Kolumne
Erscheinungsdatum: 16. August 2025

Deutschlands dreifaches Schuldendilemma

Deutschland startet ein Schuldenexperiment – mit Folgen für Wirtschaft, Euro und Politik. Eine Kolumne von Gunther Schnabl.

Im Frühjahr 2025 haben Bundestag und Bundesrat den Weg für schuldenfinanzierte Staatsausgaben von geschätzt 1.000 Milliarden Euro für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz freigemacht. Nachdem die Ampel an mangelnden Mitteln für hochgesteckte Sozial- und Klimaziele gescheitert war, hat sich die neue Koalition damit große politische Handlungsspielräume verschafft. Trotzdem reicht es vorn und hinten nicht. Eine bisher ungekannte Welle der Kritik schwappt durchs Land. Deutschland steckt in einem dreifachen Schuldendilemma.

Dilemma 1: Der Investitionsbedarf ist riesig, aber die Kapazitäten sind beschränkt
Die Regierungen haben die seit 2008 stark sprudelnden Staatseinnahmen für Soziales und Klima, aber nicht für Investitionen genutzt. Die Verteidigungsbereitschaft ist nicht gegeben, die Bahn ist miserabel, und viele deutsche Stadtkerne sehen trostlos aus.

Würden für das Nachholen der nötigen Investitionen die immensen Ausgabenverpflichtungen für Soziales und Klima zurückgebaut, ginge das nur langsam – und es gäbe großen Widerstand.
Doch wenn mit Schulden Versäumtes nachgeholt wird, drohen Engpässe. Die wenigen Anbieter für Rüstungsgüter und Infrastruktur heben schon jetzt die Preise an.

Dilemma 2: Es gibt Wachstumsimpulse, aber man schadet dem Export
Deutschland hat seit der Jahrtausendwende viel Kapital exportiert, das im Ausland den Kauf deutscher Güter ermöglicht hat. Mit den großen schuldenfinanzierten Staatsausgaben dürften – ähnlich wie bei der Wiedervereinigung – die Nettokapitalexporte einbrechen.

Das ist gut, weil ein großer Teil der Kapitalabflüsse verloren gegangen ist, insbesondere in der Hypothekenmarkt- sowie der südeuropäischen Finanz- und Schuldenkrise. Wenn in Zukunft deutsche Ersparnisse im Inland blieben, fänden mehr Investitionen und Konsum zu Hause statt.

Doch der Rückgang der Kapitalexporte würde die durch US-Zölle bereits gebeutelte Exportindustrie treffen, weil dann das Ausland weniger deutsche Güter beschafft.

Dilemma 3: Deutschland ist nicht mehr der Dumme, aber der Euro wird instabiler
In der Eurokrise hat Deutschland mit seiner Finanzkraft maßgeblich zur Rettung des Euro beigetragen. Mit einer Staatsverschuldung von derzeit 63 % des Bruttoinlandsprodukts ist Deutschland noch der Stabilitätsanker der Währungsunion.

Wenn die deutsche Staatsverschuldung auf das Niveau von Spanien (101 %), Frankreich (116 %) oder sogar Italien (137 %) steigt, würde eine Vergemeinschaftung der Staatsverschuldung nicht mehr überproportional auf Kosten der Deutschen gehen.

Doch steigende Zinsen auf Bundesanleihen würden europaweit die Zinsen nach oben treiben. Die Wahrscheinlichkeit einer neuen Eurokrise steigt. Es wächst der Druck auf die EZB, wieder Staatsanleihen zu kaufen, was Inflationsrisiken schafft.

Die deutsche Politik hat sich in ein Spannungsfeld von Eurostabilitätsversprechen und aus dem Ruder gelaufenen Sozial- und Klimavisionen manövriert – und dabei das Investieren vergessen. Der große Schluck aus der Schuldenpulle erlaubt es vor allem, dringende Reformen weiter nach hinten zu verschieben. Doch anders als erwartet scheinen die großen Schulden der Popularität der Regierung nicht zuträglich zu sein. Der Ausgang des historischen Schuldenexperiments ist ungewiss.

Letzte Aktualisierung: 16. August 2025
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