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Erscheinungsdatum: 07. März 2025

Zieht Europa bald Kapital aus den USA ab?

Europäische Aktien (Stoxx 600) haben sich in gleicher Währung seit Jahresbeginn um mehr als zwölf Prozentpunkte besser entwickelt als Aktien aus den USA (S P 500). Nach Donald Trumps Wahlsieg im vierten Quartal war die Stimmung, Bewertung und Anlegerpositionierung in den USA letztlich zu optimistisch – alles musste gut gehen, damit amerikanische Aktien die positive Entwicklung fortsetzen könnten, US-Aktien hatten eher Enttäuschungspotenzial.

Im Gegensatz dazu war die Stimmung von Anlegern mit Blick auf Europa zu pessimistisch. Der Bewertungsabschlag gegenüber den USA war auf ein Rekordniveau angestiegen und Anleger waren kaum positioniert. Wir haben bereits im Dezember argumentiert, dass es nur einer kleinen positiven Überraschung bedarf, um einen Stimmungsumschwung herbeizuführen. Dafür gab es zahlreiche mögliche Auslöser: die Wahl in Deutschland, einen möglichen Waffenstillstand oder Frieden in der Ukraine, weitere Wirtschaftsstimulierungen in China oder ein günstiger Euro.

Die Schnelligkeit des Stimmungsumschwungs bedeutete, dass bisher eher taktisch agierende Anleger europäisches Aktien-Exposure mittels derivativer Instrumente wie Futures oder Optionen aufbauten. Die Nettozuflüsse in europäische Aktienfonds drehten erst gegen Mitte Februar ins Positive. Nach Angaben der Bank of America verzeichneten europäische Aktienfonds in diesen drei Wochen Nettozuflüsse in Höhe von acht Milliarden US-Dollar. Dies entspricht nach deren Berechnungen aber lediglich drei Prozent der kumulierten Nettoabflüsse aus europäischen Aktienfonds seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022.

Auf der anderen Seite sehen auch US-Aktienfonds unverändert Zuflüsse. Allein in der letzten Woche waren dies 27 Milliarden US-Dollar, seit Jahresbeginn kumuliert knapp 20-mal so viele wie europäische Aktienfonds. Von einer Rotation von Anlegergeldern weg aus den USA hin nach Europa kann bisher bei Weitem keine Rede sein. Die Positionierung globaler Anleger hat sich bisher kaum verändert.

Es besteht somit die Chance, dass aus der bisherigen Sentimentrallye eine strukturelle Erholungsrallye wird, wenn globale Anleger wirklich beginnen, ihre Positionen in Europa auszubauen. Dazu bedarf es aber mehr als Hoffnung auf Frieden, auf niedrigere Energiepreise oder auf mehr chinesischen Stimulus. Es bedarf Fakten. Die Wirtschaft in Europa muss sich erholen. Interessanterweise überraschen die Konjunkturdaten in Europa seit Jahresbeginn im Schnitt positiv, in den USA hingegen negativ, und die Geldpolitik dürfte für Europa stimulierender bleiben als für die USA.

Die Unternehmensgewinne in Europa müssen deutlicher steigen. Die Gewinnrevisionen waren jüngst in der Tat in Europa besser als in den USA, was aber wohl zunächst auf den schwachen Euro zurückzuführen ist. Europa muss zudem Einigkeit zeigen und für seine Interessen einstehen, notfalls auch ohne die USA. Die jüngsten politischen Entwicklungen in Deutschland, insbesondere das vorgeschlagene Infrastrukturpaket sowie der Vorschlag, die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben aufzuweichen, geben diesbezüglich Hoffnung.

Professor Dr. Bernd Meyer ist Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset, Berenberg Wealth and Asset Management.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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