Shanghai läuft sich warm: Am Vortag der weltgrößten Automesse Auto Shanghai 2025 wurden bereits die ersten Premieren enthüllt. Ab Mittwoch zeigt die Messe bis zum 2. Mai mehr als 100 Modelle von 70 chinesischen und internationalen Marken. In denselben Messehallen erlebten internationale Besucher vor gerade einmal zwei Jahren einen kollektiven Moment der Sprachlosigkeit. Zahlreiche bis dato völlig unbekannte Marken demonstrierten damals mit innovativen Modellen, wie rasant sich Chinas Autoindustrie in den Covid-Jahren entwickelt hatte. Seitdem hat sich für die deutschen Hersteller hier viel verändert.
Der Anteil der New Energy Vehicles (NEVs) macht in China mittlerweile die Hälfte der Neuzulassungen aus und einheimische Hersteller dominieren den Markt. Volkswagen wurde von BYD entthront und schlechte Verkaufszahlen der deutschen Autobauer auf dem wichtigen Markt haben zuletzt die Stimmung getrübt. Sie müssen nun beweisen, dass sie sich auf ihre Kunden im chinesischen Markt eingestellt haben. An Zweiflern mangelt es nicht. „Es ist an der Zeit herauszufinden, ob die Elektroautos der ausländischen Autohersteller gut genug sind“, zitiert die Financial Times Li Yanwei, Mitglied des Expertenausschusses der China Automobile Dealers Association.
„Wir haben einen starken Plan. Zur Auto Shanghai schalten wir jetzt in den 'Liefermodus‘“, kontert Volkswagen-CEO Oliver Blume. Auf der Bühne der Volkswagen Group Media Night im West Bund Art Center begrüßt zunächst kein Mensch, sondern die KI Xiao V das Publikum. Fünf Weltpremieren führt der Konzern als automobile Beweise dafür an, den Markt verstanden zu haben und die Verkaufskurve wieder nach oben biegen zu können. Im Mittelpunkt stehen die drei ID-Konzepte ID.ERA, ID.AURA und ID.EVO.
Die Namen bergen Verwechslungsgefahr, optisch sind die Modelle allerdings markant – insbesondere das mächtige Full-size-SUV ID.ERA. Von der Seite erinnert es ein wenig an einen Range Rover. Dabei ist das Modell nicht nur optisch ein Aufbruch: Es soll auch der erste VW mit Range Extender werden, einer in China äußerst beliebten Antriebsform, die für eine Gesamtreichweite von 1.000 Kilometern sorgt.
Der kompakte ID. AURA von FAW-Volkswagen ist ebenfalls ein Aufbruch: Er wird das erste Modell auf Basis der Compact Main Platform (CMP) mit der zonalen Elektronikarchitektur (CEA) sein, die von Volkswagen speziell für China entwickelt wurde. Und das sogar vor Plan in nur 34 Monaten, fast ein Jahr schneller als vergleichbare Projekte in Wolfsburg. Die Plattform soll die Kosten für kleinere Fahrzeuge des Einstiegssegments um 40 Prozent senken. Die nächste Elektroplattform steht bereits in den Startlöchern: Die „China Scalable Platform“ (CSP) soll ohne externe Entwicklungs- oder Softwarepartner entstehen, ebenfalls in China, für China. Der Preis für den ID.AURA soll bei umgerechnet 17.000 Euro liegen. Ab 2026 sollen die Konzeptfahrzeuge in Serie gehen.
„ Für uns ist es jetzt wichtig, Marktanteile in der elektrischen Welt zu gewinnen, und ich habe ein gutes Gefühl", sagt VW-CEO Oliver Blume nach der Premiere. „Das Feedback ist sehr gut, ich denke, ab 2026 werden wir aufholen. Wir fühlen uns viel besser vorbereitet als vor drei Jahren, als wir unsere Strategie geändert haben." Einen Marktanteil zwischen zwölf und 15 Prozent hält Blume für möglich.
Zwei weitere Weltpremieren bei der Volkswagen Group Night kamen von Audi. Der Audi A6L e-tron, der auf der PPE-Plattform (Premium Platform Electric) steht und dem eine größere Batterie mit einer Kapazität von 107 Kilowattstunden verpasst wurde, die ihm 770 Kilometer Reichweite beschert. Und das erste Serienmodell des vier-Buchstaben-AUDI, des AUDI E5 Sportback, der in China ab Sommer zu den Händlern rollen soll. Später, beim Gang über die Bühne, kann man hineinsehen und ein Cockpit entdecken, das mit seinem an den Seiten geschickt geknickten Frontdisplay auf voller Breite klar demonstriert: Wir haben jetzt verstanden, was junge chinesische Kunden wollen.
Mercedes-Benz präsentiert am Tag vor der Messe ebenfalls eine Weltpremiere – den Van Vision V. Außerdem haben die Schwaben eine für den chinesischen Markt konzipierte Langversion des neuen elektrischen CLA dabei. Mit letzterem dürfen ein paar Journalisten bereits vor dem Premierenevent eine Runde drehen – auf dem Beifahrersitz. Beklebt mit Camouflage-Stickern geht es mit Level 2++ automatisiert durch den Shanghaier Straßenverkehr rund um das R D Center des Herstellers. Der Zusatz ++ signalisiert, dass das Fahrzeug nicht nur auf der Autobahn, sondern auch im deutlich komplexeren Stadtverkehr weitgehend eigenständig agiert, der Fahrer muss die Hände allerdings immer nah am Lenkrad halten.
Der Prozess, das Fahrzeug an den lokalen Verkehr anzupassen, ist komplex, berichtet ein Entwickler. Schon allein deshalb, weil Autofahrer in Shanghai andere Fahrgewohnheiten hätten als in Peking. Noch gilt es einige kleine Ecken und Kanten auszubügeln, aber das Modell navigiert gekonnt und teils auch beherzt zwischen Lkws, Lieferbikes und Taxis. Mercedes ist der erste internationale Hersteller, der Point to point Driving Assistance in China auf den Markt bringt. Der CLA soll im Sommer kommen.
Der große Wurf ist vor allem seine völlig neue Elektroplattform MMA, die mit ihrer Two-speed-transmission ein hohes Maß an Effizienz verspricht. Das Modell schafft eine Reichweite von 866 Kilometern und erzielt dabei einen Verbrauch von 10,9 kw/h pro 100 Kilometer. Bei Tempo 120 sollen immer noch 572 Kilometer drin sein, mehr als der durchschnittliche Fahrer in einer Woche mit dem Auto zurücklegt.
Der Vision V, der bei seiner Premiere zur Musik eines Cello-Spielers in die Halle gleitet, scheidet nach der Veranstaltung die Geister. Als MPV zielt er auf ein wachstumsstarkes Segment ab, denn luxuriöse Minivans mit Captain chairs und allerlei Annehmlichkeiten sind in Chinas Großstädten sehr beliebt, um den ein oder anderen Stau im Stadtverkehr entspannt zu überstehen. Beim Design hat sich Chefdesigner Gordon Wegener für manche Geschmäcker allerdings vielleicht etwas zu sehr ausgetobt.
Das Interieur ist allerdings echter China-style. Die weiß-gerippten Ledersitze im Fond würden sich der ein oder andere Designfan sicherlich auch in seine Altbauwohnung stellen. Ein großer Bildschirm macht den Innenraum wahlweise zum Büro auf Rädern oder Kino. Das Konzept zeigt: Die Marke hat verstanden, was sich die Kunden in China wünschen. Das könnte auch am lokalen Zuwachs liegen: Das Team wurde in den letzten Jahren verdoppelt, einheimische Entwickler tragen nun mehr Verantwortung für die lokalen Optionen, was zudem auch höheres Tempo bei der Entwicklung ermöglicht.