Table.Briefing: China

Demografie + Autonomes Fahren + BASF + Tesa

  • Hongkong lässt Geimpfte wieder feiern
  • Chinas gescheiterte Bevölkerungspolitik
  • Huawei will das Intel der Autoindustrie werden
  • BASF investiert in Forschungsstandort Shanghai
  • Peking erlässt Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung
  • Chinesische Marine-Übung im Südchinesischen Meer
  • Klebebandhersteller Tesa erweitert Produktion in Suzhou
  • Im Portrait: Popo Fan
  • Zur Sprache: 被绿了 bèi lǜ le – “gegrünt werden”
Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn es um Corona geht, dann findet in Asien und in Europa oft die gleiche Diskussion unter völlig anderen Vorzeichen statt. Hongkong diskutiert wie Deutschland über Privilegien für Geimpfte. Nur: In Hongkong gibt es derzeit nur ein bis zwei Neuinfektionen pro Tag. Da brauchen Impfungen einen besonderen Anreiz – und den soll künftig der freie Besuch von Bars und Restaurants bieten, wie Gregor Koppenburg und Jörn Petring zeigen.

Schrumpft Chinas Bevölkerung bereits? Ein Bericht in der Financial Times hat hier Verwirrung gestiftet. Offiziell leugnet Peking den Rückgang. Das kann der Propaganda geschuldet sein – ist aber letztlich gleichgültig, denn früher oder später wird es so weit sein. Die niedrige Geburtenrate drückt schon jetzt das Wachstum und setzt die Alterssicherung unter Druck. Was das für die chinesische und die deutsche Wirtschaft bedeutet, erklärt Felix Lee in seiner Analyse.

Huawei ist für die Mobilfunktechnik bereits so unentbehrlich, dass Deutschland sich zur Frage des richtigen Umgangs mit dem Unternehmen in Debatten zerfleischt. Der Konzern aus Shenzhen nutzt seine enorme Kompetenz für Soft- und Hardware derweil, um in das nächste Feld vorzustoßen: technische Ausrüstung, um Autos das autonome Fahren beizubringen. Ob Huawei dort demnächst ebenso unentbehrlich wird, berichtet uns der zuständige Entwicklungschef.

Noch ein Wort in eigener Sache: Ab dieser Ausgabe übernehme ich die Redaktionsleitung des China.Table. Nach neun Jahren als Korrespondent in Peking freut es mich sehr, jetzt von Berlin aus an der Berichterstattung über dieses in jeder Hinsicht wichtige Land mitzuwirken. Falls Ihnen etwas an unserem Produkt auffällt oder Sie Lob oder Kritik mit uns teilen möchten – schreiben Sie mir doch bitte eine Nachricht an die Adresse china@table.media. Ich freue mich auf den Dialog!

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Presseschau

Vertraulicher Regierungsbericht: Berlin warnt vor Chinas Seidenstraße und fordert eine europäische Antwort HANDELSBLATT
Cracks appear in China’s New Silk Road DEUTSCHE WELLE
Blinken schließt militärische Konfrontation mit China aus DEUTSCHLANDFUNK
USA fürchten China und Russland: Droht ein Krieg im Weltraum? N-TV
Henry Kissinger has warned of the doomsday potential of the weapons US-China possess as relations between the 2 superpowers worsen BUSINESS INSIDER
Die Rache der Ein-Kind-Politik: Warum China mit einer sinkenden Einwohnerzahl rechnen muss RND
China bestraft jetzt Lebensmittelverschwendung per Gesetz FAZ
China’s Xinjiang policies “poorly explained and ruthlessly executed” SCMP
Großbritannien fordert harte Linie der G7 gegen China T-ONLINE
New Zealand’s Ardern says differences with China becoming harder to reconcile REUTERS
China schickt Fischereiflotte vor ORF
Hanfu: Mit kaiserlichem Outfit gegen westliches Mode-Diktat SRF

Analyse

Hongkong lässt Geimpfte wieder feiern

Es ist bereits ein halbes Jahr her, dass in Lang Kwai Fong so richtig gefeiert wurde. In der Halloween-Nacht am 31. Oktober zogen Zehntausende bis in die frühen Morgenstunden durch die Bars des Hongkonger Szene-Viertels. 

Für die ausgelassenen Stunden musste die chinesische Sonderverwaltungsregion jedoch einen hohen Preis zahlen: Die Corona-Infektionszahlen schossen in den Wochen nach der Halloween-Sause durch die Decke – zumindest für Hongkonger Verhältnisse: Über Monate verzeichnete die Stadt mit ihren 7,5 Millionen Einwohnern täglich zweistellige Infektionszahlen. 

Zum Höhepunkt dieser Welle gab es an einem Tag sogar 118 Infizierte, was einer Inzidenz von 1,57 entspricht. Was für Europäer nach einem Traumwert klingt, war für die strenge Hongkonger Regierung absolut inakzeptabel. Bars und Nachtclubs der Stadt mussten in Folge schließen. 

Nach langer Pause darf nun wieder gefeiert werden. Zum einen meldet Hongkong bereits seit Wochen pro Tag in Durchschnitt nur noch ein bis zwei Infektionen. Wichtiger aber ist, dass die Regierung eine Grundsatzentscheidung getroffen hat, mit der sich in diesen Tagen auch Deutschland auseinandersetzt: Sollen Menschen, die geimpft oder teilweise geimpft sind, mehr Freiheiten genießen als der noch nicht geimpfte Teil der Bevölkerung? Während die Ethik-Experten in Deutschland noch beraten, hat Hongkong eine eindeutige Entscheidung für mehr Freiheiten getroffen. 

Nachtleben für Geimpfte

Seit vergangenem Wochenende gilt: Geimpfte Bürger dürfen sich wieder ins Nachtleben stürzen. Voraussetzung für den Besuch einer Bar oder eines Clubs: Gäste müssen mindestens ihre erste Impfung gegen das Coronavirus erhalten haben. Die Läden schließen zudem spätestens um 2 Uhr morgens. Die Einrichtungen dürfen nicht bei voller Auslastung betrieben werden. Auch Restaurants sollen wieder Tische für Gruppen von bis zu acht Personen anbieten, wenn diese mindestens eine Impfdosis erhalten haben. Zuletzt galt, dass lediglich vier Gäste am Tisch sitzen dürfen. 

Die Details der Regelung können zunächst verwirren, sie werden von den Gastronomie-Betrieben dennoch überwiegend dankbar angenommen. So können nun Restaurants verschiedene Zonen in ihren Räumlichkeiten anbieten. Wirklich ausgeschlossen wird niemand. An Tischen, die für nicht Geimpfte vorgesehen sind, dürfen nur Gruppen von vier Leuten sitzen, die sich jedoch mit einer App zur Kontaktnachverfolgung registrieren müssen – um 22 Uhr schließen die Wirte diese Bereiche. Größere Tische für bis zu acht Personen sind für Geimpfte reserviert, die den Nachweis für Ihre Immunisierung ebenfalls über eine App erbringen können – hier darf bis 2 Uhr morgens geöffnet sein. 

Wer weder geimpft ist noch die App zur Kontaktverfolgung nutzen will, kann ebenfalls ins Restaurant kommen. Das Personal muss Name und Telefonnummer dann per Hand in eine Liste eintragen. Die Gäste dürfen nur am Zweiertisch essen. Um spätestens 18 Uhr kommt die Rechnung. 

Reise-Blase mit Singapur

Nicht nur Nachtmenschen bietet Hongkong nach einer Impfung mehr Freiheiten an. Auch die gerade verkündete Reise-Blase mit Singapur steht nur geimpften Hongkonger:innen zur Verfügung. Ab dem 26. Mai sollen Reisende zwischen beiden Orten hin und her fliegen können, ohne wie bisher in Quarantäne zu müssen. Gemäß dem Plan gilt die Impfpflicht einseitig für Hongkonger. Alle Reisenden müssen sich aber auf das Coronavirus testen lassen. Zunächst soll es einen Flug pro Tag in jede Richtung geben. Vorgesehen ist zudem ein Mechanismus, der die Vereinbarung aussetzt, sollte an einem der Orte die Zahl der nicht nachverfolgbaren Infektionen auf fünf Fälle pro Tag im Wochendurchschnitt ansteigen. Die Reiseblase sollte eigentlich schon im vergangenen November starten, war dann aber kurzfristig abgesagt worden, weil Hongkong wieder mehr Corona-Fälle verzeichnete. 

Hongkong springt mit den neuen Freiheiten für Geimpfte nicht nur seiner Tourismus-Branche und der Gastronomie zur Seite. Die Regierung will auch erreichen, dass die Impfkampagne durch die Anreize endlich Fahrt aufnimmt. Denn Hongkong ist in einer eigenartigen Situation: Genügend Impfstoff ist vorhanden, doch sind die Menschen noch viel zurückhaltender als etwa in Europa. 

Das hängt nicht nur mit Skepsis gegenüber den Impfstoffen zusammen. Auch das politische Klima trägt seinen Teil bei. Während Impftermine für den Biontech-Impfstoff relativ gut gebucht sind, verschmähen viele Hongkonger das chinesische Präparat von Sinovac, was zu einer insgesamt geringen Impfquote führt. Bis vergangenen Mittwoch haben lediglich 11,6 Prozent der 7,5 Millionen Hongkonger ihre erste Dosis erhalten. 

Politisierung verlangsamt Impftempo

Wie sehr die Politisierung des Themas dem Kampf gegen das Corona-Virus schadet, wurde schon im vergangenen Jahr sichtbar. Um auf null Infektionen zu kommen, plante die Regierung einen Massentest der gesamten Bevölkerung. In Städten auf dem Festland wie Peking, Shanghai oder Shenzhen haben die Behörden den Massentest einfach verordnet. Innerhalb weniger Tage war er dann erledigt. In Hongkong scheiterte das Vorhaben dagegen. 

Die Beteiligungsquote war nicht zuletzt so gering, weil das Oppositionslager, darunter auch der bekannte Protestführer Joshua Wong, dazu aufgerufen hatten, sich nicht an der Kampagne zu beteiligen. Wer sich damals mit Hongkongern unterhielt, hörte unter anderem von Ängsten, dass Speichelproben aufs chinesische Festland gelangen und die Sicherheitskräfte dort eine Gen-Datenbank anlegen. 

Die Haltung der Zentralregierung scheint derweil klar: Zwei Infektionen pro Tag sind noch immer deutlich zu viel. Erst, wenn über einen längeren Zeitraum keine Infektionen verzeichnet werden und eine hohe Impfquote erreicht ist, dürften aus Hongkong wieder quarantänefreie Reisen auf das Festland möglich sein. Gregor Koppenburg/Jörn Petring

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Alternde Bevölkerung bietet Chancen für deutsche Wirtschaft

Ob Chinas Bevölkerung in diesem Jahr schon schrumpft, im kommenden Jahr, oder erst 2027 wie von offizieller Seite derzeit noch behauptet – an den Problemen, die mit den Folgen der Ein-Kind-Politik einhergehen, ändert die Frage nach dem Zeitpunkt nur wenig. Chinas Bevölkerung vergreist, bevor es das Land zu ausreichend hohem Wohlstand geschafft hat. Das ungleiche Geschlechterverhältnis wird in den kommenden Jahrzehnten bei vielen Männern weiter für Frust sorgen, weil sie keine Partnerin finden. Und auch die Geburtenrate sinkt weiter.

Diese Probleme zeigen: Das demografische Desaster ist mitten im Gange. Und das ist auch der Führung in Peking längst klar. Trotzdem wird das Thema in China politisch sehr sensibel behandelt und es darf damit erst an die Öffentlichkeit gegangen werden, wenn die Regierungsstellen einen Konsens über die Daten und deren Auswirkungen erreicht haben. 

Chinas Statistikamt hat am Donnerstag einem aktuellen Bericht der Financial Times (FT) vehement widersprochen, wonach Chinas Bevölkerung in diesem Jahr erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert schrumpfen wird. Das Statistikamt verweist auf 2019. In jenem Jahr sei Chinas Bevölkerung von 1,39 auf 1,4 Milliarden Menschen gewachsen. Genaue Daten für 2020 würden erst dann veröffentlicht, wenn das Ergebnis des alle zehn Jahre stattfindenden Zensus vorliege, heißt es. Dieser sei erst im November und Dezember des vergangenen Jahres erhoben worden. Die FT berief sich in ihrem Bericht hingegen auf “mit den Daten vertrauten Personen” (China.Table berichtete). 

Wozu diese Geheimniskrämerei, mag man sich fragen. Denn längst hat auch die chinesische Zentralbank Zahlen veröffentlicht. Und wie aus einem ihrer Papiere hervorgeht, ist die Geburtenrate in der Volksrepublik unter 1,5 Kinder pro Frau gesunken. Die Zentralbank-Zahlen basieren auf Erhebungen, die die chinesischen Provinzen und Städte im Laufe des Januars eigenständig erhoben haben. In einigen Regionen, etwa in der wohlhabenden Ostküstenprovinz Zhejiang, sind die Geburtenraten im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Sollten sich diese Zahlen bewahrheiten, wäre das die niedrigste Rate seit 60 Jahren. Damals herrschten in weiten Teilen des Landes Hungersnöte. 

Verheerende Folgen der Ein-Kind-Politik

Doch Demografie ist eben auch ein Politikum. “Wenn China einen solchen Rückgang bestätigt, wäre das eine große Sache”, sagt Zhang Zhiwei, der in Shenzhen ansässige Chefökonom des Finanzhauses Pinpoint Asset Management. “Das wäre viel früher, als der Markt und die politischen Entscheidungsträger erwartet haben.” Die chinesische Akademie für Sozialwissenschaften hatte in ihren Prognosen geschätzt, dass der Wendepunkt in der Bevölkerungsentwicklung erst 2027 eintreten wird

Ein früherer Rückgang der Bevölkerung als erwartet – da würde das Scheitern der Bevölkerungspolitik deutlich zutage treten. Die KP Chinas unter Deng Xiaoping hatte sie 1980 eingeführt mit der Begründung: Nur wenn auf jedes Paar höchstens ein Kind komme, ließe sich eine Bevölkerungsexplosion verhindern. Die Geburtenrate fiel von durchschnittlich acht Kindern auf den heutigen, sehr niedrigen Wert. Die KP brüstete sich damit, zwischen 400 und 600 Millionen Geburten verhindert zu haben. Doch Bevölkerungswissenschaftler verweisen darauf, dass ein Rückgang der Geburtenrate mit steigendem Wohlstand auch ohne die rigiden Maßnahmen eingesetzt hätte

Die Folgen der abrupt eingeführten Ein-Kind-Politik sind nun umso verheerender. Bis 2030 wird die Zahl der über 60-Jährigen auf mehr als 300 Millionen steigen – jeder vierte Chinese gehört dann in diese Altersklasse. Auch auf das Geschlechterverhältnis wirkt sich die Ein-Kind-Politik aus. Weil viele junge Eltern vor allem im ländlichen Raum lieber einen Jungen zur Welt bringen, ließen sie weibliche Embryos abtreiben. Das hat massive Folgen: Auf 100 Frauen kommen heute 117 Männer. Viele von ihnen finden keine Partnerin. 

Für die Einführung der Ein-Kind-Politik zu Beginn der Achtzigerjahre konnte die aktuelle Führung nichts, wohl aber für die Maßnahmen der vergangenen Jahre. Obwohl Experten vor Chinas tickender demografischer Bombe schon lange warnten, schaffte die Führung unter Xi Jinping die jahrzehntelange Ein-Kind-Politik erst 2016 ab und ersetzte sie durch eine Zwei-Kind-Politik. Millionen von Familienplanern sind seitdem unterwegs – nicht mehr, um die jungen Frauen zur Abtreibung zu drängen, wie es noch vor wenigen Jahren ihre Aufgabe war. Sondern, um sie zu mehr Gebärfreudigkeit zu ermutigen. Doch auch dieses Kalkül geht nicht auf.

Mit Einführung der Zwei-Kind-Politik 2016 wurden 17,9 Millionen Babys geboren, etwa 1,3 Millionen mehr als im Vorjahr. Doch schon 2017 ging die Zahl der Neugeborenen auf 17,2 Millionen zurück und ist 2019 auf 14,65 Millionen gesunken. Viele Paare vor allem in den Großstädten haben das Gefühl, dass sie sich angesichts der massiv gestiegenen Mieten und der hohen Kosten für gute Schulen kein zweites Kind leisten können. Gerade in der Mittelschicht sind die Ansprüche zudem gestiegen. Die meisten von ihnen sind selbst ohne Geschwister aufgewachsen und können sich ein Leben in einer größeren Familie gar nicht mehr vorstellen.

“Viele glauben, dass durch eine Liberalisierung der rigiden und menschenrechtsfeindlichen chinesischen Ein-Kind-Politik die demografische Herausforderung niedriger Fertilitätsraten gelöst wäre und sich höhere Geburtenzahlen ebenso planen lassen”, sagt der Bevölkerungswissenschaftler Daniel Hegemann vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. “Aber auch eine geburtenfördernde Politik verspricht kaum kurzfristig Entlastung. Denn familienpolitische Maßnahmen entfalten ihre Wirkung erst über einen längeren Zeitraum”.

Goldene Zeiten für Betreiber von Altersheimen und Pharmabranche

Die Aufhebung der Ein-Kind-Politik kommt zu spät, kritisierten Ökonomen schon 2015, als Chinas Führung ihr Ende verkündete. Der anhaltende Geburtenrückgang werde bald das Wirtschaftswachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft beeinträchtigen, warnten sie. Die Zahl der arbeitenden Bevölkerung hatte bereits 2011 ihren Höhepunkt erreicht. Sie lag damals bei rund 920 Millionen. Seitdem sinkt die Zahl. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass Chinas Arbeitsheer bis 2030 um rund 70 Millionen Menschen schrumpfen wird. Der Anteil Chinas Bevölkerung im Rentenalter werde hingegen bereits 2025 auf über 300 Millionen ansteigen und 2030 rund ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. 

Das hat auch Auswirkungen auf das Chinageschäft. Die Branchen Pharma, Automatisierung und Medizintechnik sehen in China goldenen Zeiten entgegen. Insgesamt werden sich die Bedürfnisse der alternden chinesischen Mittelklasse kaum von denen in anderen Gesellschafte mit anhaltend niedriger Geburtenrate unterscheiden. Deutschland – das auf der Überalterungskurve bereits weiter fortgeschritten ist – wird dann eine ganze Reihe von Produkten und Konzepten mitbringen, die sich künftig auch in China vermarkten lassen.

Die chinesische Akademie der Sozialwissenschaften sieht das Demografie-Problem jedoch mit großer Sorge. Der wohlhabende Teil der Bevölkerung weiß sich abzusichern, doch für viele Rentner aus weniger gut gestellten Schichten wird kaum etwas übrigbleiben. In einem Papier vom April 2019 schreiben die Forscher, Chinas wichtigster staatlicher Pensionsfonds werde bis 2035 aufgrund des Anstiegs der Zahl der Rentner und des Rückgangs der einzahlenden Beitragszahler nicht mehr über ausreichende Mittel verfügen, um allen Berechtigten eine angemessene Pension anzubieten. Mitarbeit: Marcel Grzanna

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Huawei will das Intel des autonomen Fahrens werden

Gegenüber China.Table erklärt Marek Neumann, Technikchef der Sparte für Autozubehör bei Huawei in Europa, zum ersten Mal die Ideen des Technikkonzerns für das autonome Auto. Huawei will sich in der Autoindustrie so präsentieren, wie Intel es bereits auf Computern macht. “Huawei Inside” (HI) soll künftig klein auf den Kühlergrills der Partnerfahrzeuge stehen.

Das Unternehmen deckt mehrere Bereiche ab, darunter Elektronik für das Cockpit, die Fahrsteuerung oder Cloud-Dienste. Neumann betont dagegen ausdrücklich, dass Medienberichte über ein geplantes Auto unter der Marke Huawei falsch sind. Huawei will stattdessen ein Zulieferer für die vorhandenen Fahrzeughersteller sein.

Huawei hat bereits vor einigen Jahren entschieden, sich nicht auf einen der Bereiche zu konzentrieren wie die meisten Wettbewerber, sondern von vornherein auf eine effiziente Kombination der verschiedenen Aspekte zu setzen: “Jede Technologie hat Schwächen und Stärken”, sagt Neumann. “Im Verbund jedoch würden sie sich gegenseitig ergänzen.” 

Huawei hat zudem von Anfang an darauf geachtet, die Produktpakete für das autonome Fahren bezahlbar zu halten. Die Neuentwicklungen, die dabei herauskommen, werden im ersten Schritt nun von gleich drei Unternehmen eingesetzt. Eines davon ist die Beijing Automotive Group (BAIC) aus Peking. Deren Partner ist Daimler. Dazu kommt Chongqing Changan Automobile (Changan). Das ist einer der vier großen staatlichen Hersteller mit Partnern wie Ford und Mazda. Nummer drei ist die Guangzhou Automobile Group (GAC), deren Partner Fiat, Honda, Isuzu, Mitsubishi und Toyota sind. 

Sensoren spielen mit der Software zusammen

Um den Menschen als Fahrer zu ersetzen, brauchen autonom fahrende Autos viele verschiedene Informationen. Diese kommen von Sensoren, deren Daten mit Mitteln der Künstlichen Intelligenz verarbeitet werden. Sobald der Rechner sich ein Bild von der Lage in der Umgebung gemacht hat, kann er die beste Fahrstrategie entwickeln. Daraus leitet er die mechanischen Anweisungen für das Fahrzeug ab. Neumann zählt die vier wichtigsten Arten von Sensoren auf: Lidar, Radar, optische Kameras und Ultraschall. Die meisten Autohersteller, die im Bereich autonomes Fahren unterwegs sind, stützen sich vor allem auf eine davon, während Huawei alle drei gleichermaßen verwenden will.

Waymo von Google zum Beispiel setzt auf Lidar. Das ist eine Methode des dreidimensionalen Lasers-Scannings. Tesla setzt eher auf Kameras. Die durch die Kameras erzeugten hochauflösenden Bilder werden von einer 3D-Software verarbeitet. Ultraschall wiederum ist als Einparkhilfe schon heute Standard bei vielen Modellen. Es wird beim autonomen Fahren nur umfassender eingesetzt. Die klassischen Radarsysteme wiederum kennt man zum Beispiel vom Totwinkel-Assistenten oder der aktiven Geschwindigkeitsregelung. 

Das Lidar sei vergleichsweise teuer und liefere keine Farbinformationen, so Neumann. Kameras seien preiswert und liefern Farbbilder, können aber leicht verschmutzen. Radarsysteme wiederum sind relativ preiswert und “recht gut lenkbar”. Deren Bilder seien aber bei weitem nicht so komplex wie die von einer Kamera. “Wichtig ist, dass man sich auf unterschiedliche Physik verlässt, auf Informationen also, die in unterschiedlichen Wellenlängen geliefert werden“, so Neumann. 

Mindestens genauso wichtig sei es, die unterschiedlichen Informationen zügig zu verarbeiten. “Da wird es richtig spannend”, sagt Neumann, “weil Sie nur Millisekunden zur Verfügung haben, die Informationen zu vergleichen und zu einem Lagebild zu verarbeiten.” Also das zu tun, was der Fahrer praktisch unbewusst macht: “Das ist die große Kunst des autonomen Fahrens.”

Aus dem Lagebild leitet die KI dann Handlungsalternativen ab. “Für eine muss sich der Computer entscheiden und dem Auto den Befehl geben, die entsprechenden Steuerimpulse auszuführen.” Neumann spricht dabei von Vorgängen, die zwischen 30 und 60 Mal in der Sekunde komplett durchgearbeitet werden müssen: “In diesem Bereich sind wir schon heute viel schneller als unsere Wettbewerber.” Dabei gehe es um die “Taktik des autonomen Fahrens.” Die müsse aus Zeitgründen im Fahrzeug selbst stattfinden. 

5G ermöglicht Fernwahrnehmung

Wenn es um die nächste Ebene geht, die “Strategie” des autonomen Fahrens, dann werde 5G ein zentrales Element.Dabei geht es darum, dass Fahrzeuge sich über Bereiche austauschen, die für ein Fahrzeug sichtbar sind, aber für das andere nicht”, erläutert Neumann.

Eine der einfacheren Anwendungen sei die Stauvermeidung. Komplexer würde es, wenn es zum Beispiel hinter einer Kuppe einen kleinen Unfall gegeben habe. “Das können die Sensoren am Auto nicht sehen. Da gilt es, die Informationen der Autos vor einem so schnell wie möglich an die folgenden Fahrzeuge weiterzugeben”, erläutert der Spezialist. Denn das folgende Auto brauche nun schnell eine neue, der Situation angepasste Strategie, bevor die eigenen Sensoren die Lage erfassen können.” Die Autos bremsen dann zu einem Zeitpunkt, an dem der menschliche Fahrer noch gar nicht mitbekommen hätte, dass es ein Problem gibt. Kommt es hart auf hart, können auch Notbremssysteme vorgespannt werden. Es ließen sich dutzende von Mechanismen auslösen, um auch für den Fall, dass das Unabwendbare passiert, gewappnet zu sein, sagt Neumann. Also für einen Unfall. 

Gleichzeitig versucht Huawei auch, die Hardware weiterzuentwickeln. So hat das Unternehmen eine Kleinstkamera vorgestellt, die sechs Millionen Bildpunkt auflöst. Nach Herstellerangaben übertrifft das die Konkurrenz von Tesla deutlich, die bei 1,2 Millionen Punkten verharrt. “Die Pixel sind zwar wichtig, aber nicht allein entscheidend”, sagt Neumann. Wichtiger sei das gesamte optische System: “Wenn Sie viele Pixel haben und eine schlechte Linse, dann zeigen Ihnen die Pixel außen nur noch einen Regenbogen.” Gleichzeitig habe Huawei ein neues einzigartiges Head-up-Display entwickelt, das alle wichtigen Informationen innen auf die Windschutzscheibe werfen kann.

Die Vergesellschaftung der Mobilität

In welche Richtung geht die Entwicklung? Neumann sieht zwei große Trends. Der eine sei die Vergesellschaftung von Mobilität. Die Frage ist hier, wem Fahrzeuge künftig gehören und wer sie zu welchen Preisen nutzen kann. Aber es gehe auch darum, den Zugang zu Mobilität zu vergrößern. “Selbst Menschen, die sehr alt sind und zum Beispiel nicht mehr gut sehen, sind mit dem autonomen Fahren weiterhin mobil.” Das bedeutet: Sie genießen länger eine höhere Lebensqualität. 

Für Huawei sei das ein wichtiger neuer Geschäftsbereich, betont Neumann. Huawei will für die Autohersteller so wichtig werden wie andere große Zulieferer, beispielsweise Bosch. Die Strategie ist Teil der Neuausrichtung bei Huawei. Diese ist nötig, weil das Smartphone-Geschäft aufgrund der US-Sanktionen eingebrochen ist. Huawei wurde zudem von der Nutzung amerikanischer Technik abgeschnitten.

Der Umsatz ist allein im 1. Quartal dieses Jahres um 16,5 Prozent eingebrochen, noch tiefer als im Quartal davor, als der Rückgang elf Prozent betrug. Zugleich ist aber die Marge um 3,8 Prozentpunkte auf 11,1 Prozent gestiegen – ein Ergebnis der Politik, sich mit eigener Technologie an Firmenkunden zu wenden. Der Kfz-Bereich verspricht hier die Eröffnung neuer Geschäftsfelder. Huawei-Vorstandsmitglied Eric Xu, derzeit auch amtierender CEO, rechnet es vor: In China werden jährlich 30 Millionen Autos verkauft. Selbst, wenn Huawei sich nur auf den chinesischen Markt konzentriere und im Schnitt 1300 Euro pro Auto verdiene, handele es sich um eine üppige Ertragsquelle.

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News

BASF investiert in Forschungsstandort Shanghai

BASF will bei neuen Materialien auf dem chinesischen Markt weiter ganz vorne mitspielen – und investiert 280 Millionen Euro zur Erweiterung des Innovation Campus in Shanghai. Konkret geht es darum, die Rolle als Zulieferer für die Branchen Auto und Bau auszubauen. Dafür ist mehr Forschung und Entwicklung nötig, wie das Unternehmen mitteilte.

Ein weiteres Ziel ist die bessere Verzahnung von Grundlagenforschung und Anwendung. Die BASF hat dafür einen eigenen Verbund von Akademikern ins Leben gerufen, das “Network for Asian Open Research”. Auch hier geht es eher um anwendungsnahe Forschung, wie die Liste der geförderten Gebiete zeigt. Polymere sind für die Entwicklung von Kunststoffen wichtig, “Oberflächen und Grenzflächen” sind das derzeit gefragteste Gebiet der Materialforschung, Batteriematerialien spielen in den Bereich des E-Autos hinein und Insektizide gehören zum Wachstumsmarkt mit Agrarchemie. fin

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  • Elektromobilität
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Peking erlässt Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung

China hat ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung erlassen. Das Gesetz sieht Geldstrafen bis zu umgerechnet 12.500 Euro vor und richtet sich gegen Restaurants, die ihren Kunden Anreize setzen, zu viel zu bestellen, sowie Lebensmittelproduzenten und Einzelhändler, die Lebensmittel verschwenden. Auch auf Internetnutzer, die Videos von Essensgelagen hochladen, zielt das Gesetz ab, wie mehrere Medien berichten. Restaurants dürfen künftig eine Gebühr von Kunden erheben, die zu viele Reste auf ihren Tellern lassen. Auch Büros, Schulkantinen und Essenslieferdienste müssen Schritte unternehmen, um die Lebensmittelverschwendung einzudämmen.

In Chinas Städten werfen Restaurants den Berichten zufolge 17 bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr weg. Allein diese Menge reiche aus, um 30 bis 50 Millionen Menschen zu ernähren, gibt NikkeiAsia die Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften wieder.

Das Gesetz geht demnach auch auf Forderungen von Xi Jinping nach einem stärkeren Bewusstsein für die Ernährungssicherheit Chinas zurück. Er riet dem Bericht zufolge der Öffentlichkeit vom übermäßigen Genuss von Speisen und Getränken ab, auch in Erwartung langwieriger Spannungen mit den USA, aus denen China Soja und Mais importiert. Im Laufe des Jahres werden zudem Gesetzesvorschläge zur Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung erwartet.

Schätzungen zufolge könnte China bis zum Jahr 2025 mit einer Nahrungsmittelknappheit von etwa 130 Millionen Tonnen konfrontiert sein, da die Zahl der Bauern schrumpft. Dabei handele es jedoch nicht um eine Knappheit von Grundnahrungsmitteln, sagt Dan Wang, Chefvolkswirt der Hang Seng Bank (China) gegenüber der South China Morning Post, sondern von Produkten wie Fleisch, Eiern und Milch. Es werde vor allem ein Futtermittelproblem geben, so Wang. Denn China könne nicht genügend Futtergetreide wie Sojabohnen produzieren, um seine große und schnell wachsende Viehwirtschaft zu versorgen. nib

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Klebebandhersteller Tesa erweitert Produktion in Suzhou

Der Klebebandhersteller Tesa hat sein Produktionswerk in Suzhou erweitert und dazu 32 Millionen Euro investiert. Auf 15.000 Quadratmetern sollen bis Ende 2021 neben der bereits errichteten Reinraum-Einheit zusätzliche Büros und Labore entstehen.

In den dortigen Reinräumen können besonders durchsichtige Folien (“Optically Clear Adhersives” oder OAC) produziert werden. Diese finden in Smartphone-Displays Anwendung und sind daher an Elektronikstandorten sehr nachgefragte Waren.

Mit der Erweiterung könne Tesa besser auf die Kundennachfrage in Fernost reagieren, teilte das Unternehmen mit. Auch die Entwicklung neuer Produkte zusammen mit den Abnehmern sei einfacher. Mit der Verkürzung der Transportwege könne darüber hinaus auch die Klimabelastung verringert werden.

Von den 750 Beschäftigten in der Region Greater China seien 300 in Suzhou tätig, mittelfristig sollen 80 weitere Stellen hinzukommen. Neben einem zweiten Produktionswerk in Shanghai betreibt Tesa elf weitere Vertriebsbüros in der Region. bw

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  • Suzhou

Flugzeugträger übt im Südchinesischen Meer

China führt eine Reihe von Manövern mit seinem 2019 in Dienst gestellten Flugzeugträger Shandong im Südchinesischen Meer durch. Die Übung wurde als Routinetraining beschrieben, berichtet Reuters. Ein Sprecher der Streitkräfte sagte, dass die chinesische Marine ihre Militärübungen weiterhin nach Zeitplan durchziehen werde. Schon im vergangenen Monat kündigte die Volksbefreiungsarmee an, solche Manöver häufiger abzuhalten. Sie gelten als Demonstration der Stärke im Konflikt um Taiwan und weite Teile des Südchinesischen Meeres, die China als Teil seines Gebietes ansieht. Gleichzeitig erhöht der Einsatz des Flugzeugträgers die Spannungen. Schon im April waren chinesische Kampfjets in großer Zahl in Taiwans Luftverteidigungszone eingedrungen. US-Präsident Joe Biden schickte im vergangenen Monat eine inoffizielle US-Delegation nach Taipeh, um seine Unterstützung zu zeigen. Die Bundeswehr will im Sommer eine Fregatte ins Südchinesische Meer entsenden (China.Table berichtete). nib

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Portrait

Popo Fan

Popo Fan ist LGBTQ+ Aktivist und für seinen Dokumentarfilm "Rainbow Mama" berühmt.
Dokumentarfilmer und LGBTQ-Aktivist

Noch heute kommen junge Menschen aus ganz China zu Popo Fan, um sich bei ihm zu bedanken: Ohne seinen Film “Mama Rainbow” hätten sie sich nie getraut, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. In seiner Kurzdoku hatte der im ostchinesischen Jiangsu geborene Filmemacher sechs Mütter porträtiert, deren Kinder gerade ihr Coming-out gewagt hatten. Homosexualität ist noch immer ein kontroverses Thema in China: Obwohl sie seit 1997 nicht mehr verboten ist, fühlen sich gleichgeschlechtlich liebende Menschen noch immer stigmatisiert.

Nicht wenige gehen Scheinehen ein, aus Angst, von der eigenen Familie verstoßen zu werden oder den Arbeitsplatz zu verlieren. Der Staat kehrt das Thema unter den Teppich. “Homosexuelle Beziehungen positiv in den Medien darzustellen ist in China Tabu”, erklärt der 35-Jährige, der an der Beijing Film Academy studiert hat und mittlerweile in Berlin lebt. In “Mama Rainbow” siegt am Ende die Mutterliebe über die tief verankerten Ängste und Vorurteile. “Wir hoffen, mit diesen positiven Geschichten den Menschen in China Mut zuzusprechen“, sagt Fan. “Die Botschaft an das Publikum lautet: Diese Mütter akzeptieren ihre Kinder wie sie sind, womöglich akzeptiert und unterstützt dich auch deine Mutter!”

Für seine Filme, die sich um Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe (“New Beijing, New Marriage”), Transgender (“Be A Woman”) und Geschlechterdiskriminierung (“The VaChina Monologues”) drehen, erhielt Fan mehrere Preise, darunter den “Prism Award” des Hong Kong Lesbian and Gay Film Festival. In Peking organisierte er zehn Jahre lang unter dem Radar der Behörden das “Beijing Queer Film Festival“. Obwohl seine Werke offiziell nicht in seiner Heimat gezeigt werden dürfen, ist er einer der bekanntesten LGBTQ-Aktivisten Chinas. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er keine Angst hat, die staatlich geduldete Homophobie öffentlich anzuprangern.

Nachdem “Mama Rainbow” 2015 von mehr als einer Million Nutzern angeklickt worden war, verschwand der Film plötzlich von chinesischen Streamingseiten wie “Tudou” und “Youku”. Da er weder Sex noch Gewalt propagiert, und damit auch nicht gegen die Nutzungsbestimmungen verstieß, reichte Fan vor einem Pekinger Gericht Klage ein. Er wollte verstehen, gegen welches Gesetz er eigentlich verstoßen hatte. Das so rigide wie intransparente System so direkt herauszufordern, hatte sich noch kein schwuler chinesischer Künstler getraut. “Wir wurden in China dazu erzogen, die Finger von der Politik zu lassen, da das gefährlich sei”, bekennt Fan, der sich monatelang durch alle Instanzen kämpfte.

Am Ende gewann er den Fall insofern, als die staatliche Zensurbehörde zugab, nie offiziell die Löschung des Films beantragt zu haben. Geändert hat das Eingeständnis nichts: Fans Werke sind noch immer nicht auf den Videoportalen des chinesischen Festlandes zu sehen. Wie der Staat weisen die Tech-Unternehmen jede Verantwortung von sich. “Das Problem ist, dass es keine klare Linie gibt, was erlaubt ist und was nicht. Die Zensur hängt von den jeweiligen Entscheidungsträgern ab. Wenn eine Person etwas mag, kommt man damit durch, aber wenn eine andere Person dagegen ist, kann ein Film verboten werden. Also versuchen die meisten Filmemacherinnen und Filmemacher, auf der sicheren Seite zu bleiben. Das tötet die Kreativität.” Fabian Peltsch

Zur Sprache

bèi lǜ le 被绿了 – “gegrünt” werden

bèi lǜ le 被绿了 - "gegrünt" werden - betrogen werden

Mit der Farbe Grün kommt man in China nicht immer auf einen grünen Zweig. Grün und blau ärgern dürften sich etwa China-Neulinge, die im Reich der Mitte mit einer grünen Kopfbedeckung aufkreuzen und dafür eventuell den einen oder anderen blöden Spruch kassieren. China-Insider können da natürlich nur müde lächeln. Längst hat sich herumgesprochen, dass die sehr bildhafte Redensart 被戴绿帽子 bèi dài lǜ màozi “einen grünen Hut aufgesetzt bekommen” in China gleichbedeutend ist mit “vom Partner betrogen werden”. Zurückgehen soll das auf eine Volksgeschichte, in der ein Kaufmann, wenn er auf Reisen ging, einen grünen Hut aufsetzte. Dem Liebhaber seiner Frau diente dies als Hinweis, dass freie Bahn bestand. Chinas Netzgemeinde hat den Spruch nun für das 21. Jahrhundert noch griffiger gemacht. In China wird man also heute “gegrünt” (被绿了 bèi lǜ le), bei uns “gehörnt”.

Ein Blick in die sprachliche Farbpalette hält noch einige weitere gängige Redensarten mit Aha-Effekt bereit. So heißt “rot werden” 红了 (hóng le) in China nicht selten “zum Trend werden” oder “Berühmtheit erlangen”. 被黑了 (bèi hēi le) “geschwärzt werden” ist dagegen ein semantisches Sammelsurium für negative Vorkommnisse verschiedener Couleur wie “betrogen/ausgespielt/angeschwärzt werden”. Etwas “weiß” zu tun (白做 bái zuò) heißt hingegen “vergeblich/umsonst” handeln. Aufs sprachliche Farb-Glatteis begibt man sich schnell mit der Farbe Gelb. Denn die Sonnenfarbe ist im Chinesischen ein Synonym für alles Schlüpfrige. Ein “gelber Film” (黄片 huángpiān) ist also nicht, wie man vielleicht erwarten würde, ein “goldener” Kinoklassiker, sondern schlichtweg ein Porno.

Verena Menzel 孟维娜 betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Hongkong lässt Geimpfte wieder feiern
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    • Peking erlässt Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung
    • Chinesische Marine-Übung im Südchinesischen Meer
    • Klebebandhersteller Tesa erweitert Produktion in Suzhou
    • Im Portrait: Popo Fan
    • Zur Sprache: 被绿了 bèi lǜ le – “gegrünt werden”
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wenn es um Corona geht, dann findet in Asien und in Europa oft die gleiche Diskussion unter völlig anderen Vorzeichen statt. Hongkong diskutiert wie Deutschland über Privilegien für Geimpfte. Nur: In Hongkong gibt es derzeit nur ein bis zwei Neuinfektionen pro Tag. Da brauchen Impfungen einen besonderen Anreiz – und den soll künftig der freie Besuch von Bars und Restaurants bieten, wie Gregor Koppenburg und Jörn Petring zeigen.

    Schrumpft Chinas Bevölkerung bereits? Ein Bericht in der Financial Times hat hier Verwirrung gestiftet. Offiziell leugnet Peking den Rückgang. Das kann der Propaganda geschuldet sein – ist aber letztlich gleichgültig, denn früher oder später wird es so weit sein. Die niedrige Geburtenrate drückt schon jetzt das Wachstum und setzt die Alterssicherung unter Druck. Was das für die chinesische und die deutsche Wirtschaft bedeutet, erklärt Felix Lee in seiner Analyse.

    Huawei ist für die Mobilfunktechnik bereits so unentbehrlich, dass Deutschland sich zur Frage des richtigen Umgangs mit dem Unternehmen in Debatten zerfleischt. Der Konzern aus Shenzhen nutzt seine enorme Kompetenz für Soft- und Hardware derweil, um in das nächste Feld vorzustoßen: technische Ausrüstung, um Autos das autonome Fahren beizubringen. Ob Huawei dort demnächst ebenso unentbehrlich wird, berichtet uns der zuständige Entwicklungschef.

    Noch ein Wort in eigener Sache: Ab dieser Ausgabe übernehme ich die Redaktionsleitung des China.Table. Nach neun Jahren als Korrespondent in Peking freut es mich sehr, jetzt von Berlin aus an der Berichterstattung über dieses in jeder Hinsicht wichtige Land mitzuwirken. Falls Ihnen etwas an unserem Produkt auffällt oder Sie Lob oder Kritik mit uns teilen möchten – schreiben Sie mir doch bitte eine Nachricht an die Adresse china@table.media. Ich freue mich auf den Dialog!

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Presseschau

    Vertraulicher Regierungsbericht: Berlin warnt vor Chinas Seidenstraße und fordert eine europäische Antwort HANDELSBLATT
    Cracks appear in China’s New Silk Road DEUTSCHE WELLE
    Blinken schließt militärische Konfrontation mit China aus DEUTSCHLANDFUNK
    USA fürchten China und Russland: Droht ein Krieg im Weltraum? N-TV
    Henry Kissinger has warned of the doomsday potential of the weapons US-China possess as relations between the 2 superpowers worsen BUSINESS INSIDER
    Die Rache der Ein-Kind-Politik: Warum China mit einer sinkenden Einwohnerzahl rechnen muss RND
    China bestraft jetzt Lebensmittelverschwendung per Gesetz FAZ
    China’s Xinjiang policies “poorly explained and ruthlessly executed” SCMP
    Großbritannien fordert harte Linie der G7 gegen China T-ONLINE
    New Zealand’s Ardern says differences with China becoming harder to reconcile REUTERS
    China schickt Fischereiflotte vor ORF
    Hanfu: Mit kaiserlichem Outfit gegen westliches Mode-Diktat SRF

    Analyse

    Hongkong lässt Geimpfte wieder feiern

    Es ist bereits ein halbes Jahr her, dass in Lang Kwai Fong so richtig gefeiert wurde. In der Halloween-Nacht am 31. Oktober zogen Zehntausende bis in die frühen Morgenstunden durch die Bars des Hongkonger Szene-Viertels. 

    Für die ausgelassenen Stunden musste die chinesische Sonderverwaltungsregion jedoch einen hohen Preis zahlen: Die Corona-Infektionszahlen schossen in den Wochen nach der Halloween-Sause durch die Decke – zumindest für Hongkonger Verhältnisse: Über Monate verzeichnete die Stadt mit ihren 7,5 Millionen Einwohnern täglich zweistellige Infektionszahlen. 

    Zum Höhepunkt dieser Welle gab es an einem Tag sogar 118 Infizierte, was einer Inzidenz von 1,57 entspricht. Was für Europäer nach einem Traumwert klingt, war für die strenge Hongkonger Regierung absolut inakzeptabel. Bars und Nachtclubs der Stadt mussten in Folge schließen. 

    Nach langer Pause darf nun wieder gefeiert werden. Zum einen meldet Hongkong bereits seit Wochen pro Tag in Durchschnitt nur noch ein bis zwei Infektionen. Wichtiger aber ist, dass die Regierung eine Grundsatzentscheidung getroffen hat, mit der sich in diesen Tagen auch Deutschland auseinandersetzt: Sollen Menschen, die geimpft oder teilweise geimpft sind, mehr Freiheiten genießen als der noch nicht geimpfte Teil der Bevölkerung? Während die Ethik-Experten in Deutschland noch beraten, hat Hongkong eine eindeutige Entscheidung für mehr Freiheiten getroffen. 

    Nachtleben für Geimpfte

    Seit vergangenem Wochenende gilt: Geimpfte Bürger dürfen sich wieder ins Nachtleben stürzen. Voraussetzung für den Besuch einer Bar oder eines Clubs: Gäste müssen mindestens ihre erste Impfung gegen das Coronavirus erhalten haben. Die Läden schließen zudem spätestens um 2 Uhr morgens. Die Einrichtungen dürfen nicht bei voller Auslastung betrieben werden. Auch Restaurants sollen wieder Tische für Gruppen von bis zu acht Personen anbieten, wenn diese mindestens eine Impfdosis erhalten haben. Zuletzt galt, dass lediglich vier Gäste am Tisch sitzen dürfen. 

    Die Details der Regelung können zunächst verwirren, sie werden von den Gastronomie-Betrieben dennoch überwiegend dankbar angenommen. So können nun Restaurants verschiedene Zonen in ihren Räumlichkeiten anbieten. Wirklich ausgeschlossen wird niemand. An Tischen, die für nicht Geimpfte vorgesehen sind, dürfen nur Gruppen von vier Leuten sitzen, die sich jedoch mit einer App zur Kontaktnachverfolgung registrieren müssen – um 22 Uhr schließen die Wirte diese Bereiche. Größere Tische für bis zu acht Personen sind für Geimpfte reserviert, die den Nachweis für Ihre Immunisierung ebenfalls über eine App erbringen können – hier darf bis 2 Uhr morgens geöffnet sein. 

    Wer weder geimpft ist noch die App zur Kontaktverfolgung nutzen will, kann ebenfalls ins Restaurant kommen. Das Personal muss Name und Telefonnummer dann per Hand in eine Liste eintragen. Die Gäste dürfen nur am Zweiertisch essen. Um spätestens 18 Uhr kommt die Rechnung. 

    Reise-Blase mit Singapur

    Nicht nur Nachtmenschen bietet Hongkong nach einer Impfung mehr Freiheiten an. Auch die gerade verkündete Reise-Blase mit Singapur steht nur geimpften Hongkonger:innen zur Verfügung. Ab dem 26. Mai sollen Reisende zwischen beiden Orten hin und her fliegen können, ohne wie bisher in Quarantäne zu müssen. Gemäß dem Plan gilt die Impfpflicht einseitig für Hongkonger. Alle Reisenden müssen sich aber auf das Coronavirus testen lassen. Zunächst soll es einen Flug pro Tag in jede Richtung geben. Vorgesehen ist zudem ein Mechanismus, der die Vereinbarung aussetzt, sollte an einem der Orte die Zahl der nicht nachverfolgbaren Infektionen auf fünf Fälle pro Tag im Wochendurchschnitt ansteigen. Die Reiseblase sollte eigentlich schon im vergangenen November starten, war dann aber kurzfristig abgesagt worden, weil Hongkong wieder mehr Corona-Fälle verzeichnete. 

    Hongkong springt mit den neuen Freiheiten für Geimpfte nicht nur seiner Tourismus-Branche und der Gastronomie zur Seite. Die Regierung will auch erreichen, dass die Impfkampagne durch die Anreize endlich Fahrt aufnimmt. Denn Hongkong ist in einer eigenartigen Situation: Genügend Impfstoff ist vorhanden, doch sind die Menschen noch viel zurückhaltender als etwa in Europa. 

    Das hängt nicht nur mit Skepsis gegenüber den Impfstoffen zusammen. Auch das politische Klima trägt seinen Teil bei. Während Impftermine für den Biontech-Impfstoff relativ gut gebucht sind, verschmähen viele Hongkonger das chinesische Präparat von Sinovac, was zu einer insgesamt geringen Impfquote führt. Bis vergangenen Mittwoch haben lediglich 11,6 Prozent der 7,5 Millionen Hongkonger ihre erste Dosis erhalten. 

    Politisierung verlangsamt Impftempo

    Wie sehr die Politisierung des Themas dem Kampf gegen das Corona-Virus schadet, wurde schon im vergangenen Jahr sichtbar. Um auf null Infektionen zu kommen, plante die Regierung einen Massentest der gesamten Bevölkerung. In Städten auf dem Festland wie Peking, Shanghai oder Shenzhen haben die Behörden den Massentest einfach verordnet. Innerhalb weniger Tage war er dann erledigt. In Hongkong scheiterte das Vorhaben dagegen. 

    Die Beteiligungsquote war nicht zuletzt so gering, weil das Oppositionslager, darunter auch der bekannte Protestführer Joshua Wong, dazu aufgerufen hatten, sich nicht an der Kampagne zu beteiligen. Wer sich damals mit Hongkongern unterhielt, hörte unter anderem von Ängsten, dass Speichelproben aufs chinesische Festland gelangen und die Sicherheitskräfte dort eine Gen-Datenbank anlegen. 

    Die Haltung der Zentralregierung scheint derweil klar: Zwei Infektionen pro Tag sind noch immer deutlich zu viel. Erst, wenn über einen längeren Zeitraum keine Infektionen verzeichnet werden und eine hohe Impfquote erreicht ist, dürften aus Hongkong wieder quarantänefreie Reisen auf das Festland möglich sein. Gregor Koppenburg/Jörn Petring

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    Alternde Bevölkerung bietet Chancen für deutsche Wirtschaft

    Ob Chinas Bevölkerung in diesem Jahr schon schrumpft, im kommenden Jahr, oder erst 2027 wie von offizieller Seite derzeit noch behauptet – an den Problemen, die mit den Folgen der Ein-Kind-Politik einhergehen, ändert die Frage nach dem Zeitpunkt nur wenig. Chinas Bevölkerung vergreist, bevor es das Land zu ausreichend hohem Wohlstand geschafft hat. Das ungleiche Geschlechterverhältnis wird in den kommenden Jahrzehnten bei vielen Männern weiter für Frust sorgen, weil sie keine Partnerin finden. Und auch die Geburtenrate sinkt weiter.

    Diese Probleme zeigen: Das demografische Desaster ist mitten im Gange. Und das ist auch der Führung in Peking längst klar. Trotzdem wird das Thema in China politisch sehr sensibel behandelt und es darf damit erst an die Öffentlichkeit gegangen werden, wenn die Regierungsstellen einen Konsens über die Daten und deren Auswirkungen erreicht haben. 

    Chinas Statistikamt hat am Donnerstag einem aktuellen Bericht der Financial Times (FT) vehement widersprochen, wonach Chinas Bevölkerung in diesem Jahr erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert schrumpfen wird. Das Statistikamt verweist auf 2019. In jenem Jahr sei Chinas Bevölkerung von 1,39 auf 1,4 Milliarden Menschen gewachsen. Genaue Daten für 2020 würden erst dann veröffentlicht, wenn das Ergebnis des alle zehn Jahre stattfindenden Zensus vorliege, heißt es. Dieser sei erst im November und Dezember des vergangenen Jahres erhoben worden. Die FT berief sich in ihrem Bericht hingegen auf “mit den Daten vertrauten Personen” (China.Table berichtete). 

    Wozu diese Geheimniskrämerei, mag man sich fragen. Denn längst hat auch die chinesische Zentralbank Zahlen veröffentlicht. Und wie aus einem ihrer Papiere hervorgeht, ist die Geburtenrate in der Volksrepublik unter 1,5 Kinder pro Frau gesunken. Die Zentralbank-Zahlen basieren auf Erhebungen, die die chinesischen Provinzen und Städte im Laufe des Januars eigenständig erhoben haben. In einigen Regionen, etwa in der wohlhabenden Ostküstenprovinz Zhejiang, sind die Geburtenraten im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Sollten sich diese Zahlen bewahrheiten, wäre das die niedrigste Rate seit 60 Jahren. Damals herrschten in weiten Teilen des Landes Hungersnöte. 

    Verheerende Folgen der Ein-Kind-Politik

    Doch Demografie ist eben auch ein Politikum. “Wenn China einen solchen Rückgang bestätigt, wäre das eine große Sache”, sagt Zhang Zhiwei, der in Shenzhen ansässige Chefökonom des Finanzhauses Pinpoint Asset Management. “Das wäre viel früher, als der Markt und die politischen Entscheidungsträger erwartet haben.” Die chinesische Akademie für Sozialwissenschaften hatte in ihren Prognosen geschätzt, dass der Wendepunkt in der Bevölkerungsentwicklung erst 2027 eintreten wird

    Ein früherer Rückgang der Bevölkerung als erwartet – da würde das Scheitern der Bevölkerungspolitik deutlich zutage treten. Die KP Chinas unter Deng Xiaoping hatte sie 1980 eingeführt mit der Begründung: Nur wenn auf jedes Paar höchstens ein Kind komme, ließe sich eine Bevölkerungsexplosion verhindern. Die Geburtenrate fiel von durchschnittlich acht Kindern auf den heutigen, sehr niedrigen Wert. Die KP brüstete sich damit, zwischen 400 und 600 Millionen Geburten verhindert zu haben. Doch Bevölkerungswissenschaftler verweisen darauf, dass ein Rückgang der Geburtenrate mit steigendem Wohlstand auch ohne die rigiden Maßnahmen eingesetzt hätte

    Die Folgen der abrupt eingeführten Ein-Kind-Politik sind nun umso verheerender. Bis 2030 wird die Zahl der über 60-Jährigen auf mehr als 300 Millionen steigen – jeder vierte Chinese gehört dann in diese Altersklasse. Auch auf das Geschlechterverhältnis wirkt sich die Ein-Kind-Politik aus. Weil viele junge Eltern vor allem im ländlichen Raum lieber einen Jungen zur Welt bringen, ließen sie weibliche Embryos abtreiben. Das hat massive Folgen: Auf 100 Frauen kommen heute 117 Männer. Viele von ihnen finden keine Partnerin. 

    Für die Einführung der Ein-Kind-Politik zu Beginn der Achtzigerjahre konnte die aktuelle Führung nichts, wohl aber für die Maßnahmen der vergangenen Jahre. Obwohl Experten vor Chinas tickender demografischer Bombe schon lange warnten, schaffte die Führung unter Xi Jinping die jahrzehntelange Ein-Kind-Politik erst 2016 ab und ersetzte sie durch eine Zwei-Kind-Politik. Millionen von Familienplanern sind seitdem unterwegs – nicht mehr, um die jungen Frauen zur Abtreibung zu drängen, wie es noch vor wenigen Jahren ihre Aufgabe war. Sondern, um sie zu mehr Gebärfreudigkeit zu ermutigen. Doch auch dieses Kalkül geht nicht auf.

    Mit Einführung der Zwei-Kind-Politik 2016 wurden 17,9 Millionen Babys geboren, etwa 1,3 Millionen mehr als im Vorjahr. Doch schon 2017 ging die Zahl der Neugeborenen auf 17,2 Millionen zurück und ist 2019 auf 14,65 Millionen gesunken. Viele Paare vor allem in den Großstädten haben das Gefühl, dass sie sich angesichts der massiv gestiegenen Mieten und der hohen Kosten für gute Schulen kein zweites Kind leisten können. Gerade in der Mittelschicht sind die Ansprüche zudem gestiegen. Die meisten von ihnen sind selbst ohne Geschwister aufgewachsen und können sich ein Leben in einer größeren Familie gar nicht mehr vorstellen.

    “Viele glauben, dass durch eine Liberalisierung der rigiden und menschenrechtsfeindlichen chinesischen Ein-Kind-Politik die demografische Herausforderung niedriger Fertilitätsraten gelöst wäre und sich höhere Geburtenzahlen ebenso planen lassen”, sagt der Bevölkerungswissenschaftler Daniel Hegemann vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. “Aber auch eine geburtenfördernde Politik verspricht kaum kurzfristig Entlastung. Denn familienpolitische Maßnahmen entfalten ihre Wirkung erst über einen längeren Zeitraum”.

    Goldene Zeiten für Betreiber von Altersheimen und Pharmabranche

    Die Aufhebung der Ein-Kind-Politik kommt zu spät, kritisierten Ökonomen schon 2015, als Chinas Führung ihr Ende verkündete. Der anhaltende Geburtenrückgang werde bald das Wirtschaftswachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft beeinträchtigen, warnten sie. Die Zahl der arbeitenden Bevölkerung hatte bereits 2011 ihren Höhepunkt erreicht. Sie lag damals bei rund 920 Millionen. Seitdem sinkt die Zahl. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass Chinas Arbeitsheer bis 2030 um rund 70 Millionen Menschen schrumpfen wird. Der Anteil Chinas Bevölkerung im Rentenalter werde hingegen bereits 2025 auf über 300 Millionen ansteigen und 2030 rund ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. 

    Das hat auch Auswirkungen auf das Chinageschäft. Die Branchen Pharma, Automatisierung und Medizintechnik sehen in China goldenen Zeiten entgegen. Insgesamt werden sich die Bedürfnisse der alternden chinesischen Mittelklasse kaum von denen in anderen Gesellschafte mit anhaltend niedriger Geburtenrate unterscheiden. Deutschland – das auf der Überalterungskurve bereits weiter fortgeschritten ist – wird dann eine ganze Reihe von Produkten und Konzepten mitbringen, die sich künftig auch in China vermarkten lassen.

    Die chinesische Akademie der Sozialwissenschaften sieht das Demografie-Problem jedoch mit großer Sorge. Der wohlhabende Teil der Bevölkerung weiß sich abzusichern, doch für viele Rentner aus weniger gut gestellten Schichten wird kaum etwas übrigbleiben. In einem Papier vom April 2019 schreiben die Forscher, Chinas wichtigster staatlicher Pensionsfonds werde bis 2035 aufgrund des Anstiegs der Zahl der Rentner und des Rückgangs der einzahlenden Beitragszahler nicht mehr über ausreichende Mittel verfügen, um allen Berechtigten eine angemessene Pension anzubieten. Mitarbeit: Marcel Grzanna

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    Huawei will das Intel des autonomen Fahrens werden

    Gegenüber China.Table erklärt Marek Neumann, Technikchef der Sparte für Autozubehör bei Huawei in Europa, zum ersten Mal die Ideen des Technikkonzerns für das autonome Auto. Huawei will sich in der Autoindustrie so präsentieren, wie Intel es bereits auf Computern macht. “Huawei Inside” (HI) soll künftig klein auf den Kühlergrills der Partnerfahrzeuge stehen.

    Das Unternehmen deckt mehrere Bereiche ab, darunter Elektronik für das Cockpit, die Fahrsteuerung oder Cloud-Dienste. Neumann betont dagegen ausdrücklich, dass Medienberichte über ein geplantes Auto unter der Marke Huawei falsch sind. Huawei will stattdessen ein Zulieferer für die vorhandenen Fahrzeughersteller sein.

    Huawei hat bereits vor einigen Jahren entschieden, sich nicht auf einen der Bereiche zu konzentrieren wie die meisten Wettbewerber, sondern von vornherein auf eine effiziente Kombination der verschiedenen Aspekte zu setzen: “Jede Technologie hat Schwächen und Stärken”, sagt Neumann. “Im Verbund jedoch würden sie sich gegenseitig ergänzen.” 

    Huawei hat zudem von Anfang an darauf geachtet, die Produktpakete für das autonome Fahren bezahlbar zu halten. Die Neuentwicklungen, die dabei herauskommen, werden im ersten Schritt nun von gleich drei Unternehmen eingesetzt. Eines davon ist die Beijing Automotive Group (BAIC) aus Peking. Deren Partner ist Daimler. Dazu kommt Chongqing Changan Automobile (Changan). Das ist einer der vier großen staatlichen Hersteller mit Partnern wie Ford und Mazda. Nummer drei ist die Guangzhou Automobile Group (GAC), deren Partner Fiat, Honda, Isuzu, Mitsubishi und Toyota sind. 

    Sensoren spielen mit der Software zusammen

    Um den Menschen als Fahrer zu ersetzen, brauchen autonom fahrende Autos viele verschiedene Informationen. Diese kommen von Sensoren, deren Daten mit Mitteln der Künstlichen Intelligenz verarbeitet werden. Sobald der Rechner sich ein Bild von der Lage in der Umgebung gemacht hat, kann er die beste Fahrstrategie entwickeln. Daraus leitet er die mechanischen Anweisungen für das Fahrzeug ab. Neumann zählt die vier wichtigsten Arten von Sensoren auf: Lidar, Radar, optische Kameras und Ultraschall. Die meisten Autohersteller, die im Bereich autonomes Fahren unterwegs sind, stützen sich vor allem auf eine davon, während Huawei alle drei gleichermaßen verwenden will.

    Waymo von Google zum Beispiel setzt auf Lidar. Das ist eine Methode des dreidimensionalen Lasers-Scannings. Tesla setzt eher auf Kameras. Die durch die Kameras erzeugten hochauflösenden Bilder werden von einer 3D-Software verarbeitet. Ultraschall wiederum ist als Einparkhilfe schon heute Standard bei vielen Modellen. Es wird beim autonomen Fahren nur umfassender eingesetzt. Die klassischen Radarsysteme wiederum kennt man zum Beispiel vom Totwinkel-Assistenten oder der aktiven Geschwindigkeitsregelung. 

    Das Lidar sei vergleichsweise teuer und liefere keine Farbinformationen, so Neumann. Kameras seien preiswert und liefern Farbbilder, können aber leicht verschmutzen. Radarsysteme wiederum sind relativ preiswert und “recht gut lenkbar”. Deren Bilder seien aber bei weitem nicht so komplex wie die von einer Kamera. “Wichtig ist, dass man sich auf unterschiedliche Physik verlässt, auf Informationen also, die in unterschiedlichen Wellenlängen geliefert werden“, so Neumann. 

    Mindestens genauso wichtig sei es, die unterschiedlichen Informationen zügig zu verarbeiten. “Da wird es richtig spannend”, sagt Neumann, “weil Sie nur Millisekunden zur Verfügung haben, die Informationen zu vergleichen und zu einem Lagebild zu verarbeiten.” Also das zu tun, was der Fahrer praktisch unbewusst macht: “Das ist die große Kunst des autonomen Fahrens.”

    Aus dem Lagebild leitet die KI dann Handlungsalternativen ab. “Für eine muss sich der Computer entscheiden und dem Auto den Befehl geben, die entsprechenden Steuerimpulse auszuführen.” Neumann spricht dabei von Vorgängen, die zwischen 30 und 60 Mal in der Sekunde komplett durchgearbeitet werden müssen: “In diesem Bereich sind wir schon heute viel schneller als unsere Wettbewerber.” Dabei gehe es um die “Taktik des autonomen Fahrens.” Die müsse aus Zeitgründen im Fahrzeug selbst stattfinden. 

    5G ermöglicht Fernwahrnehmung

    Wenn es um die nächste Ebene geht, die “Strategie” des autonomen Fahrens, dann werde 5G ein zentrales Element.Dabei geht es darum, dass Fahrzeuge sich über Bereiche austauschen, die für ein Fahrzeug sichtbar sind, aber für das andere nicht”, erläutert Neumann.

    Eine der einfacheren Anwendungen sei die Stauvermeidung. Komplexer würde es, wenn es zum Beispiel hinter einer Kuppe einen kleinen Unfall gegeben habe. “Das können die Sensoren am Auto nicht sehen. Da gilt es, die Informationen der Autos vor einem so schnell wie möglich an die folgenden Fahrzeuge weiterzugeben”, erläutert der Spezialist. Denn das folgende Auto brauche nun schnell eine neue, der Situation angepasste Strategie, bevor die eigenen Sensoren die Lage erfassen können.” Die Autos bremsen dann zu einem Zeitpunkt, an dem der menschliche Fahrer noch gar nicht mitbekommen hätte, dass es ein Problem gibt. Kommt es hart auf hart, können auch Notbremssysteme vorgespannt werden. Es ließen sich dutzende von Mechanismen auslösen, um auch für den Fall, dass das Unabwendbare passiert, gewappnet zu sein, sagt Neumann. Also für einen Unfall. 

    Gleichzeitig versucht Huawei auch, die Hardware weiterzuentwickeln. So hat das Unternehmen eine Kleinstkamera vorgestellt, die sechs Millionen Bildpunkt auflöst. Nach Herstellerangaben übertrifft das die Konkurrenz von Tesla deutlich, die bei 1,2 Millionen Punkten verharrt. “Die Pixel sind zwar wichtig, aber nicht allein entscheidend”, sagt Neumann. Wichtiger sei das gesamte optische System: “Wenn Sie viele Pixel haben und eine schlechte Linse, dann zeigen Ihnen die Pixel außen nur noch einen Regenbogen.” Gleichzeitig habe Huawei ein neues einzigartiges Head-up-Display entwickelt, das alle wichtigen Informationen innen auf die Windschutzscheibe werfen kann.

    Die Vergesellschaftung der Mobilität

    In welche Richtung geht die Entwicklung? Neumann sieht zwei große Trends. Der eine sei die Vergesellschaftung von Mobilität. Die Frage ist hier, wem Fahrzeuge künftig gehören und wer sie zu welchen Preisen nutzen kann. Aber es gehe auch darum, den Zugang zu Mobilität zu vergrößern. “Selbst Menschen, die sehr alt sind und zum Beispiel nicht mehr gut sehen, sind mit dem autonomen Fahren weiterhin mobil.” Das bedeutet: Sie genießen länger eine höhere Lebensqualität. 

    Für Huawei sei das ein wichtiger neuer Geschäftsbereich, betont Neumann. Huawei will für die Autohersteller so wichtig werden wie andere große Zulieferer, beispielsweise Bosch. Die Strategie ist Teil der Neuausrichtung bei Huawei. Diese ist nötig, weil das Smartphone-Geschäft aufgrund der US-Sanktionen eingebrochen ist. Huawei wurde zudem von der Nutzung amerikanischer Technik abgeschnitten.

    Der Umsatz ist allein im 1. Quartal dieses Jahres um 16,5 Prozent eingebrochen, noch tiefer als im Quartal davor, als der Rückgang elf Prozent betrug. Zugleich ist aber die Marge um 3,8 Prozentpunkte auf 11,1 Prozent gestiegen – ein Ergebnis der Politik, sich mit eigener Technologie an Firmenkunden zu wenden. Der Kfz-Bereich verspricht hier die Eröffnung neuer Geschäftsfelder. Huawei-Vorstandsmitglied Eric Xu, derzeit auch amtierender CEO, rechnet es vor: In China werden jährlich 30 Millionen Autos verkauft. Selbst, wenn Huawei sich nur auf den chinesischen Markt konzentriere und im Schnitt 1300 Euro pro Auto verdiene, handele es sich um eine üppige Ertragsquelle.

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    News

    BASF investiert in Forschungsstandort Shanghai

    BASF will bei neuen Materialien auf dem chinesischen Markt weiter ganz vorne mitspielen – und investiert 280 Millionen Euro zur Erweiterung des Innovation Campus in Shanghai. Konkret geht es darum, die Rolle als Zulieferer für die Branchen Auto und Bau auszubauen. Dafür ist mehr Forschung und Entwicklung nötig, wie das Unternehmen mitteilte.

    Ein weiteres Ziel ist die bessere Verzahnung von Grundlagenforschung und Anwendung. Die BASF hat dafür einen eigenen Verbund von Akademikern ins Leben gerufen, das “Network for Asian Open Research”. Auch hier geht es eher um anwendungsnahe Forschung, wie die Liste der geförderten Gebiete zeigt. Polymere sind für die Entwicklung von Kunststoffen wichtig, “Oberflächen und Grenzflächen” sind das derzeit gefragteste Gebiet der Materialforschung, Batteriematerialien spielen in den Bereich des E-Autos hinein und Insektizide gehören zum Wachstumsmarkt mit Agrarchemie. fin

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    • Elektromobilität
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    • Rohstoffe

    Peking erlässt Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung

    China hat ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung erlassen. Das Gesetz sieht Geldstrafen bis zu umgerechnet 12.500 Euro vor und richtet sich gegen Restaurants, die ihren Kunden Anreize setzen, zu viel zu bestellen, sowie Lebensmittelproduzenten und Einzelhändler, die Lebensmittel verschwenden. Auch auf Internetnutzer, die Videos von Essensgelagen hochladen, zielt das Gesetz ab, wie mehrere Medien berichten. Restaurants dürfen künftig eine Gebühr von Kunden erheben, die zu viele Reste auf ihren Tellern lassen. Auch Büros, Schulkantinen und Essenslieferdienste müssen Schritte unternehmen, um die Lebensmittelverschwendung einzudämmen.

    In Chinas Städten werfen Restaurants den Berichten zufolge 17 bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr weg. Allein diese Menge reiche aus, um 30 bis 50 Millionen Menschen zu ernähren, gibt NikkeiAsia die Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften wieder.

    Das Gesetz geht demnach auch auf Forderungen von Xi Jinping nach einem stärkeren Bewusstsein für die Ernährungssicherheit Chinas zurück. Er riet dem Bericht zufolge der Öffentlichkeit vom übermäßigen Genuss von Speisen und Getränken ab, auch in Erwartung langwieriger Spannungen mit den USA, aus denen China Soja und Mais importiert. Im Laufe des Jahres werden zudem Gesetzesvorschläge zur Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung erwartet.

    Schätzungen zufolge könnte China bis zum Jahr 2025 mit einer Nahrungsmittelknappheit von etwa 130 Millionen Tonnen konfrontiert sein, da die Zahl der Bauern schrumpft. Dabei handele es jedoch nicht um eine Knappheit von Grundnahrungsmitteln, sagt Dan Wang, Chefvolkswirt der Hang Seng Bank (China) gegenüber der South China Morning Post, sondern von Produkten wie Fleisch, Eiern und Milch. Es werde vor allem ein Futtermittelproblem geben, so Wang. Denn China könne nicht genügend Futtergetreide wie Sojabohnen produzieren, um seine große und schnell wachsende Viehwirtschaft zu versorgen. nib

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    Klebebandhersteller Tesa erweitert Produktion in Suzhou

    Der Klebebandhersteller Tesa hat sein Produktionswerk in Suzhou erweitert und dazu 32 Millionen Euro investiert. Auf 15.000 Quadratmetern sollen bis Ende 2021 neben der bereits errichteten Reinraum-Einheit zusätzliche Büros und Labore entstehen.

    In den dortigen Reinräumen können besonders durchsichtige Folien (“Optically Clear Adhersives” oder OAC) produziert werden. Diese finden in Smartphone-Displays Anwendung und sind daher an Elektronikstandorten sehr nachgefragte Waren.

    Mit der Erweiterung könne Tesa besser auf die Kundennachfrage in Fernost reagieren, teilte das Unternehmen mit. Auch die Entwicklung neuer Produkte zusammen mit den Abnehmern sei einfacher. Mit der Verkürzung der Transportwege könne darüber hinaus auch die Klimabelastung verringert werden.

    Von den 750 Beschäftigten in der Region Greater China seien 300 in Suzhou tätig, mittelfristig sollen 80 weitere Stellen hinzukommen. Neben einem zweiten Produktionswerk in Shanghai betreibt Tesa elf weitere Vertriebsbüros in der Region. bw

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    • Suzhou

    Flugzeugträger übt im Südchinesischen Meer

    China führt eine Reihe von Manövern mit seinem 2019 in Dienst gestellten Flugzeugträger Shandong im Südchinesischen Meer durch. Die Übung wurde als Routinetraining beschrieben, berichtet Reuters. Ein Sprecher der Streitkräfte sagte, dass die chinesische Marine ihre Militärübungen weiterhin nach Zeitplan durchziehen werde. Schon im vergangenen Monat kündigte die Volksbefreiungsarmee an, solche Manöver häufiger abzuhalten. Sie gelten als Demonstration der Stärke im Konflikt um Taiwan und weite Teile des Südchinesischen Meeres, die China als Teil seines Gebietes ansieht. Gleichzeitig erhöht der Einsatz des Flugzeugträgers die Spannungen. Schon im April waren chinesische Kampfjets in großer Zahl in Taiwans Luftverteidigungszone eingedrungen. US-Präsident Joe Biden schickte im vergangenen Monat eine inoffizielle US-Delegation nach Taipeh, um seine Unterstützung zu zeigen. Die Bundeswehr will im Sommer eine Fregatte ins Südchinesische Meer entsenden (China.Table berichtete). nib

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    • Indopazifik
    • Militär

    Portrait

    Popo Fan

    Popo Fan ist LGBTQ+ Aktivist und für seinen Dokumentarfilm "Rainbow Mama" berühmt.
    Dokumentarfilmer und LGBTQ-Aktivist

    Noch heute kommen junge Menschen aus ganz China zu Popo Fan, um sich bei ihm zu bedanken: Ohne seinen Film “Mama Rainbow” hätten sie sich nie getraut, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. In seiner Kurzdoku hatte der im ostchinesischen Jiangsu geborene Filmemacher sechs Mütter porträtiert, deren Kinder gerade ihr Coming-out gewagt hatten. Homosexualität ist noch immer ein kontroverses Thema in China: Obwohl sie seit 1997 nicht mehr verboten ist, fühlen sich gleichgeschlechtlich liebende Menschen noch immer stigmatisiert.

    Nicht wenige gehen Scheinehen ein, aus Angst, von der eigenen Familie verstoßen zu werden oder den Arbeitsplatz zu verlieren. Der Staat kehrt das Thema unter den Teppich. “Homosexuelle Beziehungen positiv in den Medien darzustellen ist in China Tabu”, erklärt der 35-Jährige, der an der Beijing Film Academy studiert hat und mittlerweile in Berlin lebt. In “Mama Rainbow” siegt am Ende die Mutterliebe über die tief verankerten Ängste und Vorurteile. “Wir hoffen, mit diesen positiven Geschichten den Menschen in China Mut zuzusprechen“, sagt Fan. “Die Botschaft an das Publikum lautet: Diese Mütter akzeptieren ihre Kinder wie sie sind, womöglich akzeptiert und unterstützt dich auch deine Mutter!”

    Für seine Filme, die sich um Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe (“New Beijing, New Marriage”), Transgender (“Be A Woman”) und Geschlechterdiskriminierung (“The VaChina Monologues”) drehen, erhielt Fan mehrere Preise, darunter den “Prism Award” des Hong Kong Lesbian and Gay Film Festival. In Peking organisierte er zehn Jahre lang unter dem Radar der Behörden das “Beijing Queer Film Festival“. Obwohl seine Werke offiziell nicht in seiner Heimat gezeigt werden dürfen, ist er einer der bekanntesten LGBTQ-Aktivisten Chinas. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er keine Angst hat, die staatlich geduldete Homophobie öffentlich anzuprangern.

    Nachdem “Mama Rainbow” 2015 von mehr als einer Million Nutzern angeklickt worden war, verschwand der Film plötzlich von chinesischen Streamingseiten wie “Tudou” und “Youku”. Da er weder Sex noch Gewalt propagiert, und damit auch nicht gegen die Nutzungsbestimmungen verstieß, reichte Fan vor einem Pekinger Gericht Klage ein. Er wollte verstehen, gegen welches Gesetz er eigentlich verstoßen hatte. Das so rigide wie intransparente System so direkt herauszufordern, hatte sich noch kein schwuler chinesischer Künstler getraut. “Wir wurden in China dazu erzogen, die Finger von der Politik zu lassen, da das gefährlich sei”, bekennt Fan, der sich monatelang durch alle Instanzen kämpfte.

    Am Ende gewann er den Fall insofern, als die staatliche Zensurbehörde zugab, nie offiziell die Löschung des Films beantragt zu haben. Geändert hat das Eingeständnis nichts: Fans Werke sind noch immer nicht auf den Videoportalen des chinesischen Festlandes zu sehen. Wie der Staat weisen die Tech-Unternehmen jede Verantwortung von sich. “Das Problem ist, dass es keine klare Linie gibt, was erlaubt ist und was nicht. Die Zensur hängt von den jeweiligen Entscheidungsträgern ab. Wenn eine Person etwas mag, kommt man damit durch, aber wenn eine andere Person dagegen ist, kann ein Film verboten werden. Also versuchen die meisten Filmemacherinnen und Filmemacher, auf der sicheren Seite zu bleiben. Das tötet die Kreativität.” Fabian Peltsch

    Zur Sprache

    bèi lǜ le 被绿了 – “gegrünt” werden

    bèi lǜ le 被绿了 - "gegrünt" werden - betrogen werden

    Mit der Farbe Grün kommt man in China nicht immer auf einen grünen Zweig. Grün und blau ärgern dürften sich etwa China-Neulinge, die im Reich der Mitte mit einer grünen Kopfbedeckung aufkreuzen und dafür eventuell den einen oder anderen blöden Spruch kassieren. China-Insider können da natürlich nur müde lächeln. Längst hat sich herumgesprochen, dass die sehr bildhafte Redensart 被戴绿帽子 bèi dài lǜ màozi “einen grünen Hut aufgesetzt bekommen” in China gleichbedeutend ist mit “vom Partner betrogen werden”. Zurückgehen soll das auf eine Volksgeschichte, in der ein Kaufmann, wenn er auf Reisen ging, einen grünen Hut aufsetzte. Dem Liebhaber seiner Frau diente dies als Hinweis, dass freie Bahn bestand. Chinas Netzgemeinde hat den Spruch nun für das 21. Jahrhundert noch griffiger gemacht. In China wird man also heute “gegrünt” (被绿了 bèi lǜ le), bei uns “gehörnt”.

    Ein Blick in die sprachliche Farbpalette hält noch einige weitere gängige Redensarten mit Aha-Effekt bereit. So heißt “rot werden” 红了 (hóng le) in China nicht selten “zum Trend werden” oder “Berühmtheit erlangen”. 被黑了 (bèi hēi le) “geschwärzt werden” ist dagegen ein semantisches Sammelsurium für negative Vorkommnisse verschiedener Couleur wie “betrogen/ausgespielt/angeschwärzt werden”. Etwas “weiß” zu tun (白做 bái zuò) heißt hingegen “vergeblich/umsonst” handeln. Aufs sprachliche Farb-Glatteis begibt man sich schnell mit der Farbe Gelb. Denn die Sonnenfarbe ist im Chinesischen ein Synonym für alles Schlüpfrige. Ein “gelber Film” (黄片 huángpiān) ist also nicht, wie man vielleicht erwarten würde, ein “goldener” Kinoklassiker, sondern schlichtweg ein Porno.

    Verena Menzel 孟维娜 betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

    China.Table Redaktion

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