Table.Briefing: China

Betriebliche Mitbestimmung + Aufarbeitungs-Debatte unter Sinologen

Liebe Leserin, lieber Leser,

chinesische Investoren als Schrecken für die Arbeitnehmer – dieses Zerrbild ist überholt. Betriebsräte und Gewerkschaften haben mit den Eigentümern aus China die gleichen Freuden und Nöte wie mit einheimischen Eignern, schreibt Christian Domke Seidel. Er hat sich umfassend unter Belegschaftsvertretern von Firmen umgehört, die sich in chinesischer Hand befinden. Amerikanische Investoren haben viel weniger Verständnis für Mitbestimmung als solche aus China, lautet eine Erkenntnis.

Teile der deutschen Sinologie sehen sich mit der Forderung nach einer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit konfrontiert. Darüber schreibt heute Marcel Grzanna. Viele Chinaforscher mit Seniorität hatten in den 1970er-Jahren deshalb Zugang zum Land, weil sie große Sympathien für den Maoismus hegten. Das hat ihnen zwar einen Informationsvorsprung verschafft. Im heutigen Klima kommt jedoch die Forderung nach einer klaren Distanzierung von der damaligen Haltung auf.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Analyse

Betriebsräte mögen chinesische Investoren – meistens

Der Augsburger Roboterbauer Kuka ist seit 2016 mehrheitlich im Besitz des chinesischen Midea-Konzerns. Die Arbeitnehmerrechte gelten unverändert.

Sei es die Minderheitsbeteiligung der China Ocean Shipping Company (COSCO) an der Hamburger Hafen und Logistik (HHLA) oder die Investitionen von Contemporary Amperex Technology (CATL) in Thüringen – Politik, Öffentlichkeit und Mitbewerber stehen chinesischen Investoren meist sehr kritisch gegenüber. Aus geopolitischer oder gesamtwirtschaftlicher Sicht mag es dafür Gründe geben. Die Beschäftigten der betroffenen Unternehmen müssen sich jedoch weniger Sorgen machen. Die Erfahrungen der Gewerkschaften und Betriebsräte mit Investoren aus der Volksrepublik sind grundsätzlich gut. 

Chinesische Investitionen in Deutschland

Dabei ist der vermeintliche Goldrausch chinesischer Investoren in Deutschland erst einmal vorbei. Zwischen den 2011 und 2020 übernahmen 193 Investoren insgesamt 243 deutsche Unternehmen ganz oder teilweise. Mit 48 Übernahmen war das Jahr 2016 der absolute Höhepunkt, wie das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung vorrechnet. Im Jahr 2022 überstiegen die echten Neugründungen auf der grünen Wiese (Greenfield) erstmals die Übernahmen vorhandener Firmen und Anlagen (Brownfield).

Im Vorfeld der Übernahmen hat bei Gewerkschaften, Betriebsräten und Beschäftigen meist die Skepsis überwogen. Zu Unrecht, wie sich jetzt im Nachhinein zeigt. “Chinesische Investoren haben bei ihren Investitionen tendenziell eine Langzeitperspektive, was positiv für die Belegschaft ist. Das ist ein Unterschied zu eher aktivistischen Investoren aus anderen Ländern, die sich stark am Finanzmarkt orientieren, das Unternehmen aufhübschen und schnell wieder verkaufen.” Das erläutert Romy Siegert im Gespräch im China.Table. Sie ist bei der IG Metall für den Bereich transnationale Gewerkschaftspolitik zuständig und war zuvor vier Jahre in der Peking-Niederlassung der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig.

Wichtig seien den Investoren beim Einstieg drei Punkte gewesen, so Siegert.

  • Erstens das Label ‘Made in Germany’, das in China bei Kunden geschätzt würde.
  • Zweitens die Möglichkeit, Zutritt zum europäischen Markt zu bekommen.
  • Und drittens ein Technologietransfer.

Zumindest für die ersten beiden Aspekte sei eine langfristige Perspektive wichtig. Entsprechend hätten sich die chinesischen Investoren auch bei den Verhandlungen verhalten. “Bei den Übernahmen gab es in vielen Fällen Zusagen für mehrjährige Standortsicherungen. Außerdem floss viel Geld für Forschung und Entwicklung in die deutschen Tochterunternehmen”, führt Siegert rückblickend aus.

Die Studie “Chinesische Investitionen im Ruhrgebiet” von der Ruhr Universität Bochum kommt zu einem ähnlichen Schluss. Darin äußerte sich ein Angestellter von ThyssenKrupp Tailored Blanks, einem Hersteller von Autoblechen, der 2012 an die chinesische WISCO verkauft wurden: “Wenn ich die Wahl zwischen Chinesen und Amerikanern hätte, dann lieber Chinesen. Amerikaner haben nichts mit Arbeitnehmerrechten zu tun, Chinesen akzeptieren diese.”

Angst vor dem eigenen Image

Allerdings haben Gewerkschaften und Betriebsräte bei den verschiedenen Übernahmen und Investitionen auch enorm viel Aufklärungsarbeit geleistet. Chinesische Manager mussten lernen, wie deutsche Gewerkschaften arbeiten, wie sie sich von Betriebsräten unterscheiden und welche Rechte und Pflichten sie haben.

Grundsätzlich würden chinesische Investoren mit dem gesetzlichen Regelwerk arbeiten, das sie vorfinden – egal wo auf der Welt, heißt es aus Gewerkschaftskreisen. Gäbe es kaum Mitbestimmung und wenig Arbeitsrecht, würden diese Instrumente auch nicht neu eingeführt. Für die Beschäftigten in Deutschland ist das tendenziell eine gute Nachricht. Für Arbeiter in vielen afrikanischen Ländern gilt das allerdings nicht. Die chinesischen Investoren, so Siegert, würden sich vor allem vor schlechter Presse fürchten. Es gehe darum, das Image des Konzerns und der Volksrepublik zu schützen

Chinesische Manager erhalten Strukturen

Auch an der alltäglichen Arbeit hätte sich in den meisten Fällen erst einmal wenig verändert, analysiert Siegert. “Bei Übernahmen verändern sich die Managementstrukturen selten direkt. Oftmals kommt nur ein chinesischer Vertreter dazu, der für die Kommunikation mit dem Mutterkonzern zuständig ist. Die etablierten Strukturen der Mitbestimmung – ob funktional besser oder schlechter – bleiben also meist im Zusammenspiel mit weiterhin bestehenden Geschäftsführungen erhalten.”

Gerade in den produzierenden Industrieunternehmen gab es sogar positive Effekte. So steigerten die Firmen ihre Produktion, weil die chinesischen Investoren (oftmals) abgespeckte Varianten der Produkte auf ihrem Heimatmarkt oder in Entwicklungsländern verkaufen wollten. 

Praktisches Beispiel: Gotion Battery

Konkrete Einblicke in ein Unternehmen, das von chinesischen Investoren übernommen wurde, bieten André Merder und Till Pahmeier. Die beiden sind Betriebsräte bei der Gotion Battery GmbH. Der chinesische Hersteller hatte im Jahr 2022 ein Bosch-Werk in Göttingen übernommen. Anschließend berichteten die beiden Betriebsräte auf dem Panel “Neue Akteure in der Transformation zum E-Auto: Herausforderung für die Mitbestimmung durch chinesische Batteriehersteller”, das im Rahmen der Plattform Labor.A der Hans-Böckler-Stiftung stattfand.

Das Werk, um das es dabei geht, ist etwa 70 Jahre alt. Unter Bosch-Führung fertigten die rund 240 Angestellten noch Starter und Generatoren für Verbrennermotoren. Ab Ende 2023 sollen hier Batterien entstehen. Das bedeutet, dass das Werk von einer eher manuellen auf eine hochautomatisierte Produktion umgestellt wird. Der Umbruch ist gigantisch. Die Übernahme sei eine Mischung aus einer Greenfield- und einer Brownfield-Investition gewesen. Also aus einer Neugründung und einer Übernahme.

Trainingsprogramme bei der Mutter in China

Plötzlich müssen sich die Beschäftigten mit den Gefahren und Anforderungen eines Hochvoltproduktes auskennen. “Wir kennen das Produkt und die Prozesse nicht. Da Gotion war ein guter Partner. Es gab Trainingsprogramme in China, zu denen viele Mitarbeiter eingeladen wurden, die dann lange vor Ort waren”, berichtet Merder. Zum anderen kamen auch auf das Werk Umbauten zu. All das kostet Zeit und Geld. Ressourcen, die Gotion aber bereit ist zu investieren.

Gab es von Bosch lediglich die Zusicherung, im Werk bis zum Jahr 2027 weiterzuproduzieren, gebe es unter dem chinesischen Investor jetzt eine langfristige Perspektive. “Die Kollegen sind sehr motiviert. Weil sie jetzt eine Zukunft sehen, die sie so unter Bosch nicht gesehen haben”, beschreibt Merder die Stimmung. Aufgrund dieser Zukunftsperspektive habe der Betriebsrat die Übernahme unterstützend begleitet, erklärt Pahmeier.

Abschwung schafft erste Probleme

In den vergangenen zwei Jahren seien allerdings erstmals Probleme aufgetreten, so Stiegert. Da sich in China die wirtschaftliche Entwicklung abgeschwächt hat, müssen auch deutsche Niederlassungen Einsparungen vornehmen. Doch zwischen den chinesischen Investoren und den Vertretern der Arbeitnehmer gibt es häufig keine direkte Kommunikation. Diese laufe meist über das deutsche Management. Aus Sicht der IG Metall sei das ein Problem. 

Auch deshalb hat die IG Metall das China-Invest-Netzwerk gegründet. Darin organisieren sich Arbeitnehmervertreter von Firmen mit chinesischen Investoren. Es geht um Austausch und Lerneffekte. Vor allem bei Greenfield-Investitionen ist das notwendig. Siegert beobachtet, dass chinesische Greenfield-Investitionen im Ausland mit Arbeitnehmern aus der Volksrepublik betrieben werden – beispielsweise in Ungarn. Und das sieht die Gewerkschaft gar nicht gern.

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Kommunismus und Klassenkampf holen die deutsche Sinologie ein

Die deutsche Sinologie hat viel Arbeit vor sich. Personell knapp besetzt kann sie den riesigen Bedarf an China-Kompetenz bei steigender Nachfrage unmöglich decken. Noch dazu ist der Fachbereich zurzeit intensiv mit sich selbst beschäftigt.

Es kursieren Fragen, die an seiner Glaubwürdigkeit rütteln. Wie unabhängig ist die Disziplin von den Interessen des chinesischen Parteistaats? Wird ein allzu kritischer Umgang mit der Kommunistischen Partei in der China-Wissenschaft hierzulande blockiert? Hat die Sinologie den Maoismus ausreichend aufgearbeitet?

Die Fragen werden emotional diskutiert, weil sie die Grundfesten einer elitären Fachrichtung angreifen, deren Bedeutung mit Chinas wachsendem Einfluss auf das Weltgeschehen zunimmt, aber von jungen Studenten verstärkt ignoriert wird. Ein Teil der Fachschaft fühlt sich “zu Unrecht an den Pranger gestellt” von jenen, die ihm vorwirft, kompromittiert zu sein durch ein Netzwerk, das ihm bessere Karrierechancen verschafft.

Diskussion um die Glaubwürdigkeit

Die Diskussion um die Glaubwürdigkeit ist hausgemacht. Die emeritierten Professoren Thomas Heberer und Helwig Schmidt-Glintzer hatten einen Zeitungsbeitrag über eine Reise nach Xinjiang geschrieben und ein Ende der EU-Sanktionen gegen chinesische Funktionäre empfohlen.

Auf breiter Front erntete das Duo Unverständnis. Zumindest in Deutschland. Der Sinologe Kai Vogelsang von der Universität Hamburg hält die “fatalen Fehleinschätzungen der chinesischen Diktatur”, wie die von Heberer und Schmidt-Glintzer, am vergangenen Wochenende in der NZZ nicht nur für individuelles Versagen, sondern für eine “Bankrotterklärung der Sinologie”.

Chinesische Medien dagegen sahen in der Darstellung eine Bestätigung für die Perspektive der Regierung in Peking, die ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang als Notwendigkeit abtut. Dass zwei derart erfahrene Sinologen bei einem so brisanten Thema, bei dem Peking mit aller Kraft um die Deutungshoheit ringt, Monate nach ihrer Reise in die Falle einer Redaktion getappt sein sollen, die gerne “harte Thesen” hatte lesen wollen, ist für einen Großteil der Fachwelt schwer nachvollziehbar.

Gewichtige Stimme der deutschen China-Forschung

Heberer zum Beispiel betrieb schon lange intensive Feldforschung im Land, bevor China als Wirtschaftspartner in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte. Er erarbeitete sich eine Autorität in der Disziplin, die bis heute nachwirkt. Dabei halfen ihm Verbindungen zum chinesischen Parteistaat, die schon in den 1970er-Jahren über den Kommunistenbund Westdeutschlands (KBW) entstanden waren. Wegen seiner tiefen Kenntnisse der Volksrepublik avancierte er zu einem einflussreichen Politikberater, der Bundes- und Ministerpräsidenten auf deren China-Reisen begleitete.

Heberer war als junger Mann in den 1970er-Jahren nach Peking gegangen und hatte dort für eine örtliche Propaganda-Zeitung gearbeitet. Parallel dazu forschte er im Feld zu ethnischen Minderheiten. Bis 1982 verfasste er mehrere Artikel für das Journal “Kommunismus und Klassenkampf”, das Organ des westdeutschen Kommunistenbundes. In einem zitierte er den Sowjet-Diktator Josef Stalin mit lobenden Worten. Seine intimen Kenntnisse des kommunistischen Chinas verdankt er also auch seiner damaligen ideologischen Nähe zum System.

“Hat über Jahre ein falsches Chinabild vermittelt”

All das ist lange her. Und Heberer war beileibe nicht der Einzige, der dem Maoismus in dieser Zeit aufgeschlossen gegenüberstand. Beispiel: Reinhard Bütikofer. Der Grünen-Europaparlamentarier engagierte sich damals ebenso im KBW. Inzwischen distanziert sich Bütikofer jedoch von seiner jugendlichen Begeisterung und gilt als Kritiker des chinesischen Parteistaats.

Eine vergleichbare Distanzierung vermisst der Politologe Andreas Fulda von der Universität Nottingham von Heberer. “Mir ist kein wissenschaftlicher Text bekannt, in dem er selbstkritisch seine politische Arbeit in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren reflektiert hat. Seine spätere China-Wissenschaft war blind für die Schattenseiten der chinesischen Autokratie und hat über Jahre ein falsches Chinabild vermittelt”, sagt Fulda. Er glaubt, dass der Fall zu Reformen in der deutschen Sinologie führen wird.

Heberer hatte erheblichen Einfluss

Sinologe Sascha Klotzbücher von der Universität Bratislava wirft seiner Disziplin vor, Heberer nie abverlangt zu haben, sich deutlicher zu distanzieren und die Verfehlungen der Kommunistischen Partei in die Beurteilung des Landes einfließen zu lassen, sondern sich stattdessen “um ihn geschart” zu haben. Heberer habe explizit vorgemacht, dass für Feldforschung langjährige Kooperation mit den Behörden vor Ort nötig sei, was in einer stark staatszentrierten, technologisch-bürokratischen Sichtweise gemündet sei. “Die Nichtbeachtung von diesen potentiellen Interessenkonflikten in dieser Position und ihre Entstehungsgeschichte bleiben sein blinder Fleck”, sagt Klotzbücher.

Der Sinologe und Xinjiang-Experte Björn Alpermann, der in der Vergangenheit schon mit Heberer publizierte, sagt, dass es kein Geheimnis sei, dass Heberer einst als begeisterter Maoist nach China gegangen war. “Das wissen alle. Und es gab auch immer wieder unterschiedliche Auffassungen. Aber nur weil er früher Maoist war, ist nicht alles Wissenschaftliche von ihm untauglich.” Allerdings sagt Alpermann auch, dass die Perspektive Heberers auf die Volksrepublik stets die Fortschritte des Parteistaats ins Visier nimmt.

Heberers Doktorand Christian Göbel hält eine daraus resultierende Erbsünde für eine falsche Schlussfolgerung. Er sagt: “Nur weil ich bei Heberer promoviert habe, vertrete ich nicht eine bestimmte Position. Wenn wir unterschiedliche Ansichten hatten, dann war die Diskussion produktiv und auf Augenhöhe.

Heberers Vergangenheit außerhalb der Sinologie kaum bekannt

Innerhalb der Sinologie ist Heberers Vergangenheit weitgehend bekannt. Außerhalb der Disziplin ist sie es aber nicht. Und das ist der Knackpunkt. Denn es sind ausgerechnet Heberer und andere Stimmen, die mit “unsäglichen Aussagen” (Göbel) wie jetzt zu Xinjiang die öffentliche Wahrnehmung im China-Diskurs stark mitgestalten.

Die Sinologin und ehemalige Leiterin des Konfuzius-Instituts an der FU Berlin, Mechthild Leutner, zum Beispiel hatte wiederholt bis in die Gegenwart im Deutschen Bundestag die Internierungslager als berufliche Ausbildungs- und Deradikalisierungszentren bezeichnet. Leutner war im selben Monat von Heberers und Schmidt-Glintzers Xinjiang-Reise im Mai 2023 mit Heberer in Peking, um politikwissenschaftliche Forschung zu erörtern, wie es hieß. Ob sie auch mit in Xinjiang war, ist unklar.

Heberer jedenfalls wehrt sich. Mit einer Notwendigkeit zur Aufarbeitung des Maoismus habe seine jüngste Publikation nichts zu tun, schreibt er in einer E-Mail an China.Table.

Schmidt-Glintzer: Dokument Nr. 9 “spannend”

Auch Schmidt-Glintzer pflegt gute Drähte nach Peking. Im Jahr 1984 saß er auf der Tribüne am Platz des Himmlischen Friedens, als die Volksrepublik ihr 35-jähriges Staatsjubiläum feierte. Eine solche Anerkennung wird sicher nicht jedem Sinologen zuteil, sondern vor allem jenen, die China als Freund bezeichnet. Auch er sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die zunehmend totalitäre Regierungsform in seiner Beurteilung Chinas nicht zu berücksichtigen.

Im Jahr 2020 beispielsweise bezeichnete er das berüchtigte Dokument Nr. 9, ein internes KP-Strategiepapier als “spannend” und “kein Anlass, Angst zu haben”. In dem Papier wird vor westlichen Werten und deren Verbreitung in China gewarnt. Unter vielen China-Kennern gilt das Dokument als Indikator für die totalitären Tendenzen des Regimes unter Xi Jinping.

Sinologe Vogelsang ist dennoch überzeugt, dass eine neue Generation von Sinologen herangewachsen sei, die “über theoretische Schärfe, begriffliche Genauigkeit und einen kritischen Blick verfügen”, um beweisen zu können, dass Sinologen keineswegs “China-Versteher” oder “Apologeten des Regimes” sein müssen. “Sie müssen sich nur zu Wort melden”, fordert Vogelsang.

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News

Verdacht auf Geheimnisverrat bei Taiwans U-Boot-Programm

Präsidentin Tsai Ing-Wen präsentiert das erste im Inland entwickelte U-Boot Taiwans.

Taiwans Staatsanwaltschaft hat am Montag erklärt, sie gehe dem Verdacht auf Geheimnisverrat nach. Man befürchte, dass Einzelheiten über das nationale U-Boot-Programm durchgesickert sein könnten.

Huang Shu-kuang, Leiter des nationalen U-Boot-Programms, sagte, dass ein Auftragnehmer, der kein Angebot erhalten hatte, Informationen weitergeleitet habe nach China. Taiwans Oberste Staatsanwaltschaft erklärte, Huangs Anschuldigungen hätten “große Aufmerksamkeit” erregt. Staatsanwälte wurden angewiesen, “den Fall so schnell wie möglich zu untersuchen, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten”. Einzelheiten oder Namen wurden bislang nicht genannt.

Erst am vergangenen Donnerstag hatte Taiwan sein erstes im Inland entwickeltes U-Boot vorgestellt. Damit reagiert Taiwan auf die seit Jahren wachsende Bedrohung durch die Volksrepublik. Sollten nun geheime Informationen aus dem Programm nach außen gedrungen sein – zumal auch noch an China – wäre das ein schwerer Rückschlag für die nationale Sicherheit.

Zuletzt hatte Peking einen Plan für eine friedliche Vereinigung mit Taiwan vorgelegt – mit viel Pathos und der Betonung wirtschaftlicher Chancen. Gleichzeitig schickt Peking jedoch vermehrt Kriegsschiffe und Kampfjets Richtung Taiwan. rad

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EU treibt De-Risking voran

Die Europäische Kommission wird am Dienstag offenlegen, für welche kritischen Technologien sie das De-Risking der Beziehungen zu China vorantreiben will. Die Liste wird Teil der Brüsseler Strategie für wirtschaftliche Sicherheit sein und voraussichtlich Bereiche der Mikroelektronik, Quantencomputing, Robotik, künstliche Intelligenz und Biotechnologie umfassen. Mit der Aufzählung soll auch ein Bereich definiert werden, der für ein mögliches Screening von Outbound-Investitionen infrage kommt und dem US-Vorbild bei Beschränkungen von Investitionen unter anderem bei Halbleitern oder KI folgen würde.

Am Dienstag stehen zudem im EU-Parlament zwei wichtige Themen mit China-Bezug auf der Tagesordnung: Zum einen werden die Europa-Abgeordneten formal über das Handelsinstrument gegen wirtschaftlichen Zwang (auf Englisch anti-coercion tool) abstimmen. Zum anderen muss die EU-Kommission Rede und Antwort zu den Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik stehen. Dazu ist ab 15 Uhr eine Debatte mit den EU-Parlamentariern und einem Vertreter der Kommission vorgesehen. ari

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Peking weist Finanzierungs-Anfragen aus Pakistan zurück

Chinas Zurückhaltung bei Neuinvestitionen entlang der Neuen Seidenstraße (Belt-and-Road-Initiative, BRI) wird offenbar größer. Nach Informationen der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei hat sich Pakistan nun einen Korb geholt, als es um neue, milliardenschwere Investitionen aus China gebeten hat. Die Zeitung hatte Einblick in Protokolle von Treffen pakistanischer und chinesischer Regierungsvertreter.

Pakistan habe demnach neue Projekte aus den Bereichen Energieversorgung und Tourismus angefragt. Darunter befand sich auch eine Stromleitung zwischen der Hafenstadt Gwadar und Karatschi, der größten Stadt des Landes. China soll all das zurückgewiesen haben.

Pakistan ist einer der treuesten Seidenstraßen-Partner und hat entsprechend stark von chinesischen Investitionen profitiert. Der China-Pakistan Economic Corridor (CPEC) ist eine der wichtigsten Achsen der Seidenstraße. China rutscht allerdings derzeit in eine Finanzkrise und hat bereits seine liebe Not damit, den Kurs des Yuan halbwegs stabil zu halten. Das könnte zur Seidenstraßen-Müdigkeit beitragen. fin

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WTO warnt vor Zersplitterung des Welthandels

Die Welthandelsorganisation WTO erkennt eine unheilvolle Zersplitterung des globalen Warenaustauschs. “Wir sehen zwar noch keine großflächige Fragmentierung, aber es gibt erste Anzeichen”, sagte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala am Montag bei einer Veranstaltung in Genf. Sie nannte diesen Trend gefährlich. Auch könnte er sich am Ende als “sehr kostspielig” herausstellen. “Lasst uns die Globalisierung neu denken”, sagte die Nigerianerin.

Die WTO-Chefin spielte mit ihren Äußerungen auf Trends wie das sogenannte Friendshoring an. Damit ist gemeint, wenn Unternehmensprozesse in Länder verlagert werden, in denen ähnliche Werte geteilt werden. So sucht eine Reihe westlicher Konzerne nach Alternativen zum Produktionsstandort China. Auch das “Reshoring” sprach die WTO-Chefin an. So wird die Rückverlagerung von Produktionsstätten aus Schwellenländern zurück in die Industriestaaten bezeichnet. “Lasst uns das nicht tun”, sagte Okonjo-Iweala zu diesen beiden Trends. rtr

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Presseschau

Standpunkt

China muss eine Schulden-Deflationsspirale vermeiden

Von Shang-Jin Wei
Shang-Jin Wei
Shang-Jin Wei ist Finanzwissenschaftler an der Columbia Business School.

Die chinesische Wirtschaft bleibt hinter ihrem Wachstumspotenzial zurück. Nicht nur Investitionen und Verbrauchernachfrage präsentieren sich schwächer als erhofft, das Land steht auch vor der Herausforderung aus einer Kombination von Deflation und Schulden. Während sich die Verbraucherpreisinflation dem negativen Bereich nähert, ist die Erzeugerpreisinflation bereits seit einem Jahr negativ. Gleichzeitig haben sowohl der private als auch der öffentliche Sektor massive Schulden angehäuft, die auf die höheren Ausgaben während der Pandemie und die allgemeine Reaktion auf die lockere Geldpolitik der vergangenen Jahre zurückzuführen sind.

Bei der Kombination aus Deflation und Schulden handelt es sich um eine toxische Verquickung. Da die Deflation den realen (inflationsbereinigten) Wert der bestehenden Schulden erhöht, wird für Unternehmen die Beschaffung zusätzlicher Finanzmittel schwieriger. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit von Insolvenzen – ein Trend, der in China bereits zu beobachten ist. Sobald sich die Kombination aus Schulden und Deflation verfestigt hat, kann ein Teufelskreis entstehen, in dem die geringere Nachfrage zu geringeren Investitionen, sinkender Produktion, niedrigeren Einkommen und somit zu einer noch weiter sinkenden Nachfrage führt.

Gefährliche Spirale

Diese gefährliche Spirale hat zweierlei Auswirkungen auf die Politikgestaltung. Um zu verhindern, dass sich deflationäre Erwartungen verfestigen, ist ein Anstieg der Inflationsrate durch Ankurbelung der Gesamtnachfrage dringend erforderlich. Allerdings empfiehlt es sich, nicht ausschließlich auf verstärkte öffentliche oder private Kreditaufnahme zu setzen, sondern auf eine offensive geldpolitische Lockerung – unter anderem durch die Monetarisierung von Schulden (also durch Kauf und Besitz von Staatsanleihen durch die Zentralbank).

Freilich haben die chinesischen Behörden eine Reihe von Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft ergriffen, darunter die Senkung der Hypothekarzinsen, die Aufhebung von Beschränkungen für Immobilienunternehmen hinsichtlich des Zugangs zu Finanzmitteln und die Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung der inländischen Aktienkurse (in der Hoffnung, dass dadurch die Verbraucherausgaben steigen). Bislang haben diese Maßnahmen jedoch nicht den gewünschten Erfolg gebracht.

Zentralbank traut sich bislang nicht

Erstaunlicherweise hat die People’s Bank of China (PBOC) keine geldpolitischen Maßnahmen in Form massiver Liquiditätsspritzen ergriffen. Diese Zurückhaltung ist offenbar auf vier Überlegungen zurückzuführen: die Angst, damit eine hohe Inflation auszulösen; die Einschätzung, damit den Spielraum für weitere geldpolitische Lockerungen zu begrenzen; die Überzeugung, dass geldpolitische Anreize nur begrenzte Wirkung haben werden; und die Sorge vor einer weiteren Abwertung des Renminbi gegenüber dem US-Dollar und anderen wichtigen Währungen.

Angesichts des aktuellen Zustands der chinesischen Wirtschaft sind diese Bedenken jedoch völlig unangebracht. China sollte sich keine Sorgen um die Inflation machen, da das Land bereits mit dem gegenteiligen Problem zu kämpfen hat – nämlich einem Rückgang der Preise und der Nominallöhne in vielen Sektoren. Erwarten Verbraucher und Unternehmen in Zukunft sinkende Preise, werden Käufe aufgeschoben, wodurch es wiederum zu einer Dämpfung der Nachfrage kommt. Vorrangig muss es darum gehen, der Schulden-Deflationsspirale vorzubeugen.

Bei der Zinsschraube wäre noch was möglich

Ebenso irren sich diejenigen, die der Ansicht sind, der Spielraum für eine geldpolitische Lockerung sei durch die bereits niedrigen Zinssätze begrenzt. Wie die chinesischen Finanzbehörden mittlerweile eingeräumt haben, können sie die vorgeschriebenen Mindestreservesätze für Banken weiter senken, die derzeit bei 10,75 Prozent im Falle großer staatlicher Geschäftsbanken und bei 6 Prozent für die anderen Banken liegen. Auch wenn der vorgeschriebene Satz für chinesische Banken, die sich nicht in Staatsbesitz befinden, ab dem 15. September auf 4 Prozent sinken wird, ist das im Vergleich zu den Reservesätzen von 0 Prozent in den USA und 0,8 Prozent in Japan immer noch hoch. 

Darüber hinaus könnte die PBOC – ebenso wie die Zentralbanken der einkommensstarken Länder nach der Finanzkrise von 2008 – immer noch auf quantitative Lockerung zurückgreifen, indem sie in großem Stil Staatsanleihen aufkauft und damit den Geschäftsbanken mehr Liquidität für die Kreditvergabe verschafft. Besteht das Ziel in einer höheren Inflation – wie in China derzeit der Fall – gibt es keine feste Obergrenze für zusätzliche Anreize, die der Wirtschaft über diesen Kanal zugutekommen.

Von der EZB lernen

Angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaftsleistung auch nach der vorangegangenen Senkung des Leitzinses von 3,65 auf 3,45 Prozent schwach blieb, kommen vielleicht manch einem die Zweifel, ob mit geldpolitischer Lockerung die Gesamtnachfrage angekurbelt werden kann. Allerdings ist ein unzureichender Anstieg der Gesamtnachfrage im Gefolge einer verhaltenen geldpolitischen Maßnahme kein Beweis dafür, dass eine offensivere geldpolitische Lockerung scheitern würde.   

China braucht einen Ansatz nach dem Motto “Koste was es wolle“, wie ihn die Europäische Zentralbank vor einem Jahrzehnt verfolgte, als auch sie vor einer Schulden-Deflationsspirale stand. Die PBOC sollte öffentlich eine Strategie verkünden, im Rahmen derer sie einen großen Teil der Staatsschulden monetarisiert und Anreize für mehr Private-Equity-Investitionen schafft.

Deflations- und Schuldenbekämpfung hat Vorrang

Um einen umfassenden und koordinierten Anstieg der Nominallöhne herbeizuführen, sollte die Politik einen auf drei Säulen beruhenden Ansatz in Erwägung ziehen, der eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung im Gegenzug für Lohnerhöhungen ebenso vorsieht wie einen Fiskaltransfer von Finanzministerium zur Sozialversicherung, der mit langfristigen Staatsanleihen finanziert wird, um die entgangenen Firmenbeiträge zu ersetzen. Der Fiskaltransfer ist von der PBOC (durch Kauf der Staatsanleihen) zu monetisieren. Diese Maßnahmen können in Zukunft bei Bedarf rückgängig gemacht werden, wenn es eine Inflation zu bekämpfen gilt. Vorerst allerdings ist die Bekämpfung von Deflation und Verschuldung viel wichtiger.

Schließlich rufen Vorschläge für eine offensive geldpolitische Lockerung tendenziell Bedenken hinsichtlich einer Abwertung der Wechselkurse hervor. Die chinesische Währung hat in den letzten 12 Monaten aufgrund asymmetrischer Zinsänderungen in den USA und China etwa 5 Prozent ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren. Nun besteht die Befürchtung, dass eine zusätzliche Abwertung des Renminbi die Erwartungen hinsichtlich weiterer Abwertungen verstärken und eine Kapitalflucht auslösen könnte – dieser Umstand hat wohl eine gewisse Rolle dabei gespielt, dass sich die Lust der PBOC nach aggressiver geldpolitischer Lockerung in Grenzen hielt.

Schwacher RMB wäre nicht schlimm

Wenn ein schwächerer Renminbi der Preis ist, den es für die Rettung der Wirtschaft vor einer sich verfestigenden Deflation zu zahlen gilt, dann lohnt es sich, das auch zu tun. Denn diese Vorgehensweise könnte auch als sinnvoller Anpassungsmechanismus dienen, der die Auslandsnachfrage nach chinesischen Produkten ankurbelt. Anstatt eine Steuerung des Wechselkurses zu versuchen – die die Erwartung einer Abwertung künstlich rechtfertigen würde – sollten die chinesischen Behörden solche Anpassungen den Marktkräften überlassen. Schließlich würde eine ausreichend deutliche einmalige Abwertung wenig Raum für weitere Erwartungen hinsichtlich einer Abwertung lassen.

Für China gilt es dringend, verfestigte deflationäre Erwartungen zu vermeiden, wie sie in Japan nach den 1980er Jahren aufgetreten sind. Außerdem muss China unverzüglich das Vertrauen der Unternehmen und Haushalte wiederherstellen, und das ist ohne eine Steigerung der Gesamtnachfrage unmöglich. Vieles spricht für sofortige, aggressive geldpolitische Impulse und eine öffentliche Zusicherung, die Schulden-Deflationsspirale zu stoppen. 

Sobald Chinas Wachstum auf den Pfad seines Wachstumspotenzials zurückkehrt, kann die Geldpolitik normalisiert werden und der Renminbi wird auf natürliche Weise wieder aufwerten. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Shang-Jin Wei ist ehemaliger Chefökonom der Asiatischen Entwicklungsbank sowie derzeit Professor für Finanz- und Wirtschaftswissenschaften an der Columbia Business School und der School of International and Public Affairs der Columbia University.
www.project-syndicate.org

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Personalie

Hou Angui ist neuer Geschäftsführer von China Baowu Steel, einem großen staatlichen Stahlhersteller. Er ist zudem Parteisekretär der Firmengruppe.

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Dessert

Der Kamel-Stau ist zurück. Zur Golden Week Anfang Oktober boomt in China der Binnentourismus. In Dunhuang, einer historischen Oasenstadt der Alten Seidenstraße, kommen die Menschen für Kamelritte zusammen – und das so dicht gedrängt, dass eigens Ampeln aufgestellt wurden. Die Karawanen sollen sich so zwischen den Dünen nicht gegenseitig auf die Hufe treten.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    chinesische Investoren als Schrecken für die Arbeitnehmer – dieses Zerrbild ist überholt. Betriebsräte und Gewerkschaften haben mit den Eigentümern aus China die gleichen Freuden und Nöte wie mit einheimischen Eignern, schreibt Christian Domke Seidel. Er hat sich umfassend unter Belegschaftsvertretern von Firmen umgehört, die sich in chinesischer Hand befinden. Amerikanische Investoren haben viel weniger Verständnis für Mitbestimmung als solche aus China, lautet eine Erkenntnis.

    Teile der deutschen Sinologie sehen sich mit der Forderung nach einer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit konfrontiert. Darüber schreibt heute Marcel Grzanna. Viele Chinaforscher mit Seniorität hatten in den 1970er-Jahren deshalb Zugang zum Land, weil sie große Sympathien für den Maoismus hegten. Das hat ihnen zwar einen Informationsvorsprung verschafft. Im heutigen Klima kommt jedoch die Forderung nach einer klaren Distanzierung von der damaligen Haltung auf.

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    Betriebsräte mögen chinesische Investoren – meistens

    Der Augsburger Roboterbauer Kuka ist seit 2016 mehrheitlich im Besitz des chinesischen Midea-Konzerns. Die Arbeitnehmerrechte gelten unverändert.

    Sei es die Minderheitsbeteiligung der China Ocean Shipping Company (COSCO) an der Hamburger Hafen und Logistik (HHLA) oder die Investitionen von Contemporary Amperex Technology (CATL) in Thüringen – Politik, Öffentlichkeit und Mitbewerber stehen chinesischen Investoren meist sehr kritisch gegenüber. Aus geopolitischer oder gesamtwirtschaftlicher Sicht mag es dafür Gründe geben. Die Beschäftigten der betroffenen Unternehmen müssen sich jedoch weniger Sorgen machen. Die Erfahrungen der Gewerkschaften und Betriebsräte mit Investoren aus der Volksrepublik sind grundsätzlich gut. 

    Chinesische Investitionen in Deutschland

    Dabei ist der vermeintliche Goldrausch chinesischer Investoren in Deutschland erst einmal vorbei. Zwischen den 2011 und 2020 übernahmen 193 Investoren insgesamt 243 deutsche Unternehmen ganz oder teilweise. Mit 48 Übernahmen war das Jahr 2016 der absolute Höhepunkt, wie das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung vorrechnet. Im Jahr 2022 überstiegen die echten Neugründungen auf der grünen Wiese (Greenfield) erstmals die Übernahmen vorhandener Firmen und Anlagen (Brownfield).

    Im Vorfeld der Übernahmen hat bei Gewerkschaften, Betriebsräten und Beschäftigen meist die Skepsis überwogen. Zu Unrecht, wie sich jetzt im Nachhinein zeigt. “Chinesische Investoren haben bei ihren Investitionen tendenziell eine Langzeitperspektive, was positiv für die Belegschaft ist. Das ist ein Unterschied zu eher aktivistischen Investoren aus anderen Ländern, die sich stark am Finanzmarkt orientieren, das Unternehmen aufhübschen und schnell wieder verkaufen.” Das erläutert Romy Siegert im Gespräch im China.Table. Sie ist bei der IG Metall für den Bereich transnationale Gewerkschaftspolitik zuständig und war zuvor vier Jahre in der Peking-Niederlassung der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig.

    Wichtig seien den Investoren beim Einstieg drei Punkte gewesen, so Siegert.

    • Erstens das Label ‘Made in Germany’, das in China bei Kunden geschätzt würde.
    • Zweitens die Möglichkeit, Zutritt zum europäischen Markt zu bekommen.
    • Und drittens ein Technologietransfer.

    Zumindest für die ersten beiden Aspekte sei eine langfristige Perspektive wichtig. Entsprechend hätten sich die chinesischen Investoren auch bei den Verhandlungen verhalten. “Bei den Übernahmen gab es in vielen Fällen Zusagen für mehrjährige Standortsicherungen. Außerdem floss viel Geld für Forschung und Entwicklung in die deutschen Tochterunternehmen”, führt Siegert rückblickend aus.

    Die Studie “Chinesische Investitionen im Ruhrgebiet” von der Ruhr Universität Bochum kommt zu einem ähnlichen Schluss. Darin äußerte sich ein Angestellter von ThyssenKrupp Tailored Blanks, einem Hersteller von Autoblechen, der 2012 an die chinesische WISCO verkauft wurden: “Wenn ich die Wahl zwischen Chinesen und Amerikanern hätte, dann lieber Chinesen. Amerikaner haben nichts mit Arbeitnehmerrechten zu tun, Chinesen akzeptieren diese.”

    Angst vor dem eigenen Image

    Allerdings haben Gewerkschaften und Betriebsräte bei den verschiedenen Übernahmen und Investitionen auch enorm viel Aufklärungsarbeit geleistet. Chinesische Manager mussten lernen, wie deutsche Gewerkschaften arbeiten, wie sie sich von Betriebsräten unterscheiden und welche Rechte und Pflichten sie haben.

    Grundsätzlich würden chinesische Investoren mit dem gesetzlichen Regelwerk arbeiten, das sie vorfinden – egal wo auf der Welt, heißt es aus Gewerkschaftskreisen. Gäbe es kaum Mitbestimmung und wenig Arbeitsrecht, würden diese Instrumente auch nicht neu eingeführt. Für die Beschäftigten in Deutschland ist das tendenziell eine gute Nachricht. Für Arbeiter in vielen afrikanischen Ländern gilt das allerdings nicht. Die chinesischen Investoren, so Siegert, würden sich vor allem vor schlechter Presse fürchten. Es gehe darum, das Image des Konzerns und der Volksrepublik zu schützen

    Chinesische Manager erhalten Strukturen

    Auch an der alltäglichen Arbeit hätte sich in den meisten Fällen erst einmal wenig verändert, analysiert Siegert. “Bei Übernahmen verändern sich die Managementstrukturen selten direkt. Oftmals kommt nur ein chinesischer Vertreter dazu, der für die Kommunikation mit dem Mutterkonzern zuständig ist. Die etablierten Strukturen der Mitbestimmung – ob funktional besser oder schlechter – bleiben also meist im Zusammenspiel mit weiterhin bestehenden Geschäftsführungen erhalten.”

    Gerade in den produzierenden Industrieunternehmen gab es sogar positive Effekte. So steigerten die Firmen ihre Produktion, weil die chinesischen Investoren (oftmals) abgespeckte Varianten der Produkte auf ihrem Heimatmarkt oder in Entwicklungsländern verkaufen wollten. 

    Praktisches Beispiel: Gotion Battery

    Konkrete Einblicke in ein Unternehmen, das von chinesischen Investoren übernommen wurde, bieten André Merder und Till Pahmeier. Die beiden sind Betriebsräte bei der Gotion Battery GmbH. Der chinesische Hersteller hatte im Jahr 2022 ein Bosch-Werk in Göttingen übernommen. Anschließend berichteten die beiden Betriebsräte auf dem Panel “Neue Akteure in der Transformation zum E-Auto: Herausforderung für die Mitbestimmung durch chinesische Batteriehersteller”, das im Rahmen der Plattform Labor.A der Hans-Böckler-Stiftung stattfand.

    Das Werk, um das es dabei geht, ist etwa 70 Jahre alt. Unter Bosch-Führung fertigten die rund 240 Angestellten noch Starter und Generatoren für Verbrennermotoren. Ab Ende 2023 sollen hier Batterien entstehen. Das bedeutet, dass das Werk von einer eher manuellen auf eine hochautomatisierte Produktion umgestellt wird. Der Umbruch ist gigantisch. Die Übernahme sei eine Mischung aus einer Greenfield- und einer Brownfield-Investition gewesen. Also aus einer Neugründung und einer Übernahme.

    Trainingsprogramme bei der Mutter in China

    Plötzlich müssen sich die Beschäftigten mit den Gefahren und Anforderungen eines Hochvoltproduktes auskennen. “Wir kennen das Produkt und die Prozesse nicht. Da Gotion war ein guter Partner. Es gab Trainingsprogramme in China, zu denen viele Mitarbeiter eingeladen wurden, die dann lange vor Ort waren”, berichtet Merder. Zum anderen kamen auch auf das Werk Umbauten zu. All das kostet Zeit und Geld. Ressourcen, die Gotion aber bereit ist zu investieren.

    Gab es von Bosch lediglich die Zusicherung, im Werk bis zum Jahr 2027 weiterzuproduzieren, gebe es unter dem chinesischen Investor jetzt eine langfristige Perspektive. “Die Kollegen sind sehr motiviert. Weil sie jetzt eine Zukunft sehen, die sie so unter Bosch nicht gesehen haben”, beschreibt Merder die Stimmung. Aufgrund dieser Zukunftsperspektive habe der Betriebsrat die Übernahme unterstützend begleitet, erklärt Pahmeier.

    Abschwung schafft erste Probleme

    In den vergangenen zwei Jahren seien allerdings erstmals Probleme aufgetreten, so Stiegert. Da sich in China die wirtschaftliche Entwicklung abgeschwächt hat, müssen auch deutsche Niederlassungen Einsparungen vornehmen. Doch zwischen den chinesischen Investoren und den Vertretern der Arbeitnehmer gibt es häufig keine direkte Kommunikation. Diese laufe meist über das deutsche Management. Aus Sicht der IG Metall sei das ein Problem. 

    Auch deshalb hat die IG Metall das China-Invest-Netzwerk gegründet. Darin organisieren sich Arbeitnehmervertreter von Firmen mit chinesischen Investoren. Es geht um Austausch und Lerneffekte. Vor allem bei Greenfield-Investitionen ist das notwendig. Siegert beobachtet, dass chinesische Greenfield-Investitionen im Ausland mit Arbeitnehmern aus der Volksrepublik betrieben werden – beispielsweise in Ungarn. Und das sieht die Gewerkschaft gar nicht gern.

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    Kommunismus und Klassenkampf holen die deutsche Sinologie ein

    Die deutsche Sinologie hat viel Arbeit vor sich. Personell knapp besetzt kann sie den riesigen Bedarf an China-Kompetenz bei steigender Nachfrage unmöglich decken. Noch dazu ist der Fachbereich zurzeit intensiv mit sich selbst beschäftigt.

    Es kursieren Fragen, die an seiner Glaubwürdigkeit rütteln. Wie unabhängig ist die Disziplin von den Interessen des chinesischen Parteistaats? Wird ein allzu kritischer Umgang mit der Kommunistischen Partei in der China-Wissenschaft hierzulande blockiert? Hat die Sinologie den Maoismus ausreichend aufgearbeitet?

    Die Fragen werden emotional diskutiert, weil sie die Grundfesten einer elitären Fachrichtung angreifen, deren Bedeutung mit Chinas wachsendem Einfluss auf das Weltgeschehen zunimmt, aber von jungen Studenten verstärkt ignoriert wird. Ein Teil der Fachschaft fühlt sich “zu Unrecht an den Pranger gestellt” von jenen, die ihm vorwirft, kompromittiert zu sein durch ein Netzwerk, das ihm bessere Karrierechancen verschafft.

    Diskussion um die Glaubwürdigkeit

    Die Diskussion um die Glaubwürdigkeit ist hausgemacht. Die emeritierten Professoren Thomas Heberer und Helwig Schmidt-Glintzer hatten einen Zeitungsbeitrag über eine Reise nach Xinjiang geschrieben und ein Ende der EU-Sanktionen gegen chinesische Funktionäre empfohlen.

    Auf breiter Front erntete das Duo Unverständnis. Zumindest in Deutschland. Der Sinologe Kai Vogelsang von der Universität Hamburg hält die “fatalen Fehleinschätzungen der chinesischen Diktatur”, wie die von Heberer und Schmidt-Glintzer, am vergangenen Wochenende in der NZZ nicht nur für individuelles Versagen, sondern für eine “Bankrotterklärung der Sinologie”.

    Chinesische Medien dagegen sahen in der Darstellung eine Bestätigung für die Perspektive der Regierung in Peking, die ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang als Notwendigkeit abtut. Dass zwei derart erfahrene Sinologen bei einem so brisanten Thema, bei dem Peking mit aller Kraft um die Deutungshoheit ringt, Monate nach ihrer Reise in die Falle einer Redaktion getappt sein sollen, die gerne “harte Thesen” hatte lesen wollen, ist für einen Großteil der Fachwelt schwer nachvollziehbar.

    Gewichtige Stimme der deutschen China-Forschung

    Heberer zum Beispiel betrieb schon lange intensive Feldforschung im Land, bevor China als Wirtschaftspartner in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte. Er erarbeitete sich eine Autorität in der Disziplin, die bis heute nachwirkt. Dabei halfen ihm Verbindungen zum chinesischen Parteistaat, die schon in den 1970er-Jahren über den Kommunistenbund Westdeutschlands (KBW) entstanden waren. Wegen seiner tiefen Kenntnisse der Volksrepublik avancierte er zu einem einflussreichen Politikberater, der Bundes- und Ministerpräsidenten auf deren China-Reisen begleitete.

    Heberer war als junger Mann in den 1970er-Jahren nach Peking gegangen und hatte dort für eine örtliche Propaganda-Zeitung gearbeitet. Parallel dazu forschte er im Feld zu ethnischen Minderheiten. Bis 1982 verfasste er mehrere Artikel für das Journal “Kommunismus und Klassenkampf”, das Organ des westdeutschen Kommunistenbundes. In einem zitierte er den Sowjet-Diktator Josef Stalin mit lobenden Worten. Seine intimen Kenntnisse des kommunistischen Chinas verdankt er also auch seiner damaligen ideologischen Nähe zum System.

    “Hat über Jahre ein falsches Chinabild vermittelt”

    All das ist lange her. Und Heberer war beileibe nicht der Einzige, der dem Maoismus in dieser Zeit aufgeschlossen gegenüberstand. Beispiel: Reinhard Bütikofer. Der Grünen-Europaparlamentarier engagierte sich damals ebenso im KBW. Inzwischen distanziert sich Bütikofer jedoch von seiner jugendlichen Begeisterung und gilt als Kritiker des chinesischen Parteistaats.

    Eine vergleichbare Distanzierung vermisst der Politologe Andreas Fulda von der Universität Nottingham von Heberer. “Mir ist kein wissenschaftlicher Text bekannt, in dem er selbstkritisch seine politische Arbeit in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren reflektiert hat. Seine spätere China-Wissenschaft war blind für die Schattenseiten der chinesischen Autokratie und hat über Jahre ein falsches Chinabild vermittelt”, sagt Fulda. Er glaubt, dass der Fall zu Reformen in der deutschen Sinologie führen wird.

    Heberer hatte erheblichen Einfluss

    Sinologe Sascha Klotzbücher von der Universität Bratislava wirft seiner Disziplin vor, Heberer nie abverlangt zu haben, sich deutlicher zu distanzieren und die Verfehlungen der Kommunistischen Partei in die Beurteilung des Landes einfließen zu lassen, sondern sich stattdessen “um ihn geschart” zu haben. Heberer habe explizit vorgemacht, dass für Feldforschung langjährige Kooperation mit den Behörden vor Ort nötig sei, was in einer stark staatszentrierten, technologisch-bürokratischen Sichtweise gemündet sei. “Die Nichtbeachtung von diesen potentiellen Interessenkonflikten in dieser Position und ihre Entstehungsgeschichte bleiben sein blinder Fleck”, sagt Klotzbücher.

    Der Sinologe und Xinjiang-Experte Björn Alpermann, der in der Vergangenheit schon mit Heberer publizierte, sagt, dass es kein Geheimnis sei, dass Heberer einst als begeisterter Maoist nach China gegangen war. “Das wissen alle. Und es gab auch immer wieder unterschiedliche Auffassungen. Aber nur weil er früher Maoist war, ist nicht alles Wissenschaftliche von ihm untauglich.” Allerdings sagt Alpermann auch, dass die Perspektive Heberers auf die Volksrepublik stets die Fortschritte des Parteistaats ins Visier nimmt.

    Heberers Doktorand Christian Göbel hält eine daraus resultierende Erbsünde für eine falsche Schlussfolgerung. Er sagt: “Nur weil ich bei Heberer promoviert habe, vertrete ich nicht eine bestimmte Position. Wenn wir unterschiedliche Ansichten hatten, dann war die Diskussion produktiv und auf Augenhöhe.

    Heberers Vergangenheit außerhalb der Sinologie kaum bekannt

    Innerhalb der Sinologie ist Heberers Vergangenheit weitgehend bekannt. Außerhalb der Disziplin ist sie es aber nicht. Und das ist der Knackpunkt. Denn es sind ausgerechnet Heberer und andere Stimmen, die mit “unsäglichen Aussagen” (Göbel) wie jetzt zu Xinjiang die öffentliche Wahrnehmung im China-Diskurs stark mitgestalten.

    Die Sinologin und ehemalige Leiterin des Konfuzius-Instituts an der FU Berlin, Mechthild Leutner, zum Beispiel hatte wiederholt bis in die Gegenwart im Deutschen Bundestag die Internierungslager als berufliche Ausbildungs- und Deradikalisierungszentren bezeichnet. Leutner war im selben Monat von Heberers und Schmidt-Glintzers Xinjiang-Reise im Mai 2023 mit Heberer in Peking, um politikwissenschaftliche Forschung zu erörtern, wie es hieß. Ob sie auch mit in Xinjiang war, ist unklar.

    Heberer jedenfalls wehrt sich. Mit einer Notwendigkeit zur Aufarbeitung des Maoismus habe seine jüngste Publikation nichts zu tun, schreibt er in einer E-Mail an China.Table.

    Schmidt-Glintzer: Dokument Nr. 9 “spannend”

    Auch Schmidt-Glintzer pflegt gute Drähte nach Peking. Im Jahr 1984 saß er auf der Tribüne am Platz des Himmlischen Friedens, als die Volksrepublik ihr 35-jähriges Staatsjubiläum feierte. Eine solche Anerkennung wird sicher nicht jedem Sinologen zuteil, sondern vor allem jenen, die China als Freund bezeichnet. Auch er sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die zunehmend totalitäre Regierungsform in seiner Beurteilung Chinas nicht zu berücksichtigen.

    Im Jahr 2020 beispielsweise bezeichnete er das berüchtigte Dokument Nr. 9, ein internes KP-Strategiepapier als “spannend” und “kein Anlass, Angst zu haben”. In dem Papier wird vor westlichen Werten und deren Verbreitung in China gewarnt. Unter vielen China-Kennern gilt das Dokument als Indikator für die totalitären Tendenzen des Regimes unter Xi Jinping.

    Sinologe Vogelsang ist dennoch überzeugt, dass eine neue Generation von Sinologen herangewachsen sei, die “über theoretische Schärfe, begriffliche Genauigkeit und einen kritischen Blick verfügen”, um beweisen zu können, dass Sinologen keineswegs “China-Versteher” oder “Apologeten des Regimes” sein müssen. “Sie müssen sich nur zu Wort melden”, fordert Vogelsang.

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    Verdacht auf Geheimnisverrat bei Taiwans U-Boot-Programm

    Präsidentin Tsai Ing-Wen präsentiert das erste im Inland entwickelte U-Boot Taiwans.

    Taiwans Staatsanwaltschaft hat am Montag erklärt, sie gehe dem Verdacht auf Geheimnisverrat nach. Man befürchte, dass Einzelheiten über das nationale U-Boot-Programm durchgesickert sein könnten.

    Huang Shu-kuang, Leiter des nationalen U-Boot-Programms, sagte, dass ein Auftragnehmer, der kein Angebot erhalten hatte, Informationen weitergeleitet habe nach China. Taiwans Oberste Staatsanwaltschaft erklärte, Huangs Anschuldigungen hätten “große Aufmerksamkeit” erregt. Staatsanwälte wurden angewiesen, “den Fall so schnell wie möglich zu untersuchen, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten”. Einzelheiten oder Namen wurden bislang nicht genannt.

    Erst am vergangenen Donnerstag hatte Taiwan sein erstes im Inland entwickeltes U-Boot vorgestellt. Damit reagiert Taiwan auf die seit Jahren wachsende Bedrohung durch die Volksrepublik. Sollten nun geheime Informationen aus dem Programm nach außen gedrungen sein – zumal auch noch an China – wäre das ein schwerer Rückschlag für die nationale Sicherheit.

    Zuletzt hatte Peking einen Plan für eine friedliche Vereinigung mit Taiwan vorgelegt – mit viel Pathos und der Betonung wirtschaftlicher Chancen. Gleichzeitig schickt Peking jedoch vermehrt Kriegsschiffe und Kampfjets Richtung Taiwan. rad

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    EU treibt De-Risking voran

    Die Europäische Kommission wird am Dienstag offenlegen, für welche kritischen Technologien sie das De-Risking der Beziehungen zu China vorantreiben will. Die Liste wird Teil der Brüsseler Strategie für wirtschaftliche Sicherheit sein und voraussichtlich Bereiche der Mikroelektronik, Quantencomputing, Robotik, künstliche Intelligenz und Biotechnologie umfassen. Mit der Aufzählung soll auch ein Bereich definiert werden, der für ein mögliches Screening von Outbound-Investitionen infrage kommt und dem US-Vorbild bei Beschränkungen von Investitionen unter anderem bei Halbleitern oder KI folgen würde.

    Am Dienstag stehen zudem im EU-Parlament zwei wichtige Themen mit China-Bezug auf der Tagesordnung: Zum einen werden die Europa-Abgeordneten formal über das Handelsinstrument gegen wirtschaftlichen Zwang (auf Englisch anti-coercion tool) abstimmen. Zum anderen muss die EU-Kommission Rede und Antwort zu den Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik stehen. Dazu ist ab 15 Uhr eine Debatte mit den EU-Parlamentariern und einem Vertreter der Kommission vorgesehen. ari

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    Peking weist Finanzierungs-Anfragen aus Pakistan zurück

    Chinas Zurückhaltung bei Neuinvestitionen entlang der Neuen Seidenstraße (Belt-and-Road-Initiative, BRI) wird offenbar größer. Nach Informationen der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei hat sich Pakistan nun einen Korb geholt, als es um neue, milliardenschwere Investitionen aus China gebeten hat. Die Zeitung hatte Einblick in Protokolle von Treffen pakistanischer und chinesischer Regierungsvertreter.

    Pakistan habe demnach neue Projekte aus den Bereichen Energieversorgung und Tourismus angefragt. Darunter befand sich auch eine Stromleitung zwischen der Hafenstadt Gwadar und Karatschi, der größten Stadt des Landes. China soll all das zurückgewiesen haben.

    Pakistan ist einer der treuesten Seidenstraßen-Partner und hat entsprechend stark von chinesischen Investitionen profitiert. Der China-Pakistan Economic Corridor (CPEC) ist eine der wichtigsten Achsen der Seidenstraße. China rutscht allerdings derzeit in eine Finanzkrise und hat bereits seine liebe Not damit, den Kurs des Yuan halbwegs stabil zu halten. Das könnte zur Seidenstraßen-Müdigkeit beitragen. fin

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    WTO warnt vor Zersplitterung des Welthandels

    Die Welthandelsorganisation WTO erkennt eine unheilvolle Zersplitterung des globalen Warenaustauschs. “Wir sehen zwar noch keine großflächige Fragmentierung, aber es gibt erste Anzeichen”, sagte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala am Montag bei einer Veranstaltung in Genf. Sie nannte diesen Trend gefährlich. Auch könnte er sich am Ende als “sehr kostspielig” herausstellen. “Lasst uns die Globalisierung neu denken”, sagte die Nigerianerin.

    Die WTO-Chefin spielte mit ihren Äußerungen auf Trends wie das sogenannte Friendshoring an. Damit ist gemeint, wenn Unternehmensprozesse in Länder verlagert werden, in denen ähnliche Werte geteilt werden. So sucht eine Reihe westlicher Konzerne nach Alternativen zum Produktionsstandort China. Auch das “Reshoring” sprach die WTO-Chefin an. So wird die Rückverlagerung von Produktionsstätten aus Schwellenländern zurück in die Industriestaaten bezeichnet. “Lasst uns das nicht tun”, sagte Okonjo-Iweala zu diesen beiden Trends. rtr

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    Presseschau

    Standpunkt

    China muss eine Schulden-Deflationsspirale vermeiden

    Von Shang-Jin Wei
    Shang-Jin Wei
    Shang-Jin Wei ist Finanzwissenschaftler an der Columbia Business School.

    Die chinesische Wirtschaft bleibt hinter ihrem Wachstumspotenzial zurück. Nicht nur Investitionen und Verbrauchernachfrage präsentieren sich schwächer als erhofft, das Land steht auch vor der Herausforderung aus einer Kombination von Deflation und Schulden. Während sich die Verbraucherpreisinflation dem negativen Bereich nähert, ist die Erzeugerpreisinflation bereits seit einem Jahr negativ. Gleichzeitig haben sowohl der private als auch der öffentliche Sektor massive Schulden angehäuft, die auf die höheren Ausgaben während der Pandemie und die allgemeine Reaktion auf die lockere Geldpolitik der vergangenen Jahre zurückzuführen sind.

    Bei der Kombination aus Deflation und Schulden handelt es sich um eine toxische Verquickung. Da die Deflation den realen (inflationsbereinigten) Wert der bestehenden Schulden erhöht, wird für Unternehmen die Beschaffung zusätzlicher Finanzmittel schwieriger. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit von Insolvenzen – ein Trend, der in China bereits zu beobachten ist. Sobald sich die Kombination aus Schulden und Deflation verfestigt hat, kann ein Teufelskreis entstehen, in dem die geringere Nachfrage zu geringeren Investitionen, sinkender Produktion, niedrigeren Einkommen und somit zu einer noch weiter sinkenden Nachfrage führt.

    Gefährliche Spirale

    Diese gefährliche Spirale hat zweierlei Auswirkungen auf die Politikgestaltung. Um zu verhindern, dass sich deflationäre Erwartungen verfestigen, ist ein Anstieg der Inflationsrate durch Ankurbelung der Gesamtnachfrage dringend erforderlich. Allerdings empfiehlt es sich, nicht ausschließlich auf verstärkte öffentliche oder private Kreditaufnahme zu setzen, sondern auf eine offensive geldpolitische Lockerung – unter anderem durch die Monetarisierung von Schulden (also durch Kauf und Besitz von Staatsanleihen durch die Zentralbank).

    Freilich haben die chinesischen Behörden eine Reihe von Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft ergriffen, darunter die Senkung der Hypothekarzinsen, die Aufhebung von Beschränkungen für Immobilienunternehmen hinsichtlich des Zugangs zu Finanzmitteln und die Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung der inländischen Aktienkurse (in der Hoffnung, dass dadurch die Verbraucherausgaben steigen). Bislang haben diese Maßnahmen jedoch nicht den gewünschten Erfolg gebracht.

    Zentralbank traut sich bislang nicht

    Erstaunlicherweise hat die People’s Bank of China (PBOC) keine geldpolitischen Maßnahmen in Form massiver Liquiditätsspritzen ergriffen. Diese Zurückhaltung ist offenbar auf vier Überlegungen zurückzuführen: die Angst, damit eine hohe Inflation auszulösen; die Einschätzung, damit den Spielraum für weitere geldpolitische Lockerungen zu begrenzen; die Überzeugung, dass geldpolitische Anreize nur begrenzte Wirkung haben werden; und die Sorge vor einer weiteren Abwertung des Renminbi gegenüber dem US-Dollar und anderen wichtigen Währungen.

    Angesichts des aktuellen Zustands der chinesischen Wirtschaft sind diese Bedenken jedoch völlig unangebracht. China sollte sich keine Sorgen um die Inflation machen, da das Land bereits mit dem gegenteiligen Problem zu kämpfen hat – nämlich einem Rückgang der Preise und der Nominallöhne in vielen Sektoren. Erwarten Verbraucher und Unternehmen in Zukunft sinkende Preise, werden Käufe aufgeschoben, wodurch es wiederum zu einer Dämpfung der Nachfrage kommt. Vorrangig muss es darum gehen, der Schulden-Deflationsspirale vorzubeugen.

    Bei der Zinsschraube wäre noch was möglich

    Ebenso irren sich diejenigen, die der Ansicht sind, der Spielraum für eine geldpolitische Lockerung sei durch die bereits niedrigen Zinssätze begrenzt. Wie die chinesischen Finanzbehörden mittlerweile eingeräumt haben, können sie die vorgeschriebenen Mindestreservesätze für Banken weiter senken, die derzeit bei 10,75 Prozent im Falle großer staatlicher Geschäftsbanken und bei 6 Prozent für die anderen Banken liegen. Auch wenn der vorgeschriebene Satz für chinesische Banken, die sich nicht in Staatsbesitz befinden, ab dem 15. September auf 4 Prozent sinken wird, ist das im Vergleich zu den Reservesätzen von 0 Prozent in den USA und 0,8 Prozent in Japan immer noch hoch. 

    Darüber hinaus könnte die PBOC – ebenso wie die Zentralbanken der einkommensstarken Länder nach der Finanzkrise von 2008 – immer noch auf quantitative Lockerung zurückgreifen, indem sie in großem Stil Staatsanleihen aufkauft und damit den Geschäftsbanken mehr Liquidität für die Kreditvergabe verschafft. Besteht das Ziel in einer höheren Inflation – wie in China derzeit der Fall – gibt es keine feste Obergrenze für zusätzliche Anreize, die der Wirtschaft über diesen Kanal zugutekommen.

    Von der EZB lernen

    Angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaftsleistung auch nach der vorangegangenen Senkung des Leitzinses von 3,65 auf 3,45 Prozent schwach blieb, kommen vielleicht manch einem die Zweifel, ob mit geldpolitischer Lockerung die Gesamtnachfrage angekurbelt werden kann. Allerdings ist ein unzureichender Anstieg der Gesamtnachfrage im Gefolge einer verhaltenen geldpolitischen Maßnahme kein Beweis dafür, dass eine offensivere geldpolitische Lockerung scheitern würde.   

    China braucht einen Ansatz nach dem Motto “Koste was es wolle“, wie ihn die Europäische Zentralbank vor einem Jahrzehnt verfolgte, als auch sie vor einer Schulden-Deflationsspirale stand. Die PBOC sollte öffentlich eine Strategie verkünden, im Rahmen derer sie einen großen Teil der Staatsschulden monetarisiert und Anreize für mehr Private-Equity-Investitionen schafft.

    Deflations- und Schuldenbekämpfung hat Vorrang

    Um einen umfassenden und koordinierten Anstieg der Nominallöhne herbeizuführen, sollte die Politik einen auf drei Säulen beruhenden Ansatz in Erwägung ziehen, der eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung im Gegenzug für Lohnerhöhungen ebenso vorsieht wie einen Fiskaltransfer von Finanzministerium zur Sozialversicherung, der mit langfristigen Staatsanleihen finanziert wird, um die entgangenen Firmenbeiträge zu ersetzen. Der Fiskaltransfer ist von der PBOC (durch Kauf der Staatsanleihen) zu monetisieren. Diese Maßnahmen können in Zukunft bei Bedarf rückgängig gemacht werden, wenn es eine Inflation zu bekämpfen gilt. Vorerst allerdings ist die Bekämpfung von Deflation und Verschuldung viel wichtiger.

    Schließlich rufen Vorschläge für eine offensive geldpolitische Lockerung tendenziell Bedenken hinsichtlich einer Abwertung der Wechselkurse hervor. Die chinesische Währung hat in den letzten 12 Monaten aufgrund asymmetrischer Zinsänderungen in den USA und China etwa 5 Prozent ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren. Nun besteht die Befürchtung, dass eine zusätzliche Abwertung des Renminbi die Erwartungen hinsichtlich weiterer Abwertungen verstärken und eine Kapitalflucht auslösen könnte – dieser Umstand hat wohl eine gewisse Rolle dabei gespielt, dass sich die Lust der PBOC nach aggressiver geldpolitischer Lockerung in Grenzen hielt.

    Schwacher RMB wäre nicht schlimm

    Wenn ein schwächerer Renminbi der Preis ist, den es für die Rettung der Wirtschaft vor einer sich verfestigenden Deflation zu zahlen gilt, dann lohnt es sich, das auch zu tun. Denn diese Vorgehensweise könnte auch als sinnvoller Anpassungsmechanismus dienen, der die Auslandsnachfrage nach chinesischen Produkten ankurbelt. Anstatt eine Steuerung des Wechselkurses zu versuchen – die die Erwartung einer Abwertung künstlich rechtfertigen würde – sollten die chinesischen Behörden solche Anpassungen den Marktkräften überlassen. Schließlich würde eine ausreichend deutliche einmalige Abwertung wenig Raum für weitere Erwartungen hinsichtlich einer Abwertung lassen.

    Für China gilt es dringend, verfestigte deflationäre Erwartungen zu vermeiden, wie sie in Japan nach den 1980er Jahren aufgetreten sind. Außerdem muss China unverzüglich das Vertrauen der Unternehmen und Haushalte wiederherstellen, und das ist ohne eine Steigerung der Gesamtnachfrage unmöglich. Vieles spricht für sofortige, aggressive geldpolitische Impulse und eine öffentliche Zusicherung, die Schulden-Deflationsspirale zu stoppen. 

    Sobald Chinas Wachstum auf den Pfad seines Wachstumspotenzials zurückkehrt, kann die Geldpolitik normalisiert werden und der Renminbi wird auf natürliche Weise wieder aufwerten. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

    Shang-Jin Wei ist ehemaliger Chefökonom der Asiatischen Entwicklungsbank sowie derzeit Professor für Finanz- und Wirtschaftswissenschaften an der Columbia Business School und der School of International and Public Affairs der Columbia University.
    www.project-syndicate.org

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    Personalie

    Hou Angui ist neuer Geschäftsführer von China Baowu Steel, einem großen staatlichen Stahlhersteller. Er ist zudem Parteisekretär der Firmengruppe.

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    Dessert

    Der Kamel-Stau ist zurück. Zur Golden Week Anfang Oktober boomt in China der Binnentourismus. In Dunhuang, einer historischen Oasenstadt der Alten Seidenstraße, kommen die Menschen für Kamelritte zusammen – und das so dicht gedrängt, dass eigens Ampeln aufgestellt wurden. Die Karawanen sollen sich so zwischen den Dünen nicht gegenseitig auf die Hufe treten.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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