lange hat es gedauert, ehe die Bundesregierung am Donnerstagvormittag endlich ihre ausführliche China-Strategie der Öffentlichkeit vorlegte. Felix Lee stellt sie in unsrer heutigen Ausgabe vor, Marcel Grzanna geht mehr ins Detail. Die gute Nachricht: Menschenrechte spielen eine gewichtige Rolle. Mal sehen, ob den Worten auch Taten folgen.
Außeninisterin Annalena Baerbock wurde auf einer Veranstaltung des China-Forschungsinstitut Merics noch wesentlich deutlicher als das Papier, das die Minister wenige Minuten zuvor im Kanzleramt verabschiedet hatten. Das Außenministerium hatte zwar die Federführung bei seiner Abfassung, doch es ist die gemeinsame Strategie aller Ministerien und des Kanzleramts. Die Sprache klingt daher immer dort besonders vorsichtig, wo viele Interessen berührt werden.
Die Grünen-Ministerin machte aus ihren Vorbehalten in zwei Richtungen keinen Hehl. Sie stellte den Aspekt von China als Rivalen, gegen den Deutschland sich zu wappnen habe, eindeutig in den Vordergrund. Und sie teilte gegen die Industrie aus, der sie unterstellte, darauf zu setzen, dass sie der Steuerzahler rette, wenn es eine China-Krise gibt.
In der Strategie finden sich diese Gedanken auch, aber zurückhaltender ausgedrückt. Was Peking darüber denkt? Das wissen wir nicht. Die deutsche Regierung hat die Übersetzung in Mandarin noch nicht fertig.
Sie ist prägnanter und eindeutiger ausgefallen, als nach dem langen Gerangel innerhalb der Koalition im Vorfeld befürchtet wurde: Am letzten Tag vor der Sommerpause hat die Bundesregierung Deutschlands erste China-Strategie veröffentlicht. Das Warten bis Donnerstag hat sich gelohnt. Umrisse eines ganz neuen Umgangs mit der zweitgrößten Volkswirtschaft lassen sich in dieser Strategie erkennen.
“China hat sich verändert – dies und die politischen Entscheidungen Chinas machen eine Veränderung unseres Umgangs mit China erforderlich”, heißt es gleich zu Beginn der 64-seitigen Strategie. Das ist eine ganz zentrale Botschaft an all jene in Deutschland, die denken, man könne ewig weiter gute Wirtschaftsbeziehungen mit der autoritären Volksrepublik pflegen, die massiv zugenommenen Menschenrechtsverletzungen im Innern und die zunehmend aggressive Außenpolitik und die geopolitischen Veränderungen aber ignorieren.
“Wir zeigen Wege und Instrumente auf, wie Deutschland im Herzen Europas mit China zusammenarbeiten kann, ohne unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, ohne unseren Wohlstand und unsere Partnerschaft mit anderen Ländern auf dieser Welt zu gefährden”, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in einer Rede vor dem China-Thinktank Merics in Berlin.
Drei Aspekte der China-Strategie waren der Außenministerin besonders wichtig:
Als Adressaten der Strategie sind vor allem vier Gruppen zu erkennen:
Sowohl Kanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Baerbock betonten den Willen zur Zusammenarbeit mit dem größten Handelspartner Deutschlands. “Kritische Themen wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und fairen Wettbewerb sprechen wir dabei immer an”, betonte der Kanzler auf Twitter. “Wir brauchen China, aber China braucht auch uns in Europa”, sagte Baerbock bei der Merics-Veranstaltung. “Wir sind realistisch, aber nicht naiv.”
Streit hatte es insbesondere zwischen Kanzleramt und den grün-geführten Außen- und Wirtschaftsministerien gegeben. Baerbock und das von Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium hatten für eine härtere Gangart nicht nur gegenüber China, sondern auch gegenüber den Unternehmen gefordert, die massiv auf das China-Geschäft setzen, namentlich Volkswagen, BASF, Mercedes-Benz und Siemens.
“Die China-Strategie gibt unseren Beziehungen einen neuen Rahmen”, schrieb nun auch Scholz auf Twitter. Deutschland wolle “kritische Abhängigkeiten künftig vermeiden”. Eine Minderheitsbeteiligung der chinesischen Staatsreederei Cosco an einer Betreibergesellschaft am Container-Terminal im Hamburger Hafen, wie sie Scholz gegen den Widerstand der Grünen noch vor einigen Wochen durchgesetzt hatte, dürfte es mit der nun formulierten China-Strategie vermutlich nicht mehr geben.
Die Unionsfraktion im Bundestag unterstützt die Ampel-Regierung. Die Union sei zu einem “nationalen Konsens” bereit, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Nicolas Zippelius. Zugleich habe er sich in einigen Bereichen “mehr gewünscht”, etwa ein nationales China-Kompetenzzentrum.
In Peking äußerte sich niemand unmittelbar auf die Veröffentlichung der China-Strategie. Doch schon bei der Vorstellung der deutschen Sicherheitsstrategie vor einem Monat hatte die kommunistische Führung deutliche Kritik geübt. Internationale Beziehungen aufzubauen, “indem man andere als Konkurrenten, Rivalen oder sogar Gegner betrachtet und normale Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit und Politik verwandelt, wird unsere Welt nur in einen Strudel der Spaltung und Konfrontation treiben”, hatte Außenamtssprecher Wang Wenbin gesagt.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen von 1948 ist der Volksrepublik China ein Dorn im Auge. Der universelle Geltungsanspruch der Charta schafft eine große Angriffsfläche, auf der ein zunehmend totalitäres Regime wie das chinesische immer wieder zur Zielscheibe wird. Chinas perfider Absicht, sich der Welt als freundliche Diktatur zu präsentieren, läuft die UN-Erklärung diametral entgegen.
Mit ihrer China-Strategie setzt die Bundesregierung der permanenten Verwässerungstaktik aus Peking ein Stoppschild entgegen. “Mit Sorge betrachtet die Bundesregierung Bestrebungen Chinas, die internationale Ordnung entlang der Interessen seines Einparteiensystems zu beeinflussen und dabei auch Grundfesten der regelbasierten Ordnung, wie bspw. die Stellung der Menschenrechte, zu relativieren”, heißt es in der Einleitung des Papiers.
Die Strategie thematisiert die Menschenrechtsproblematik auf breiter Front und erhebt sie zu einem zentralen Faktor der eigenen politischen Ausrichtung gegenüber dem Land. “Wir können unsere Augen vor den Veränderungen in Chinas Politik nicht verschließen; sie beeinflussen die Qualität unserer Beziehungen.”
Kritisiert werden die Unterdrückungspolitik gegen Uiguren, Tibeter und andere ethnische Minderheiten, die politische Säuberung gegen Oppositionelle in Hongkong, der Umgang mit Meinungsfreiheit und Bürgerrechtlern, aber auch mit Frauen und marginalisierten Gruppen. Dies sei “ein Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft”.
Das Papier gesteht China keine Sonderrolle zu. “Wir respektieren die jeweils eigene Geschichte und Kultur jedes Landes. Gleichzeitig sind die universellen Menschenrechte nicht relativierbar, sondern unveräußerlich und weltweit gültig”, heißt es.
Die Bundesregierung betrachtet die Situation der Uiguren im europäischen Kontext. “Aus der Verletzung von Menschenrechten dürfen keine Wettbewerbsvorteile entstehen. China hat die beiden grundlegenden Standards der Internationalen Arbeitsorganisation zum Verbot von Zwangsarbeit ratifiziert; die Bundesregierung legt besonderen Wert auf deren umfassende praktische Umsetzung und setzt sich dafür ein, dass Produkte aus Zwangsarbeit nicht im europäischen Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden dürfen.”
Der Weltkongress der Uiguren (WUC) begrüßte die Unterstützung einer EU-Verordnung für ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit. “Wir erwarten daher nun, dass Politik und Unternehmen wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen”, sagte Berlin-Direktor Haiyuer Kuerban.
Auch aus dem EU-Parlament gab es Zustimmung. China sei für die EU nicht zuletzt deshalb ein wirtschaftlicher Rivale, weil sich Peking durch die Umgehung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards Vorteile verschaffe, sagte der Vorsitzende der China-Delegation im Europaparlament, René Repasi (SPD). Ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit und das europäische Lieferkettengesetz seien daher Instrumente, die auch für eine Durchsetzung europäischer Wirtschaftsinteressen gegenüber China sorgten.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Renata Alt (FDP), forderte eine schnelle Umsetzung des Papiers: “Es ist wichtig, dass die Strategie die Menschenrechte betont und auch die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und Tibet anprangert, jedoch müssen den Worten nun dringend Taten folgen.”
Der Geschäftsführer der International Campaign for Tibet (ICT), Kai Müller, begrüßte prinzipiell die Nennung der prekären Lage von Uiguren, Tibetern und Hongkongern, hätte sich aber eine noch deutlichere Sprache gewünscht, um das Ausmaß der ‘Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ zu beschreiben. “Das Bild ist gemischt, und es wird darauf ankommen, wie die Strategie konkret umgesetzt wird und ob im Schwerpunkt Wirtschafts- und Handelspolitik unseren Diskurs bestimmen werden”, sagte Müller.
Großbritanniens parlamentarischer Geheimdienst- und Sicherheitsausschuss (ISC) kritisiert die China-Strategie der Londoner Regierung. Mit der Bedrohung der nationalen Sicherheit durch die Volksrepublik werde völlig falsch umgegangen und langfristigen Risiken zu wenig Beachtung geschenkt. Derweil stünden kurzfristige wirtschaftliche Vorteile von Investitionen im Vordergrund.
ISC-Chef Julian Lewis wies insbesondere auf die Gefahr der politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme hin. Diese stelle möglicherweise “eine existenzielle Bedrohung für liberale, demokratische Systeme” dar. China nutze seine umfangreichen Nachrichtendienste, um aggressiv gegen britische Interessen vorzugehen und in jeden Bereich der Wirtschaft vorzudringen. Dies geschehe größtenteils völlig offen durch Firmenübernahmen sowie Verbindungen in Industrie und Wissenschaft. Von der chinesischen Botschaft in London kam zunächst keine Stellungnahme.
Der britische Premierminister Rishi Sunak erklärte zu dem Bericht, China stelle für die Weltordnung eine Herausforderung dar, die eine ganze Epoche präge. Sunak steht in seiner konservativen Partei unter Druck, eine härtere Linie gegenüber der Volksrepublik zu verfolgen. Der Regierungschef tendiert zwar inzwischen mehr in diese Richtung, warnt aber zugleich – letztlich im Einklang mit den meisten Stimmen in Europa – vor einer Entkopplung des Westens von China. rtr
Die kanadische Ombudsstelle für verantwortungsvolles Wirtschaften hat der Nachrichtenagentur AFP zufolge Ermittlungen gegen das kanadische Tochterunternehmen des US-Sportartikelherstellers Nike sowie eine kanadische Bergbaufirma wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen in China eingeleitet. Die Unternehmen stünden im Verdacht, entlang ihrer Lieferketten von uigurischen Zwangsarbeitern profitiert zu haben, erklärte die Behörde am Dienstag laut AFP. Nike Canada soll demnach mit chinesischen Unternehmen zusammengearbeitet haben, die Zwangsarbeiter der muslimischen Minderheit einsetzen.
Eine Gruppe von Menschenrechtsorganisationen hatte im vergangenen Juni Beschwerde gegen Nike und das Bergbauunternehmen Dynasty Gold eingereicht. Der Ombudsstelle zufolge gibt Nike mittlerweile an, keine Verbindungen mehr zu den fraglichen chinesischen Unternehmen zu haben. Dynasty Gold habe erklärt, es habe keine operative Kontrolle mehr über die Mine und die Anschuldigungen seien erst aufgekommen, nachdem es sich aus der Region zurückgezogen habe. flee
Die Sicherheitspolizei hat die Familie des Hongkonger Demokratie-Aktivisten Nathan Law befragt und unter Druck gesetzt. Die Beamten haben zudem die Wohnungen von Laws Eltern und seinem älteren Bruder im Stadtviertel Tung Chung gegen sechs Uhr morgens durchsucht, berichten lokale Medien.
Law lebt inzwischen in London und gehört zu den acht Aktivisten, auf die Hongkong vergangene Woche ein Kopfgeld von einer Million Hongkong-Dollar (rund 120.000 Euro) ausgesetzt hat. Der Vorwurf gegen die betroffenen Ex-Parlamentarier, Juristen, Publizisten, Ex-Studentenführer und Gewerkschafter lautet: Verstoß gegen das vor drei Jahren auf Druck Pekings erlassene Nationale Sicherheitsgesetz (NSL).
Nach Angaben der Sing Tao Daily wurden Laws Angehörige im Laufe des Tages wieder freigelassen. Die Befragung der Familie Laws ist ein Hinweis, dass die Kopfgelder keine leere Drohung sind. “Wir werden sie für den Rest ihres Lebens verfolgen, auch wenn sie bis ans Ende der Welt laufen”, hatte Regierungschef John Lee über die Aktivisten gesagt. Auch in Festlandchina werden exilierte Dissidenten durch Druck auf im Land gebliebene Familien eingeschüchtert. ck
Der Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre hegt große Zweifel an der Aussagekraft einer Untersuchung des Volkswagen-Werkes in Ürümqi. In einem offenen Brief, der China.Table vorab vorliegt, weist der Verband auf die drastische Unterdrückungspolitik in der uigurischen Region hin. Diese mache es unmöglich, valide Informationen vor Ort zu erheben.
Zwar begrüßen die Kritischen Aktinäre die Tatsache, dass Volkswagen das Risiko potenzieller Menschenrechtsverletzungen im Volkswagen-SAIC Werk in Urumqi ernst nehme. Jedoch gebe es insbesondere in Bezug auf die Lieferketten schwerwiegende Hinweise auf Zwangsarbeit. “In Bezug auf die von Volkswagen geplante Überprüfung des Volkswagen-SAIC-Werks haben wir begründete Zweifel, ob nun ein externes Audit in diesem konkreten Fall eine effektive und ausreichende Maßnahme darstellen kann”, heißt es in dem Schreiben, das am heutigen Dienstag veröffentlicht wird.
Volkswagen-Chef Oliver Blume hatte Ende Juni “ein transparentes, unabhängiges externes Audit” und “volle Transparenz” angekündigt. Der Konzern kommt damit einer zentralen Forderung von Fondsgesellschaften nach, die zu den Großaktionären von Volkswagen gehören. Bei der Aktionärsversammlung im Mai war es mehrfach zu Protesten von Aktivisten gekommen. Ihr Vorwurf: Volkswagen verdiene Geld auf Kosten uigurischer Zwangsarbeiter.
Die Kritischen Aktionäre wollen nun unter anderem wissen, wie Unabhängigkeit und Aussagekraft der Ergebnisse gewährleistet werden können und ob Beschäftigte frei und ohne Gefahr von staatlichen Repressionen sprechen können. Zudem schlagen die Krtischen Aktionären eine Brücke zur Problematik der Lieferketten und fragen, ob das Audit sowohl Zulieferer des Volkswagen-SAIC-Werks in Urumqi als auch Zulieferer aus der betroffenen Region, die andere VW-Standorte beliefern, umfasse.
Im Dezember 2022 hatte die Sheffield Hallam University einen umfangreichen Bericht veröffentlicht, der die Wahrscheinlichkeit von uigurischer Zwangsarbeit in den Lieferketten der Automobilindustrie belegt. Betroffen davon ist nicht nur Volkswagen, sondern auch andere deutsche und internationale Hersteller wie Mercedes, BMW, Toyota, Ford. grz
Die Rechercheorganisation Correctiv berichtet über den Fall eines chinesischstämmigen Deutschen, den die Behörden in China zur Preisgabe der Namen von Regierungskritikern zwingen wollten. Die chinesische Geheimpolizei hat den Mann bei der Einreise nach China am Flughafen festgenommen. Die Beamten zwangen ihn demnach zu dem Geständnis, in Deutschland an Aktivitäten gegen China teilgenommen zu haben.
Der Fall zeigt, wie schwer es für ausgewanderte Chinesen zuweilen ist, sich dem Griff des Regimes zu entziehen. Das gilt insbesondere, wenn sie sich für Demokratie engagieren oder kritisch äußern.
Der Zugriff durch chinesische Sicherheitsleute konnte nur erfolgen, weil der Deutschchinese zu einem Pflichtbesuch in China zurückreisen musste, um nach Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft seinen chinesischen Pass aufzugeben. Dieser vorgeschriebene Schritt stellt dem Correctiv-Bericht zufolge ein erhebliches Risiko beim Wechsel der Staatsbürgerschaft dar. fin
Ein vierfacher Gruppenselbstmord löste zu Anfang dieses Monats in den chinesischen sozialen Medien eine Welle von Bestürzung und Anteilnahme über das harte Leben von Millionen von Chinesen aus, die im Leben keine Hoffnung mehr sehen.
Drei von ihnen sprangen am 4. April von einem gläsernen Skywalk in Zhangjiajie, einer beliebten Touristenattraktion in der Provinz Hunan in Zentralchina. Die vierte wurde von Besuchern davon abgehalten zu springen, verstarb aber dennoch, da alle vier zuvor Gift geschluckt hatten.
Die vier Menschen im Alter zwischen 23 und 34 Jahren stammen aus unterschiedlichen Provinzen. Laut Polizeiangaben hatten sie sich über das Internet kennengelernt. Alle vier hinterließen ähnliche Abschiedsbriefe, in denen sie erklärten, dass sie sich aus freiem Willen das Leben genommen haben und dass sie nicht dazu angestiftet wurden. Warum sie sich entschlossen haben, diese Welt zu verlassen, verrieten sie jedoch nicht.
Die in Peking ansässige Lifeweek war das einzige Medium, das einen relativ ausführlichen Bericht veröffentlicht hat. Die Journalisten hatten bei Angehörigen und Bekannten der vier recherchiert. Dem Bericht zufolge stammen sie alle aus ärmlichen Verhältnissen vom Lande und haben als Wanderarbeiter in den Städten gearbeitet.
Während der genaue Grund für ihren Suizid noch immer nicht geklärt ist – und es vermutlich auch nie sein wird, da die Regierung kaum nähere Angaben über ein solch negatives Ereignis zulassen wird – vermuten Kommentatoren in Selbstmedien (自媒体 zì méitǐ) und andere Internetnutzer bereits, dass die Verzweiflung über ihr hartes Leben der Grund war.
“Heutzutage gibt es nur noch wenige Menschen, die nicht genug zu essen haben, aber es gibt zu viele, die keine Hoffnung im Leben sehen”, schreibt Xiang Dongliang, ein ehemaliger Journalist, der einen Kanal auf der chinesischen Social-Media-Plattform WeChat betreibt. “Die Arbeit, die viele Menschen zum Überleben verrichten müssen, ist schlichtweg unerträglich”, schreibt er in seinem Artikel.
In der Tat müssen die Menschen in Peking und Shanghai nicht erst in arme Dörfer reisen, um zu sehen, wie unerträglich das Leben sein kann. Les Misérables begegnen ihnen in den Städten tagtäglich.
Lieferfahrer, die in Eile Lebensmittel und Online-Einkaufspakete ausliefern, gehören zum Stadtbild. Sie arbeiten mindestens zehn Stunden am Tag – zwölf Stunden oder sogar mehr sind dabei keine Seltenheit. Auf ihren Elektrofahrrädern ignorieren sie sämtliche Ampeln, und wenn sie zu Fuß unterwegs sind, rennen sie. Der Grund für ihren hektischen Arbeitsalltag ist einfach: Es gibt viele Dinge auszuliefern, und wenn sie zu langsam sind, werden sie schwer bestraft. Wenn sich ein Kunde über den Service beschwert, was nicht selten vorkommt, fällt die Bestrafung noch härter aus. Dabei verdienen die meisten von ihnen zwischen 7.500 und 9.000 Yuan (1.000-1.200 Euro) im Monat.
Jeden Tag zwischen 14.30 und 16.30 Uhr trifft man in den stillen Ecken der Einkaufszentren in den vielen Restaurants auf Grüppchen von Lieferanten, erschöpft und in dreckiger Firmenkleidung, die auf schlichten Stühlen sitzen und vor sich hin dösen. Sie halten ihr kostbares Nachmittagsnickerchen, bevor die Abendessenszeit beginnt.
Die meisten Fahrer von DiDi, der chinesischen Variante des Fahrdienstes Uber, arbeiten ähnlich lange wie Lieferanten, und ihr Nettolohn ist vergleichbar. Die Arbeiter auf den Baustellen schuften rund um die Uhr. Ihre Bezahlung ist etwas besser, aber die Arbeit ist noch härter und ihr Arbeitsplatz ist alles andere als gesichert, vor allem in der derzeitigen Flaute im Immobiliensektor. Sie arbeiten alle für private Auftragnehmer, die ihre Aufträge aufschieben und den Lohn kürzen.
Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie weder sozial noch krankenversichert sind.
Wenn man mit den Menschen spricht, die diese Knochenjobs ausüben, dann hat jeder eine eigene Geschichte zu erzählen: die alten Eltern zu Hause, ein krankes Familienmitglied oder ein Schulkind. Bei den Jüngeren geht es oft um den ultimativen Traum, ein Haus zu kaufen oder zu bauen, eine Grundvoraussetzung für eine Ehe. Neben dem neuen Haus muss ein Mann, der auf dem Land und in kleinen Städten einen Heiratsantrag machen möchte, den Eltern der Braut eine Mitgift überreichen, das meist zwischen 50.000 Yuan und 500.000 Yuan (7.000 Euro bis 70.000 Euro) liegt.
Aber in Wirklichkeit geht es im täglichen Ringen eher darum, genug Geld zum Überleben zu verdienen. Sind einmal die tägliche Ausgaben getätigt sind, bleibt nicht mehr viel übrig.
Wenn also jemand schwer krank wird, gerät die ganze Familie in die Bredouille. Ist man nicht mehr in der Lage zu arbeiten, sind die Aussichten ebenfalls düster. Chinesischen Forschern zufolge ist die Selbstmordrate auf dem Lande bei den über 60-Jährigen wesentlich höher als im weltweiten Durchschnitt der gleichen Altersgruppe.
Dass China 800 Millionen Menschen aus der bitteren Armut befreit hat, ist mittlerweile so etwas wie ein fester Bestandteil eines jeden Artikels über die Erfolge des Landes in den vergangenen 40 Jahren. Ex-Premier Li Keqiang sagte jedoch auch, dass im Jahr 2020 immer noch mehr als 40 Prozent der 1,4 Millionen Chinesen mit 1.000 Yuan (137 Euro) pro Monat oder weniger auskommen müssen. Laut der Weltbank werden im Jahr 2022 fast 20 Prozent der Bevölkerung unter einer Armutsgrenze von durchschnittlich 6,85 US-Dollar pro Tag leben, was etwa 190 Euro pro Monat entspricht.
Die beiden Schätzungen stimmen nicht unbedingt miteinander überein. Aber die Aussage ist dieselbe: Die Armut in China bleibt ein Problem, das nicht ignoriert werden darf.
Aber auch für viele Besserverdienende ist das Leben nicht einfach. Im Februar dieses Jahres lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in chinesischen Unternehmen nach Angaben des Nationalen Statistikbüros bei 48 Stunden. Abgesehen von einer sehr kleinen Gruppe von Privilegierten müssen auch Fachkräfte in China mit großem Druck und langen Arbeitszeiten zurechtkommen, um ihren Job zu behalten. Das Leben dreht sich meist um endlose Arbeit.
Und das ist ein wesentlicher Grund, warum sie die Not der Verstorbenen nachempfinden können.
lange hat es gedauert, ehe die Bundesregierung am Donnerstagvormittag endlich ihre ausführliche China-Strategie der Öffentlichkeit vorlegte. Felix Lee stellt sie in unsrer heutigen Ausgabe vor, Marcel Grzanna geht mehr ins Detail. Die gute Nachricht: Menschenrechte spielen eine gewichtige Rolle. Mal sehen, ob den Worten auch Taten folgen.
Außeninisterin Annalena Baerbock wurde auf einer Veranstaltung des China-Forschungsinstitut Merics noch wesentlich deutlicher als das Papier, das die Minister wenige Minuten zuvor im Kanzleramt verabschiedet hatten. Das Außenministerium hatte zwar die Federführung bei seiner Abfassung, doch es ist die gemeinsame Strategie aller Ministerien und des Kanzleramts. Die Sprache klingt daher immer dort besonders vorsichtig, wo viele Interessen berührt werden.
Die Grünen-Ministerin machte aus ihren Vorbehalten in zwei Richtungen keinen Hehl. Sie stellte den Aspekt von China als Rivalen, gegen den Deutschland sich zu wappnen habe, eindeutig in den Vordergrund. Und sie teilte gegen die Industrie aus, der sie unterstellte, darauf zu setzen, dass sie der Steuerzahler rette, wenn es eine China-Krise gibt.
In der Strategie finden sich diese Gedanken auch, aber zurückhaltender ausgedrückt. Was Peking darüber denkt? Das wissen wir nicht. Die deutsche Regierung hat die Übersetzung in Mandarin noch nicht fertig.
Sie ist prägnanter und eindeutiger ausgefallen, als nach dem langen Gerangel innerhalb der Koalition im Vorfeld befürchtet wurde: Am letzten Tag vor der Sommerpause hat die Bundesregierung Deutschlands erste China-Strategie veröffentlicht. Das Warten bis Donnerstag hat sich gelohnt. Umrisse eines ganz neuen Umgangs mit der zweitgrößten Volkswirtschaft lassen sich in dieser Strategie erkennen.
“China hat sich verändert – dies und die politischen Entscheidungen Chinas machen eine Veränderung unseres Umgangs mit China erforderlich”, heißt es gleich zu Beginn der 64-seitigen Strategie. Das ist eine ganz zentrale Botschaft an all jene in Deutschland, die denken, man könne ewig weiter gute Wirtschaftsbeziehungen mit der autoritären Volksrepublik pflegen, die massiv zugenommenen Menschenrechtsverletzungen im Innern und die zunehmend aggressive Außenpolitik und die geopolitischen Veränderungen aber ignorieren.
“Wir zeigen Wege und Instrumente auf, wie Deutschland im Herzen Europas mit China zusammenarbeiten kann, ohne unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, ohne unseren Wohlstand und unsere Partnerschaft mit anderen Ländern auf dieser Welt zu gefährden”, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in einer Rede vor dem China-Thinktank Merics in Berlin.
Drei Aspekte der China-Strategie waren der Außenministerin besonders wichtig:
Als Adressaten der Strategie sind vor allem vier Gruppen zu erkennen:
Sowohl Kanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Baerbock betonten den Willen zur Zusammenarbeit mit dem größten Handelspartner Deutschlands. “Kritische Themen wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und fairen Wettbewerb sprechen wir dabei immer an”, betonte der Kanzler auf Twitter. “Wir brauchen China, aber China braucht auch uns in Europa”, sagte Baerbock bei der Merics-Veranstaltung. “Wir sind realistisch, aber nicht naiv.”
Streit hatte es insbesondere zwischen Kanzleramt und den grün-geführten Außen- und Wirtschaftsministerien gegeben. Baerbock und das von Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium hatten für eine härtere Gangart nicht nur gegenüber China, sondern auch gegenüber den Unternehmen gefordert, die massiv auf das China-Geschäft setzen, namentlich Volkswagen, BASF, Mercedes-Benz und Siemens.
“Die China-Strategie gibt unseren Beziehungen einen neuen Rahmen”, schrieb nun auch Scholz auf Twitter. Deutschland wolle “kritische Abhängigkeiten künftig vermeiden”. Eine Minderheitsbeteiligung der chinesischen Staatsreederei Cosco an einer Betreibergesellschaft am Container-Terminal im Hamburger Hafen, wie sie Scholz gegen den Widerstand der Grünen noch vor einigen Wochen durchgesetzt hatte, dürfte es mit der nun formulierten China-Strategie vermutlich nicht mehr geben.
Die Unionsfraktion im Bundestag unterstützt die Ampel-Regierung. Die Union sei zu einem “nationalen Konsens” bereit, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Nicolas Zippelius. Zugleich habe er sich in einigen Bereichen “mehr gewünscht”, etwa ein nationales China-Kompetenzzentrum.
In Peking äußerte sich niemand unmittelbar auf die Veröffentlichung der China-Strategie. Doch schon bei der Vorstellung der deutschen Sicherheitsstrategie vor einem Monat hatte die kommunistische Führung deutliche Kritik geübt. Internationale Beziehungen aufzubauen, “indem man andere als Konkurrenten, Rivalen oder sogar Gegner betrachtet und normale Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit und Politik verwandelt, wird unsere Welt nur in einen Strudel der Spaltung und Konfrontation treiben”, hatte Außenamtssprecher Wang Wenbin gesagt.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen von 1948 ist der Volksrepublik China ein Dorn im Auge. Der universelle Geltungsanspruch der Charta schafft eine große Angriffsfläche, auf der ein zunehmend totalitäres Regime wie das chinesische immer wieder zur Zielscheibe wird. Chinas perfider Absicht, sich der Welt als freundliche Diktatur zu präsentieren, läuft die UN-Erklärung diametral entgegen.
Mit ihrer China-Strategie setzt die Bundesregierung der permanenten Verwässerungstaktik aus Peking ein Stoppschild entgegen. “Mit Sorge betrachtet die Bundesregierung Bestrebungen Chinas, die internationale Ordnung entlang der Interessen seines Einparteiensystems zu beeinflussen und dabei auch Grundfesten der regelbasierten Ordnung, wie bspw. die Stellung der Menschenrechte, zu relativieren”, heißt es in der Einleitung des Papiers.
Die Strategie thematisiert die Menschenrechtsproblematik auf breiter Front und erhebt sie zu einem zentralen Faktor der eigenen politischen Ausrichtung gegenüber dem Land. “Wir können unsere Augen vor den Veränderungen in Chinas Politik nicht verschließen; sie beeinflussen die Qualität unserer Beziehungen.”
Kritisiert werden die Unterdrückungspolitik gegen Uiguren, Tibeter und andere ethnische Minderheiten, die politische Säuberung gegen Oppositionelle in Hongkong, der Umgang mit Meinungsfreiheit und Bürgerrechtlern, aber auch mit Frauen und marginalisierten Gruppen. Dies sei “ein Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft”.
Das Papier gesteht China keine Sonderrolle zu. “Wir respektieren die jeweils eigene Geschichte und Kultur jedes Landes. Gleichzeitig sind die universellen Menschenrechte nicht relativierbar, sondern unveräußerlich und weltweit gültig”, heißt es.
Die Bundesregierung betrachtet die Situation der Uiguren im europäischen Kontext. “Aus der Verletzung von Menschenrechten dürfen keine Wettbewerbsvorteile entstehen. China hat die beiden grundlegenden Standards der Internationalen Arbeitsorganisation zum Verbot von Zwangsarbeit ratifiziert; die Bundesregierung legt besonderen Wert auf deren umfassende praktische Umsetzung und setzt sich dafür ein, dass Produkte aus Zwangsarbeit nicht im europäischen Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden dürfen.”
Der Weltkongress der Uiguren (WUC) begrüßte die Unterstützung einer EU-Verordnung für ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit. “Wir erwarten daher nun, dass Politik und Unternehmen wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen”, sagte Berlin-Direktor Haiyuer Kuerban.
Auch aus dem EU-Parlament gab es Zustimmung. China sei für die EU nicht zuletzt deshalb ein wirtschaftlicher Rivale, weil sich Peking durch die Umgehung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards Vorteile verschaffe, sagte der Vorsitzende der China-Delegation im Europaparlament, René Repasi (SPD). Ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit und das europäische Lieferkettengesetz seien daher Instrumente, die auch für eine Durchsetzung europäischer Wirtschaftsinteressen gegenüber China sorgten.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Renata Alt (FDP), forderte eine schnelle Umsetzung des Papiers: “Es ist wichtig, dass die Strategie die Menschenrechte betont und auch die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und Tibet anprangert, jedoch müssen den Worten nun dringend Taten folgen.”
Der Geschäftsführer der International Campaign for Tibet (ICT), Kai Müller, begrüßte prinzipiell die Nennung der prekären Lage von Uiguren, Tibetern und Hongkongern, hätte sich aber eine noch deutlichere Sprache gewünscht, um das Ausmaß der ‘Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ zu beschreiben. “Das Bild ist gemischt, und es wird darauf ankommen, wie die Strategie konkret umgesetzt wird und ob im Schwerpunkt Wirtschafts- und Handelspolitik unseren Diskurs bestimmen werden”, sagte Müller.
Großbritanniens parlamentarischer Geheimdienst- und Sicherheitsausschuss (ISC) kritisiert die China-Strategie der Londoner Regierung. Mit der Bedrohung der nationalen Sicherheit durch die Volksrepublik werde völlig falsch umgegangen und langfristigen Risiken zu wenig Beachtung geschenkt. Derweil stünden kurzfristige wirtschaftliche Vorteile von Investitionen im Vordergrund.
ISC-Chef Julian Lewis wies insbesondere auf die Gefahr der politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme hin. Diese stelle möglicherweise “eine existenzielle Bedrohung für liberale, demokratische Systeme” dar. China nutze seine umfangreichen Nachrichtendienste, um aggressiv gegen britische Interessen vorzugehen und in jeden Bereich der Wirtschaft vorzudringen. Dies geschehe größtenteils völlig offen durch Firmenübernahmen sowie Verbindungen in Industrie und Wissenschaft. Von der chinesischen Botschaft in London kam zunächst keine Stellungnahme.
Der britische Premierminister Rishi Sunak erklärte zu dem Bericht, China stelle für die Weltordnung eine Herausforderung dar, die eine ganze Epoche präge. Sunak steht in seiner konservativen Partei unter Druck, eine härtere Linie gegenüber der Volksrepublik zu verfolgen. Der Regierungschef tendiert zwar inzwischen mehr in diese Richtung, warnt aber zugleich – letztlich im Einklang mit den meisten Stimmen in Europa – vor einer Entkopplung des Westens von China. rtr
Die kanadische Ombudsstelle für verantwortungsvolles Wirtschaften hat der Nachrichtenagentur AFP zufolge Ermittlungen gegen das kanadische Tochterunternehmen des US-Sportartikelherstellers Nike sowie eine kanadische Bergbaufirma wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen in China eingeleitet. Die Unternehmen stünden im Verdacht, entlang ihrer Lieferketten von uigurischen Zwangsarbeitern profitiert zu haben, erklärte die Behörde am Dienstag laut AFP. Nike Canada soll demnach mit chinesischen Unternehmen zusammengearbeitet haben, die Zwangsarbeiter der muslimischen Minderheit einsetzen.
Eine Gruppe von Menschenrechtsorganisationen hatte im vergangenen Juni Beschwerde gegen Nike und das Bergbauunternehmen Dynasty Gold eingereicht. Der Ombudsstelle zufolge gibt Nike mittlerweile an, keine Verbindungen mehr zu den fraglichen chinesischen Unternehmen zu haben. Dynasty Gold habe erklärt, es habe keine operative Kontrolle mehr über die Mine und die Anschuldigungen seien erst aufgekommen, nachdem es sich aus der Region zurückgezogen habe. flee
Die Sicherheitspolizei hat die Familie des Hongkonger Demokratie-Aktivisten Nathan Law befragt und unter Druck gesetzt. Die Beamten haben zudem die Wohnungen von Laws Eltern und seinem älteren Bruder im Stadtviertel Tung Chung gegen sechs Uhr morgens durchsucht, berichten lokale Medien.
Law lebt inzwischen in London und gehört zu den acht Aktivisten, auf die Hongkong vergangene Woche ein Kopfgeld von einer Million Hongkong-Dollar (rund 120.000 Euro) ausgesetzt hat. Der Vorwurf gegen die betroffenen Ex-Parlamentarier, Juristen, Publizisten, Ex-Studentenführer und Gewerkschafter lautet: Verstoß gegen das vor drei Jahren auf Druck Pekings erlassene Nationale Sicherheitsgesetz (NSL).
Nach Angaben der Sing Tao Daily wurden Laws Angehörige im Laufe des Tages wieder freigelassen. Die Befragung der Familie Laws ist ein Hinweis, dass die Kopfgelder keine leere Drohung sind. “Wir werden sie für den Rest ihres Lebens verfolgen, auch wenn sie bis ans Ende der Welt laufen”, hatte Regierungschef John Lee über die Aktivisten gesagt. Auch in Festlandchina werden exilierte Dissidenten durch Druck auf im Land gebliebene Familien eingeschüchtert. ck
Der Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre hegt große Zweifel an der Aussagekraft einer Untersuchung des Volkswagen-Werkes in Ürümqi. In einem offenen Brief, der China.Table vorab vorliegt, weist der Verband auf die drastische Unterdrückungspolitik in der uigurischen Region hin. Diese mache es unmöglich, valide Informationen vor Ort zu erheben.
Zwar begrüßen die Kritischen Aktinäre die Tatsache, dass Volkswagen das Risiko potenzieller Menschenrechtsverletzungen im Volkswagen-SAIC Werk in Urumqi ernst nehme. Jedoch gebe es insbesondere in Bezug auf die Lieferketten schwerwiegende Hinweise auf Zwangsarbeit. “In Bezug auf die von Volkswagen geplante Überprüfung des Volkswagen-SAIC-Werks haben wir begründete Zweifel, ob nun ein externes Audit in diesem konkreten Fall eine effektive und ausreichende Maßnahme darstellen kann”, heißt es in dem Schreiben, das am heutigen Dienstag veröffentlicht wird.
Volkswagen-Chef Oliver Blume hatte Ende Juni “ein transparentes, unabhängiges externes Audit” und “volle Transparenz” angekündigt. Der Konzern kommt damit einer zentralen Forderung von Fondsgesellschaften nach, die zu den Großaktionären von Volkswagen gehören. Bei der Aktionärsversammlung im Mai war es mehrfach zu Protesten von Aktivisten gekommen. Ihr Vorwurf: Volkswagen verdiene Geld auf Kosten uigurischer Zwangsarbeiter.
Die Kritischen Aktionäre wollen nun unter anderem wissen, wie Unabhängigkeit und Aussagekraft der Ergebnisse gewährleistet werden können und ob Beschäftigte frei und ohne Gefahr von staatlichen Repressionen sprechen können. Zudem schlagen die Krtischen Aktionären eine Brücke zur Problematik der Lieferketten und fragen, ob das Audit sowohl Zulieferer des Volkswagen-SAIC-Werks in Urumqi als auch Zulieferer aus der betroffenen Region, die andere VW-Standorte beliefern, umfasse.
Im Dezember 2022 hatte die Sheffield Hallam University einen umfangreichen Bericht veröffentlicht, der die Wahrscheinlichkeit von uigurischer Zwangsarbeit in den Lieferketten der Automobilindustrie belegt. Betroffen davon ist nicht nur Volkswagen, sondern auch andere deutsche und internationale Hersteller wie Mercedes, BMW, Toyota, Ford. grz
Die Rechercheorganisation Correctiv berichtet über den Fall eines chinesischstämmigen Deutschen, den die Behörden in China zur Preisgabe der Namen von Regierungskritikern zwingen wollten. Die chinesische Geheimpolizei hat den Mann bei der Einreise nach China am Flughafen festgenommen. Die Beamten zwangen ihn demnach zu dem Geständnis, in Deutschland an Aktivitäten gegen China teilgenommen zu haben.
Der Fall zeigt, wie schwer es für ausgewanderte Chinesen zuweilen ist, sich dem Griff des Regimes zu entziehen. Das gilt insbesondere, wenn sie sich für Demokratie engagieren oder kritisch äußern.
Der Zugriff durch chinesische Sicherheitsleute konnte nur erfolgen, weil der Deutschchinese zu einem Pflichtbesuch in China zurückreisen musste, um nach Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft seinen chinesischen Pass aufzugeben. Dieser vorgeschriebene Schritt stellt dem Correctiv-Bericht zufolge ein erhebliches Risiko beim Wechsel der Staatsbürgerschaft dar. fin
Ein vierfacher Gruppenselbstmord löste zu Anfang dieses Monats in den chinesischen sozialen Medien eine Welle von Bestürzung und Anteilnahme über das harte Leben von Millionen von Chinesen aus, die im Leben keine Hoffnung mehr sehen.
Drei von ihnen sprangen am 4. April von einem gläsernen Skywalk in Zhangjiajie, einer beliebten Touristenattraktion in der Provinz Hunan in Zentralchina. Die vierte wurde von Besuchern davon abgehalten zu springen, verstarb aber dennoch, da alle vier zuvor Gift geschluckt hatten.
Die vier Menschen im Alter zwischen 23 und 34 Jahren stammen aus unterschiedlichen Provinzen. Laut Polizeiangaben hatten sie sich über das Internet kennengelernt. Alle vier hinterließen ähnliche Abschiedsbriefe, in denen sie erklärten, dass sie sich aus freiem Willen das Leben genommen haben und dass sie nicht dazu angestiftet wurden. Warum sie sich entschlossen haben, diese Welt zu verlassen, verrieten sie jedoch nicht.
Die in Peking ansässige Lifeweek war das einzige Medium, das einen relativ ausführlichen Bericht veröffentlicht hat. Die Journalisten hatten bei Angehörigen und Bekannten der vier recherchiert. Dem Bericht zufolge stammen sie alle aus ärmlichen Verhältnissen vom Lande und haben als Wanderarbeiter in den Städten gearbeitet.
Während der genaue Grund für ihren Suizid noch immer nicht geklärt ist – und es vermutlich auch nie sein wird, da die Regierung kaum nähere Angaben über ein solch negatives Ereignis zulassen wird – vermuten Kommentatoren in Selbstmedien (自媒体 zì méitǐ) und andere Internetnutzer bereits, dass die Verzweiflung über ihr hartes Leben der Grund war.
“Heutzutage gibt es nur noch wenige Menschen, die nicht genug zu essen haben, aber es gibt zu viele, die keine Hoffnung im Leben sehen”, schreibt Xiang Dongliang, ein ehemaliger Journalist, der einen Kanal auf der chinesischen Social-Media-Plattform WeChat betreibt. “Die Arbeit, die viele Menschen zum Überleben verrichten müssen, ist schlichtweg unerträglich”, schreibt er in seinem Artikel.
In der Tat müssen die Menschen in Peking und Shanghai nicht erst in arme Dörfer reisen, um zu sehen, wie unerträglich das Leben sein kann. Les Misérables begegnen ihnen in den Städten tagtäglich.
Lieferfahrer, die in Eile Lebensmittel und Online-Einkaufspakete ausliefern, gehören zum Stadtbild. Sie arbeiten mindestens zehn Stunden am Tag – zwölf Stunden oder sogar mehr sind dabei keine Seltenheit. Auf ihren Elektrofahrrädern ignorieren sie sämtliche Ampeln, und wenn sie zu Fuß unterwegs sind, rennen sie. Der Grund für ihren hektischen Arbeitsalltag ist einfach: Es gibt viele Dinge auszuliefern, und wenn sie zu langsam sind, werden sie schwer bestraft. Wenn sich ein Kunde über den Service beschwert, was nicht selten vorkommt, fällt die Bestrafung noch härter aus. Dabei verdienen die meisten von ihnen zwischen 7.500 und 9.000 Yuan (1.000-1.200 Euro) im Monat.
Jeden Tag zwischen 14.30 und 16.30 Uhr trifft man in den stillen Ecken der Einkaufszentren in den vielen Restaurants auf Grüppchen von Lieferanten, erschöpft und in dreckiger Firmenkleidung, die auf schlichten Stühlen sitzen und vor sich hin dösen. Sie halten ihr kostbares Nachmittagsnickerchen, bevor die Abendessenszeit beginnt.
Die meisten Fahrer von DiDi, der chinesischen Variante des Fahrdienstes Uber, arbeiten ähnlich lange wie Lieferanten, und ihr Nettolohn ist vergleichbar. Die Arbeiter auf den Baustellen schuften rund um die Uhr. Ihre Bezahlung ist etwas besser, aber die Arbeit ist noch härter und ihr Arbeitsplatz ist alles andere als gesichert, vor allem in der derzeitigen Flaute im Immobiliensektor. Sie arbeiten alle für private Auftragnehmer, die ihre Aufträge aufschieben und den Lohn kürzen.
Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie weder sozial noch krankenversichert sind.
Wenn man mit den Menschen spricht, die diese Knochenjobs ausüben, dann hat jeder eine eigene Geschichte zu erzählen: die alten Eltern zu Hause, ein krankes Familienmitglied oder ein Schulkind. Bei den Jüngeren geht es oft um den ultimativen Traum, ein Haus zu kaufen oder zu bauen, eine Grundvoraussetzung für eine Ehe. Neben dem neuen Haus muss ein Mann, der auf dem Land und in kleinen Städten einen Heiratsantrag machen möchte, den Eltern der Braut eine Mitgift überreichen, das meist zwischen 50.000 Yuan und 500.000 Yuan (7.000 Euro bis 70.000 Euro) liegt.
Aber in Wirklichkeit geht es im täglichen Ringen eher darum, genug Geld zum Überleben zu verdienen. Sind einmal die tägliche Ausgaben getätigt sind, bleibt nicht mehr viel übrig.
Wenn also jemand schwer krank wird, gerät die ganze Familie in die Bredouille. Ist man nicht mehr in der Lage zu arbeiten, sind die Aussichten ebenfalls düster. Chinesischen Forschern zufolge ist die Selbstmordrate auf dem Lande bei den über 60-Jährigen wesentlich höher als im weltweiten Durchschnitt der gleichen Altersgruppe.
Dass China 800 Millionen Menschen aus der bitteren Armut befreit hat, ist mittlerweile so etwas wie ein fester Bestandteil eines jeden Artikels über die Erfolge des Landes in den vergangenen 40 Jahren. Ex-Premier Li Keqiang sagte jedoch auch, dass im Jahr 2020 immer noch mehr als 40 Prozent der 1,4 Millionen Chinesen mit 1.000 Yuan (137 Euro) pro Monat oder weniger auskommen müssen. Laut der Weltbank werden im Jahr 2022 fast 20 Prozent der Bevölkerung unter einer Armutsgrenze von durchschnittlich 6,85 US-Dollar pro Tag leben, was etwa 190 Euro pro Monat entspricht.
Die beiden Schätzungen stimmen nicht unbedingt miteinander überein. Aber die Aussage ist dieselbe: Die Armut in China bleibt ein Problem, das nicht ignoriert werden darf.
Aber auch für viele Besserverdienende ist das Leben nicht einfach. Im Februar dieses Jahres lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in chinesischen Unternehmen nach Angaben des Nationalen Statistikbüros bei 48 Stunden. Abgesehen von einer sehr kleinen Gruppe von Privilegierten müssen auch Fachkräfte in China mit großem Druck und langen Arbeitszeiten zurechtkommen, um ihren Job zu behalten. Das Leben dreht sich meist um endlose Arbeit.
Und das ist ein wesentlicher Grund, warum sie die Not der Verstorbenen nachempfinden können.