Executive Summary
Erscheinungsdatum: 26. Juli 2025

Rüstungsbranche: „Wenig Anreize, schnell zu liefern“

Rüstungs-Spitzen: Armin Papperger (Rheinmetall), Oliver Dörre (Hensoldt), Verteidigungsminister Boris Pistorius, Michael Schöllhorn (Airbus Defence), Gundbert Scherf (Helsing).
Während die Rüstungs-CEOs bei Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius auf schnelle Bestellungen schielen, stehen die Zulieferer vor strukturellen Problemen. Experten glauben, die Branche ist noch nicht bereit für den Boom.

Kurz vor der Sommerpause hat das Kabinett den Startschuss für etwas gegeben, das Deutschlands Wirtschaft verändern könnte: der Gesetzesentwurf zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr (BwPBBG). Wichtig ist dieser, weil er die Grundlage für die geplante Aufrüstung darstellt – und damit das Rückgrat einer boomenden Industrie im Land.

In dieser Woche waren die CEOs großer Rüstungsunternehmen nach Berlin eingeladen, um bei Verteidigungsminister Boris Pistorius ihre Bedürfnisse vorzutragen: Rheinmetall-Chef Armin Papperger, Airbus-Defence-CEO Michael Schöllhorn oder Oliver Dörre, CEO von Hensoldt genauso wie Hans Christoph Atzpodien vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV) oder Gundbert Scherf, Gründer und Co-CEO des Rüstungsstartups Helsing. Über 40 Personen zählte die Sitzordnung, die Table.Briefings vorliegt.

Dass die Wachstumsaussichten die Firmen bereits jetzt antreiben, zeigen ihre Investitionen. Im niedersächsischen Unterlüß baut der Rüstungskonzern Rheinmetall eine große Munitionsfabrik. Bei Thyssen Krupp entsteht eine ganz neue Gesellschaft: Die Sparte Marine Systems soll noch vor Ende 2025 als eigenständiges Unternehmen an die Börse. Helsing wurde von Investoren zuletzt mit 12 Milliarden Euro bewertet, damit ist es das wertvollste deutsche Startup überhaupt.

Es sind in Deutschland nicht nur die großen Rüstungsunternehmen, die an den rapide steigenden Verteidigungsausgaben verdienen wollen. Mitte Juli dieses Jahres hat die Salzgitter AG grünes Licht von der Bundeswehr bekommen, Spezialstahl für Panzer, Kriegsschiffe und Bunker produzieren zu dürfen. Jenoptik bei militärischer Laser-Technik, Infineon bei Technologie, Deutz bei Motoren, Hochtief beim Bau neuer Anlagen – in vielen Bereichen der Wirtschaft soll sich der Boom bemerkbar machen.

Auch im Mittelstand gibt es viele Zulieferer. Ein Beispiel: Imar Navigation aus St. Ingbert erhielt kürzlich einen Großauftrag für das Bundeswehr-Projekt TaWAN, im ersten Quartal 2026 sollen mehr als 450 Navigationssysteme geliefert werden. Mehr als 340 solcher Unternehmen haben sich im Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) zusammengeschlossen.

Allerdings ist die deutsche Wirtschaft derzeit nicht bereit für den Rüstungs-Boom. Zu diesem Ergebnis kommen die Mannheimer Volkswirtschaftler Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk. In einer aktuellen Studie zeigen sie mehrere strukturelle Engstellen der deutschen Verteidigungsindustrie: „Wir sehen eine bereits hohe Kapazitätsauslastung sowie eine geringe Wettbewerbsintensität und damit verbunden eine Tendenz zu Preiserhöhungen statt Produktionsausweitung“, sagt Ökonom Kaczmarczyk zu Table.Briefings.

„Die Rüstungskonzerne haben derzeit wenig Anreize, schnell mehr zu liefern. Bei einer erhöhten Nachfrage erwarten sie eher höhere Margen.“ Ohnehin seien Rüstungsinvestitionen in Deutschland sehr ineffizient. „Ein ausgegebener Euro führt im besten Fall zu 50 Cent zusätzlicher wirtschaft­licher Aktivität. Das ist weniger als etwa in den USA und weniger als in anderen Branchen“, sagt Kaczmarczyk.

Mit Blick auf die Lieferketten sieht der Forscher: „Die Hoffnung ist da, Aufträge abzugreifen. Aber enthusiastisch sind viele nicht.“ Denn: Die kleineren und mittelgroßen Firmen kämpfen schwer mit einer Auftrags- und Konjunkturschwäche – und bis der Boom bei ihnen ankommt, werde es eine Weile dauern. „Die Beschäftigung in den Bereichen geht zurück – wie sollen die Unternehmen ihre Mitarbeitenden bis dahin halten?“

Deutsche Rüstungszulieferer stehen vor besonderen Finanzierungshürden. „Für den Kapitalmarkt sind sie zu klein, und Banken waren in der Vergangenheit sehr zurückhaltend in der Finanzierung der Rüstungsbranche“, sagt Jakob Stöber, Mittelstandsexperte bei McKinsey. An jedem Panzer oder Flugzeug seien mehr als Hundert mittelständische Unternehmen beteiligt. „Die können jedoch nicht auf Verdacht ihre Produktionskapazitäten erhöhen.“

Um das Wachstum zu finanzieren, sind selbst größere Unternehmen auf zusätzliche Finanzierungsquellen angewiesen. Wie Bloomberg berichtet, wird bei Salzgitter etwa der Verkauf unterschiedlicher Tochtergesellschaften dafür in Betracht gezogen, eine konkrete Entscheidung sei noch nicht gefallen.

Für manche mittelständischen Unternehmen ergeben sich neue Geschäftsmöglichkeiten, aber nicht alle werden den schnellen Umbau mitmachen können. Zu diesem Schluss kommt McKinsey-Berater Stöber. „Das sind Firmen aus einer Branche, in der es bislang kaum Wachstum gab und wo Stabilität ein wichtiges Element des Geschäfts war.“ Große Verteidigungskonzerne könnten helfen: „Vereinzelt übernehmen sie gezielt Zulieferer aus ihrer Lieferkette, um Abhängigkeiten zu verringern“, so der Berater weiter. Denn auch wenn sie derzeit noch auf Marge setzen, irgendwann werden die Lieferketten dem Nachfrageboom entsprechen müssen. „Ohne Lager, Hydrauliksysteme, Navigationsmodule oder Stromversorgung können sie die angebotenen Panzer oder Drohnen schließlich nicht ausliefern.“

Letzte Aktualisierung: 26. Juli 2025
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