Table.Briefing: China

De-Risking der EU + Energiewende wird Staatsgeheimnis

Liebe Leserin, lieber Leser,

Ursula von der Leyen als Präsidentin hat den Kurs vorgegeben, jetzt muss die Kommission liefern und das De-Risking konkret ausgestalten. Amelie Richter berichtet aus Straßburg von einer ganzen Reihe von Initiativen. Die Beamten haben eine Liste von Technologien vorgelegt, die Europa besonders schützen will. Sie ähneln übrigens verdächtig den Listen von Schlüsseltechnologien, mit denen auch China arbeitet – und die es selbst längst vor fremden Zugriff abgeschottet hat.

Chinas Geheimniskrämerei bringt uns Journalisten manchmal zum Wahnsinn. Manchmal ist eine Zahl, die doch einfach auf der Website eines Ministeriums stehen sollte, nirgendwo aufzufinden. Ich vermute, Wissenschaftlern und Thinktankern geht es ähnlich. Doch das ist keine Schlamperei, sondern es hat Methode, wie Christiane Kühl heute am Beispiel des Energiesektors beschreibt. Zahlen zur Stromproduktion sind geheimzuhalten, lautet eine Anweisung von ganz oben. Und wer sie dennoch recherchieren will, macht sich der Spionage verdächtig. Transparenz sieht anders aus.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Analyse

Brüssel will vier kritische Technologien vor China schützen

Digital-Kommissarin Věra Jourová will die Technologien Halbleiter, KI, Quanten und Biotech vor China schützen.

Die EU-Kommission hat eine Liste kritischer Technologien erstellt, die die Europäische Union vor Rivalen schützen möchte. Digital-Kommissarin Věra Jourová und der EU-Kommissar für Binnenmarkt, Thierry Breton, stellten die Liste am Dienstag in Straßburg vor. Die Aufzählung enthält insgesamt zehn Technologien. Vier davon werden jedoch als besonders gefährlich bezeichnet, sollten sie in falsche Hände geraten:

  • Fortgeschrittene Halbleitertechnologien: Dazu zählt die EU-Kommission Felder wie Mikroelektronik, Fotonik, Hochfrequenzchips und auch Halbleiterfertigungsanlagen.
  • Technologie, die für Künstliche Intelligenz gebraucht wird, unter anderem Hochleistungsrechner, Cloud- und Edge-Computing, Datenanalyse sowie Sprachverarbeitung.
  • Quantentechnologien: In diesem Bereich nennt die EU-Kommission das Quantencomputing, Quantenkryptografie, Quantenkommunikation sowie Quantensensorik und -radar.
  • Als vierter Punkt der Auflistung wird Biotech genannt: Dazu gehören demnach Techniken der genetischen Veränderung, neue Genom-Technologien, Gene Drive und synthetische Biologie.

Neben diesen vier Bereichen stehen auch Themen wie die Cybersicherheit auf der Liste, zudem Sensoren, Energie-, Nuklear- und Fusions-Technologie, Robotik und auch Materialien wie Nano- und Smart-Material. “Europa passt sich den neuen geopolitischen Realitäten an, beendet die Ära der Naivität und agiert als echte geopolitische Macht”, sagte EU-Kommissar Breton bei der Vorstellung.

Die Liste ist, wie auch die Aufzählung zu kritischen Rohstoffen, ein Elelement der Strategie für wirtschaftliche Sicherheit, die die EU-Kommission im Juni erstmals vorgestellt hatte. Brüssel hat damit erstmals ihrer Wirtschaftspolitik einen Sicherheitsaspekt verpasst – was eine grundlegende Veränderung für die EU darstellt, die bisher auf dem Konzept des Freihandels basierte.

Das Wie bleibt offen

Für die Auswahl der Technologien auf der Listen sind der EU-Kommission drei Kriterien ausschlaggebend. Zum einen der “transformative Charakter” der Technologie. Darunter versteht die EU-Kommission das Potenzial für “radikale Veränderungen für Sektoren” durch die Technologie. Auch das Risiko eines doppelten Verwendungszwecks (auf Englisch Dual Use), also für zivile und militärische Zwecke, ist das zweite Kriterium. Das dritte Merkmal ist das Potenzial für Menschenrechtsverletzungen.

Offen bleibt allerdings die Frage, wie diese Technologien genau beschützt werden sollen. Die EU-Kommission hat bisher nicht genau gesagt, ob es ihr beispielsweise darum geht, den Zugriff aus Drittländern auf die europäische Technik zu verhindern oder auch europäische Investitionen in den Bereichen im Ausland besser prüfen durch ein Outbound Investment Screening. Einen Querschnitt habe man mit der Liste nun gefunden, sagte Breton. Jetzt müsse allerdings noch genauer hingesehen werden, um dann die Abhängigkeiten zu bekämpfen, betonte der Franzose.

Dazu soll eine gemeinsame Risikobewertung mit den 27 Mitgliedsländern durchgeführt werden. “Um ein Player zu sein, brauchen wir eine einheitliche EU-Position, die auf einer gemeinsamen Einschätzung der Risiken basiert”, sagte EU-Kommissarin Jourová.

Die fehlende gemeinsame Position wurde beispielsweise sichtbar, als sich die Niederlande eigenständig Anfang des Jahres mit den USA darauf geeinigt hatte, den Export von hoch entwickelten Maschinen für die Chip-Herstellung nach China zu verbieten. Aus Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten gab es daraufhin Kritik, dass das eine EU-weite Entscheidung hätten sein sollen.

Neues Handelstool im EU-Parlament angenommen

Während die EU-Kommission ihre Pläne vorstellte, machte das EU-Parlament am Dienstag in einer anderen Sache Nägel mit Köpfen: Das neue Handelswerkzeug gegen wirtschaftlichen Zwang, das “Anti Coercion Tool” (ACI), wurde von den Abgeordneten mit einer großen Mehrheit an Stimmen durchgewunken. “Wir haben unseren Werkzeugkasten mit einem zusätzlichen Verteidigungsinstrument gefüllt”, schrieb SPD-Europapolitiker Bernd Lange auf X, vormals Twitter. Dieses werde in einigen Wochen in Kraft treten, so Lange, der dem Handelsausschuss des Parlaments vorsitzt.

Hintergrund für das neue Handelsinstrument waren unter anderem chinesische Handelsbeschränkungen gegen Litauen, nachdem die Regierung in Vilnius die Eröffnung eines “Taiwan-Büros” in Taipeh ermöglicht hatte. In solchen Fällen kann die EU künftig etwa den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen für Firmen aus den betreffenden Ländern beschränken oder den Vertrieb bestimmter Produkte aus Europa blockieren. Derartige Schritte sind allerdings als letztes Mittel vorgesehen, wenn andere, vor allem diplomatische Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.

EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis begrüßte den großen Zuspruch für das neue Handelstool. Der Lette beantwortete am Dienstag Fragen der EU-Parlamentarier zur China-Handelspolitik und seiner jüngsten Reise in die Volksrepublik. Zu letzterer und dem dort stattgefundenen Handelsdialog sagte Dombrovskis, dass es keinen Durchbruch, aber sinnvolle Schritte gegeben habe.

  • EU
  • Technologie

Daten zur Energieversorgung werden zum Staatsgeheimnis

Rohölterminal in Yantai: Wer importiert das ganze russische Erdöl nach China? Unbeantwortete Fragen verleiten zum Nachforschen – ab wann ist das Spionage?

Weitet China seine Anti-Spionagekampagne nun auf den Energiesektor aus? Oder schlägt nur der Chef einer wichtigen Behörde über die Stränge? Das fragten sich Beobachtende, nachdem Zhang Jianhua, Direktor der Nationalen Energiebehörde, im August die Unternehmen des Sektors aufforderte, “undichte Stellen” in “sensiblen Bereichen” des Energiesektors, wie der Atom- und Ölindustrie, zu vermeiden. Sicher ist jedoch, dass Informationen zu Chinas Energieversorgung schwerer zu bekommen sein werden als je zuvor.

“Feindliche ausländische Kräfte” sammelten Daten und Informationen, um Chinas Energiewende “zu verzerren und zu verleumden”, schrieb Zhang. Was er genau damit meinte, blieb unklar – er betonte aber die wachsenden Risiken, die nach seiner Ansicht von Smartphones, sozialen Medien und Hackerangriffen ausgehen. Der Bericht in für einen Behördenchef ungewöhnlich scharfem Ton stehe im Zusammenhang mit Chinas umfassenderen Anti-Spionage-Gesetzen, berichtete Bloomberg.

Vorstoß der Energiebehörde nicht abgesprochen?

Zhang nannte in seinem Text keine Namen, schien sich aber auf Unternehmen zu beziehen, die Marktinformationen sammeln, sowie auf traditionelle Nachrichtendienste und Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich mit Energie und Klima befassen. Er forderte mehr Inspektionen und härtere Strafen bei Verstößen. Experten reagierten auf den Text mit Sorge. “Das verheißt nichts Gutes für die Verfügbarkeit von Daten, die Forschung, die Medien oder die Zivilgesellschaft”, schrieb etwa Lauri Myllyvirta, China-Experte vom Centre for Research on Energy and Clean Air auf X, vormals Twitter.

Doch schon ein paar Tage später war der Beitrag Zhangs aus dem Netz verschwunden, ebenso wie die meisten Berichte dazu in den Staatsmedien. Nur auf einzelnen Websites sei er noch zu sehen, berichtet Myllyvirta, nachdem er das Netz durchforstet hatte: “Bedeutet das, dass jemandem an höherer Stelle der Text nicht gefallen hat? Wie immer ist die Löschung noch interessanter als der Beitrag selbst.”

Intransparenz und Spionage

China ist der größte Energieerzeuger und -verbraucher der Welt, fördert und verbrennt mehr als die Hälfte der weltweiten Kohle, importiert mehr Öl und Gas als jedes andere Land – und baut die größten Solar- und Windkraftanlagen der Welt. In all diesen Bereichen wittert China Spionage, wenn man Zhang Jianhua beim Wort nimmt. Zugleich nimmt in China aktuell die ohnehin vielfach bescheidene Transparenz weiter ab, auch angesichts der wirtschaftlichen Schieflage. So gibt das Nationale Statistikamt missliebige Daten einfach nicht mehr heraus, wie jene zur wachsenden Jugendarbeitslosigkeit.

Seit Xis Amtsantritt 2012 sind von den damals noch mehr als 80.000 veröffentlichten Statistiken pro Jahr nach Recherchen der Financial Times Zehntausende gestrichen. Das gilt auch für die Umwelt: “Wasserdaten sind bereits schwer zu bekommen nach der Dürre im letzten Jahr, und wenn ich raten müsste, sind Agrardaten als Nächstes dran”, meint der Shanghaier Umweltberater Richard Brubaker. Doch was macht jemand, der diese Zahlen braucht? Due Diligence, Marktforschung? Doch so tiefgehende Recherchetätigkeiten können nach dem Anti-Spionagegesetz bereits als illegal ausgelegt werden.

Geheimnisse im Ölimport

Zhang Jianhua von der Energiebehörde forderte jedenfalls in dem gelöschten Beitrag: “Wir müssen aktiv eine Kultur der Vertraulichkeit pflegen, die Geheimnisse bewahrt und vorsichtig ist.” Das lassen sich vor allem Chinas Staatskonzerne nicht zweimal sagen. Schon im Juli hatte der Ölkonzern CNOOC mitgeteilt, man habe ein Treffen mit Kraftstoffhändlern abgehalten, um die Vertraulichkeitsanforderungen ihrer Arbeit zu erhöhen.

Geheimhaltung gibt es zum Beispiel bei den wachsenden Ölimporten aus Russland. Chinesische Zolldaten zeigten, dass China in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 60,66 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland importierte, rund 25 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Doch wer genau in China dieses Öl importiert, ist unklar.

Wahrscheinlich sind es die drei großen staatlichen Ölkonzerne des Landes: China National Petroleum (CNPC), China Petroleum & Chemical (Sinopec) und China National Offshore Oil (CNOOC). Doch die Führungskräfte ihrer börsennotierten Kernunternehmen zeigten sich bei ihren jüngsten Bilanzpressekonferenzen in Hongkong laut Nikkei Asia allesamt sehr zurückhaltend, Einzelheiten über ihr Russlandgeschäft zu nennen.

Wer also Genaueres zu den Öleinfuhren Chinas aus Russland erfahren will, schaut auf Schiffstracker oder versucht in vertraulichen Gesprächen, Informationen zu erhalten. Bloomberg zeichnete so den Weg einer unregistrierten Öllieferung aus dem russischen Ust-Luga in der Ostsee nach Dongjiakou in China nach. Solche Nachforschungen könnten jedoch in chinesischer Lesart als Spionage gelten.

Interessantes aus Chinas Energiewende

Auch Informationen etwa über die Energiewende sind in China nicht so leicht zugänglich wie in den USA und Europa. Auch wenn Regierungsbehörden und Forschungsunternehmen laut Bloomberg immerhin regelmäßig Daten melden, auf deren Basis Unternehmen, Investoren und Wissenschaftler Trends für globale Handelsströme und Chinas Klimaschutz ableiten können.

China besitzt in dem hochsubventionierten Erneuerbaren-Sektor viele Patente, produziert Solaranlagen und Windturbinen, und forscht an den für die Energiewende so wichtigen Stromspeichern. China entwickelt sich laut der japanischen Zeitung Nikkei Asia gerade zu einem Zentrum der Forschung zu neuartigen Perowskit-Solarzellen. Doch der Zugang zu Informationen ist eben nicht immer so einfach, auch je nach Akteur und Standort. Die Betreiber von Großprojekten wie Offshore-Windanlagen oder Energiespeichern sind zumeist Staatskonzerne, die mit Details eher sparsam an die Öffentlichkeit berichten.

Der Staatskonzern Sinopec etwa startete im Juli die nach eigenen Angaben weltgrößte Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Xinjiang. Das Xinjiang Kuqa Green Hydrogen Pilot Project nutze eigene Fotovoltaikanlagen von der Größe von 900 Fußballfeldern, um mit Solarenergie durch Elektrolyse von Wasser 20.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr zu erzeugen, teilte Sinopec mit. Der erzeugte Wasserstoff werde zunächst in einer nahe gelegenen konzerneigenen Chemiefabrik zur Ölraffinierung eingesetzt. Immerhin.

Ausmaß der Kampagne noch unklar

Die Fachwebsite Upstream aus Singapur berichtet zudem, die Anlage habe 52 Elektrolyseure, von denen 13 von einem Joint Venture mit belgischer Beteiligung geliefert wurden. Zugang nach Xinjiang ist für internationale Marktforschungsfirmen kaum möglich. Wäre es nach Zhangs Lesart also Spionage, wenn man als Ausländer versuchen würde, über die Belgier Details über das Projekt und seine Kooperationspartner herauszubekommen?

“Es ist noch zu früh, um die genauen Auswirkungen abzuschätzen, aber es ist fast sicher, dass ein ehrlicher, aufrichtiger und von der Norm abweichender Austausch mit den chinesischen Kollegen noch schwieriger wird”, schrieb Liu Hongqiao, Expertin für Chinas Klimapolitik, auf X, als der Beitrag Zhangs bekannt wurde. Es scheine nicht nur um Daten, sondern auch um Narrative zu gehen.

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Sinolytics Radar

Ausländische Unternehmen zögern bei Big Data

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  • Seit 2022 hat China umfassende politische Maßnahmen zur Formalisierung und Institutionalisierung der sogenannten “Data Governance” ergriffen. Dazu gehören Initiativen wie die “20 Maßnahmen zur Stärkung von Chinas Datenwirtschaft” und der “Plan für das digitale China 2030”. Das erklärte Ziel ist es, den Wert von Daten zu erschließen, den Umgang mit ihnen zu verbessern und einen offenen, sicheren, fairen und dynamischen Datenmarkt zu schaffen. Zudem bemüht sich China, seine globale Wettbewerbsfähigkeit auf dem Gebiet der Datenwirtschaft zu verbessern.
  • Bis Ende 2022 wurden in ganz China 48 Datenaustauschplattformen geschaffen. Diese Plattformen, die in der Regel von Kommunalverwaltungen und staatlichen Investoren unterstützt werden, ermöglichen Unternehmen den Handel mit Daten und dienen als Schnittstelle zwischen Datenangebot und -nachfrage.
  • Die auf solchen Handelsplattformen gelisteten “Datenprodukte” sind für Unternehmen in vielerlei Hinsicht nützlich: So erhalten Unternehmen beispielsweise durch Energienutzungsdaten einen Einblick in ihre finanzielle Gesundheit. Verkehrsdaten von Telekommunikationsanbietern helfen Unternehmen, strategische Entscheidungen über die optimalen Standorte für neue Geschäfte, Ladestationen und so weiter zu treffen.
  • Viele chinesische Unternehmen aus der Finanz-, Telekommunikations-, Energie-, Automobilbranche suchen aktiv nach einer neuen Einnahmequelle durch die Monetarisierung von Daten. So hat beispielsweise die “Western China Data Exchange Platform” in Chongqing im Juni 2023 einen Datenhandelsdienst für die Automobilbranche gestartet. Dieser Dienst konzentriert sich auf drei Geschäftsszenarien: Anwendung von Trainingsdaten für autonomes Fahren, Elektrofahrzeugdaten (zum Beispiel aus der Batterieindustrie), Aftermarket-Daten (zum Beispiel Versicherungsdaten).
  • Ausländische Unternehmen hingegen zögern aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit und des Datenschutzes weiterhin, in den Markt einzutreten. Dennoch sollten ausländische Unternehmen die Datenverwertungsstrategien ihrer chinesischen Konkurrenten genau im Auge behalten und potenziell wertvolle Datenprodukte auf dem chinesischen Markt identifizieren, die ihre eigenen Produktentwicklungen unterstützen können.
  • In der chinesischen Gesetzgebung sind Dateneigentum und die damit verbundenen Rechte noch immer nicht genau definiert, was ein Risiko für Unternehmen darstellt, die in die Datenwirtschaft einsteigen. Schutzmaßnahmen zur Minderung von Risiken im Zusammenhang mit der Datensicherheit, einschließlich Datenlecks und unbefugter Datennutzung, befinden sich noch in der Implementierungsphase. Unternehmen, die in den digitalen Markt eintreten wollen, sollten die aktuellsten nationalen und lokalen Vorschriften sorgfältig beobachten.

Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.

  • Big Data

News

Russland darf Schweinefleisch liefern

China öffnet seinen Markt für Schweinefleisch aus Regionen Russlands, die frei von Afrikanischer Schweinepest (ASP) sind. Das berichtet der Nachrichtendienst Agra-Europe. Die 15-jährige Einfuhrsperre durch die chinesische Zollverwaltung aufgehoben worden sein. Die Sperre galt seit 2008, weil in Russland das Virus der Afrikanischen Schweinepest grassiert. Deshalb seien nur Einfuhren aus Regionen Russlands erlaubt, die nachweislich frei von ASP sind. 

Deutschland beißt sich an China bislang vergeblich die Zähne aus, um solch eine Lösung umzusetzen. Und das, obwohl die Volksrepublik mehr und mehr Fleisch einführt. Von Januar bis August 2023 wurden rund 1,17 Millionen Tonnen Schweinefleisch eingeführt, fast zehn Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, teilt das Agrarministerium in Peking mit. Zudem stieg der Import von Schlachtnebenerzeugnissen vom Schwein um fast acht Prozent auf 780.000 Tonnen.

An die Rekordzahlen der Jahre 2020 und 2021 reichen diese Mengen aber nicht heran. Größte Lieferländer bei Fleisch waren im bisherigen Jahresverlauf Spanien und Brasilien, bei den Nebenerzeugnissen die USA und Spanien. Henrike Schirmacher

  • Handel
  • Russland

Spekulanten treiben Evergrande-Aktien hoch

Nach einer dreitägigen Pause sind die Anteilsscheine des angeschlagenen Immobilienkonzerns Evergrande an der Börse Hongkong am Dienstag wieder in den Handel gegangen. Der Kurs der Aktien stieg im Laufes des Handelstags auf niedrigem Niveau immerhin um 28 Prozent. Sie endeten aber trotzdem nur bei einem Kurs von 41 Hongkong-Cent und damit deutlich unter dem Niveau vor Chinas Immobilienkrise.

Evergrande hat mittelfristig keine Aussicht auf finanzielle Gesundung. Der Kursanstieg dürfte daher auf kurzfristige Spekulationen mit einer Billigaktie zurückgehen. Für einen Vertrauensbeweis in das Unternehmen fehlt jede Grundlage.

Der Grund für die Handelspause war der Beginn einer Untersuchung, an der Firmenchef Xu Jiayin (Kantonesisch: Hui Ka-yan) teilnehmen soll. Er wurde in der vergangenen Woche festgesetzt. Details gab es nicht. fin

  • Evergrande

Apple passt App-Store an chinesische Regeln an

Der US-Technikkonzern Apple gibt Druck aus China nach und beschränkt in der Volksrepublik den Zugang zu Anwendungen in seinem App-Store. Das berichtet die South China Morning Post. Das amerikanische Unternehmen hatte in den vergangenen Tagen noch versucht, die strengere Zensur der Apps abzuwenden.

Bisher konnten iPhone-Kunden in China über VPN westliche Apps herunterladen und installieren. Das stellte aber im Fall verbotener Apps zumindest eine Grauzone, wenn nicht eine Regulierungslücke dar. Künftig finden sich im App-Store nur noch Anwendungen, die vom Informationsministerium MIIT lizenziert sind. Betroffen sein könnten vor allem Kommunikationsanwendungen wie Whatsapp, X (vormals Twitter) oder Youtube. Es wird damit für iPhone-Nutzer, die ihr Smartphone dort neu einrichten, schwieriger, diese Apps zu installieren. fin

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  • Zensur

Presseschau

EU-China-Beziehungen: Die EU rüstet sich DW
Schumer confirms U.S. Senate trip to China, Japan, South Korea REUTERS
Die vier Technologien, die die EU schützen will – besonders vor China – Hochmoderne Mikrochips, KI-Systeme, Quantencomputer und Gentechnik EURONEWS
Latest clash in South China Sea should be a red flag for the world EURONEWS
Why is Switzerland refusing to follow EU sanctions on China? SWISSINFO
Urlaubsparadies Malediven: Wo die Großmächte China und Indien um ihren Einfluss ringen FR
Who will be the Dalai Lama’s successor? China won’t have a say WASHINGTONPOST
Hu ist Christ und Chinese. Und in den Augen der Regierung ein Problem NZZ
Die Weltbank warnt vor schlechten Wachstumsaussichten im gesamten asiatischen Raum – auch weil China so schwächelt BUSINESS INSIDER
Wirtschaft und Sicherheit: So will sich die EU von China befreien SUEDDEUTSCHE
China-Pkw in Deutschland: Xi Jinping fährt mit WELT
Bipartisan commission calls on NBA to end use of apparel made by forced labor in China ESPN
Kriselnder Immobilienkonzern: Aktien von China Evergrande werden wieder gehandelt FAZ
Landen die USA oder China als nächstes bemannt auf dem Mond? KURIER
Taiwan warnt vor nahendem Taifun “Koinu” WEB.DE
Making cities “spongy” could help fight flooding – by steering the water underground NPR

Heads

Rahile Dawut – Symbol für das Schicksal der Uiguren

Die lebenslange Haftstrafe für Rahile Dawut steht symbolisch für das Schicksal der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang. Die jüngsten Erkenntnisse der Xinjiang-Forschung zeigen, dass die Zahl uigurischer Kurzzeit-Lagerinsassen zuletzt drastisch zurückgegangen ist. Allerdings ist in der gleichen Zeit die Anzahl sehr langer Gefängnisstrafen steil angestiegen. Was für Außenstehende wie eine positive Entwicklung erscheinen mag, ist für die lokale Bevölkerung jedoch kein Grund zur Hoffnung. Und so muss auch die Anthropologin Dawut davon ausgehen, dass sie nie wieder in Freiheit leben wird.

Das Leben Rahile Dawuts ist auch Thema einer Graphic Novel.

Dawut hatte allen Widrigkeiten zum Trotz bis vor Kurzem dennoch die Hoffnung, dass ihr Urteil revidiert werden könnte. 2018 hatte sie ein Gericht als “Gefahr für die nationale Sicherheit” eingestuft und der “Absplitterung” schuldig gesprochen. Weil Dawuts Fall, wie abertausende andere in der Region, unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehandelt wurde, ist unklar, was den Straftatbestand begründet haben sollte.

Aktuelle Untersuchungen haben ergeben, dass von einer siebenstelligen Zahl an Menschen, die von der chinesischen Regierung zwischen wenigen Monaten und einigen Jahren in die Internierungs- und Umerziehungslager gesteckt worden waren, nur noch wenige Zehntausende übrig geblieben sind.

Bevölkerung zutiefst eingeschüchtert

Eine Normalisierung bedeutet das jedoch nicht, wie der dänische Xinjiang-Forscher Rune Steenberg sagt. Denn der jahrelangen Einschüchterung der breiten Masse folgt nun die gezielte Zersetzung der uigurischen Gesellschaft – auf perfide Art und Weise.

Die intellektuelle Elite und einige Hunderttausend andere Uiguren und Uigurinnen sitzen inzwischen in regulären Gefängnissen und haben faktisch keine Perspektive auf eine baldige Rückkehr ins Leben. Das geht aus der Forschung Steenbergs hervor. Der Rest der Bevölkerung ist durch die Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht nur zutiefst eingeschüchtert und verhält sich möglichst unauffällig, um harte Strafen gegen sich selbst und Familienmitglieder zu vermeiden.

Zudem werden sie durch eine zunehmende Integration in die örtliche Industrie an ihren Arbeitsplätzen engmaschig überwacht. Die inzwischen ausgefeilten technischen Möglichkeiten zur Gesichtserkennung, Standortbestimmung und Überwachung der Kommunikation haben Internierungslager als Kontrollinstanzen weitgehend ersetzt.

Dawut war bekannt für ihre Gesetzestreue

“Rahile Dawut ist eine weltliche Wissenschaftlerin, die dafür bekannt ist, den Gesetzen und Regularien der chinesischen Regierung Folge geleistet zu haben”, sagt Forscher Steenberg über die 57-Jährige. Er ist überzeugt davon, dass man weder ihr noch tausenden anderen Intellektuellen aus Xinjiang eine Verbindung zum Terror und Extremismus nachsagen kann.

Dawut ist weit über die chinesischen Landesgrenzen als Anthropologin bekannt. Sie war Expertin für Tradition und Kultur der uigurischen Ethnie und lehrte an der Universität Xinjiang in der Regionalhauptstadt Urumqi. 2007 hatte sie dort ein Forschungsinstitut gegründet, das sich mit dem Brauchtum der Minderheiten in China befasste. Sie gab Seminare an renommierten Universitäten in den USA und Großbritannien. 2020 wurde sie vom Akademiker-Netzwerk Scholars at Risk mit dem Courage-to-Think-Award ausgezeichnet. 30 Jahre lang war sie auch Mitglied der Kommunistischen Partei.

Revisionsgesuch abgelehnt

Ihr Fall veranlasste vergangene Woche das US-Außenministerium, ihre Inhaftierung in einer Stellungnahme als ungerechtfertigt zu verurteilen. Wo Dawut in Haft ist, wie es ihr geht, ob sie möglicherweise Kontakt mit Familienmitgliedern in Xinjiang hatte seit ihrer Festnahme 2017, ist unklar.

Zumindest, dass sie noch lebt, ist seit wenigen Tagen Gewissheit. Doch die Hoffnung auf eine verkürzte Haft ist dahin. Die US-Menschenrechtsstiftung Dui Hua hat über eine Quelle in der chinesischen Regierung die Bestätigung erhalten, dass das Revisionsgesuch Dawuts abgelehnt wurde und ihre lebenslange Haftstrafe somit rechtskräftig sei. grz

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Personalie

Ashwani Muppasani wird neuer COO für Indien und den asiatisch-pazifischen Raum bei dem Autokonzern Stellantis. Muppasani leitete bisher die National Sales Company für Stellantis in China.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Ein Flagschiff-Laden für kleine Plastikfiguren? Klar. Der chinesische Spielzeughersteller Pop Mart International hat in der thailändischen Shopping-Mall Central World seinen ersten Flagship Store eröffnet. Pop Mart ist einer der größten Hersteller von Spielzeug in China.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Ursula von der Leyen als Präsidentin hat den Kurs vorgegeben, jetzt muss die Kommission liefern und das De-Risking konkret ausgestalten. Amelie Richter berichtet aus Straßburg von einer ganzen Reihe von Initiativen. Die Beamten haben eine Liste von Technologien vorgelegt, die Europa besonders schützen will. Sie ähneln übrigens verdächtig den Listen von Schlüsseltechnologien, mit denen auch China arbeitet – und die es selbst längst vor fremden Zugriff abgeschottet hat.

    Chinas Geheimniskrämerei bringt uns Journalisten manchmal zum Wahnsinn. Manchmal ist eine Zahl, die doch einfach auf der Website eines Ministeriums stehen sollte, nirgendwo aufzufinden. Ich vermute, Wissenschaftlern und Thinktankern geht es ähnlich. Doch das ist keine Schlamperei, sondern es hat Methode, wie Christiane Kühl heute am Beispiel des Energiesektors beschreibt. Zahlen zur Stromproduktion sind geheimzuhalten, lautet eine Anweisung von ganz oben. Und wer sie dennoch recherchieren will, macht sich der Spionage verdächtig. Transparenz sieht anders aus.

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Analyse

    Brüssel will vier kritische Technologien vor China schützen

    Digital-Kommissarin Věra Jourová will die Technologien Halbleiter, KI, Quanten und Biotech vor China schützen.

    Die EU-Kommission hat eine Liste kritischer Technologien erstellt, die die Europäische Union vor Rivalen schützen möchte. Digital-Kommissarin Věra Jourová und der EU-Kommissar für Binnenmarkt, Thierry Breton, stellten die Liste am Dienstag in Straßburg vor. Die Aufzählung enthält insgesamt zehn Technologien. Vier davon werden jedoch als besonders gefährlich bezeichnet, sollten sie in falsche Hände geraten:

    • Fortgeschrittene Halbleitertechnologien: Dazu zählt die EU-Kommission Felder wie Mikroelektronik, Fotonik, Hochfrequenzchips und auch Halbleiterfertigungsanlagen.
    • Technologie, die für Künstliche Intelligenz gebraucht wird, unter anderem Hochleistungsrechner, Cloud- und Edge-Computing, Datenanalyse sowie Sprachverarbeitung.
    • Quantentechnologien: In diesem Bereich nennt die EU-Kommission das Quantencomputing, Quantenkryptografie, Quantenkommunikation sowie Quantensensorik und -radar.
    • Als vierter Punkt der Auflistung wird Biotech genannt: Dazu gehören demnach Techniken der genetischen Veränderung, neue Genom-Technologien, Gene Drive und synthetische Biologie.

    Neben diesen vier Bereichen stehen auch Themen wie die Cybersicherheit auf der Liste, zudem Sensoren, Energie-, Nuklear- und Fusions-Technologie, Robotik und auch Materialien wie Nano- und Smart-Material. “Europa passt sich den neuen geopolitischen Realitäten an, beendet die Ära der Naivität und agiert als echte geopolitische Macht”, sagte EU-Kommissar Breton bei der Vorstellung.

    Die Liste ist, wie auch die Aufzählung zu kritischen Rohstoffen, ein Elelement der Strategie für wirtschaftliche Sicherheit, die die EU-Kommission im Juni erstmals vorgestellt hatte. Brüssel hat damit erstmals ihrer Wirtschaftspolitik einen Sicherheitsaspekt verpasst – was eine grundlegende Veränderung für die EU darstellt, die bisher auf dem Konzept des Freihandels basierte.

    Das Wie bleibt offen

    Für die Auswahl der Technologien auf der Listen sind der EU-Kommission drei Kriterien ausschlaggebend. Zum einen der “transformative Charakter” der Technologie. Darunter versteht die EU-Kommission das Potenzial für “radikale Veränderungen für Sektoren” durch die Technologie. Auch das Risiko eines doppelten Verwendungszwecks (auf Englisch Dual Use), also für zivile und militärische Zwecke, ist das zweite Kriterium. Das dritte Merkmal ist das Potenzial für Menschenrechtsverletzungen.

    Offen bleibt allerdings die Frage, wie diese Technologien genau beschützt werden sollen. Die EU-Kommission hat bisher nicht genau gesagt, ob es ihr beispielsweise darum geht, den Zugriff aus Drittländern auf die europäische Technik zu verhindern oder auch europäische Investitionen in den Bereichen im Ausland besser prüfen durch ein Outbound Investment Screening. Einen Querschnitt habe man mit der Liste nun gefunden, sagte Breton. Jetzt müsse allerdings noch genauer hingesehen werden, um dann die Abhängigkeiten zu bekämpfen, betonte der Franzose.

    Dazu soll eine gemeinsame Risikobewertung mit den 27 Mitgliedsländern durchgeführt werden. “Um ein Player zu sein, brauchen wir eine einheitliche EU-Position, die auf einer gemeinsamen Einschätzung der Risiken basiert”, sagte EU-Kommissarin Jourová.

    Die fehlende gemeinsame Position wurde beispielsweise sichtbar, als sich die Niederlande eigenständig Anfang des Jahres mit den USA darauf geeinigt hatte, den Export von hoch entwickelten Maschinen für die Chip-Herstellung nach China zu verbieten. Aus Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten gab es daraufhin Kritik, dass das eine EU-weite Entscheidung hätten sein sollen.

    Neues Handelstool im EU-Parlament angenommen

    Während die EU-Kommission ihre Pläne vorstellte, machte das EU-Parlament am Dienstag in einer anderen Sache Nägel mit Köpfen: Das neue Handelswerkzeug gegen wirtschaftlichen Zwang, das “Anti Coercion Tool” (ACI), wurde von den Abgeordneten mit einer großen Mehrheit an Stimmen durchgewunken. “Wir haben unseren Werkzeugkasten mit einem zusätzlichen Verteidigungsinstrument gefüllt”, schrieb SPD-Europapolitiker Bernd Lange auf X, vormals Twitter. Dieses werde in einigen Wochen in Kraft treten, so Lange, der dem Handelsausschuss des Parlaments vorsitzt.

    Hintergrund für das neue Handelsinstrument waren unter anderem chinesische Handelsbeschränkungen gegen Litauen, nachdem die Regierung in Vilnius die Eröffnung eines “Taiwan-Büros” in Taipeh ermöglicht hatte. In solchen Fällen kann die EU künftig etwa den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen für Firmen aus den betreffenden Ländern beschränken oder den Vertrieb bestimmter Produkte aus Europa blockieren. Derartige Schritte sind allerdings als letztes Mittel vorgesehen, wenn andere, vor allem diplomatische Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.

    EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis begrüßte den großen Zuspruch für das neue Handelstool. Der Lette beantwortete am Dienstag Fragen der EU-Parlamentarier zur China-Handelspolitik und seiner jüngsten Reise in die Volksrepublik. Zu letzterer und dem dort stattgefundenen Handelsdialog sagte Dombrovskis, dass es keinen Durchbruch, aber sinnvolle Schritte gegeben habe.

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    Daten zur Energieversorgung werden zum Staatsgeheimnis

    Rohölterminal in Yantai: Wer importiert das ganze russische Erdöl nach China? Unbeantwortete Fragen verleiten zum Nachforschen – ab wann ist das Spionage?

    Weitet China seine Anti-Spionagekampagne nun auf den Energiesektor aus? Oder schlägt nur der Chef einer wichtigen Behörde über die Stränge? Das fragten sich Beobachtende, nachdem Zhang Jianhua, Direktor der Nationalen Energiebehörde, im August die Unternehmen des Sektors aufforderte, “undichte Stellen” in “sensiblen Bereichen” des Energiesektors, wie der Atom- und Ölindustrie, zu vermeiden. Sicher ist jedoch, dass Informationen zu Chinas Energieversorgung schwerer zu bekommen sein werden als je zuvor.

    “Feindliche ausländische Kräfte” sammelten Daten und Informationen, um Chinas Energiewende “zu verzerren und zu verleumden”, schrieb Zhang. Was er genau damit meinte, blieb unklar – er betonte aber die wachsenden Risiken, die nach seiner Ansicht von Smartphones, sozialen Medien und Hackerangriffen ausgehen. Der Bericht in für einen Behördenchef ungewöhnlich scharfem Ton stehe im Zusammenhang mit Chinas umfassenderen Anti-Spionage-Gesetzen, berichtete Bloomberg.

    Vorstoß der Energiebehörde nicht abgesprochen?

    Zhang nannte in seinem Text keine Namen, schien sich aber auf Unternehmen zu beziehen, die Marktinformationen sammeln, sowie auf traditionelle Nachrichtendienste und Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich mit Energie und Klima befassen. Er forderte mehr Inspektionen und härtere Strafen bei Verstößen. Experten reagierten auf den Text mit Sorge. “Das verheißt nichts Gutes für die Verfügbarkeit von Daten, die Forschung, die Medien oder die Zivilgesellschaft”, schrieb etwa Lauri Myllyvirta, China-Experte vom Centre for Research on Energy and Clean Air auf X, vormals Twitter.

    Doch schon ein paar Tage später war der Beitrag Zhangs aus dem Netz verschwunden, ebenso wie die meisten Berichte dazu in den Staatsmedien. Nur auf einzelnen Websites sei er noch zu sehen, berichtet Myllyvirta, nachdem er das Netz durchforstet hatte: “Bedeutet das, dass jemandem an höherer Stelle der Text nicht gefallen hat? Wie immer ist die Löschung noch interessanter als der Beitrag selbst.”

    Intransparenz und Spionage

    China ist der größte Energieerzeuger und -verbraucher der Welt, fördert und verbrennt mehr als die Hälfte der weltweiten Kohle, importiert mehr Öl und Gas als jedes andere Land – und baut die größten Solar- und Windkraftanlagen der Welt. In all diesen Bereichen wittert China Spionage, wenn man Zhang Jianhua beim Wort nimmt. Zugleich nimmt in China aktuell die ohnehin vielfach bescheidene Transparenz weiter ab, auch angesichts der wirtschaftlichen Schieflage. So gibt das Nationale Statistikamt missliebige Daten einfach nicht mehr heraus, wie jene zur wachsenden Jugendarbeitslosigkeit.

    Seit Xis Amtsantritt 2012 sind von den damals noch mehr als 80.000 veröffentlichten Statistiken pro Jahr nach Recherchen der Financial Times Zehntausende gestrichen. Das gilt auch für die Umwelt: “Wasserdaten sind bereits schwer zu bekommen nach der Dürre im letzten Jahr, und wenn ich raten müsste, sind Agrardaten als Nächstes dran”, meint der Shanghaier Umweltberater Richard Brubaker. Doch was macht jemand, der diese Zahlen braucht? Due Diligence, Marktforschung? Doch so tiefgehende Recherchetätigkeiten können nach dem Anti-Spionagegesetz bereits als illegal ausgelegt werden.

    Geheimnisse im Ölimport

    Zhang Jianhua von der Energiebehörde forderte jedenfalls in dem gelöschten Beitrag: “Wir müssen aktiv eine Kultur der Vertraulichkeit pflegen, die Geheimnisse bewahrt und vorsichtig ist.” Das lassen sich vor allem Chinas Staatskonzerne nicht zweimal sagen. Schon im Juli hatte der Ölkonzern CNOOC mitgeteilt, man habe ein Treffen mit Kraftstoffhändlern abgehalten, um die Vertraulichkeitsanforderungen ihrer Arbeit zu erhöhen.

    Geheimhaltung gibt es zum Beispiel bei den wachsenden Ölimporten aus Russland. Chinesische Zolldaten zeigten, dass China in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 60,66 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland importierte, rund 25 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Doch wer genau in China dieses Öl importiert, ist unklar.

    Wahrscheinlich sind es die drei großen staatlichen Ölkonzerne des Landes: China National Petroleum (CNPC), China Petroleum & Chemical (Sinopec) und China National Offshore Oil (CNOOC). Doch die Führungskräfte ihrer börsennotierten Kernunternehmen zeigten sich bei ihren jüngsten Bilanzpressekonferenzen in Hongkong laut Nikkei Asia allesamt sehr zurückhaltend, Einzelheiten über ihr Russlandgeschäft zu nennen.

    Wer also Genaueres zu den Öleinfuhren Chinas aus Russland erfahren will, schaut auf Schiffstracker oder versucht in vertraulichen Gesprächen, Informationen zu erhalten. Bloomberg zeichnete so den Weg einer unregistrierten Öllieferung aus dem russischen Ust-Luga in der Ostsee nach Dongjiakou in China nach. Solche Nachforschungen könnten jedoch in chinesischer Lesart als Spionage gelten.

    Interessantes aus Chinas Energiewende

    Auch Informationen etwa über die Energiewende sind in China nicht so leicht zugänglich wie in den USA und Europa. Auch wenn Regierungsbehörden und Forschungsunternehmen laut Bloomberg immerhin regelmäßig Daten melden, auf deren Basis Unternehmen, Investoren und Wissenschaftler Trends für globale Handelsströme und Chinas Klimaschutz ableiten können.

    China besitzt in dem hochsubventionierten Erneuerbaren-Sektor viele Patente, produziert Solaranlagen und Windturbinen, und forscht an den für die Energiewende so wichtigen Stromspeichern. China entwickelt sich laut der japanischen Zeitung Nikkei Asia gerade zu einem Zentrum der Forschung zu neuartigen Perowskit-Solarzellen. Doch der Zugang zu Informationen ist eben nicht immer so einfach, auch je nach Akteur und Standort. Die Betreiber von Großprojekten wie Offshore-Windanlagen oder Energiespeichern sind zumeist Staatskonzerne, die mit Details eher sparsam an die Öffentlichkeit berichten.

    Der Staatskonzern Sinopec etwa startete im Juli die nach eigenen Angaben weltgrößte Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Xinjiang. Das Xinjiang Kuqa Green Hydrogen Pilot Project nutze eigene Fotovoltaikanlagen von der Größe von 900 Fußballfeldern, um mit Solarenergie durch Elektrolyse von Wasser 20.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr zu erzeugen, teilte Sinopec mit. Der erzeugte Wasserstoff werde zunächst in einer nahe gelegenen konzerneigenen Chemiefabrik zur Ölraffinierung eingesetzt. Immerhin.

    Ausmaß der Kampagne noch unklar

    Die Fachwebsite Upstream aus Singapur berichtet zudem, die Anlage habe 52 Elektrolyseure, von denen 13 von einem Joint Venture mit belgischer Beteiligung geliefert wurden. Zugang nach Xinjiang ist für internationale Marktforschungsfirmen kaum möglich. Wäre es nach Zhangs Lesart also Spionage, wenn man als Ausländer versuchen würde, über die Belgier Details über das Projekt und seine Kooperationspartner herauszubekommen?

    “Es ist noch zu früh, um die genauen Auswirkungen abzuschätzen, aber es ist fast sicher, dass ein ehrlicher, aufrichtiger und von der Norm abweichender Austausch mit den chinesischen Kollegen noch schwieriger wird”, schrieb Liu Hongqiao, Expertin für Chinas Klimapolitik, auf X, als der Beitrag Zhangs bekannt wurde. Es scheine nicht nur um Daten, sondern auch um Narrative zu gehen.

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    Sinolytics Radar

    Ausländische Unternehmen zögern bei Big Data

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    • Seit 2022 hat China umfassende politische Maßnahmen zur Formalisierung und Institutionalisierung der sogenannten “Data Governance” ergriffen. Dazu gehören Initiativen wie die “20 Maßnahmen zur Stärkung von Chinas Datenwirtschaft” und der “Plan für das digitale China 2030”. Das erklärte Ziel ist es, den Wert von Daten zu erschließen, den Umgang mit ihnen zu verbessern und einen offenen, sicheren, fairen und dynamischen Datenmarkt zu schaffen. Zudem bemüht sich China, seine globale Wettbewerbsfähigkeit auf dem Gebiet der Datenwirtschaft zu verbessern.
    • Bis Ende 2022 wurden in ganz China 48 Datenaustauschplattformen geschaffen. Diese Plattformen, die in der Regel von Kommunalverwaltungen und staatlichen Investoren unterstützt werden, ermöglichen Unternehmen den Handel mit Daten und dienen als Schnittstelle zwischen Datenangebot und -nachfrage.
    • Die auf solchen Handelsplattformen gelisteten “Datenprodukte” sind für Unternehmen in vielerlei Hinsicht nützlich: So erhalten Unternehmen beispielsweise durch Energienutzungsdaten einen Einblick in ihre finanzielle Gesundheit. Verkehrsdaten von Telekommunikationsanbietern helfen Unternehmen, strategische Entscheidungen über die optimalen Standorte für neue Geschäfte, Ladestationen und so weiter zu treffen.
    • Viele chinesische Unternehmen aus der Finanz-, Telekommunikations-, Energie-, Automobilbranche suchen aktiv nach einer neuen Einnahmequelle durch die Monetarisierung von Daten. So hat beispielsweise die “Western China Data Exchange Platform” in Chongqing im Juni 2023 einen Datenhandelsdienst für die Automobilbranche gestartet. Dieser Dienst konzentriert sich auf drei Geschäftsszenarien: Anwendung von Trainingsdaten für autonomes Fahren, Elektrofahrzeugdaten (zum Beispiel aus der Batterieindustrie), Aftermarket-Daten (zum Beispiel Versicherungsdaten).
    • Ausländische Unternehmen hingegen zögern aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit und des Datenschutzes weiterhin, in den Markt einzutreten. Dennoch sollten ausländische Unternehmen die Datenverwertungsstrategien ihrer chinesischen Konkurrenten genau im Auge behalten und potenziell wertvolle Datenprodukte auf dem chinesischen Markt identifizieren, die ihre eigenen Produktentwicklungen unterstützen können.
    • In der chinesischen Gesetzgebung sind Dateneigentum und die damit verbundenen Rechte noch immer nicht genau definiert, was ein Risiko für Unternehmen darstellt, die in die Datenwirtschaft einsteigen. Schutzmaßnahmen zur Minderung von Risiken im Zusammenhang mit der Datensicherheit, einschließlich Datenlecks und unbefugter Datennutzung, befinden sich noch in der Implementierungsphase. Unternehmen, die in den digitalen Markt eintreten wollen, sollten die aktuellsten nationalen und lokalen Vorschriften sorgfältig beobachten.

    Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.

    • Big Data

    News

    Russland darf Schweinefleisch liefern

    China öffnet seinen Markt für Schweinefleisch aus Regionen Russlands, die frei von Afrikanischer Schweinepest (ASP) sind. Das berichtet der Nachrichtendienst Agra-Europe. Die 15-jährige Einfuhrsperre durch die chinesische Zollverwaltung aufgehoben worden sein. Die Sperre galt seit 2008, weil in Russland das Virus der Afrikanischen Schweinepest grassiert. Deshalb seien nur Einfuhren aus Regionen Russlands erlaubt, die nachweislich frei von ASP sind. 

    Deutschland beißt sich an China bislang vergeblich die Zähne aus, um solch eine Lösung umzusetzen. Und das, obwohl die Volksrepublik mehr und mehr Fleisch einführt. Von Januar bis August 2023 wurden rund 1,17 Millionen Tonnen Schweinefleisch eingeführt, fast zehn Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, teilt das Agrarministerium in Peking mit. Zudem stieg der Import von Schlachtnebenerzeugnissen vom Schwein um fast acht Prozent auf 780.000 Tonnen.

    An die Rekordzahlen der Jahre 2020 und 2021 reichen diese Mengen aber nicht heran. Größte Lieferländer bei Fleisch waren im bisherigen Jahresverlauf Spanien und Brasilien, bei den Nebenerzeugnissen die USA und Spanien. Henrike Schirmacher

    • Handel
    • Russland

    Spekulanten treiben Evergrande-Aktien hoch

    Nach einer dreitägigen Pause sind die Anteilsscheine des angeschlagenen Immobilienkonzerns Evergrande an der Börse Hongkong am Dienstag wieder in den Handel gegangen. Der Kurs der Aktien stieg im Laufes des Handelstags auf niedrigem Niveau immerhin um 28 Prozent. Sie endeten aber trotzdem nur bei einem Kurs von 41 Hongkong-Cent und damit deutlich unter dem Niveau vor Chinas Immobilienkrise.

    Evergrande hat mittelfristig keine Aussicht auf finanzielle Gesundung. Der Kursanstieg dürfte daher auf kurzfristige Spekulationen mit einer Billigaktie zurückgehen. Für einen Vertrauensbeweis in das Unternehmen fehlt jede Grundlage.

    Der Grund für die Handelspause war der Beginn einer Untersuchung, an der Firmenchef Xu Jiayin (Kantonesisch: Hui Ka-yan) teilnehmen soll. Er wurde in der vergangenen Woche festgesetzt. Details gab es nicht. fin

    • Evergrande

    Apple passt App-Store an chinesische Regeln an

    Der US-Technikkonzern Apple gibt Druck aus China nach und beschränkt in der Volksrepublik den Zugang zu Anwendungen in seinem App-Store. Das berichtet die South China Morning Post. Das amerikanische Unternehmen hatte in den vergangenen Tagen noch versucht, die strengere Zensur der Apps abzuwenden.

    Bisher konnten iPhone-Kunden in China über VPN westliche Apps herunterladen und installieren. Das stellte aber im Fall verbotener Apps zumindest eine Grauzone, wenn nicht eine Regulierungslücke dar. Künftig finden sich im App-Store nur noch Anwendungen, die vom Informationsministerium MIIT lizenziert sind. Betroffen sein könnten vor allem Kommunikationsanwendungen wie Whatsapp, X (vormals Twitter) oder Youtube. Es wird damit für iPhone-Nutzer, die ihr Smartphone dort neu einrichten, schwieriger, diese Apps zu installieren. fin

    • Apple
    • MIIT
    • Technologie
    • Zensur

    Presseschau

    EU-China-Beziehungen: Die EU rüstet sich DW
    Schumer confirms U.S. Senate trip to China, Japan, South Korea REUTERS
    Die vier Technologien, die die EU schützen will – besonders vor China – Hochmoderne Mikrochips, KI-Systeme, Quantencomputer und Gentechnik EURONEWS
    Latest clash in South China Sea should be a red flag for the world EURONEWS
    Why is Switzerland refusing to follow EU sanctions on China? SWISSINFO
    Urlaubsparadies Malediven: Wo die Großmächte China und Indien um ihren Einfluss ringen FR
    Who will be the Dalai Lama’s successor? China won’t have a say WASHINGTONPOST
    Hu ist Christ und Chinese. Und in den Augen der Regierung ein Problem NZZ
    Die Weltbank warnt vor schlechten Wachstumsaussichten im gesamten asiatischen Raum – auch weil China so schwächelt BUSINESS INSIDER
    Wirtschaft und Sicherheit: So will sich die EU von China befreien SUEDDEUTSCHE
    China-Pkw in Deutschland: Xi Jinping fährt mit WELT
    Bipartisan commission calls on NBA to end use of apparel made by forced labor in China ESPN
    Kriselnder Immobilienkonzern: Aktien von China Evergrande werden wieder gehandelt FAZ
    Landen die USA oder China als nächstes bemannt auf dem Mond? KURIER
    Taiwan warnt vor nahendem Taifun “Koinu” WEB.DE
    Making cities “spongy” could help fight flooding – by steering the water underground NPR

    Heads

    Rahile Dawut – Symbol für das Schicksal der Uiguren

    Die lebenslange Haftstrafe für Rahile Dawut steht symbolisch für das Schicksal der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang. Die jüngsten Erkenntnisse der Xinjiang-Forschung zeigen, dass die Zahl uigurischer Kurzzeit-Lagerinsassen zuletzt drastisch zurückgegangen ist. Allerdings ist in der gleichen Zeit die Anzahl sehr langer Gefängnisstrafen steil angestiegen. Was für Außenstehende wie eine positive Entwicklung erscheinen mag, ist für die lokale Bevölkerung jedoch kein Grund zur Hoffnung. Und so muss auch die Anthropologin Dawut davon ausgehen, dass sie nie wieder in Freiheit leben wird.

    Das Leben Rahile Dawuts ist auch Thema einer Graphic Novel.

    Dawut hatte allen Widrigkeiten zum Trotz bis vor Kurzem dennoch die Hoffnung, dass ihr Urteil revidiert werden könnte. 2018 hatte sie ein Gericht als “Gefahr für die nationale Sicherheit” eingestuft und der “Absplitterung” schuldig gesprochen. Weil Dawuts Fall, wie abertausende andere in der Region, unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehandelt wurde, ist unklar, was den Straftatbestand begründet haben sollte.

    Aktuelle Untersuchungen haben ergeben, dass von einer siebenstelligen Zahl an Menschen, die von der chinesischen Regierung zwischen wenigen Monaten und einigen Jahren in die Internierungs- und Umerziehungslager gesteckt worden waren, nur noch wenige Zehntausende übrig geblieben sind.

    Bevölkerung zutiefst eingeschüchtert

    Eine Normalisierung bedeutet das jedoch nicht, wie der dänische Xinjiang-Forscher Rune Steenberg sagt. Denn der jahrelangen Einschüchterung der breiten Masse folgt nun die gezielte Zersetzung der uigurischen Gesellschaft – auf perfide Art und Weise.

    Die intellektuelle Elite und einige Hunderttausend andere Uiguren und Uigurinnen sitzen inzwischen in regulären Gefängnissen und haben faktisch keine Perspektive auf eine baldige Rückkehr ins Leben. Das geht aus der Forschung Steenbergs hervor. Der Rest der Bevölkerung ist durch die Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht nur zutiefst eingeschüchtert und verhält sich möglichst unauffällig, um harte Strafen gegen sich selbst und Familienmitglieder zu vermeiden.

    Zudem werden sie durch eine zunehmende Integration in die örtliche Industrie an ihren Arbeitsplätzen engmaschig überwacht. Die inzwischen ausgefeilten technischen Möglichkeiten zur Gesichtserkennung, Standortbestimmung und Überwachung der Kommunikation haben Internierungslager als Kontrollinstanzen weitgehend ersetzt.

    Dawut war bekannt für ihre Gesetzestreue

    “Rahile Dawut ist eine weltliche Wissenschaftlerin, die dafür bekannt ist, den Gesetzen und Regularien der chinesischen Regierung Folge geleistet zu haben”, sagt Forscher Steenberg über die 57-Jährige. Er ist überzeugt davon, dass man weder ihr noch tausenden anderen Intellektuellen aus Xinjiang eine Verbindung zum Terror und Extremismus nachsagen kann.

    Dawut ist weit über die chinesischen Landesgrenzen als Anthropologin bekannt. Sie war Expertin für Tradition und Kultur der uigurischen Ethnie und lehrte an der Universität Xinjiang in der Regionalhauptstadt Urumqi. 2007 hatte sie dort ein Forschungsinstitut gegründet, das sich mit dem Brauchtum der Minderheiten in China befasste. Sie gab Seminare an renommierten Universitäten in den USA und Großbritannien. 2020 wurde sie vom Akademiker-Netzwerk Scholars at Risk mit dem Courage-to-Think-Award ausgezeichnet. 30 Jahre lang war sie auch Mitglied der Kommunistischen Partei.

    Revisionsgesuch abgelehnt

    Ihr Fall veranlasste vergangene Woche das US-Außenministerium, ihre Inhaftierung in einer Stellungnahme als ungerechtfertigt zu verurteilen. Wo Dawut in Haft ist, wie es ihr geht, ob sie möglicherweise Kontakt mit Familienmitgliedern in Xinjiang hatte seit ihrer Festnahme 2017, ist unklar.

    Zumindest, dass sie noch lebt, ist seit wenigen Tagen Gewissheit. Doch die Hoffnung auf eine verkürzte Haft ist dahin. Die US-Menschenrechtsstiftung Dui Hua hat über eine Quelle in der chinesischen Regierung die Bestätigung erhalten, dass das Revisionsgesuch Dawuts abgelehnt wurde und ihre lebenslange Haftstrafe somit rechtskräftig sei. grz

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    Personalie

    Ashwani Muppasani wird neuer COO für Indien und den asiatisch-pazifischen Raum bei dem Autokonzern Stellantis. Muppasani leitete bisher die National Sales Company für Stellantis in China.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    Ein Flagschiff-Laden für kleine Plastikfiguren? Klar. Der chinesische Spielzeughersteller Pop Mart International hat in der thailändischen Shopping-Mall Central World seinen ersten Flagship Store eröffnet. Pop Mart ist einer der größten Hersteller von Spielzeug in China.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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