Executive Summary
Erscheinungsdatum: 31. Januar 2025

Wettlauf um KI-Hoheit

Von Kristián Kudela, Fabian Peltsch und Anouk Schlung

Das chinesische Start-up Deepseek hat die Börsen erschüttert. Mit seinem Large Language Model R1 soll es mit dem Marktführer aus den USA ChatGPT von OpenAI mithalten können. Obwohl die Entwicklung im Reich der Mitte nur sechs Millionen US-Dollar gekostet hat. Damit wankt die technologische Vorherrschaft der US-Hightech-Konzerne. Denn bis zur Vorstellung von R1 galt bislang die einfache Gleichung: Wer die größte Finanzkraft besitzt, dominiert die Branche.

Dieses kapitalintensive Geschäftsmodell ist erschüttert worden. An den Börsen erfolgte ein Abverkauf. Die Magnificent Seven, die Tech-Giganten Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla, die allein etwa 30 Prozent der Marktkapitalisierung des Aktienindexes S P 500 ausmachen, verloren Anfang der Woche Milliarden US-Dollar an Wert. Der Wettlauf um die Vorherrschaft in der KI-Branche ist damit wieder eröffnet.

Eines zeigt der Erfolg von Deepseek so deutlich wie eindrucksvoll: Technologische Innovation ist nicht nur eine Frage von Kapital und Rechenleistung, sondern auch von Kreativität und Pragmatismus. Der Mangel an westlichen Chips hat Deepseek erst zu alternativen Strategien gezwungen. „Innovation entsteht oft aus der Notwendigkeit, mit begrenzten Mitteln zu arbeiten“, sagt die in Hongkong lebende Tech-Journalistin Karen Hao im Gespräch mit China.Table. Das Ergebnis im Falle von Deepseek ist eine Innovation aus der Notwendigkeit heraus – effizient, kostengünstig und erfolgreich.

Deepseek verkörpert aber auch einen Wandel in Chinas Tech-Industrie. Dank massiver Investitionen in Ausbildung und Forschung gibt es immer mehr Talent im eigenen Land – und gerade chinesische Forscher suchen ihr Glück immer weniger in den USA und Europa, da ihnen im aktuellen politischen Klima dort immer mehr Misstrauen entgegenschlägt. Die Konsequenzen sind weitreichend: Die westliche Tech-Branche steht unter Zugzwang, ebenso wie die US-Regierung, die mit Stargate (500 Milliarden US-Dollar für KI-Infrastruktur) ihr bisher teuerstes Technologieprojekt gestartet hat.

Ob Deepseek ein Einzelfall bleibt oder den Beginn eines neuen KI-Zeitalters einläutet, wird sich zeigen. Fest steht: Die westliche Vorstellung, dass KI-Entwicklung nur durch immer größere Rechenzentren und Datenmengen voranschreiten kann, ist mit diesem Erfolg unter Druck geraten. Auch für Europa und Deutschland sei Deepseek ein Weckruf, sagt Feiyu Xu, renommierte KI-Expertin und ehemalige Leiterin des KI-Forschungszentrums von SAP im Gespräch mit China.Table: „Der Zug ist nie abgefahren. Vielleicht müssen wir neue Schienen legen und bessere Züge bauen. Deutschland hat diese Fähigkeit in der Vergangenheit bewiesen – wir sollten den Ehrgeiz haben, in bestimmten Industrien wieder an die Spitze zu kommen.“

Das sieht Feiyu Xus ehemaliger Chef, SAP-CEO Christian Klein, genauso. „Gestern war ein guter Tag für SAP“, sagte er einen Tag nach dem Beben an den Börsen bei der Vorlage der Geschäftszahlen. Soll heißen: Die „großartige Leistung von Deepseek“ ist für die Walldorfer Ansporn, mit ihrem Geschäftsmodell zu den Größen der Branche in Übersee aufzuschließen. Es werde sich auszahlen, dass in den SAP-Produkten zahlreiche KI-Modelle zum Einsatz kämen. Denn vor allem wegen der wichtigen Cloud-Umsätze, deren Auftragsbestand sogar um 29 Prozent zulegte, peilt der Konzern 2025 ein Rekordergebnis an. „Dabei waren die KI-Funktionen für die Kunden der entscheidende Faktor“, sagte Klein. Sollten die Rahmenbedingungen stimmen, will SAP nun in den kommenden fünf Jahren 40 Milliarden Euro in eine europäische KI-Cloud-Lösung investieren.

Der Bedarf nach europäischen KI-Modellen ist auch mit Blick auf die EU-KI-Verordnung groß, um bei den Produkten „ europäische Werte- und Rechtsansprüche “, umzusetzen, sagt Thomas Otto, CIO Advisor bei Sopra Steria Next, einem Managementberater für die digitale Transformation. Zudem brauchen Europa und insbesondere Deutschland angesichts des demografischen Wandels KI-Lösungen. „Niemand wird seinen Job wegen KI verlieren, sondern wir müssen die wenigen verbleibenden Fachkräfte durch KI befähigen, den Fachkräftemangel zu schließen“, sagt Matthias Lein, CTO des KI-Beraters Alexander Thamm.

Doch noch sind deutsche Unternehmen, trotz des KI-Aktionsplans der Bundesregierung mit einem Fördervolumen von 1,6 Milliarden Euro, beim Einsatz Künstlicher Intelligenz zögerlich. Dies belegt eine Studie von Sopra Steria Next, die Table.Briefings exklusiv vorliegt. Zwar setzt inzwischen rund die Hälfte aller Firmen generative KI ein, allerdings größtenteils in einzelnen Bereichen mit großem Effizienzpotential, wie Marketing oder IT. „Viele Unternehmen in Deutschland befinden sich derzeit noch im Erprobungsstadium oder beschäftigen sich erstmals intensiver mit der Technologie“, heißt es in der Studie.

Konzerne mit 5.000 oder mehr Mitarbeitenden sind dabei Vorreiter, kleine Betriebe hinken hinterher. Es fehle ihnen oftmals an Know-how, Budget und Personal, um die Technologie sinnvoll einzubinden. Und das verstärkt die Defizite noch, denn die positiven Effekte von KI sehen bisher nur die, die sie bereits nutzen. „Das zeigt, dass wir noch ganz am Anfang dieser Veränderungswelle stehen. Um zu verstehen, wie KI sich auf unsere Geschäftsmodelle auswirken kann, müssen wir lernen, KI als solche zu verstehen“, sagt Otto.

Was also ist zu tun, damit Deutschland und Europa im Wettlauf mit den USA und China in Führung gehen? Gunther Friedl, Geschäftsführer der Dieter Schwarz Stiftung, die Privatinvestor im Bereich KI ist, fordert im Interview mit Europe.Table, dass nicht nur mehr private Investitionen in KI fließen müssen, sondern „auch die Bundesregierung und die Kommission die Voraussetzungen dafür schaffen, dass künstliche Intelligenz hier wettbewerbsfähig ist“. Er mahnt an, nicht zu regulierend zu sein. „Die Antwort kann nicht sein, dass wir die Risiken erkennen und regulieren, sodass wir safe sind. Weil wir das nicht sind, wenn die USA und China diese Risiken einfach überspielen oder nicht adressieren. Da müssen wir eine neue Antwort finden.“

Das große Interview mit Feiyu Xu und ihrem Partner Hans Uszkoreit, einem führenden Sprachverarbeitungsexperten und Mitbegründer des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), erscheint am Montag im China.Table.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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