Pisa hat es wieder gezeigt: Die Schülerleistungen sind im Sinkflug. Heute müsste daher eigentlich Alarmstimmung bei der Kultusministerkonferenz herrschen – und Entschlossenheit, das Ruder herumzureißen. Hilft dabei das neue Gutachten ihrer Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) “Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht”?
Das umfangreiche Papier, das heute veröffentlicht wurde, widmet sich zentralen Problemen, analysiert Annette Kuhn. “Der Personalmangel an Schulen ist enorm, die Abbrecherquote im Lehramtsstudium groß und Professionalität angesichts der schlechten Schülerleistungen gefragter denn je.” Die SWK spricht sich für Ein-Fach-Quereinsteiger und Assistenzlehrkräfte aus. Links liegen lässt sie aber ein Modell, in das viele schon Hoffnung legten: das duale Studium für Lehrkräfte.
Warum die Wissenschaftler von dual studierenden Lehramtsanwärtern wenig halten, lesen Sie im Streitgespräch der SWK-Co-Vorsitzenden Felicitas Thiel mit Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles. Thiel betont: Das Lehramt sei kein Anlernberuf. In Berlin sieht sie ein “sich selbst kannibalisierendes System”. Rackles fürchtet, Abbrüche von Lehramtsanwärtern bleiben unvermeidbar, solange die Wissenschaft das Prinzip des “kumulativen Kompetenzaufbaus” als Dogma vor sich hertrage.
Die KMK befasst sich heute zudem mit den Empfehlungen der Strukturkommission und ihrer eigenen Reform. Sie hat diesen Prozess selbst eingeleitet. Nun stellt sich die spannende Frage, welche konkreten Schritte folgen. Und auch die Lage in den Startchancen- und Digitalpakt-Verhandlungen steht auf der Tagesordnung. Heute Nachmittag erfahren Sie von meinem Kollegen Holger Schleper Aktuelles auf unserer Webseite.
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre und ein erholsames Wochenende nach dieser nachrichtenträchtigen Bildungswoche!
Schon Anfang des Jahres angekündigt, hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz nun ihr lang erwartetes neues Gutachten vorgelegt. Thema diesmal: “Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht”. Hier neue Wege zu finden, ist dringend geboten. Denn der Personalmangel an Schulen ist enorm, die Abbrecherquote im Lehramtsstudium groß und Professionalität angesichts der schlechten Schülerleistungen gefragter denn je. Das hat erst vor drei Tagen die neue Pisa-Studie gezeigt.
Auf mehr als 100 Seiten breiten die 16 Wissenschaftler der SWK aus, wie neue Interessenten fürs Lehramtsstudium gewonnen werden können. Wie sich Studium und Praxis besser verzahnen lassen. Wie einheitliche Standards für die wissenschaftliche Ausbildung von Quereinsteigern aussehen können. Wie die Fortbildung mehr Gewicht und Substanz bekommen kann.
Zunächst geht es aber in den ersten drei – von insgesamt elf Empfehlungen – um eine bessere Datenlage. Denn bislang ist es so: Die KMK rechnet vor, wie viele Lehrkräfte sie für wie viele Schüler in welchen Fächern für welche Schulstufe braucht. In für die KMK unschöner Regelmäßigkeit rechnet dann Klaus Klemm nach. Der Bildungsforscher, der sich seit Jahrzehnten mit Bedarfsprognosen im Bildungsbereich befasst, kommt in der Regel auf deutlich höhere Zahlen. Das Problem: Jeder rechnet auf einer anderen Basis.
Die Kommission will nun für Ordnung sorgen und gegen den Wildwuchs von Bedarfsprognosen und Berechnungsgrundlagen vorgehen. Und an den Universitäten will sie Lehramtsstudierende besser erfassen. Denn bislang wird bei einem Studienanfänger in einem polyvalenten Bachelorstudium offenbar nicht registriert, ob er einen Lehramtsabschluss anstrebt oder nicht. Und schon gar nicht weiß man, wo die Studierenden geblieben sind, die am Ende nicht beim Masterabschluss ankommen. Bildungsverlaufsdaten gibt es nicht oder werden nicht genutzt. Man kann den Kopf darüber schütteln, dass es das alles noch nicht gibt. Aber so ist es. Daher ist das Einfordern solch längst überfälliger Korrekturen wichtig.
Mit besseren Daten kommen allerdings nicht mehr Menschen ins Bildungssystem. Aber es gibt ja noch acht weitere Empfehlungen und Vorschläge im SWK-Gutachten. Zum Beispiel:
Lesen Sie auch den konträren Standpunkt von Susanne Lin-Klitzing: Das Lehramtsstudium braucht das Staatsexamen
Aber das Zusammendenken von Theorie und Praxis hat für die Kommission klare Grenzen: Ein duales Studium lehnt sie kategorisch ab. Kompetenzen bauten sich kumulativ auf, die Studierenden bräuchten erst mal professionelles Wissen, bevor sie unterrichten könnten. “Die großen Erwartungen an die Einführung eines dualen Studiums, die sowohl die Gewinnung weiterer geeigneter Studienbewerber:innen als auch die Verbesserung der Lehrkräftebildung betreffen, sind bislang nicht durch empirische Evidenz gedeckt”, heißt es im Gutachten.
Ein weiteres großes Thema im Gutachten ist die Qualifizierung von Quereinsteigern. Bislang macht in der Fortbildung jedes Land seins. Die SWK fordert länderübergreifend einheitliche und vor allem mehr wissenschaftsbasierte Qualifizierungen. Und sie will den Zugang für Quereinsteiger dadurch erleichtern, dass ein zweites Fach nicht mehr zwingende Voraussetzung ist.
Zur zusätzlichen Unterstützung sollten mehr “Assistenzlehrkräfte” an die Schulen kommen. Die gibt es zwar unter verschiedenen Namen heute schon. Aber die SWK will daraus dann ein eigenes Berufsbild machen, verknüpft mit Weiterbildungen. Sie vergleicht solche Assistenzlehrkräfte mit Physician Assistants in der Medizin. Ein Berufsbild zwischen Arzt und Krankenpfleger, das in manchen Ländern schon lange verbreitet ist.
Der Vergleich ist erstaunlich, denn in Deutschland wird der Physician Assistant bislang vor allem an privaten Hochschulen und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) ausgebildet. Doch die sollen bei der Lehrerbildung außen vor bleiben. Begründung: Beim dualen Studium sei die Gefahr groß, dass sich “dysfunktionale Handlungsroutinen” unreflektiert einschleifen, warnen die Autoren des SWK-Gutachtens. Und die Etablierung von Lehramtsstudiengängen an HAW sei zu (zeit-)aufwendig. Außerdem hätten Studierende hier nur eingeschränkte fachliche Kombinationsmöglichkeiten. “Für eine Entspannung der Mangellage durch eine Ausbildung von Lehrkräften in alleiniger Verantwortung der FH/HAW gibt es keine empirische Evidenz”, heißt es weiter.
Die letzten beiden Empfehlungen zielen auf die Fortbildung. Auch hier wünschen sich die Wissenschaftler der SWK mehr Qualität. Und sie sprechen sich für eine Fortbildungsverpflichtung von 30 Stunden im Jahr aus. Keine neue Forderung, aber sie hat sich bis jetzt nicht durchgesetzt. Auch, weil es nie genug Angebote gab. In den meisten Bundesländern ist die Fortbildung im Lehrerberuf daher eher Empfehlung als Pflicht. Und wer sich nicht fortbildet, hat wenig zu befürchten.
Zu allen Punkten wünscht sich die Ständige Wissenschaftliche Kommission eine Verständigung auf länderübergreifende Standards. Zuständig wäre die KMK. Bei vielen Fragen müssten sich zwei Ministerien – Wissenschaft und Schule – abstimmen. Die Kultusministerkonferenz ist bislang allerdings nicht dafür bekannt, an einem Strang zu ziehen und zügig Entscheidungen zu treffen.
Aber mal angenommen, das würde gelingen, kann dieses Gutachten im besten Fall für deutlich mehr Ordnung im System, für ein bisschen mehr Flexibilität und bessere Standards in der Lehrerbildung sorgen. Eine grundlegende Neuerung in der Lehrerbildung ist kaum zu erwarten. Da sind der Wissenschaftsrat im Sommer mit seinen “Empfehlungen zur Lehramtsausbildung im Fach Mathematik” und erst vergangene Woche der Stifterverband mit seinem “Masterplan: Lehrkräftebildung neu denken” deutlich weiter gegangen.
So hat sich der Wissenschaftsrat zum Beispiel ausdrücklich für ein duales Studium ausgesprochen. Und von den 75 Maßnahmen des Stifterverbands sind einige mutiger als das SWK-Gutachten. Dazu gehört, flächendeckend Universitätsschulen einzurichten oder Teile des Curriculums aus der ersten in die dritte Phase zu verlagern. Die SWK formuliert viele Ansätze – ein mutiger Wurf ist es nicht.
Wegen des enormen Lehrermangels gerät die Ausbildung der Lehrkräfte in den Fokus. Frau Thiel, Herr Rackles, was sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Stellschrauben, um die Lehrerbildung weiterzuentwickeln?
Felicitas Thiel: Wir haben gerade wieder gezeigt bekommen, dass ein Drittel der Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards verfehlen und 20 Prozent Auffälligkeiten in der sozial-emotionalen Entwicklung zeigen. Das bedeutet, dass die Ausbildung von Lehrkräften stärker auf diagnosebasierte Förderung ausgerichtet werden muss. Diagnostische Kompetenzen und auch die Kompetenzen zur adaptiven Unterrichtsgestaltung müssen viel größeres Gewicht in der Lehrkräfte-Bildung haben. Das gilt in allen Phasen – und analog für die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Medien.
Mark Rackles: In qualitativer Hinsicht wäre es notwendig, ein bundesweit abgestimmtes Kerncurriculum unter Stärkung der Fachdidaktik und Bildungswissenschaften wirksam werden zu lassen. Wenn die Hochschulen das angesichts der Leistungsanforderungen für nicht möglich halten, dann muss das Zwei-Fach-Dogma geschliffen und nur noch in einem Fach ausgebildet werden. Das zweite Fach könnte dann in die spätere Weiterbildung ausgelagert werden.
Thiel: Grundsätzlich gilt, dass der Lehrerberuf nach wie vor zu den attraktivsten Berufen zählt. Die Frage ist dann: Was ist für hoch motivierte Studierende bei der Studienwahl eigentlich relevant? Und das ist eben neben der guten Bezahlung auch eine klare Karriereperspektive – und die haben wir im Unterschied zu anderen erfolgreichen Pisa-Ländern wie etwa Japan nicht.
Rackles: Aber die Lehrkräftebildung in Deutschland ist auch quantitativ unter Druck. Es kommen, vereinfacht gesagt, zu wenige Lehrkräfte hinten raus. Wir müssen die Studienplatzkapazitäten länderübergreifend abgestimmt ausbauen und den hohen Schwundquoten an den Unis entgegenwirken.
Wie können die Hochschulen verhindern, dass Ihnen künftige Lehrer im Studium verloren gehen?
Thiel: Die Wahrheit ist: die Studien-Abbruchquoten im Lehramt liegen im Mittel unter den Abbruchquoten anderer Studiengänge.
Rackles: Das sehe ich anders. Im bestehenden System der Lehrkräfteausbildung gehen mit bis zu 50 Prozent unfassbar viele potenzielle Lehrkräfte verloren, der größte Teil in der universitären Phase. Das Kernproblem ist die Zersplitterung der Lehrkräftebildung über die Fächer und Fakultäten. Es gibt keine universitäre Heimat der Lehramtsstudierenden. Nötig wäre eine starke, eigene Fakultät Lehrkräftebildung an jeder ausbildenden Uni, die abgestimmte professionsbezogene Studiengänge anbietet.
Thiel: Nach den Daten, die ich kenne, liegt die mittlere Abbruchquote im Lehramtsmaster bei 16 Prozent. Gleichwohl sind die Abbruchquoten zu hoch, insbesondere in den Mint-Fächern, das will ich gern zugestehen.
Was könnte man dagegen tun?
Thiel: Hier brauchen wir einerseits mehr Brückenkurse, die die Studierenden fit machen für ein Mint-Studium. Die Anforderungen sind da nun mal hoch. Andererseits müssen die Fachveranstaltungen und Vorlesungen im Fach viel stärker an den Bedarfen der Lehramtsstudierenden ausgerichtet werden. Wir sehen übrigens jenseits der Abbrüche Verlängerungen des Studiums als Folge der Tätigkeiten als Vertretungslehrkraft. In Berlin arbeiten bereits 30 Prozent der Bachelor-Studierenden in Schulen – und viele steigen dann ohne Examen direkt in den Schuldienst ein. Das ist also ein sich selbst kannibalisierendes System.
Wie lässt sich der Praxisschock für Referendare und Junglehrer abfedern oder gar verhindern?
Thiel: Die eigene Unterrichtspraxis der Studierenden muss unbedingt vorbereitet werden. Wir wissen aus der Forschung ziemlich viel über den systematischen Aufbau von Handlungskompetenzen. In der Ausbildung unserer Studierenden nutzen wir inzwischen häufig digitale Simulationen – oder Unterrichtsvideos.
Rackles: Solange die Wissenschaft das Prinzip des “kumulativen Kompetenzaufbaus” als Dogma vor sich herträgt, wird dieser Schock meines Erachtens nicht vermeidbar sein. Die sehr deutsche Annahme, dass angehende Lehrkräfte erst eine geballte Ladung Theorie und Fachwissen verabreicht bekommen und erst im Anschluss ihre professionsbezogene Praxiserfahrungen machen, mündet zwangsläufig in Brüchen und Abbrüchen. Notwendig sind übergreifende Verschränkungen, wie etwa in Baden-Württemberg oder Mecklenburg-Vorpommern, wo der Vorbereitungsdienst verkürzt und Praxissemester ausgebaut werden.
Thiel: Das von Ihnen als Dogma bezeichnete Prinzip des “kumulativen Kompetenzaufbaus” stellt die Quintessenz dessen dar, was die Forschung über die Gestaltung von Praxisphasen weiß. Auch in den PISA-Gewinnerländern wie Estland oder Japan erwerben zukünftige Lehrkräfte zuerst solides fachliches und pädagogisches Wissen – bevor sie in die Praxis geschickt werden. Der Lehrerberuf ist eben kein Anlernberuf. Deshalb bin ich hier skeptisch.
Duales Studium für Lehrer – ist das ein Irrweg oder Rettungsgasse in der Krise?
Thiel: Was das berufsintegrierte duale Studium betrifft, bin ich skeptisch. Berufsintegriert heißt ja, dass die Studierenden parallel zum Studium arbeiten – also im Klassenzimmer stehen und dafür auch bezahlt werden.
Rackles: Bei der Ausgestaltung der Praxiseinbindung gibt es aber verschiedene Ansätze: Neben Praktika in Ferien oder der vollständigen Verschränkung der Praktika mit dem Studium gibt es eben den dualen Ansatz. Das heißt, Studierende sind mit festen Wochentagen in der Schule. Erste Pilotprojekte gehen aktuell in einigen Ländern zaghaft an den Start. Ich würde mir da noch mehr Mut und Reformwillen wünschen.
Thiel: Alle Befunde, die ich kenne, zeigen, dass Theorie und Praxis im dualen Modell häufig nebeneinander herlaufen. Außerdem ist die Gefahr ziemlich groß, dass die Studierenden im Klassenzimmer schlechte Routinen, die nur scheinbar funktionieren, einfach kopieren. Es entsteht insbesondere jetzt, wo sehr viele Quereinsteiger im System sind und sehr wenige ausgebildete Lehrkräfte überhaupt noch vorhanden sind, eine fatale Situation: Quereinsteiger:innen, die selbst noch Begleitungsbedarf haben, begleiten dual Studierende. Wollen wir das?
Aber ist frühe Praxis im Klassenraum nicht bedeutsam?
Thiel: Klar ist Praxiserfahrung unbestritten wichtig. Sie sollte aber begleitet durch qualifizierte Experten stattfinden. Anstatt jetzt kopflos Systemstrukturen für duale Studiengänge umzubauen, sollten wir ein Quer-Einstiegsmaster in einem Fach schaffen.
Was ist das?
Thiel: Wir sehen in den nächsten Jahren den Rückgang des Bedarfs an Grundschullehrkräften und stark ansteigenden Bedarf an Lehrkräften für die Sekundarstufe I, insbesondere für die Mint-Fächer. Hier sollten wir attraktive Quereinstiegsbedingungen für Personen schaffen, die schon in der Mitte des Berufslebens sind und gern in den Lehrberuf einsteigen wollen. Bislang müssen die Universitäten viele Interessierte zurückweisen, weil die eben nur ein Fach haben.
Ab wann und mit welchen Voraussetzungen sollten Lehramtsstudierende als Vertretungslehrkräfte an Schulen arbeiten können?
Rackles: Meines Erachtens ist der Einsatz von Lehramtsstudierenden in frühen Semestern eine reine Notlösung und kaum zu verantworten. Wenn es um eigenständiges Unterrichten geht, dann kann dies eigentlich erst nach Abschluss des Bachelors ernsthaft vertreten werden. So oder so ist eine praktische Begleitung vor Ort mit Mentor:innen und eine theoretische Reflexionsmöglichkeit an der Uni nötig, wenn die Praxistätigkeit produktiv im Sinne der Ausbildung wirken soll.
Thiel: Hier stimme ich Herrn Rackles ausnahmsweise vollkommen zu. Der Einsatz sollte sich grundsätzlich auf Masterstudierende beschränken. Trotzdem muss irgendjemand kontrollieren, ob der Unterricht den Qualitätsanforderungen entspricht. Ich weiß natürlich selbst, dass diese Forderung von der Realität oft sehr weit entfernt ist.
Das Gutachten spricht sich für eine Stärkung von Assistenzlehrkräften aus. Führt das zu einer Deprofessionalisierung im Lehrerberuf?
Thiel: Da würde ich gern zurückfragen: Warum sollte das so sein? Wir haben ohnehin bereits sehr viele Personen im System, die kaum qualifiziert sind – denken sie an die ganzen Schulassistenten und Schulhelferinnen. Ein Bachelor-Abschluss ist für diese Personen eine sehr interessante berufliche Perspektive. Und diese Assistenzlehrkräfte erhalten ja gar keine eigenständige Lehrbefähigung. Sondern sie sollen mit extra qualifizierten Lehrkräften zusammenarbeiten. Das ist international ein erfolgreiches Konzept. Es setzt natürlich voraus, dass man den Unterricht entsprechend anders organisiert. Aber da kommen wir eh nicht drumherum.
Warum?
Thiel: Wir werden in Zukunft sehr viel digitale Tools zum Beispiel für Assessments oder für die schnelle Diagnose von Lernständen einsetzen. Dafür müssen starre Unterrichtskonzepte aufgebrochen werden.
Rackles: Man muss meines Erachtens klar definieren, was Assistenzlehrkräfte sind, insbesondere welche Aufgaben sie in Abgrenzung zu den anderen Assistenzberufen und den Lehrkräfte übernehmen. Interessant wäre an einem solchen Ansatz, dass die Länder als Dienstherren endlich die konkrete Aufgabenbeschreibung für Lehrkräfte vornehmen müssten. Die ist bis heute unklar und ein Grund für viel Unmut und Überforderung in der Praxis.
Was spricht dafür, auch Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) für das Lehramtsstudium zuzulassen?
Rackles: Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind heute vollwertige akademische Ausbildungsstätten. Daher sollte das universitäre Privileg in der Lehramtsausbildung abgeräumt werden. Nebenbei lassen sich so mit den Studierenden an den HAWs auch neue zusätzliche Zielgruppen für das Lehramt erschließen.
Thiel: Aus meiner Sicht spricht nichts dafür – abgesehen von der Kooperation im beruflichen Lehramt. Sie müssten an den HAW erst fachdidaktische Professuren und solche für pädagogische Psychologie völlig neu schaffen. Mehr Lehramtsstudierende werden wir uns dadurch natürlich nicht backen können. Interview: Annette Kuhn und Christian Füller
Der Leitantrag der SPD ist zeitlich auf den Punkt. Passend zum zweiten Pisa-Schock, ausgelöst durch die am Dienstag veröffentlichte Studie, möchten die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag ab heute die Weichen für die Zukunft stellen. Die Koalitionsgespräche um den umstrittenen Haushalt für 2024 stocken – nun wurde eine große Rede von Olaf Scholz zu dem Thema angekündigt. Die Sozialdemokraten aus Bund und Ländern pochen darauf, Investitionen in Bildung von der Schuldenbremse auszunehmen. Ursprünglich hatte im Leitantrag sogar die Forderung nach einem 100-Milliarden-Sondervermögen für Bildung gestanden.
Die magische Zahl 100 Milliarden Euro ist zwar verschwunden. Aber die Forderung nach einem Sondervermögen besteht weiter. Mit einem “Deutschlandpakt Bildung” sollen höhere Investitionen von Bund und Ländern in eine gerechte und gelingende Bildung möglich gemacht werden, so steht es in dem Leitantrag des Parteivorstands – “etwa durch die Einrichtung eines Sondervermögens für Bildung, das von Bund und Ländern gemeinschaftlich aufgebaut und bewirtschaftet wird.”
Allerdings beantragen der Arbeitskreis Bildung der SPD und der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern weiterhin “die Einrichtung eines kreditfinanzierten Sondervermögens Bildung in Höhe von 100 Milliarden Euro durch den Bund“. Vielleicht lösen die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie, nach der 30 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland die Mindeststandards in Mathematik verfehlen, auf dem Parteitag eine Dynamik aus. Einflussreiche Bildungspolitiker der SPD aus Bund und Ländern fordern jedenfalls die Aussetzung der Schuldenbremse – um Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Nutzt Kanzler Scholz die Chance für einen Doppel-Wumms bei Bildung und Schuldenbremse?
Lesen Sie auch das Interview mit der SPD-Parteivorsitzenden zum Sondervermögen für die Bildung
“Wer jetzt bei der Bildung spart, der gefährdet unsere Zukunft. Das heißt: Die Transformation der Schulen darf nicht unter der Schuldenbremse leiden”, sagt etwa Andreas Stoch zu Table.Media. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag von Baden-Württemberg hat den Koalitionsvertrag der Ampel mit ausgehandelt. Stoch betont, wie wichtig der Leitantrag ist, der am Sonntag verabschiedet werden soll. “Die SPD macht deutlich: Bildung ist elementar für unser Land – sowohl kurzfristig als auch grundsätzlich. Chancengleichheit treibt uns an.”
Eineinhalb Jahre hat die SPD in einer Kommission zur Transformation der Bildung um den Leitantrag gerungen. Bei allen Differenzen waren sich Vertreter von Bund und Ländern dabei in einem einig: “Für die SPD haben Investitionen in Bildung hohe Priorität“, sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Oliver Kaczmarek, Table.Media. “Wir müssen sie von der Schuldenbremse ausnehmen. Beispiel Digitalpakt II: Den können wir nicht aus dem laufenden Haushalt finanzieren.”
Auch Jochen Ott, Fraktionschef der SPD in Nordrhein-Westfalen, spricht sich dafür aus, die Schuldenbremse für Bildungsausgaben aufzuweichen: “Zukunftsinvestitionen im Bereich Bildung und Digitalisierung müssen von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Was nutzt es, wenn wir in 20 Jahren schuldenfrei sind, aber ein Drittel der Bevölkerung nicht richtig lesen und schreiben kann?” Neben der Möglichkeit, Kredite für Sondervermögen aufzunehmen, plädiert Ott dafür, eine höhere Erbschaftssteuer einzuführen. “Da Steuern nicht zweckgebunden sein dürfen, müsste man sich deutschlandweit darauf einigen, diese Einnahmen ausschließlich in Bildung zu investieren.”
Geht es nach den Jungsozialisten, sollte die Schuldenbremse für 2024 ausgesetzt – und anschließend sogar komplett abgeschafft werden. Juso-Chef Philipp Türmer sagte, die Investitionen in Bildung könnten nicht länger warten – und greift den Koalitionspartner frontal an: “Dass wir das einzige Industrieland auf diesem fiskalpolitischen Irrweg sind, sollte uns zu denken geben. Ich hoffe, dass auch der neoliberale Bremsklotz FDP dies endlich begreift.” Vera Kraft, Christian Füller
Sechs Monate lang soll jedes Kind während der Schulzeit ins europäische Ausland gehen können – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Diese Forderung findet sich im Europa-Wahlprogramm des FDP-Präsidiums, das der Bundesvorstand am Montag beschließen soll. Erasmus+ will die Partei stärken und “den Zugang auch für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Azubis verbessern”.
Außerdem fordert die Partei, einen Bologna-Prozess für schulische und berufliche Bildung. Durch eine stärkere Abstimmung von Berufsausbildungs- und Schulsystemen will sie die Bildungsmobilität erhöhen. “Die Bildungsfreizügigkeit wollen wir als neue Grundfreiheit der Europäischen Union etablieren”, heißt es in dem noch nicht beschlossenen Programm für den EU-Wahlkampf.
Daneben spricht sich die FDP dafür aus, Künstliche Intelligenz in der Bildung zu nutzen. KI-Anwendungen könnten individuelles Lernen unterstützen und Lehrkräfte entlasten. “Eine innovationsfeindliche Überregulierung von KI lehnen wir ab“, heißt es im Programm. Anna Parrisius
Nur jeder dritte Jugendliche fühlt sich durch die Schule gut auf seine berufliche Zukunft vorbereitet. Zwei von drei Jugendlichen finden, dass nötige Kenntnisse und Fähigkeiten weniger gut oder gar nicht vermittelt werden. An vorderster Stelle steht für die Jugendlichen dabei Selbstorganisation, Höflichkeit und Toleranz und Kenntnisse der deutschen Sprache. 85 Prozent meinen zudem, der Übergang in einen Beruf sei leichter, wenn Kompetenzen und Erfahrungen über ein reines Notenzeugnis hinaus stärker anerkannt werden. Das ergibt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa unter 1.075 Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren. In Auftrag gegeben haben sie die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und die Bertelsmann Stiftung.
Auch sonst erhielt das Bildungssystem von den meisten Jugendlichen kein gutes Urteil: Wie schon 2022 glaubt nur ein Drittel, dass Kinder in Deutschland unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft gleiche Chancen auf gute Bildung haben. Die Mehrheit (57 Prozent) bezweifelt auch, dass das in zehn Jahren der Fall sein wird. Genauso viele Befragte sind der Ansicht, dass Schüler mehr Unterstützung bräuchten, um den von ihnen angestrebten Bildungsabschluss zu erreichen.
Sorgen um ihre berufliche Zukunft macht sich die überwiegende Mehrheit dennoch nicht: 34 Prozent sind positiv, 54 Prozent eher positiv gestimmt. Vielleicht trägt hierzu ein Bewusstsein über den Fachkräftemangel bei. 16 Prozent der Jugendlichen glauben daher auch, dass ein Berufsabschluss an Bedeutung verliert.
Für einen erfolgreichen Übergang in den Beruf halten die meisten es für wichtig, dass Schulen verpflichtet sind, Berufsberatung oder Praktika zu ermöglichen (91 Prozent). 90 Prozent befürworten eine finanzielle Unterstützung für Jugendliche, die für Ausbildung und Studium umziehen müssen. Für Azubis will die Ampel das ansatzweise ab April mit ihrem Aus- und Weiterbildungsgesetz umsetzen. Ab dann kann die Bundesagentur für Arbeit Jugendlichen, die für ihre Ausbildung umziehen müssen, im ersten Lehrjahr einen Mobilitätszuschuss in der Höhe von zwei monatlichen Familienheimfahrten zahlen.
74 Prozent der Befragten wünschen sich, dass Jugendliche einen Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt bekommen, wenn sie selbst keinen gefunden haben. Ab August soll es tatsächlich mehr außerbetriebliche Ausbildungsplätze geben. Allerdings, heißt es im Regierungsentwurf vom März, sollen Jugendliche das Angebot nur als “Ultima Ratio” erhalten. Der Gesetzgeber rechnet daher auch nur mit 7.000 zusätzlichen außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen. Anna Parrisius
Pisa hat es wieder gezeigt: Die Schülerleistungen sind im Sinkflug. Heute müsste daher eigentlich Alarmstimmung bei der Kultusministerkonferenz herrschen – und Entschlossenheit, das Ruder herumzureißen. Hilft dabei das neue Gutachten ihrer Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) “Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht”?
Das umfangreiche Papier, das heute veröffentlicht wurde, widmet sich zentralen Problemen, analysiert Annette Kuhn. “Der Personalmangel an Schulen ist enorm, die Abbrecherquote im Lehramtsstudium groß und Professionalität angesichts der schlechten Schülerleistungen gefragter denn je.” Die SWK spricht sich für Ein-Fach-Quereinsteiger und Assistenzlehrkräfte aus. Links liegen lässt sie aber ein Modell, in das viele schon Hoffnung legten: das duale Studium für Lehrkräfte.
Warum die Wissenschaftler von dual studierenden Lehramtsanwärtern wenig halten, lesen Sie im Streitgespräch der SWK-Co-Vorsitzenden Felicitas Thiel mit Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles. Thiel betont: Das Lehramt sei kein Anlernberuf. In Berlin sieht sie ein “sich selbst kannibalisierendes System”. Rackles fürchtet, Abbrüche von Lehramtsanwärtern bleiben unvermeidbar, solange die Wissenschaft das Prinzip des “kumulativen Kompetenzaufbaus” als Dogma vor sich hertrage.
Die KMK befasst sich heute zudem mit den Empfehlungen der Strukturkommission und ihrer eigenen Reform. Sie hat diesen Prozess selbst eingeleitet. Nun stellt sich die spannende Frage, welche konkreten Schritte folgen. Und auch die Lage in den Startchancen- und Digitalpakt-Verhandlungen steht auf der Tagesordnung. Heute Nachmittag erfahren Sie von meinem Kollegen Holger Schleper Aktuelles auf unserer Webseite.
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre und ein erholsames Wochenende nach dieser nachrichtenträchtigen Bildungswoche!
Schon Anfang des Jahres angekündigt, hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz nun ihr lang erwartetes neues Gutachten vorgelegt. Thema diesmal: “Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht”. Hier neue Wege zu finden, ist dringend geboten. Denn der Personalmangel an Schulen ist enorm, die Abbrecherquote im Lehramtsstudium groß und Professionalität angesichts der schlechten Schülerleistungen gefragter denn je. Das hat erst vor drei Tagen die neue Pisa-Studie gezeigt.
Auf mehr als 100 Seiten breiten die 16 Wissenschaftler der SWK aus, wie neue Interessenten fürs Lehramtsstudium gewonnen werden können. Wie sich Studium und Praxis besser verzahnen lassen. Wie einheitliche Standards für die wissenschaftliche Ausbildung von Quereinsteigern aussehen können. Wie die Fortbildung mehr Gewicht und Substanz bekommen kann.
Zunächst geht es aber in den ersten drei – von insgesamt elf Empfehlungen – um eine bessere Datenlage. Denn bislang ist es so: Die KMK rechnet vor, wie viele Lehrkräfte sie für wie viele Schüler in welchen Fächern für welche Schulstufe braucht. In für die KMK unschöner Regelmäßigkeit rechnet dann Klaus Klemm nach. Der Bildungsforscher, der sich seit Jahrzehnten mit Bedarfsprognosen im Bildungsbereich befasst, kommt in der Regel auf deutlich höhere Zahlen. Das Problem: Jeder rechnet auf einer anderen Basis.
Die Kommission will nun für Ordnung sorgen und gegen den Wildwuchs von Bedarfsprognosen und Berechnungsgrundlagen vorgehen. Und an den Universitäten will sie Lehramtsstudierende besser erfassen. Denn bislang wird bei einem Studienanfänger in einem polyvalenten Bachelorstudium offenbar nicht registriert, ob er einen Lehramtsabschluss anstrebt oder nicht. Und schon gar nicht weiß man, wo die Studierenden geblieben sind, die am Ende nicht beim Masterabschluss ankommen. Bildungsverlaufsdaten gibt es nicht oder werden nicht genutzt. Man kann den Kopf darüber schütteln, dass es das alles noch nicht gibt. Aber so ist es. Daher ist das Einfordern solch längst überfälliger Korrekturen wichtig.
Mit besseren Daten kommen allerdings nicht mehr Menschen ins Bildungssystem. Aber es gibt ja noch acht weitere Empfehlungen und Vorschläge im SWK-Gutachten. Zum Beispiel:
Lesen Sie auch den konträren Standpunkt von Susanne Lin-Klitzing: Das Lehramtsstudium braucht das Staatsexamen
Aber das Zusammendenken von Theorie und Praxis hat für die Kommission klare Grenzen: Ein duales Studium lehnt sie kategorisch ab. Kompetenzen bauten sich kumulativ auf, die Studierenden bräuchten erst mal professionelles Wissen, bevor sie unterrichten könnten. “Die großen Erwartungen an die Einführung eines dualen Studiums, die sowohl die Gewinnung weiterer geeigneter Studienbewerber:innen als auch die Verbesserung der Lehrkräftebildung betreffen, sind bislang nicht durch empirische Evidenz gedeckt”, heißt es im Gutachten.
Ein weiteres großes Thema im Gutachten ist die Qualifizierung von Quereinsteigern. Bislang macht in der Fortbildung jedes Land seins. Die SWK fordert länderübergreifend einheitliche und vor allem mehr wissenschaftsbasierte Qualifizierungen. Und sie will den Zugang für Quereinsteiger dadurch erleichtern, dass ein zweites Fach nicht mehr zwingende Voraussetzung ist.
Zur zusätzlichen Unterstützung sollten mehr “Assistenzlehrkräfte” an die Schulen kommen. Die gibt es zwar unter verschiedenen Namen heute schon. Aber die SWK will daraus dann ein eigenes Berufsbild machen, verknüpft mit Weiterbildungen. Sie vergleicht solche Assistenzlehrkräfte mit Physician Assistants in der Medizin. Ein Berufsbild zwischen Arzt und Krankenpfleger, das in manchen Ländern schon lange verbreitet ist.
Der Vergleich ist erstaunlich, denn in Deutschland wird der Physician Assistant bislang vor allem an privaten Hochschulen und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) ausgebildet. Doch die sollen bei der Lehrerbildung außen vor bleiben. Begründung: Beim dualen Studium sei die Gefahr groß, dass sich “dysfunktionale Handlungsroutinen” unreflektiert einschleifen, warnen die Autoren des SWK-Gutachtens. Und die Etablierung von Lehramtsstudiengängen an HAW sei zu (zeit-)aufwendig. Außerdem hätten Studierende hier nur eingeschränkte fachliche Kombinationsmöglichkeiten. “Für eine Entspannung der Mangellage durch eine Ausbildung von Lehrkräften in alleiniger Verantwortung der FH/HAW gibt es keine empirische Evidenz”, heißt es weiter.
Die letzten beiden Empfehlungen zielen auf die Fortbildung. Auch hier wünschen sich die Wissenschaftler der SWK mehr Qualität. Und sie sprechen sich für eine Fortbildungsverpflichtung von 30 Stunden im Jahr aus. Keine neue Forderung, aber sie hat sich bis jetzt nicht durchgesetzt. Auch, weil es nie genug Angebote gab. In den meisten Bundesländern ist die Fortbildung im Lehrerberuf daher eher Empfehlung als Pflicht. Und wer sich nicht fortbildet, hat wenig zu befürchten.
Zu allen Punkten wünscht sich die Ständige Wissenschaftliche Kommission eine Verständigung auf länderübergreifende Standards. Zuständig wäre die KMK. Bei vielen Fragen müssten sich zwei Ministerien – Wissenschaft und Schule – abstimmen. Die Kultusministerkonferenz ist bislang allerdings nicht dafür bekannt, an einem Strang zu ziehen und zügig Entscheidungen zu treffen.
Aber mal angenommen, das würde gelingen, kann dieses Gutachten im besten Fall für deutlich mehr Ordnung im System, für ein bisschen mehr Flexibilität und bessere Standards in der Lehrerbildung sorgen. Eine grundlegende Neuerung in der Lehrerbildung ist kaum zu erwarten. Da sind der Wissenschaftsrat im Sommer mit seinen “Empfehlungen zur Lehramtsausbildung im Fach Mathematik” und erst vergangene Woche der Stifterverband mit seinem “Masterplan: Lehrkräftebildung neu denken” deutlich weiter gegangen.
So hat sich der Wissenschaftsrat zum Beispiel ausdrücklich für ein duales Studium ausgesprochen. Und von den 75 Maßnahmen des Stifterverbands sind einige mutiger als das SWK-Gutachten. Dazu gehört, flächendeckend Universitätsschulen einzurichten oder Teile des Curriculums aus der ersten in die dritte Phase zu verlagern. Die SWK formuliert viele Ansätze – ein mutiger Wurf ist es nicht.
Wegen des enormen Lehrermangels gerät die Ausbildung der Lehrkräfte in den Fokus. Frau Thiel, Herr Rackles, was sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Stellschrauben, um die Lehrerbildung weiterzuentwickeln?
Felicitas Thiel: Wir haben gerade wieder gezeigt bekommen, dass ein Drittel der Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards verfehlen und 20 Prozent Auffälligkeiten in der sozial-emotionalen Entwicklung zeigen. Das bedeutet, dass die Ausbildung von Lehrkräften stärker auf diagnosebasierte Förderung ausgerichtet werden muss. Diagnostische Kompetenzen und auch die Kompetenzen zur adaptiven Unterrichtsgestaltung müssen viel größeres Gewicht in der Lehrkräfte-Bildung haben. Das gilt in allen Phasen – und analog für die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Medien.
Mark Rackles: In qualitativer Hinsicht wäre es notwendig, ein bundesweit abgestimmtes Kerncurriculum unter Stärkung der Fachdidaktik und Bildungswissenschaften wirksam werden zu lassen. Wenn die Hochschulen das angesichts der Leistungsanforderungen für nicht möglich halten, dann muss das Zwei-Fach-Dogma geschliffen und nur noch in einem Fach ausgebildet werden. Das zweite Fach könnte dann in die spätere Weiterbildung ausgelagert werden.
Thiel: Grundsätzlich gilt, dass der Lehrerberuf nach wie vor zu den attraktivsten Berufen zählt. Die Frage ist dann: Was ist für hoch motivierte Studierende bei der Studienwahl eigentlich relevant? Und das ist eben neben der guten Bezahlung auch eine klare Karriereperspektive – und die haben wir im Unterschied zu anderen erfolgreichen Pisa-Ländern wie etwa Japan nicht.
Rackles: Aber die Lehrkräftebildung in Deutschland ist auch quantitativ unter Druck. Es kommen, vereinfacht gesagt, zu wenige Lehrkräfte hinten raus. Wir müssen die Studienplatzkapazitäten länderübergreifend abgestimmt ausbauen und den hohen Schwundquoten an den Unis entgegenwirken.
Wie können die Hochschulen verhindern, dass Ihnen künftige Lehrer im Studium verloren gehen?
Thiel: Die Wahrheit ist: die Studien-Abbruchquoten im Lehramt liegen im Mittel unter den Abbruchquoten anderer Studiengänge.
Rackles: Das sehe ich anders. Im bestehenden System der Lehrkräfteausbildung gehen mit bis zu 50 Prozent unfassbar viele potenzielle Lehrkräfte verloren, der größte Teil in der universitären Phase. Das Kernproblem ist die Zersplitterung der Lehrkräftebildung über die Fächer und Fakultäten. Es gibt keine universitäre Heimat der Lehramtsstudierenden. Nötig wäre eine starke, eigene Fakultät Lehrkräftebildung an jeder ausbildenden Uni, die abgestimmte professionsbezogene Studiengänge anbietet.
Thiel: Nach den Daten, die ich kenne, liegt die mittlere Abbruchquote im Lehramtsmaster bei 16 Prozent. Gleichwohl sind die Abbruchquoten zu hoch, insbesondere in den Mint-Fächern, das will ich gern zugestehen.
Was könnte man dagegen tun?
Thiel: Hier brauchen wir einerseits mehr Brückenkurse, die die Studierenden fit machen für ein Mint-Studium. Die Anforderungen sind da nun mal hoch. Andererseits müssen die Fachveranstaltungen und Vorlesungen im Fach viel stärker an den Bedarfen der Lehramtsstudierenden ausgerichtet werden. Wir sehen übrigens jenseits der Abbrüche Verlängerungen des Studiums als Folge der Tätigkeiten als Vertretungslehrkraft. In Berlin arbeiten bereits 30 Prozent der Bachelor-Studierenden in Schulen – und viele steigen dann ohne Examen direkt in den Schuldienst ein. Das ist also ein sich selbst kannibalisierendes System.
Wie lässt sich der Praxisschock für Referendare und Junglehrer abfedern oder gar verhindern?
Thiel: Die eigene Unterrichtspraxis der Studierenden muss unbedingt vorbereitet werden. Wir wissen aus der Forschung ziemlich viel über den systematischen Aufbau von Handlungskompetenzen. In der Ausbildung unserer Studierenden nutzen wir inzwischen häufig digitale Simulationen – oder Unterrichtsvideos.
Rackles: Solange die Wissenschaft das Prinzip des “kumulativen Kompetenzaufbaus” als Dogma vor sich herträgt, wird dieser Schock meines Erachtens nicht vermeidbar sein. Die sehr deutsche Annahme, dass angehende Lehrkräfte erst eine geballte Ladung Theorie und Fachwissen verabreicht bekommen und erst im Anschluss ihre professionsbezogene Praxiserfahrungen machen, mündet zwangsläufig in Brüchen und Abbrüchen. Notwendig sind übergreifende Verschränkungen, wie etwa in Baden-Württemberg oder Mecklenburg-Vorpommern, wo der Vorbereitungsdienst verkürzt und Praxissemester ausgebaut werden.
Thiel: Das von Ihnen als Dogma bezeichnete Prinzip des “kumulativen Kompetenzaufbaus” stellt die Quintessenz dessen dar, was die Forschung über die Gestaltung von Praxisphasen weiß. Auch in den PISA-Gewinnerländern wie Estland oder Japan erwerben zukünftige Lehrkräfte zuerst solides fachliches und pädagogisches Wissen – bevor sie in die Praxis geschickt werden. Der Lehrerberuf ist eben kein Anlernberuf. Deshalb bin ich hier skeptisch.
Duales Studium für Lehrer – ist das ein Irrweg oder Rettungsgasse in der Krise?
Thiel: Was das berufsintegrierte duale Studium betrifft, bin ich skeptisch. Berufsintegriert heißt ja, dass die Studierenden parallel zum Studium arbeiten – also im Klassenzimmer stehen und dafür auch bezahlt werden.
Rackles: Bei der Ausgestaltung der Praxiseinbindung gibt es aber verschiedene Ansätze: Neben Praktika in Ferien oder der vollständigen Verschränkung der Praktika mit dem Studium gibt es eben den dualen Ansatz. Das heißt, Studierende sind mit festen Wochentagen in der Schule. Erste Pilotprojekte gehen aktuell in einigen Ländern zaghaft an den Start. Ich würde mir da noch mehr Mut und Reformwillen wünschen.
Thiel: Alle Befunde, die ich kenne, zeigen, dass Theorie und Praxis im dualen Modell häufig nebeneinander herlaufen. Außerdem ist die Gefahr ziemlich groß, dass die Studierenden im Klassenzimmer schlechte Routinen, die nur scheinbar funktionieren, einfach kopieren. Es entsteht insbesondere jetzt, wo sehr viele Quereinsteiger im System sind und sehr wenige ausgebildete Lehrkräfte überhaupt noch vorhanden sind, eine fatale Situation: Quereinsteiger:innen, die selbst noch Begleitungsbedarf haben, begleiten dual Studierende. Wollen wir das?
Aber ist frühe Praxis im Klassenraum nicht bedeutsam?
Thiel: Klar ist Praxiserfahrung unbestritten wichtig. Sie sollte aber begleitet durch qualifizierte Experten stattfinden. Anstatt jetzt kopflos Systemstrukturen für duale Studiengänge umzubauen, sollten wir ein Quer-Einstiegsmaster in einem Fach schaffen.
Was ist das?
Thiel: Wir sehen in den nächsten Jahren den Rückgang des Bedarfs an Grundschullehrkräften und stark ansteigenden Bedarf an Lehrkräften für die Sekundarstufe I, insbesondere für die Mint-Fächer. Hier sollten wir attraktive Quereinstiegsbedingungen für Personen schaffen, die schon in der Mitte des Berufslebens sind und gern in den Lehrberuf einsteigen wollen. Bislang müssen die Universitäten viele Interessierte zurückweisen, weil die eben nur ein Fach haben.
Ab wann und mit welchen Voraussetzungen sollten Lehramtsstudierende als Vertretungslehrkräfte an Schulen arbeiten können?
Rackles: Meines Erachtens ist der Einsatz von Lehramtsstudierenden in frühen Semestern eine reine Notlösung und kaum zu verantworten. Wenn es um eigenständiges Unterrichten geht, dann kann dies eigentlich erst nach Abschluss des Bachelors ernsthaft vertreten werden. So oder so ist eine praktische Begleitung vor Ort mit Mentor:innen und eine theoretische Reflexionsmöglichkeit an der Uni nötig, wenn die Praxistätigkeit produktiv im Sinne der Ausbildung wirken soll.
Thiel: Hier stimme ich Herrn Rackles ausnahmsweise vollkommen zu. Der Einsatz sollte sich grundsätzlich auf Masterstudierende beschränken. Trotzdem muss irgendjemand kontrollieren, ob der Unterricht den Qualitätsanforderungen entspricht. Ich weiß natürlich selbst, dass diese Forderung von der Realität oft sehr weit entfernt ist.
Das Gutachten spricht sich für eine Stärkung von Assistenzlehrkräften aus. Führt das zu einer Deprofessionalisierung im Lehrerberuf?
Thiel: Da würde ich gern zurückfragen: Warum sollte das so sein? Wir haben ohnehin bereits sehr viele Personen im System, die kaum qualifiziert sind – denken sie an die ganzen Schulassistenten und Schulhelferinnen. Ein Bachelor-Abschluss ist für diese Personen eine sehr interessante berufliche Perspektive. Und diese Assistenzlehrkräfte erhalten ja gar keine eigenständige Lehrbefähigung. Sondern sie sollen mit extra qualifizierten Lehrkräften zusammenarbeiten. Das ist international ein erfolgreiches Konzept. Es setzt natürlich voraus, dass man den Unterricht entsprechend anders organisiert. Aber da kommen wir eh nicht drumherum.
Warum?
Thiel: Wir werden in Zukunft sehr viel digitale Tools zum Beispiel für Assessments oder für die schnelle Diagnose von Lernständen einsetzen. Dafür müssen starre Unterrichtskonzepte aufgebrochen werden.
Rackles: Man muss meines Erachtens klar definieren, was Assistenzlehrkräfte sind, insbesondere welche Aufgaben sie in Abgrenzung zu den anderen Assistenzberufen und den Lehrkräfte übernehmen. Interessant wäre an einem solchen Ansatz, dass die Länder als Dienstherren endlich die konkrete Aufgabenbeschreibung für Lehrkräfte vornehmen müssten. Die ist bis heute unklar und ein Grund für viel Unmut und Überforderung in der Praxis.
Was spricht dafür, auch Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) für das Lehramtsstudium zuzulassen?
Rackles: Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind heute vollwertige akademische Ausbildungsstätten. Daher sollte das universitäre Privileg in der Lehramtsausbildung abgeräumt werden. Nebenbei lassen sich so mit den Studierenden an den HAWs auch neue zusätzliche Zielgruppen für das Lehramt erschließen.
Thiel: Aus meiner Sicht spricht nichts dafür – abgesehen von der Kooperation im beruflichen Lehramt. Sie müssten an den HAW erst fachdidaktische Professuren und solche für pädagogische Psychologie völlig neu schaffen. Mehr Lehramtsstudierende werden wir uns dadurch natürlich nicht backen können. Interview: Annette Kuhn und Christian Füller
Der Leitantrag der SPD ist zeitlich auf den Punkt. Passend zum zweiten Pisa-Schock, ausgelöst durch die am Dienstag veröffentlichte Studie, möchten die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag ab heute die Weichen für die Zukunft stellen. Die Koalitionsgespräche um den umstrittenen Haushalt für 2024 stocken – nun wurde eine große Rede von Olaf Scholz zu dem Thema angekündigt. Die Sozialdemokraten aus Bund und Ländern pochen darauf, Investitionen in Bildung von der Schuldenbremse auszunehmen. Ursprünglich hatte im Leitantrag sogar die Forderung nach einem 100-Milliarden-Sondervermögen für Bildung gestanden.
Die magische Zahl 100 Milliarden Euro ist zwar verschwunden. Aber die Forderung nach einem Sondervermögen besteht weiter. Mit einem “Deutschlandpakt Bildung” sollen höhere Investitionen von Bund und Ländern in eine gerechte und gelingende Bildung möglich gemacht werden, so steht es in dem Leitantrag des Parteivorstands – “etwa durch die Einrichtung eines Sondervermögens für Bildung, das von Bund und Ländern gemeinschaftlich aufgebaut und bewirtschaftet wird.”
Allerdings beantragen der Arbeitskreis Bildung der SPD und der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern weiterhin “die Einrichtung eines kreditfinanzierten Sondervermögens Bildung in Höhe von 100 Milliarden Euro durch den Bund“. Vielleicht lösen die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie, nach der 30 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland die Mindeststandards in Mathematik verfehlen, auf dem Parteitag eine Dynamik aus. Einflussreiche Bildungspolitiker der SPD aus Bund und Ländern fordern jedenfalls die Aussetzung der Schuldenbremse – um Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Nutzt Kanzler Scholz die Chance für einen Doppel-Wumms bei Bildung und Schuldenbremse?
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“Wer jetzt bei der Bildung spart, der gefährdet unsere Zukunft. Das heißt: Die Transformation der Schulen darf nicht unter der Schuldenbremse leiden”, sagt etwa Andreas Stoch zu Table.Media. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag von Baden-Württemberg hat den Koalitionsvertrag der Ampel mit ausgehandelt. Stoch betont, wie wichtig der Leitantrag ist, der am Sonntag verabschiedet werden soll. “Die SPD macht deutlich: Bildung ist elementar für unser Land – sowohl kurzfristig als auch grundsätzlich. Chancengleichheit treibt uns an.”
Eineinhalb Jahre hat die SPD in einer Kommission zur Transformation der Bildung um den Leitantrag gerungen. Bei allen Differenzen waren sich Vertreter von Bund und Ländern dabei in einem einig: “Für die SPD haben Investitionen in Bildung hohe Priorität“, sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Oliver Kaczmarek, Table.Media. “Wir müssen sie von der Schuldenbremse ausnehmen. Beispiel Digitalpakt II: Den können wir nicht aus dem laufenden Haushalt finanzieren.”
Auch Jochen Ott, Fraktionschef der SPD in Nordrhein-Westfalen, spricht sich dafür aus, die Schuldenbremse für Bildungsausgaben aufzuweichen: “Zukunftsinvestitionen im Bereich Bildung und Digitalisierung müssen von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Was nutzt es, wenn wir in 20 Jahren schuldenfrei sind, aber ein Drittel der Bevölkerung nicht richtig lesen und schreiben kann?” Neben der Möglichkeit, Kredite für Sondervermögen aufzunehmen, plädiert Ott dafür, eine höhere Erbschaftssteuer einzuführen. “Da Steuern nicht zweckgebunden sein dürfen, müsste man sich deutschlandweit darauf einigen, diese Einnahmen ausschließlich in Bildung zu investieren.”
Geht es nach den Jungsozialisten, sollte die Schuldenbremse für 2024 ausgesetzt – und anschließend sogar komplett abgeschafft werden. Juso-Chef Philipp Türmer sagte, die Investitionen in Bildung könnten nicht länger warten – und greift den Koalitionspartner frontal an: “Dass wir das einzige Industrieland auf diesem fiskalpolitischen Irrweg sind, sollte uns zu denken geben. Ich hoffe, dass auch der neoliberale Bremsklotz FDP dies endlich begreift.” Vera Kraft, Christian Füller
Sechs Monate lang soll jedes Kind während der Schulzeit ins europäische Ausland gehen können – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Diese Forderung findet sich im Europa-Wahlprogramm des FDP-Präsidiums, das der Bundesvorstand am Montag beschließen soll. Erasmus+ will die Partei stärken und “den Zugang auch für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Azubis verbessern”.
Außerdem fordert die Partei, einen Bologna-Prozess für schulische und berufliche Bildung. Durch eine stärkere Abstimmung von Berufsausbildungs- und Schulsystemen will sie die Bildungsmobilität erhöhen. “Die Bildungsfreizügigkeit wollen wir als neue Grundfreiheit der Europäischen Union etablieren”, heißt es in dem noch nicht beschlossenen Programm für den EU-Wahlkampf.
Daneben spricht sich die FDP dafür aus, Künstliche Intelligenz in der Bildung zu nutzen. KI-Anwendungen könnten individuelles Lernen unterstützen und Lehrkräfte entlasten. “Eine innovationsfeindliche Überregulierung von KI lehnen wir ab“, heißt es im Programm. Anna Parrisius
Nur jeder dritte Jugendliche fühlt sich durch die Schule gut auf seine berufliche Zukunft vorbereitet. Zwei von drei Jugendlichen finden, dass nötige Kenntnisse und Fähigkeiten weniger gut oder gar nicht vermittelt werden. An vorderster Stelle steht für die Jugendlichen dabei Selbstorganisation, Höflichkeit und Toleranz und Kenntnisse der deutschen Sprache. 85 Prozent meinen zudem, der Übergang in einen Beruf sei leichter, wenn Kompetenzen und Erfahrungen über ein reines Notenzeugnis hinaus stärker anerkannt werden. Das ergibt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa unter 1.075 Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren. In Auftrag gegeben haben sie die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und die Bertelsmann Stiftung.
Auch sonst erhielt das Bildungssystem von den meisten Jugendlichen kein gutes Urteil: Wie schon 2022 glaubt nur ein Drittel, dass Kinder in Deutschland unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft gleiche Chancen auf gute Bildung haben. Die Mehrheit (57 Prozent) bezweifelt auch, dass das in zehn Jahren der Fall sein wird. Genauso viele Befragte sind der Ansicht, dass Schüler mehr Unterstützung bräuchten, um den von ihnen angestrebten Bildungsabschluss zu erreichen.
Sorgen um ihre berufliche Zukunft macht sich die überwiegende Mehrheit dennoch nicht: 34 Prozent sind positiv, 54 Prozent eher positiv gestimmt. Vielleicht trägt hierzu ein Bewusstsein über den Fachkräftemangel bei. 16 Prozent der Jugendlichen glauben daher auch, dass ein Berufsabschluss an Bedeutung verliert.
Für einen erfolgreichen Übergang in den Beruf halten die meisten es für wichtig, dass Schulen verpflichtet sind, Berufsberatung oder Praktika zu ermöglichen (91 Prozent). 90 Prozent befürworten eine finanzielle Unterstützung für Jugendliche, die für Ausbildung und Studium umziehen müssen. Für Azubis will die Ampel das ansatzweise ab April mit ihrem Aus- und Weiterbildungsgesetz umsetzen. Ab dann kann die Bundesagentur für Arbeit Jugendlichen, die für ihre Ausbildung umziehen müssen, im ersten Lehrjahr einen Mobilitätszuschuss in der Höhe von zwei monatlichen Familienheimfahrten zahlen.
74 Prozent der Befragten wünschen sich, dass Jugendliche einen Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt bekommen, wenn sie selbst keinen gefunden haben. Ab August soll es tatsächlich mehr außerbetriebliche Ausbildungsplätze geben. Allerdings, heißt es im Regierungsentwurf vom März, sollen Jugendliche das Angebot nur als “Ultima Ratio” erhalten. Der Gesetzgeber rechnet daher auch nur mit 7.000 zusätzlichen außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen. Anna Parrisius