Im Gespräch mit CEO.Table erklärt Annastiina Hintsa, CEO des Coaching-Unternehmens Hintsa Performance, was bei Wellbeing falsch verstanden werden kann, warum ihr früher eine andere Einstellung geholfen hätte und wie die Formel-1-Welt CEOs inspiriert.
Sie sprechen offen darüber, dass Sie nach Ihrer Arbeit in der Beratungsbranche ein Burnout erlitten haben. Wann haben Sie erkannt, dass etwas falsch läuft?
Ich musste buchstäblich gegen die Wand fahren. Ich gehörte zu den Menschen, die erst einen körperlichen Zusammenbruch erleben mussten, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmte. In meinem Fall war es nicht nur eine Wand, sondern ein Boden. Ich rollte die Treppe hinunter, schlug mir den Kopf auf und fand mich mit blutigen Haaren wieder. Und dann habe ich nach meinem Laptop gesucht. Aus heutiger Sicht ist das schockierend. Das war der Beginn meiner Burnout-Geschichte – ein Weckruf, der mir meine falsch gesetzten Prioritäten vor Augen führte.
Im Nachhinein betrachtet erscheinen mir die Anzeichen meiner Erkrankung offensichtlich. Interessanterweise zeigt die Forschung, dass leidenschaftliche Personen mit einer starken Fähigkeit zur Konzentration – Eigenschaften, die bei Führungskräften häufig vorkommen – unbeabsichtigt Warnsignale ihres Körpers und Geistes ausblenden, bevor sie zusammenbrechen.
Wenn ich das richtig verstehe, kann übermäßige Leidenschaft und Hingabe im Job Wellbeing beeinträchtigen. Oder?
Genau, das weist auf ein Paradoxon zwischen Wohlbefinden und Leistung hin. Es ist keine binäre Gleichung. Selbst für Athleten oder CEOs gibt es Zeiten, in denen hartes Arbeiten notwendig ist. Sie gehen für entscheidende Perioden in den „Missionsmodus”. Nach intensiven Perioden müssen aber Erholungszeiten folgen. Viele von uns bleiben jedoch im ständigen „Missionsmodus". Wir versäumen es täglich, wöchentlich oder sogar während der Ferien eine Erholungszeit zu schaffen, was dann zu chronischem Stress führt.
In meinem Fall genoss ich die Berater-Tätigkeit wirklich; es war mein Traumjob. Ich ignorierte die Anzeichen unbewusst. Dieses Burnout-Erlebnis hatte ich vor über zehn Jahren, als Burnout noch gar nicht als eine psychische Erkrankung anerkannt war. Bei mir dauerte es fünf Jahre, bis ich begann, Burnout auch beim Namen zu nennen.
Nach ihrem Burnout starten Sie bei Ultramarathons auf der ganzen Welt. Sind diese sportlichen Herausforderungen das i-Tüpfelchen, mit dem Sie in Ihr Leben verändert haben?
Meine erste Anmeldung zu einem Ultramarathon fühlte sich wie eine unüberwindbare Herausforderung an. Es bot mir ein dringend benötigtes Gegengewicht zu meinem arbeitszentrierten Lebensstil. Das rigorose Trainingsprogramm zwang mich, gesündere Gewohnheiten anzunehmen: ausreichend Schlaf, ausgewogene Ernährung, regelmäßige Mahlzeiten und konsequentes Laufen. Überraschenderweise schuf diese Struktur mehr Zeit in meinem Arbeitsplan und verbesserte meine Leistung. In dieser Hinsicht erwiesen sich Ultramarathons für mich als ein kraftvoller Verstärkungsmechanismus.
Ihr Vater Aki Hintsa war Arzt. Er entwickelte in den 1990er Jahren während seiner Zeit in Afrika, wo er mit dem olympischen Langstreckenläufer Haile Gebrselassie zusammenarbeitete, einen ganzheitlichen Ansatz für Wohlbefinden und Leistung. Was konnten Sie aus seiner Erfahrung lernen?
Haile kam für eine Operation nach Finnland. Seine Läufer-Karriere stand auf dem Spiel. Das war eine stressbeladene Situation. Während er von meinem Vater behandelt wurde, sagte er zu seinem Arzt, er solle sich entspannen. Es handle sich nur um Laufen. Er solle sich keine Sorgen machen. Das überraschte meinen Vater. Er erkannte, dass für den Ausnahmeathlet Haile Laufen trotz aller Erfolge nur ein kleiner Teil seiner Identität war. Haile hatte viele Säulen, von denen er getragen wurde. Er war Mentor für junge Läufer in Äthiopien, ein bedeutendes Vorbild in seiner Gemeinschaft, ein Geschäftsmann und er hatte vor allem starke Beziehungen zu seiner Familie.
Dies ist eine entscheidende Lektion, besonders für die westliche Geschäftswelt, wo sich Menschen oft ausschließlich über ihre Titel, Rollen oder Leistungen definieren. In Erkenntnis dessen war eine der ersten Fragen, die mein Vater Formel-1-Fahrern stellte: „Wer sind Sie, wenn Sie kein Formel-1-Fahrer mehr sind?” Das führt zum Sinn des Lebens. Wer durch mehrere Säulen getragen wird, um die Metapher wieder aufzunehmen, wird wie Haile widerstandsfähiger.
2016 sind Sie zu Hintsa Performance gekommen. Wollten Sie Ihr eigenes Ding machen und sich von der Arbeit Ihres Vaters abnabeln?
In den frühen 2000er arbeitete ich mit meinem Vater bei einigen unserer ersten Trainingscamps mit Fahrern und ihren Teams in Finnland, einschließlich McLaren. Das war mein früher Einstieg in dieses Feld. Aber ich wollte schließlich meinen eigenen Weg in der Wirtschaft einschlagen.
Es erscheint nicht logisch, aber nach meiner Burnout-Erfahrung kehrte ich zur Unternehmensberatung zurück. Der entscheidende Unterschied war, dass ich mein Betriebsmodell änderte. Oft denken wir beim Wohlbefinden an etwas Zusätzliches - etwa an eine Belohnung für anspruchsvolle Arbeit. Die Denkweisen ist aber falsch. Ich spreche lieber von nachhaltiger Leistung, die an der Schnittstelle zum Wohlbefinden liegt. Diese Perspektivenverschiebung - Wohlbefinden als wesentlich für langfristige Ziele zu betrachten - war der Wendepunkt für mich.
Was bedeutet das im Bezug auf die Arbeitszeit. Muss ein Manager rund um die Uhr verfügbar sein?
Ich bin nicht gegen vierzehnstündige Arbeitstage, aber es ist entscheidend, die Konsequenzen zu verstehen, die zu abnehmender Leistung führen. Während gelegentliche intensive Arbeitsphasen notwendig sein können, führt das ständige lange Arbeiten in die Katastrophe. Forschungen zeigen, dass nach 20 bis 24 Stunden ohne Schlaf die Leistung auf ein Niveau sinkt, das dem Zustand der Trunkenheit entspricht. Ironischerweise loben wir oft Menschen dafür, dass sie die ganze Nacht durcharbeiten, würden aber nicht tolerieren, wenn jemand betrunken zur Arbeit erscheint.
Um intensive Arbeitsphasen effektiv zu bewältigen, können wir von Athleten lernen: Vorbereitung auf Spitzenzeiten, Durchhalten während intensiver Phasen und angemessene Erholung danach. Dieser Zyklus ermöglicht Lernen und Wachstum, ähnlich dem Konzept der Superkompensation im Sport. Wenn wir trainieren, bauen wir Muskelgewebe ab, und während der Erholung bauen wir mehr Muskeln auf, sodass wir am Ende stärker sind als zu Beginn.
Die Antwort liegt also darin, den Moment zu erkennen, in dem man aufhören und auftanken muss?
Richtig! Erholung ist kein Luxus; sie ist ein wesentlicher Teil der Arbeit. Während der Ruhephasen vernetzt sich das Gehirn neu, bildet neue neuronale Verbindungen, festigt Erinnerungen und verarbeitet Gelerntes. Ohne ausreichende Erholung riskiert man, in eine Abwärtsspirale zu geraten, anstatt neue Fähigkeiten aufzubauen. Um Leistung zu optimieren, sollten wir unsere Arbeit auf Mikro-, Meso- und Makroebene planen.
Ihre Rede 2018 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos über Schlaf und Höchstleistung hat für Aufsehen erregt. Worauf müssen Manager achten?
Schlaf ist ein Thema, das in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit erhalten hat. Experten wie Matthew Walker und Arianna Huffington heben explizit seine Bedeutung hervor. Viele Menschen glauben aber immer noch, dass sie zu dem kleinen Prozentsatz gehören, die mit nur vier Stunden Schlaf pro Nacht funktionieren können. Viele Führungskräfte sollten daher ihr Betriebsmodell überdenken. Denn ausreichender Schlaf ist für die meisten wichtig, um gesund zu bleiben.
Wie können Unternehmen die Leistungsfähigkeit ihrer Führungskräfte fördern?
Wellbeing darf nicht als Zusatzleistung oder zusätzliche Initiative verstanden werden. Es ist vielmehr eine Prävention und trägt zur Leistungssteigerung bei. Diese Denkweise muss sich durchsetzen. Unternehmen sollten sorgfältiger prüfen, ob sie einen „Return on Investment" auf die Wellbeing-Investition erhalten.
Annastiina Hintsa ist CEO des Coaching-Unternehmens Hintsa Performance seit 2019. Sie berät Formel-1-Fahrer, Unternehmerinnen im ländlichen Guatemala, Top-CEOs und führende Politiker.