Table.Briefing: China

Chip-Krise + Stratcom Taskforce + Wasserstoff + IWF-Prognose + Bernhard Weber

  • Kein Ende der Chip-Krise
  • Die EU und chinesische Desinformation – Kampf um die Deutungshoheit
  • Solar-Riese Longi investiert in Wasserstoff
  • IWF erhöht Wachstumsprognose auf 8,4 Prozent
  • Propaganda-Offensive zum Parteigeburtstag
  • Im Portrait: Bernhard Weber
Liebe Leserin, lieber Leser,

es klang nach einem kleinen, aber doch nach bester EU-Manier verpackten, Eingeständnis einer Niederlage: “Wir haben sehr wenig Ressourcen, um die Desinformation aus China zu beobachten”, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Anfang März vor einem Ausschuss des EU-Parlaments.

Konkret bedeutet das: Drei Mitarbeiter:innen der Strategischen Kommunikation des Europäischen Auswärtigen Dienstes befassen sich derzeit an einem China-Desk mit aus Peking gelenkten Desinformationen innerhalb der EU – und stehen dabei einem Heer tausender Fake-Konten, Trollen und regierungstreuen Twitter-Accounts gegenüber. Marcel Grzanna hat sich die Aufstellung der EU im Kampf gegen Desinformation aus Fernost näher angesehen und mit Insidern gesprochen.

Auch an anderen Enden fehlt es derzeit: Mikrochips aus Taiwan. Felix Lee und Finn Mayer-Kuckuk gehen dem Mangel der kleinen Bauteile auf den Grund und analysieren die Folgen des “Klopapiereffekts” in der Halbleiter-Branche für die deutsche und chinesische Industrie.

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Presseschau

China moves aircraft carrier near Taiwan and threatens ‘regular’ drills as tensions mount THE INDEPENDENT
With Recent Covid-19 Wave Under Control, Chinese Consumers Spend on Travel WSJ
Opinion: China’s Five Year Plan Used To Be Grandiose. The Latest Is More Down To Earth BLOOMBERG
IMF urges China to reduce corporate debt risk made worse by heavy pandemic lending SCMP
How Will China Vaccinate 560 Million People? Start With Free Ice Cream NYT
World Insights: Chinese company builds “green expressway” in Cambodia XINHUA
Konfrontation im Südchinesischen Meer: Insel um Insel SPIEGEL
China und USA hängen Europa ab: IWF warnt vor wachsender Kluft bei wirtschaftlicher Erholung HANDELSBLATT
Shortseller zielt auf chinesische Krypto-Firma NTV
Kinos in China sollen regelmäßig Propagandafilme zeigen DLF

Analyse

Kein Ende der Chip-Krise

Die neue Spielekonsole von Sony ist über Monate hinweg ausverkauft, Laptops und Tablets sind Mangelware. Der Volkswagen-Konzern leidet auch und vor allem in China unter einem Mangel an den begehrten Teilen. Landeschef Stephan Wöllenstein sprach von einem “bedeutenden Mangel an elektronischen Teilen”. Im Dezember konnte VW in China rund 50.000 Autos weniger produzieren als geplant. Auch auf dem Heimatmarkt macht sich der Mangel bemerkbar. In Autowerken in Deutschland ist nicht etwa Corona der Grund für Kurzarbeit, sondern ausbleibende Elektroniklieferungen. Audi -Vorstandschef Markus Duesmann kündigte an, dass im laufenden Quartal deshalb gut 10.000 Autos weniger gebaut würden. Die Knappheit soll noch bis ins zweite Halbjahr anhalten – oder noch länger.

Ohne die kleinen Bauteile funktioniert heute bekanntlich nichts mehr. Wenn einem Industrieunternehmen nur ein Chip fehlt, dann kann es das komplette Produkt nicht herstellen. Doch woher kommt der Mangel an Halbleitern? Der Industrie ist es schließlich jahrzehntelang gelungen, eine hohe Nachfrage recht präzise zu bedienen. Doch das Coronavirus und der Handelskrieg haben zu einer Reihe von Fehlplanungen und Panikreaktionen geführt, die sich gegenseitig hochgeschaukelt haben wie ein Naturphänomen. Für die Langfristplanung wiederum gilt es, die Abhängigkeit von einigen wenigen Herstellern zu verringern.

Chinas Chip-Krise – Chips aus Taiwan

Auffällig ist aus deutscher Sicht, wie sehr auch die Elektroniknationen in Ostasien selbst von dem Mangel betroffen sind. Der chinesische Autohersteller Nio musste seine Produktion stoppen. Genauso der südkoreanische Großkonzern Hyundai: Vom 7. bis zum 14. April werde das Werk Nummer Eins in der südöstlichen Stadt Ulsan abgeschaltet. Hyundai braucht Hightech-Chips für das Frontsicht-Kamerasystem des SUV Kona sowie Leistungselektronik-Module für dem Ioniq 5.

Nun werden folgerichtig die Preise steigen. Der weltweit größte Auftragschiphersteller, die Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC), hat ihre Kunden aufgefordert, die höheren Preise zu akzeptieren. Nur so könne das Unternehmen die Investitionen erhöhen, um mit einem “strukturellen und fundamentalen Anstieg” der Chipnachfrage fertig zu werden, heißt es in einem Brief von Vorstandschef C.C. Wei, aus dem das Wirtschaftsmedium Nikkei zitiert. Darin verspricht der Chef von TSMC in den drei Jahren bis 2023 Investitionen von über 100 Milliarden US-Dollar. Allein in diesem Jahr werde TSMC 28 Milliarden Dollar in die Halbleitertechnologie stecken. Das taiwanische Unternehmen produziert Chips unter anderem für Apple, Qualcomm und AMD.

Mit diesen Maßnahmen soll eine Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage künftig unwahrscheinlicher werden. Tatsächlich ist jedoch gerade die Schlüsselstellung von Taiwan ein entscheidender Faktor für das aktuelle Dilemma gewesen. Im Gesamtbild lässt sich eine Verkettung von Umständen nachzeichnen, die tatsächlich in den USA begann.

Erst Handelskrieg, dann Probleme bei Intel

Der erste Faktor war der US-chinesische Handelskrieg und in diesem Zuge die US-Sanktionen unter anderem gegen den chinesischen Technologiekonzern Huawei, dem weltweit führenden Netzwerkausrüster. Im Jahr 2019 hat der damalige US-Präsident Donald Trump in seinem Handelskrieg mit China Halbleiter-Exporte erstmals als politisches Druckmittel missbraucht. Die Volksrepublik hat in den Jahren zuvor technologisch zwar in vielen Bereichen kräftig aufgeholt, steht in einigen Bereichen, wie etwa bei der Batterietechnik für Elektroautos, gar an der Weltspitze. Doch in der Halbleiterindustrie ist es der Führung in Peking trotz milliardenschwerer Fördermaßnahmen bislang nicht gelungen, sich von Importen aus dem Ausland unabhängig zu machen. Hightech-Chips kann China bislang nicht selbst herstellen. Da ist man abhängig von US-amerikanischer Technologie.

Die USA unter Trump hatte genau dieses Nadelöhr erkannt und 2019 Huawei zunächst von US-Technologien abgeschnitten. Im vergangenen Jahr gelang es ihm auch, Zulieferern aus Drittländern, die von US-Komponenten abhängig sind, Geschäfte mit dem chinesischen Unternehmen zu unterbinden. Mit Wirkung: Prompt rutschte Huawei vom weltweit erfolgreichsten Smartphone-Produzenten aus der Top-5-Spitzengruppe.

Der Huawei-Konzern hat seinerseits reagiert und eilig so viele Hightech-Chips gekauft, die er noch bekommen konnte. Ob und wie viel Huawei an Chips hortet, ist offiziell nicht bekannt. Doch auch andere Technikunternehmen, die auf diese Chips angewiesen sind, begannen ebenfalls rasch, ihre Vorräte aufzustocken.

Die nächste Störung hatte ihren Ursprung ebenfalls in den USA. Es gab Rückschläge bei der Einführung von Intel-Chips mit einer Strukturbreite von 7 Nanometern. Je niedriger die Strukturbreiten, desto mehr Transistoren passen auf die gleiche Fläche, desto effizienter werden die Chips. TSMC hat den 7-Nanometer-Prozess bereits seit 2017 im Griff – ein klarer Sieg des Teams Taiwan. Davon profitierte zuletzt unter anderem der Intel-Konkurrent AMD, aber auch Huawei, dessen Handy-Prozessoren des Premium-Segments auf der TSMC-Technik beruhen.

Intel musste dagegen im vergangenen Sommer Probleme mit den hauseigenen Produktionsverfahren einräumen. Die 7-Nanometer-Chips der Firma sollen nun erst 2023 auf den Markt kommen. Das verschob die Nachfrage weiter nach Taiwan, es machte sich in der Branche ein Gefühl der Verknappung breit.

In der Industrie setzte ein Effekt ein, der Konsumenten in Deutschland von den leeren Regalen für Toilettenpapier und Mehl im vergangenen Jahr bekannt ist. Sobald die ersten Kunden anfangen zu hamstern, nehmen auch die ursprünglich eher gelassenen Shopper lieber einige Packungen extra mit. Wer erst später in den Supermarkt kommt und leere Regale sieht, versucht erst recht, sich noch irgendwo einzudecken. Die Folge ist ein scheinbarer Mangel an einer Ware, von der die Produktionsseite eben noch genug für alle bereitgestellt hat.

Industrie verkennt Pandemie-Folgen

In diese Lage hinein kam Corona. Industriemanager weltweit nutzten ihre Erfahrung aus der Finanzkrise von 2008, um auf die neue Krise zu reagieren. Sie rechneten mit Arbeitslosigkeit und einem Zusammenbruch der Nachfrage. Daher verringerten sie ihre Nachschubbestellungen. Im Sommer zeigte sich dann, dass dies eine völlige Fehleinschätzung war. In der Langeweile zu Hause orderten die Leute Playstations und Soundbars, fürs Homeoffice gab es Notebooks – und die U-Bahn wirkte plötzlich nicht mehr so bequem wie das eigene Auto. Die Nachfrage nach Konsumwaren stieg an, während die Zulieferer noch auf die Stornierungen reagierten.

Die Knappheit an Chips auf dem Weltmarkt verstärkte sich ab jetzt selbst: Wer guten Zugang zu den Chipanbietern hatte, versuchte, seine Lager zu füllen, während TMSC mit der Produktion nicht mehr hinterherkam. Seither arbeitet Chinas Staatschef Xi Jinping mit Hochtouren an der “technologischen Selbstversorgung“. Beim Nationalen Volkskongress Anfang März, auf dem unter anderem der neue Fünfjahresplan verabschiedet wurde, fand chinesischen Staatsmedien zufolge kein Begriff so viel Erwähnung wie “Xinpian” (芯片), das chinesische Wort für Chips. Die Antwort von Chinas Führung auf diese Abhängigkeit vom Ausland ist das Konzept der sogenannten “Dual Circulation”. Damit hat sie das Ziel gesetzt, sich in systemrelevanten Technologien noch zügiger unabhängig von Importen aus dem Ausland zu machen.

Entsprechend hoch sind die Investitionen: Allein 2020 hat Peking Halbleiter-Konzerne mit Direktzahlungen in Höhe von mindestens 35 Milliarden US-Dollar unterstützt, wie Recherchen des Fachmediums Technode ergeben. Dies ist eine Steigerung von über 400 Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Jahr. Der Einsatz privaten Risikokapitals stieg im selben Zeitraum fast ebenso steil an.

Trotz der schwindelerregenden Zahlen sind die Fortschritte der chinesischen Halbleiterbranche bislang klein. Experten rechnen fest damit, dass die Wirtschaftsplaner in Peking ihr Ziel – bis 2025 rund 70 Prozent der Halbleiter für den eigenen Markt aus heimischer Produktion zu beziehen – deutlich verfehlen werden. Derzeit liegt der Wert bei etwa 30 Prozent. Markus Taube, China-Ökonom an der Universität Duisburg-Essen vermutet, dass es mindestens drei, eher fünf bis zehn Jahre dauern wird, bevor China auch in diesem Bereich aufgeholt hat. Das mag zwar nicht nach viel klingen. Aber in diesen Jahren kann viel kaputtgehen.

Deutschland und EU abgeschlagen

Die Semiconductor Industry Association, die die meisten US-Chiphersteller vertritt, gab am Donnerstag bekannt, dass sie mehr als 50 Stellen in der Lieferkette gefunden hat, an denen eine einzelne Region einen Marktanteil von mehr als 65 Prozent hat. Die Herstellung der fortschrittlichsten Chips befindet sich vollständig in Asien – 92 Prozent davon in Taiwan. Wenn Taiwan ein Jahr lang keine Chips herstellen könnte, würde dies die globale Elektronikindustrie fast eine halbe Billion Dollar Umsatz kosten. Der Bericht stellte fest: “Die globale Elektroniklieferkette würde zum Stillstand kommen.” Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier lässt daher im Sinne der “technologischen Souveränität Deutschlands” ebenfalls in Chip-Standorte investieren. Wo es um Hightech-Bausteine geht, liegt die Europäische Union aber nach Expertenansicht ebenso hinter den USA und Taiwan zurück wie China. Felix Lee / Finn Mayer-Kuckuk

  • Autoindustrie
  • Chips
  • Halbleiter
  • Handel
  • Nio
  • Taiwan
  • Technologie
  • TSMC
  • Volkswagen

Brüssels verhaltener Kampf gegen chinesische Desinformation

Im Jahr 2019 ging Europa ein Licht auf. Als in Hongkong Millionen Menschen auf die Straße gingen, um gegen wachsende chinesische Kontrolle in der Stadt zu protestieren, bemerkte die Abteilung für Strategische Kommunikation (Stratcom Taskforce) des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) eine neue Dimension chinesischer Einflussnahme auf die öffentliche Meinung in Europa. Die Informationsmaschinerie “made in China”, gesteuert aus Peking und ausgerichtet in alle Teile der Welt, erhöhte massiv ihr Drehmoment.

Quasi über Nacht wuchs die Zahl diplomatischer oder patriotischer Konten mit im Handumdrehen Zehntausenden Followern beim Kurznachrichtendienst Twitter an. Umfang sowie Art und Weise der Kampagne ließen in Brüssel die Alarmglocken läuten, auch weil klar wurde, welcher technischen Möglichkeiten sich die Chinesen bedienen. Fortan nahm die Stratcom auch pro-chinesische Kommunikationskanäle genauer unter die Lupe. Ihr Ziel war es, Netzwerke zu identifizieren, deren Vorgehen zu analysieren und vor einem möglichen Einfluss auf die Öffentlichkeiten in den EU-Mitgliedstaaten zu warnen – allerdings erst vier Jahre nachdem die Abteilung begonnen hatte, Fake News und Desinformation aus Russland ins Visier zu nehmen.

Weshalb so viel Zeit verging, liegt für Didi-Kirsten Tatlow vom Asien-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin auf der Hand. “Es gibt mächtige Wirtschaftsinteressen, die dafür sorgen, dass die Europäer nicht so genau hinschauen bei den Chinesen. Für Jahrzehnte wurde das Land nur als Quelle für Wachstum wahrgenommen. Diese Haltung ist sehr bequem, und sie erschwert es den Europäern, die tatsächliche Rolle Chinas als ihren Rivalen anzuerkennen”, sagt Tatlow China.Table.

Dass die Stratcom goldrichtig lag, bestätigte sich nach dem Ausbruch von Covid-19. Im Kampf um die Deutungshoheit über die Corona-Pandemie erlebte das rhetorische Arsenal der Volksrepublik eine weitere Aufrüstung. Über sämtliche soziale Medien befeuerten offizielle chinesische Sprachrohre in hohem Tempo die Diskussionen über Ursprung und Bekämpfung des Virus. Als im März 2020 die erste Welle der Corona-Pandemie die Welt erfasste, kletterte die Zahl der Posts chinesischer Diplomat:innen-Tweets von 9000 auf 15.000 pro Woche.

Die Kommentare über die diplomatischen Online-Kanäle bewegten sich bewusst in einem Spektrum zwischen offiziellen Stellungnahmen des Außenministeriums und Cyber-Mobbing. Einer Art Grauzone, wie es bei der Stratcom heißt. Es waren weniger klassische Falschmeldungen als vielmehr Schuldzuweisungen, eine Gestaltung von Auslegungen im Sinne der Pekinger Führung oder auch die Unterdrückung von Narrativen, die China missfielen – alles gestützt durch den Einsatz von viel Geld, viel Personal und ausgefeilter Technologie.

“Reine bürokratische Angelegenheit”

Die Reaktion auf die chinesische Einflussnahme kam sehr spät, aber immerhin schien das Problem nun mit der notwendigen Dringlichkeit angegangen zu werden. Doch wie ernst nimmt die EU die Bedrohung wirklich? “Die EU spricht gerne davon, wie bedeutend der Kampf gegen Desinformation ist, zuletzt besonders auch im Kontext von Covid-19. Man könnte deshalb den Eindruck gewinnen, dass sie sich auf dem richtigen Weg befindet. Aber die Arbeit der Stratcom ist zu einer rein bürokratischen Angelegenheit degradiert worden. Sie ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis der EU zu den europäischen Werten”, sagt Monika Richter, eine ehemalige Angestellte der Stratcom im Gespräch mit China.Table.

Im Mai 2020 hatte die Tschechin mit kanadischer und US-Staatsbürgerschaft die Stratcom nach einem Streit mit ihren Vorgesetzten verlassen und heuerte bei einem privaten Unternehmen in Washington an. Intern hatte die 29-Jährige der Institution “Selbstzensur” vorgeworfen, nachdem ein EU-Bericht zu China vor seiner Veröffentlichung modifiziert worden war. Dort hatte es zunächst geheißen, Peking wolle mit einer globalen Desinformationskampagne von der “Schuld für den Ausbruch der Pandemie ablenken und sein internationales Image verbessern”, versehen mit dem Hinweis, dass sowohl “offene als auch verdeckte Taktiken” beobachtet worden seien. Nach Drohungen der Chinesen wurde die Passage entfernt. Die Stratcom argumentierte, dass sie nach sorgfältiger Abwägung nicht ausreichend Evidenz zur Aufrechterhaltung der Passage gefunden und deswegen den Bericht verändert hätte. Richter habe man mitgeteilt, sie sei keine Aktivistin, sondern Angestellte des EAD, sagt sie.

Bei der Stratcom, einer Abteilung mit insgesamt 38 Mitarbeiter:innen unter der Leitung des Deutschen Lutz Güllner, befassen sich zurzeit drei Expert:innen am sogenannte China-Desk mit Desinformation aus Fernost. Drei gegen Tausende. Unterstützt wird das Team von zwei Kräften aus dem Länderreferat im EAD sowie von einigen externen Quellen und Data-Analysten. Es gehe nicht darum, den Hagel an Desinformationen mit eigenen Narrativen zu kontern, geschweige denn zu beenden, sondern das Problem in die Köpfe der Europäer zu bekommen, heißt es. Die baldige Vergrößerung des Teams auf vier China-Expert:innen ist wahrscheinlich. In der Stratcom weiß man aber, dass diese Aufstockung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.

Borrell: Zu wenig Geld, zu wenig Personal

EAD-Chef und EU-Außenbeauftragter Josep Borrell klagte Anfang März darüber, dass weder ausreichend finanzielle noch personelle Ressourcen zur Verfügung stünden, um sich ebenso intensiv mit China befassen zu können wie mit Russland. Das Budget der Abteilung wurde sukzessive auf aktuell elf Millionen Euro aufgestockt. Doch die Abteilung kümmert sich neben Russland und China auch um den West-Balkan, Nordafrika und den Mittleren Osten. Mit dem Geld muss die Abteilung Strukturen aufbauen, um die Nachrichtenströme zu beobachten, den Austausch mit den Mitgliedstaaten organisieren und externe Analysen einkaufen, um ein besseres Verständnis für die Strategie und Ziele der schädlichen Quellen zu gewinnen. Es heißt, das Europaparlament werde sich bald erneut mit der Budget-Frage für die Stratcom befassen.

Richter hält das Geld-Argument nur für ein Symptom eines grundsätzlichen Problems. Sie habe einen “dramatischen Mangel an politischem Willen” festgestellt. Die EU habe dabei versagt, “die ernsthafte Bedrohung durch ausländischen, autoritären Einfluss auf europäische Demokratien anzuerkennen”. Tatsächlich erteilte der Europäische Rat der EU-Staats- und Regierungschefs dem EAD 2015 das offizielle Mandat, russische Propaganda zu entlarven und über den Aufbau von eigenen Netzwerken in die Mitgliedstaaten zu kommunizieren. Ein vergleichbares Mandat für China gibt es seitens des Rates immer noch nicht. Auch darauf hatte Borrell verwiesen.

Limitierte Ressourcen zwingen die Stratcom dazu, Prioritäten zu setzen. Nicht jeder Einzelfall kann dokumentiert werden, weswegen ein lückenhaftes Bild entsteht. Der Abteilung bleibt nur die Möglichkeit, das Problem immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen und mit Fakten zu unterfüttern. Wie damit umgegangen werden soll, müssen am Ende die Mitgliedstaaten entscheiden. “Es bedarf höherer Investitionen in Forschung und Analyse, um die Absichten und das Verhalten der Chinesen zu verstehen. Mit einer höheren Finanzierung wäre man besser in der Lage, der Manipulation entgegenzuwirken”, sagt Nad’a Kovalčíková von der Alliance for Securing Democracy, einem Forschungsprogramm des German-Marshall-Fund. China nutze eine Palette zahlreicher Werkzeuge wie Desinformation, aber auch wirtschaftliche Zwänge, die anderen Staaten auferlegt würden, oder Cyberangriffe. “Der EU muss es gelingen, die Verbindungen zwischen diesen einzelnen Aspekten herzustellen, um die zugrunde liegende Strategie erkennen zu können”, sagt Kovalčíková.

China will sein Image aufpolieren

Die Stratcom hat dem Vernehmen nach einen deutlichen Unterschied zwischen russischer und chinesischer Desinformation festgestellt. Die Russen versuchten, den gesellschaftlichen Unterbau in der Europäischen Union auszuhöhlen. Dazu verwenden sie wesentlich mehr Falschinformationen als die Chinesen das tun. Auf der Internetseite euvsdisinfo.eu dokumentiert die Stratcom Tausende Beispiele seit 2015. China dagegen sei darauf konzentriert, sein Image in der Welt aufzupolieren. Dazu seien Falschinformationen weniger nützlich als die Manipulation in einem bestimmten Kontext. Auch würde China konsequent Narrative unterdrücken, sowohl im Fall von Covid-19 als auch bei Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang, der Zerstörung Hongkonger Rechtsstaatlichkeit, aber auch der Tibet- und Taiwan-Fragen.

Dadurch gelänge es der chinesischen Propaganda, die Ränder von Meinungsspektren zu stärken und Diskussion darüber anzufeuern, ob die Argumentation Pekings nicht doch die richtige sei. Ex-Stratcom-Mitarbeiterin Richter sagt: “Chinesische Manipulationsversuche wirkten deutlich weniger aggressiv, während die russische Manipulation sehr auffällig war.” Auch deshalb kümmern sich in der Stratcom deutlich mehr Mitarbeiter:innen um Russland als um China.

Mit dem Rapid Alert System will die Stratcom gegensteuern. Das Instrument ist eine Art Netzwerk von Expert:innen in den Mitgliedstaaten, die in der Lage sind, Hinweise auf Desinformationen und deren Absichten im europäischen Interesse auch sinnvoll zu verwerten und weiterzuleiten. In vielen der 27 EU-Staaten würden diese Hinweise sonst ins Leere laufen, weil dort die Strukturen fehlen, um sie entsprechend aufzugreifen. Bis vor drei Jahren hat es eine solche Vernetzung nicht gegeben.

“Die Verarbeitungsprozesse in den einzelnen EU-Staaten sind sehr unterschiedlich”, sagt Kovalčíková vom GMF. Wie es gut funktioniert, hätten die Schweden vorgemacht. Bereits weit ein Jahr vor der letzten Parlamentswahl im Jahr 2018 hatte die Regierung begonnen, ihre Bürger:innen, Medien und Verwaltung darauf vorzubereiten, dass ausländische Kräfte versuchen könnten, Einfluss zu nehmen auf den Wahlausgang. Ein Indikator dafür, dass die Strategie aufging, war die Tatsache, dass ein Rechtsruck vermieden wurde. Kovalčíková: “Es bleibt dennoch eine Menge Arbeit übrig. Die Aufmerksamkeit für die Gefahr der Einflussnahme durch Drittstaaten muss über den Wahlzyklus hinaus gehen. Entscheidend ist, dauerhaft das Bewusstsein in der Bevölkerung für dieses Problem zu wecken .”

  • EEAS
  • Geopolitik
  • KP Chinas
  • Zivilgesellschaft

News

Solar-Riese Longi investiert in Wasserstoff

Der global führende Hersteller von Solarmodulen, Longi, steigt in den Wasserstoffsektor ein, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Gemeinsam mit einem Private-Equity-Fonds hat Longi das Wasserstoff-Tochterunternehmen Xi’an Longi Hydrogen Technology mit einem Startkapital von umgerechnet 38 Millionen Euro gegründet. Auch staatliche Energiekonzerne wie Sinopec haben schon in den Wasserstoffsektor investiert, um Pekings Ziel voranzubringen, bis 2030 den Höhepunkt der CO2-Emissionen zu erreichen.

Wasserstoff könnte in Zukunft ein wichtiges Speichermedium werden, um überschüssige Sonnen- und Windenergie zu speichern und in Flauten abrufbar zu machen. Im letzten Jahr hat China einen Rekord bei neu installierten Windkraftanlagen gemeldet. Auch die Solarstromkapazität soll weiter steigen. Dementsprechend wird die Nachfrage nach Speicherkapazität ebenso anwachsen. “Das Solar-zu-Wasserstoff-Modell könnte das Problem [mangelhafter Speicherkapazität] effektiv lösen”, schrieb Longi in einem Beitrag auf einem der Social-Media-Kanäle des Unternehmens. nib

  • Batterien
  • Energie
  • Erneuerbare Energien
  • Longi
  • Technologie

IWF erhöht Wachstumsprognose auf 8,4 Prozent

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognose für China für 2021 auf 8,4 Prozent erhöht, teilte der IWF gestern mit. Damit liegt die neue Prognose 0,3 Prozentpunkte höher als noch im Januar erwartet. Die Volksrepublik würde damit dem Währungsfonds zufolge die stärkste Wachstumsrate seit 2011 verzeichnen.

Wirksame Eindämmungsmaßnahmen, eine energische Reaktion mit öffentlichen Investitionen und die Liquiditätsunterstützung der Zentralbank” hätten die “starke Erholung” Chinas ermöglicht, teilte der IWF mit. Die Volksrepublik habe bereits 2020 ihr Bruttoinlandsprodukt von vor der Corona-Pandemie wieder erreicht – vielen anderen Staaten werde das erst “weit in das Jahr 2023” gelingen, so der Währungsfonds.

Für das weltweite Wachstum geht der IWF weiterhin von 5,6 Prozent aus. Die Organisation warnte vor geopolitischen Konflikten zwischen Washington und Peking, die die Erholung belasten könnten: “Die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China sind an zahlreichen Fronten, einschließlich der des internationalen Handels, des geistigen Eigentums und der Cybersicherheit, nach wie vor hoch”, hieß es. ari

  • Innenpolitik der KP China
  • IWF
  • Wirtschaft

Propaganda-Offensive zum Parteigeburtstag

Anlässlich des 100. Geburtstags der KP Chinas (China.Table berichtet) sollen Kinos in der Volksrepublik zweimal wöchentlich Propagandafilme zeigen. Bis Jahresende sollen Filmtheater “in jeder Provinz, Region und Stadt” Werke auf die Leinwände bringen, die sich um “die Liebe für die Partei, die Liebe für das Land und die Liebe für den Sozialismus drehen”, wie die Nationale Filmverwaltung Chinas mitteilte. In zwei Kino-Ketten sollen demnach sogar mindestens fünfmal wöchentlich ausgesuchte Propagandafilme gezeigt werden. Geplant ist, Parteimitglieder, Funktionäre und andere Zuschauer zu mobilisieren, um sicherzustellen, dass die Kinos bei den Aufführungen gut besucht sind.

Zu den zwölf von Behörden ausgewählten Filmen gehören sieben Werke aus den 1950er- und 1960er-Jahren, einer aus den 80er-Jahren sowie drei aktuelle Filme und eine Neuerscheinung (“Landminenkrieg”) – die meisten Werke sind Kriegsfilme. Neben Filmvorführungen sollen auch Ausstellungen und Theatervorführungen “die großen Errungenschaften und wertvollen Erfahrungen” der KP Chinas widerspiegeln, wie der Direktor der Nationalen Filmverwaltung und führender Beamte der Propagandaabteilung, Wang Xiaohui, bei einer Pressekonferenz sagte. Die KP Chinas begeht am 1. Juli ihren 100. Geburtstag (alles zur KP Chinas im China.Table). nib

  • 100 Jahre KP Chinas
  • Filmindustrie
  • KP Chinas
  • Kultur
  • Propaganda

Portrait

Bernhard Weber

Bernhard Weber ist der Geschäftsführer von Baden-Württemberg International in Nanjing und Repräsentant des Landes Baden-Württemberg in China.
Geschäftsführer von Baden-Württemberg International in Nanjing und Repräsentant des Landes Baden-Württemberg in China

Das erste Mal kam Bernhard Weber Anfang der 1980er-Jahre als Student der Shandong University nach China. “Das war damals ein Land praktisch ohne Autos. Eine Stadt wie Shanghai hatte wahrscheinlich kaum mehr als 500 PKWs”, erzählt Weber, um die rasante Entwicklung zu verdeutlichen. Mittlerweile ist der 62-jährige Geschäftsführer der chinesischen Zweigstelle der Landesagentur Baden-Württemberg International (BW-I) mit Sitz in der sechs Millionen Metropole Nanjing in der ostchinesischen Provinz Jiangsu. Er unterstützt Unternehmen aus Baden-Württemberg im chinesischen Markt Fuß zu fassen.

Der Firmenpool, den Weber betreut, umfasst rund 20 kleinere und mittlere Unternehmen. Diese Zahl könnte aber deutlich höher sein, wie Weber findet: “China ist immer noch ein Markt, der gerade für kleinere Unternehmen sehr weit weg ist. Viele Unternehmer sind in dieser Hinsicht sehr konservativ.” Daher trauten sich immer noch zu wenige, selbst diesen risikoarmen Schritt, sich bei der Sondierung des chinesischen Marktes beraten zu lassen.

Trotzdem kann Weber auch in der aktuellen Pandemie nicht über ausbleibende Arbeit klagen. “Die Unternehmen, die sich bereits vor der Pandemie hier angesiedelt haben, profitieren davon, dass die Wirtschaft hier kaum von Corona betroffen ist.” Und auch im vergangenen Jahr haben zwei Firmen den Service der BW-I genutzt und sind in das Chinageschäft eingestiegen. Für Weber gilt, dass die Zusammenarbeit mit den Unternehmen nur eine Übergangslösung ist. So stellt Baden-Württemberg International beispielsweise Büro-Infrastruktur und Personalverwaltung für deutsche Investoren in China bereit. Dadurch können die Unternehmer ihr Geschäft ohne Vorlaufzeit starten und haben weniger bürokratischen Aufwand.

Bernhard Weber in Nanjing vor den Wolkenkratzern

Weber übernimmt neben dem Tagesgeschäft auch die Repräsentanz von Baden-Württemberg in den beiden Partnerprovinzen Jiangsu und Liaoning. Normalerweise gehört dazu neben der Kontaktpflege zu verschiedenen Regierungsstellen auch ein jährliches Treffen der regionalen Regierungsvertreter. “Das ist natürlich alles im vergangenen Jahr flachgefallen.”

Den Weg nach China verdankt Weber seine Affinität zu Sprachen – und einem Japaner, mit dem er sich in einem Französischsprachkurs anfreundete. “Der hat zu mir gesagt, lern lieber chinesisch. Die machen gerade ihren Laden auf und werden in Zukunft Leute aus dem Ausland brauchen, die die eigene Sprache sprechen.” Damals gab es drei Universitäten, die ein Sinologiestudium mit modernem Chinesisch anboten. Den ersten Job in China bekam Weber bei einem Joint-Venture der Siemenstochter KWU. Mittlerweile lebt Weber mit seiner Familie seit 26 Jahren in Nanjing. Er war schon dort, bevor die Stadt ihre Wolkenkratzer bekam und die Welt den chinesischen Markt für sich entdeckte. David Renke

  • Bernhard Weber
  • China Strategie 2022
  • Deutschland
  • Geopolitik
  • Handel
  • Jiangsu
  • Liaoning
  • Nanjing

Dessert

Kaffeebohnen fallen in einen großen Metallkessel.

Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Coffee-Shops als in Shanghai. Laut einem Bericht des that’s-Mag gibt es in Chinas 26-Millionen-Metropole über 7.000 davon. Damit schlägt Shanghai London (3.233), Tokyo (3.826) und New York mit 1.591 Coffee-Shops. Spitze im Bereich Coffee-Shops pro Kopf bleibt London, wo auf 10.000 Einwohner 3,69 Läden kommen. In Shanghai sind es “nur” 2,85.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Kein Ende der Chip-Krise
    • Die EU und chinesische Desinformation – Kampf um die Deutungshoheit
    • Solar-Riese Longi investiert in Wasserstoff
    • IWF erhöht Wachstumsprognose auf 8,4 Prozent
    • Propaganda-Offensive zum Parteigeburtstag
    • Im Portrait: Bernhard Weber
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    es klang nach einem kleinen, aber doch nach bester EU-Manier verpackten, Eingeständnis einer Niederlage: “Wir haben sehr wenig Ressourcen, um die Desinformation aus China zu beobachten”, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Anfang März vor einem Ausschuss des EU-Parlaments.

    Konkret bedeutet das: Drei Mitarbeiter:innen der Strategischen Kommunikation des Europäischen Auswärtigen Dienstes befassen sich derzeit an einem China-Desk mit aus Peking gelenkten Desinformationen innerhalb der EU – und stehen dabei einem Heer tausender Fake-Konten, Trollen und regierungstreuen Twitter-Accounts gegenüber. Marcel Grzanna hat sich die Aufstellung der EU im Kampf gegen Desinformation aus Fernost näher angesehen und mit Insidern gesprochen.

    Auch an anderen Enden fehlt es derzeit: Mikrochips aus Taiwan. Felix Lee und Finn Mayer-Kuckuk gehen dem Mangel der kleinen Bauteile auf den Grund und analysieren die Folgen des “Klopapiereffekts” in der Halbleiter-Branche für die deutsche und chinesische Industrie.

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Presseschau

    China moves aircraft carrier near Taiwan and threatens ‘regular’ drills as tensions mount THE INDEPENDENT
    With Recent Covid-19 Wave Under Control, Chinese Consumers Spend on Travel WSJ
    Opinion: China’s Five Year Plan Used To Be Grandiose. The Latest Is More Down To Earth BLOOMBERG
    IMF urges China to reduce corporate debt risk made worse by heavy pandemic lending SCMP
    How Will China Vaccinate 560 Million People? Start With Free Ice Cream NYT
    World Insights: Chinese company builds “green expressway” in Cambodia XINHUA
    Konfrontation im Südchinesischen Meer: Insel um Insel SPIEGEL
    China und USA hängen Europa ab: IWF warnt vor wachsender Kluft bei wirtschaftlicher Erholung HANDELSBLATT
    Shortseller zielt auf chinesische Krypto-Firma NTV
    Kinos in China sollen regelmäßig Propagandafilme zeigen DLF

    Analyse

    Kein Ende der Chip-Krise

    Die neue Spielekonsole von Sony ist über Monate hinweg ausverkauft, Laptops und Tablets sind Mangelware. Der Volkswagen-Konzern leidet auch und vor allem in China unter einem Mangel an den begehrten Teilen. Landeschef Stephan Wöllenstein sprach von einem “bedeutenden Mangel an elektronischen Teilen”. Im Dezember konnte VW in China rund 50.000 Autos weniger produzieren als geplant. Auch auf dem Heimatmarkt macht sich der Mangel bemerkbar. In Autowerken in Deutschland ist nicht etwa Corona der Grund für Kurzarbeit, sondern ausbleibende Elektroniklieferungen. Audi -Vorstandschef Markus Duesmann kündigte an, dass im laufenden Quartal deshalb gut 10.000 Autos weniger gebaut würden. Die Knappheit soll noch bis ins zweite Halbjahr anhalten – oder noch länger.

    Ohne die kleinen Bauteile funktioniert heute bekanntlich nichts mehr. Wenn einem Industrieunternehmen nur ein Chip fehlt, dann kann es das komplette Produkt nicht herstellen. Doch woher kommt der Mangel an Halbleitern? Der Industrie ist es schließlich jahrzehntelang gelungen, eine hohe Nachfrage recht präzise zu bedienen. Doch das Coronavirus und der Handelskrieg haben zu einer Reihe von Fehlplanungen und Panikreaktionen geführt, die sich gegenseitig hochgeschaukelt haben wie ein Naturphänomen. Für die Langfristplanung wiederum gilt es, die Abhängigkeit von einigen wenigen Herstellern zu verringern.

    Chinas Chip-Krise – Chips aus Taiwan

    Auffällig ist aus deutscher Sicht, wie sehr auch die Elektroniknationen in Ostasien selbst von dem Mangel betroffen sind. Der chinesische Autohersteller Nio musste seine Produktion stoppen. Genauso der südkoreanische Großkonzern Hyundai: Vom 7. bis zum 14. April werde das Werk Nummer Eins in der südöstlichen Stadt Ulsan abgeschaltet. Hyundai braucht Hightech-Chips für das Frontsicht-Kamerasystem des SUV Kona sowie Leistungselektronik-Module für dem Ioniq 5.

    Nun werden folgerichtig die Preise steigen. Der weltweit größte Auftragschiphersteller, die Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC), hat ihre Kunden aufgefordert, die höheren Preise zu akzeptieren. Nur so könne das Unternehmen die Investitionen erhöhen, um mit einem “strukturellen und fundamentalen Anstieg” der Chipnachfrage fertig zu werden, heißt es in einem Brief von Vorstandschef C.C. Wei, aus dem das Wirtschaftsmedium Nikkei zitiert. Darin verspricht der Chef von TSMC in den drei Jahren bis 2023 Investitionen von über 100 Milliarden US-Dollar. Allein in diesem Jahr werde TSMC 28 Milliarden Dollar in die Halbleitertechnologie stecken. Das taiwanische Unternehmen produziert Chips unter anderem für Apple, Qualcomm und AMD.

    Mit diesen Maßnahmen soll eine Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage künftig unwahrscheinlicher werden. Tatsächlich ist jedoch gerade die Schlüsselstellung von Taiwan ein entscheidender Faktor für das aktuelle Dilemma gewesen. Im Gesamtbild lässt sich eine Verkettung von Umständen nachzeichnen, die tatsächlich in den USA begann.

    Erst Handelskrieg, dann Probleme bei Intel

    Der erste Faktor war der US-chinesische Handelskrieg und in diesem Zuge die US-Sanktionen unter anderem gegen den chinesischen Technologiekonzern Huawei, dem weltweit führenden Netzwerkausrüster. Im Jahr 2019 hat der damalige US-Präsident Donald Trump in seinem Handelskrieg mit China Halbleiter-Exporte erstmals als politisches Druckmittel missbraucht. Die Volksrepublik hat in den Jahren zuvor technologisch zwar in vielen Bereichen kräftig aufgeholt, steht in einigen Bereichen, wie etwa bei der Batterietechnik für Elektroautos, gar an der Weltspitze. Doch in der Halbleiterindustrie ist es der Führung in Peking trotz milliardenschwerer Fördermaßnahmen bislang nicht gelungen, sich von Importen aus dem Ausland unabhängig zu machen. Hightech-Chips kann China bislang nicht selbst herstellen. Da ist man abhängig von US-amerikanischer Technologie.

    Die USA unter Trump hatte genau dieses Nadelöhr erkannt und 2019 Huawei zunächst von US-Technologien abgeschnitten. Im vergangenen Jahr gelang es ihm auch, Zulieferern aus Drittländern, die von US-Komponenten abhängig sind, Geschäfte mit dem chinesischen Unternehmen zu unterbinden. Mit Wirkung: Prompt rutschte Huawei vom weltweit erfolgreichsten Smartphone-Produzenten aus der Top-5-Spitzengruppe.

    Der Huawei-Konzern hat seinerseits reagiert und eilig so viele Hightech-Chips gekauft, die er noch bekommen konnte. Ob und wie viel Huawei an Chips hortet, ist offiziell nicht bekannt. Doch auch andere Technikunternehmen, die auf diese Chips angewiesen sind, begannen ebenfalls rasch, ihre Vorräte aufzustocken.

    Die nächste Störung hatte ihren Ursprung ebenfalls in den USA. Es gab Rückschläge bei der Einführung von Intel-Chips mit einer Strukturbreite von 7 Nanometern. Je niedriger die Strukturbreiten, desto mehr Transistoren passen auf die gleiche Fläche, desto effizienter werden die Chips. TSMC hat den 7-Nanometer-Prozess bereits seit 2017 im Griff – ein klarer Sieg des Teams Taiwan. Davon profitierte zuletzt unter anderem der Intel-Konkurrent AMD, aber auch Huawei, dessen Handy-Prozessoren des Premium-Segments auf der TSMC-Technik beruhen.

    Intel musste dagegen im vergangenen Sommer Probleme mit den hauseigenen Produktionsverfahren einräumen. Die 7-Nanometer-Chips der Firma sollen nun erst 2023 auf den Markt kommen. Das verschob die Nachfrage weiter nach Taiwan, es machte sich in der Branche ein Gefühl der Verknappung breit.

    In der Industrie setzte ein Effekt ein, der Konsumenten in Deutschland von den leeren Regalen für Toilettenpapier und Mehl im vergangenen Jahr bekannt ist. Sobald die ersten Kunden anfangen zu hamstern, nehmen auch die ursprünglich eher gelassenen Shopper lieber einige Packungen extra mit. Wer erst später in den Supermarkt kommt und leere Regale sieht, versucht erst recht, sich noch irgendwo einzudecken. Die Folge ist ein scheinbarer Mangel an einer Ware, von der die Produktionsseite eben noch genug für alle bereitgestellt hat.

    Industrie verkennt Pandemie-Folgen

    In diese Lage hinein kam Corona. Industriemanager weltweit nutzten ihre Erfahrung aus der Finanzkrise von 2008, um auf die neue Krise zu reagieren. Sie rechneten mit Arbeitslosigkeit und einem Zusammenbruch der Nachfrage. Daher verringerten sie ihre Nachschubbestellungen. Im Sommer zeigte sich dann, dass dies eine völlige Fehleinschätzung war. In der Langeweile zu Hause orderten die Leute Playstations und Soundbars, fürs Homeoffice gab es Notebooks – und die U-Bahn wirkte plötzlich nicht mehr so bequem wie das eigene Auto. Die Nachfrage nach Konsumwaren stieg an, während die Zulieferer noch auf die Stornierungen reagierten.

    Die Knappheit an Chips auf dem Weltmarkt verstärkte sich ab jetzt selbst: Wer guten Zugang zu den Chipanbietern hatte, versuchte, seine Lager zu füllen, während TMSC mit der Produktion nicht mehr hinterherkam. Seither arbeitet Chinas Staatschef Xi Jinping mit Hochtouren an der “technologischen Selbstversorgung“. Beim Nationalen Volkskongress Anfang März, auf dem unter anderem der neue Fünfjahresplan verabschiedet wurde, fand chinesischen Staatsmedien zufolge kein Begriff so viel Erwähnung wie “Xinpian” (芯片), das chinesische Wort für Chips. Die Antwort von Chinas Führung auf diese Abhängigkeit vom Ausland ist das Konzept der sogenannten “Dual Circulation”. Damit hat sie das Ziel gesetzt, sich in systemrelevanten Technologien noch zügiger unabhängig von Importen aus dem Ausland zu machen.

    Entsprechend hoch sind die Investitionen: Allein 2020 hat Peking Halbleiter-Konzerne mit Direktzahlungen in Höhe von mindestens 35 Milliarden US-Dollar unterstützt, wie Recherchen des Fachmediums Technode ergeben. Dies ist eine Steigerung von über 400 Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Jahr. Der Einsatz privaten Risikokapitals stieg im selben Zeitraum fast ebenso steil an.

    Trotz der schwindelerregenden Zahlen sind die Fortschritte der chinesischen Halbleiterbranche bislang klein. Experten rechnen fest damit, dass die Wirtschaftsplaner in Peking ihr Ziel – bis 2025 rund 70 Prozent der Halbleiter für den eigenen Markt aus heimischer Produktion zu beziehen – deutlich verfehlen werden. Derzeit liegt der Wert bei etwa 30 Prozent. Markus Taube, China-Ökonom an der Universität Duisburg-Essen vermutet, dass es mindestens drei, eher fünf bis zehn Jahre dauern wird, bevor China auch in diesem Bereich aufgeholt hat. Das mag zwar nicht nach viel klingen. Aber in diesen Jahren kann viel kaputtgehen.

    Deutschland und EU abgeschlagen

    Die Semiconductor Industry Association, die die meisten US-Chiphersteller vertritt, gab am Donnerstag bekannt, dass sie mehr als 50 Stellen in der Lieferkette gefunden hat, an denen eine einzelne Region einen Marktanteil von mehr als 65 Prozent hat. Die Herstellung der fortschrittlichsten Chips befindet sich vollständig in Asien – 92 Prozent davon in Taiwan. Wenn Taiwan ein Jahr lang keine Chips herstellen könnte, würde dies die globale Elektronikindustrie fast eine halbe Billion Dollar Umsatz kosten. Der Bericht stellte fest: “Die globale Elektroniklieferkette würde zum Stillstand kommen.” Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier lässt daher im Sinne der “technologischen Souveränität Deutschlands” ebenfalls in Chip-Standorte investieren. Wo es um Hightech-Bausteine geht, liegt die Europäische Union aber nach Expertenansicht ebenso hinter den USA und Taiwan zurück wie China. Felix Lee / Finn Mayer-Kuckuk

    • Autoindustrie
    • Chips
    • Halbleiter
    • Handel
    • Nio
    • Taiwan
    • Technologie
    • TSMC
    • Volkswagen

    Brüssels verhaltener Kampf gegen chinesische Desinformation

    Im Jahr 2019 ging Europa ein Licht auf. Als in Hongkong Millionen Menschen auf die Straße gingen, um gegen wachsende chinesische Kontrolle in der Stadt zu protestieren, bemerkte die Abteilung für Strategische Kommunikation (Stratcom Taskforce) des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) eine neue Dimension chinesischer Einflussnahme auf die öffentliche Meinung in Europa. Die Informationsmaschinerie “made in China”, gesteuert aus Peking und ausgerichtet in alle Teile der Welt, erhöhte massiv ihr Drehmoment.

    Quasi über Nacht wuchs die Zahl diplomatischer oder patriotischer Konten mit im Handumdrehen Zehntausenden Followern beim Kurznachrichtendienst Twitter an. Umfang sowie Art und Weise der Kampagne ließen in Brüssel die Alarmglocken läuten, auch weil klar wurde, welcher technischen Möglichkeiten sich die Chinesen bedienen. Fortan nahm die Stratcom auch pro-chinesische Kommunikationskanäle genauer unter die Lupe. Ihr Ziel war es, Netzwerke zu identifizieren, deren Vorgehen zu analysieren und vor einem möglichen Einfluss auf die Öffentlichkeiten in den EU-Mitgliedstaaten zu warnen – allerdings erst vier Jahre nachdem die Abteilung begonnen hatte, Fake News und Desinformation aus Russland ins Visier zu nehmen.

    Weshalb so viel Zeit verging, liegt für Didi-Kirsten Tatlow vom Asien-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin auf der Hand. “Es gibt mächtige Wirtschaftsinteressen, die dafür sorgen, dass die Europäer nicht so genau hinschauen bei den Chinesen. Für Jahrzehnte wurde das Land nur als Quelle für Wachstum wahrgenommen. Diese Haltung ist sehr bequem, und sie erschwert es den Europäern, die tatsächliche Rolle Chinas als ihren Rivalen anzuerkennen”, sagt Tatlow China.Table.

    Dass die Stratcom goldrichtig lag, bestätigte sich nach dem Ausbruch von Covid-19. Im Kampf um die Deutungshoheit über die Corona-Pandemie erlebte das rhetorische Arsenal der Volksrepublik eine weitere Aufrüstung. Über sämtliche soziale Medien befeuerten offizielle chinesische Sprachrohre in hohem Tempo die Diskussionen über Ursprung und Bekämpfung des Virus. Als im März 2020 die erste Welle der Corona-Pandemie die Welt erfasste, kletterte die Zahl der Posts chinesischer Diplomat:innen-Tweets von 9000 auf 15.000 pro Woche.

    Die Kommentare über die diplomatischen Online-Kanäle bewegten sich bewusst in einem Spektrum zwischen offiziellen Stellungnahmen des Außenministeriums und Cyber-Mobbing. Einer Art Grauzone, wie es bei der Stratcom heißt. Es waren weniger klassische Falschmeldungen als vielmehr Schuldzuweisungen, eine Gestaltung von Auslegungen im Sinne der Pekinger Führung oder auch die Unterdrückung von Narrativen, die China missfielen – alles gestützt durch den Einsatz von viel Geld, viel Personal und ausgefeilter Technologie.

    “Reine bürokratische Angelegenheit”

    Die Reaktion auf die chinesische Einflussnahme kam sehr spät, aber immerhin schien das Problem nun mit der notwendigen Dringlichkeit angegangen zu werden. Doch wie ernst nimmt die EU die Bedrohung wirklich? “Die EU spricht gerne davon, wie bedeutend der Kampf gegen Desinformation ist, zuletzt besonders auch im Kontext von Covid-19. Man könnte deshalb den Eindruck gewinnen, dass sie sich auf dem richtigen Weg befindet. Aber die Arbeit der Stratcom ist zu einer rein bürokratischen Angelegenheit degradiert worden. Sie ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis der EU zu den europäischen Werten”, sagt Monika Richter, eine ehemalige Angestellte der Stratcom im Gespräch mit China.Table.

    Im Mai 2020 hatte die Tschechin mit kanadischer und US-Staatsbürgerschaft die Stratcom nach einem Streit mit ihren Vorgesetzten verlassen und heuerte bei einem privaten Unternehmen in Washington an. Intern hatte die 29-Jährige der Institution “Selbstzensur” vorgeworfen, nachdem ein EU-Bericht zu China vor seiner Veröffentlichung modifiziert worden war. Dort hatte es zunächst geheißen, Peking wolle mit einer globalen Desinformationskampagne von der “Schuld für den Ausbruch der Pandemie ablenken und sein internationales Image verbessern”, versehen mit dem Hinweis, dass sowohl “offene als auch verdeckte Taktiken” beobachtet worden seien. Nach Drohungen der Chinesen wurde die Passage entfernt. Die Stratcom argumentierte, dass sie nach sorgfältiger Abwägung nicht ausreichend Evidenz zur Aufrechterhaltung der Passage gefunden und deswegen den Bericht verändert hätte. Richter habe man mitgeteilt, sie sei keine Aktivistin, sondern Angestellte des EAD, sagt sie.

    Bei der Stratcom, einer Abteilung mit insgesamt 38 Mitarbeiter:innen unter der Leitung des Deutschen Lutz Güllner, befassen sich zurzeit drei Expert:innen am sogenannte China-Desk mit Desinformation aus Fernost. Drei gegen Tausende. Unterstützt wird das Team von zwei Kräften aus dem Länderreferat im EAD sowie von einigen externen Quellen und Data-Analysten. Es gehe nicht darum, den Hagel an Desinformationen mit eigenen Narrativen zu kontern, geschweige denn zu beenden, sondern das Problem in die Köpfe der Europäer zu bekommen, heißt es. Die baldige Vergrößerung des Teams auf vier China-Expert:innen ist wahrscheinlich. In der Stratcom weiß man aber, dass diese Aufstockung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.

    Borrell: Zu wenig Geld, zu wenig Personal

    EAD-Chef und EU-Außenbeauftragter Josep Borrell klagte Anfang März darüber, dass weder ausreichend finanzielle noch personelle Ressourcen zur Verfügung stünden, um sich ebenso intensiv mit China befassen zu können wie mit Russland. Das Budget der Abteilung wurde sukzessive auf aktuell elf Millionen Euro aufgestockt. Doch die Abteilung kümmert sich neben Russland und China auch um den West-Balkan, Nordafrika und den Mittleren Osten. Mit dem Geld muss die Abteilung Strukturen aufbauen, um die Nachrichtenströme zu beobachten, den Austausch mit den Mitgliedstaaten organisieren und externe Analysen einkaufen, um ein besseres Verständnis für die Strategie und Ziele der schädlichen Quellen zu gewinnen. Es heißt, das Europaparlament werde sich bald erneut mit der Budget-Frage für die Stratcom befassen.

    Richter hält das Geld-Argument nur für ein Symptom eines grundsätzlichen Problems. Sie habe einen “dramatischen Mangel an politischem Willen” festgestellt. Die EU habe dabei versagt, “die ernsthafte Bedrohung durch ausländischen, autoritären Einfluss auf europäische Demokratien anzuerkennen”. Tatsächlich erteilte der Europäische Rat der EU-Staats- und Regierungschefs dem EAD 2015 das offizielle Mandat, russische Propaganda zu entlarven und über den Aufbau von eigenen Netzwerken in die Mitgliedstaaten zu kommunizieren. Ein vergleichbares Mandat für China gibt es seitens des Rates immer noch nicht. Auch darauf hatte Borrell verwiesen.

    Limitierte Ressourcen zwingen die Stratcom dazu, Prioritäten zu setzen. Nicht jeder Einzelfall kann dokumentiert werden, weswegen ein lückenhaftes Bild entsteht. Der Abteilung bleibt nur die Möglichkeit, das Problem immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen und mit Fakten zu unterfüttern. Wie damit umgegangen werden soll, müssen am Ende die Mitgliedstaaten entscheiden. “Es bedarf höherer Investitionen in Forschung und Analyse, um die Absichten und das Verhalten der Chinesen zu verstehen. Mit einer höheren Finanzierung wäre man besser in der Lage, der Manipulation entgegenzuwirken”, sagt Nad’a Kovalčíková von der Alliance for Securing Democracy, einem Forschungsprogramm des German-Marshall-Fund. China nutze eine Palette zahlreicher Werkzeuge wie Desinformation, aber auch wirtschaftliche Zwänge, die anderen Staaten auferlegt würden, oder Cyberangriffe. “Der EU muss es gelingen, die Verbindungen zwischen diesen einzelnen Aspekten herzustellen, um die zugrunde liegende Strategie erkennen zu können”, sagt Kovalčíková.

    China will sein Image aufpolieren

    Die Stratcom hat dem Vernehmen nach einen deutlichen Unterschied zwischen russischer und chinesischer Desinformation festgestellt. Die Russen versuchten, den gesellschaftlichen Unterbau in der Europäischen Union auszuhöhlen. Dazu verwenden sie wesentlich mehr Falschinformationen als die Chinesen das tun. Auf der Internetseite euvsdisinfo.eu dokumentiert die Stratcom Tausende Beispiele seit 2015. China dagegen sei darauf konzentriert, sein Image in der Welt aufzupolieren. Dazu seien Falschinformationen weniger nützlich als die Manipulation in einem bestimmten Kontext. Auch würde China konsequent Narrative unterdrücken, sowohl im Fall von Covid-19 als auch bei Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang, der Zerstörung Hongkonger Rechtsstaatlichkeit, aber auch der Tibet- und Taiwan-Fragen.

    Dadurch gelänge es der chinesischen Propaganda, die Ränder von Meinungsspektren zu stärken und Diskussion darüber anzufeuern, ob die Argumentation Pekings nicht doch die richtige sei. Ex-Stratcom-Mitarbeiterin Richter sagt: “Chinesische Manipulationsversuche wirkten deutlich weniger aggressiv, während die russische Manipulation sehr auffällig war.” Auch deshalb kümmern sich in der Stratcom deutlich mehr Mitarbeiter:innen um Russland als um China.

    Mit dem Rapid Alert System will die Stratcom gegensteuern. Das Instrument ist eine Art Netzwerk von Expert:innen in den Mitgliedstaaten, die in der Lage sind, Hinweise auf Desinformationen und deren Absichten im europäischen Interesse auch sinnvoll zu verwerten und weiterzuleiten. In vielen der 27 EU-Staaten würden diese Hinweise sonst ins Leere laufen, weil dort die Strukturen fehlen, um sie entsprechend aufzugreifen. Bis vor drei Jahren hat es eine solche Vernetzung nicht gegeben.

    “Die Verarbeitungsprozesse in den einzelnen EU-Staaten sind sehr unterschiedlich”, sagt Kovalčíková vom GMF. Wie es gut funktioniert, hätten die Schweden vorgemacht. Bereits weit ein Jahr vor der letzten Parlamentswahl im Jahr 2018 hatte die Regierung begonnen, ihre Bürger:innen, Medien und Verwaltung darauf vorzubereiten, dass ausländische Kräfte versuchen könnten, Einfluss zu nehmen auf den Wahlausgang. Ein Indikator dafür, dass die Strategie aufging, war die Tatsache, dass ein Rechtsruck vermieden wurde. Kovalčíková: “Es bleibt dennoch eine Menge Arbeit übrig. Die Aufmerksamkeit für die Gefahr der Einflussnahme durch Drittstaaten muss über den Wahlzyklus hinaus gehen. Entscheidend ist, dauerhaft das Bewusstsein in der Bevölkerung für dieses Problem zu wecken .”

    • EEAS
    • Geopolitik
    • KP Chinas
    • Zivilgesellschaft

    News

    Solar-Riese Longi investiert in Wasserstoff

    Der global führende Hersteller von Solarmodulen, Longi, steigt in den Wasserstoffsektor ein, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Gemeinsam mit einem Private-Equity-Fonds hat Longi das Wasserstoff-Tochterunternehmen Xi’an Longi Hydrogen Technology mit einem Startkapital von umgerechnet 38 Millionen Euro gegründet. Auch staatliche Energiekonzerne wie Sinopec haben schon in den Wasserstoffsektor investiert, um Pekings Ziel voranzubringen, bis 2030 den Höhepunkt der CO2-Emissionen zu erreichen.

    Wasserstoff könnte in Zukunft ein wichtiges Speichermedium werden, um überschüssige Sonnen- und Windenergie zu speichern und in Flauten abrufbar zu machen. Im letzten Jahr hat China einen Rekord bei neu installierten Windkraftanlagen gemeldet. Auch die Solarstromkapazität soll weiter steigen. Dementsprechend wird die Nachfrage nach Speicherkapazität ebenso anwachsen. “Das Solar-zu-Wasserstoff-Modell könnte das Problem [mangelhafter Speicherkapazität] effektiv lösen”, schrieb Longi in einem Beitrag auf einem der Social-Media-Kanäle des Unternehmens. nib

    • Batterien
    • Energie
    • Erneuerbare Energien
    • Longi
    • Technologie

    IWF erhöht Wachstumsprognose auf 8,4 Prozent

    Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognose für China für 2021 auf 8,4 Prozent erhöht, teilte der IWF gestern mit. Damit liegt die neue Prognose 0,3 Prozentpunkte höher als noch im Januar erwartet. Die Volksrepublik würde damit dem Währungsfonds zufolge die stärkste Wachstumsrate seit 2011 verzeichnen.

    Wirksame Eindämmungsmaßnahmen, eine energische Reaktion mit öffentlichen Investitionen und die Liquiditätsunterstützung der Zentralbank” hätten die “starke Erholung” Chinas ermöglicht, teilte der IWF mit. Die Volksrepublik habe bereits 2020 ihr Bruttoinlandsprodukt von vor der Corona-Pandemie wieder erreicht – vielen anderen Staaten werde das erst “weit in das Jahr 2023” gelingen, so der Währungsfonds.

    Für das weltweite Wachstum geht der IWF weiterhin von 5,6 Prozent aus. Die Organisation warnte vor geopolitischen Konflikten zwischen Washington und Peking, die die Erholung belasten könnten: “Die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China sind an zahlreichen Fronten, einschließlich der des internationalen Handels, des geistigen Eigentums und der Cybersicherheit, nach wie vor hoch”, hieß es. ari

    • Innenpolitik der KP China
    • IWF
    • Wirtschaft

    Propaganda-Offensive zum Parteigeburtstag

    Anlässlich des 100. Geburtstags der KP Chinas (China.Table berichtet) sollen Kinos in der Volksrepublik zweimal wöchentlich Propagandafilme zeigen. Bis Jahresende sollen Filmtheater “in jeder Provinz, Region und Stadt” Werke auf die Leinwände bringen, die sich um “die Liebe für die Partei, die Liebe für das Land und die Liebe für den Sozialismus drehen”, wie die Nationale Filmverwaltung Chinas mitteilte. In zwei Kino-Ketten sollen demnach sogar mindestens fünfmal wöchentlich ausgesuchte Propagandafilme gezeigt werden. Geplant ist, Parteimitglieder, Funktionäre und andere Zuschauer zu mobilisieren, um sicherzustellen, dass die Kinos bei den Aufführungen gut besucht sind.

    Zu den zwölf von Behörden ausgewählten Filmen gehören sieben Werke aus den 1950er- und 1960er-Jahren, einer aus den 80er-Jahren sowie drei aktuelle Filme und eine Neuerscheinung (“Landminenkrieg”) – die meisten Werke sind Kriegsfilme. Neben Filmvorführungen sollen auch Ausstellungen und Theatervorführungen “die großen Errungenschaften und wertvollen Erfahrungen” der KP Chinas widerspiegeln, wie der Direktor der Nationalen Filmverwaltung und führender Beamte der Propagandaabteilung, Wang Xiaohui, bei einer Pressekonferenz sagte. Die KP Chinas begeht am 1. Juli ihren 100. Geburtstag (alles zur KP Chinas im China.Table). nib

    • 100 Jahre KP Chinas
    • Filmindustrie
    • KP Chinas
    • Kultur
    • Propaganda

    Portrait

    Bernhard Weber

    Bernhard Weber ist der Geschäftsführer von Baden-Württemberg International in Nanjing und Repräsentant des Landes Baden-Württemberg in China.
    Geschäftsführer von Baden-Württemberg International in Nanjing und Repräsentant des Landes Baden-Württemberg in China

    Das erste Mal kam Bernhard Weber Anfang der 1980er-Jahre als Student der Shandong University nach China. “Das war damals ein Land praktisch ohne Autos. Eine Stadt wie Shanghai hatte wahrscheinlich kaum mehr als 500 PKWs”, erzählt Weber, um die rasante Entwicklung zu verdeutlichen. Mittlerweile ist der 62-jährige Geschäftsführer der chinesischen Zweigstelle der Landesagentur Baden-Württemberg International (BW-I) mit Sitz in der sechs Millionen Metropole Nanjing in der ostchinesischen Provinz Jiangsu. Er unterstützt Unternehmen aus Baden-Württemberg im chinesischen Markt Fuß zu fassen.

    Der Firmenpool, den Weber betreut, umfasst rund 20 kleinere und mittlere Unternehmen. Diese Zahl könnte aber deutlich höher sein, wie Weber findet: “China ist immer noch ein Markt, der gerade für kleinere Unternehmen sehr weit weg ist. Viele Unternehmer sind in dieser Hinsicht sehr konservativ.” Daher trauten sich immer noch zu wenige, selbst diesen risikoarmen Schritt, sich bei der Sondierung des chinesischen Marktes beraten zu lassen.

    Trotzdem kann Weber auch in der aktuellen Pandemie nicht über ausbleibende Arbeit klagen. “Die Unternehmen, die sich bereits vor der Pandemie hier angesiedelt haben, profitieren davon, dass die Wirtschaft hier kaum von Corona betroffen ist.” Und auch im vergangenen Jahr haben zwei Firmen den Service der BW-I genutzt und sind in das Chinageschäft eingestiegen. Für Weber gilt, dass die Zusammenarbeit mit den Unternehmen nur eine Übergangslösung ist. So stellt Baden-Württemberg International beispielsweise Büro-Infrastruktur und Personalverwaltung für deutsche Investoren in China bereit. Dadurch können die Unternehmer ihr Geschäft ohne Vorlaufzeit starten und haben weniger bürokratischen Aufwand.

    Bernhard Weber in Nanjing vor den Wolkenkratzern

    Weber übernimmt neben dem Tagesgeschäft auch die Repräsentanz von Baden-Württemberg in den beiden Partnerprovinzen Jiangsu und Liaoning. Normalerweise gehört dazu neben der Kontaktpflege zu verschiedenen Regierungsstellen auch ein jährliches Treffen der regionalen Regierungsvertreter. “Das ist natürlich alles im vergangenen Jahr flachgefallen.”

    Den Weg nach China verdankt Weber seine Affinität zu Sprachen – und einem Japaner, mit dem er sich in einem Französischsprachkurs anfreundete. “Der hat zu mir gesagt, lern lieber chinesisch. Die machen gerade ihren Laden auf und werden in Zukunft Leute aus dem Ausland brauchen, die die eigene Sprache sprechen.” Damals gab es drei Universitäten, die ein Sinologiestudium mit modernem Chinesisch anboten. Den ersten Job in China bekam Weber bei einem Joint-Venture der Siemenstochter KWU. Mittlerweile lebt Weber mit seiner Familie seit 26 Jahren in Nanjing. Er war schon dort, bevor die Stadt ihre Wolkenkratzer bekam und die Welt den chinesischen Markt für sich entdeckte. David Renke

    • Bernhard Weber
    • China Strategie 2022
    • Deutschland
    • Geopolitik
    • Handel
    • Jiangsu
    • Liaoning
    • Nanjing

    Dessert

    Kaffeebohnen fallen in einen großen Metallkessel.

    Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Coffee-Shops als in Shanghai. Laut einem Bericht des that’s-Mag gibt es in Chinas 26-Millionen-Metropole über 7.000 davon. Damit schlägt Shanghai London (3.233), Tokyo (3.826) und New York mit 1.591 Coffee-Shops. Spitze im Bereich Coffee-Shops pro Kopf bleibt London, wo auf 10.000 Einwohner 3,69 Läden kommen. In Shanghai sind es “nur” 2,85.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen