haben Sie sich auch schon einmal dabei erwischt, dass sie chinesischer Propaganda auf den Leim gegangen sind? Grämen Sie sich bitte nicht! Das passiert Wirtschaftsvertretern, Politikern und Wissenschaftlern alle naselang. Journalisten übrigens auch. Aber es ist ja nicht verboten, aus seinen Fehlern zu lernen.
Derzeit bieten chinesische Medien Lehrbuch-Propaganda zuhauf, die uns helfen kann, sensibler zu werden für die Widersprüche in den Darstellungen autoritärer Staaten. Aktuelles Anschauungsmaterial zum Thema Corona liefern uns derzeit die zwei völlig gegensätzlichen Erzählstränge der chinesischen Zentrale: Von Null-Covid zu Null-Vorsicht hat Fabian Peltsch das Phänomen beschrieben.
Es ist deshalb so wertvoll, weil es selten vorkommt, dass Argumentationslinien in Diktaturen so drastisch von heute auf morgen umgekrempelt werden müssen. Denn auch die Verantwortlichen wissen, dass die eigene Glaubwürdigkeit darunter leidet. Diese Farce bietet aber Raum für Rückschlüsse auf andere Themenbereiche, in denen 180-Grad-Wenden nicht zu erwarten sind und in denen die Widersprüche sich deshalb auch nicht so drastisch offenbaren.
Der Streit um die Inseln im Südchinesischen Meer ist sicherlich ein Themenbereich, in dem Chinas Propaganda auf Gedeih und Verderb bei seiner ursprünglichen Linie bleiben wird. Michael Radunski zeigt, wie Chinas Vorpreschen zu Gegenmaßnahmen anderer Staaten führt. Doch auch hier sollte man sich nicht täuschen lassen: Den Ursprung für wachsenden Spannungen hat im Wesentlichen die Volksrepublik China zu verantworten. Ob man bereit ist, als Konsument chinesischer Medien diesen Transfer zu wagen, darf natürlich jeder für sich selbst entscheiden.
Vor kurzem sorgte eine Meldung des Finanz-Nachrichtendienstes Bloomberg für Aufregung: China sei dabei, mehrere unbesetzte Landgebiete im Südchinesischen Meer auszubauen. Es handele sich um eine dramatische Intensivierung der chinesischen Strategie im südchinesischen Meer, so der Bericht unter Berufung auf zwei westliche, nicht namentlich genannte Diplomaten.
Das Neue daran: Es soll sich um Felsformationen handeln, die davor nicht unter chinesischer Kontrolle gestanden hätten. Bislang wurden Häfen, Landebahnen und militärische Infrastruktur auf Riffen errichtet, die Peking bereits besetzt hatte (China.Table berichtete). Es wäre in der Tat ein beispielloser Vorgang.
Chinas Außenministerium wies den Bericht umgehend als unwahr zurück. Und auch Gregory Poling, Leiter der Asia Maritime Transparency Initiative (AMTI) in Washington, kann den Bloomberg-Bericht nicht bestätigen. Ihm vorliegende Satellitenbilder zeigten an den vier besagten Riffen keine nennenswerten Veränderungen. Im Gegenteil: “Ich würde sogar behaupten, dass China 2022 wohl erstmals seit zehn Jahren seine Kontrolle im Südchinesischen Meer nicht vergrößert hat“, sagt Poling zu China.Table.
Wir sprechen von einer der geostrategisch wichtigsten Regionen der Welt: Rund ein Drittel des gesamten Welthandels wird hier verschifft, zudem ist das Gebiet reich an Rohstoffen. Wer hier die Kontrolle hat, ist in einer überaus mächtigen Position. Deshalb erheben sämtliche Anrainerstaaten miteinander konkurrierende Ansprüche. China besteht mit seiner “Neun-Striche-Linie” auf mehr als 80 Prozent des 3,5 Millionen Quadratkilometer großen Gebiets. Entsprechend angespannt ist die Lage. Poling zufolge setzt China im Südchinesischen Meer weiträumig Strafverfolgungs- und Milizenschiffe ein, um südostasiatische Zivilisten und fremde Regierungsschiffe zu schikanieren.
Collin Koh, Wissenschaftler am Institute of Defence and Strategic Studies in Singapur, verweist zudem auf eine rechtliche Verschärfung der Situation durch das 2021 von Peking erlassene Küstenwachen-Gesetz. “Dieses neue Gesetz ermächtigt die Seestreitkräfte, die notwendigen Maßnahmen gegen das zu ergreifen, was Peking als Untergrabung seiner maritimen Souveränität und Rechte im Südchinesischen Meer ansehen könnte – einschließlich der Anwendung von Gewalt“, erklärt Koh.
Immer häufiger kommt es zu Aufeinandertreffen von Schiffsverbänden der verschiedenen Staaten auf hoher See. Der wohl brisanteste Fall ereignete sich 2021, als China mehr als 200 vermeintliche Fischerboote mit Milizen an Bord zum Whitsun-Riff schickte. Sie drangen eindeutig in die exklusive Wirtschaftszone der Philippinen ein und kamen gefährlich nahe an ein von Vietnam besetztes Riff.
Die angespannte Lage dauerte mehrere Monate. Eine Eskalation schien unausweichlich, als der damalige philippinische Präsident Rodrigo Duterte sagte: “Wenn ich meine Marinesoldaten schicke, um die chinesischen Fischer zu vertreiben, garantiere ich Ihnen, dass keiner von ihnen lebend nach Hause kommt.”
Glücklicherweise endete der Zwischenfall friedlich mit dem Abzug der chinesischen Schiffe. Bislang hat die chinesische Seite keinen Gebrauch von Gewalt gemacht. “Aber jede dieser Begegnungen birgt die Gefahr einer Eskalation“, warnt Koh.
Wir beobachten auch eine wachsende militärische Grauzone – von der Küstenwache bis hin zur zivilen Fischerei. Felix Heiduk von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt im Interview mit Security.Table: “Immer häufiger fahren Chinas Fischereifangflotten im Verbund mit Küstenwache und Marine, um so territoriale Ansprüche zum Beispiel gegenüber den Philippinen oder Vietnam durchzusetzen.” Die chinesische Küstenwache verfüge mittlerweile über sehr große, bewaffnete Schiffe.
Hinzu kommt eine neue gefährliche Entwicklung: Während China zuletzt seine Ausbauaktivitäten reduziert hat, beginnen nun andere Staaten ihre Präsenz im Südchinesischen Meer massiv zu verstärken. Satellitenbilder zeigen, dass Vietnam in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 die Bagger- und Deponiearbeiten an seinen Außenposten auf den Spratly-Inseln ausgeweitet und rund 170 Hektar neues Land geschaffen hat. “Es gibt keine Heiligen im Südchinesischen Meer”, sagt Koh. Jede Partei habe Aktivitäten unternommen, die gegen den Geist der vereinbarten Declaration of Conduct von 2002 verstoßen.
Allerdings sticht China mit seinen Aktionen hervor, zum einen aufgrund der bestehenden Machtasymmetrie gegenüber den übrigen Anrainerstaaten. Zum anderen wird das Pekinger Selbstvertrauen immer größer.
Besonders gefährlich ist in diesem Zusammenhang das Fehlen anerkannter Krisenmechanismen im Südchinesischen Meer. Das größte Hindernis hierbei ist das fehlende Vertrauen zwischen den einzelnen Parteien. Als unabhängige Vermittler kämen theoretisch externe Kräfte wie die EU oder gar die UN in Frage. Doch das lehnt vor allem China als “äußere Einmischung” ab. Vielmehr propagiert Peking eine “asiatische Lösung” – wohl auch in der Hoffnung, so die eigene Vormachtstellung ausnutzen zu können.
For better informed decisions: Alles von Table.Media. Welche Professional Briefings von Table.Media könnten Ihnen noch die Arbeit erleichtern? Afrika, Berlin, Bildung, ESG, Europa, Forschung, Klima, Sicherheit und 100Headlines. Lernen Sie alle Table kostenlos kennen. (Mehr)
Der abrupte Kurswechsel in Chinas Corona-Politik stellt die Zensurbehörden vor eine Herkulesaufgabe, die durchaus Einfluss auf die soziale Stabilität hat: Wie verkauft man die 180-Grad-Wende von Null-Covid zu Null-Vorsicht der eigenen Bevölkerung? Eine Stoßrichtung kristallisierte sich nach der Abschaffung der strikten Maßnahmen nach dem 7. Dezember nur langsam heraus, was darauf hindeutet, dass auch hinter den Kulissen große Unklarheit herrschte.
Kein Wunder: Die rund 120 offiziellen Slogans, mit denen die Propaganda Xi Jinpings Zero-Covid-Politik in die Köpfe der Bevölkerung hämmerte, lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen auslöschen. Die zahlreichen Karikaturen in den Staatsmedien, die eine Öffnung ohne harte Lockdowns im Westen als Systemversagen brandmarkten, wirkten plötzlich wie Kommentare auf die eigene, hausgemachte Covid-Katastrophe.
Um die Kurve zu kriegen, setzt die Propaganda-Maschinerie auf bewährte Taktiken: Optimismus ausstrahlen, Fehler verschweigen, Sündenböcke finden. Omicron habe sich doch als eine Art Grippe erwiesen, deren Sterblichkeitsrate keine strengen Lockdown-Maßnahmen mehr erfordert. Mit leichten Symptomen könne man sogar zur Arbeit gehen, ließen etwa offizielle Stellen in der Mega-Metropole Chongqing verlauten.
Mehrere staatliche Zeitungen berichten von einer über 100-jährigen Frau aus Xinjiang, die ihre Infektion nach einem 10-tägigen Krankenhausaufenthalt “überraschend schnell” überstanden habe – und das, obwohl sie unter Vorerkrankungen und hohem Blutdruck litt.
Und dennoch hätten sich die Lockdown-Maßnahmen insgesamt trotzdem gelohnt, so der Tenor in einem Leitartikel der People’s Daily vom 12. Dezember. Sie hätten Zeit eingebracht, um bessere medizinische Rahmenbedingungen zu schaffen und die Zahl der Todesopfer gering zu halten.
Kurz vor Weihnachten lobten die Staatsmedien zusätzlich den positiven Effekt auf die Wirtschaft. Durch die strengen Lockdowns hätte das Wirtschaftswachstum aufrechterhalten werden können, wenn auch in niedrigeren Raten. Die Darstellung in westlichen Medien, China riskiere den Tod großer Teile der älteren Bevölkerung, nennt die Global Times “rassistisch, bigott und intolerant”. “Jedes Ereignis, das den Tod von Chinesen zur Folge hat, wird von den westlichen Propagandisten freudig begrüßt”, heißt es da.
Unzufriedenheit unter Chinesen seien auf “unterschiedliche Meinungen” in einem großen Land zurückzuführen, erklärte Xi Jinping Ende des Jahres in einer Fernsehansprache, ohne die vielen Proteste in chinesischen Großstädten beim Namen zu nennen. “Seit dem Ausbruch der Epidemie haben wir die Menschen und das Leben immer an die erste Stelle gesetzt”, erklärte Xi. Inzwischen rechnen Experten jedoch mit bis zu einer Million Toten (China.Table berichtete).
Hu Xijin, der ehemalige Chefredakteur der Global Times erklärte auf Twitter, dass er bei einer Reise von Peking nach Chengdu feststellen konnte, dass überall Normalität eingekehrt sei. “Die Auswirkungen der Pandemie verfliegen schnell.” Fachleute hingegen warnen vor den Folgen der anstehenden Corona-Welle in den Provinzen (China.Table berichtete).
Dass alles nicht so schlimm steht, belegt die Global Times unter anderem auch mit dem Hinweis, dass die allgemeine Lebenserwartung in China im Gegensatz zu den USA noch immer steige. Zynischer Whataboutismus, wenn man all die Todesfälle bedenkt, die nun überall in China betrauert werden müssen. Zudem weigert Peking sich nach wie vor aus ideologischen Gründen, den Einsatz nachweislich wirksamer mRna-Impfstoffe aus dem Westen zuzulassen.
Ein weiteres Argument, das inzwischen überall auftaucht, ist, dass die Öffnung von langer Hand geplant gewesen sei und dementsprechende Entscheidungen bereits im November 2022 in Zhongnanhai getroffen wurden. Man habe innerhalb der “dynamischen Covid-Politik” umgehend auf die “leichtere Variante” Omicron reagiert, schreibt die Global Times. “Chinas sozialistisches System hat wieder gezeigt, dass es zu einer beispiellosen Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit fähig ist.”
Dass hinter der Öffnung kein Masterplan stand, beweist jedoch die Tatsache, dass es der Staat trotz harter Lockdown-Maßnahmen nicht geschafft hat, mehr als 40 Prozent der über 80-Jährigen ausreichend zu impfen. Omicron war bereits Ende 2021 in China nachgewiesen worden. Hinzu kommt, dass die Öffnung nur wenige Wochen vor dem Frühlingsfest übers Knie gebrochen wurde. Millionen Chinesen werden diese Woche inmitten teils noch immer winterlicher Temperaturen durchs Land reisen. Das ohnehin überforderte Gesundheitssystem wird dadurch noch mehr belastet.
Die Art, wie die Regierung ihren U-Turn vollzieht, sei erwartbar gewesen, sagt eine 35-jährige Pekingerin, die während eines Lockdowns ihre Arbeit in der Medienbranche verlor. Sie vergleicht das Vorgehen mit einem Kind, das von einem Moment auf den anderen seine Stimmung ändert. “Es ist, als würden 80- und 90-Jährige plötzlich nicht mehr existieren.”
Im Internet macht ein Witz die Runde, der die Verwirrung über die plötzliche Kehrtwende in einem Dialog dreier Häftlinge zusammenfasst, die einander die Gründe ihrer Verhaftung erklären:
“Ich war gegen Covid-Tests.”
“Ich habe Covid-Tests unterstützt.”
“Ich habe Covid-Tests durchgeführt.”
Offen beschweren kann man sich freilich nicht. Mehr als 1.000 Social-Media-Konten – einige mit Millionen von Followern – wurden bereits suspendiert, weil sie die Covid-Politik der Regierung kritisierten. Hashtags wie “Chamäleon” oder “doppelzüngig” waren vorübergehend geblockt. Auch Karikaturen, die überfüllte Krematorien zeigen oder Kommentare, die die offizielle Todesursache verstorbener Prominenter anzweifelten, wurden schnell herausgefiltert.
In die Karten der Regierung spielt jedoch, dass die Chinesen vor allem froh sind, keine Lockdowns mehr fürchten zu müssen und auch endlich wieder reisen zu dürfen. Auch hier hat Chinas Propaganda-Maschinerie eine Strategie entwickelt, um nicht vor der eigenen Haustür kehren zu müssen. In den Staatsmedien werden die Vorkehrungsmaßnahmen einiger Länder, chinesische Reisende auf Covid zu testen, nun als “Diskriminierung” diffamiert – und das, obwohl China selbst negative Tests von Einreisenden verlangt.
Die Propaganda knüpft damit an das Narrativ des “China Virus” zu Beginn der Pandemie an, mit dem ausländische Kräfte angeblich alle Schuld bei China gesucht hätten. Die Chinesen hätten im Kampf gegen das Virus viele Opfer gebracht, so die Botschaft hinter der kalkulierten Empörung. Und nun sei es das Ausland, das ihnen aus “Rache” noch immer keine Freiheit gewähren will.
In China wird das Covid-Medikament Paxlovid von Pfizer wegen steigender Infektionszahlen und einer erhöhten Nachfrage zu exorbitanten Preisen angeboten. Medien- und Erfahrungsberichten zufolge gibt es Schwierigkeiten, Paxlovid in China über offizielle Kanäle zu erhalten. Zahlreiche Menschen versuchen deshalb, das Mittel auf dem Schwarzmarkt zu erwerben. Denn nach den großen Städten breitet sich das Virus nun in den abgelegenen Regionen Chinas aus (China.Table berichtete).
Ein Einwohner der südchinesischen Provinz Hainan sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass er 20.000 Yuan (rund 2.750 Euro) für zwei Packungen für seine Eltern bezahlt habe. “Wenn Ihre Familienmitglieder in Not sind, werden Sie es für billig halten, denn alles ist besser, als jetzt ins Krankenhaus zu gehen“, sagte der Mann. Er kenne sogar Leute, die 20.000 Yuan für eine einzige Schachtel des Medikaments bezahlt hätten.
Paxlovid ist eines der wenigen ausländischen Corona-Medikamente, das in China zugelassen ist. Bis Ende März wird es noch von der staatlichen Versicherung übernommen, sodass Patienten theoretisch nur 198 Yuan (rund 27 Euro) zahlen müssen und damit ein Zehntel des üblichen Preises. Allerdings ist es derzeit fast überall ausverkauft.
Das chinesische Finanzministerium kündigte derweil am Montag an, die Mittel zur Prävention und Bekämpfung von Covid-Erkrankungen aufzustocken. Die Zahl der Corona-Infektionen ist in China zuletzt dramatisch angestiegen, nachdem die Regierung im vergangenen Monat ihre strikten Corona-Beschränkungen gelockert hatte. Experten rechnen mit bis zu einer Million Toten (China.Table berichtete). rtr/rad
Der chinesische Fahrdienstleister Didi Global darf nach 18 Monaten wieder neue Kunden registrieren. Die Behörden erteilten dem Tech-Unternehmen in der vergangenen Woche die entsprechende Genehmigung. Seit Montag stehen Didis 25 Smartphone-Apps wieder zum Herunterladen und zur Kontoeröffnung bereit.
“Unser Unternehmen hat ernsthaft mit der Cybersicherheitsüberprüfung des Landes zusammengearbeitet, sich ernsthaft mit den bei der Überprüfung festgestellten Sicherheitsproblemen befasst und mehr als ein Jahr lang umfassende Korrekturen durchgeführt”, hieß es in einer Erklärung des Unternehmens. Didi wolle wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Plattform und der Daten künftig zu gewährleisten und die nationale Sicherheit im Cyberspace zu schützen.
Mitte 2021 war Didi in den Fokus der Regulierungsbehörden geraten, nachdem das Unternehmen gegen den Willen der Cyberspace Administration of China (CAC) einen Börsengang in den USA vorangetrieben hatte. In der Folge sprach die CAC eine Geldstrafe in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar wegen Verstößen gegen die Datensicherheit aus und verbannte die Produkte des Anbieters aus den App-Stores. Als Folge zog sich Didi im Juni 2022 nach elf Monaten wieder von der US-Börse zurück. grz
Der chinesische Internetkonzern Tencent hat mit einer Entlassungswelle auf Korruptionsvorwürfe gegen Teile seiner Belegschaft reagiert. Das Unternehmen teilte am Montag mit, es habe 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gekündigt, die in mehr als 70 Fälle von Bestechung und Veruntreuung verstrickt gewesen seien. Zehn Personen davon zeigte Tencent bei den Strafverfolgungsbehörden an.
Die Entlassungen folgten einem Zugeständnis von Firmenchef Pony Ma. Dieser hatte im Januar wachsende Korruptions-Probleme im Unternehmen eingeräumt. Allerdings sind Entlassungen bei Tencent wegen unlauterer Geschäftspraktiken nichts Neues. Immer wieder gab das Unternehmen aus Shenzhen in den vergangenen Jahren Auskunft über Korruptionsfälle in seinen Reihen.
2022 habe Tencent jedoch einen deutlichen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet, sowohl was die Zahl der Vergehen als auch die der Betroffenen angeht. Ein möglicher Grund dafür: Tencent hat nach eigenen Angaben seine firmeninterne Ermittlungsarbeit verstärkt. Vor einem Jahr waren in 50 Fällen rund 70 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entlarvt worden. grz
Volkswagen will angesichts der zunehmenden Konkurrenz bei E-Autos in China sein Entwicklungstempo erhöhen. Chinesische Hersteller bräuchten für die Planung eines neuen Fahrzeugs nur etwa zweieinhalb Jahre, Volkswagen knapp vier, sagte China-Chef Ralf Brandstätter bei einem Mediengespräch in Berlin. “Wir nehmen uns aufgrund unserer Qualitätsansprüche auch bewusst etwas mehr Zeit, können an einigen Stellen aber schneller werden.”
Gelingen soll das durch eine Bündelung von Kompetenz im Werk in der Provinz Anhui, wo frühzeitig Konzepte chinesischer Lieferanten in die Planung einfließen sollen. Um seine Position in China zu behaupten, will Volkswagen auch das Modellangebot erweitern. Für 2023 rechnet der Konzern mit einem Wachstum des chinesischen Pkw-Marktes um vier bis fünf Prozent auf circa 23 Millionen Fahrzeuge.
Europas größter Autokonzern fährt in China einen großen Teil seines Gewinns ein, den VW für die Umstellung auf E-Mobilität und Digitalisierung benötigt. Den harten Wettbewerb will sich Volkswagen zunutze machen. China sei “wie ein riesiges Fitnesscenter” für die Auto-Industrie, so Brandstätter.. Man müsse jetzt dagegenhalten, um auch perspektivisch dem chinesischen Wettbewerb gewachsen zu sein.
Für Februar kündigte Brandstätter derweil einen Besuch in der Provinz Xinjiang an, wo Volkswagen zusammen mit dem Staatskonzern SAIC ein Werk betreibt. Xinjiang gerät wegen der dortigen Unterdrückung der Uiguren regelmäßig in die Schlagzeilen der westlichen Medien. “Wir werden alles tun, was in unserer Kraft liegt, damit es in diesem Werk vernünftige Arbeitsbedingungen gibt”, sagte Brandstätter. VW prüfe auch das Lieferantennetz. Man habe zurzeit keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen. rtr/flee
Bei Krawallen in einer Nickelschmelze auf der indonesischen Insel Sulawesi sind ein indonesischer und ein chinesischer Arbeiter getötet worden, wie Beamte am Montag mitteilten. In der Schmelzhütte der PT Gunbuster Nickel Industry (GNI), die dem chinesischen Unternehmen Jiangsu Delong gehört, waren am Samstag Proteste über Bezahlung und Sicherheit ausgebrochen. Am Montag wurden schließlich Hunderte Sicherheitskräfte auf das Gelände geschickt, um die Gemüter zu beruhigen.
Medienberichten zufolge sollen sich indonesische Arbeiter wiederholt über mangelnde Arbeitssicherheit, fehlenden Gesundheitsschutz und ausbleibende Bezahlung beklagt haben. Auch in anderen chinesischen Projekten im Ausland ist von diesen Problemen zu hören.
In der besagten Fabrik arbeiten laut Polizeiangaben ungefähr 11.000 indonesische Arbeiter und 1.300 ausländische Mitarbeiter. GNI hatte die Schmelzanlage Ende 2021 in Betrieb genommen. Jährlich sollen dort 1,8 Millionen Tonnen Nickel verarbeitet werden, die Investitionen belaufen sich auf fast drei Milliarden US-Dollar. Indonesien will zum globalen Produktionszentrum für Elektrobatterien werden. Die Nickelreserven der Insel Sulawesi haben das Interesse von Peking und einigen der größten Autohersteller der Welt geweckt. rad
Der wissenschaftliche Austausch mit China ist neuerdings unter Verdacht geraten. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat anlässlich des 50. Jahrestages der wissenschaftlichen Kooperationen mit China zu Wachsamkeit aufgerufen. China sei vom strategischen Partner zum harten Wettbewerber und systemischen Rivalen für Deutschland und die EU geworden. Für DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee geht gar die Ära der partnerschaftlichen Beziehungen zwischen China und Deutschland zu Ende. Politiker und Wissenschaftsmanager in Deutschland sind zunehmend der Auffassung, die Forschungskooperationen seien unfair und würden einseitig China nutzen.
Nach 50 Jahren erfolgreicher Kooperation ist gegenseitiges Misstrauen an die Stelle des Glaubens an den gemeinsamen Nutzen von wissenschaftlicher Zusammenarbeit getreten. Ein seltsames Gebräu aus Isolationismus und Nationalismus breitet sich weltweit aus. Wir leben in einer Zeit der beginnenden Deglobalisierung. Sowohl Deutschland als auch China stellen zunehmend Eigeninteressen über gemeinsame Anliegen und träumen von einer Zukunft mit größerer “Unabhängigkeit” und “Autonomie”, auch wenn von Abkopplung historisch kein Land je profitiert hat.
Aber was sind die Konsequenzen?
Hinter der neuen Angst vor China steht die Sorge, dass China Deutschland wissenschaftlich überholen wird. Schließlich verfügt China über weit mehr intellektuelles Kapital als jedes andere Land der Erde. Im Jahr 2030 werden 37 Prozent aller Absolventen von Mint-Fächern aus China stammen – verglichen mit 1,4 Prozent aus Deutschland.
Die Bedeutung des chinesischen Bildungssystems wird auch am kontinuierlichen Aufstieg der chinesischen Universitäten in den globalen Rankings deutlich. Deutsche Spitzen-Universitäten wie die TU München (Platz 50) liegen schon heute hinter den chinesischen (Qinghua Universität: 17, Peking Universität: 18).
China hat das dynamischste Wissenschaftssystem der Welt. Im angesehenen Nature Index steht die Chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) aktuell auf Platz eins, vor der Harvard University (Platz zwei) und der Max-Planck-Gesellschaft (Platz drei).
Ein weiterer Indikator sind Forschungsartikel, die auf Fachkonferenzen eingereicht werden. Im Bereich der Halbleiterforschung gilt etwa die “International Solid-State Circuits Conference (ISSCC)” als Indikator für die Intensität der Forschungsbemühungen in den Herkunftsländern. In den letzten Jahren hatten immer die USA die meisten angenommenen Artikel, gefolgt von Südkorea auf Platz zwei und China auf Platz drei. 2022 hatte China erstmals die meisten Beiträge. 198 Arbeiten wurden insgesamt angenommen, davon 59 aus China, 42 aus den USA und 32 aus Südkorea. China war in allen Forschungsbereichen stark vertreten.
Chinas Bildungssystem sollte weniger als Bedrohung, sondern vielmehr als Chance begriffen werden. Deutsche Forschungseinrichtungen wurden enorm gestärkt, indem sie chinesische Studierende, Doktoranden und Wissenschaftler rekrutierten. Die deutsche Forschungslandschaft wird ganz wesentlich durch herausragende chinesische Gastwissenschaftler und Partner verstärkt. Wenn Deutschland diese Wissenschaftler und Partnerschaften nun abweist, dann schadet Deutschland vor allem sich selbst. Heute muss jedes Wissenschaftssystem, das nicht offen ist für Talente und Kooperationen aus der ganzen Welt, den Abstieg in die zweite Liga befürchten.
Das deutsche Wissenschaftssystem ist weniger durch China bedroht, sondern eher durch hausgemachte Probleme wie Unterfinanzierung, Investitionsmangel und mangelnde Agilität. Exzellenz und internationale Spitzenforschung werden gestärkt durch Kooperation, aber auch durch den internationalen Wettbewerb um Talente, Mittel und Zitations-Indizes.
Trotzdem haben einige deutsche Universitäten ihre Kooperationen mit China auf den Prüfstand gestellt. Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie die Universität Hamburg haben entschieden, die Zusammenarbeit mit ihren Konfuzius-Instituten einzustellen. Aber die selbstgerechten deutschen Wissenschaftspolitiker und Universitätsverwaltungen wissen nicht – oder wollen es nicht wissen – wie sehr sich Rektoren und Präsidenten vieler chinesischer Universitäten dafür einsetzen, sowohl internationale Kooperationen als auch die Studierenden vor politischem Druck zu schützen. Die Proteste gegen die Covid-Politik im Dezember 2022 begann in den Universitäten genau deshalb, weil dort von mutigen Leitungen über die Jahre ein wertvolles Maß an Freiheit bewahrt werden konnte.
Im November 2022 veröffentlichte das MIT in Cambridge umfangreiche Richtlinien für den Umgang mit chinesischen Universitäten und Forschungseinrichtungen, aus dem deutsche Institutionen viel lernen können. Die Kommission, die die Richtlinie erarbeitete, verweist explizit darauf, dass eine Abkoppelung von chinesischen Partnern die Position des MIT als Spitzen-Universität gefährden und dem wissenschaftlichen Fortschritt schaden würde. Dementsprechend soll die Kooperation mit chinesischen Partnern explizit weitergeführt und ausgeweitet werden. Projektleiter und Gutachtergremien erhalten klare Handlungsempfehlungen, was bei Kooperationsprojekten zu beachten ist und unter welchen Umständen solche Projekte abzulehnen sind.
Die Richtlinien zeigen, dass ein kritischer, aber dennoch konstruktiver Umgang mit chinesischen Partnern möglich ist. Und sie beweisen auch Mut und Entschlossenheit einer Hochschulleitung, sich in einem chinakritischen Klima nicht an Spekulationen und Anschuldigungen zu beteiligen oder einzuknicken, sondern sich ein eigenes, auf Evidenz und Expertise basierendes Urteil zu bilden.
Auch deutschen Universitäten stünde ein solches Vorgehen gut zu Gesicht. Deutsche Universitäten genießen in China einen ausgezeichneten Ruf, und die allermeisten zurückgekehrten Studierenden oder Wissenschaftler fühlen eine lebenslange Verbundenheit zu Deutschland.
Die chinesischen Hochschulen haben das Land in Wissenschaft und Technik an die Weltspitze geführt. Sie haben zahllose politische Kampagnen in der sozialistischen Volksrepublik China überlebt, und immer wieder aktiv ihren Freiraum als wissenschaftliche Institutionen verteidigt – oft unter schwierigen Umständen. Sie haben Eingriffe wie die aktuellen Beschränkungen unter Xi Jinping kommen und gehen sehen. Sie müssen langfristig denken. Das sollten wir auch.
Indem wir unsere Verbindungen zu chinesischen Universitäten abbrechen, schaden wir am meisten den Wissenschaftlern, die die Werte einer offenen und freien Wissenschaft teilen und sich dafür unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile einsetzen. Die direkte Zusammenarbeit und Kommunikation mit Studierenden und Wissenschaftlern vor Ort in China trägt dazu bei, die allgegenwärtige Rhetorik und Propaganda der Regierung zu durchbrechen, alternative Perspektiven zu bieten und diskursive Räume zu etablieren.
Stuart Foster wird Managing Director für den Bereich Asien-Pazifik beim E-Commerce-Logistik-Provider Ascendia. Er bezieht sein Büro in Singapur.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Gleich 14 Satelliten brachte die chinesische Trägerrakete Langer Marsch-2D am Sonntag in die Erdumlaufbahn. Die Rakete hob um 11.14 Uhr vom Weltraumbahnhof Taiyuan in der Provinz Shanxi ab. Unter anderem an Bord: die Beobachtungs-Satelliten Qilu-2 und Qilu-3.
haben Sie sich auch schon einmal dabei erwischt, dass sie chinesischer Propaganda auf den Leim gegangen sind? Grämen Sie sich bitte nicht! Das passiert Wirtschaftsvertretern, Politikern und Wissenschaftlern alle naselang. Journalisten übrigens auch. Aber es ist ja nicht verboten, aus seinen Fehlern zu lernen.
Derzeit bieten chinesische Medien Lehrbuch-Propaganda zuhauf, die uns helfen kann, sensibler zu werden für die Widersprüche in den Darstellungen autoritärer Staaten. Aktuelles Anschauungsmaterial zum Thema Corona liefern uns derzeit die zwei völlig gegensätzlichen Erzählstränge der chinesischen Zentrale: Von Null-Covid zu Null-Vorsicht hat Fabian Peltsch das Phänomen beschrieben.
Es ist deshalb so wertvoll, weil es selten vorkommt, dass Argumentationslinien in Diktaturen so drastisch von heute auf morgen umgekrempelt werden müssen. Denn auch die Verantwortlichen wissen, dass die eigene Glaubwürdigkeit darunter leidet. Diese Farce bietet aber Raum für Rückschlüsse auf andere Themenbereiche, in denen 180-Grad-Wenden nicht zu erwarten sind und in denen die Widersprüche sich deshalb auch nicht so drastisch offenbaren.
Der Streit um die Inseln im Südchinesischen Meer ist sicherlich ein Themenbereich, in dem Chinas Propaganda auf Gedeih und Verderb bei seiner ursprünglichen Linie bleiben wird. Michael Radunski zeigt, wie Chinas Vorpreschen zu Gegenmaßnahmen anderer Staaten führt. Doch auch hier sollte man sich nicht täuschen lassen: Den Ursprung für wachsenden Spannungen hat im Wesentlichen die Volksrepublik China zu verantworten. Ob man bereit ist, als Konsument chinesischer Medien diesen Transfer zu wagen, darf natürlich jeder für sich selbst entscheiden.
Vor kurzem sorgte eine Meldung des Finanz-Nachrichtendienstes Bloomberg für Aufregung: China sei dabei, mehrere unbesetzte Landgebiete im Südchinesischen Meer auszubauen. Es handele sich um eine dramatische Intensivierung der chinesischen Strategie im südchinesischen Meer, so der Bericht unter Berufung auf zwei westliche, nicht namentlich genannte Diplomaten.
Das Neue daran: Es soll sich um Felsformationen handeln, die davor nicht unter chinesischer Kontrolle gestanden hätten. Bislang wurden Häfen, Landebahnen und militärische Infrastruktur auf Riffen errichtet, die Peking bereits besetzt hatte (China.Table berichtete). Es wäre in der Tat ein beispielloser Vorgang.
Chinas Außenministerium wies den Bericht umgehend als unwahr zurück. Und auch Gregory Poling, Leiter der Asia Maritime Transparency Initiative (AMTI) in Washington, kann den Bloomberg-Bericht nicht bestätigen. Ihm vorliegende Satellitenbilder zeigten an den vier besagten Riffen keine nennenswerten Veränderungen. Im Gegenteil: “Ich würde sogar behaupten, dass China 2022 wohl erstmals seit zehn Jahren seine Kontrolle im Südchinesischen Meer nicht vergrößert hat“, sagt Poling zu China.Table.
Wir sprechen von einer der geostrategisch wichtigsten Regionen der Welt: Rund ein Drittel des gesamten Welthandels wird hier verschifft, zudem ist das Gebiet reich an Rohstoffen. Wer hier die Kontrolle hat, ist in einer überaus mächtigen Position. Deshalb erheben sämtliche Anrainerstaaten miteinander konkurrierende Ansprüche. China besteht mit seiner “Neun-Striche-Linie” auf mehr als 80 Prozent des 3,5 Millionen Quadratkilometer großen Gebiets. Entsprechend angespannt ist die Lage. Poling zufolge setzt China im Südchinesischen Meer weiträumig Strafverfolgungs- und Milizenschiffe ein, um südostasiatische Zivilisten und fremde Regierungsschiffe zu schikanieren.
Collin Koh, Wissenschaftler am Institute of Defence and Strategic Studies in Singapur, verweist zudem auf eine rechtliche Verschärfung der Situation durch das 2021 von Peking erlassene Küstenwachen-Gesetz. “Dieses neue Gesetz ermächtigt die Seestreitkräfte, die notwendigen Maßnahmen gegen das zu ergreifen, was Peking als Untergrabung seiner maritimen Souveränität und Rechte im Südchinesischen Meer ansehen könnte – einschließlich der Anwendung von Gewalt“, erklärt Koh.
Immer häufiger kommt es zu Aufeinandertreffen von Schiffsverbänden der verschiedenen Staaten auf hoher See. Der wohl brisanteste Fall ereignete sich 2021, als China mehr als 200 vermeintliche Fischerboote mit Milizen an Bord zum Whitsun-Riff schickte. Sie drangen eindeutig in die exklusive Wirtschaftszone der Philippinen ein und kamen gefährlich nahe an ein von Vietnam besetztes Riff.
Die angespannte Lage dauerte mehrere Monate. Eine Eskalation schien unausweichlich, als der damalige philippinische Präsident Rodrigo Duterte sagte: “Wenn ich meine Marinesoldaten schicke, um die chinesischen Fischer zu vertreiben, garantiere ich Ihnen, dass keiner von ihnen lebend nach Hause kommt.”
Glücklicherweise endete der Zwischenfall friedlich mit dem Abzug der chinesischen Schiffe. Bislang hat die chinesische Seite keinen Gebrauch von Gewalt gemacht. “Aber jede dieser Begegnungen birgt die Gefahr einer Eskalation“, warnt Koh.
Wir beobachten auch eine wachsende militärische Grauzone – von der Küstenwache bis hin zur zivilen Fischerei. Felix Heiduk von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt im Interview mit Security.Table: “Immer häufiger fahren Chinas Fischereifangflotten im Verbund mit Küstenwache und Marine, um so territoriale Ansprüche zum Beispiel gegenüber den Philippinen oder Vietnam durchzusetzen.” Die chinesische Küstenwache verfüge mittlerweile über sehr große, bewaffnete Schiffe.
Hinzu kommt eine neue gefährliche Entwicklung: Während China zuletzt seine Ausbauaktivitäten reduziert hat, beginnen nun andere Staaten ihre Präsenz im Südchinesischen Meer massiv zu verstärken. Satellitenbilder zeigen, dass Vietnam in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 die Bagger- und Deponiearbeiten an seinen Außenposten auf den Spratly-Inseln ausgeweitet und rund 170 Hektar neues Land geschaffen hat. “Es gibt keine Heiligen im Südchinesischen Meer”, sagt Koh. Jede Partei habe Aktivitäten unternommen, die gegen den Geist der vereinbarten Declaration of Conduct von 2002 verstoßen.
Allerdings sticht China mit seinen Aktionen hervor, zum einen aufgrund der bestehenden Machtasymmetrie gegenüber den übrigen Anrainerstaaten. Zum anderen wird das Pekinger Selbstvertrauen immer größer.
Besonders gefährlich ist in diesem Zusammenhang das Fehlen anerkannter Krisenmechanismen im Südchinesischen Meer. Das größte Hindernis hierbei ist das fehlende Vertrauen zwischen den einzelnen Parteien. Als unabhängige Vermittler kämen theoretisch externe Kräfte wie die EU oder gar die UN in Frage. Doch das lehnt vor allem China als “äußere Einmischung” ab. Vielmehr propagiert Peking eine “asiatische Lösung” – wohl auch in der Hoffnung, so die eigene Vormachtstellung ausnutzen zu können.
For better informed decisions: Alles von Table.Media. Welche Professional Briefings von Table.Media könnten Ihnen noch die Arbeit erleichtern? Afrika, Berlin, Bildung, ESG, Europa, Forschung, Klima, Sicherheit und 100Headlines. Lernen Sie alle Table kostenlos kennen. (Mehr)
Der abrupte Kurswechsel in Chinas Corona-Politik stellt die Zensurbehörden vor eine Herkulesaufgabe, die durchaus Einfluss auf die soziale Stabilität hat: Wie verkauft man die 180-Grad-Wende von Null-Covid zu Null-Vorsicht der eigenen Bevölkerung? Eine Stoßrichtung kristallisierte sich nach der Abschaffung der strikten Maßnahmen nach dem 7. Dezember nur langsam heraus, was darauf hindeutet, dass auch hinter den Kulissen große Unklarheit herrschte.
Kein Wunder: Die rund 120 offiziellen Slogans, mit denen die Propaganda Xi Jinpings Zero-Covid-Politik in die Köpfe der Bevölkerung hämmerte, lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen auslöschen. Die zahlreichen Karikaturen in den Staatsmedien, die eine Öffnung ohne harte Lockdowns im Westen als Systemversagen brandmarkten, wirkten plötzlich wie Kommentare auf die eigene, hausgemachte Covid-Katastrophe.
Um die Kurve zu kriegen, setzt die Propaganda-Maschinerie auf bewährte Taktiken: Optimismus ausstrahlen, Fehler verschweigen, Sündenböcke finden. Omicron habe sich doch als eine Art Grippe erwiesen, deren Sterblichkeitsrate keine strengen Lockdown-Maßnahmen mehr erfordert. Mit leichten Symptomen könne man sogar zur Arbeit gehen, ließen etwa offizielle Stellen in der Mega-Metropole Chongqing verlauten.
Mehrere staatliche Zeitungen berichten von einer über 100-jährigen Frau aus Xinjiang, die ihre Infektion nach einem 10-tägigen Krankenhausaufenthalt “überraschend schnell” überstanden habe – und das, obwohl sie unter Vorerkrankungen und hohem Blutdruck litt.
Und dennoch hätten sich die Lockdown-Maßnahmen insgesamt trotzdem gelohnt, so der Tenor in einem Leitartikel der People’s Daily vom 12. Dezember. Sie hätten Zeit eingebracht, um bessere medizinische Rahmenbedingungen zu schaffen und die Zahl der Todesopfer gering zu halten.
Kurz vor Weihnachten lobten die Staatsmedien zusätzlich den positiven Effekt auf die Wirtschaft. Durch die strengen Lockdowns hätte das Wirtschaftswachstum aufrechterhalten werden können, wenn auch in niedrigeren Raten. Die Darstellung in westlichen Medien, China riskiere den Tod großer Teile der älteren Bevölkerung, nennt die Global Times “rassistisch, bigott und intolerant”. “Jedes Ereignis, das den Tod von Chinesen zur Folge hat, wird von den westlichen Propagandisten freudig begrüßt”, heißt es da.
Unzufriedenheit unter Chinesen seien auf “unterschiedliche Meinungen” in einem großen Land zurückzuführen, erklärte Xi Jinping Ende des Jahres in einer Fernsehansprache, ohne die vielen Proteste in chinesischen Großstädten beim Namen zu nennen. “Seit dem Ausbruch der Epidemie haben wir die Menschen und das Leben immer an die erste Stelle gesetzt”, erklärte Xi. Inzwischen rechnen Experten jedoch mit bis zu einer Million Toten (China.Table berichtete).
Hu Xijin, der ehemalige Chefredakteur der Global Times erklärte auf Twitter, dass er bei einer Reise von Peking nach Chengdu feststellen konnte, dass überall Normalität eingekehrt sei. “Die Auswirkungen der Pandemie verfliegen schnell.” Fachleute hingegen warnen vor den Folgen der anstehenden Corona-Welle in den Provinzen (China.Table berichtete).
Dass alles nicht so schlimm steht, belegt die Global Times unter anderem auch mit dem Hinweis, dass die allgemeine Lebenserwartung in China im Gegensatz zu den USA noch immer steige. Zynischer Whataboutismus, wenn man all die Todesfälle bedenkt, die nun überall in China betrauert werden müssen. Zudem weigert Peking sich nach wie vor aus ideologischen Gründen, den Einsatz nachweislich wirksamer mRna-Impfstoffe aus dem Westen zuzulassen.
Ein weiteres Argument, das inzwischen überall auftaucht, ist, dass die Öffnung von langer Hand geplant gewesen sei und dementsprechende Entscheidungen bereits im November 2022 in Zhongnanhai getroffen wurden. Man habe innerhalb der “dynamischen Covid-Politik” umgehend auf die “leichtere Variante” Omicron reagiert, schreibt die Global Times. “Chinas sozialistisches System hat wieder gezeigt, dass es zu einer beispiellosen Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit fähig ist.”
Dass hinter der Öffnung kein Masterplan stand, beweist jedoch die Tatsache, dass es der Staat trotz harter Lockdown-Maßnahmen nicht geschafft hat, mehr als 40 Prozent der über 80-Jährigen ausreichend zu impfen. Omicron war bereits Ende 2021 in China nachgewiesen worden. Hinzu kommt, dass die Öffnung nur wenige Wochen vor dem Frühlingsfest übers Knie gebrochen wurde. Millionen Chinesen werden diese Woche inmitten teils noch immer winterlicher Temperaturen durchs Land reisen. Das ohnehin überforderte Gesundheitssystem wird dadurch noch mehr belastet.
Die Art, wie die Regierung ihren U-Turn vollzieht, sei erwartbar gewesen, sagt eine 35-jährige Pekingerin, die während eines Lockdowns ihre Arbeit in der Medienbranche verlor. Sie vergleicht das Vorgehen mit einem Kind, das von einem Moment auf den anderen seine Stimmung ändert. “Es ist, als würden 80- und 90-Jährige plötzlich nicht mehr existieren.”
Im Internet macht ein Witz die Runde, der die Verwirrung über die plötzliche Kehrtwende in einem Dialog dreier Häftlinge zusammenfasst, die einander die Gründe ihrer Verhaftung erklären:
“Ich war gegen Covid-Tests.”
“Ich habe Covid-Tests unterstützt.”
“Ich habe Covid-Tests durchgeführt.”
Offen beschweren kann man sich freilich nicht. Mehr als 1.000 Social-Media-Konten – einige mit Millionen von Followern – wurden bereits suspendiert, weil sie die Covid-Politik der Regierung kritisierten. Hashtags wie “Chamäleon” oder “doppelzüngig” waren vorübergehend geblockt. Auch Karikaturen, die überfüllte Krematorien zeigen oder Kommentare, die die offizielle Todesursache verstorbener Prominenter anzweifelten, wurden schnell herausgefiltert.
In die Karten der Regierung spielt jedoch, dass die Chinesen vor allem froh sind, keine Lockdowns mehr fürchten zu müssen und auch endlich wieder reisen zu dürfen. Auch hier hat Chinas Propaganda-Maschinerie eine Strategie entwickelt, um nicht vor der eigenen Haustür kehren zu müssen. In den Staatsmedien werden die Vorkehrungsmaßnahmen einiger Länder, chinesische Reisende auf Covid zu testen, nun als “Diskriminierung” diffamiert – und das, obwohl China selbst negative Tests von Einreisenden verlangt.
Die Propaganda knüpft damit an das Narrativ des “China Virus” zu Beginn der Pandemie an, mit dem ausländische Kräfte angeblich alle Schuld bei China gesucht hätten. Die Chinesen hätten im Kampf gegen das Virus viele Opfer gebracht, so die Botschaft hinter der kalkulierten Empörung. Und nun sei es das Ausland, das ihnen aus “Rache” noch immer keine Freiheit gewähren will.
In China wird das Covid-Medikament Paxlovid von Pfizer wegen steigender Infektionszahlen und einer erhöhten Nachfrage zu exorbitanten Preisen angeboten. Medien- und Erfahrungsberichten zufolge gibt es Schwierigkeiten, Paxlovid in China über offizielle Kanäle zu erhalten. Zahlreiche Menschen versuchen deshalb, das Mittel auf dem Schwarzmarkt zu erwerben. Denn nach den großen Städten breitet sich das Virus nun in den abgelegenen Regionen Chinas aus (China.Table berichtete).
Ein Einwohner der südchinesischen Provinz Hainan sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass er 20.000 Yuan (rund 2.750 Euro) für zwei Packungen für seine Eltern bezahlt habe. “Wenn Ihre Familienmitglieder in Not sind, werden Sie es für billig halten, denn alles ist besser, als jetzt ins Krankenhaus zu gehen“, sagte der Mann. Er kenne sogar Leute, die 20.000 Yuan für eine einzige Schachtel des Medikaments bezahlt hätten.
Paxlovid ist eines der wenigen ausländischen Corona-Medikamente, das in China zugelassen ist. Bis Ende März wird es noch von der staatlichen Versicherung übernommen, sodass Patienten theoretisch nur 198 Yuan (rund 27 Euro) zahlen müssen und damit ein Zehntel des üblichen Preises. Allerdings ist es derzeit fast überall ausverkauft.
Das chinesische Finanzministerium kündigte derweil am Montag an, die Mittel zur Prävention und Bekämpfung von Covid-Erkrankungen aufzustocken. Die Zahl der Corona-Infektionen ist in China zuletzt dramatisch angestiegen, nachdem die Regierung im vergangenen Monat ihre strikten Corona-Beschränkungen gelockert hatte. Experten rechnen mit bis zu einer Million Toten (China.Table berichtete). rtr/rad
Der chinesische Fahrdienstleister Didi Global darf nach 18 Monaten wieder neue Kunden registrieren. Die Behörden erteilten dem Tech-Unternehmen in der vergangenen Woche die entsprechende Genehmigung. Seit Montag stehen Didis 25 Smartphone-Apps wieder zum Herunterladen und zur Kontoeröffnung bereit.
“Unser Unternehmen hat ernsthaft mit der Cybersicherheitsüberprüfung des Landes zusammengearbeitet, sich ernsthaft mit den bei der Überprüfung festgestellten Sicherheitsproblemen befasst und mehr als ein Jahr lang umfassende Korrekturen durchgeführt”, hieß es in einer Erklärung des Unternehmens. Didi wolle wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Plattform und der Daten künftig zu gewährleisten und die nationale Sicherheit im Cyberspace zu schützen.
Mitte 2021 war Didi in den Fokus der Regulierungsbehörden geraten, nachdem das Unternehmen gegen den Willen der Cyberspace Administration of China (CAC) einen Börsengang in den USA vorangetrieben hatte. In der Folge sprach die CAC eine Geldstrafe in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar wegen Verstößen gegen die Datensicherheit aus und verbannte die Produkte des Anbieters aus den App-Stores. Als Folge zog sich Didi im Juni 2022 nach elf Monaten wieder von der US-Börse zurück. grz
Der chinesische Internetkonzern Tencent hat mit einer Entlassungswelle auf Korruptionsvorwürfe gegen Teile seiner Belegschaft reagiert. Das Unternehmen teilte am Montag mit, es habe 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gekündigt, die in mehr als 70 Fälle von Bestechung und Veruntreuung verstrickt gewesen seien. Zehn Personen davon zeigte Tencent bei den Strafverfolgungsbehörden an.
Die Entlassungen folgten einem Zugeständnis von Firmenchef Pony Ma. Dieser hatte im Januar wachsende Korruptions-Probleme im Unternehmen eingeräumt. Allerdings sind Entlassungen bei Tencent wegen unlauterer Geschäftspraktiken nichts Neues. Immer wieder gab das Unternehmen aus Shenzhen in den vergangenen Jahren Auskunft über Korruptionsfälle in seinen Reihen.
2022 habe Tencent jedoch einen deutlichen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet, sowohl was die Zahl der Vergehen als auch die der Betroffenen angeht. Ein möglicher Grund dafür: Tencent hat nach eigenen Angaben seine firmeninterne Ermittlungsarbeit verstärkt. Vor einem Jahr waren in 50 Fällen rund 70 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entlarvt worden. grz
Volkswagen will angesichts der zunehmenden Konkurrenz bei E-Autos in China sein Entwicklungstempo erhöhen. Chinesische Hersteller bräuchten für die Planung eines neuen Fahrzeugs nur etwa zweieinhalb Jahre, Volkswagen knapp vier, sagte China-Chef Ralf Brandstätter bei einem Mediengespräch in Berlin. “Wir nehmen uns aufgrund unserer Qualitätsansprüche auch bewusst etwas mehr Zeit, können an einigen Stellen aber schneller werden.”
Gelingen soll das durch eine Bündelung von Kompetenz im Werk in der Provinz Anhui, wo frühzeitig Konzepte chinesischer Lieferanten in die Planung einfließen sollen. Um seine Position in China zu behaupten, will Volkswagen auch das Modellangebot erweitern. Für 2023 rechnet der Konzern mit einem Wachstum des chinesischen Pkw-Marktes um vier bis fünf Prozent auf circa 23 Millionen Fahrzeuge.
Europas größter Autokonzern fährt in China einen großen Teil seines Gewinns ein, den VW für die Umstellung auf E-Mobilität und Digitalisierung benötigt. Den harten Wettbewerb will sich Volkswagen zunutze machen. China sei “wie ein riesiges Fitnesscenter” für die Auto-Industrie, so Brandstätter.. Man müsse jetzt dagegenhalten, um auch perspektivisch dem chinesischen Wettbewerb gewachsen zu sein.
Für Februar kündigte Brandstätter derweil einen Besuch in der Provinz Xinjiang an, wo Volkswagen zusammen mit dem Staatskonzern SAIC ein Werk betreibt. Xinjiang gerät wegen der dortigen Unterdrückung der Uiguren regelmäßig in die Schlagzeilen der westlichen Medien. “Wir werden alles tun, was in unserer Kraft liegt, damit es in diesem Werk vernünftige Arbeitsbedingungen gibt”, sagte Brandstätter. VW prüfe auch das Lieferantennetz. Man habe zurzeit keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen. rtr/flee
Bei Krawallen in einer Nickelschmelze auf der indonesischen Insel Sulawesi sind ein indonesischer und ein chinesischer Arbeiter getötet worden, wie Beamte am Montag mitteilten. In der Schmelzhütte der PT Gunbuster Nickel Industry (GNI), die dem chinesischen Unternehmen Jiangsu Delong gehört, waren am Samstag Proteste über Bezahlung und Sicherheit ausgebrochen. Am Montag wurden schließlich Hunderte Sicherheitskräfte auf das Gelände geschickt, um die Gemüter zu beruhigen.
Medienberichten zufolge sollen sich indonesische Arbeiter wiederholt über mangelnde Arbeitssicherheit, fehlenden Gesundheitsschutz und ausbleibende Bezahlung beklagt haben. Auch in anderen chinesischen Projekten im Ausland ist von diesen Problemen zu hören.
In der besagten Fabrik arbeiten laut Polizeiangaben ungefähr 11.000 indonesische Arbeiter und 1.300 ausländische Mitarbeiter. GNI hatte die Schmelzanlage Ende 2021 in Betrieb genommen. Jährlich sollen dort 1,8 Millionen Tonnen Nickel verarbeitet werden, die Investitionen belaufen sich auf fast drei Milliarden US-Dollar. Indonesien will zum globalen Produktionszentrum für Elektrobatterien werden. Die Nickelreserven der Insel Sulawesi haben das Interesse von Peking und einigen der größten Autohersteller der Welt geweckt. rad
Der wissenschaftliche Austausch mit China ist neuerdings unter Verdacht geraten. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat anlässlich des 50. Jahrestages der wissenschaftlichen Kooperationen mit China zu Wachsamkeit aufgerufen. China sei vom strategischen Partner zum harten Wettbewerber und systemischen Rivalen für Deutschland und die EU geworden. Für DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee geht gar die Ära der partnerschaftlichen Beziehungen zwischen China und Deutschland zu Ende. Politiker und Wissenschaftsmanager in Deutschland sind zunehmend der Auffassung, die Forschungskooperationen seien unfair und würden einseitig China nutzen.
Nach 50 Jahren erfolgreicher Kooperation ist gegenseitiges Misstrauen an die Stelle des Glaubens an den gemeinsamen Nutzen von wissenschaftlicher Zusammenarbeit getreten. Ein seltsames Gebräu aus Isolationismus und Nationalismus breitet sich weltweit aus. Wir leben in einer Zeit der beginnenden Deglobalisierung. Sowohl Deutschland als auch China stellen zunehmend Eigeninteressen über gemeinsame Anliegen und träumen von einer Zukunft mit größerer “Unabhängigkeit” und “Autonomie”, auch wenn von Abkopplung historisch kein Land je profitiert hat.
Aber was sind die Konsequenzen?
Hinter der neuen Angst vor China steht die Sorge, dass China Deutschland wissenschaftlich überholen wird. Schließlich verfügt China über weit mehr intellektuelles Kapital als jedes andere Land der Erde. Im Jahr 2030 werden 37 Prozent aller Absolventen von Mint-Fächern aus China stammen – verglichen mit 1,4 Prozent aus Deutschland.
Die Bedeutung des chinesischen Bildungssystems wird auch am kontinuierlichen Aufstieg der chinesischen Universitäten in den globalen Rankings deutlich. Deutsche Spitzen-Universitäten wie die TU München (Platz 50) liegen schon heute hinter den chinesischen (Qinghua Universität: 17, Peking Universität: 18).
China hat das dynamischste Wissenschaftssystem der Welt. Im angesehenen Nature Index steht die Chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) aktuell auf Platz eins, vor der Harvard University (Platz zwei) und der Max-Planck-Gesellschaft (Platz drei).
Ein weiterer Indikator sind Forschungsartikel, die auf Fachkonferenzen eingereicht werden. Im Bereich der Halbleiterforschung gilt etwa die “International Solid-State Circuits Conference (ISSCC)” als Indikator für die Intensität der Forschungsbemühungen in den Herkunftsländern. In den letzten Jahren hatten immer die USA die meisten angenommenen Artikel, gefolgt von Südkorea auf Platz zwei und China auf Platz drei. 2022 hatte China erstmals die meisten Beiträge. 198 Arbeiten wurden insgesamt angenommen, davon 59 aus China, 42 aus den USA und 32 aus Südkorea. China war in allen Forschungsbereichen stark vertreten.
Chinas Bildungssystem sollte weniger als Bedrohung, sondern vielmehr als Chance begriffen werden. Deutsche Forschungseinrichtungen wurden enorm gestärkt, indem sie chinesische Studierende, Doktoranden und Wissenschaftler rekrutierten. Die deutsche Forschungslandschaft wird ganz wesentlich durch herausragende chinesische Gastwissenschaftler und Partner verstärkt. Wenn Deutschland diese Wissenschaftler und Partnerschaften nun abweist, dann schadet Deutschland vor allem sich selbst. Heute muss jedes Wissenschaftssystem, das nicht offen ist für Talente und Kooperationen aus der ganzen Welt, den Abstieg in die zweite Liga befürchten.
Das deutsche Wissenschaftssystem ist weniger durch China bedroht, sondern eher durch hausgemachte Probleme wie Unterfinanzierung, Investitionsmangel und mangelnde Agilität. Exzellenz und internationale Spitzenforschung werden gestärkt durch Kooperation, aber auch durch den internationalen Wettbewerb um Talente, Mittel und Zitations-Indizes.
Trotzdem haben einige deutsche Universitäten ihre Kooperationen mit China auf den Prüfstand gestellt. Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie die Universität Hamburg haben entschieden, die Zusammenarbeit mit ihren Konfuzius-Instituten einzustellen. Aber die selbstgerechten deutschen Wissenschaftspolitiker und Universitätsverwaltungen wissen nicht – oder wollen es nicht wissen – wie sehr sich Rektoren und Präsidenten vieler chinesischer Universitäten dafür einsetzen, sowohl internationale Kooperationen als auch die Studierenden vor politischem Druck zu schützen. Die Proteste gegen die Covid-Politik im Dezember 2022 begann in den Universitäten genau deshalb, weil dort von mutigen Leitungen über die Jahre ein wertvolles Maß an Freiheit bewahrt werden konnte.
Im November 2022 veröffentlichte das MIT in Cambridge umfangreiche Richtlinien für den Umgang mit chinesischen Universitäten und Forschungseinrichtungen, aus dem deutsche Institutionen viel lernen können. Die Kommission, die die Richtlinie erarbeitete, verweist explizit darauf, dass eine Abkoppelung von chinesischen Partnern die Position des MIT als Spitzen-Universität gefährden und dem wissenschaftlichen Fortschritt schaden würde. Dementsprechend soll die Kooperation mit chinesischen Partnern explizit weitergeführt und ausgeweitet werden. Projektleiter und Gutachtergremien erhalten klare Handlungsempfehlungen, was bei Kooperationsprojekten zu beachten ist und unter welchen Umständen solche Projekte abzulehnen sind.
Die Richtlinien zeigen, dass ein kritischer, aber dennoch konstruktiver Umgang mit chinesischen Partnern möglich ist. Und sie beweisen auch Mut und Entschlossenheit einer Hochschulleitung, sich in einem chinakritischen Klima nicht an Spekulationen und Anschuldigungen zu beteiligen oder einzuknicken, sondern sich ein eigenes, auf Evidenz und Expertise basierendes Urteil zu bilden.
Auch deutschen Universitäten stünde ein solches Vorgehen gut zu Gesicht. Deutsche Universitäten genießen in China einen ausgezeichneten Ruf, und die allermeisten zurückgekehrten Studierenden oder Wissenschaftler fühlen eine lebenslange Verbundenheit zu Deutschland.
Die chinesischen Hochschulen haben das Land in Wissenschaft und Technik an die Weltspitze geführt. Sie haben zahllose politische Kampagnen in der sozialistischen Volksrepublik China überlebt, und immer wieder aktiv ihren Freiraum als wissenschaftliche Institutionen verteidigt – oft unter schwierigen Umständen. Sie haben Eingriffe wie die aktuellen Beschränkungen unter Xi Jinping kommen und gehen sehen. Sie müssen langfristig denken. Das sollten wir auch.
Indem wir unsere Verbindungen zu chinesischen Universitäten abbrechen, schaden wir am meisten den Wissenschaftlern, die die Werte einer offenen und freien Wissenschaft teilen und sich dafür unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile einsetzen. Die direkte Zusammenarbeit und Kommunikation mit Studierenden und Wissenschaftlern vor Ort in China trägt dazu bei, die allgegenwärtige Rhetorik und Propaganda der Regierung zu durchbrechen, alternative Perspektiven zu bieten und diskursive Räume zu etablieren.
Stuart Foster wird Managing Director für den Bereich Asien-Pazifik beim E-Commerce-Logistik-Provider Ascendia. Er bezieht sein Büro in Singapur.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Gleich 14 Satelliten brachte die chinesische Trägerrakete Langer Marsch-2D am Sonntag in die Erdumlaufbahn. Die Rakete hob um 11.14 Uhr vom Weltraumbahnhof Taiyuan in der Provinz Shanxi ab. Unter anderem an Bord: die Beobachtungs-Satelliten Qilu-2 und Qilu-3.