Executive Summary
Erscheinungsdatum: 20. September 2025

Der China-Schock trifft Deutschland

Gestapelte Container in den Nationalfarben von Deutschland und der Volksrepublik China.
Das exportorientierte Industriemodell, das Deutschland jahrzehntelang verfolgte, steht am Scheideweg. (picture alliance / Bildagentur-online)

Viele Jahre lang hat die deutsche Wirtschaft sich den Titel Exportweltmeister verdient, dem Land tat das gut. Doch nun wendet sich das Blatt – und besonders der wichtige Mittelstand leidet.

Als der erste China-Schock die USA Anfang der 2000er-Jahre traf, verloren über eine Million Industriearbeiter ihre Jobs. In den absterbenden Industriestädten herrschte Elend. Viele Analysten sehen darin einen wichtigen Grund für die populistische Bewegung, die seither die US-amerikanische Politik durcheinandergewirbelt hat.

Deutschland blieb vom ersten China-Schock weitgehend verschont. Sander Tordoir, Ökonom am Centre for European Reform, nennt einen wichtigen Grund dafür: Chinas Exportboom konzentrierte sich damals auf Produkte wie Textilien, Spielzeug und Möbel. „Das waren nicht die Branchen, die das Markenzeichen der deutschen Wirtschaft sind, nämlich Autos, Chemie und Maschinen.“

Tatsächlich profitierten Deutschlands Kern-Industriezweige enorm vom Handel mit China. Als China sich industrialisierte, brauchte es deutsche Maschinen und Ausrüstung für seine neuen Fabriken. Die wachsende Mittel- und Oberschicht wollte deutsche Autos.

Im Vergleich zu anderen westlichen Nationen „war Deutschland wirklich ein Außenseiter“, sagt Tordoir. Bis 2012 erreichten deutsche Warenexporte nach China fast drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. „Das ist ein sehr großes Exportgeschäft mit einem Land.“ Zum Vergleich: Der Wert der US-Warenexporte nach China überstieg nie ein Prozent des US-amerikanischen BIP.

Doch viele Ökonomen, darunter Tordoir, warnen jetzt vor einem zweiten China-Schock. Dieser trifft den Kern der deutschen Wirtschaft. China hat in einer Reihe von Hightech-Fertigungssektoren aufgeholt, von Maschinen und Ausrüstung bis hin zu Automobilen. Chinesische Konkurrenten machen nun deutschen Herstellern das Leben schwer. Die Nachfrage nach deutschen Produkten stürzt ab, sowohl in China als auch auf Exportmärkten weltweit.

Etwas Grundlegendes muss sich ändern – der Branchenverband VDMA schlug auf seiner Jahreskonferenz in Berlin in dieser Woche Alarm. Oliver Richtberg leitet die Außenhandelsabteilung des Verbands, der mehr als 3.600 mittelständische Industrieunternehmen mit Sitz hauptsächlich in Deutschland vertritt: „Fast jede Statistik, die wir haben, geht gerade in die falsche Richtung“, sagt Richtberg. Die Exporte stürzen ab, der Stellenabbau setzt sich fort. Allein im ersten Halbjahr ging die Produktion um 4,5 Prozent zurück.

„Es ist ein existenzieller Schock für Deutschland“, sagt Dalia Marin, Ökonomin an der Technischen Universität München. Marin sieht im zweiten China-Schock eine potenzielle „Deindustrialisierung“, die „viel schlimmer ist als das, was die USA während des ersten China-Schocks erlebten.“

Die deutsche Wirtschaft ist viel stärker von der Industrie abhängig als die US-amerikanische. Als der China-Schock Anfang der 2000er-Jahre die US-Wirtschaft traf, machte die Fertigung etwa 13 Prozent des US-amerikanischen BIP aus. Heute sind es etwa zehn Prozent. Die Industrie macht laut Weltbank etwa 18 Prozent von Deutschlands BIP aus.

Das exportorientierte Industriemodell, das Deutschland jahrzehntelang verfolgte, steht jetzt am Scheideweg. Ironischerweise verweisen sowohl Tordoir als auch Marin auf China als nachahmenswert, um Deutschland bei der Überwindung seiner aktuellen Probleme zu helfen.

Tordoir betont, dass die chinesische Regierung strategische Investitionen tätigte und weitsichtige Industriepolitik verfolgte, die jetzt unglaubliche Dividenden zahlt. Er hofft, dass Deutschland sich anderen EU-Staaten anschließt, um EU-weite Industriepolitik zur Stärkung strategischer Sektoren zu entwickeln. Tordoir betont auch, dass Zölle in manchen Fällen nötig sein könnten, um Chinas Subventionierung seiner Unternehmen entgegenzuwirken. Eine aktuelle IWF-Studie schätzt, dass die jährlichen chinesischen Industriesubventionen unglaubliche vier Prozent des BIP ausmachen.

Marin befürchtet, dass Deutschland bei entscheidenden Technologiesektoren wie Elektroautos und Batterien nicht innovativ genug war. Ein wichtiger Grund für Chinas technologischen Sprung nach vorn war ein besonderes Modell: Westliche Unternehmen mussten Joint Ventures mit chinesischen Firmen eingehen und übertrugen dabei Technologie und Know-how an deren Arbeiter und Unternehmer. Sie argumentiert, dass Deutschland dieses Modell nun in Betracht ziehen sollte, nachdem das Land in entscheidenden Technologiebereichen zurückgefallen ist.

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Letzte Aktualisierung: 20. September 2025

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