campaign for Tibet gedenken die Preisträger auch den Verurteilten der Hongkonger Demokratiebewegung.

    Knapp fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Pro-Demokratie-Proteste in Hongkong hat ein Gericht am Samstag zwölf Aktivisten zu Haftstrafen zwischen viereinhalb und sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zu den vom Bezirksrichter Li Chi-ho Verurteilten gehören die in Hongkong bekannten politischen Aktivisten Ventus Lau, Owen Chow, Althea Suen und der Schauspieler Gregory Wong.

    Die Verurteilungen stehen im Zusammenhang mit der Stürmung des Stadtparlaments am 1. Juli 2019. Damals drangen Hunderte Demonstranten in das Gebäude des Parlaments von Hongkong ein, zerschlugen Fenster und strömten ins Innere. Die Demonstranten verließen das Gebäude, als die Polizei in den umliegenden Straßen Tränengas einsetzte und das Gebäude wieder in Besitz nahm. 

    Richter Li begründete das ungewöhnlich harte Urteil damit, dass der Legislativrat einen “einzigartigen verfassungsmäßigen Status” habe. Das Vorgehen der Protestierenden habe “auf die Stadtregierung abgezielt”. Nach der Verkündigung der Urteile brachen einige der Unterstützer der Angeklagten im Gerichtssaal in Tränen aus. Einige riefen: “Haltet durch!”

    ICT verleiht Preis an Initiativen für Hongkong und gegen Zwangsinternate

    Bei der Verleihung des Menschenrechtspreises “Schneelöwe” der Organisation International Campaign for Tibet (ICT) erinnerte Preisträger Ray Wong an die Verurteilten. “Ich danke allen Hongkongern, die nie aufgehört haben, für unsere Freiheit zu kämpfen.” Der Menschenrechtspreis “Schneelöwe” ging dieses Mal an die in Deutschland tätige Organisation “Freiheit für Hongkong”. Wong ist Mitbegründer und musste wie inzwischen Zehntausende Hongkonger wegen der massiv zugenommen Repression seine Heimat verlassen und im Ausland um Exil bitten. Er studiert derzeit in Göttingen. Seine Mitstreiterin Amy Siu fügte hinzu: “Gemeinsam sind wir stärker und gemeinsam kämpfen wir für eine bessere Zukunft.”

    Ebenfalls mit dem Schneelöwe-Menschenrechtspreis geehrt wurde die in den USA tätige tibetische Aktivistin Lhadon Tethong. Sie hat zuletzt das System von Zwangsinternaten aufgedeckt, das mehr als eine Million tibetischer Kinder von ihren Familien trennt. Mit dem Preis zeichnet die ICT Einzelpersonen oder Organisationen aus, die sich für Menschenrechte und Demokratie in Tibet, China, Xinjiang, der Südmongolei, Hongkong und Taiwan einsetzen. flee

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    Xpeng kündigt günstige E-Autos für junge Zielgruppe an

    Der E-Auto-Hersteller Xpeng kündigt die Einführung einer neuen, besonders preiswerten Marke an. Die Billigmodelle sollen zwischen 100.000 Yuan und 150.000 Yuan (13.000 bis 19.400 Euro) kosten, erklärte Xpeng-Chef He Xiaopeng nach Angaben des Konzerns auf der offiziellen Wechat-Seite des Unternehmens. Damit erhöht Xpeng den Druck im Preiskampf der E-Auto-Hersteller. Xpeng will die günstigen Pkw nach und nach mit verschiedenen Stufen intelligenter Fahrfunktionen ausstatten. Die neue Marke solle “das erste KI-unterstützte Auto für junge Leute” sein. rtr

    • Autoindustrie
    • Xpeng

    E-Auto-Hersteller sollen auf chinesische Mikrochips umsteigen

    Die chinesische Regierung fordert die Elektroauto-Hersteller des Landes dazu auf, von westlich-taiwanischen Fabrikaten möglichst auf einheimische Mikrochips umzustellen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Der Übergang zur Selbstversorgung mit Halbleitern soll möglichst schnell vorankommen. Dazu sollen sich die Abnehmer auf chinesische Chips einstellen; die heimische Halbleiterindustrie braucht Aufträge, um die nötigen Investitionen stemmen zu können. Beiden Zielen würde es nützen, wenn Chips für E-Autos künftig aus China kämen.

    Zuständig ist das Ministerium für Industrie und IT. Die Behörde ermahnte die Autohersteller wie BYD, Xpeng, Nio oder Geely, Chips von internationalen Marken wie Nvidia, Qualcomm, Intel, Renesas, Texas Instruments oder Global Foundries wo immer möglich zu meiden und durch chinesische Modelle mit ähnlichem Leistungsumfang zu ersetzen. Nio beispielsweise kooperiert beim autonomen Fahren mit Nvidia. fin

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    Presseschau

    Wladimir Putins Machtspiele: Russland wendet sich Asien zu DW
    Malediven, China und Indien: Machtspiele im Indischen Ozean TAGESSCHAU
    Indien will seine Raketen mit mehreren Atomsprengköpfen bestücken – und beschleunigt das nukleare Wettrüsten NZZ
    Chinas allmächtiger Herrscher Xi Jinping gibt sich auf einmal als Reformer NZZ
    Brazil launches China anti-dumping probes after imports soar FINANCIAL TIMES
    China is planning to break its dependency on Australia and Brazil for iron ore. Africa is the key SCMP
    Chinas “Generation Z” treibt den Goldpreis hoch THE EUROPEAN
    China’s cryptocurrency investors made gains of about US$1 billion in 2023 despite sweeping government ban SCMP
    Shenzhen als Chinas Modellstadt gegen die Krise HANDELSBLATT
    Barriers come down in Hong Kong border town as China plans closer ties FINANCIAL TIMES
    China ends 9-year decline in new marriages in 2023, but divorces also climb SCMP
    After the pandemic, young Chinese again want to study abroad, just not so much in the US AP NEWS
    BMW apologizes after criticism from annual Chinese consumer show REUTERS
    Xpeng to launch cheaper EV brand amid fierce China price competition REUTERS
    China”s EV, battery and chip firms seek bigger global reach ASIA
    China’s underground neutrino lab unveils the mysteries of the universe INTERESTINGENGINEERING
    Tencent acquires two ByteDance gaming studios TECHNODE
    EU probes AliExpress over possibly illegal online products NIKKEI.COM

    Standpunkt

    Die Grenzen der Renminbi-Internationalisierung

    Von Sandra Heep
    Sandra Heep
    Sandra Heep ist Professorin für Wirtschaft und Gesellschaft Chinas an der Hochschule Bremen.

    Mit zunehmenden außenpolitischen Konflikten und einer immer stärkeren Fokussierung der chinesischen Regierung auf sicherheitspolitische Fragen hat die Internationalisierung des Renminbi für Beijing eine neue Dringlichkeit gewonnen.

    Als Chinas Zentralbank vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise begann, erste Weichen für die Internationalisierung des Renminbi zu stellen, standen finanzpolitische Motive im Vordergrund. Priorität hatte die Etablierung des Renminbi als Zahlungsmittel im internationalen Handel, um China unabhängig von der Verfügbarkeit von US-Dollar zu machen und Wechselkursrisiken zu reduzieren.

    Auf lange Sicht aber sollte sich die chinesische Währung nach dem Willen Beijings zu einer globalen Leitwährung entwickeln, in der internationale Investoren ihr Vermögen anlegen und Zentralbanken ihre Währungsreserven halten. Denn das würde der chinesischen Regierung nicht nur größere makroökonomische Spielräume eröffnen, sondern ihr auch ein vielfältig einsetzbares außenpolitisches Instrument zur Sicherung von Autonomie und Einfluss zur Verfügung stellen.

    Mit der Reaktion des Westens auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat die außenpolitische Dimension der Währungsinternationalisierung erheblich an Bedeutung gewonnen. Die weitreichenden Finanzsanktionen der USA und ihrer Verbündeten gegenüber Moskau führten Beijing die eigene Verletzlichkeit vor Augen. Um etwa im Falle eines militärischen Konflikts um Taiwan weniger verwundbar gegenüber westlichen Finanzsanktionen dazustehen, intensivierte die chinesische Führung ihre Anstrengungen zur Etablierung des Renminbi als internationales Zahlungsmittel.

    Erste Erfolge – aber nur im eigenen Umfeld

    Erfolge konnte sie damit in Hinblick auf Chinas grenzüberschreitende Finanztransaktionen erzielen, in denen der Renminbi im März 2023 mit einem Anteil von 48 Prozent zum ersten Mal eine wichtigere Rolle spielte als der US-Dollar. Im globalen Zahlungsverkehr kommt dem Renminbi jedoch weiterhin eine nur geringe Bedeutung zu. So wurden im Januar 2024 lediglich 4,5 Prozent des über Swift laufenden internationalen Zahlungsverkehrs in Renminbi abgewickelt. Damit lag Chinas Währung weit hinter

    • dem US-Dollar (46,6 Prozent) und
    • dem Euro (23 Prozent), aber in greifbarer Nähe
    • zum Britischen Pfund (7,1 Prozent) und
    • vor dem Japanischen Yen (3,6 Prozent).

    Kapitalverkehrskontrollen bleiben der größte Hemmschuh

    Während der Renminbi für Chinas grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr immer bedeutender wird, vollziehen sich in Chinas Politik, Wirtschaft und Finanzsystem Entwicklungen, die einen möglichen Status des Renminbi als globale Leitwährung in immer weitere Ferne rücken lassen. Ein grundsätzliches Hindernis, das den Internationalisierungsbemühungen von Anbeginn an im Wege stand, sind Chinas Kapitalverkehrskontrollen, die der chinesischen Regierung dazu dienen, ihren Einfluss auf das chinesische Finanzsystem zu sichern – gleichzeitig aber den Zugriff internationaler Investoren und Zentralbanken auf Chinas Kapitalmärkte einschränken.

    Beijing nutzt seinen Einfluss auf das Finanzsystem, um durch die Gewährung kostengünstiger Finanzierung Staatsunternehmen zu unterstützen und industriepolitische Ziele zu verfolgen. Da diese Steuerungsfunktionen im Kontext einer allgemeinen Verschärfung der politischen Kontrolle über die Wirtschaft unter Xi Jinping an Bedeutung gewonnen haben, ist eine weitreichende Liberalisierung der Kapitalverkehrskontrollen weniger wahrscheinlich geworden.

    Öffnung könnte Kapitalflucht dramatisch beschleunigen

    Erschwerend hinzu kommt, dass eine solche Liberalisierung vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme Chinas ausgesprochen riskant wäre. Massive Kursverluste auf Chinas Aktienmärkten, eine sich zuspitzende Immobilienkrise, sinkende Wachstumsraten und ein schwindendes Vertrauen chinesischer Konsumenten und Investoren in die wirtschaftliche Zukunft Chinas haben trotz bestehender Kapitalverkehrskontrollen bereits im vergangenen Jahr zu erheblichen Kapitalabflüssen geführt.

    Würden die Kontrollen bei fortbestehenden wirtschaftlichen Problemen weiter gelockert, ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend verstärken würde. Das wäre insbesondere aufgrund der steigenden Verschuldung problematisch, die sich 2023 bereits auf 288 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belief. Denn eine Kapitalflucht in großem Stil könnte die Refinanzierung der Schulden von Immobilienunternehmen und Lokalregierungen erheblich erschweren und die wirtschaftlichen Probleme Chinas damit weiter verschärfen.

    Machtkonzentration auf Xi untergräbt Vertrauen

    Doch auch die politische Entwicklung Chinas steht der Etablierung des Renminbi als globaler Leitwährung zunehmend im Wege. Denn eine solche Funktion kann sich nur auf der Basis des Vertrauens privater Investoren und staatlicher Institutionen in die Sicherheit der in dieser Währung angelegten Vermögenswerte entwickeln, das wiederum auf einem Vertrauen in die Eigentumsrechte, die wirtschaftliche Resilienz und die Regierungskompetenz des die Währung ausgebenden Staates beruht.

    Dieses Vertrauen aber wird durch die zunehmende Machtkonzentration in den Händen Xi Jinpings, eine oft erratisch wirkende und ideologisch motivierte Wirtschaftspolitik sowie ein wachsendes Transparenzdefizit – nicht zuletzt auch in Hinblick auf wirtschaftliche Daten – immer weiter unterlaufen. Bleibt Beijing auf diesem Kurs, wird der Renminbi den Status eines wichtigen Instruments in Chinas grenzüberschreitendem Zahlungsverkehr nur schwerlich überschreiten. Damit gewinnt China geopolitisch an Autonomie, doch bleibt ihm die Entwicklung eines machtvollen Instrumentariums von Finanzsanktionen verwehrt.

    Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Veranstaltungsreihe ,,Global China Conversations” des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), deren Medienpartner China.Table ist.

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    Personalien

    Bahtiyar Altindag ist seit Anfang des Monats Senior Manager for Quality Management Market & Customer bei Mercedes in Peking. Er war zuvor Manager für Measurement Technology Pilotplant bei Mercedes in Sindelfingen.  

    Tobias Müller ist seit Anfang März Team Coordinator Product Management Connectivity & Intelligent Cockpit bei Audi in Peking. Müller war zuvor Project Lead bei Audi und Product Manager bei der Volkswagen-Tochter Cariad. 

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    Am Freitag ist mit der italienischen MSC Bellissima nach vier Jahren Abstinenz wieder ein internationales Kreuzfahrtschiff mit Passagieren in den Hafen von Shanghai eingelaufen. Die Branche hatte aufgrund von Corona-Restriktionen in China länger als in Europa oder den USA pausieren müssen.

    Der Kreuzfahrttourismus gilt in China als Wachstumsmarkt, der jedoch schwer zu knacken ist. Von April bis September 2024 soll das 5.700 Gäste fassende Schiff nun in Shanghai und Shenzhen stationiert werden, um sich ganz auf chinesische Kunden konzentrieren zu können.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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