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Erscheinungsdatum: 21. April 2025

Lei Jun: Der Xiaomi-Chef steht vor seiner größten Bewährungsprobe

Noch vor einem Jahr wurde Xiaomi-Gründer Lei Jun bei der Pekinger Automesse wie ein Popstar gefeiert. Menschen standen stundenlang Schlange, um das erste Xiaomi-Auto zu sehen. Dann aber verursachte ein Exemplar dieses Modells im Autopilotmodus einen tödlichen Unfall. Auf der Automesse in Shanghai muss Lei Jun nun zeigen, wie er die Krise bewältigen kann.

Ausgerechnet jetzt, kurz vor Chinas wichtigster Automesse in Shanghai, steht Xiaomi-Gründer Lei Jun vor einer seiner härtesten Bewährungsproben. Ende März krachte ein Xiaomi SU7 im Autopilotmodus in der Provinz Anhui gegen eine Baustellenbarriere. Drei Menschen kamen ums Leben, die Behörden ermitteln. Xiaomis Aktien verloren daraufhin zeitweise mehr als 20 Prozent.

Der Schock trifft das junge Autogeschäft des chinesischen Tech-Riesen bis ins Mark. Statt in Shanghai den mit Spannung erwarteten Elektro-SUV YU7 zu präsentieren, das zweite Modell seit dem Marktstart vor einem Jahr, lässt Xiaomi das neue Auto kurzerhand zu Hause. Auf der Messe zeigt der Konzern lediglich die bekannte Limousine SU7 und deren Ultra-Version. Branchenbeobachter werten den Rückzug als Vorsichtsmaßnahme, um keine weitere Angriffsfläche zu bieten und die Debatte über Fahrassistenzsysteme nicht zusätzlich anzuheizen.

Für Lei Jun kommt der Rückschlag zur Unzeit. Noch vor einem Jahr wurde der Unternehmer auf der Pekinger Automesse wie ein Popstar gefeiert: Menschen standen stundenlang Schlange, um den SU7, das erste Xiaomi-Auto, zu sehen. 215.000 Fahrzeuge verließen binnen zwölf Monaten das Werk, der Monatsrekord im März 2025 lag bei knapp 29.000 Stück. Nun bekommt die Erfolgsstory erste Dämpfer. Vor der versammelten internationalen Automobilwelt in Shanghai muss Lei jetzt zeigen, dass Xiaomis Autogeschäft mehr als eine Eintagsfliege ist.

Lei Jun wurde am 16. Dezember 1969 in Xiantao in der Provinz Hubei als Sohn zweier Lehrer geboren. Schon als Kind zerlegte er Radios, bastelte Lampen und verkaufte selbst gelötete Platinen, also Leiterplatten, an Mitschüler. Sein Informatikstudium an der Wuhan-Universität schloss er in nur zwei Jahren ab.

Mit 23 Jahren begann er bei der Softwarefirma Kingsoft, wurde sechs Jahre später Vorstandschef und führte das Unternehmen 2007 an die Hongkonger Börse. Parallel gründete er im Jahr 2000 den Onlinebuchhändler Joyo.com, den er 2004 für 75 Millionen US-Dollar an Amazon verkaufte. Die Erlöse investierte er als Business Angel in junge Techfirmen. Sein Fonds Shunwei Capital befeuerte Chinas Start-up-Szene.

Im Jahr 2010 wagte Lei sein bislang kühnstes Projekt: Xiaomi. Das Konzept des damals 40-Jährigen: leistungsfähige Smartphones zu Kampfpreisen, Flash-Verkäufe und intensive Interaktion mit der Community. Binnen vier Jahren wurde Xiaomi Marktführer in China und rückte global in die Top drei auf. Westliche Medien kürten Lei zum „chinesischen Steve Jobs“. Doch 2018 verfehlte Xiaomi seine Gewinnziele, die Aktie schwächelte. Lei senkte symbolisch seinen Lohn auf einen Renminbi, trieb die Auslandsexpansion voran.

„Das ist mein letztes großes unternehmerisches Projekt“, verkündete Lei im März 2021. Zehn Milliarden US-Dollar gab er für den Einstieg in den E-Auto-Markt frei. Mehr als 5000 Ingenieure rekrutierte er, testete Prototypen persönlich im Winter Europas und auf der Gobi-Rennpiste. Sein Ziel: Technik, Preis und Software so zu verbinden, dass ein Xiaomi-Auto wie ein rollendes Smartphone wirkt.

Der Blitzstart des Xiaomi-Autos gelang. Die Limousine SU7 kostet ab 215.900 Yuan, umgerechnet 26.000 Euro – deutlich weniger als ein Tesla Model 3. Updates kommen „over-the-air“, das Cockpit ist mit der Xiaomi-Smart-Home-App vernetzt. Das Ergebnis: ausverkaufte Produktionsslots und lange Wartelisten. Analysten gehen jedoch davon aus, dass die Autosparte erst bei 300.000 bis 400.000 verkauften Fahrzeugen pro Jahr profitabel wird. Bis dahin stützt das lukrative Smartphonegeschäft die milliardenschwere Investition – doch die Geduld der Anleger ist nicht grenzenlos.

Wer Lei kennt, beschreibt ihn als Mischung aus Visionär und Zahlenmensch. Er liest Marktberichte wie andere Krimis, schaltet sich nachts in Entwickler-Chats ein und stellt unbequeme Detailfragen. Fehler dürfen passieren – aber nur einmal. Gleichzeitig pflegt er ein bodenständiges Image, beantwortet Nutzerfragen auf Weibo und verschenkt Powerbanks an Studierende. Seine Leidenschaft fürs Laufen soll zeigen, dass Ausdauer für ihn kein PR-Slogan, sondern ein Lebensstil ist.

Jetzt aber wird der Erfolg im Autogeschäft an der Sicherheit gemessen. Der Unfall in Anhui ruft die Regulierungsbehörden auf den Plan, Medien zweifeln an der Reife chinesischer Fahrassistenzsysteme. Lei reagiert mit Transparenz, stellt Daten öffentlich zur Verfügung und kündigt strengere Tests an.

Ob das reicht, wird sich auch in Shanghai zeigen. Ohne den YU7 fehlt Xiaomi zwar der erhoffte Publikumsmagnet, doch jede Kameralinse wird auf Lei gerichtet sein. Gelingt es ihm, das Vertrauen der Konsumenten zurückzugewinnen, könnte der Unfall zu dem Moment werden, in dem Xiaomi vom hippen Tech-Brand zum ernst zu nehmenden Autohersteller reift. Jörn Petring

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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