gegen die aktuelle Empörung infolge der Einführung der Drei-Kind-Politik haben selbst Chinas geübte Zensoren einen schweren Stand, wie Johnny Erling in seiner Kolumne berichtet. In zahllosen Kommentaren erinnerten Internetnutzerinnen und -nutzer an die jahrzehntelange grausame Bevölkerungspolitik – die Ein-Kind-Politik. Schwangere, die ihr zweites Kind erwarteten, wurden verfolgt, illegal geborene Babys als “schwarze Kinder” gebrandmarkt. Doch statt die Folgen dieser Politik selbstkritisch zu reflektieren, versucht die KP ihre Bevölkerung nun mit geburtenfreundlichen Parolen zu mehr Kinderreichtum zu erziehen.
Der Klimawandel bedroht durch Hitze, Dürren und sintflutartige Regenfälle auch kostbares Ackerland. Sind gentechnisch veränderte Lebensmittel ein Ausweg, um den Ertrag in Zukunft aufrecht zu erhalten? In China sind die Behörden bei der kommerziellen Anwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft bisher ähnlich skeptisch wie in Deutschland. Doch die Skepsis könnte verfliegen, wenn einheimische Firmen mehr Know-how sammeln, sagt Frank Sieren. Einem Team aus chinesischen und amerikanischen Wissenschaftlern ist es nun gelungen, den Ertrag von Pflanzen massiv zu erhöhen. Der Trick: Sie haben ein menschliches Gen für Fettleibigkeit eingeschleust. Guten Appetit.
Ein schönes Wochenende wünscht
Ein neues Verfahren der Gentechnik könnte die Ernteerträge von Reis und Kartoffeln um bis zu 50 Prozent steigern und sie obendrein widerstandsfähiger gegen Dürre machen. Das ergab eine von chinesischen und amerikanischen Wissenschaftlern angefertigte Studie, die im Juli in der britischen Zeitschrift Nature Biotechnology veröffentlicht wurde. Hauptautoren sind Qiong Yu und Shun Liu von der Peking-Universität.
Die Forscher sind dafür einen neuen Weg gegangen und haben menschliche Gene in Pflanzen eingebracht. Beim Menschen stehen diese Gene mit Fettleibigkeit in Verbindung. Das sogenannte FTO-Gen gilt inzwischen sogar als “Hauptschalter” für Übergewicht. Doch auch in Pflanzen führen bestimmte Varianten des Gens zu einer Zunahme an Masse. Offenbar sind die grundlegenden Mechanismen des Wachstums bei verschiedenen Organismen ähnlich. Diese Erkenntnis lässt sich künftig möglicherweise nutzen, um trotz des Klimawandels die Nahrungsmittelversorgung zu sichern.
Bei Feldversuchen in China haben Wissenschaftler jedenfalls nachgewiesen, dass das Einfügen menschlicher FTO-Gene in Pflanzen sie deutlich stärker wachsen lässt. Auch die Wurzelsysteme waren innerhalb der Versuchsreihe überdurchschnittlich entwickelt. “Wir glauben, das ist eine sehr gute Strategie, um unser Getreide weiterzuentwickeln”, sagt Jia Guifang, Spezialistin für chemische Biologie an der Peking Universität, dem Smithsonian Magazine. Bevor solche Pflanzen aber als Produkte auf den Markt kommen, sei viel weitere Forschung nötig. Von dem Verfahren dürfen keine Risiken für die Verbraucher ausgehen.
Der Eingriff funktioniert offenbar bei fast allen Pflanzenarten, nicht nur bei Reis und Kartoffeln, sondern auch bei Gras und Bäumen. “Die Veränderungen sind tatsächlich dramatisch”, erklärt He Chuan, Professor an der University of Chicago und Co-Leiter der Studie. Über zehn Jahre haben die Forscher daran gearbeitet. Es schien am Anfang als eine verrückte Idee: “Und um ehrlich zu sein, haben wir mit katastrophalen Ergebnissen gerechnet.” Doch zur Überraschung der Forscher habe die menschliche FTO-Sequenz die Pflanzen nicht zerstört oder verkrüppelt. Stattdessen mache sie nur eines: Es lässt die Pflanze wachsen, offensichtlich ohne Einschränkungen.
Die Strategie der Forscher sei sehr ungewöhnlich, findet Donald Ort, Biologieprofessor an der University of Illinois und Mitglied der US National Academy of Sciences (NAS). Das Smithsonian Magazine hat von ihm eine unabhängige Einschätzung eingeholt. Seine Bewertung: Die chinesischen Forscher haben ins Dunkle gestochen und seien dabei wohl auf Gold gestoßen. “Sie waren ziemlich überrascht.” Ort ist einer der führenden US-Forscher auf diesem Gebiet.
Im Rahmen der Studie führten die Forscher von Laboren der Peking-Universität, der Guizhou-Universität und der University of Chicago ihre Experimente sowohl in Laboren als auch auf Feldern rund um Peking und in der Provinz Jiangxi durch. Dabei fanden sie unter anderem heraus, dass der Ertrag von FTO-Reispflanzen unter Laborbedingungen im Vergleich zu unveränderten Exemplaren mehr als verdreifacht werden konnte. Die genveränderten Pflanzen wiesen einen 47 Prozent höheren Kornertrag und ein über 40 Prozent höheres Gewicht auf. Ähnliche Versuche mit Kartoffelpflanzen führten zu einer 50-prozentigen Ertragssteigerung.
Rund neun Millionen Menschen sterben jährlich an Hunger, mehr als durch AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen. Weltweit litten im vorvergangenen Jahr 690 Millionen Menschen an Hunger und Lebensmittelknappheit – das entspricht rund neun Prozent der Weltbevölkerung, 381 Millionen davon befanden sich in Asien. Durch den Klimawandel nehmen weltweit Dürren zu, was die Ernteerträge weiter reduziert. Im Jahr 2019 wurde etwa die südwestchinesische Provinz Yunnan von einer schweren Trockenheit heimgesucht, die mehr als eine Million Hektar Anbaufläche beschädigte und 16.667 Hektar vernichtete.
Auch hier könnten die FTO-Pflanzen Abhilfe schaffen, sagen die Forscher. Laut der amerikanisch-chinesischen Studie wiesen FTO-modifizierte Reispflanzen signifikant höhere Überlebensraten unter zwei verschiedenen Kategorien von Dürrebedingungen auf. “Die neue Technik bietet die Möglichkeit, Pflanzen so zu verändern, dass sie an die fortschreitende globale Erwärmung angepasst sind”, erklärt He. “Vielleicht könnten wir in bedrohten Gebieten Gräser züchten, die der Trockenheit widerstehen.”
In keinem anderen Land der Welt fließt so viel Geld in die staatlich geförderte Pflanzenforschung wie in China. Dabei hat das Land nach wie vor sehr strenge Standards für den Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen und Produkten. Der kommerzielle Anbau von Pflanzen, die Gene von anderen Organismen tragen, ist in China fast vollständig illegal. Ausnahmen sind einige Baumwoll-, Papaya-, Tomaten- und Tabaksorten.
Die Zurückhaltung liegt jedoch auch daran, dass die vielversprechendsten gentechnisch veränderten Pflanzen für die Nahrungsmittelversorgung bislang nicht aus heimischer Entwicklung stammen. “Es muss ausgeschlossen sein, dass ausländische Unternehmen den Markt für Agrobiotechnologie dominieren”, erklärte Staats- und Parteichef Xi Jinping auf einer Konferenz des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei vor fünf Jahren.
Im Bereich der Grünen Gentechnik sind ausländischen Konzernen daher Direktinvestitionen untersagt. Erlaubt sind jedoch Joint Ventures mit chinesischen Firmen, wenn sie auf konventionelle oder Hybridzüchtung beschränkt sind.
Derzeit ist in der EU nur der kommerzielle Anbau zweier gentechnisch veränderter Organismen zugelassen: der Mais “MON 810” und die Kartoffel “Amflora”. In Deutschland werden seit 2012 keine gentechnisch veränderten Pflanzen kommerziell angebaut. Immerhin 80 Prozent der Deutschen haben sich gegen den Anbau ausgesprochen. Da allerdings auch Deutschland den Bedarf vor allem an eiweißreichen Futtermitteln nicht nur mit gentechnikfreien Futtermitteln decken kann, importieren Deutschland und die EU rund 35 Millionen Tonnen jährlich meist gentechnisch veränderte Sojabohnen aus Nord- und Südamerika.
Weltweit werden derzeit vor allem fünf gentechnisch veränderte Kulturarten angebaut: Sojabohnen, Mais, Baumwolle, Raps und Zuckerrüben. Die wichtigsten Erzeuger sind die USA, Argentinien, Brasilien und Indien. Dann erst kommt China. Diese Agrarprodukte dürfen jedoch nur in die EU eingeführt werden, wenn sie eine der derzeit 50 Importzulassungen besitzen. Gentechnisch veränderte Futtermittel gelten nach aktuellem Forschungsstand als unbedenklich für Milch, Fleisch oder Eier.
Dass die USA und China auf diesem Feld zusammenarbeiten, ist nicht selbstverständlich. US-Unterhändler haben China in der Vergangenheit immer wieder dazu gedrängt, die Beschränkungen für gentechnisch veränderte Pflanzen zu lockern. Dies würde amerikanischen Agrartech-Firmen den Zugang zum Verkauf ihres veränderten Saatguts und anderer Gentechnik-Produkte in Chinas riesigem Agrarsektor ermöglichen. China beherbergt 22 Prozent der Weltbevölkerung, verfügt aber nur über acht Prozent der weltweiten Ackerfläche.
Peking scheint jedoch bislang nicht bereit zu sein, den inländischen Anbau von gentechnisch verändertem Getreide umfassend zu öffnen, bis einheimische Firmen auftauchen, die stark genug sind, um die globalen Agrartech-Giganten, allen voran aus den USA, herauszufordern. China werde die Innovation, Forschung und Entwicklung sowie die Anwendung genetisch veränderter Organismen weiter fördern und regulieren, teilte das Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Angelegenheiten in diesem Februar mit.
Wie in anderen Wirtschaftsfeldern auch könnten also aufkommende Eigenentwicklungen die Einstellung der Führung zu einer Produktgruppe verändern. Die Marktzulassung von FTO-Nutzpflanzen durch chinesische Agrarfirmen wäre im Erfolgsfall ein technologischer und wirtschaftlicher Meilenstein, auf den Peking kaum verzichten wird. Dazu könnten sich dann auch die Gentechnik-Regeln ändern.
Im nächsten Schritt wollen die Forscher nun den gleichen Effekt ohne artfremde Varianten der FTO-Gene erreichen, indem sie die vorhandene Sequenz aus dem Genom der Pflanze an den entscheidenden Stellen verändern. Das nimmt der Technik zumindest den beunruhigend klingenden Aspekt, menschliche Gene in die Pflanze einzubringen und mitzuessen.
Die Veranstaltungsreihe zu den Wirtschaftsbeziehungen mit China am Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel fing mit einem hochaktuellen Thema an: der Bewegung hin zu mehr Protektionismus zwischen den großen Wirtschaftsräumen. Die Motive dafür sind vielfältig. Der Schutz vor Lieferengpässen wie zuletzt bei Schutzmasken oder Mikrochips steht derzeit ganz oben auf der Liste und erhält auch in der Öffentlichkeit viel Zustimmung. Andere Politiker hoffen auf positive Effekte für den Arbeitsmarkt in der klassischen Industrie, wenn wieder mehr Waren und Teile aus dem Inland kommen. Das Investitionsabkommen CAI mit der Volksrepublik ist derweil in die Mühlen politischer Anfeindungen zwischen China und der EU geraten. Es sollte eigentlich für beide Seiten den Marktzugang verbessern.
Jörg Wuttke als langjähriger Präsident der EU-Handelskammer in China brachte zu diesen Themen eine Perspektive aus der Praxis ein. Der Ökonom und IfW-Chef Gabriel Felbermayr steuerte eine fachliche Bewertung auf Basis von wissenschaftlichen Berechnungen bei.
Felbermayr hat die Ergebnisse seiner Untersuchungen bereits hier im China.Table dargelegt: Durch die Produktion in Fernost und den Zukauf von Teilen aus der Volksrepublik gewinnt die deutsche Wirtschaft viel mehr dazu, als sie durch größere Eigenständigkeit erlangen könnte. Die Vorteile einer Abschottung müssten die Zugewinne erst einmal übertreffen, damit Handelsschranken lohnen. Die auf mehrere Weltgegenden verteilte Wirtschaft spart jedoch Kosten und schafft Effizienz. Am Ende haben dadurch alle Beteiligten mehr als vorher, so Felbermayr.
Die Frage nach Abschottung oder Freihandel ist noch nicht einmal knapp entschieden, sondern sehr eindeutig. Nach Simulationen des IfW besteht zwischen den Vor- und Nachteilen einer Abschottung ein deutliches Missverhältnis. Der freie Handel ist dabei um Größenordnungen nützlicher als das Pochen auf Eigenständigkeit. Die deutsche Wirtschaftsleistung würde durch Protektionismus um bis zu 1,4 Prozent abnehmen. Zwar schafft ein Rückzug auf Produktion in der EU in Krisenzeiten etwas mehr Sicherheit. Doch im Gesamtbild wird sie im Vergleich “schweineteuer”, wie Felbermayr es ausdrückt. Auch die Konsumenten haben damit am Ende deutlich weniger, der Lebensstandard sinkt.
Wuttke verändert hier noch einmal die Perspektive und blickt von China aus auf das Problem. Er verweist auf eine Studie der EU-Kammer zusammen mit dem China-Forschungsinstitut Merics, die sich mit den Folgen einer Entflechtung beschäftigt hat. Die Forscher betonen darin, dass China seinerseits nie eine völlige Öffnung vollzogen hat. Es gab demnach von chinesischer Seite her stets nur eine “selektive Kopplung”, wo es den Wirtschaftsplanern gerade gut gepasst hat. Das gilt für die frühe Phase der Wirtschaftsbeziehungen bis heute. Ärger war damit programmiert. Der Westen musste früher oder später mit Ablehnung auf eine Form der Wirtschaftsbeziehung reagieren, die vor allem einer Seite nutzt.
Die Volksrepublik hat also seit Beginn der vermeintlichen Öffnungspolitik systematisch eigene Branchen und Firmen vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Die Marktöffnung betraf vor allem die Sektoren, in denen das Land etwas lernen wollte. Eine Öffnung erfolgte erst, wenn die eigene Wirtschaft schon weit genug entwickelt war. EU und USA haben dagegen den Importen aus China von Anfang an die Tore weit geöffnet, auch wenn einheimische Firmen darunter litten.
Viel schmerzhafter als den beginnenden Protektionismus von westlicher Seite empfinden die Unternehmen vor Ort daher die chinesische Abschottung. “Wir klopfen immer wieder an die große Mauer und werden nicht eingelassen”, sagt Wuttke. Chinas Reaktion auf die Krise der gegenseitigen Abhängigkeit besteht auch jetzt darin, auf mehr Eigenständigkeit zu setzen. Größere Unabhängigkeit vom Ausland ist derzeit eines der erklärten Ziele der Planer. Das gilt vor allem im Technologie-Sektor.
Diese Politik könnte jedoch auch der Volksrepublik selbst mehr schaden als nützen, warnte Wuttke. “China ist viel abhängiger von Europa als Europa von China”, beobachtet der Präsident der EU-Handelskammer. Die meisten Technik-Transfers für China kommen aus der EU, und die europäischen Länder sind ein riesiger Abnehmer für chinesische Waren.
Die politischen Prioritäten wie der Drang nach Eigenständigkeit hemmen nach Wuttkes Beobachtung jetzt schon die Entfaltung des chinesischen Potenzials. Seit der Öffnung Ende der 70er-Jahre habe sich die Volksrepublik sehr ähnlich entwickelt wie Japan und Südkorea in ihren jeweiligen Boom-Phasen. Doch der Gleichlauf der ökonomischen Kurven endet bereits, Chinas Entwicklung fällt unter die damalige Wohlstandsentwicklung der Nachbarn zurück.
Für die EU besteht nach Ansicht der beiden Experten also keine Notwendigkeit, Zölle heraufzuschrauben oder anderweitig die Tore für Waren aus Fernost zu schließen. Felbermayr weist zudem darauf hin, dass die vermeintliche Abhängigkeit der EU von China nicht etwa zugenommen hat. Die Lieferbeziehungen europäischer Unternehmen sind sehr ausgeglichen verteilt. Die USA bleiben ein wichtiger Partner.
Das europäische Lieferkettengesetz erscheint dabei sowohl Felbermayr als auch Wuttke als mögliches Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung in beiden Regionen. Laut Felbermayr ist es Ausdruck einer neuen Form des Protektionismus. Wuttke als Praktiker aus der Wirtschaft sieht enorme Komplikationen auf die Industrie zukommen.
Lieferunterbrechungen treten zudem nicht nur in Asien auf, sondern auch in Europa. Das zeigt sogar die Corona-Krise, die eigentlich als Beleg für die Notwendigkeit einer Abkopplung herangezogen wird. Zwar gab es in der ersten Phase Produktionsausfälle in betroffenen chinesischen Regionen wie Wuhan. Doch letztlich hat sich die Volksrepublik viel schneller erholt als die EU und lebt heute praktisch Corona-frei. Umso wertvoller war es als Absatzmarkt für die angeschlagenen westlichen Volkswirtschaften.
Die nächste Veranstaltung aus der Reihe findet am 30. September statt: Fairer Wettbewerb und Subventionen – Europas Unternehmen und der Konkurrenzdruck Chinas. Es diskutieren Dietmar Baetge von der Technischen Hochschule Wildau und Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln.
01.09.2021, 4:00-5:00 PM PT
Vortrag, WSCRC: Deciphering Xi Jinping’s Vision and What It Means for the Tech Sector Mehr
02.09.2021, 9:00-10:00 AM EST
Buchvorstellung, CSIS: Rethinking Chinese Politics by Joseph Fewsmith Mehr
02.09.2021, 13:30-18:30 PM Shanghai Azul Italiano – North Bund
Event, AHK China: maXcomm Shanghai 2021: “Brand Building and Sales Acceleration – How to Localize for the Chinese Market” Mehr
06.09.2021, 10:00-11:00 AM (4:00-5:00 pm Beijing Time)
Webinar, EU SME: EU – China Publishing Business Collaboration Mehr
Der Smartphone-Hersteller Xiaomi hat die Übernahme des Start-ups Deepmotion für 77 Millionen US-Dollar bekannt gegeben. Deepmotion wurde vor vier Jahren gegründet und entwickelt Fahrerassistenzsoftware, wie Bloomberg berichtet. Der Kauf von Deepmotion soll das chinesische Unternehmen bei der Entwicklung von Technologien zum vollständigen autonomen Fahren helfen, wie der Manager Wang Xiang sagte. Die Übernahme des Start-ups geht mit der Expansion des Smartphone-Herstellers in den E-Auto-Sektor einher. Das Unternehmen will in den nächsten zehn Jahren zehn Milliarden US-Dollar in diesem Bereich investieren. Im zweiten Quartal 2021 hat Xiaomi den US-Anbieter Apple erstmals als zweitgrößten Smartphone-Hersteller abgelöst. Der Nettogewinn stieg in den drei Monaten bis Juni um 80 Prozent auf umgerechnet fast 1,1 Milliarde Euro. nib
Volvo Trucks steht kurz vor dem Kauf des chinesischen LKW-Herstellers JMC Heavy Duty Vehicle. Die Übernahme für umgerechnet 123 Millionen US-Dollar muss noch durch chinesische Behörden genehmigt werden, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Volvo, eine Tochter des chinesischen Herstellers Geely, würde mit dem Kauf die volle Kontrolle über JMC Heavy Duty Vehicle erlangen und müsste kein Joint-Venture eingehen. Im Jahr 2020 erließ die chinesische Regierung neue Regeln, um die Joint-Venture-Pflicht in der Nutzfahrzeug-Produktion aufzuheben. Das schwedisch-chinesische Unternehmen würde damit auch eine LKW-Fabrik im nordchinesischen Taiyuan übernehmen. Dort sollen Caixin zufolge ab Ende 2022 jährlich 15.000 LKW für den chinesischen Markt hergestellt werden. Aufgrund des Logistik-Booms in China ziehen dem Portal zufolge viele LKW-Hersteller Produktionsanlagen in der Volksrepublik in Betracht. nib
Das chinesische E-Auto-Unternehmen Xpeng hat gemischte Quartalszahlen vorgelegt. Xpeng musste im 2. Quartal Nettoverluste in Höhe von umgerechnet 184 Millionen US-Dollar ausweisen – höher als zuvor von Analysten prognostiziert. Als Ursache werden hohe Ausgaben in Forschung und Entwicklung sowie Marketing und Vertrieb angegeben. Xpeng konnte jedoch die Umsätze steigern und lieferte mit gut 17.400 Autos im zweiten Quartal mehr Autos aus als geplant, wie Bloomberg berichtet. Insgesamt wächst der Markt für E-Autos in China wieder stärker. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden fast 1,5 Millionen Fahrzeuge mit alternativen Antrieben verkauft. Mehr als im gesamten Vorjahr, wie Daten der China Association of Automobile Manufacturers zeigen. nib
Der Netzwerkspezialist Huawei hat in den USA offenbar die Erlaubnis zur Bestellung von Auto-Chips aus amerikanischer Produktion erhalten. Die Genehmigung durch die Regierung unter Präsident Joe Biden gilt als Anzeichen dafür, dass sie die Sanktionen gegen das chinesische Unternehmen aufweichen könnte. Konkret gehe es um Halbleiterelemente für Sensoren, die in selbstfahrenden Autos zum Einsatz kommen, berichten übereinstimmend die chinesische Volkszeitung und die Nachrichtenagentur Reuters. Huawei steigt derzeit als Zulieferer in das Fahrzeuggeschäft ein (China.Table berichtete).
Bidens Vorgänger hatte die Ausfuhr von Hochtechnologie an potenziell gefährliche Unternehmen aus China genehmigungspflichtig gemacht und dann jede Genehmigung verweigert. Das kam einem Ausfuhrstopp von wichtigen Komponenten für Huawei und andere chinesische Technikfirmen gleich. Da es sich um eine Genehmigungspflicht handelt, nicht um ein generelles Verbot, kann Biden die Politik nun ohne eine neue Regeländerung nachjustieren. fin
Staatschef Xi Jinping sorgt sich um Chinas Wirtschaftsziele für das laufende Jahr und deutet neue Konjunkturmaßnahmen an. Das berichtet der Nachrichtenagentur dpa mit Bezug auf einen Artikel in der parteieigenen “Volkszeitung”. Die Zentralbank könne dazu die Geldpolitik erneut lockern und frische Kredite freigeben. Auch neue Infrastrukturprojekte sind im Gespräch. Hintergrund ist eine schwächere Erholung der Wirtschaft im zweiten Corona-Jahr. fin
Chinas neues Ideal ist das einer “geburtenfreundlichen Nation.” Dafür lässt Peking online nach Propagandalosungen suchen, die Chinas Haushalten den erlaubten Kindersegen mit der 3-Kind-Politik schmackhaft machen sollen. Die Internetgemeinde reagierte anders als erhofft – mit einem wütenden und höhnischen Shitstorm.
Wieder einmal verlangt die Kommunistische Partei von Chinas Familien, sich neu zu erfinden. Alles, was einst galt und worunter sie litten, sollen sie über Nacht vergessen: 35 Jahre Ein-Kind-Politik mit erzwungener Geburtenkontrolle, Überwachung, Abtreibung, Sterilisation und Schikanen ohne Ende durch den sich bis in ihre Schlafzimmer einmischenden Staat sollen einfach so passe sein. Kinderreichtum ist wieder erste Bürgerpflicht, beschloss das Politbüro am 31. Mai. Die Parteielite prägte als neue Losung: “Lasst uns eifrigst eine geburtenfreundliche Gesellschaft schaffen.” (努力构建 生育友好型社会).
Der Nationale Volkskongress (Chinas sozialistisches Parlament) brauchte keine acht Wochen, um dafür mit 21 Änderungen das seit 2002 geltende Bevölkerungs- und Familienplanungsgesetz der Volksrepublik zu überarbeiten. Nur 2015 war es um einen Zusatz erweitert worden, dass Chinesen auch zwei Kinder haben dürfen. Am Dienstag vergangener Woche beriet der Ständige Parlamentsausschuss über die umfassend revidierte Neufassung. Schon freitags wurde sie nach erster Lesung durchgewunken und sofort in Kraft gesetzt.
Das Gesetz erlaubt drei Kinder, streicht alle Strafen und Geldbußen für unangemeldete Geburten und verspricht den Familien künftige staatliche Unterstützung. Die Palette reicht vom bezahlten Elternurlaub, mehr Kitas bis zu geburtenfreundlichen Anpassungen des Finanz-, Steuer-, Versicherungs- und Bildungswesen sowie beim Wohnungsbau und der Beschäftigung. Noch im laufenden Fünfjahresplan bis 2025 will die federführende Planungsbehörde NDRC erste Pflöcke für China als Willkommensgesellschaft einschlagen; auch das Alter für die Ehe und die Geburt des ersten Kindes sollen wieder gesenkt werden. 1990 heirateten Chinesen im Durchschnitt mit 21,4 Jahren. 2017 waren sie 25,7 Jahre alt.
Um dafür kräftig die Propagandatrommel zu rühren, rief Chinas Verein für Familienplanung zum Wettbewerb für neue geburtenfreundliche Parolen auf. Einsendeschluss ist der 15. September. Danach wird eine Jury 35 Slogans auswählen und prämieren. Die Autoren der fünf besten Werbesprüche erhalten jeweils 1.000 Yuan (umgerechnet 130 Euro).
Vielen Chinesen kommt Pekings Wandel zu abrupt. Das Netz ist voller Wut. Die Nutzer erinnern an grausame und ungesühnte Vorfälle, wo allmächtige Staatskontrolleure auf dem Land nach außerplanmäßig Hochschwangeren fahndeten. Sie zwangen die Frauen zur Abtreibung, ließen ihre Häuser zur Abschreckung der Nachbarn abreißen. Illegal geborene Babys wurden als “schwarze Kinder” gebrandmarkt oder ihren Vätern extreme Geldbußen aufgebrummt.
Mikroblogs zeigen Fotomontagen des weltberühmten Regisseurs Zhang Yimou, der am 9. Januar 2014 als “Sozialabgabe” wegen Verstoß gegen die Ein-Kind-Politik für seine drei Kinder 7,48 Millionen Yuan (fast eine Million Euro) Strafe zahlen musste. Sie lassen Zhang theatralisch ausrufen: “Gebt mir meine Millionen zurück.” Das wollen viele Zehntausende normale Chinesen auch, die Geldbußen zahlen mussten.
Nachrichten-Webseiten von Parteimedien, die die neue Geburtenpolitik priesen und dafür virtuelle Prügel bezogen, schlossen wegen zu vieler “Junkmails” (垃圾评论) ihre Kommentarfunktionen. Peking zensiert Rufe nach Übernahme der Verantwortung und nach kritischer Aufarbeitung seiner Ein-Kind-Politik. Blogger schrieben Sprüche wie: “Wenn unsere Führer uns um Entschuldigung bitten würden, brächte das mehr bringen als 100 Slogans.” ( 领导出来道个歉比想一百条标语管用.)
Hohn und Spott über die Dreikinder-Familie versteckt sich hinter Andeutungen. Mein Favorit ist ein Wortspiel mit dem unterschiedlich geschriebenen, aber gleich ausgesprochenen Schriftzeichen “Jiu”, das entweder die Zahl Neun (九) bedeutet, oder chinesischer Schnittlauch (韭菜). Der Spruch “三三得韭” könnte als “3 mal 3 ist 9” verstanden werden, oder als “3 mal 3 macht (Dich) zu Schnittlauch.” Die Lauchpflanze gilt als Synonym für das Volk. Sie wächst nach, auch wenn sie immer wieder abgeschnitten wird.
Ein Blogger schlug vor, als Antwort auf Pekings Propaganda einen Doppelspruch (对联) traditionell längs an die Haustür zu hängen: Auf der einen Seite steht: Die Eltern bringen in einem Haushalt drei Kinder zur Welt und müssen vier Großeltern pflegen. Auf der anderen Seite steht: Um acht Uhr zur Arbeit, um 21 Uhr nach Hause. Das strengt extrem an, und der Millionen-Wohnungskredit ist noch nicht abgestottert. Als Auflösung lautet der Querspruch darüber: “Das ist das Leben des Schnittlauchs” (一个家庭,两个夫妻,生三个孩子,养四个老人。八点上班,晚九点下班,费十分力气,还百万房贷。韭菜的一生).
Peking brennt es unter den Nägeln seit der jüngsten, im Mai erschienenen Volkszählung. China ist mit seiner Geburtenrate von 1,3 zum internationalen Schlusslicht geworden. Mit zwölf Millionen Neugeburten 2020 fürchten Demografen, dass die derzeit 1,41 Milliarden-Bevölkerung ab 2022 erstmals schrumpft. Auch das Heer der 16- bis 59-jährigen Arbeitskräfte verringert sich. Als drittes Alarmsignal ist die Alterspyramide umgekippt. Nach Angaben des 2020 China Development Report wird China schneller alt als reich. Bereits heute sind 181,6 Millionen Chinesen über 65 Jahre alt.
Warnungen vor den negativen wirtschaftlichen und demografischen Folgen der staatlichen Geburtenplanung haben Peking seine Politik ändern lassen. Dagegen fehlt jede gesellschafts- und selbstkritische Reflexion. Nur der Literatur-Nobelpreisträger Mo Yan thematisierte das Problem in seinem Roman “Der Frosch” ( 莫言:蛙), als er das Schicksal einer Abtreibungsärztin auf dem Land nacherzählte.
Chinas erzwungene Geburtenkontrolle war furchtbar erfolgreich. Nach Schätzungen leben heute 180 Millionen Einzelkinder in der Volksrepublik. Pekings Gesellschaftsingenieure haben ganze Arbeit geleistet. Was sie dadurch in der Seele der Nation anrichteten, lässt sich kaum erahnen.
Francois-David Martino hat an der Spitze der Becker Stahl Service (BSS) die Nachfolge von Dr. Thilo Theilen als CEO angetreten. Bis Juni hatte Martino die China-Geschäfte des italienischen Anlagenbauers Danieli geleitet. Nach seinem Maschinenbau-Studium war er unter anderem bei Thyssenkrupp und Siemens tätig.
Yu Yongfu wird neuer CEO von Alibaba Local Services. Die Abteilung vereint Dienstleistungen wie Essenslieferdienste und lokalen Handel unter einem Dach. Yu folgt auf Li Yonghe, der nach einem Vergewaltigungsvorwurf gekündigt hatte.
Jack Kline repräsentiert mit seiner gleichnamigen Beratungsfirma künftig Cinity, eine Tochter der China Film Group und der Firma Huaxia Film Distribution. Cinity stellt Großleinwände, Projektoren und andere Filmtechnik her.
“Ein neues Schuljahr, ein neuer Anfang”, schreibt diese Grundschullehrerin im Pekinger Distrikt Haidian schön zweifarbig an die Tafel. Das Blümchenmuster soll den Start umso freundlicher erscheinen lassen. Anderswo im Gebäude wird geschrubbt und desinfiziert, um die Klassenräume in der Pandemie hygienisch zu halten. Manche Grundschüler:innen in der deutschen Hauptstadt Berlin würden die jungen Pekinger um ihre sauberen und gut ausgestatteten Schulen beneiden.
gegen die aktuelle Empörung infolge der Einführung der Drei-Kind-Politik haben selbst Chinas geübte Zensoren einen schweren Stand, wie Johnny Erling in seiner Kolumne berichtet. In zahllosen Kommentaren erinnerten Internetnutzerinnen und -nutzer an die jahrzehntelange grausame Bevölkerungspolitik – die Ein-Kind-Politik. Schwangere, die ihr zweites Kind erwarteten, wurden verfolgt, illegal geborene Babys als “schwarze Kinder” gebrandmarkt. Doch statt die Folgen dieser Politik selbstkritisch zu reflektieren, versucht die KP ihre Bevölkerung nun mit geburtenfreundlichen Parolen zu mehr Kinderreichtum zu erziehen.
Der Klimawandel bedroht durch Hitze, Dürren und sintflutartige Regenfälle auch kostbares Ackerland. Sind gentechnisch veränderte Lebensmittel ein Ausweg, um den Ertrag in Zukunft aufrecht zu erhalten? In China sind die Behörden bei der kommerziellen Anwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft bisher ähnlich skeptisch wie in Deutschland. Doch die Skepsis könnte verfliegen, wenn einheimische Firmen mehr Know-how sammeln, sagt Frank Sieren. Einem Team aus chinesischen und amerikanischen Wissenschaftlern ist es nun gelungen, den Ertrag von Pflanzen massiv zu erhöhen. Der Trick: Sie haben ein menschliches Gen für Fettleibigkeit eingeschleust. Guten Appetit.
Ein schönes Wochenende wünscht
Ein neues Verfahren der Gentechnik könnte die Ernteerträge von Reis und Kartoffeln um bis zu 50 Prozent steigern und sie obendrein widerstandsfähiger gegen Dürre machen. Das ergab eine von chinesischen und amerikanischen Wissenschaftlern angefertigte Studie, die im Juli in der britischen Zeitschrift Nature Biotechnology veröffentlicht wurde. Hauptautoren sind Qiong Yu und Shun Liu von der Peking-Universität.
Die Forscher sind dafür einen neuen Weg gegangen und haben menschliche Gene in Pflanzen eingebracht. Beim Menschen stehen diese Gene mit Fettleibigkeit in Verbindung. Das sogenannte FTO-Gen gilt inzwischen sogar als “Hauptschalter” für Übergewicht. Doch auch in Pflanzen führen bestimmte Varianten des Gens zu einer Zunahme an Masse. Offenbar sind die grundlegenden Mechanismen des Wachstums bei verschiedenen Organismen ähnlich. Diese Erkenntnis lässt sich künftig möglicherweise nutzen, um trotz des Klimawandels die Nahrungsmittelversorgung zu sichern.
Bei Feldversuchen in China haben Wissenschaftler jedenfalls nachgewiesen, dass das Einfügen menschlicher FTO-Gene in Pflanzen sie deutlich stärker wachsen lässt. Auch die Wurzelsysteme waren innerhalb der Versuchsreihe überdurchschnittlich entwickelt. “Wir glauben, das ist eine sehr gute Strategie, um unser Getreide weiterzuentwickeln”, sagt Jia Guifang, Spezialistin für chemische Biologie an der Peking Universität, dem Smithsonian Magazine. Bevor solche Pflanzen aber als Produkte auf den Markt kommen, sei viel weitere Forschung nötig. Von dem Verfahren dürfen keine Risiken für die Verbraucher ausgehen.
Der Eingriff funktioniert offenbar bei fast allen Pflanzenarten, nicht nur bei Reis und Kartoffeln, sondern auch bei Gras und Bäumen. “Die Veränderungen sind tatsächlich dramatisch”, erklärt He Chuan, Professor an der University of Chicago und Co-Leiter der Studie. Über zehn Jahre haben die Forscher daran gearbeitet. Es schien am Anfang als eine verrückte Idee: “Und um ehrlich zu sein, haben wir mit katastrophalen Ergebnissen gerechnet.” Doch zur Überraschung der Forscher habe die menschliche FTO-Sequenz die Pflanzen nicht zerstört oder verkrüppelt. Stattdessen mache sie nur eines: Es lässt die Pflanze wachsen, offensichtlich ohne Einschränkungen.
Die Strategie der Forscher sei sehr ungewöhnlich, findet Donald Ort, Biologieprofessor an der University of Illinois und Mitglied der US National Academy of Sciences (NAS). Das Smithsonian Magazine hat von ihm eine unabhängige Einschätzung eingeholt. Seine Bewertung: Die chinesischen Forscher haben ins Dunkle gestochen und seien dabei wohl auf Gold gestoßen. “Sie waren ziemlich überrascht.” Ort ist einer der führenden US-Forscher auf diesem Gebiet.
Im Rahmen der Studie führten die Forscher von Laboren der Peking-Universität, der Guizhou-Universität und der University of Chicago ihre Experimente sowohl in Laboren als auch auf Feldern rund um Peking und in der Provinz Jiangxi durch. Dabei fanden sie unter anderem heraus, dass der Ertrag von FTO-Reispflanzen unter Laborbedingungen im Vergleich zu unveränderten Exemplaren mehr als verdreifacht werden konnte. Die genveränderten Pflanzen wiesen einen 47 Prozent höheren Kornertrag und ein über 40 Prozent höheres Gewicht auf. Ähnliche Versuche mit Kartoffelpflanzen führten zu einer 50-prozentigen Ertragssteigerung.
Rund neun Millionen Menschen sterben jährlich an Hunger, mehr als durch AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen. Weltweit litten im vorvergangenen Jahr 690 Millionen Menschen an Hunger und Lebensmittelknappheit – das entspricht rund neun Prozent der Weltbevölkerung, 381 Millionen davon befanden sich in Asien. Durch den Klimawandel nehmen weltweit Dürren zu, was die Ernteerträge weiter reduziert. Im Jahr 2019 wurde etwa die südwestchinesische Provinz Yunnan von einer schweren Trockenheit heimgesucht, die mehr als eine Million Hektar Anbaufläche beschädigte und 16.667 Hektar vernichtete.
Auch hier könnten die FTO-Pflanzen Abhilfe schaffen, sagen die Forscher. Laut der amerikanisch-chinesischen Studie wiesen FTO-modifizierte Reispflanzen signifikant höhere Überlebensraten unter zwei verschiedenen Kategorien von Dürrebedingungen auf. “Die neue Technik bietet die Möglichkeit, Pflanzen so zu verändern, dass sie an die fortschreitende globale Erwärmung angepasst sind”, erklärt He. “Vielleicht könnten wir in bedrohten Gebieten Gräser züchten, die der Trockenheit widerstehen.”
In keinem anderen Land der Welt fließt so viel Geld in die staatlich geförderte Pflanzenforschung wie in China. Dabei hat das Land nach wie vor sehr strenge Standards für den Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen und Produkten. Der kommerzielle Anbau von Pflanzen, die Gene von anderen Organismen tragen, ist in China fast vollständig illegal. Ausnahmen sind einige Baumwoll-, Papaya-, Tomaten- und Tabaksorten.
Die Zurückhaltung liegt jedoch auch daran, dass die vielversprechendsten gentechnisch veränderten Pflanzen für die Nahrungsmittelversorgung bislang nicht aus heimischer Entwicklung stammen. “Es muss ausgeschlossen sein, dass ausländische Unternehmen den Markt für Agrobiotechnologie dominieren”, erklärte Staats- und Parteichef Xi Jinping auf einer Konferenz des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei vor fünf Jahren.
Im Bereich der Grünen Gentechnik sind ausländischen Konzernen daher Direktinvestitionen untersagt. Erlaubt sind jedoch Joint Ventures mit chinesischen Firmen, wenn sie auf konventionelle oder Hybridzüchtung beschränkt sind.
Derzeit ist in der EU nur der kommerzielle Anbau zweier gentechnisch veränderter Organismen zugelassen: der Mais “MON 810” und die Kartoffel “Amflora”. In Deutschland werden seit 2012 keine gentechnisch veränderten Pflanzen kommerziell angebaut. Immerhin 80 Prozent der Deutschen haben sich gegen den Anbau ausgesprochen. Da allerdings auch Deutschland den Bedarf vor allem an eiweißreichen Futtermitteln nicht nur mit gentechnikfreien Futtermitteln decken kann, importieren Deutschland und die EU rund 35 Millionen Tonnen jährlich meist gentechnisch veränderte Sojabohnen aus Nord- und Südamerika.
Weltweit werden derzeit vor allem fünf gentechnisch veränderte Kulturarten angebaut: Sojabohnen, Mais, Baumwolle, Raps und Zuckerrüben. Die wichtigsten Erzeuger sind die USA, Argentinien, Brasilien und Indien. Dann erst kommt China. Diese Agrarprodukte dürfen jedoch nur in die EU eingeführt werden, wenn sie eine der derzeit 50 Importzulassungen besitzen. Gentechnisch veränderte Futtermittel gelten nach aktuellem Forschungsstand als unbedenklich für Milch, Fleisch oder Eier.
Dass die USA und China auf diesem Feld zusammenarbeiten, ist nicht selbstverständlich. US-Unterhändler haben China in der Vergangenheit immer wieder dazu gedrängt, die Beschränkungen für gentechnisch veränderte Pflanzen zu lockern. Dies würde amerikanischen Agrartech-Firmen den Zugang zum Verkauf ihres veränderten Saatguts und anderer Gentechnik-Produkte in Chinas riesigem Agrarsektor ermöglichen. China beherbergt 22 Prozent der Weltbevölkerung, verfügt aber nur über acht Prozent der weltweiten Ackerfläche.
Peking scheint jedoch bislang nicht bereit zu sein, den inländischen Anbau von gentechnisch verändertem Getreide umfassend zu öffnen, bis einheimische Firmen auftauchen, die stark genug sind, um die globalen Agrartech-Giganten, allen voran aus den USA, herauszufordern. China werde die Innovation, Forschung und Entwicklung sowie die Anwendung genetisch veränderter Organismen weiter fördern und regulieren, teilte das Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Angelegenheiten in diesem Februar mit.
Wie in anderen Wirtschaftsfeldern auch könnten also aufkommende Eigenentwicklungen die Einstellung der Führung zu einer Produktgruppe verändern. Die Marktzulassung von FTO-Nutzpflanzen durch chinesische Agrarfirmen wäre im Erfolgsfall ein technologischer und wirtschaftlicher Meilenstein, auf den Peking kaum verzichten wird. Dazu könnten sich dann auch die Gentechnik-Regeln ändern.
Im nächsten Schritt wollen die Forscher nun den gleichen Effekt ohne artfremde Varianten der FTO-Gene erreichen, indem sie die vorhandene Sequenz aus dem Genom der Pflanze an den entscheidenden Stellen verändern. Das nimmt der Technik zumindest den beunruhigend klingenden Aspekt, menschliche Gene in die Pflanze einzubringen und mitzuessen.
Die Veranstaltungsreihe zu den Wirtschaftsbeziehungen mit China am Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel fing mit einem hochaktuellen Thema an: der Bewegung hin zu mehr Protektionismus zwischen den großen Wirtschaftsräumen. Die Motive dafür sind vielfältig. Der Schutz vor Lieferengpässen wie zuletzt bei Schutzmasken oder Mikrochips steht derzeit ganz oben auf der Liste und erhält auch in der Öffentlichkeit viel Zustimmung. Andere Politiker hoffen auf positive Effekte für den Arbeitsmarkt in der klassischen Industrie, wenn wieder mehr Waren und Teile aus dem Inland kommen. Das Investitionsabkommen CAI mit der Volksrepublik ist derweil in die Mühlen politischer Anfeindungen zwischen China und der EU geraten. Es sollte eigentlich für beide Seiten den Marktzugang verbessern.
Jörg Wuttke als langjähriger Präsident der EU-Handelskammer in China brachte zu diesen Themen eine Perspektive aus der Praxis ein. Der Ökonom und IfW-Chef Gabriel Felbermayr steuerte eine fachliche Bewertung auf Basis von wissenschaftlichen Berechnungen bei.
Felbermayr hat die Ergebnisse seiner Untersuchungen bereits hier im China.Table dargelegt: Durch die Produktion in Fernost und den Zukauf von Teilen aus der Volksrepublik gewinnt die deutsche Wirtschaft viel mehr dazu, als sie durch größere Eigenständigkeit erlangen könnte. Die Vorteile einer Abschottung müssten die Zugewinne erst einmal übertreffen, damit Handelsschranken lohnen. Die auf mehrere Weltgegenden verteilte Wirtschaft spart jedoch Kosten und schafft Effizienz. Am Ende haben dadurch alle Beteiligten mehr als vorher, so Felbermayr.
Die Frage nach Abschottung oder Freihandel ist noch nicht einmal knapp entschieden, sondern sehr eindeutig. Nach Simulationen des IfW besteht zwischen den Vor- und Nachteilen einer Abschottung ein deutliches Missverhältnis. Der freie Handel ist dabei um Größenordnungen nützlicher als das Pochen auf Eigenständigkeit. Die deutsche Wirtschaftsleistung würde durch Protektionismus um bis zu 1,4 Prozent abnehmen. Zwar schafft ein Rückzug auf Produktion in der EU in Krisenzeiten etwas mehr Sicherheit. Doch im Gesamtbild wird sie im Vergleich “schweineteuer”, wie Felbermayr es ausdrückt. Auch die Konsumenten haben damit am Ende deutlich weniger, der Lebensstandard sinkt.
Wuttke verändert hier noch einmal die Perspektive und blickt von China aus auf das Problem. Er verweist auf eine Studie der EU-Kammer zusammen mit dem China-Forschungsinstitut Merics, die sich mit den Folgen einer Entflechtung beschäftigt hat. Die Forscher betonen darin, dass China seinerseits nie eine völlige Öffnung vollzogen hat. Es gab demnach von chinesischer Seite her stets nur eine “selektive Kopplung”, wo es den Wirtschaftsplanern gerade gut gepasst hat. Das gilt für die frühe Phase der Wirtschaftsbeziehungen bis heute. Ärger war damit programmiert. Der Westen musste früher oder später mit Ablehnung auf eine Form der Wirtschaftsbeziehung reagieren, die vor allem einer Seite nutzt.
Die Volksrepublik hat also seit Beginn der vermeintlichen Öffnungspolitik systematisch eigene Branchen und Firmen vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Die Marktöffnung betraf vor allem die Sektoren, in denen das Land etwas lernen wollte. Eine Öffnung erfolgte erst, wenn die eigene Wirtschaft schon weit genug entwickelt war. EU und USA haben dagegen den Importen aus China von Anfang an die Tore weit geöffnet, auch wenn einheimische Firmen darunter litten.
Viel schmerzhafter als den beginnenden Protektionismus von westlicher Seite empfinden die Unternehmen vor Ort daher die chinesische Abschottung. “Wir klopfen immer wieder an die große Mauer und werden nicht eingelassen”, sagt Wuttke. Chinas Reaktion auf die Krise der gegenseitigen Abhängigkeit besteht auch jetzt darin, auf mehr Eigenständigkeit zu setzen. Größere Unabhängigkeit vom Ausland ist derzeit eines der erklärten Ziele der Planer. Das gilt vor allem im Technologie-Sektor.
Diese Politik könnte jedoch auch der Volksrepublik selbst mehr schaden als nützen, warnte Wuttke. “China ist viel abhängiger von Europa als Europa von China”, beobachtet der Präsident der EU-Handelskammer. Die meisten Technik-Transfers für China kommen aus der EU, und die europäischen Länder sind ein riesiger Abnehmer für chinesische Waren.
Die politischen Prioritäten wie der Drang nach Eigenständigkeit hemmen nach Wuttkes Beobachtung jetzt schon die Entfaltung des chinesischen Potenzials. Seit der Öffnung Ende der 70er-Jahre habe sich die Volksrepublik sehr ähnlich entwickelt wie Japan und Südkorea in ihren jeweiligen Boom-Phasen. Doch der Gleichlauf der ökonomischen Kurven endet bereits, Chinas Entwicklung fällt unter die damalige Wohlstandsentwicklung der Nachbarn zurück.
Für die EU besteht nach Ansicht der beiden Experten also keine Notwendigkeit, Zölle heraufzuschrauben oder anderweitig die Tore für Waren aus Fernost zu schließen. Felbermayr weist zudem darauf hin, dass die vermeintliche Abhängigkeit der EU von China nicht etwa zugenommen hat. Die Lieferbeziehungen europäischer Unternehmen sind sehr ausgeglichen verteilt. Die USA bleiben ein wichtiger Partner.
Das europäische Lieferkettengesetz erscheint dabei sowohl Felbermayr als auch Wuttke als mögliches Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung in beiden Regionen. Laut Felbermayr ist es Ausdruck einer neuen Form des Protektionismus. Wuttke als Praktiker aus der Wirtschaft sieht enorme Komplikationen auf die Industrie zukommen.
Lieferunterbrechungen treten zudem nicht nur in Asien auf, sondern auch in Europa. Das zeigt sogar die Corona-Krise, die eigentlich als Beleg für die Notwendigkeit einer Abkopplung herangezogen wird. Zwar gab es in der ersten Phase Produktionsausfälle in betroffenen chinesischen Regionen wie Wuhan. Doch letztlich hat sich die Volksrepublik viel schneller erholt als die EU und lebt heute praktisch Corona-frei. Umso wertvoller war es als Absatzmarkt für die angeschlagenen westlichen Volkswirtschaften.
Die nächste Veranstaltung aus der Reihe findet am 30. September statt: Fairer Wettbewerb und Subventionen – Europas Unternehmen und der Konkurrenzdruck Chinas. Es diskutieren Dietmar Baetge von der Technischen Hochschule Wildau und Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln.
01.09.2021, 4:00-5:00 PM PT
Vortrag, WSCRC: Deciphering Xi Jinping’s Vision and What It Means for the Tech Sector Mehr
02.09.2021, 9:00-10:00 AM EST
Buchvorstellung, CSIS: Rethinking Chinese Politics by Joseph Fewsmith Mehr
02.09.2021, 13:30-18:30 PM Shanghai Azul Italiano – North Bund
Event, AHK China: maXcomm Shanghai 2021: “Brand Building and Sales Acceleration – How to Localize for the Chinese Market” Mehr
06.09.2021, 10:00-11:00 AM (4:00-5:00 pm Beijing Time)
Webinar, EU SME: EU – China Publishing Business Collaboration Mehr
Der Smartphone-Hersteller Xiaomi hat die Übernahme des Start-ups Deepmotion für 77 Millionen US-Dollar bekannt gegeben. Deepmotion wurde vor vier Jahren gegründet und entwickelt Fahrerassistenzsoftware, wie Bloomberg berichtet. Der Kauf von Deepmotion soll das chinesische Unternehmen bei der Entwicklung von Technologien zum vollständigen autonomen Fahren helfen, wie der Manager Wang Xiang sagte. Die Übernahme des Start-ups geht mit der Expansion des Smartphone-Herstellers in den E-Auto-Sektor einher. Das Unternehmen will in den nächsten zehn Jahren zehn Milliarden US-Dollar in diesem Bereich investieren. Im zweiten Quartal 2021 hat Xiaomi den US-Anbieter Apple erstmals als zweitgrößten Smartphone-Hersteller abgelöst. Der Nettogewinn stieg in den drei Monaten bis Juni um 80 Prozent auf umgerechnet fast 1,1 Milliarde Euro. nib
Volvo Trucks steht kurz vor dem Kauf des chinesischen LKW-Herstellers JMC Heavy Duty Vehicle. Die Übernahme für umgerechnet 123 Millionen US-Dollar muss noch durch chinesische Behörden genehmigt werden, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Volvo, eine Tochter des chinesischen Herstellers Geely, würde mit dem Kauf die volle Kontrolle über JMC Heavy Duty Vehicle erlangen und müsste kein Joint-Venture eingehen. Im Jahr 2020 erließ die chinesische Regierung neue Regeln, um die Joint-Venture-Pflicht in der Nutzfahrzeug-Produktion aufzuheben. Das schwedisch-chinesische Unternehmen würde damit auch eine LKW-Fabrik im nordchinesischen Taiyuan übernehmen. Dort sollen Caixin zufolge ab Ende 2022 jährlich 15.000 LKW für den chinesischen Markt hergestellt werden. Aufgrund des Logistik-Booms in China ziehen dem Portal zufolge viele LKW-Hersteller Produktionsanlagen in der Volksrepublik in Betracht. nib
Das chinesische E-Auto-Unternehmen Xpeng hat gemischte Quartalszahlen vorgelegt. Xpeng musste im 2. Quartal Nettoverluste in Höhe von umgerechnet 184 Millionen US-Dollar ausweisen – höher als zuvor von Analysten prognostiziert. Als Ursache werden hohe Ausgaben in Forschung und Entwicklung sowie Marketing und Vertrieb angegeben. Xpeng konnte jedoch die Umsätze steigern und lieferte mit gut 17.400 Autos im zweiten Quartal mehr Autos aus als geplant, wie Bloomberg berichtet. Insgesamt wächst der Markt für E-Autos in China wieder stärker. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden fast 1,5 Millionen Fahrzeuge mit alternativen Antrieben verkauft. Mehr als im gesamten Vorjahr, wie Daten der China Association of Automobile Manufacturers zeigen. nib
Der Netzwerkspezialist Huawei hat in den USA offenbar die Erlaubnis zur Bestellung von Auto-Chips aus amerikanischer Produktion erhalten. Die Genehmigung durch die Regierung unter Präsident Joe Biden gilt als Anzeichen dafür, dass sie die Sanktionen gegen das chinesische Unternehmen aufweichen könnte. Konkret gehe es um Halbleiterelemente für Sensoren, die in selbstfahrenden Autos zum Einsatz kommen, berichten übereinstimmend die chinesische Volkszeitung und die Nachrichtenagentur Reuters. Huawei steigt derzeit als Zulieferer in das Fahrzeuggeschäft ein (China.Table berichtete).
Bidens Vorgänger hatte die Ausfuhr von Hochtechnologie an potenziell gefährliche Unternehmen aus China genehmigungspflichtig gemacht und dann jede Genehmigung verweigert. Das kam einem Ausfuhrstopp von wichtigen Komponenten für Huawei und andere chinesische Technikfirmen gleich. Da es sich um eine Genehmigungspflicht handelt, nicht um ein generelles Verbot, kann Biden die Politik nun ohne eine neue Regeländerung nachjustieren. fin
Staatschef Xi Jinping sorgt sich um Chinas Wirtschaftsziele für das laufende Jahr und deutet neue Konjunkturmaßnahmen an. Das berichtet der Nachrichtenagentur dpa mit Bezug auf einen Artikel in der parteieigenen “Volkszeitung”. Die Zentralbank könne dazu die Geldpolitik erneut lockern und frische Kredite freigeben. Auch neue Infrastrukturprojekte sind im Gespräch. Hintergrund ist eine schwächere Erholung der Wirtschaft im zweiten Corona-Jahr. fin
Chinas neues Ideal ist das einer “geburtenfreundlichen Nation.” Dafür lässt Peking online nach Propagandalosungen suchen, die Chinas Haushalten den erlaubten Kindersegen mit der 3-Kind-Politik schmackhaft machen sollen. Die Internetgemeinde reagierte anders als erhofft – mit einem wütenden und höhnischen Shitstorm.
Wieder einmal verlangt die Kommunistische Partei von Chinas Familien, sich neu zu erfinden. Alles, was einst galt und worunter sie litten, sollen sie über Nacht vergessen: 35 Jahre Ein-Kind-Politik mit erzwungener Geburtenkontrolle, Überwachung, Abtreibung, Sterilisation und Schikanen ohne Ende durch den sich bis in ihre Schlafzimmer einmischenden Staat sollen einfach so passe sein. Kinderreichtum ist wieder erste Bürgerpflicht, beschloss das Politbüro am 31. Mai. Die Parteielite prägte als neue Losung: “Lasst uns eifrigst eine geburtenfreundliche Gesellschaft schaffen.” (努力构建 生育友好型社会).
Der Nationale Volkskongress (Chinas sozialistisches Parlament) brauchte keine acht Wochen, um dafür mit 21 Änderungen das seit 2002 geltende Bevölkerungs- und Familienplanungsgesetz der Volksrepublik zu überarbeiten. Nur 2015 war es um einen Zusatz erweitert worden, dass Chinesen auch zwei Kinder haben dürfen. Am Dienstag vergangener Woche beriet der Ständige Parlamentsausschuss über die umfassend revidierte Neufassung. Schon freitags wurde sie nach erster Lesung durchgewunken und sofort in Kraft gesetzt.
Das Gesetz erlaubt drei Kinder, streicht alle Strafen und Geldbußen für unangemeldete Geburten und verspricht den Familien künftige staatliche Unterstützung. Die Palette reicht vom bezahlten Elternurlaub, mehr Kitas bis zu geburtenfreundlichen Anpassungen des Finanz-, Steuer-, Versicherungs- und Bildungswesen sowie beim Wohnungsbau und der Beschäftigung. Noch im laufenden Fünfjahresplan bis 2025 will die federführende Planungsbehörde NDRC erste Pflöcke für China als Willkommensgesellschaft einschlagen; auch das Alter für die Ehe und die Geburt des ersten Kindes sollen wieder gesenkt werden. 1990 heirateten Chinesen im Durchschnitt mit 21,4 Jahren. 2017 waren sie 25,7 Jahre alt.
Um dafür kräftig die Propagandatrommel zu rühren, rief Chinas Verein für Familienplanung zum Wettbewerb für neue geburtenfreundliche Parolen auf. Einsendeschluss ist der 15. September. Danach wird eine Jury 35 Slogans auswählen und prämieren. Die Autoren der fünf besten Werbesprüche erhalten jeweils 1.000 Yuan (umgerechnet 130 Euro).
Vielen Chinesen kommt Pekings Wandel zu abrupt. Das Netz ist voller Wut. Die Nutzer erinnern an grausame und ungesühnte Vorfälle, wo allmächtige Staatskontrolleure auf dem Land nach außerplanmäßig Hochschwangeren fahndeten. Sie zwangen die Frauen zur Abtreibung, ließen ihre Häuser zur Abschreckung der Nachbarn abreißen. Illegal geborene Babys wurden als “schwarze Kinder” gebrandmarkt oder ihren Vätern extreme Geldbußen aufgebrummt.
Mikroblogs zeigen Fotomontagen des weltberühmten Regisseurs Zhang Yimou, der am 9. Januar 2014 als “Sozialabgabe” wegen Verstoß gegen die Ein-Kind-Politik für seine drei Kinder 7,48 Millionen Yuan (fast eine Million Euro) Strafe zahlen musste. Sie lassen Zhang theatralisch ausrufen: “Gebt mir meine Millionen zurück.” Das wollen viele Zehntausende normale Chinesen auch, die Geldbußen zahlen mussten.
Nachrichten-Webseiten von Parteimedien, die die neue Geburtenpolitik priesen und dafür virtuelle Prügel bezogen, schlossen wegen zu vieler “Junkmails” (垃圾评论) ihre Kommentarfunktionen. Peking zensiert Rufe nach Übernahme der Verantwortung und nach kritischer Aufarbeitung seiner Ein-Kind-Politik. Blogger schrieben Sprüche wie: “Wenn unsere Führer uns um Entschuldigung bitten würden, brächte das mehr bringen als 100 Slogans.” ( 领导出来道个歉比想一百条标语管用.)
Hohn und Spott über die Dreikinder-Familie versteckt sich hinter Andeutungen. Mein Favorit ist ein Wortspiel mit dem unterschiedlich geschriebenen, aber gleich ausgesprochenen Schriftzeichen “Jiu”, das entweder die Zahl Neun (九) bedeutet, oder chinesischer Schnittlauch (韭菜). Der Spruch “三三得韭” könnte als “3 mal 3 ist 9” verstanden werden, oder als “3 mal 3 macht (Dich) zu Schnittlauch.” Die Lauchpflanze gilt als Synonym für das Volk. Sie wächst nach, auch wenn sie immer wieder abgeschnitten wird.
Ein Blogger schlug vor, als Antwort auf Pekings Propaganda einen Doppelspruch (对联) traditionell längs an die Haustür zu hängen: Auf der einen Seite steht: Die Eltern bringen in einem Haushalt drei Kinder zur Welt und müssen vier Großeltern pflegen. Auf der anderen Seite steht: Um acht Uhr zur Arbeit, um 21 Uhr nach Hause. Das strengt extrem an, und der Millionen-Wohnungskredit ist noch nicht abgestottert. Als Auflösung lautet der Querspruch darüber: “Das ist das Leben des Schnittlauchs” (一个家庭,两个夫妻,生三个孩子,养四个老人。八点上班,晚九点下班,费十分力气,还百万房贷。韭菜的一生).
Peking brennt es unter den Nägeln seit der jüngsten, im Mai erschienenen Volkszählung. China ist mit seiner Geburtenrate von 1,3 zum internationalen Schlusslicht geworden. Mit zwölf Millionen Neugeburten 2020 fürchten Demografen, dass die derzeit 1,41 Milliarden-Bevölkerung ab 2022 erstmals schrumpft. Auch das Heer der 16- bis 59-jährigen Arbeitskräfte verringert sich. Als drittes Alarmsignal ist die Alterspyramide umgekippt. Nach Angaben des 2020 China Development Report wird China schneller alt als reich. Bereits heute sind 181,6 Millionen Chinesen über 65 Jahre alt.
Warnungen vor den negativen wirtschaftlichen und demografischen Folgen der staatlichen Geburtenplanung haben Peking seine Politik ändern lassen. Dagegen fehlt jede gesellschafts- und selbstkritische Reflexion. Nur der Literatur-Nobelpreisträger Mo Yan thematisierte das Problem in seinem Roman “Der Frosch” ( 莫言:蛙), als er das Schicksal einer Abtreibungsärztin auf dem Land nacherzählte.
Chinas erzwungene Geburtenkontrolle war furchtbar erfolgreich. Nach Schätzungen leben heute 180 Millionen Einzelkinder in der Volksrepublik. Pekings Gesellschaftsingenieure haben ganze Arbeit geleistet. Was sie dadurch in der Seele der Nation anrichteten, lässt sich kaum erahnen.
Francois-David Martino hat an der Spitze der Becker Stahl Service (BSS) die Nachfolge von Dr. Thilo Theilen als CEO angetreten. Bis Juni hatte Martino die China-Geschäfte des italienischen Anlagenbauers Danieli geleitet. Nach seinem Maschinenbau-Studium war er unter anderem bei Thyssenkrupp und Siemens tätig.
Yu Yongfu wird neuer CEO von Alibaba Local Services. Die Abteilung vereint Dienstleistungen wie Essenslieferdienste und lokalen Handel unter einem Dach. Yu folgt auf Li Yonghe, der nach einem Vergewaltigungsvorwurf gekündigt hatte.
Jack Kline repräsentiert mit seiner gleichnamigen Beratungsfirma künftig Cinity, eine Tochter der China Film Group und der Firma Huaxia Film Distribution. Cinity stellt Großleinwände, Projektoren und andere Filmtechnik her.
“Ein neues Schuljahr, ein neuer Anfang”, schreibt diese Grundschullehrerin im Pekinger Distrikt Haidian schön zweifarbig an die Tafel. Das Blümchenmuster soll den Start umso freundlicher erscheinen lassen. Anderswo im Gebäude wird geschrubbt und desinfiziert, um die Klassenräume in der Pandemie hygienisch zu halten. Manche Grundschüler:innen in der deutschen Hauptstadt Berlin würden die jungen Pekinger um ihre sauberen und gut ausgestatteten Schulen beneiden.