Table.Briefing: Bildung

Exklusive Umfrage zu Schulschließungen + Frankreichs digitale Schule +

  • Bildung.Table exklusiv: Ein Drittel der Länder für Schulschließungen
  • Frankreich: Warum die Schulen wirklich offen blieben
Liebe Leserin, lieber Leser,

monatelang waren sich Bürger und Kultusminister sicher, dass Schulen auf keinen Fall mehr geschlossen werden sollen. Und das war auch richtig, denn die massiven Schulschließungen des Jahres 2020/21 waren übertrieben – wie wir heute wissen. Doch dieser Konsens bricht angesichts des explosiven Wachstums der Infektionen unter den schulpflichtigen Kindern. Inzwischen sind in einem Drittel der Bundesländer die Bürger:innen mehrheitlich dafür, die Schulen lieber zu schließen – sofern die 7-Tage-Inzidenz über 1.000 steigt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Bildung.Table. Und noch etwas fand Civey heraus: Die Deutschen zweifeln mehrheitlich daran, dass Schüler und Pädagogen ausreichend auf digitalen Unterricht vorbereitet sind.

In dieser Sonderausgabe von Bildung.Table werfen wir auch einen Blick nach Frankreich, dem Musterland offener Schulen. Tanja Kuchenbecker berichtet, dass Omikron auch dort Schüler wie Lehrpersonal mit rasender Geschwindigkeit erfasst. Es gibt aber noch mehr als die bekannten Gründe, Schulgebäude und Klassenzimmer offenzulassen: Auch in Frankreich klagen Betroffene über die schlechten Bedingungen für digitale Bildung. 

Ihr
Christian Füller
Bild von Christian  Füller

Analyse

Bürger in einem Drittel der Länder für Schulschließungen

Bürger in einem Drittel der Länder für Schulschließungen

In Bremen ist die Mehrheit am deutlichsten: 58 Prozent der Bürger der Hansestadt plädieren in einer Umfrage für Bildung.Table dafür, Schulen ab einer 7-Tage-Inzidenz von 1.000 zu schließen. Aber auch in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Berlin und dem Saarland plädieren die Menschen inzwischen mehrheitlich für Schulschließungen. Kein Wunder, die Inzidenzwerte unter Kindern im schulpflichtigen Alter liegen in den Stadtstaaten nun bei 3.300 bis 3.700 Fällen pro 100.000 Einwohnern. Die Umfrage wurde vom Umfrageinstitut Civey repräsentativ erhoben. 

Der Norden und CDU-Anhänger wollen Schulen schließen

Damit scheint sich das Meinungsbild in den Ländern über Schulschließungen zu ändern. Bisher war eine stabile Mehrheit von Kultusministern und Bürgern dafür, die Schulen beinahe um jeden Preis offenzuhalten. In Bremen finden das jetzt nur noch 29 Prozent richtig. Das gilt, wenn die Inzidenz bei über 1.000 Fällen pro 100.000 Einwohnern liegt.

Auch unter den Parteianhängern wechselt die Stimmung offenbar. Bei der CDU finden es laut der Umfrage inzwischen 50 Prozent richtig, Schulen ab einer Inzidenz von 1.000 zu schließen. Nur noch 34 Prozent der Unionsaffinen sind dagegen. Bei SPD– und Grünen-Anhängern liegt die Präferenz mit 45 Prozent pro Schulschließungen in den Ländern; 38 bzw. 39 Prozent sind dagegen.

Der Osten und Familien mit Kindern wollen Schulen offen halten

Ganz anders sieht es bei Wählern von AfD, der FDP und Linken aus. Sie finden Schulschließungen laut der Umfrage von Civey für Bildung.Table mit 5.000 Teilnehmern eindeutig falsch. Bei der AfD wollen drei Viertel die Schulen offen halten, bei der FDP 62 Prozent und bei den Linken 52 Prozent. 

Eindeutig ist die Haltung für offene Schulen auch bei Familien mit Kindern. 57 Prozent der befragten Eltern wollen die Schulen offen halten. 36 Prozent sind dafür, sie ab einer 7-Tage-Inzidenz von 1.000 zu schließen. Und auch im Osten der Republik gibt es – anders als im Norden – eine starke Mehrheit für offene Schulen. Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind zu über 53 Prozent dafür.

Nur 15 Prozent finden: Schulen sind auf Distanzunterricht ausreichend vorbereitet

Allerdings haben die Bürger in der Umfrage für Bildung.Table wenig Vertrauen, dass die Schulen Kinder zu Hause digital gut unterrichten könnten. Auf die Frage, “ob die Schulen in Ihrer Region auf Distanzunterricht Ihrer Ansicht nach ausreichend vorbereitet sind”, sagten 61 Prozent Nein. Nur 15 Prozent der Befragten sehen Schulen und Lehrer gut aufgestellt für digitale Bildung im Homeschooling. Dieses Meinungsbild ist quer durch alle Gruppen stabil. In manchen Bevölkerungskreisen sind sich sieben von zehn Befragten sicher: Die Bildungseinrichtungen müssen digitalisiert werden.

Mehr zum Thema

    • AfD
    • CDU
    • Distanzunterricht
    • Hamburg
    • Schulschließungen

    Frankreich: Distanzunterricht im Tippelschritt

    Man sieht ein Tor vor einem Gebäude auf dem OP-Masken hängen: Proteste für Distanzunterricht in Frankreich, es funktioniert für Lehrer
    Lehrer in Bordeaux protestieren gegen die aufwändigen Sicherheitsprotokolle in den Schulen wegen Omikron


    Die Epidemie rast durch die Schulen, doch Frankreichs Regierung will diese nicht schließen. Ständig gibt es ein neues Protokoll, wann und wie oft die Schüler sich testen lassen müssen. Die Schlangen vor den Apotheken und Labors sind lang. Eltern und Lehrer verzweifeln daran und haben deshalb sogar schon gestreikt und demonstriert. Mit der Omikron-Welle ist eine heftige Diskussion entbrannt, unter welchen Bedingungen man Schulen offen lassen sollte. Frankreich will Distanzunterricht vermeiden – auch, weil im Lockdown die Digitalisierung viele Schwächen aufgezeigt hat. 

    Frankreich gilt in vielen Ländern als Vorbild für das Management von Covid-19 in den Schulen. Es ist einer der Staaten, die die Schulen während der Pandemie kaum geschlossen hat. Laut Unesco waren Frankreichs Schulen seit März 2020 im Schnitt zehn Wochen geschlossen, die deutschen Schulen dagegen 24 Wochen. In Europa liegt praktisch nur die Schweiz mit sechs Wochen noch unter Frankreich. 

    Seit Mai 2020 waren Frankreichs Schulen nicht mehr geschlossen

    Ein Grund dafür war auch Frankreichs zentralisiertes Schulsystem. Die Entscheidung fiel in Paris, nicht durch die Regionen. Frankreichs Premierminister Jean Castex betonte: “Wir haben die richtige Entscheidung getroffen.” Seit Ende Mai 2020 und dem ersten harten Lockdown haben die französischen Schulen nicht mehr geschlossen. 

    Lehrer und Behörden haben festgestellt, dass die Schüler dem Distanzunterricht in Frankreich kaum folgen konnten. Vor allem Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Vierteln und Familien blieben ausgeschlossen. Das sorgte für eine zunehmende Ungleichheit in einem Land, das Gleichheit als eine Devise der Republik ausweist. 

    Bildungsexperte Éric Charbonnier von der OECD bezeichnet Frankreich als ein Land, in dem die Ungleichheit im Bildungswesen weit verbreitet ist. “Ich denke, dass dieser Wille, die Schulen nicht zu schließen, eng mit dem hohen Niveau der Ungleichheit in unserer Gesellschaft verbunden ist.” Außerdem zeigte die Digitalisierung, die im Vergleich zu Deutschland an Frankreichs Schulen recht weit fortgeschritten scheint, beim großen Ansturm während des Lockdowns Probleme auf. 

    Junge Franzosen können Instagram, aber keine Schulcloud

    Präsident Emmanuel Macron will schon seit Jahren die Digitalisierung in Frankreich und Europa in allen Bereichen voranbringen. Die größte Schwierigkeit dabei: die Lehrer auf die Revolution vorzubereiten. Der Lockdown hat auch gezeigt: die meisten Jugendlichen kommen bestens mit Instagram oder Snapchat zurecht, haben aber Probleme mit Dokumenten wie Word oder PDF. Lehrer bemängeln auch die Fähigkeit zur Internetrecherche. Alain Marty, Direktor des staatlichen Gymnasiums Louis-Armand in Paris: “Es gab Schwierigkeiten, E-Mails zu schicken oder Dateien anzuhängen.” Dabei ist die Schule auf Informatik spezialisiert.

    Eine ehemalige Schuldirektorin eines Collèges (6.-9. Klasse) aus der Region von Paris, die jetzt in der Pariser Schulbehörde arbeitet, zieht eine Bilanz, die Frankreich nicht gut aussehen lässt. “Der Digitalunterricht hat während des Lockdowns schlecht funktioniert”, sagt sie. “Die Lehrer sind nicht darauf vorbereitet und haben weiter ihren Unterricht wie gewohnt durchgezogen.” In Frankreich hat sich in Jahrzehnten kaum etwas an der Unterrichtsmethode geändert. Es gibt strikte nationale Lehrpläne, die wenig Freiraum für Kreativität lassen. Frontalunterricht ist Alltag, Diskussionen finden kaum statt und das bis in die Universitäten. “Wir haben die Eltern und Schüler ständig versucht zu kontaktieren, damit die Schüler nicht ganz den Anschluss verlieren.” Die Schuldirektorin arbeitete in einem angrenzenden Pariser Vorort, in dem viele Schüler aus bildungsfernen Familien stammen. 

    Schülern und Lehrern fehlen Computer und Internet

    Aber auch Pariser Schüler aus bessergestellten Familien erzählen: “Es war so langweilig. Wir haben den Unterricht im Bett verfolgt und sind darüber eingeschlafen.” Die Eltern mussten sie immer wieder aufwecken, damit sie sich für die nächste Schulstunde einloggten. Die verlangten Hausaufgaben haben viele gar nicht abgeschickt. Stattdessen saßen die jungen Franzosen mit ihren Freunden zusammen und machten Computerspiele. Die Ansteckung, die man in den Schulen verhindern wollte, fand zu Hause statt

    Viele benachteiligte Familien haben in Frankreich keinen Computer. Laut Statistiken verfügen 92 Prozent der besser gestellten Familien über einen Computer zu Hause – aber nur 64 Prozent der Familien der Arbeiterklasse. Aber auch viele Lehrer sind technisch zu Hause nicht perfekt ausgestattet. Nicht überall gibt es gut funktionierende Internetanschlüsse, und viele wollten ihr Telefonabonnement nicht für Schulzwecke benutzen. 

    “Wir haben zwar mehrere digitale Instrumente, die sonst gut funktionieren”, berichtet die ehemalige Schulleiterin. “Aber sie waren während des Lockdowns durch die starke Benutzung völlig überlastet und brachen ständig zusammen.” Gymnasialklassen haben in Frankreich über 35 Schüler, vielen Schulen vor allem in Paris zwölf Parallelklassen pro Klassenstufe. Solche Riesenschulen lassen sich aus der Ferne schlecht managen. Die Lehrer mühten sich mit Zoom, Teams und anderen Portalen ab, viele Unterrichtsstunden fielen ganz aus

    Zentrale Online-Plattform Pronote

    Dabei ist Frankreich im Digitalen in einer Hinsicht recht weit. Ein Instrument der französischen Schuldigitalisierung loben Lehrer und Schüler. Es heißt Pronote, existiert schon seit 1999 und fand im Laufe der Jahre immer mehr Anklang bei den Schulen. Etwa 10.000 Collèges und Gymnasien in Frankreich benutzen das System, das für Distanzunterricht sofort bereit war. Es handelt sich um eine Austauschplattform zwischen Lehrern, Schülern und Eltern. Es stammt von der privaten Firma Index Éducation aus Marseille, die seit 25 Jahren auf Informatik für den Unterrichtsbereich spezialisiert ist. Pronote existiert auf Französisch, Spanisch, Italienisch und Englisch. 

    In Pronote schreiben Lehrer die Aufgaben für den Tag hinein, Schüler (und auch Eltern) können sie konsultieren. Dort lassen sich auch Arbeitsdokumente oder Videolinks einspeichern. Die Links für den Unterricht findet man unter dem Namen des Lehrers. Schüler können Lehrer auch anschreiben und mit ihnen via Pronote schriftlich diskutieren. Über das Tool organisieren die Lehrer und Schuldirektoren auch die Unterrichtsstunden. Eltern können dort die Noten der Klassenarbeiten ihrer Kinder überprüfen. Sie sehen auch, wann ihre Kinder den Unterricht geschwänzt haben. Eine totale Kontrolle, an der in Frankreich aber niemand Anstoß nimmt – eher im Gegenteil. 

    Frontalunterricht hilft nicht beim digitalen Lernen

    Frankreich verfügt zudem über eine große staatliche Organisation zur Schulausbildung durch Distanzunterricht, CNED (Centre national d´enseignement à distance), der dem Bildungsministerium untersteht. Sein Baccalauréat (Bac), das französische Abitur, kann man darüber vorbereiten. Rund 30 Prozent der Fernschüler schaffen das Abitur, an den Präsenzschulen sind es zwischen 70 und 100 Prozent. Während des Lockdowns verwiesen viele Schulen ihre Schüler darauf. Doch CNED war auf den Ansturm nicht vorbereitet. 

    Schon Präsident François Hollande versuchte sich an der Digitalisierung der Schulen. Er stattete sie mit Computern aus. Auch Computerunterricht findet statt. “Im Alltag ist die Digitalisierung noch nicht in der Klasse installiert“, konstatierte dennoch Nathalie Mons, Präsidentin des “Forschungszentrums für Schulsysteme”, im Magazin “L’Obs“. Viele Lehrer stehen der Digitalisierung in den Schulen negativ gegenüber. In den Naturwissenschaften ist man etwas weiter. 

    Über den Distanzunterricht in Frankreich während des Lockdowns betonte der CNED-Chef Michel Reverchon-Billot generell : “Man hat nicht versucht, etwas anderes zu tun, sondern dasselbe nur aus der Ferne.” Also Frontalunterricht. Eine pädagogische Ausbildung der Lehrer fehle noch. Es wurde in den letzten Jahren immer mehr in die Materialien investiert als in die Ausbildung. Im Gegensatz zu öffentlichen Schulen sind viele Privatschulen in Frankreich schon weiter. Sie haben oft Informatik-Spezialisten eingestellt. Auch während des Lockdowns fanden hier die meisten Unterrichtsstunden statt. Sie hatten den Vorteil, dass es weniger Schüler in der Klasse gibt als an den staatlichen Schulen. 

    2018 verbot Bildungsminister Mobiltelefone, jetzt will er EdTech

    Éric Charbonnier von der OECD benennt außerdem ein weiteres Problem in Frankreich. Es fehlt nicht nur an einer pädagogischen Ausbildung der Lehrer für den Distanzunterricht, sondern schlichtweg auch an Informatikkenntnissen der Lehrer. Im OECD-Schnitt verfügen 65 Prozent der Lehrer über genug Kenntnisse, in Frankreich nur 55 Prozent. Ähnlich sieht es in Deutschland aus. Frankreichs Regierung will aber die digitale Schule weiter voranbringen. Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer, der 2018 noch Mobiltelefone in den Schulen verbieten ließ, hat mit Covid-19 eine Kehrtwendung eingeschlagen. 

    Nun spricht er sich für “EdTechs” aus und Start-ups, die im Bildungsbereich innovativ sind. Im November 2020 organisierte der französische Staat eine Konferenz mit Experten für die Digitalisierung in der Bildung. Doch bei den sehr technischen 40 Vorschlägen der Konferenz fehlt eins völlig: eine Reflexion darüber, ob der französische Frontalunterricht sich so einfach ins Digitale übertragen lässt oder kreativere Formen notwendig sind. Damit die Kinder nicht wieder im Distanzunterricht einschlafenTanja Kuchenbecker, Paris

    Mehr zum Thema

      • Digitales Lernen
      • Digitalisierung
      • Distanzunterricht
      • Frankreich
      • Gymnasium
      • Schulschließungen
      Licenses:
        • Bildung.Table exklusiv: Ein Drittel der Länder für Schulschließungen
        • Frankreich: Warum die Schulen wirklich offen blieben
        Liebe Leserin, lieber Leser,

        monatelang waren sich Bürger und Kultusminister sicher, dass Schulen auf keinen Fall mehr geschlossen werden sollen. Und das war auch richtig, denn die massiven Schulschließungen des Jahres 2020/21 waren übertrieben – wie wir heute wissen. Doch dieser Konsens bricht angesichts des explosiven Wachstums der Infektionen unter den schulpflichtigen Kindern. Inzwischen sind in einem Drittel der Bundesländer die Bürger:innen mehrheitlich dafür, die Schulen lieber zu schließen – sofern die 7-Tage-Inzidenz über 1.000 steigt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Bildung.Table. Und noch etwas fand Civey heraus: Die Deutschen zweifeln mehrheitlich daran, dass Schüler und Pädagogen ausreichend auf digitalen Unterricht vorbereitet sind.

        In dieser Sonderausgabe von Bildung.Table werfen wir auch einen Blick nach Frankreich, dem Musterland offener Schulen. Tanja Kuchenbecker berichtet, dass Omikron auch dort Schüler wie Lehrpersonal mit rasender Geschwindigkeit erfasst. Es gibt aber noch mehr als die bekannten Gründe, Schulgebäude und Klassenzimmer offenzulassen: Auch in Frankreich klagen Betroffene über die schlechten Bedingungen für digitale Bildung. 

        Ihr
        Christian Füller
        Bild von Christian  Füller

        Analyse

        Bürger in einem Drittel der Länder für Schulschließungen

        Bürger in einem Drittel der Länder für Schulschließungen

        In Bremen ist die Mehrheit am deutlichsten: 58 Prozent der Bürger der Hansestadt plädieren in einer Umfrage für Bildung.Table dafür, Schulen ab einer 7-Tage-Inzidenz von 1.000 zu schließen. Aber auch in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Berlin und dem Saarland plädieren die Menschen inzwischen mehrheitlich für Schulschließungen. Kein Wunder, die Inzidenzwerte unter Kindern im schulpflichtigen Alter liegen in den Stadtstaaten nun bei 3.300 bis 3.700 Fällen pro 100.000 Einwohnern. Die Umfrage wurde vom Umfrageinstitut Civey repräsentativ erhoben. 

        Der Norden und CDU-Anhänger wollen Schulen schließen

        Damit scheint sich das Meinungsbild in den Ländern über Schulschließungen zu ändern. Bisher war eine stabile Mehrheit von Kultusministern und Bürgern dafür, die Schulen beinahe um jeden Preis offenzuhalten. In Bremen finden das jetzt nur noch 29 Prozent richtig. Das gilt, wenn die Inzidenz bei über 1.000 Fällen pro 100.000 Einwohnern liegt.

        Auch unter den Parteianhängern wechselt die Stimmung offenbar. Bei der CDU finden es laut der Umfrage inzwischen 50 Prozent richtig, Schulen ab einer Inzidenz von 1.000 zu schließen. Nur noch 34 Prozent der Unionsaffinen sind dagegen. Bei SPD– und Grünen-Anhängern liegt die Präferenz mit 45 Prozent pro Schulschließungen in den Ländern; 38 bzw. 39 Prozent sind dagegen.

        Der Osten und Familien mit Kindern wollen Schulen offen halten

        Ganz anders sieht es bei Wählern von AfD, der FDP und Linken aus. Sie finden Schulschließungen laut der Umfrage von Civey für Bildung.Table mit 5.000 Teilnehmern eindeutig falsch. Bei der AfD wollen drei Viertel die Schulen offen halten, bei der FDP 62 Prozent und bei den Linken 52 Prozent. 

        Eindeutig ist die Haltung für offene Schulen auch bei Familien mit Kindern. 57 Prozent der befragten Eltern wollen die Schulen offen halten. 36 Prozent sind dafür, sie ab einer 7-Tage-Inzidenz von 1.000 zu schließen. Und auch im Osten der Republik gibt es – anders als im Norden – eine starke Mehrheit für offene Schulen. Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind zu über 53 Prozent dafür.

        Nur 15 Prozent finden: Schulen sind auf Distanzunterricht ausreichend vorbereitet

        Allerdings haben die Bürger in der Umfrage für Bildung.Table wenig Vertrauen, dass die Schulen Kinder zu Hause digital gut unterrichten könnten. Auf die Frage, “ob die Schulen in Ihrer Region auf Distanzunterricht Ihrer Ansicht nach ausreichend vorbereitet sind”, sagten 61 Prozent Nein. Nur 15 Prozent der Befragten sehen Schulen und Lehrer gut aufgestellt für digitale Bildung im Homeschooling. Dieses Meinungsbild ist quer durch alle Gruppen stabil. In manchen Bevölkerungskreisen sind sich sieben von zehn Befragten sicher: Die Bildungseinrichtungen müssen digitalisiert werden.

        Mehr zum Thema

          • AfD
          • CDU
          • Distanzunterricht
          • Hamburg
          • Schulschließungen

          Frankreich: Distanzunterricht im Tippelschritt

          Man sieht ein Tor vor einem Gebäude auf dem OP-Masken hängen: Proteste für Distanzunterricht in Frankreich, es funktioniert für Lehrer
          Lehrer in Bordeaux protestieren gegen die aufwändigen Sicherheitsprotokolle in den Schulen wegen Omikron


          Die Epidemie rast durch die Schulen, doch Frankreichs Regierung will diese nicht schließen. Ständig gibt es ein neues Protokoll, wann und wie oft die Schüler sich testen lassen müssen. Die Schlangen vor den Apotheken und Labors sind lang. Eltern und Lehrer verzweifeln daran und haben deshalb sogar schon gestreikt und demonstriert. Mit der Omikron-Welle ist eine heftige Diskussion entbrannt, unter welchen Bedingungen man Schulen offen lassen sollte. Frankreich will Distanzunterricht vermeiden – auch, weil im Lockdown die Digitalisierung viele Schwächen aufgezeigt hat. 

          Frankreich gilt in vielen Ländern als Vorbild für das Management von Covid-19 in den Schulen. Es ist einer der Staaten, die die Schulen während der Pandemie kaum geschlossen hat. Laut Unesco waren Frankreichs Schulen seit März 2020 im Schnitt zehn Wochen geschlossen, die deutschen Schulen dagegen 24 Wochen. In Europa liegt praktisch nur die Schweiz mit sechs Wochen noch unter Frankreich. 

          Seit Mai 2020 waren Frankreichs Schulen nicht mehr geschlossen

          Ein Grund dafür war auch Frankreichs zentralisiertes Schulsystem. Die Entscheidung fiel in Paris, nicht durch die Regionen. Frankreichs Premierminister Jean Castex betonte: “Wir haben die richtige Entscheidung getroffen.” Seit Ende Mai 2020 und dem ersten harten Lockdown haben die französischen Schulen nicht mehr geschlossen. 

          Lehrer und Behörden haben festgestellt, dass die Schüler dem Distanzunterricht in Frankreich kaum folgen konnten. Vor allem Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Vierteln und Familien blieben ausgeschlossen. Das sorgte für eine zunehmende Ungleichheit in einem Land, das Gleichheit als eine Devise der Republik ausweist. 

          Bildungsexperte Éric Charbonnier von der OECD bezeichnet Frankreich als ein Land, in dem die Ungleichheit im Bildungswesen weit verbreitet ist. “Ich denke, dass dieser Wille, die Schulen nicht zu schließen, eng mit dem hohen Niveau der Ungleichheit in unserer Gesellschaft verbunden ist.” Außerdem zeigte die Digitalisierung, die im Vergleich zu Deutschland an Frankreichs Schulen recht weit fortgeschritten scheint, beim großen Ansturm während des Lockdowns Probleme auf. 

          Junge Franzosen können Instagram, aber keine Schulcloud

          Präsident Emmanuel Macron will schon seit Jahren die Digitalisierung in Frankreich und Europa in allen Bereichen voranbringen. Die größte Schwierigkeit dabei: die Lehrer auf die Revolution vorzubereiten. Der Lockdown hat auch gezeigt: die meisten Jugendlichen kommen bestens mit Instagram oder Snapchat zurecht, haben aber Probleme mit Dokumenten wie Word oder PDF. Lehrer bemängeln auch die Fähigkeit zur Internetrecherche. Alain Marty, Direktor des staatlichen Gymnasiums Louis-Armand in Paris: “Es gab Schwierigkeiten, E-Mails zu schicken oder Dateien anzuhängen.” Dabei ist die Schule auf Informatik spezialisiert.

          Eine ehemalige Schuldirektorin eines Collèges (6.-9. Klasse) aus der Region von Paris, die jetzt in der Pariser Schulbehörde arbeitet, zieht eine Bilanz, die Frankreich nicht gut aussehen lässt. “Der Digitalunterricht hat während des Lockdowns schlecht funktioniert”, sagt sie. “Die Lehrer sind nicht darauf vorbereitet und haben weiter ihren Unterricht wie gewohnt durchgezogen.” In Frankreich hat sich in Jahrzehnten kaum etwas an der Unterrichtsmethode geändert. Es gibt strikte nationale Lehrpläne, die wenig Freiraum für Kreativität lassen. Frontalunterricht ist Alltag, Diskussionen finden kaum statt und das bis in die Universitäten. “Wir haben die Eltern und Schüler ständig versucht zu kontaktieren, damit die Schüler nicht ganz den Anschluss verlieren.” Die Schuldirektorin arbeitete in einem angrenzenden Pariser Vorort, in dem viele Schüler aus bildungsfernen Familien stammen. 

          Schülern und Lehrern fehlen Computer und Internet

          Aber auch Pariser Schüler aus bessergestellten Familien erzählen: “Es war so langweilig. Wir haben den Unterricht im Bett verfolgt und sind darüber eingeschlafen.” Die Eltern mussten sie immer wieder aufwecken, damit sie sich für die nächste Schulstunde einloggten. Die verlangten Hausaufgaben haben viele gar nicht abgeschickt. Stattdessen saßen die jungen Franzosen mit ihren Freunden zusammen und machten Computerspiele. Die Ansteckung, die man in den Schulen verhindern wollte, fand zu Hause statt

          Viele benachteiligte Familien haben in Frankreich keinen Computer. Laut Statistiken verfügen 92 Prozent der besser gestellten Familien über einen Computer zu Hause – aber nur 64 Prozent der Familien der Arbeiterklasse. Aber auch viele Lehrer sind technisch zu Hause nicht perfekt ausgestattet. Nicht überall gibt es gut funktionierende Internetanschlüsse, und viele wollten ihr Telefonabonnement nicht für Schulzwecke benutzen. 

          “Wir haben zwar mehrere digitale Instrumente, die sonst gut funktionieren”, berichtet die ehemalige Schulleiterin. “Aber sie waren während des Lockdowns durch die starke Benutzung völlig überlastet und brachen ständig zusammen.” Gymnasialklassen haben in Frankreich über 35 Schüler, vielen Schulen vor allem in Paris zwölf Parallelklassen pro Klassenstufe. Solche Riesenschulen lassen sich aus der Ferne schlecht managen. Die Lehrer mühten sich mit Zoom, Teams und anderen Portalen ab, viele Unterrichtsstunden fielen ganz aus

          Zentrale Online-Plattform Pronote

          Dabei ist Frankreich im Digitalen in einer Hinsicht recht weit. Ein Instrument der französischen Schuldigitalisierung loben Lehrer und Schüler. Es heißt Pronote, existiert schon seit 1999 und fand im Laufe der Jahre immer mehr Anklang bei den Schulen. Etwa 10.000 Collèges und Gymnasien in Frankreich benutzen das System, das für Distanzunterricht sofort bereit war. Es handelt sich um eine Austauschplattform zwischen Lehrern, Schülern und Eltern. Es stammt von der privaten Firma Index Éducation aus Marseille, die seit 25 Jahren auf Informatik für den Unterrichtsbereich spezialisiert ist. Pronote existiert auf Französisch, Spanisch, Italienisch und Englisch. 

          In Pronote schreiben Lehrer die Aufgaben für den Tag hinein, Schüler (und auch Eltern) können sie konsultieren. Dort lassen sich auch Arbeitsdokumente oder Videolinks einspeichern. Die Links für den Unterricht findet man unter dem Namen des Lehrers. Schüler können Lehrer auch anschreiben und mit ihnen via Pronote schriftlich diskutieren. Über das Tool organisieren die Lehrer und Schuldirektoren auch die Unterrichtsstunden. Eltern können dort die Noten der Klassenarbeiten ihrer Kinder überprüfen. Sie sehen auch, wann ihre Kinder den Unterricht geschwänzt haben. Eine totale Kontrolle, an der in Frankreich aber niemand Anstoß nimmt – eher im Gegenteil. 

          Frontalunterricht hilft nicht beim digitalen Lernen

          Frankreich verfügt zudem über eine große staatliche Organisation zur Schulausbildung durch Distanzunterricht, CNED (Centre national d´enseignement à distance), der dem Bildungsministerium untersteht. Sein Baccalauréat (Bac), das französische Abitur, kann man darüber vorbereiten. Rund 30 Prozent der Fernschüler schaffen das Abitur, an den Präsenzschulen sind es zwischen 70 und 100 Prozent. Während des Lockdowns verwiesen viele Schulen ihre Schüler darauf. Doch CNED war auf den Ansturm nicht vorbereitet. 

          Schon Präsident François Hollande versuchte sich an der Digitalisierung der Schulen. Er stattete sie mit Computern aus. Auch Computerunterricht findet statt. “Im Alltag ist die Digitalisierung noch nicht in der Klasse installiert“, konstatierte dennoch Nathalie Mons, Präsidentin des “Forschungszentrums für Schulsysteme”, im Magazin “L’Obs“. Viele Lehrer stehen der Digitalisierung in den Schulen negativ gegenüber. In den Naturwissenschaften ist man etwas weiter. 

          Über den Distanzunterricht in Frankreich während des Lockdowns betonte der CNED-Chef Michel Reverchon-Billot generell : “Man hat nicht versucht, etwas anderes zu tun, sondern dasselbe nur aus der Ferne.” Also Frontalunterricht. Eine pädagogische Ausbildung der Lehrer fehle noch. Es wurde in den letzten Jahren immer mehr in die Materialien investiert als in die Ausbildung. Im Gegensatz zu öffentlichen Schulen sind viele Privatschulen in Frankreich schon weiter. Sie haben oft Informatik-Spezialisten eingestellt. Auch während des Lockdowns fanden hier die meisten Unterrichtsstunden statt. Sie hatten den Vorteil, dass es weniger Schüler in der Klasse gibt als an den staatlichen Schulen. 

          2018 verbot Bildungsminister Mobiltelefone, jetzt will er EdTech

          Éric Charbonnier von der OECD benennt außerdem ein weiteres Problem in Frankreich. Es fehlt nicht nur an einer pädagogischen Ausbildung der Lehrer für den Distanzunterricht, sondern schlichtweg auch an Informatikkenntnissen der Lehrer. Im OECD-Schnitt verfügen 65 Prozent der Lehrer über genug Kenntnisse, in Frankreich nur 55 Prozent. Ähnlich sieht es in Deutschland aus. Frankreichs Regierung will aber die digitale Schule weiter voranbringen. Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer, der 2018 noch Mobiltelefone in den Schulen verbieten ließ, hat mit Covid-19 eine Kehrtwendung eingeschlagen. 

          Nun spricht er sich für “EdTechs” aus und Start-ups, die im Bildungsbereich innovativ sind. Im November 2020 organisierte der französische Staat eine Konferenz mit Experten für die Digitalisierung in der Bildung. Doch bei den sehr technischen 40 Vorschlägen der Konferenz fehlt eins völlig: eine Reflexion darüber, ob der französische Frontalunterricht sich so einfach ins Digitale übertragen lässt oder kreativere Formen notwendig sind. Damit die Kinder nicht wieder im Distanzunterricht einschlafenTanja Kuchenbecker, Paris

          Mehr zum Thema

            • Digitales Lernen
            • Digitalisierung
            • Distanzunterricht
            • Frankreich
            • Gymnasium
            • Schulschließungen
            Licenses:

              Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

              Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

              Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

              Anmelden und weiterlesen