seien Sie willkommen am Bildung.Table! Auf diesen Sommer kommt es an. Wie gut vorbereitet beginnen wir nach den Sommerferien das neue Schuljahr? Was gilt es, wirklich aufzuholen? Was haben wir im digitalen Corona-Jahr vielleicht sogar gelernt? Die Bildungsrepublik hat nach den bitteren Lektionen der Pandemie keine Zeit zu verschenken.
Das gilt auch für Bildung.Table. In normalen Zeiten würde niemand eine neue Publikation für die entscheidenden Köpfe des Bildungssektors vor den großen Ferien starten. Aber die Zeiten sind nicht normal – und deswegen fangen wir jetzt an. Wir wollen den Sommer nutzen – zusammen mit Ihnen.
Hinter Bildung.Table steht ein Team um den erfahrenen Bildungs-Journalisten Christian Füller. Sie kennen ihn als “Pisaversteher” und Autor von Süddeutscher Zeitung bis FAZ und Kommentator bei Phoenix und Deutschlandfunk.
Bildung.Table ist Nachrichtenquelle und Orientierungshilfe, Ideenbörse und Praxisforum in einem. Wir wollen ein Forum für die pädagogische Transformation schaffen, die durch die Digitalisierung angestoßen wird. Wir schreiben für Praktiker in Schulen und bei Schulträgern, wir porträtieren Startups, Bildungsunternehmen und Lerninitiativen, wir wenden uns an Ministerien und die Konferenz der Kultusminister.
Bildung.Table erscheint immer mittwochs, Sie finden uns morgens um sechs Uhr in Ihrem Mail-Postfach. Zum Start erwartet Sie eine außergewöhnliche Woche: Vor uns liegt der große Schul-Hackathon “Wir für Schule”, den Verena Pausder und Max Maendler initiiert haben. Mehrere tausend Kreative wollen vom 14. bis zum 18. Juni neue Ideen für die Bildungsrepublik entwickeln. Bildung.Table hat für diese erste Ausgabe mit den Initiatoren des Hackathons gesprochen und wird den Machern in der kommenden Woche täglich über die Schulter schauen.
In dieser ersten Ausgabe geht Christian Füller der Frage nach, ob die Milliarde Euro, mit der die Bundesregierung helfen will, den Lernrückstand der Pandemie-Schulmonate aufzuholen, auch dort ankommt, wo sie hingehört. Oder versickert sie in den Etats der 16 Bundesländer? Erfahren Sie außerdem, welche Forderungen die Lehrerverbände an die Bildungspolitiker haben und wer zur neuen Chefin der Lehrergewerkschaft GEW gewählt werden soll.
Wir laden Sie herzlich ein, als unsere Gäste und gerne als Teilgebende diesen wichtigen Sommer mit uns gemeinsam zu verbringen. Lassen Sie uns so gut in das nächste Schuljahr starten, wie eben möglich.
Die von vielen Eltern, Forschern und Bildungsministern als so wichtig erachtete Nachhilfe-Milliarde des Bundes verfehlt offenbar ihr Ziel. Die Mittel fließen direkt in die Kassen der Länderfinanzminister. In welche Projekte das Geld investiert wird – Straßenbau, Polizeiuniformen oder Sommerschulen – ist dann allein Sache der 16 Bundesländer. Das bedeutet: Das Aufhol-Paket stopft nicht Lernlücken bei Schülerinnen und Schülern, sondern Haushaltslöcher der Länder.
Der Grund dafür: Die Milliarde kommt nicht aus dem Etat der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), sondern in Form von Umsatzsteuer-Anteilen direkt als Einnahme in die Länder-Haushalte. Damit hat die Bildungsministerin keinen Einfluss mehr auf die Verwendung dieser Mittel. Darüber befinden allein die Haushaltsgesetzgeber der Länder und der jeweilige Finanzminister. Das bestätigte ein Sprecher der Bundesregierung Bildung.Table. Es gebe allenfalls eine politische Bindewirkung. Juristisch gebe es keinerlei Handhabe, das Geld für Nachhilfe oder Lernprojekte zu reservieren.
In den Reihen der Startups wurde die Nachricht gemischt aufgenommen. Stephan Bayer von der Video- und Lernplattform Sofatutor begrüßte die Freiheit, “die den Ländern in der Verwendung der Mittel aus dem Aufhol-Paket gegeben wird.“ So könnten heterogene Bedürfnisse der Bildungslandschaft adressiert werden. Schulen könnten das anfordern, was ihren Schülern wirklich hilft. Allerdings sagte Bayer auch: “Ich würde mich freuen, wenn die Milliarde ein echtes Mehr an Bildungsinvestitionen bedeutet. Da ist die Öffentlichkeit aufgerufen, wachsam zu sein.“ Lena Spak von der Lernplattform Scobees sagte Bildung.Table: “Im Zentrum stehen immer die Schülerinnen und Schüler, bei denen die Fördermilliarden am Ende auch ankommen sollten.“
Bundespolitiker hatten, als die Nachhilfemilliarde Anfang Mai verkündet wurde, den Eindruck erweckt, es könne eine Zweckbindung für das Bildungsgeld ausgehandelt werden. Damals hieß es in einer Presse-Mitteilung aus dem Hause von Anja Karliczek, “der Bund wird eine Vereinbarung mit den Ländern über den Einsatz der bereitgestellten Mittel über die Umsatzsteuerpunkte-Festbeträge schließen.” Darin seien auch Nachweispflichten über eigene Beiträge der Länder und den Mitteleinsatz enthalten. “In der Vereinbarung wird verbindlich festgeschrieben, für welche Zwecke die vom Bund zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel von den Ländern verwendet werden”, hieß es in der öffentlichen Verkündung – und das war falsch.
Nach Informationen von Bildung.Table ist es nämlich gar nicht möglich, über eine Verwaltungsvereinbarung Einfluss auf Steuereinnahmen der Länder zu nehmen. Es soll lediglich eine politische Vereinbarung geben, um die sich Karliczeks Beamte redlich bemühen, die aber keinerlei verpflichtende Wirkung entfallen kann. Das wissen alle. Im Ministerium zirkuliert ein Papier, in dem es heißt: “Wir als Bund nehmen keinerlei Einfluss. Das liegt… an der alleinigen Zuständigkeit der Länder, da wir uns im Kernbereich von Schule bewegen.” Dass eine solche Zweckbindung sinnvoll wäre, steht außer Frage. Auch der Bundestagsabgeordnete und Bildungspolitiker der CDU, Tankred Schipanski, sagte Bildung.Table dazu im Mai: “Die Nachhilfe-Milliarde ist wichtig, aber ich erwarte, dass der Bund nun klare Vorgaben macht, wie die Mittel von den Länderministern zugunsten der Schüler mit Corona-bedingten Lerndefiziten eingesetzt werden.”
Der Finanzexperte der FDP, Florian Toncar, kritisierte im Gespräch mit Bildung.Table: “Der Bund hat keine Möglichkeit zu kontrollieren, ob die Länder die Gelder entsprechend den vorher getroffenen Vereinbarungen verwenden.” Die FDP kritisiere diese Art der Finanzierung von Länderaufgaben durch den Bund. Besser seien Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt – die freilich bei Bildung laut Grundgesetz nicht möglich sind. “Durch den Umweg über das Finanzausgleichsgesetz und höhere Umsatzsteueranteile für die Länder beraubt sich der Bund dagegen jeder Kontrollmöglichkeit”, meinte Toncar.
Dass es dem Bund verwehrt ist, Geld für Bildung auszugeben, war der Politik von Anfang an bekannt. Das sollte die Öffentlichkeit aber nicht sofort erfahren, als die damalige Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) und Anja Karliczek (CDU) ihre “Aufholen-nach-Corona”- Programme im Wert von zusammen zwei Milliarden Euro im Wahlkampfmodus verkündeten. Laut Verfassung sind für Schulausgaben ausschließlich die Länder zuständig. Um Karliczeks Nachhilfe-Paket hatten sich auch Startups und digitale Unternehmen beworben. Sie gründeten eine “Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter” (iddb) und boten in einem Offenen Brief an, gemeinsam mit Bund und Ländern einen Runden Tisch zu veranstalten. Dabei sollten die Bundesregierung und der Kreis der Kultusministerinnen und Kultusminister ihre Wünsche präsentieren – “und wir erläutern, wie wir hier kurzfristig unterstützen könnten”, wie es in dem Brief heißt.
Auch über den Umgang mit dieser Initiative gibt es einen Dissens zwischen Anja Karliczek und der Präsidentin der Konferenz der Kultusminister (KMK), Britta Ernst. Die Bildungsministerin von Brandenburg wollte einige der Vertreter der Digital-Initiative in eine Staatssekretärsrunde der KMK einladen. Als allerdings Karliczek öffentlich alle möglichen Bildungsanbieter zu einem Gespräch mit ihr und Britta Ernst bat, gab die KMK ihre Einladung gar nicht erst heraus – wegen Befindlichkeiten beim Protokoll. Es gehe nicht, hieß es bei der KMK, dass Bildungsministerin Karliczek ohne Absprache mit der politisch zuständigen KMK einen Runden Tisch verkünde. Im Bundesbildungsministerium nannte man das “albern”. Karliczek hatte neben digitalen Lernportalen auch Nachhilfe-Unternehmen wie den Studienkreis und Initiativen wie Teach First oder die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung an den Tisch holen wollen. Lena Spak von Scobees hofft, “dass es noch vor den Sommerferien zu einem Austausch zwischen der KMK und Vertretern der Bildungsinitiative iddb kommt und das Thema nicht einfach im Sommerloch verschwindet.” Inzwischen hätten sich über 50 Edtech-Startups, Bildungsorganisationen und Verbänden der Initiative angeschlossen.
Dass die Nachhilfe-Milliarde irgendwann in die Kassen der Länderfinanzminister fließt, bedeutet nicht, dass es keinerlei Nachhilfeangebote im Sommer geben wird. Fast alle Bundesländer planen eigene Sommerschulen, in denen meist am Anfang und am Ende der Ferien Lernangebote jenen Schülern bereitgestellt werden sollen, die das nötig haben oder die teilnehmen wollen. Allerdings wird die Milliarde nun mit höchster Wahrscheinlichkeit keine zusätzlichen Lerneinheiten bringen.
Frau Pausder, Herr Maendler. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Wo steht die Bildungsrepublik in der digitalen Bildung?
Verena Pausder: Auf jeden Fall halb voll. Deutschland hat sich jetzt flächendeckend mit digitalen Plattformen und Anwendungen beschäftigt. Hat man vor Corona gefragt, was ist eine Schulcloud, haben die wenigsten gewusst, was das ist. Jetzt sind Video-Konferenzen, Messenger und kollaborative Boards in aller Munde. Deswegen ist für mich das Glas halb voll. Aber es kann auch wieder in Richtung halb leer gehen.
Wie könnte das geschehen?
Dass wir in einem halben Jahr, wenn die Kinder alle in Präsenz in der Schule sind, sagen: “Jetzt ist alles wieder gut, alle Geräte zurück in die Technikkoffer, wir machen jetzt wieder alles wie vorher“.
Max Maendler: Es war ein großer Sprung nach vorne. Aber das war vielleicht auch nur einer von den vielen, die nötig sind, damit wir in ein halbwegs sinnvolles digitales Schulumfeld kommen.
Was fehlt da momentan noch?
Pausder: Das große Versprechen der Bildung in einer digitalen Welt ist die Individualisierung. Dass das Lernen wirklich persönlich auf die einzelnen Schüler zugeschnitten werden kann. Und das hat, sind wir ehrlich, noch gar nicht richtig angefangen. Wir waren bisher damit beschäftigt, die gigantischen Lücken der digitalen Infrastruktur zu schließen. Wir sind noch bei Schule 1.0: Wie nutze ich überhaupt eine Schulcloud? Wie geht die Videokonferenz so, dass alle den Startknopf finden? Das hat in meinen Augen mit echtem digitalem Lernen noch kaum etwas zu tun.
Wie kann man das ändern? Geht das evolutionär – oder nur disruptiv?
Maendler: Wir haben aktuell ein Schulsystem, das Veränderungen eher entgegenwirkt. Mit dieser Absicht ist es übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg ganz bewusst von den Alliierten aufgesetzt worden – als Notbremse gegen einen weiteren zentralen faschistischen Brainwash nach dem NS. Diese Geschichte und diesen Sinn dürfen wir nicht vergessen.
Aber Bildungsföderalismus und Corona, das ist eine eigene Geschichte. Schlimmer geht’s fast nicht.
Es ist nicht nur der Föderalismus. Es ist die Art der vielfach zersplitterten Schulträgerschaft. Es ist die Unfreiheit der Schulleiter:innen. Unser Bildungssystem ist in Wahrheit ein Bremssystem. Deswegen fürchte ich, dass es ein bisschen Disruption braucht. Wir müssen jetzt an dieses System ran. Es ist ja nicht so, dass das Thema mit Corona um die Ecke gekommen ist. Wenn wir diesmal keinen Erfolg haben beim Umbau, dann werden wir unseren Kindern nicht mehr gerecht.
Pausder: Wenn wir heute das Schulsystem auf der grünen Wiese so aufsetzen würden, dass es mit der Zukunft kompatibel ist, dann würden wir es ganz sicher nicht so bauen, wie es gerade ist.
Was meinen Sie damit?
Dass ein Schulleiter seine eigene Lehrerschaft nicht einstellen darf. Dass im Schulsystem jemand anderes für die Ausstattung zuständig ist als für die Inhalte. Dass eine Schulleiterin zu wenig Autonomie und Freiheit hat, um eine funktionierende Organisation zu leiten. Dass die Klassen zu voll und der Lehrplan zu starr ist. All das würde man anders machen, wenn man es heute nochmal neu aufsetzt.
Gewiss gab es durch Corona Verwerfungen in der Schule. Aber haben Sie schon einmal so viel schulischen Aufbruch erlebt wie seit dem 16. März 2020?
Maendler: Das ist richtig – und zugleich widersprüchlich. Was da alles Tolles passiert ist, ist nicht durch das System entstanden, sondern trotz und oft gegen es. Da stellt sich doch die Frage: Willst du so viel Energie verreiben im Kampf gegen das System, um Gutes zu schaffen? Oder gehen wir mal an das Schulsystem selbst ran?
Pausder: Zum Beispiel das Einstimmigkeitsprinzip in der Kultusministerkonferenz. Es ist einfach nicht zeitgemäß, dass alle am Tisch “Ja” sagen müssen, damit etwas passiert.
Nur leben in diesem System elf Millionen Schülerinnen und Schüler, es entlässt jedes Jahr Hunderttausende Absolventen. Die – und ihre Eltern – wollen natürlich am Schluss Prüfungen, Noten und Zeugnisse. Einfach einreißen – geht das wirklich?
Maendler: Stimmt, das ist ein unfassbar dickes Brett. Deswegen haben wir uns gesagt, dass nicht wir eine Abrissbirne schwingen, sondern dass es eine ganz breite Initiative wird, die sehr gründlich darüber nachdenkt, was wo passieren soll. Wir haben einen aufwändigen Prozess organisiert, einen partizipativen, demokratischen, gesamtgesellschaftlichen Ansatz, der für jedermann offen ist.
Das ist keine Garantie dafür, dass Politik überzeugt werden kann.
Pausder: Wir sind viele. Wir sind divers. Wir sind offen. Da müssten die Schulministerinnen eigentlich zuhören.
Maendler: Sie sind sogar dabei. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und die KMK-Präsidentin Britta Ernst eröffnen den Hackathon. Sie nehmen sich die Zeit, da wird keine Video-Botschaft gesendet, da ist nichts gescripted. Ist das eine Garantie, dass hinterher davon was umgesetzt wird? Nein! Aber es ist genau das, was wir wollen: Verschiedene Akteurinnen zusammen bringen. Das war in unserem Zukunftsrat…
… eine repräsentativ ausgewählte Versammlung von Bürgern…
… genau. Da gab es extrem divergierende Debatten um das Curriculum für das 21. Jahrhundert. Es war nicht einfach, die zusammenzuhalten.
Welche Rolle spielt Ihr Hackathon in der pädagogischen Transformation?
Pausder: Es ist in meinen Augen kein Kleinhacken, sondern ein Aushecken von etwas Neuem. Wir wollen das gemeinsam entwickeln, sodass die Politik was damit anfangen kann. Evolutionär wäre, wenn jeder in seiner isolierten Blase was entwickelt: der Elternrat, die Lehrer-Gewerkschaften oder die Initiative der digitalen Bildungsanbieter.
Maendler: Mir ist das Wort evolutionär zu klein. Wir müssen uns im Klaren sein, dass auch was wegmuss. Wenn man etwas neu gestalten will, muss man vorher Platz schaffen. Das gilt auch fürs Schulsystem. Wenn du immer neue Sachen drauf packst, irgendwelche Projekte machst, ohne was rauszuräumen, dann gehen diese Projekte immer wieder kaputt. Das bedeutet, wir müssen an die Inhalte ran. Im Lehrplan sind einfach viele Dinge drin, die vielleicht auch aus der Zeit gefallen sind. Wir müssen aber priorisieren. Das gilt fürs Notensystem. Das gilt für Prüfungen. Das gilt für viele andere Sachen. Deswegen reicht meines Erachtens ein neuer Anstrich nicht aus.
Worin bestehen die Änderungen bei diesem Hack gegenüber 2020?
Maendler: Letztes Jahr waren die Schulen praktisch über Nacht zu – und es gab keinen Kontakt mehr zu den Schüler:innen. Da ging es also darum, schnell technische Lösungen zu finden, damit die Schulen mit dieser komplett neuen Situation umgehen können. Im Hackathon sind tolle Sachen rausgekommen, ganz viel Vernetzung und Energie. Aber auch faszinierende Projekte, die bis heute mit tausenden von Nutzern in zig Schulen am Start sind…
Pausder: … zum Beispiel Digital Sparks. Das ist themenbasierter Unterricht. Schüler:innen bringen Themen ein, wie “KI und Diskriminierung” oder Umweltschutz – und dann wird darum herum Unterricht gemacht…
Maendler: … auch der Freiday hat ein Riesenschub bekommen. Genauso Naklario. Das sind tolle Projekte, aber alle diese Beispiele kämpfen sich jetzt am bestehenden System ab. Jeder, der sich für einen Freiday entscheidet, muss das gegen die Vorgaben des Systems machen. Und mit System meine ich eben nicht nur das, was in irgendwelchen Gesetzen steht.
Sondern?
Wenn zum Beispiel eine kleine Minderheit von Eltern sagt: “Aber, da geht ja jetzt Stoff verloren! Wir können diesen Freiday nicht machen”. Deswegen brauchen wir einen Wandel im Denken, glaube ich. Sonst kommen so tolle Projekte nicht durch. Das war der Grund, dieses Jahr zu sagen, wir wollen grundsätzlich nachdenken über das Schulsystem – und nicht nur eine kleine Lösung produzieren.
Pausder: Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Die Schultür vorne ist wegen der Überfüllung des Lehrplans zu. Gleichzeitig herrscht Lehrermangel. Wir haben also zu wenig Menschen, die den Schüler:innen zu viel beibringen sollen in zu kurzer Zeit. Und jetzt warten vor der Schule weitere Projekte wie z.B. Freiday oder Digital Sparks – aber die kommen noch nicht mal durch die Fronttür, weil’s so voll ist. Deswegen räumen wir mal ein paar Sachen raus aus der Schule. Wir eröffnen diesen Freiraum, damit überhaupt wieder Platz für die Zukunft im Schulsystem ist. So ein Freiday ist ja kein Selbstzweck, sondern die Möglichkeit zu sagen, jetzt widmen wir uns mal Dingen, für die sonst kein Platz ist. Die von Schülern mitbestimmt werden.
Es gibt immer wieder Kritik an Ihnen. Manches ist nur Mäkelei. Verbreitet ist der Vorhalt, dass “Wir Für Schule” ökonomische Bildungs-Initiativen bevorzugt. Ist da was dran? …
Im zweiten Teil des Gesprächs nehmen Verena Pausder und Max Maendler zu dem Vorwurf Stellung, dass “Wir für Schule” ökonomische Bildungs-Initiativen bevorzuge. Und sie machen einen ungewöhnlichen Vorschlag für den Sommer. Welchen, erfahren Sie im nächsten Bildung.Table am kommenden Montag.
Sie nennt es “Logbuch für das Schuljahr 2021”. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, hat die Landesregierung davor gewarnt, weiter mit freitäglichen Rundmails den Schulbetrieb zu steuern. Nach den Sommerferien müsse die Schulpolitik den Krisenmodus überwinden. Sie erwarte verlässliche Antworten auf eine Reihe ungelöster Probleme. Fleischmann nannte den gravierenden Lehrermangel, die Sicherheit von Lehrern wie Schülern sowie einen weiteren Ausbau der digitalen Grundausstattung. “Wir brauchen ein Logbuch 2021/22, das die möglichen Szenarien des kommenden Schuljahres auflistet und Lehrer:innen wie Schulleiter:innen unterstützt”, sagte Fleischmann.
Nicht nur in Bayern hat das hektische und zufällige Schulregime gerade Schulleiter zur Verzweiflung getrieben. Mit der ersten Schließung der Schulgebäude im März 2020 begann eine lange Phase sprunghaften Umgangs mit den Schulen. Während sich die Kultusministerinnen dafür rühmten, so gut wie nie in ihrer Geschichte seit 1947 zusammen gearbeitet zu haben, riss die Kritik aus Schulen und von Schulträgern nicht ab. Missbilligt wurde die Nicht-Einführung von Luftfiltern, verschleppte Testkonzepte und die langwierigen Verhandlungen um die Zusätze zum Digitalpakt Schule. “Wir wollen vor Ort nicht mehr der Prellbock für die politischen Entscheidungen sein: Lehrer und Schulleitungen werden angegriffen”, sagte Fleischmann. “Es reicht jetzt!” Mit Angriffen meinte die Präsidentin des BLLV Kritik von Eltern, die in der Schule adressiert wird, obwohl der Kultusminister gemeint sei. Es gebe aber auch physische Angriffe. Wegen der Schulpolitik sei es auch zu teils spontanen Demos von Eltern gekommen.
In einer Umfrage von Bildung.Table zeigen sich die großen Standesvertretungen der Lehrkräfte von GEW bis Deutschem Lehrerverband selten einmütig. Die – scheidende – Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marlis Tepe, nannte “Systemadministratoren für die digitale Bildung sehr wichtig”. Sie bemängelte, dass das entsprechende Programm des Bundes viel zu klein geraten sei. Tepe forderte Bund, Länder und Gemeinden zu einem zweiten Digitalpakt auf, “der die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland auch bei der Digitalisierung sichert.” Auch Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, verlangte nach einer “finanziell abgesicherten langfristigen Perspektive: Der Digitalpakt Zwei muss jetzt aufgesetzt werden.” Der Digitalisierungsstau müsse “bis zum Beginn des nächsten Schuljahres” aufgelöst werden, indem alle Schulen ans schnelle Internet angebunden würden. Normalerweise sind sich GEW und Lehrerverband nicht so einig.
Die Vorsitzende des “Deutschen Philologenverbandes“, Susanne Lin-Klitzing, erwartet von den Kultusministern der Länder, “dass sie schlicht und ergreifend mindestens die, ‘Basics’ für den ganz normalen Unterricht im nächsten Schuljahr sichern”. Sie forderte zudem “einen standardisierten Datenschutz für alle Schulen in dieser Republik” – damit dies nicht mehr unsachgemäß der einzelnen Schule und ihren Lehrkräften überlassen bleibe. Der Bundesvorsitzende des Realschullehrerverbandes, Jürgen Böhm, sagte, “die rechtlichen und strukturellen Unsicherheiten in Bezug auf das digitale Arbeiten und auf Kommunikations- und Lernplattformen” müssten schnellstmöglich behoben werden. Er forderte ein eigenständiges Fach “Grundlagen der Digitalisierung”. “Digitale Aufklärung” beinhalte auch politische Bildung und die Auseinandersetzung der Schüler mit den Möglichkeiten und Gefahren einer digitalen Welt.
Am weitesten aber geht Simone Fleischmann, die Präsidentin des Lehrkräfteverbandes in Bayern. Sie will, dass Schulminister Piazolo ein Logbuch vorlegt, das verschiedene mögliche Szenarien definiert. Darin müsse er für Schulleitungen und Lehrerschaft beschreiben, welche unterrichtlichen und dienstlichen Konsequenzen für das bevorstehende Schuljahr sie haben. Die Szenarien reichen von vollem Präsenzunterricht über verschiedene hybride Formate bis hin zu Distanzunterricht, falls die Pandemie erneut außer Kontrolle gerät. Hintergrund ist, dass Bayerns Kultusminister bislang weder eine Schülerprognose für 2021/22 vorgelegt hat noch eine sogenannte Lehrerbedarfsprognose. Sie gibt darüber Auskunft, ob und in welchen Schulformen Lehrermangel herrscht. Üblicherweise wird diese Prognose in Bayern sehr akkurat geführt, dieses Jahr ist das bisher ausgeblieben. Der BLLV hat ein Mangel von über 600 Vollzeitstellen errechnet, die Verband rechnet mit Lehrerengpässen vor allem in den Mittel- und den Förderschulen. Die Präsidentin sagte auf Nachfrage, dass ein mögliches Einsparen von Lehrerstellen oder Nichteinstellen von Lehrern wegen digitaler Lernformate der falsche Weg wäre. “Alle digitalen Tools, wie Lernmanagementsysteme oder Lehrvideos, sind nur ergänzend, nicht ersetzend zu verstehen.” red
Es ist eine Wachablösung. Marlis Tepe, seit acht Jahren an der Spitze der Lehrergewerkschaft GEW, stellt sich nicht mehr zur Wiederwahl. Sie gibt den Topp-Job der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft an eine andere Frau ab. Maike Finnern, Jahrgang 1968, stellt sich morgen auf dem virtuellen Gewerkschaftstag in Leipzig zur Wahl. Da es keine Gegenkandidaten gibt, wird die Lehrerin für Deutsch und Mathematik die neue starke Frau in der GEW. Finnern hat große gewerkschaftliche Erfahrung im bevölkerungsreichsten Bundesland gesammelt. Sie ist seit 2012 Mitglied des Hauptpersonalrats Realschulen beim Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW. Mit an der Spitze der GEW in Nordrhein-Westfalen steht sie seit 2013, als sie erstmals stellvertretende Vorsitzende wurde. Als Bundesvorsitzende möchte Maike Finnern sich unter anderem für “eine auskömmliche Bildungsfinanzierung und gleiche Bildungschancen” einsetzen.
Finnern hat sich im Bezug auf digitale Medien einen Namen gemacht, als sie in die Krise des Videokonferenzsystems für Schulen eingriff. “Sicherheitslücken darf es in dem neuen Videotool des Landes NRW nicht geben”, sagte sie. Das System wird von Logineo NRW Messenger aus betrieben und wies Anfang des Jahres wochenlang schwere Konstruktionsfehler auf. Weder gab es eine zusätzliche Authentifizierung noch einen Warteraum. Das bedeutet, nicht nur Schüler konnten, sofern sie den Link zur Videokonferenz vorliegen hatten, direkt in den virtuellen Klassenraum eintreten. Der Link blieb zudem auch nach Beendigung der digitalen Schulstunde noch aktiv. Auch Fremde konnten also, wenn sie sich den Zugang auf einer der Linkbörsen wie der Sprach- und Textchat-Plattform Discord besorgt hatten, den Unterricht beobachten oder ihn stören – oder auch in der Videokonferenz mit Schülern verharren. Anfang des Jahres war es vielfach zum Missbrauch von Videokonferenzen gekommen. Finnern reagierte entschieden auf die Lücke: “Es kann nicht sein, dass Unbefugte Konferenzen kapern und nach Beendigung der Konferenz durch die Lehrkraft noch verweilen können. Das Schulministerium ist in der Pflicht, für maximale Sicherheit zu sorgen”, forderte die NRW-Vorsitzende der GEW. Eltern, Lehrkräfte und Schüler:innen müssten sich darauf verlassen können, “dass ihnen ein offizielles Videosystem des Landes einen gesicherten Raum zum Lernen bietet.”
Die 52-Jährige führte das Problem, das von den halb staatlichen, halb privaten Betreibern trotz Warnrufen von Lehrern wochenlang nicht behoben wurde, aber nicht allein auf das neue Videotool zurück. Sie erkannte ein generelles Problem der Digitalisierung der Schulen: “Wir sehen jetzt leider, dass in den letzten Jahren zu wenig in gute und sichere Lernmanagementsysteme investiert worden ist. Wir müssen da schnell aufholen.” red
Die jüngste Studie zur digitalen Ausstattung von Schulen der Universität Göttingen wurde allgemein als Bilanz des Scheiterns gewertet. Dabei zeigt die Untersuchung zur “Digitalisierung im Schulsystem”, wie groß die Fortschritte sind, die Schulen bei Lernmanagementsystemen, Clouds und dem Einsatz digitaler Medien erzielt haben. Die beiden Forscher der Georg-August-Universität Göttingen, Frank Mußmann und Thomas Hardwig, reihen viele neue Spitzenwerte aneinander. Drei Viertel der Schulen sind demnach an eine Cloud angebunden. Das bestätigt Befunde, nach denen die Nutzung von Schulclouds in Deutschland vergangenes Jahr schneller wuchs als die von TikTok.
Vor allem im Vergleich zur berühmten ICIL-Studie aus dem Jahr 2018, die oft noch als aktueller Stand der Digitalisierung zitiert wird, sieht man, wie groß die Sprünge sind. Bei ICIL gaben 88 Prozent der Lehrkräfte an, im Unterricht nie ein Lernmanagementsystem zu nutzen. Im März 2020 waren es 63 Prozent, im Februar 2021 noch 42 Prozent. Damit stehen deutsche Lehrerinnen und Lehrer heute besser da, als die Lehrkräfte international in der ICIL-Studie. Die Autoren der Studie verbuchen das als “Digitalisierungsschub durch die Corona-Pandemie”.
Für diesen Sprung nach vorn gibt es zahlreiche Belege in dem Papier: 68 Prozent der befragten 2.500 Lehrkräfte gaben an, jeden Tag digitale Medien in der Schule einzusetzen – eine Verdreifachung im Vergleich zu 2018. Im März 2020 gaben 18 Prozent der Lehrkräfte an, Schülern Feedback über digitale Technologien zu geben; 2021 waren es 77 Prozent – eine Vervierfachung binnen eines Jahres. 2020 sagte ein Viertel der Lehrer, es gebe eine digitale Strategie an ihrer Schule, wenige Monate später waren es 60 Prozent. Die große Frage wird nun sein, was mit diesen Nutzungswerten geschieht, wenn die Schulen in Präsenzunterricht zurückkehren. Die Studie von Mußmann und Hardwig im Auftrag der GEW zeigt aber auch, wie die Länder als Arbeitgeber mit ihren Lehrern umgegangen sind. 95 Prozent von ihnen sagten, sie nutzten meistens nur private Endgeräte für ihre Arbeit in der Schule. red
Vor vier Wochen hat sich in Deutschland die “Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter” gegründet. Gestern erfolgte der Startschuss für eine solche EdTech-Lobby auch auf europäischer Ebene. Nicht unwesentlich auf deutsches Betreiben hin hat sich die “European EdTech Alliance“ selbst aus der Taufe gehoben. 1.500 Unternehmen europaweit vertritt die neue Organisation nach eigenen Angaben. “Das Ziel eines verbesserten EdTech-Ökosystems ist es, eine bessere Qualität, ganzheitlichere und leichter zugängliche Bildung für alle zu schaffen”, heißt es in der Mitteilung.
Der Impuls zielt sicher nicht nur auf Bildung und aufs Ökosystem, sondern auf Ökonomie und Eintritt in den komplexen Bildungsmarkt. In Deutschland haben die Startups immer noch das Problem, dass man sich in Fachkreisen erzählt, sie bekämen die Nachhilfe-Milliarde des Bundes quasi exklusiv – nur weil jüngst vier von ihnen mit der Kanzlerin in einer Videokonferenz saßen. In Wahrheit aber leiden viele EdTechs darunter, dass eine echte Förderung oder auch nur eine staatliche Nachfrage für digitale Bildungsangebote bisher praktisch nicht existiert.
Die deutschen Initiatoren berichteten Bildung.Table, was die EdTech Alliance will. Es gehe darum, “starke und repräsentative Stimmen auf europäischer Ebene bei der Entwicklung von Politiken und Standards zu haben”, sagte die Geschäftsführerin des “Bündnis für Bildung” (BfB), Beth Havinga. Im BfB befinden sich große und kleine Bildungsunternehmen, aber auch staatliche Gebietskörperschaften. Die EdTech-Lobby wird wohl spitzer und schlagfertiger sein wollen – so wie die digitalen Bildungsanbieter etwa keine Schulbuchverlage aufnehmen. Auch Tobias Himmerich von “Eduvation”, das Bildungs-Startups berät und Pitches veranstaltet, hat mitgegründet. “Wir haben viele EdTech-Startups, die in das europäische Ausland expandieren wollen”, sagte er. “Hier benötigen wir die passenden Partner, die das lokale Ökosystem kennen und Startups beim Markteintritt unterstützen können.” Blitzschnell wird das nicht gehen. Das sieht man an den deutschen EdTechs, die mit den Bildungsministern an einen Runden Tisch wollten – aber bis heute keine Einladung dazu bekommen haben. (Siehe Analyse “Nachhilfe-Milliarde stopft Etatlöcher“) red
Task Cards kann man sich wie eine strukturierte digitale Pinnwand oder auch ein Aufgabenheft vorstellen. Eine solche Übersicht erleichtert die Organisation des Lernens im Unterricht – sowohl für Lehrer:innen als auch für Schüler:innen. Man kann zum Beispiel aus Task Cards Wochenpläne bauen mit jenen Aufgaben, die Lernende erledigen sollen. Oder man bietet es Schülern an, damit sie ihre Projekte planen oder ihre Portfolios mit Task Cards zusammenstellen. Im Idealfall steuern sie damit selbstständig ihren Lern- bzw. Forschungsprozess.
Es läuft im Browser, das heißt, dass die Lehrkraft nur die Basis-Ausstattung braucht: Endgerät, Wlan, Zugang zum Netz. Das ist wichtig, damit sich die Oberfläche jederzeit synchronisiert und damit alle Einträge stets für alle Teilgeber einsichtig sind. Für Schüler gilt das gleiche: Endgerät und Synchronisation im Browser. Das Tool läuft auch sehr gut auf Handy oder Tablet. Der große Vorteil von Task Cards: Es ist, anders als Padlet, ein deutsches Produkt. Das bedeutet, dass sich das Grundproblem, wegen des US-Cloudacts Schüler-Daten im Ernstfall herausgeben zu müssen, nicht stellt.
Es bleibt auf jeden Fall ein gutes Tool, auch wenn es zurück in den Klassenraum geht. Selbstorganisiertes Lernen im Präsenzunterricht lässt sich, egal ob allein oder in Gruppen, mit dem Tool viel besser visualisieren und festhalten. Es hilft der Lehrkraft, vom Frontalsetting wegzukommen, in dem alle das gleiche zur gleichen Zeit lernen. Konkret: der Lehrer kann die Aufgabenstellung und Bearbeitung jederzeit begleiten. Er kann verschiedene Niveaus der Bearbeitung angeben – und gegebenenfalls auch Lösungen zur Verfügung stellen.
Ich habe tolle Erfahrungen mit Task Cards gemacht, wenn ich Schüler:innen habe kollaborativ mitarbeiten lassen. Gleichzeitig können sie jederzeit sehr selbstgesteuert weiter voranschreiten. Das geht, wenn sie sich über ein Thema, das sie auf einer Task-Karte sehen, vorab informieren. Danach können sie – wieder in Task Cards – Thesen sammeln. Das sind gute Diskussions-Anlässe, um ins Gespräch zu kommen. Dabei ist jederzeit für jeden sichtbar, wo man sich gerade befindet. Das bedeutet, man kann zum Beispiel nur dort noch mal den Faden aufgreifen, wo es spannende Stellen gibt und interessante Kontroversen entstanden sind. Unterrichtsgespräche werden auf diese Weise zugleich tiefer und effektiver.
Task Cards ist noch nicht zu Ende entwickelt. Der Export ganzer Pinnwände oder einzelner Karten ist im Moment nicht unfallfrei möglich.
Eine Einschätzung der Bildung.Table-Redaktion: Gegenwärtig befindet sich die Software Task Cards in der Betaphase. “Während der Betaphase ist die Verwendung von Task Cards kostenlos” gibt der Entwickler auf seiner Website an. Die fertige Software wird Geld kosten, die Entwickler geben die ungefähren Kosten von Task Card aktuell mit 5 Euro pro Monat pro Benutzer:in an, wobei nur Lehrer:innen eine Lizenz brauchen. Schüler können ohne Lizenz und Account auf Pinnwände zugreifen. Die Konkurrenz-Software Padlet verkauft ihre Lizenzen für Schulen im 500er-Paket für 2000 Euro, bietet allerdings bereits im Gratis-Modus viel Funktionalität.
Task Cards setzt dabei auf einen höheren Datenschutzstandard und speichert seine Daten im Gegensatz zur US-Konkurrent nur auf deutschen Servern. “Aktuell entspricht die Plattform ausnahmslos den Vorgaben der DSGVO” gibt der Entwickler an. Auf zukünftige Änderungen von Gesetzen und Vorgaben wolle man reagieren, um bedenkenloses Nutzen der Software gewährleisten zu können. ee
“Mebis” ist ein Akronym für “Medien Bildung Service”, eine bayerische Lernplattform – und eine Skandalnudel. Im vergangenen Schuljahr machte Mebis dadurch Furore, dass das Portal öfter ausfiel. Und zwar dann, wenn man es dringend brauchte – zum Beispiel bei den Schulschließungen vor Weihnachten. Plötzlich aber erzählt man sich über Mebis in Bayern eine Geschichte, die sich wie ein Märchen anhört. Denn seit Katarina Blind sich Mebis angenommen hat, fallen ganz andere Vokabeln: schön, intuitiv, leicht nutzbar. Am bezauberndsten an dieser – wahren – Geschichte ist, dass Katarina keine routinierte IT-Fachfrau ist – sondern eine Schülerin. In den nächsten Tagen bekommt die 18-Jährige ihr Abiturzeugnis ausgehändigt. Katarina hat das Lernmanagementsystem Mebis aufgemotzt – während der großen Prüfung ihrer Schulzeit.
Die in München geborene Gymnasiastin steht für eine andere, eine digitale Welt. Der glücklose bayerische Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) fiel dadurch auf, dass er versuchte, mit bürokratischer Gründlichkeit und ungelenken Rechtfertigungen Mebis zum Laufen zu bringen. Die Abiturientin hingegen formt Sätze, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen. “Man sollte eine Software benutzen können, ohne irgendwas zu wissen”, sagt sie. Über ihre Motivation berichtet die junge Designerin: “Die Priorität meiner Arbeit liegt auf ‘leicht nutzbar’. Es ist mir wichtig, dass es schön aussieht – aber das Wichtigste dabei ist, dass man es gut nutzen kann.” Über ihre Generation sagt sie: “Wenn jene, die täglich Apps nutzen, Mebis nicht verstehen, dann muss da was falsch sein.” Und was hat sie bewogen, sich statt mit TikTok mit einem Lernmanagementsystem auseinander zu setzen? “Im April letzten Jahres hatte ich angefangen, mich mit Mebis zu befassen. Als ich meine Skizzen im Januar wieder durchsah, dachte ich mir: ‘Dieses Mebis muss ich neu machen. So kann das nicht bleiben.’”
Nun muss man sagen, dass es ein bisschen unfair wäre, die Leichtigkeit einer Abiturientin mit der Bürde eines Ministers in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Was die Holzkirchener Gymnasiastin gebaut hat, ist kein fertiges neues Lernmanagementsystem (LMS). Katarina hat ein Konzeptdesign gemacht, einen low fidelity prototype. Das heißt, es existiert noch kein nutzbares LMS. “Da kann man natürlich noch nichts reinladen, das müsste man wirklich erst umsetzen”, sagt sie. Aber wer sich auf Katarinas Website durch ihre Studie klickt, bekommt eine Ahnung davon, wie sich eine Schulcloud anfühlen könnte, die Spaß macht.
Bisher hatte man nicht das Gefühl, dass es so etwas häufig gibt. Im Jahr 2020 fiel Mebis an 20 Tagen ganz oder teilweise aus. Es ist eigentlich ungerecht, nur über diese Tage zu sprechen, denn Mebis ist das LMS mit der größten Reichweite in Deutschland – potenziell eine Million Lernende und Lehrende können darauf zugreifen. Allerdings stotterte Mebis eben vier Tage zur Schulschließung im März und dann erneute bei der zweiten kurz vor Weihnachten. Das war – in der öffentlichen Meinung – das Todesurteil für Mebis. Ganz egal, ob das Lernportal Zuwächse in der Nutzung von fantastischen 7.400 Prozent zählte. Lästerten die Journalisten zuvor über den vergleichsweise winzigen “Lernraum Berlin”, trug plötzlich der Dauer-Pisasieger Bayern die rote Laterne. Minister Piazolo soll kurz vor der Ablösung gestanden haben. Immerhin soll die neue, 80 Millionen teure, “Bayern Cloud Schule” auf Mebis aufbauen.
Katarinas Berichte können Bildungs- und Digitalpolitiker beschämen. “Ich war schon vorher von der digitalen Seite des deutschen Schulsystems enttäuscht“, sagt sie. “Als ich aber in Kanada gesehen habe, wie gut man’s wirklich machen kann, war Mebis für mich praktisch gestorben”. Die zehnte Klasse verbrachte Blind in einer Highschool am Ontariosee. Dort bekam sie mit, was Workflow heißt, wenn alle Schüler und Lehrer eine Plattform nutzen, auf der sie gemeinsam an Dokumenten arbeiten, über ein integriertes Messenger-System kommunizieren und alle einen Mail-Account haben.
Das Urteil der Schülerin über Mebis ist vernichtend. Und dabei ist Mebis das am besten gepflegte LMS Deutschlands. “Mein inneres Gefühl hat mir schon immer gesagt, dass Mebis einfach viel zu kompliziert ist”, sagt Katarina Blind, die das System in der Schule nutzte, ohne es wirklich zu nutzen. Weil nur wenige Lehrer es anwendeten. Und weil sie immer wieder an den einfachsten Dingen scheiterte: Sie wusste nicht, wo sie sich einloggen sollte. Sie moniert das, was nicht wenige Lehrer an Mebis gut finden, als entscheidendes Problem: seine Komplexität. “In der Lernplattform gibt es so viele verschiedene Schichten, dass es mich verwirrt”, berichtet die Schülerin. “Mir ist ganz oft passiert, dass jemand zu mir sagte: ‘Du, ich hab’s auf Mebis hochgeladen.‘ Dann war ich auf Mebis – und ich hab’s erst mal nicht gefunden.” Das wahrscheinlich stichhaltigste Argument der angehenden Absolventin ist dieses: “Meine Altersgruppe ist sehr technikaffin. Wir haben ein gutes Gefühl dafür, wie man digitale Tools benutzt. Wenn meine Mitschüler nicht rausfinden, wie man Mebis benutzen kann, dann ist das ein dickes rotes Ausrufezeichen! Das bedeutet gleichzeitig, dass diejenigen abgehängt werden, die oft gar nicht Bescheid wissen – die Lehrer.
Katarina Blind wird ihre Schule demnächst verlassen. Und wohl auch Bayern. Sie hat viel Zeit in Mebis investiert, aber noch mehr in die Suche nach einem Studienplatz. Sie will nach Finnland, und wenn sie dort nicht genommen wird, hat sie sich eine zweite Studien-Variante in den Niederlanden gesucht. Vielleicht wäre es gut, die begeisternde Designerin nach ihren Erfahrungen und ihren Prinzipien des user experience design zu befragen. Einen Anruf von Michael Piazolo hat sie bisher nicht bekommen. Christian Füller
10.06.2021, 16:00-17:00 Uhr
Community Call: Lehrkräftefortbildung – Formate und Zukunftsorientierung
Voraussetzung für gute Lehr-Lern-Settings und bestmögliche Lernfortschritte ist eine hochwertige Lehrkräfteaus- und fortbildung. Daniela Rzejak und Tobias Düttmann Mehr Infos & Anmeldung
14.-15.06.2021
Fachtagung: Dimension Digitalisierung – Schulleitungen stärken
Das Kernteam der Digitalisierung von Bildung trifft sich kommende Woche virtuell in Berlin: Referenten der Pädagogischen Landesinstitute und Kultusministerien sowie der Zivilgesellschaft wollen zwei Tage lang überlegen, wie man Leitungen bei der digitalen Schulentwicklung unterstützen kann. Mehr
19.06.2021, 14:00-17:30 Uhr
Online-Barcamp: Zeitgemäße Prüfungskultur
“Weil Prüfungen die Lernkultur prägen, soll dieses Online-Barcamp helfen und unterstützen, die Prüfungskultur zu verändern und zu prägen”, schreibt das Berliner Institut für zeitgemäße Prüfungskultur. Mehr Infos & Anmeldung
seien Sie willkommen am Bildung.Table! Auf diesen Sommer kommt es an. Wie gut vorbereitet beginnen wir nach den Sommerferien das neue Schuljahr? Was gilt es, wirklich aufzuholen? Was haben wir im digitalen Corona-Jahr vielleicht sogar gelernt? Die Bildungsrepublik hat nach den bitteren Lektionen der Pandemie keine Zeit zu verschenken.
Das gilt auch für Bildung.Table. In normalen Zeiten würde niemand eine neue Publikation für die entscheidenden Köpfe des Bildungssektors vor den großen Ferien starten. Aber die Zeiten sind nicht normal – und deswegen fangen wir jetzt an. Wir wollen den Sommer nutzen – zusammen mit Ihnen.
Hinter Bildung.Table steht ein Team um den erfahrenen Bildungs-Journalisten Christian Füller. Sie kennen ihn als “Pisaversteher” und Autor von Süddeutscher Zeitung bis FAZ und Kommentator bei Phoenix und Deutschlandfunk.
Bildung.Table ist Nachrichtenquelle und Orientierungshilfe, Ideenbörse und Praxisforum in einem. Wir wollen ein Forum für die pädagogische Transformation schaffen, die durch die Digitalisierung angestoßen wird. Wir schreiben für Praktiker in Schulen und bei Schulträgern, wir porträtieren Startups, Bildungsunternehmen und Lerninitiativen, wir wenden uns an Ministerien und die Konferenz der Kultusminister.
Bildung.Table erscheint immer mittwochs, Sie finden uns morgens um sechs Uhr in Ihrem Mail-Postfach. Zum Start erwartet Sie eine außergewöhnliche Woche: Vor uns liegt der große Schul-Hackathon “Wir für Schule”, den Verena Pausder und Max Maendler initiiert haben. Mehrere tausend Kreative wollen vom 14. bis zum 18. Juni neue Ideen für die Bildungsrepublik entwickeln. Bildung.Table hat für diese erste Ausgabe mit den Initiatoren des Hackathons gesprochen und wird den Machern in der kommenden Woche täglich über die Schulter schauen.
In dieser ersten Ausgabe geht Christian Füller der Frage nach, ob die Milliarde Euro, mit der die Bundesregierung helfen will, den Lernrückstand der Pandemie-Schulmonate aufzuholen, auch dort ankommt, wo sie hingehört. Oder versickert sie in den Etats der 16 Bundesländer? Erfahren Sie außerdem, welche Forderungen die Lehrerverbände an die Bildungspolitiker haben und wer zur neuen Chefin der Lehrergewerkschaft GEW gewählt werden soll.
Wir laden Sie herzlich ein, als unsere Gäste und gerne als Teilgebende diesen wichtigen Sommer mit uns gemeinsam zu verbringen. Lassen Sie uns so gut in das nächste Schuljahr starten, wie eben möglich.
Die von vielen Eltern, Forschern und Bildungsministern als so wichtig erachtete Nachhilfe-Milliarde des Bundes verfehlt offenbar ihr Ziel. Die Mittel fließen direkt in die Kassen der Länderfinanzminister. In welche Projekte das Geld investiert wird – Straßenbau, Polizeiuniformen oder Sommerschulen – ist dann allein Sache der 16 Bundesländer. Das bedeutet: Das Aufhol-Paket stopft nicht Lernlücken bei Schülerinnen und Schülern, sondern Haushaltslöcher der Länder.
Der Grund dafür: Die Milliarde kommt nicht aus dem Etat der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), sondern in Form von Umsatzsteuer-Anteilen direkt als Einnahme in die Länder-Haushalte. Damit hat die Bildungsministerin keinen Einfluss mehr auf die Verwendung dieser Mittel. Darüber befinden allein die Haushaltsgesetzgeber der Länder und der jeweilige Finanzminister. Das bestätigte ein Sprecher der Bundesregierung Bildung.Table. Es gebe allenfalls eine politische Bindewirkung. Juristisch gebe es keinerlei Handhabe, das Geld für Nachhilfe oder Lernprojekte zu reservieren.
In den Reihen der Startups wurde die Nachricht gemischt aufgenommen. Stephan Bayer von der Video- und Lernplattform Sofatutor begrüßte die Freiheit, “die den Ländern in der Verwendung der Mittel aus dem Aufhol-Paket gegeben wird.“ So könnten heterogene Bedürfnisse der Bildungslandschaft adressiert werden. Schulen könnten das anfordern, was ihren Schülern wirklich hilft. Allerdings sagte Bayer auch: “Ich würde mich freuen, wenn die Milliarde ein echtes Mehr an Bildungsinvestitionen bedeutet. Da ist die Öffentlichkeit aufgerufen, wachsam zu sein.“ Lena Spak von der Lernplattform Scobees sagte Bildung.Table: “Im Zentrum stehen immer die Schülerinnen und Schüler, bei denen die Fördermilliarden am Ende auch ankommen sollten.“
Bundespolitiker hatten, als die Nachhilfemilliarde Anfang Mai verkündet wurde, den Eindruck erweckt, es könne eine Zweckbindung für das Bildungsgeld ausgehandelt werden. Damals hieß es in einer Presse-Mitteilung aus dem Hause von Anja Karliczek, “der Bund wird eine Vereinbarung mit den Ländern über den Einsatz der bereitgestellten Mittel über die Umsatzsteuerpunkte-Festbeträge schließen.” Darin seien auch Nachweispflichten über eigene Beiträge der Länder und den Mitteleinsatz enthalten. “In der Vereinbarung wird verbindlich festgeschrieben, für welche Zwecke die vom Bund zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel von den Ländern verwendet werden”, hieß es in der öffentlichen Verkündung – und das war falsch.
Nach Informationen von Bildung.Table ist es nämlich gar nicht möglich, über eine Verwaltungsvereinbarung Einfluss auf Steuereinnahmen der Länder zu nehmen. Es soll lediglich eine politische Vereinbarung geben, um die sich Karliczeks Beamte redlich bemühen, die aber keinerlei verpflichtende Wirkung entfallen kann. Das wissen alle. Im Ministerium zirkuliert ein Papier, in dem es heißt: “Wir als Bund nehmen keinerlei Einfluss. Das liegt… an der alleinigen Zuständigkeit der Länder, da wir uns im Kernbereich von Schule bewegen.” Dass eine solche Zweckbindung sinnvoll wäre, steht außer Frage. Auch der Bundestagsabgeordnete und Bildungspolitiker der CDU, Tankred Schipanski, sagte Bildung.Table dazu im Mai: “Die Nachhilfe-Milliarde ist wichtig, aber ich erwarte, dass der Bund nun klare Vorgaben macht, wie die Mittel von den Länderministern zugunsten der Schüler mit Corona-bedingten Lerndefiziten eingesetzt werden.”
Der Finanzexperte der FDP, Florian Toncar, kritisierte im Gespräch mit Bildung.Table: “Der Bund hat keine Möglichkeit zu kontrollieren, ob die Länder die Gelder entsprechend den vorher getroffenen Vereinbarungen verwenden.” Die FDP kritisiere diese Art der Finanzierung von Länderaufgaben durch den Bund. Besser seien Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt – die freilich bei Bildung laut Grundgesetz nicht möglich sind. “Durch den Umweg über das Finanzausgleichsgesetz und höhere Umsatzsteueranteile für die Länder beraubt sich der Bund dagegen jeder Kontrollmöglichkeit”, meinte Toncar.
Dass es dem Bund verwehrt ist, Geld für Bildung auszugeben, war der Politik von Anfang an bekannt. Das sollte die Öffentlichkeit aber nicht sofort erfahren, als die damalige Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) und Anja Karliczek (CDU) ihre “Aufholen-nach-Corona”- Programme im Wert von zusammen zwei Milliarden Euro im Wahlkampfmodus verkündeten. Laut Verfassung sind für Schulausgaben ausschließlich die Länder zuständig. Um Karliczeks Nachhilfe-Paket hatten sich auch Startups und digitale Unternehmen beworben. Sie gründeten eine “Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter” (iddb) und boten in einem Offenen Brief an, gemeinsam mit Bund und Ländern einen Runden Tisch zu veranstalten. Dabei sollten die Bundesregierung und der Kreis der Kultusministerinnen und Kultusminister ihre Wünsche präsentieren – “und wir erläutern, wie wir hier kurzfristig unterstützen könnten”, wie es in dem Brief heißt.
Auch über den Umgang mit dieser Initiative gibt es einen Dissens zwischen Anja Karliczek und der Präsidentin der Konferenz der Kultusminister (KMK), Britta Ernst. Die Bildungsministerin von Brandenburg wollte einige der Vertreter der Digital-Initiative in eine Staatssekretärsrunde der KMK einladen. Als allerdings Karliczek öffentlich alle möglichen Bildungsanbieter zu einem Gespräch mit ihr und Britta Ernst bat, gab die KMK ihre Einladung gar nicht erst heraus – wegen Befindlichkeiten beim Protokoll. Es gehe nicht, hieß es bei der KMK, dass Bildungsministerin Karliczek ohne Absprache mit der politisch zuständigen KMK einen Runden Tisch verkünde. Im Bundesbildungsministerium nannte man das “albern”. Karliczek hatte neben digitalen Lernportalen auch Nachhilfe-Unternehmen wie den Studienkreis und Initiativen wie Teach First oder die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung an den Tisch holen wollen. Lena Spak von Scobees hofft, “dass es noch vor den Sommerferien zu einem Austausch zwischen der KMK und Vertretern der Bildungsinitiative iddb kommt und das Thema nicht einfach im Sommerloch verschwindet.” Inzwischen hätten sich über 50 Edtech-Startups, Bildungsorganisationen und Verbänden der Initiative angeschlossen.
Dass die Nachhilfe-Milliarde irgendwann in die Kassen der Länderfinanzminister fließt, bedeutet nicht, dass es keinerlei Nachhilfeangebote im Sommer geben wird. Fast alle Bundesländer planen eigene Sommerschulen, in denen meist am Anfang und am Ende der Ferien Lernangebote jenen Schülern bereitgestellt werden sollen, die das nötig haben oder die teilnehmen wollen. Allerdings wird die Milliarde nun mit höchster Wahrscheinlichkeit keine zusätzlichen Lerneinheiten bringen.
Frau Pausder, Herr Maendler. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Wo steht die Bildungsrepublik in der digitalen Bildung?
Verena Pausder: Auf jeden Fall halb voll. Deutschland hat sich jetzt flächendeckend mit digitalen Plattformen und Anwendungen beschäftigt. Hat man vor Corona gefragt, was ist eine Schulcloud, haben die wenigsten gewusst, was das ist. Jetzt sind Video-Konferenzen, Messenger und kollaborative Boards in aller Munde. Deswegen ist für mich das Glas halb voll. Aber es kann auch wieder in Richtung halb leer gehen.
Wie könnte das geschehen?
Dass wir in einem halben Jahr, wenn die Kinder alle in Präsenz in der Schule sind, sagen: “Jetzt ist alles wieder gut, alle Geräte zurück in die Technikkoffer, wir machen jetzt wieder alles wie vorher“.
Max Maendler: Es war ein großer Sprung nach vorne. Aber das war vielleicht auch nur einer von den vielen, die nötig sind, damit wir in ein halbwegs sinnvolles digitales Schulumfeld kommen.
Was fehlt da momentan noch?
Pausder: Das große Versprechen der Bildung in einer digitalen Welt ist die Individualisierung. Dass das Lernen wirklich persönlich auf die einzelnen Schüler zugeschnitten werden kann. Und das hat, sind wir ehrlich, noch gar nicht richtig angefangen. Wir waren bisher damit beschäftigt, die gigantischen Lücken der digitalen Infrastruktur zu schließen. Wir sind noch bei Schule 1.0: Wie nutze ich überhaupt eine Schulcloud? Wie geht die Videokonferenz so, dass alle den Startknopf finden? Das hat in meinen Augen mit echtem digitalem Lernen noch kaum etwas zu tun.
Wie kann man das ändern? Geht das evolutionär – oder nur disruptiv?
Maendler: Wir haben aktuell ein Schulsystem, das Veränderungen eher entgegenwirkt. Mit dieser Absicht ist es übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg ganz bewusst von den Alliierten aufgesetzt worden – als Notbremse gegen einen weiteren zentralen faschistischen Brainwash nach dem NS. Diese Geschichte und diesen Sinn dürfen wir nicht vergessen.
Aber Bildungsföderalismus und Corona, das ist eine eigene Geschichte. Schlimmer geht’s fast nicht.
Es ist nicht nur der Föderalismus. Es ist die Art der vielfach zersplitterten Schulträgerschaft. Es ist die Unfreiheit der Schulleiter:innen. Unser Bildungssystem ist in Wahrheit ein Bremssystem. Deswegen fürchte ich, dass es ein bisschen Disruption braucht. Wir müssen jetzt an dieses System ran. Es ist ja nicht so, dass das Thema mit Corona um die Ecke gekommen ist. Wenn wir diesmal keinen Erfolg haben beim Umbau, dann werden wir unseren Kindern nicht mehr gerecht.
Pausder: Wenn wir heute das Schulsystem auf der grünen Wiese so aufsetzen würden, dass es mit der Zukunft kompatibel ist, dann würden wir es ganz sicher nicht so bauen, wie es gerade ist.
Was meinen Sie damit?
Dass ein Schulleiter seine eigene Lehrerschaft nicht einstellen darf. Dass im Schulsystem jemand anderes für die Ausstattung zuständig ist als für die Inhalte. Dass eine Schulleiterin zu wenig Autonomie und Freiheit hat, um eine funktionierende Organisation zu leiten. Dass die Klassen zu voll und der Lehrplan zu starr ist. All das würde man anders machen, wenn man es heute nochmal neu aufsetzt.
Gewiss gab es durch Corona Verwerfungen in der Schule. Aber haben Sie schon einmal so viel schulischen Aufbruch erlebt wie seit dem 16. März 2020?
Maendler: Das ist richtig – und zugleich widersprüchlich. Was da alles Tolles passiert ist, ist nicht durch das System entstanden, sondern trotz und oft gegen es. Da stellt sich doch die Frage: Willst du so viel Energie verreiben im Kampf gegen das System, um Gutes zu schaffen? Oder gehen wir mal an das Schulsystem selbst ran?
Pausder: Zum Beispiel das Einstimmigkeitsprinzip in der Kultusministerkonferenz. Es ist einfach nicht zeitgemäß, dass alle am Tisch “Ja” sagen müssen, damit etwas passiert.
Nur leben in diesem System elf Millionen Schülerinnen und Schüler, es entlässt jedes Jahr Hunderttausende Absolventen. Die – und ihre Eltern – wollen natürlich am Schluss Prüfungen, Noten und Zeugnisse. Einfach einreißen – geht das wirklich?
Maendler: Stimmt, das ist ein unfassbar dickes Brett. Deswegen haben wir uns gesagt, dass nicht wir eine Abrissbirne schwingen, sondern dass es eine ganz breite Initiative wird, die sehr gründlich darüber nachdenkt, was wo passieren soll. Wir haben einen aufwändigen Prozess organisiert, einen partizipativen, demokratischen, gesamtgesellschaftlichen Ansatz, der für jedermann offen ist.
Das ist keine Garantie dafür, dass Politik überzeugt werden kann.
Pausder: Wir sind viele. Wir sind divers. Wir sind offen. Da müssten die Schulministerinnen eigentlich zuhören.
Maendler: Sie sind sogar dabei. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und die KMK-Präsidentin Britta Ernst eröffnen den Hackathon. Sie nehmen sich die Zeit, da wird keine Video-Botschaft gesendet, da ist nichts gescripted. Ist das eine Garantie, dass hinterher davon was umgesetzt wird? Nein! Aber es ist genau das, was wir wollen: Verschiedene Akteurinnen zusammen bringen. Das war in unserem Zukunftsrat…
… eine repräsentativ ausgewählte Versammlung von Bürgern…
… genau. Da gab es extrem divergierende Debatten um das Curriculum für das 21. Jahrhundert. Es war nicht einfach, die zusammenzuhalten.
Welche Rolle spielt Ihr Hackathon in der pädagogischen Transformation?
Pausder: Es ist in meinen Augen kein Kleinhacken, sondern ein Aushecken von etwas Neuem. Wir wollen das gemeinsam entwickeln, sodass die Politik was damit anfangen kann. Evolutionär wäre, wenn jeder in seiner isolierten Blase was entwickelt: der Elternrat, die Lehrer-Gewerkschaften oder die Initiative der digitalen Bildungsanbieter.
Maendler: Mir ist das Wort evolutionär zu klein. Wir müssen uns im Klaren sein, dass auch was wegmuss. Wenn man etwas neu gestalten will, muss man vorher Platz schaffen. Das gilt auch fürs Schulsystem. Wenn du immer neue Sachen drauf packst, irgendwelche Projekte machst, ohne was rauszuräumen, dann gehen diese Projekte immer wieder kaputt. Das bedeutet, wir müssen an die Inhalte ran. Im Lehrplan sind einfach viele Dinge drin, die vielleicht auch aus der Zeit gefallen sind. Wir müssen aber priorisieren. Das gilt fürs Notensystem. Das gilt für Prüfungen. Das gilt für viele andere Sachen. Deswegen reicht meines Erachtens ein neuer Anstrich nicht aus.
Worin bestehen die Änderungen bei diesem Hack gegenüber 2020?
Maendler: Letztes Jahr waren die Schulen praktisch über Nacht zu – und es gab keinen Kontakt mehr zu den Schüler:innen. Da ging es also darum, schnell technische Lösungen zu finden, damit die Schulen mit dieser komplett neuen Situation umgehen können. Im Hackathon sind tolle Sachen rausgekommen, ganz viel Vernetzung und Energie. Aber auch faszinierende Projekte, die bis heute mit tausenden von Nutzern in zig Schulen am Start sind…
Pausder: … zum Beispiel Digital Sparks. Das ist themenbasierter Unterricht. Schüler:innen bringen Themen ein, wie “KI und Diskriminierung” oder Umweltschutz – und dann wird darum herum Unterricht gemacht…
Maendler: … auch der Freiday hat ein Riesenschub bekommen. Genauso Naklario. Das sind tolle Projekte, aber alle diese Beispiele kämpfen sich jetzt am bestehenden System ab. Jeder, der sich für einen Freiday entscheidet, muss das gegen die Vorgaben des Systems machen. Und mit System meine ich eben nicht nur das, was in irgendwelchen Gesetzen steht.
Sondern?
Wenn zum Beispiel eine kleine Minderheit von Eltern sagt: “Aber, da geht ja jetzt Stoff verloren! Wir können diesen Freiday nicht machen”. Deswegen brauchen wir einen Wandel im Denken, glaube ich. Sonst kommen so tolle Projekte nicht durch. Das war der Grund, dieses Jahr zu sagen, wir wollen grundsätzlich nachdenken über das Schulsystem – und nicht nur eine kleine Lösung produzieren.
Pausder: Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Die Schultür vorne ist wegen der Überfüllung des Lehrplans zu. Gleichzeitig herrscht Lehrermangel. Wir haben also zu wenig Menschen, die den Schüler:innen zu viel beibringen sollen in zu kurzer Zeit. Und jetzt warten vor der Schule weitere Projekte wie z.B. Freiday oder Digital Sparks – aber die kommen noch nicht mal durch die Fronttür, weil’s so voll ist. Deswegen räumen wir mal ein paar Sachen raus aus der Schule. Wir eröffnen diesen Freiraum, damit überhaupt wieder Platz für die Zukunft im Schulsystem ist. So ein Freiday ist ja kein Selbstzweck, sondern die Möglichkeit zu sagen, jetzt widmen wir uns mal Dingen, für die sonst kein Platz ist. Die von Schülern mitbestimmt werden.
Es gibt immer wieder Kritik an Ihnen. Manches ist nur Mäkelei. Verbreitet ist der Vorhalt, dass “Wir Für Schule” ökonomische Bildungs-Initiativen bevorzugt. Ist da was dran? …
Im zweiten Teil des Gesprächs nehmen Verena Pausder und Max Maendler zu dem Vorwurf Stellung, dass “Wir für Schule” ökonomische Bildungs-Initiativen bevorzuge. Und sie machen einen ungewöhnlichen Vorschlag für den Sommer. Welchen, erfahren Sie im nächsten Bildung.Table am kommenden Montag.
Sie nennt es “Logbuch für das Schuljahr 2021”. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, hat die Landesregierung davor gewarnt, weiter mit freitäglichen Rundmails den Schulbetrieb zu steuern. Nach den Sommerferien müsse die Schulpolitik den Krisenmodus überwinden. Sie erwarte verlässliche Antworten auf eine Reihe ungelöster Probleme. Fleischmann nannte den gravierenden Lehrermangel, die Sicherheit von Lehrern wie Schülern sowie einen weiteren Ausbau der digitalen Grundausstattung. “Wir brauchen ein Logbuch 2021/22, das die möglichen Szenarien des kommenden Schuljahres auflistet und Lehrer:innen wie Schulleiter:innen unterstützt”, sagte Fleischmann.
Nicht nur in Bayern hat das hektische und zufällige Schulregime gerade Schulleiter zur Verzweiflung getrieben. Mit der ersten Schließung der Schulgebäude im März 2020 begann eine lange Phase sprunghaften Umgangs mit den Schulen. Während sich die Kultusministerinnen dafür rühmten, so gut wie nie in ihrer Geschichte seit 1947 zusammen gearbeitet zu haben, riss die Kritik aus Schulen und von Schulträgern nicht ab. Missbilligt wurde die Nicht-Einführung von Luftfiltern, verschleppte Testkonzepte und die langwierigen Verhandlungen um die Zusätze zum Digitalpakt Schule. “Wir wollen vor Ort nicht mehr der Prellbock für die politischen Entscheidungen sein: Lehrer und Schulleitungen werden angegriffen”, sagte Fleischmann. “Es reicht jetzt!” Mit Angriffen meinte die Präsidentin des BLLV Kritik von Eltern, die in der Schule adressiert wird, obwohl der Kultusminister gemeint sei. Es gebe aber auch physische Angriffe. Wegen der Schulpolitik sei es auch zu teils spontanen Demos von Eltern gekommen.
In einer Umfrage von Bildung.Table zeigen sich die großen Standesvertretungen der Lehrkräfte von GEW bis Deutschem Lehrerverband selten einmütig. Die – scheidende – Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marlis Tepe, nannte “Systemadministratoren für die digitale Bildung sehr wichtig”. Sie bemängelte, dass das entsprechende Programm des Bundes viel zu klein geraten sei. Tepe forderte Bund, Länder und Gemeinden zu einem zweiten Digitalpakt auf, “der die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland auch bei der Digitalisierung sichert.” Auch Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, verlangte nach einer “finanziell abgesicherten langfristigen Perspektive: Der Digitalpakt Zwei muss jetzt aufgesetzt werden.” Der Digitalisierungsstau müsse “bis zum Beginn des nächsten Schuljahres” aufgelöst werden, indem alle Schulen ans schnelle Internet angebunden würden. Normalerweise sind sich GEW und Lehrerverband nicht so einig.
Die Vorsitzende des “Deutschen Philologenverbandes“, Susanne Lin-Klitzing, erwartet von den Kultusministern der Länder, “dass sie schlicht und ergreifend mindestens die, ‘Basics’ für den ganz normalen Unterricht im nächsten Schuljahr sichern”. Sie forderte zudem “einen standardisierten Datenschutz für alle Schulen in dieser Republik” – damit dies nicht mehr unsachgemäß der einzelnen Schule und ihren Lehrkräften überlassen bleibe. Der Bundesvorsitzende des Realschullehrerverbandes, Jürgen Böhm, sagte, “die rechtlichen und strukturellen Unsicherheiten in Bezug auf das digitale Arbeiten und auf Kommunikations- und Lernplattformen” müssten schnellstmöglich behoben werden. Er forderte ein eigenständiges Fach “Grundlagen der Digitalisierung”. “Digitale Aufklärung” beinhalte auch politische Bildung und die Auseinandersetzung der Schüler mit den Möglichkeiten und Gefahren einer digitalen Welt.
Am weitesten aber geht Simone Fleischmann, die Präsidentin des Lehrkräfteverbandes in Bayern. Sie will, dass Schulminister Piazolo ein Logbuch vorlegt, das verschiedene mögliche Szenarien definiert. Darin müsse er für Schulleitungen und Lehrerschaft beschreiben, welche unterrichtlichen und dienstlichen Konsequenzen für das bevorstehende Schuljahr sie haben. Die Szenarien reichen von vollem Präsenzunterricht über verschiedene hybride Formate bis hin zu Distanzunterricht, falls die Pandemie erneut außer Kontrolle gerät. Hintergrund ist, dass Bayerns Kultusminister bislang weder eine Schülerprognose für 2021/22 vorgelegt hat noch eine sogenannte Lehrerbedarfsprognose. Sie gibt darüber Auskunft, ob und in welchen Schulformen Lehrermangel herrscht. Üblicherweise wird diese Prognose in Bayern sehr akkurat geführt, dieses Jahr ist das bisher ausgeblieben. Der BLLV hat ein Mangel von über 600 Vollzeitstellen errechnet, die Verband rechnet mit Lehrerengpässen vor allem in den Mittel- und den Förderschulen. Die Präsidentin sagte auf Nachfrage, dass ein mögliches Einsparen von Lehrerstellen oder Nichteinstellen von Lehrern wegen digitaler Lernformate der falsche Weg wäre. “Alle digitalen Tools, wie Lernmanagementsysteme oder Lehrvideos, sind nur ergänzend, nicht ersetzend zu verstehen.” red
Es ist eine Wachablösung. Marlis Tepe, seit acht Jahren an der Spitze der Lehrergewerkschaft GEW, stellt sich nicht mehr zur Wiederwahl. Sie gibt den Topp-Job der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft an eine andere Frau ab. Maike Finnern, Jahrgang 1968, stellt sich morgen auf dem virtuellen Gewerkschaftstag in Leipzig zur Wahl. Da es keine Gegenkandidaten gibt, wird die Lehrerin für Deutsch und Mathematik die neue starke Frau in der GEW. Finnern hat große gewerkschaftliche Erfahrung im bevölkerungsreichsten Bundesland gesammelt. Sie ist seit 2012 Mitglied des Hauptpersonalrats Realschulen beim Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW. Mit an der Spitze der GEW in Nordrhein-Westfalen steht sie seit 2013, als sie erstmals stellvertretende Vorsitzende wurde. Als Bundesvorsitzende möchte Maike Finnern sich unter anderem für “eine auskömmliche Bildungsfinanzierung und gleiche Bildungschancen” einsetzen.
Finnern hat sich im Bezug auf digitale Medien einen Namen gemacht, als sie in die Krise des Videokonferenzsystems für Schulen eingriff. “Sicherheitslücken darf es in dem neuen Videotool des Landes NRW nicht geben”, sagte sie. Das System wird von Logineo NRW Messenger aus betrieben und wies Anfang des Jahres wochenlang schwere Konstruktionsfehler auf. Weder gab es eine zusätzliche Authentifizierung noch einen Warteraum. Das bedeutet, nicht nur Schüler konnten, sofern sie den Link zur Videokonferenz vorliegen hatten, direkt in den virtuellen Klassenraum eintreten. Der Link blieb zudem auch nach Beendigung der digitalen Schulstunde noch aktiv. Auch Fremde konnten also, wenn sie sich den Zugang auf einer der Linkbörsen wie der Sprach- und Textchat-Plattform Discord besorgt hatten, den Unterricht beobachten oder ihn stören – oder auch in der Videokonferenz mit Schülern verharren. Anfang des Jahres war es vielfach zum Missbrauch von Videokonferenzen gekommen. Finnern reagierte entschieden auf die Lücke: “Es kann nicht sein, dass Unbefugte Konferenzen kapern und nach Beendigung der Konferenz durch die Lehrkraft noch verweilen können. Das Schulministerium ist in der Pflicht, für maximale Sicherheit zu sorgen”, forderte die NRW-Vorsitzende der GEW. Eltern, Lehrkräfte und Schüler:innen müssten sich darauf verlassen können, “dass ihnen ein offizielles Videosystem des Landes einen gesicherten Raum zum Lernen bietet.”
Die 52-Jährige führte das Problem, das von den halb staatlichen, halb privaten Betreibern trotz Warnrufen von Lehrern wochenlang nicht behoben wurde, aber nicht allein auf das neue Videotool zurück. Sie erkannte ein generelles Problem der Digitalisierung der Schulen: “Wir sehen jetzt leider, dass in den letzten Jahren zu wenig in gute und sichere Lernmanagementsysteme investiert worden ist. Wir müssen da schnell aufholen.” red
Die jüngste Studie zur digitalen Ausstattung von Schulen der Universität Göttingen wurde allgemein als Bilanz des Scheiterns gewertet. Dabei zeigt die Untersuchung zur “Digitalisierung im Schulsystem”, wie groß die Fortschritte sind, die Schulen bei Lernmanagementsystemen, Clouds und dem Einsatz digitaler Medien erzielt haben. Die beiden Forscher der Georg-August-Universität Göttingen, Frank Mußmann und Thomas Hardwig, reihen viele neue Spitzenwerte aneinander. Drei Viertel der Schulen sind demnach an eine Cloud angebunden. Das bestätigt Befunde, nach denen die Nutzung von Schulclouds in Deutschland vergangenes Jahr schneller wuchs als die von TikTok.
Vor allem im Vergleich zur berühmten ICIL-Studie aus dem Jahr 2018, die oft noch als aktueller Stand der Digitalisierung zitiert wird, sieht man, wie groß die Sprünge sind. Bei ICIL gaben 88 Prozent der Lehrkräfte an, im Unterricht nie ein Lernmanagementsystem zu nutzen. Im März 2020 waren es 63 Prozent, im Februar 2021 noch 42 Prozent. Damit stehen deutsche Lehrerinnen und Lehrer heute besser da, als die Lehrkräfte international in der ICIL-Studie. Die Autoren der Studie verbuchen das als “Digitalisierungsschub durch die Corona-Pandemie”.
Für diesen Sprung nach vorn gibt es zahlreiche Belege in dem Papier: 68 Prozent der befragten 2.500 Lehrkräfte gaben an, jeden Tag digitale Medien in der Schule einzusetzen – eine Verdreifachung im Vergleich zu 2018. Im März 2020 gaben 18 Prozent der Lehrkräfte an, Schülern Feedback über digitale Technologien zu geben; 2021 waren es 77 Prozent – eine Vervierfachung binnen eines Jahres. 2020 sagte ein Viertel der Lehrer, es gebe eine digitale Strategie an ihrer Schule, wenige Monate später waren es 60 Prozent. Die große Frage wird nun sein, was mit diesen Nutzungswerten geschieht, wenn die Schulen in Präsenzunterricht zurückkehren. Die Studie von Mußmann und Hardwig im Auftrag der GEW zeigt aber auch, wie die Länder als Arbeitgeber mit ihren Lehrern umgegangen sind. 95 Prozent von ihnen sagten, sie nutzten meistens nur private Endgeräte für ihre Arbeit in der Schule. red
Vor vier Wochen hat sich in Deutschland die “Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter” gegründet. Gestern erfolgte der Startschuss für eine solche EdTech-Lobby auch auf europäischer Ebene. Nicht unwesentlich auf deutsches Betreiben hin hat sich die “European EdTech Alliance“ selbst aus der Taufe gehoben. 1.500 Unternehmen europaweit vertritt die neue Organisation nach eigenen Angaben. “Das Ziel eines verbesserten EdTech-Ökosystems ist es, eine bessere Qualität, ganzheitlichere und leichter zugängliche Bildung für alle zu schaffen”, heißt es in der Mitteilung.
Der Impuls zielt sicher nicht nur auf Bildung und aufs Ökosystem, sondern auf Ökonomie und Eintritt in den komplexen Bildungsmarkt. In Deutschland haben die Startups immer noch das Problem, dass man sich in Fachkreisen erzählt, sie bekämen die Nachhilfe-Milliarde des Bundes quasi exklusiv – nur weil jüngst vier von ihnen mit der Kanzlerin in einer Videokonferenz saßen. In Wahrheit aber leiden viele EdTechs darunter, dass eine echte Förderung oder auch nur eine staatliche Nachfrage für digitale Bildungsangebote bisher praktisch nicht existiert.
Die deutschen Initiatoren berichteten Bildung.Table, was die EdTech Alliance will. Es gehe darum, “starke und repräsentative Stimmen auf europäischer Ebene bei der Entwicklung von Politiken und Standards zu haben”, sagte die Geschäftsführerin des “Bündnis für Bildung” (BfB), Beth Havinga. Im BfB befinden sich große und kleine Bildungsunternehmen, aber auch staatliche Gebietskörperschaften. Die EdTech-Lobby wird wohl spitzer und schlagfertiger sein wollen – so wie die digitalen Bildungsanbieter etwa keine Schulbuchverlage aufnehmen. Auch Tobias Himmerich von “Eduvation”, das Bildungs-Startups berät und Pitches veranstaltet, hat mitgegründet. “Wir haben viele EdTech-Startups, die in das europäische Ausland expandieren wollen”, sagte er. “Hier benötigen wir die passenden Partner, die das lokale Ökosystem kennen und Startups beim Markteintritt unterstützen können.” Blitzschnell wird das nicht gehen. Das sieht man an den deutschen EdTechs, die mit den Bildungsministern an einen Runden Tisch wollten – aber bis heute keine Einladung dazu bekommen haben. (Siehe Analyse “Nachhilfe-Milliarde stopft Etatlöcher“) red
Task Cards kann man sich wie eine strukturierte digitale Pinnwand oder auch ein Aufgabenheft vorstellen. Eine solche Übersicht erleichtert die Organisation des Lernens im Unterricht – sowohl für Lehrer:innen als auch für Schüler:innen. Man kann zum Beispiel aus Task Cards Wochenpläne bauen mit jenen Aufgaben, die Lernende erledigen sollen. Oder man bietet es Schülern an, damit sie ihre Projekte planen oder ihre Portfolios mit Task Cards zusammenstellen. Im Idealfall steuern sie damit selbstständig ihren Lern- bzw. Forschungsprozess.
Es läuft im Browser, das heißt, dass die Lehrkraft nur die Basis-Ausstattung braucht: Endgerät, Wlan, Zugang zum Netz. Das ist wichtig, damit sich die Oberfläche jederzeit synchronisiert und damit alle Einträge stets für alle Teilgeber einsichtig sind. Für Schüler gilt das gleiche: Endgerät und Synchronisation im Browser. Das Tool läuft auch sehr gut auf Handy oder Tablet. Der große Vorteil von Task Cards: Es ist, anders als Padlet, ein deutsches Produkt. Das bedeutet, dass sich das Grundproblem, wegen des US-Cloudacts Schüler-Daten im Ernstfall herausgeben zu müssen, nicht stellt.
Es bleibt auf jeden Fall ein gutes Tool, auch wenn es zurück in den Klassenraum geht. Selbstorganisiertes Lernen im Präsenzunterricht lässt sich, egal ob allein oder in Gruppen, mit dem Tool viel besser visualisieren und festhalten. Es hilft der Lehrkraft, vom Frontalsetting wegzukommen, in dem alle das gleiche zur gleichen Zeit lernen. Konkret: der Lehrer kann die Aufgabenstellung und Bearbeitung jederzeit begleiten. Er kann verschiedene Niveaus der Bearbeitung angeben – und gegebenenfalls auch Lösungen zur Verfügung stellen.
Ich habe tolle Erfahrungen mit Task Cards gemacht, wenn ich Schüler:innen habe kollaborativ mitarbeiten lassen. Gleichzeitig können sie jederzeit sehr selbstgesteuert weiter voranschreiten. Das geht, wenn sie sich über ein Thema, das sie auf einer Task-Karte sehen, vorab informieren. Danach können sie – wieder in Task Cards – Thesen sammeln. Das sind gute Diskussions-Anlässe, um ins Gespräch zu kommen. Dabei ist jederzeit für jeden sichtbar, wo man sich gerade befindet. Das bedeutet, man kann zum Beispiel nur dort noch mal den Faden aufgreifen, wo es spannende Stellen gibt und interessante Kontroversen entstanden sind. Unterrichtsgespräche werden auf diese Weise zugleich tiefer und effektiver.
Task Cards ist noch nicht zu Ende entwickelt. Der Export ganzer Pinnwände oder einzelner Karten ist im Moment nicht unfallfrei möglich.
Eine Einschätzung der Bildung.Table-Redaktion: Gegenwärtig befindet sich die Software Task Cards in der Betaphase. “Während der Betaphase ist die Verwendung von Task Cards kostenlos” gibt der Entwickler auf seiner Website an. Die fertige Software wird Geld kosten, die Entwickler geben die ungefähren Kosten von Task Card aktuell mit 5 Euro pro Monat pro Benutzer:in an, wobei nur Lehrer:innen eine Lizenz brauchen. Schüler können ohne Lizenz und Account auf Pinnwände zugreifen. Die Konkurrenz-Software Padlet verkauft ihre Lizenzen für Schulen im 500er-Paket für 2000 Euro, bietet allerdings bereits im Gratis-Modus viel Funktionalität.
Task Cards setzt dabei auf einen höheren Datenschutzstandard und speichert seine Daten im Gegensatz zur US-Konkurrent nur auf deutschen Servern. “Aktuell entspricht die Plattform ausnahmslos den Vorgaben der DSGVO” gibt der Entwickler an. Auf zukünftige Änderungen von Gesetzen und Vorgaben wolle man reagieren, um bedenkenloses Nutzen der Software gewährleisten zu können. ee
“Mebis” ist ein Akronym für “Medien Bildung Service”, eine bayerische Lernplattform – und eine Skandalnudel. Im vergangenen Schuljahr machte Mebis dadurch Furore, dass das Portal öfter ausfiel. Und zwar dann, wenn man es dringend brauchte – zum Beispiel bei den Schulschließungen vor Weihnachten. Plötzlich aber erzählt man sich über Mebis in Bayern eine Geschichte, die sich wie ein Märchen anhört. Denn seit Katarina Blind sich Mebis angenommen hat, fallen ganz andere Vokabeln: schön, intuitiv, leicht nutzbar. Am bezauberndsten an dieser – wahren – Geschichte ist, dass Katarina keine routinierte IT-Fachfrau ist – sondern eine Schülerin. In den nächsten Tagen bekommt die 18-Jährige ihr Abiturzeugnis ausgehändigt. Katarina hat das Lernmanagementsystem Mebis aufgemotzt – während der großen Prüfung ihrer Schulzeit.
Die in München geborene Gymnasiastin steht für eine andere, eine digitale Welt. Der glücklose bayerische Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) fiel dadurch auf, dass er versuchte, mit bürokratischer Gründlichkeit und ungelenken Rechtfertigungen Mebis zum Laufen zu bringen. Die Abiturientin hingegen formt Sätze, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen. “Man sollte eine Software benutzen können, ohne irgendwas zu wissen”, sagt sie. Über ihre Motivation berichtet die junge Designerin: “Die Priorität meiner Arbeit liegt auf ‘leicht nutzbar’. Es ist mir wichtig, dass es schön aussieht – aber das Wichtigste dabei ist, dass man es gut nutzen kann.” Über ihre Generation sagt sie: “Wenn jene, die täglich Apps nutzen, Mebis nicht verstehen, dann muss da was falsch sein.” Und was hat sie bewogen, sich statt mit TikTok mit einem Lernmanagementsystem auseinander zu setzen? “Im April letzten Jahres hatte ich angefangen, mich mit Mebis zu befassen. Als ich meine Skizzen im Januar wieder durchsah, dachte ich mir: ‘Dieses Mebis muss ich neu machen. So kann das nicht bleiben.’”
Nun muss man sagen, dass es ein bisschen unfair wäre, die Leichtigkeit einer Abiturientin mit der Bürde eines Ministers in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Was die Holzkirchener Gymnasiastin gebaut hat, ist kein fertiges neues Lernmanagementsystem (LMS). Katarina hat ein Konzeptdesign gemacht, einen low fidelity prototype. Das heißt, es existiert noch kein nutzbares LMS. “Da kann man natürlich noch nichts reinladen, das müsste man wirklich erst umsetzen”, sagt sie. Aber wer sich auf Katarinas Website durch ihre Studie klickt, bekommt eine Ahnung davon, wie sich eine Schulcloud anfühlen könnte, die Spaß macht.
Bisher hatte man nicht das Gefühl, dass es so etwas häufig gibt. Im Jahr 2020 fiel Mebis an 20 Tagen ganz oder teilweise aus. Es ist eigentlich ungerecht, nur über diese Tage zu sprechen, denn Mebis ist das LMS mit der größten Reichweite in Deutschland – potenziell eine Million Lernende und Lehrende können darauf zugreifen. Allerdings stotterte Mebis eben vier Tage zur Schulschließung im März und dann erneute bei der zweiten kurz vor Weihnachten. Das war – in der öffentlichen Meinung – das Todesurteil für Mebis. Ganz egal, ob das Lernportal Zuwächse in der Nutzung von fantastischen 7.400 Prozent zählte. Lästerten die Journalisten zuvor über den vergleichsweise winzigen “Lernraum Berlin”, trug plötzlich der Dauer-Pisasieger Bayern die rote Laterne. Minister Piazolo soll kurz vor der Ablösung gestanden haben. Immerhin soll die neue, 80 Millionen teure, “Bayern Cloud Schule” auf Mebis aufbauen.
Katarinas Berichte können Bildungs- und Digitalpolitiker beschämen. “Ich war schon vorher von der digitalen Seite des deutschen Schulsystems enttäuscht“, sagt sie. “Als ich aber in Kanada gesehen habe, wie gut man’s wirklich machen kann, war Mebis für mich praktisch gestorben”. Die zehnte Klasse verbrachte Blind in einer Highschool am Ontariosee. Dort bekam sie mit, was Workflow heißt, wenn alle Schüler und Lehrer eine Plattform nutzen, auf der sie gemeinsam an Dokumenten arbeiten, über ein integriertes Messenger-System kommunizieren und alle einen Mail-Account haben.
Das Urteil der Schülerin über Mebis ist vernichtend. Und dabei ist Mebis das am besten gepflegte LMS Deutschlands. “Mein inneres Gefühl hat mir schon immer gesagt, dass Mebis einfach viel zu kompliziert ist”, sagt Katarina Blind, die das System in der Schule nutzte, ohne es wirklich zu nutzen. Weil nur wenige Lehrer es anwendeten. Und weil sie immer wieder an den einfachsten Dingen scheiterte: Sie wusste nicht, wo sie sich einloggen sollte. Sie moniert das, was nicht wenige Lehrer an Mebis gut finden, als entscheidendes Problem: seine Komplexität. “In der Lernplattform gibt es so viele verschiedene Schichten, dass es mich verwirrt”, berichtet die Schülerin. “Mir ist ganz oft passiert, dass jemand zu mir sagte: ‘Du, ich hab’s auf Mebis hochgeladen.‘ Dann war ich auf Mebis – und ich hab’s erst mal nicht gefunden.” Das wahrscheinlich stichhaltigste Argument der angehenden Absolventin ist dieses: “Meine Altersgruppe ist sehr technikaffin. Wir haben ein gutes Gefühl dafür, wie man digitale Tools benutzt. Wenn meine Mitschüler nicht rausfinden, wie man Mebis benutzen kann, dann ist das ein dickes rotes Ausrufezeichen! Das bedeutet gleichzeitig, dass diejenigen abgehängt werden, die oft gar nicht Bescheid wissen – die Lehrer.
Katarina Blind wird ihre Schule demnächst verlassen. Und wohl auch Bayern. Sie hat viel Zeit in Mebis investiert, aber noch mehr in die Suche nach einem Studienplatz. Sie will nach Finnland, und wenn sie dort nicht genommen wird, hat sie sich eine zweite Studien-Variante in den Niederlanden gesucht. Vielleicht wäre es gut, die begeisternde Designerin nach ihren Erfahrungen und ihren Prinzipien des user experience design zu befragen. Einen Anruf von Michael Piazolo hat sie bisher nicht bekommen. Christian Füller
10.06.2021, 16:00-17:00 Uhr
Community Call: Lehrkräftefortbildung – Formate und Zukunftsorientierung
Voraussetzung für gute Lehr-Lern-Settings und bestmögliche Lernfortschritte ist eine hochwertige Lehrkräfteaus- und fortbildung. Daniela Rzejak und Tobias Düttmann Mehr Infos & Anmeldung
14.-15.06.2021
Fachtagung: Dimension Digitalisierung – Schulleitungen stärken
Das Kernteam der Digitalisierung von Bildung trifft sich kommende Woche virtuell in Berlin: Referenten der Pädagogischen Landesinstitute und Kultusministerien sowie der Zivilgesellschaft wollen zwei Tage lang überlegen, wie man Leitungen bei der digitalen Schulentwicklung unterstützen kann. Mehr
19.06.2021, 14:00-17:30 Uhr
Online-Barcamp: Zeitgemäße Prüfungskultur
“Weil Prüfungen die Lernkultur prägen, soll dieses Online-Barcamp helfen und unterstützen, die Prüfungskultur zu verändern und zu prägen”, schreibt das Berliner Institut für zeitgemäße Prüfungskultur. Mehr Infos & Anmeldung