Executive Summary
Erscheinungsdatum: 30. August 2025

Rohstoffabhängigkeit: Deutschlands Risiko beim Rüstungsboom

Deutschland steht vor einem Versorgungsdilemma: Das Land ist bei Metallrohstoffen zu nahezu 100 Prozent auf das Ausland angewiesen, oftmals China. Besonders brisant ist die wachsende Abhängigkeit im Verteidigungssektor.

Die EU stuft mittlerweile 34 Rohstoffe als kritisch ein. Neun Mineralien gelten als besonders anfällig für Lieferengpässe: Kobalt, Bor, Silizium, Graphit, Magnesium, Lithium, Niob, seltene Erden und Titan. Roland Berger und der BDI warnen bereits vor Milliardenrisiken für die deutsche Wirtschaft durch diese Abhängigkeit. Bei seltenen Erden stieg allein Chinas Anteil an deutschen Importen von 32 Prozent im Jahr 2014 auf 69 Prozent 2023 an.

Wie fragil die Lieferketten sind, zeigte sich im Frühjahr. Chinas Ankündigung von Exporteinschränkungen für sieben seltene Erden im April 2025 hatten in großen Teilen der Wirtschaft und der Politik Besorgnis ausgelöst. Bei deutschen Automobilzulieferern wurden Produktionsstillstände erwogen.  

Der Rüstungsboom verstärkt den Rohstoffhunger deutlich. Die deutsche Verteidigungsindustrie erlebt einen historischen Aufschwung. Bis 2030 erwartet allein Branchenprimus Rheinmetall ein europäisches Auftragspotenzial von 300 Milliarden Euro – das entspräche einer Verfünffachung des aktuellen Auftragsbestands. Die Branche beschäftigt rund 150.000 Menschen, davon 60.000 bei den Endherstellern – Tendenz rapide steigend. Der Nato-Ausgabenplan von 3,5 Prozent des BIP verschärft den Zeitdruck zusätzlich. 

Für Panzer, Munition und Hightech-Systeme benötigt die Rüstungsindustrie 39 kritische Rohstoffe, wie das Joint Research Centre der Europäischen Kommission analysiert hat. Dazu gehören Aluminium für Kriegsschiffe, Germanium für Infrarot-Sensoren, seltene Erden für Antriebssysteme von Jets und Drohnen sowie Wolfram für panzerbrechende Munition. Die Nato stufte zuletzt zwölf Rohstoffe als besonders wichtig für die Verteidigungsindustrie ein. Bei mehr als der Hälfte davon ist China der führende Hersteller.

Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln sieht im Gespräch mit Table.Briefings vor allem eine Konsequenz in der Rohstoffabhängigkeit: „Es besteht das Risiko einer Preiseskalation“, sagt der Rüstungsexperte. Weil die Anbieter dann am längeren Hebel sitzen, könnten die Unternehmen schnell mit rasant ansteigenden Einkaufspreisen konfrontiert sein. „Sich gemeinsam mit anderen westlichen Ländern neue Quellen zu erschließen, ist zwar möglich“, so Röhl weiter. Aber für die Industrie sei dies letztendlich auch wieder eine Kostenfrage. Und für die Politik damit eine Frage des effizienten Einsatzes der bereitgestellten Rüstungsmilliarden. 

„Möglich ist auch eine Weiterentwicklung der Technologien, sodass sie weniger Rohstoffe benötigen, wie es in anderen Industrien auch schon passiert ist“, sagt Röhl. Aber das sei auch nicht in allen Bereichen realistisch, schon gar nicht kurzfristig. Außerdem entstehen dann höhere Forschungs- und Entwicklungskosten. Hinzu kommt: Die Zertifizierung alternativer Lieferketten kann in diesem sensiblen Bereich Jahre dauern.

Wie politisch brisant die Rohstoffabhängigkeiten zudem sein können, verdeutlicht er an einem anderen Beispiel: „Russland ist einer der wichtigsten Lieferanten für Titanium, das in europäischen und US-amerikanischen Militärflugzeugen eingesetzt wird. Aus Eigeninteresse müssen solche Materialien dann von Sanktionen ausgeschlossen werden.“ Im zivilen Bereich hatte der französische Premier Macron Kanada im vergangenen Jahr darauf gedrängt, die Sanktionen gegen russisches Titanium zu verringern, um Airbus zu unterstützen.

Ein Deal zwischen Deutschland und Kanada soll nun die generelle wirtschaftliche Abhängigkeit von Ländern wie China oder Russland verringern. Am 26. August unterzeichneten Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche und der kanadische Energieminister Tim Hodgson eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit bei kritischen Rohstoffen: Lithium, Seltene Erden, Kupfer, Nickel, Wolfram, Gallium, Germanium, Wasserstoff – ein Großteil von ihnen sind jene, die auch für die Rüstungsindustrie als wesentlich identifiziert wurden.

Parallel hofft Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) auf einen Megaauftrag: Kanada plant den Kauf von acht bis zwölf 212CD-U-Booten für die Modernisierung seiner Flotte. Der kanadische Premierminister wurde in Kiel von Ministerpräsident Daniel Günther und Verteidigungsminister Boris Pistorius empfangen, um das 212CD-Programm zu besprechen und das Wismarer Werk für 220 Millionen Euro zu modernisieren. 

Für Deutschland und Kanada geht es bei der neuen Handelsstrategie um weitaus mehr als die Rüstungsbranche. Die „Critical Minerals Strategy 2024“ des nordamerikanischen Landes wird zum Fundament für die neue deutsche Rohstoffstrategie.

Drei konkrete Milliardenprojekte starten sofort.

  • Vacuumschmelze aus Hanau sichert sich seltene Erden von Torngat Metals aus Québec für Magnete.

  • Enertrag liefert Grünstrom für Rock Tech Lithiums 800-Millionen-Euro-Lithiumkonverter in Brandenburg.

  • Aurubis sichert sich Kupferkonzentrat von Troilus Gold aus der wiedereröffneten Mine in Québec.

(Mehr dazu lesen Sie in unserem ESG.Table)

Die Rohstoff- und U-Boot-Allianzen mit Kanada markieren einen Wendepunkt. Nach Jahren der China-Abhängigkeit setzt Berlin auf Diversifizierung mit konkreten Industriepartnerschaften. Der Critical Raw Materials Act der EU schreibt vor, maximal 65 Prozent eines Rohstoffs bis 2030 aus einem Drittland zu beziehen. Ob die Projekte rechtzeitig greifen, entscheidet über die Zukunft der deutschen Industrie – und der Verteidigungsfähigkeit.

Letzte Aktualisierung: 30. August 2025
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