Es klingt paradox : Einerseits ist Deutschland mit 15,1 Krankheitstagen pro Jahr europäischer Spitzenreiter, andererseits arbeiten deutsche Beschäftigte durchschnittlich 34,3 Wochenstunden jährlich weniger als ihre europäischen Nachbarn. Das müsste eigentlich dazu führen, dass hierzulande Arbeitnehmer gesünder sind. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, fordert deshalb, den Fokus deutlicher auf die zunehmenden psychischen Erkrankungen und chronischen Schmerzen zu legen. Denn ein Viertel aller Arbeitnehmer – und Führungskräfte – schätzen nach einer Studie der BKK ihr Burnout-Risiko als hoch ein.
Angesichts dieser Entwicklung sollten Unternehmen ihre Wellbeing-Strategien dringend überdenken, sagt Annastiina Hintsa, CEO des Coaching-Unternehmens Hintsa Performance, gegründet von ihrem Vater, im Gespräch mit dem CEO.Table.
Das Thema begleitet Annastiina Hintsa schon seit ihrer eigenen Burnout-Erfahrung und bildet die Grundlage für ihren ganzheitlichen Ansatz zur nachhaltigen Leistungsoptimierung. Zentral ist dabei die Erkenntnis, dass Wellbeing und Leistung keine Gegensätze sind. „Es ist keine binäre Gleichung”, betont die Expertin. Sie fordert einen ausgewogenen Ansatz, der nachhaltige Leistung an der Schnittstelle von Wellbeing und Produktivität einordnet. Diese Erkenntnis von Hintsa Performance, geprägt durch die Arbeit mit Führungskräften und Spitzenathleten, zeigen, dass Unternehmen Wellbeing als strategischen Erfolgsfaktor nutzen sollten.
Besonders wichtig sind für Annastiina Hintsa Ruhezeiten im Arbeitsalltag. „Erholung ist kein Luxus; sie ist ein wesentlicher Teil Ihrer Arbeit”, unterstreicht sie. Sie empfiehlt: Arbeit auf verschiedenen Ebenen zu planen – täglich, wöchentlich und jährlich. Diese Ruhephasen seien als Komplement zum „Missions-Modus” entscheidend.
Interessanterweise zeigt sich, dass gerade hochmotivierte Mitarbeiter besonders gefährdet sind. „Extrem leidenschaftliche und engagierte Personen haben das höchste Burnout-Risiko”, warnt die Expertin. Deshalb müsse Wellbeing als Führungskompetenz etabliert und in der gesamten Organisationskultur eines Unternehmens verankert sein.
Anstelle von pauschalen HR-Lösungen plädiert die Expertin für gezieltere Unterstützungsmaßnahmen. Diese reichen von der individuellen Betreuung von Mitarbeitern mit erhöhtem Burnout-Risiko bis hin zur Schulung von Führungskräften in Wellbeing-Kompetenzen. Unternehmen sollten sorgfältiger prüfen, ob sie einen „Return on Investment" auf die Wellbeing-Investition erhalten.
Das Thema Schlaf spielt auch eine zentrale Rolle, wie Studien zur drastischen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit durch Schlafmangel belegen. „Forschungen zeigen, dass nach 20 bis 24 Stunden ohne Schlaf die Leistung auf ein Niveau sinkt, das dem Zustand der Trunkenheit entspricht ”, erklärt CEO Hintsa. Zwei Wochen nur sechs Stunden Schlaf innerhalb eines Tages haben die gleichen Auswirkungen wie 48 Stunden ununterbrochenes Wachbleiben (siehe Grafik). Deshalb sollten Führungskräfte arbeitsintensive Betriebsmodelle überdenken. Das sei der Weg, damit die Gesundheit und damit die nachhaltige Leistung erhalten bleibe.
Das gesamte Interview mit Annastiina Hintsa können Sie auf der Website von Table Briefings lesen.