nach dem Event ist vor dem Event. Der Hackathon “Wir für Schule” ist noch nicht ganz zu Ende, da steht bereits die nächste wichtige Veranstaltung an: die “Learntec xChange” kommende Woche. Diese Messe für Bildungstechnologie, die diesmal als eine Vortragsveranstaltung für digitale Bildungsfragen daherkommt, ist ein wichtiger Anzeiger, dass das Pandemie-und-Digital-Jahr 2020 die Entwicklung der digitalen Schulen angetrieben hat. Das Gute ist, dass es dort keine Eitelkeiten zwischen Industrie und Lehrern zu geben scheint. Microsoft, Hasso-Plattner-Institut und das Institut für zeitgemäße Prüfungskultur tragen dort schiedlich friedlich nebeneinander vor.
Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) will als Präsidentin die Ergebnisse von “Wir Für Schule” der KMK vorstellen lassen. Im Gespräch merkte man Ernst an, wie sehr das vergangene Jahr an der Verwaltung gezehrt hat. Die Richtlinie für die Verteilung der Dienstrechner sei bald fertig, versprach sie. Freilich scheint nun der Markt für Laptops und Tablets leergefegt. Kein Wunder, das große Kaufen begann bereits im Sommer 2020.
Wie gehen wir miteinander um, wenn ein Großteil der Kommunikation über Messenger, soziale Netzwerke und andere digitale Formate stattfindet? Das fragt sich Julia von Weiler vom Innocence in Danger schon lange. Sie findet: digitale Medien verändern die Kommunikation so stark, dass Kinder vor allem eins lernen müssen: digitale Beziehungskompetenz.
Gaming wird aus den Schulen bald nicht mehr wegzudenken sein. Das jedenfalls glauben viele Anhänger dieser Community. Der Kollege Enno Eidens, selbst begeisterter Gamer, hat sich auf die Spuren von Gamification und Game-based Learning gemacht. Sie kennen den Unterschied nicht? Dann sollten Sie Enno lesen. Wir verabschieden uns auf ein Wiedersehen – bis Mittwoch.
Frau Ernst, gibt es ein schülernahes Digital-Projekt in Brandenburg, das Ihnen besonders gefällt?
Es gibt so viele gute Schulen in meinem Bundesland, dass es mir wirklich schwerfällt, ein Projekt herauszupicken. Klar: Im Vorteil waren in der Pandemie all die Schulen, die beim Breitbandausbau und der technischen Ausstattung vorn dran waren. Aber mich begeistern die vielen kleinen Projekte, wenn etwa Musikunterricht geschickt gemacht wird, Bewegungsabläufe gefilmt werden oder auch die Sprachlernprojekte.
Wenn Ihnen digitalen Projekte so wichtig sind, wieso holen Sie sich dann nicht Rat und Hilfe von den Startups und laden sie zu einem Runden Tisch ein?
Ich habe in Brandenburg schon im letzten Jahr erste Gespräche mit allen Beteiligten geführt und im Februar dieses Jahres einen ersten Entwurf einer Digitalisierungsstrategie meines Ministeriums vorgelegt. Die digitalen Bildungsanbieter in Deutschland haben der Bundesbildungsministerin und der Kultusministerkonferenz einen Brief geschrieben und einen Runden Tisch angeregt. Den wird es auch geben und der KMK-Generalsekretär wird daran teilnehmen. Das wird zweifellos ein wichtiges Gespräch.
Warum hat es noch nicht stattgefunden?
Man muss bedenken, dass es für die Bundesländer zunächst darum geht, dass alle funktionierende Lernplattformen auf den Weg bringen. Erst dann macht es Sinn, über deren inhaltliche Bestückung zu reden. Und wir sind noch nicht überall so weit, dass wir Entscheidungen darüber fällen können. Dieser Prozess wird in der zweiten Jahreshälfte Fahrt aufnehmen. Und er wird von der KMK begleitet werden.
Beteiligen Sie sich selbst am Hackathon “Wir für Schule”?
Nein, aber die Ergebnisse von Beteiligungsprozessen wie dem Hackathon interessieren mich natürlich sehr.
Wird sich die KMK mit den Ergebnissen des Hackathons befassen?
Natürlich. Wir werden die Ergebnisse entweder im Präsidium oder in der KMK präsentieren lassen.
Wenn Lehrkräfte digitale Lehrmethoden anwenden wollen, müssen sie das meist auf privaten Rechnern tun. Wann wird es in deutschen Schulen selbstverständlich sein, dass jeder Lehrer, jede Lehrerin, im Unterricht als Arbeitsmittel nicht nur Kreide, sondern auch einen Laptop oder ein Tablet zur Verfügung gestellt bekommt?
Mit der Erweiterung des Digitalpaktes um die Beschaffung von Endgeräten für Lehrkräfte ist der entscheidende Schritt getan. Nun müssen die Zuständigkeiten dauerhaft geklärt werden. Eigentlich sind die Schulträger für die Ausstattung der Lehrkräfte zuständig. Es ist in den Flächenländern eine große Herausforderung. In den Stadtstaaten ist das nicht so ein Problem, weil dort die Senatsverwaltungen Schulträger sind. In Mecklenburg-Vorpommern wurde jetzt ein guter Rahmenvertrag beschlossen. Und die anderen Bundesländer müssen das mit Nachdruck mit den kommunalen Spitzenverbänden zum Abschluss bringen.
Wie sieht es in Brandenburg aus, Frau Ministerin?
Die Richtlinie ist so gut wie fertig. Aber auch Brandenburg hat das Problem, dass es Engpässe bei der Beschaffung der Endgeräte gibt. Der Markt ist einfach nicht in der Lage zu liefern. Deshalb kann ich mich nicht festlegen und ein Datum nennen, ab dem alle Lehrkräfte Endgeräte haben werden.
Was machen Sie aus mit dem Geld der Nachhilfeförderung und der sozialpädagogischen Hilfe des Bundes in Brandenburg?
Wir kofinanzieren die Bundesmittel mit 30 Millionen Euro, unter anderem für das Ferienprogramm und das Programm, Studierende an die Schulen zur Unterstützung vor Ort zu bringen. Zusätzlich werden wir rund 24 Millionen Euro zur personellen Verstärkung an den Schulen aufwenden, da die Bundesmittel ja nicht für Personalmittel an Schulen eingesetzt werden dürfen. Das sind pro Jahr rund 200 Stellen, die Schüler:innen mit Hilfebedarf unterstützen werden. Für das außerschulische Programm suchen wir gerade Partner. Das Geld wird natürlich dafür eingesetzt, den Schüler:innen beim Schließen von Lernlücken zu helfen. Wir werden es aber auch für Programme zum schwimmen lernen oder sozialpsychologische Maßnahmen einsetzen.
Klappt das bis zum Ende der Ferien?
Ich gehe davon aus, dass zumindest ein Start möglich ist. Zunächst muss die Qualität der Maßnahmen sichergestellt werden. Und bei den Mitteln, die an die Ergebnisse der Lernausgangslage geknüpft sind, müssen die Voraussetzungen erfüllt werden. Und diese Ergebnisse liegen erst Ende September vor.
Haben Sie ein Bild der Lernlücken, die im Jahr 2020 entstanden sind?
Ja, das haben wir. Die Untersuchung war im August und die Lernlücken waren besonders in Mathematik groß. Allerdings denken wir, dass das nicht unbedingt nur ein Ergebnis der Pandemie war, sondern Teil des deutschlandweiten Mathematik-Problems. Um das in den Griff zu bekommen, denkt die KMK über ein großes Forschungsprojekt nach.
Sie starten auf der Basis des HPI-Projektes gemeinsam mit Thüringen und Niedersachsen eine Schulcloud. Wer wird die gemeinsame Betreibergesellschaft?
Das betrifft laufende Verhandlungen und darüber spreche ich nicht.
Welchen Vorteil hat es, in Deutschland 13 unterschiedliche Schulclouds zu betreiben?
Das will ich nicht beurteilen. Wenn wir aber nur ein Projekt gestartet hätten und es wäre misslungen, dann würden wir jetzt auch nicht besser dastehen. Wir als Ministerium haben nicht den Sachverstand, um so eine Cloud selbst zu entwickeln. Daher kann ich Ihnen sagen, dass wir sehr froh darüber sind, dass wir mit dem Modell aus dem Hasso-Plattner-Institut eine funktionierende Schulcloud bekommen haben, die den Datenschutzbestimmungen entspricht. Ich weiß, dass es Bundesländer gibt, die bereits Interesse bekundet haben, weil wir die Datenschutzprobleme gelöst haben.
Sie sprechen über Baden-Württemberg?
Es gibt mehrere Länder. Mag sein, dass die mit amerikanischen Anbietern vielleicht bedienerfreundliche Modelle haben, aber sie haben eben die Datenschutzfragen nicht geklärt. Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir das hinbekommen. Wir entwickeln die Schulcloud weiter, damit sie bedienerfreundlich wird. Sie ist zur Zeit eingefroren in ihren Nutzungen, im August gehts dann weiter.
Im aktuellen KMK-Beschluss zum Präsenzunterricht nach den Sommerferien schreiben Sie, dass Sie “überzeugt davon (sind), dass Präsenzunterricht in seiner ganzen Breite die notwendige Grundlage erfolgreichen Lehrens und Lernens ist”. Das klingt wie eine Absage an digitale Lösungen.
Nein. Wir sind absolut davon überzeugt, dass wir in der Pandemie wertvolle Erfahrungen beim selbstbestimmten Lernen gemacht haben, die wir bewahren wollen. Und digitale Unterrichtsformen helfen darüber hinaus auch zum Beispiel chronisch kranken Kindern. Niemand will in die Vor-Pandemie-Zeit zurück, Wir brauchen Präsenzunterricht als Basis. Christian Füller
Tablets, Computer und Wlan – in der Pandemie werden die Rufe nach digitaler Vollausstattung der Schule laut. Lauter, als sie in den Jahren davor waren. Die Kommunikation vom Lehrerzimmer-Homeoffice ins “Schule-Zuhause”-Kinderzimmer muss funktionieren, muss sicher sein und sie muss gelernt sein. Doch digitale Technik kann mehr als Kommunikation. Zwei spielerische Ansätze mit Verwechslungsgefahr werden viel diskutiert: Gamification und Game-based Learning. Welche Chancen stecken in diesen Ansätzen und wo steht der Bildungsstandort Deutschland im internationalen Vergleich?
Die letzte Frage kann zuerst beantwortet werden: Deutschland liegt weit hinten – und holt auf. Bei der letzten Pisa-Studie im Jahr 2018 lagen die deutschen Schulen mit 0,61 Computern pro Lernendem unter den 0,85 Computern anderer Staaten. Allerdings haben Bund und Länder inzwischen so viele Laptops und Tablets in die Schulen geworfen, dass auf dem Markt nicht mehr genug Geräte für die Lehrer sind (Interview mit Britta Ernst im Bildung.Table).
Bildungsexpert:innen betonen weiterhin den Mangel und der wirkt sich direkt auf den Einsatz von Game-based Learning und Gamification aus, aufs spielerische Lernen. Bei Begrifflichkeit und Methodik gibt es Meinungsverschiedenheiten, nicht aber bei den Grundvoraussetzungen. Deutschlands Lehrer müssen besser geschult werden und Schulen brauchen eine bessere technische Infrastruktur. Einzelne Initiativen, Lehrer:innen und Projekte treiben die Digitalisierung und das spielerische Lernen in Schulen voran, “aber in der breiten Masse ist das Thema überhaupt nicht angekommen.” Das sagt Simon Maria Hassemer, Berufsschullehrer in Rastatt und einer der großen Pioniere spielerischen Lernens in Deutschland.
Hassemer verfolgt, der Provokation bewusst, einen radikalen Ansatz. In seinem Unterricht wird fast nur gespielt – jedenfalls so weit es die gesetzliche Ordnung zulässt. “Hauptsache, den ganzen Tag wird gespielt”, fordert der Lehrer wörtlich. Für ihn gibt es keinen Unterschied zwischen Spielen und Lernen, neurobiologische Messungen würden das belegen. Der Gymnasiallehrer bedient sich bei Elementen aus Rollenspielen, wenn sich seine Schüler “aufleveln” und an ihren “Skilltrees” arbeiten. Das stetige Lernen und Verbessern sowie den Erwerb von essenziellen Fähigkeiten verpackt er in spielerische Formate mit Bezug zur Videospielkultur. Selbst bei Klassenarbeiten lässt Hassemer spielen. Seine Schüler:innen dürfen sich so lange am Test versuchen, bis sie ihn bestanden haben – ganz wie beim Endboss eines Spiels. Die “Freiheit, zu scheitern” soll den Frust beim Lernen nehmen. Aus “Scheiße, ich hab ne Fünf – ich kann kein Mathe” könne so ein positives Lernerlebnis werden.
Bei Simon Hassemers Methoden fällt auf: für Game-based Learning und Gamification braucht es keine digitalen Geräte. Ob im Deutschunterricht ein Videospiel zu Dantons Tod von Georg Büchner geplant wird, oder in Politik im Rollenspiel über Staatstheorie diskutiert wird – das geht ohne Tablet und Konsole. Hassemer will, dass die “kulturelle Zuschreibung” über den angeblichen Unterschied von Spielen und Lernen aufgebrochen wird. Er will den “Mythos Lernplan” entlarven und mehr nachhaltiges, aktives Lernen fördern. Dafür soll der Grundsatz “wer spiel, der lernt” in der Lehrerausbildung stattfinden.
Vielfältige Fortbildungen zum spielerischen Lernen und dem Einsatz digitaler Mittel bieten in Baden-Württemberg unter anderem das Zentrum für Schulqualität und das Landemedienzentrum (LMZ) an. So auch die virtuelle Veranstaltung “exploreandlearn@LMZ” Mitte Mai, bei der sich die Baden-Württemberger eine richtige Szenegröße einladen konnten. Die US-Amerikanerin Jane McGonigal ist eine der Stars im Bereich des Game-based Learnings. 2011 veröffentlichte sie ein Buch unter dem Titel “Reality Is Broken: Why Games Make Us Better and How They Can Change the World”. Für das Publikum von exploreandlearn@LMZ diskutierte McGonigal, warum Spieler:innen besser auf die Zukunft vorbereitet sind – nicht nur im Spiel, sondern insbesondere im Alltag. Spielen fördere unter anderem die Kreativität und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, so McGonical. (Link zum Vortrag)
Saskia Ebel ist derzeit an das LMZ abgeordnet, davor unterrichtete sie BWL und Informatik. Ihre Schule hat den Vorteil, durch die kaufmännisch-berufliche Orientierung mit Unternehmen und Instituten zusammenarbeiten zu können, sagt Ebel. So können die Schüler:innen beispielsweise 3D-Drucker und VR-Brillen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) nutzen. Diese Vorteile haben andere Schulen nicht, weshalb Saskia Ebel in Sachen Game-based Learning auch von einem deutschlandweit eher heterogenen Bild spricht. Technische Ausstattung bleibe weiterhin eine Frage des Geldes, weshalb es Lernortkooperationen geben müsse. Solange ein Betrieb aber nicht Hauptsponsor der Technik einer Schule sei, sieht sie solche Kooperationen nicht kritisch.
Für den Einsatz von Virtual Reality im Unterricht hat Saskia Ebel große Visionen. Toll wäre es, wenn ihre Schüler:innen einen virtuellen Supermarkt besuchen und dort dessen betriebliche Funktionsweise lernen könnten. Auch im Matheunterricht sollen virtuelle Räumen beim Verstehen von Formen helfen. In Geschichte und Deutsch könnten die Lernenden in virtuelle Welten und historische Szenarien eintauchen. Optimal wäre, wenn jede Schule mit VR-Sets ausgestattet sei, doch davon sei Deutschland gegenwärtig noch weit entfernt. Nicht nur wegen fehlender Technik, sondern auch, weil gute Software im Bereich der Virtual Reality fehle.
Die Coronavirus-Pandemie habe gezeigt, wie wichtig digitale Lehrmethoden und technische Ausstattung an Schulen sei, sagt Saskia Ebel. “Niemand will zurück – deshalb hat die Corona-Krise uns in diesem Bereich vorangebracht”, resümiert sie. Auf die Zukunft blickt sie positiv: “Der Wille ist definitiv da. Deutschland ist aufgefallen, dass hier viel getan werden muss. Gemeinsam können wir das schaffen.” Ihr Kollege Fabian Karg stimmt zu. Der Referatsleiter für Grundsatz & Innovation am Landesmedienzentrum sieht durch die Coronavirus-Pandemie “mehr Bereitschaft, soziale Erfahrung in virtuellen Räumen zu machen mit technischen Ideen an junge Leute heranzutreten.”
Dennoch richtet Karg warnende Worte an die deutsche Bildungslandschaft: “Wir sind zu orientiert an Fachwissen und daran, diese ‘Wissenslücke’ aufzuarbeiten. Dabei verpassen wir es, soziale Kompetenzen aufzuarbeiten.” Genau dafür sei Game-based Learning geeignet, weil hier gemeinsam an der Lösung von Problemen gearbeitet werden kann. Game-based Learning als erlebnispädagogischer Ansatz könne zum Beispiel mit der Software “Minetest” funktionieren. Wer schon Minecraft gespielt hat, kennt Minetest: die Spieler:innen können eine Welt aus Quadern frei erschaffen, jede Herausforderung ist selbst gewählt, der Spielansatz dementsprechend frei. Minetest ist im Gegensatz zu seinem kommerziellen Bruder kostenlos, lizenzfrei und kann mit Modulen erweitert werden. Auf der LMZ-Website können sich Lehrer:innen und Eltern über die Software informieren und lernen, wie sie diese selber datenschutzkonform einsetzen können.
Fabian Karg stört sich außerdem an Begrifflichkeiten. “Es braucht in der Masse Verständnis für die Unterschiede von Game-based Learning und Gamification“, fordert er. Bei Gamification gehe es vor allem um den festen Lerneffekt, um den zu vermittelnden Inhalt. Da wird mit Punkten belohnt, wenn Aufgaben abgeschlossen werden. “Ich hab gar keine Lust mehr auf Gamification”, sagt Karg, “denn damit werden Schüler für blöd verkauft”. Karg meint das enge Konzept von Aufgabenerledigung und Belohnung – ein Pawlowsches Spiel, nur mit Lernenden. Der Ansatz des Game-based Learning hingegen ist anders. Hier ist das Spiel selbst die Herausforderung, ohne künstliche und losgelöste Anreize, wie Punkten und Levels. Wenn Schüler:innen zum Beispiel einen Roboter bauen müssen, dann können sie dabei auch Fehler machen und diese Fehler sind Teil des Spiels – ohne Angst vor Niederlage und Punktabzug. Simon Hassemer teilt nicht Kargs pauschale Ablehnung von Gamification, wohl aber die Kritik von simplen Gamification-Konzepten, die einfach nur Punkte für Leistung vergeben, statt wirklich Spiel zu sein. Er nennt das “Dark Gamification”.
“Game-based Learning steckt in Deutschland in den Kinderschuhen”, sagt auch Çiğdem Uzunoğlu, die Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur in Berlin. Es gebe keinen breiten systematischen Einsatz und wenn, dann wird Game-based Learning von engagierten Einzelpersonen, meist Lehrkräften vorangetrieben. Uzunoğlu blickt dennoch positiv in die Zukunft. Sie erwartet viele gute Veränderungen in Sachen Game-based Learning in den kommenden zwei Jahren. Simon Hassemers Vision von Schulen, in denen nur noch gespielt wird, braucht allerdings noch etwas länger. “Wenn das tatsächlich Wirklichkeit werden sollte, dann in 10-15 Jahren”, sagt der Lehrer. “Wahrscheinlicher ist jedoch, dass bis dahin viel mehr Game-based Learning in Schulen stattfindet – aber in dieser Absolutheit wird es wohl leider nicht kommen.”
Die nationale Inhalte-Plattform “Wir Lernen Online” hat sich einen Beirat gegeben. “Wir Lernen Online” ist eine vom Bund geförderte Plattform für offene Lernmaterialien oder OER. Das Portal will auf diese Weise die OER-Community näher an sich binden und an strategischen Entscheidungen beteiligen. Die Beiräte stammen aus OER-Initiativen, Gesellschaft und öffentlichen Einrichtungen. “Wir Lernen Online” (WLO) wurde im März 2020 als schnelle Antwort auf die Schulschließungen vom Bund in Auftrag gegeben. Allerdings ist WLO unter Lehrkräften noch kaum bekannt. Sie soll Bildungsmaterialien für Lehrer umsonst und qualitätsgeprüft zur Verfügung stellen.
WLO nennt sich selbst so: “Bei Wir Lernen Online handelt es sich einerseits um eine Suchmaschine, als auch um eine Community für freie Bildungsmaterialien (OER). Um OER rechtssicher herunterladen zu können, muss allerdings zunächst geklärt werden, ob Rechte Dritter verletzt werden. Das ist die Achillesferse von WLO, das rund 30 Kurator:innen beschäftigt. Das Besondere von WLO ist zudem, dass es eine zweite Plattform gibt, die praktisch das selbe macht – Lerninhalte für Lehrer zur Führung stellen. Allerdings ist Mundo mit einem gemeinsamen Beschluss durch die Kultusminister der Länder legitimiert. Beide Plattformen werden vom Bund finanziert.
Zu den Mitglieder des Beirats von “Wir Lernen Online” gehören Nadine Anskeit von der “Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet”, die schon seit 1996 Lernmaterialien bereitstellt. Zu den gesellschaftlichen Beiräten im weitesten Sinne gehören Alexander Schwedt vom Bundeselternrat und Jacob Chammon vom “Forum Bildung Digitalisierung”, das von einer Reihe großer Bildungsstiftungen betrieben wird. Für die Wissenschaft stehen unter anderen Frank J. Müller von der Uni Bremen, Daniel Otto vom Learning Lab der Uni Duisburg-Essen und Matthias Kostrzewa. Auch das Bundesinstitut für Berufsbildung und das Deutsches Institut für Erwachsenenbildung entsenden nun Beiräte zu “Wir Lernen Online”. red
Die Messe für Bildungstechnologie “Learntec” findet kommende Woche erneut online statt. Prinzipiell wären Diskussionsforen und Ausstellung in Präsenz bereits wieder möglich. Aber der Rückgang der Corona-Zahlen und die damit verbundenen Öffnungen seien zu spät gekommen, um alle Vorbereitungen für eine echte Messe abzuschließen, sagte eine Sprecherin Bildung.Table. Sie betonte, dass die jetzige “Learntec xChange” mit der Messe Learntec nicht vergleichbar, sondern eine Sonderveranstaltung sei. Tatsache ist, dass das dreitägige Vortragsprogramm ab Dienstag sich hinter dem der Learntec 2020, die noch analog stattfand, nicht verstecken braucht. Ab Dienstag finden knapp 270 Vorträge und Präsentationen statt, vergangenes Jahr zählte die Learntec 290. Nur die Zahl der bisher angemeldeten Teilnehmern ist im Vergleich zu 2020 deutlich kleiner: 5.700 EdTec-Interessierte wollen virtuell dabei sein, vergangenes Jahr kamen hingegen 15.000 in die Karlsruher Messehallen.
Das Programm geht dann vom “digitalen Hausmeister” über “Lernen nach der Pandemie: Blended Learning to Go” bis zum Thema “Wie kritisches Denken, Technologie und Innovation in Schule zusammenhängen”, für die sich Referenten von Microsoft, Fujitsu und Rednet ein Stelldichein geben. Aber auch freie Geister kommen zu dem stark industriegetriebenen Event nach Karlsruhe. Philippe Wampfler, ein Schweizer Deutschlehrer und Tausendsassa im Netz, denkt über “Unterricht nach der Pandemie” nach – in der Sonderschau des Stadtmedienzentrums Karlsruhe in der Learntec. Die anderen Keynotes kommen von Microsoft (“Learning Culture”), dem CEO des Hasso-Plattner-Institutes, Christoph Meinel, (“Digitale Bildung und die Zukunft des Internet”) und einem Professor der Uni Mannheim (“Bildungskompetenzen für die E-Learning-Branche”). red
Anfang 2020, genau zum chinesischen Neujahr, kam Andreas Merzhäuser nach China. Außer dem politischen Interesse hatte der promovierte Germanist und Historiker keine Verbindung zu dem Land. Die Neugier auf das Unbekannte und die Chance darauf, ein aufsteigendes China, das die Geschichte des 21. Jahrhunderts prägen möchte, aus nächster Nähe kennenzulernen, brachten Merzhäuser an die Deutsche Botschaftsschule in Peking. Es ist nicht sein erster Lehraufenthalt im Ausland. Bereits zu Beginn der Jahrtausendwende war Andreas Merzhäuser in London im Außendienst – als Lehrer und später auch als stellvertretender Schulleiter. Das öffnete ihm zunächst neue Türen in Deutschland, wo er für über 14 Jahre ein Gymnasium leitete, ehe er sich entschloss, nach China zu gehen.
Rund 500 Schüler:innen lernen zurzeit in den Jahrgängen eins bis zwölf an der Botschaftsschule. Die Einrichtung unterliegt der Schulaufsicht des Bundes, unabhängig von den chinesischen Vorgaben, und vergibt sowohl den Mittleren Abschluss als auch das Abitur. Die Lehrkräfte sind zumeist beurlaubte Landesbeamte aus Deutschland, die für eine bestimmte Zeit in Peking arbeiten. Daneben gibt es auch Lehrkräfte, die familiär an Peking gebunden sind.
Zu den Hauptaufgaben der Schule gehört es, Kinder und Jugendliche auf einen reibungslosen Schulwechsel vorzubereiten, wenn sie mit ihren Eltern wieder einmal in ein neues Land ziehen. Denn viele der Schüler:innen sind Kinder von sogenannten Expats, also entsandte Mitarbeiter deutscher Unternehmen, beispielsweise von Automobilkonzernen, die meist nur wenige Jahre in China leben, ehe der nächste Standort ruft. Unterrichtet werden sie überwiegend auf Deutsch, auf dem Schulhof gesellen sich Englisch und Chinesisch dazu und bilden einen bunten Sprachenmix. Wer hier lernen will, muss jedoch eine nicht-chinesische Staatsbürgerschaft vorweisen. China erlaubt eigenen Kindern den Besuch von ausländischen Botschaftsschulen nicht.
Andreas Merzhäusers Ziel ist es, in den geplanten sechs Jahren seines China-Aufenthaltes die Entwicklung der Schule voranzutreiben, vor allem in Sachen Digitalisierung. Und es geht durchaus vorwärts, stellt er fest. Die Botschaftsschule hat inzwischen zwei Mitarbeiter, die sich nur um die pädagogische Komponente der Digitalisierung kümmern. Da die Kinderanzahl aus bilingualen Haushalten steigt, möchte sich Merzhäuser zudem noch intensiver mit der Deutschförderung beschäftigen und diesen Bereich ausbauen. Die Vermittlung der deutschen Sprache soll ins Zentrum jeden Unterrichts rücken.
Die Deutsche Botschaftsschule übernimmt noch eine andere wichtige Rolle: “Sie ist ein Zentrum der Community mit AG-Programmen für Schüler und Eltern bis in den Abend hinein und zahlreichen Veranstaltungen“, sagt Merzhäuser. Der Zusammenhalt innerhalb der deutschsprachigen Gemeinde in Peking sei groß. Neuankömmlinge erfahren vielfältige Unterstützung. Die Schule bietet Hilfestellungen und kümmert sich um bürokratische Angelegenheiten der Lehrkräfte.
Auch deshalb hat sich Andreas Merzhäuser gut eingelebt in der Stadt. “Im Grunde braucht man in China nur vier Dinge, um gut leben zu können: eine Sim-Karte, eine Aufenthaltserlaubnis, ein Bankkonto und Wechat. Der Rest erledigt sich fast von selbst”, sagt er. Die chinesische Sprache, gibt er dagegen zu, stellt noch eine Barriere dar. Die Grammatik sei zwar nicht allzu komplex, aber die Aussprache mache es ihm nicht einfach. Anastasia Franz
Wenn es um digitale Medien geht, konzentrieren wir uns oft auf das Technische und auf die Kompetenz der Anwendung. Ich finde es aber besonders wichtig, Mädchen und Jungen auch darauf vorzubereiten, wie es ist digital Beziehungen zu gestalten – Arbeitsbeziehungen, Schulbeziehungen, auch Liebesbeziehungen. Das gilt zum einen für das Benehmen im digitalen Klassenraum. Oder wie Schüler über Messenger kommunizieren. Oder wie sie sich in den sozialen Medien präsentieren, wie in Videokonferenzen. Oder: wie viel nackte Haut von mir zeige ich meinem Freund im Messenger. Oder, oder, oder, es gibt eine Million Beispiele. Grundsätzlich gesprochen: Wir sollten Kinder nicht nur technisch sondern vor allem auch emotional und psychisch auf die Kommunikationsformen und -folgen in der digitalen Welt einstellen. Es gilt, Kinder darauf vorzubereiten, selbstbewusst, respektvoll, achtsam und gut mit sich und anderen im digitalen Raum umzugehen. Der analoge und digitale Raum wirken längst ineinander – und das müssen Kinder lernen. Erwachsene übrigens auch.
Lehrkräfte sollten zunächst einmal in der Lage sein, selbstkritisch über ihr Beziehungsgeflecht zu reflektieren – und wie es sich durch digitales Kommunizieren verändert hat. Es ist hilfreich, wenn sie sich ein bisschen mit dem Phänomen von Online-Games und sozialen Netzwerken auseinandergesetzt haben – um zu verstehen, welcher Sog dort gerade für Kinder entstehen kann. Sie sollten aber – jetzt wird’s ganz untechnisch, aber sehr wichtig – in der Lage sein, Mädchen und Jungen gut zuzuhören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es geht darum, sie einzubeziehen und sie sehr sensibel zu befragen, was sie in den digitalen sozialen Netzwerken erleben und was sie dabei beschäftigt. Wo ihre Nöte und Sorgen sind. Damit wir alle, Kinder und Erwachsene, lernen, wie selbstverständlich darüber zu sprechen, was uns im Netz geschieht. Das hört sich ein bisschen banal an. Wir werden als “Innocence in Danger” und Kinderschutzorganisation aber häufig in Klassen gerufen, wo digitale Kommunikation entgleist ist, wo sie übergriffig oder erpresserisch wurde oder zum Teil schwere Traumatisierungen hinterlassen hat. Wir stellen dann fest, dass die grundlegende Aufklärung und Vorbereitung der Kinder etwa auf extrem gewalthaltige Videos in Netzwerken nicht stattgefunden hat.
Digitale Beziehungskompetenz ist immer wichtig, weil es grundsätzlich darum geht, dass wir unsere Beziehungen – privat wie beruflich – nicht mehr nur von Angesicht zu Angesicht sondern überwiegend auch mit Messengern, in Social Networks oder ganz allgemein in digitalen Räumen gestalten. Also meistens nicht gestalten, sondern einfach nur mehr oder weniger unvorbereitet über uns ergehen lassen. Jeder aus dem Twitterlehrerzimmer, der die Überhitzungen dort erlebt, wird verstehen, was ich damit meine. Wenn wir das Kommunikationsverhalten von Kindern und Jugendlichen im so genannten Homeschooling betrachten, dann sehen wir, dass die digitale Zeit des gemeinsamen Lernens ihren digitalen Konsum noch einmal enorm gesteigert hat. Viele der negativen psychischen Folgen werden in Befragungen auf dieses schlagartig veränderte Medienverhalten zurückgeführt.
Wir sollten ganz früh anfangen, am besten schon im Kindergarten, digitale Beziehungskompetenz zu lehren – also Kinder auf den digitalen Raum vorzubereiten. Besonders gut eignet es sich, ab der zweiten, dritten Klasse über digitale Beziehungen zu arbeiten. Da haben die Kinder schon ihre ersten Erfahrungen gemacht. Besonders wichtig es von Klasse 3-8, weil sie sich da wahnsinnig viel ausprobieren. Ab Klasse 8 haben sie oft schon ihre Erfahrungen gemacht und entweder zynische oder hilfreiche Wege gefunden, das alles auszuhalten, was ihnen an Dick-Pics oder Schmähungen begegnet.
Das wirklich erstaunliche ist, wie sehr wir immer noch darum ringen müssen, dass digitale soziale Medien Lernen und Leben fundamental verändern. Diese Themen gehören selbstverständlich ins Klassenzimmer und auch in die Sozialarbeit mit Kindern. Es wird Zeit zu verstehen, dass wir kommunikativ und in unseren Beziehungen im Neuland leben.
Julia von Weiler ist Geschäftsführerin von “Innocence in Danger“, einer Kinderschutzorganisation gegen sexualisierte Gewalt im Internet.
nach dem Event ist vor dem Event. Der Hackathon “Wir für Schule” ist noch nicht ganz zu Ende, da steht bereits die nächste wichtige Veranstaltung an: die “Learntec xChange” kommende Woche. Diese Messe für Bildungstechnologie, die diesmal als eine Vortragsveranstaltung für digitale Bildungsfragen daherkommt, ist ein wichtiger Anzeiger, dass das Pandemie-und-Digital-Jahr 2020 die Entwicklung der digitalen Schulen angetrieben hat. Das Gute ist, dass es dort keine Eitelkeiten zwischen Industrie und Lehrern zu geben scheint. Microsoft, Hasso-Plattner-Institut und das Institut für zeitgemäße Prüfungskultur tragen dort schiedlich friedlich nebeneinander vor.
Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) will als Präsidentin die Ergebnisse von “Wir Für Schule” der KMK vorstellen lassen. Im Gespräch merkte man Ernst an, wie sehr das vergangene Jahr an der Verwaltung gezehrt hat. Die Richtlinie für die Verteilung der Dienstrechner sei bald fertig, versprach sie. Freilich scheint nun der Markt für Laptops und Tablets leergefegt. Kein Wunder, das große Kaufen begann bereits im Sommer 2020.
Wie gehen wir miteinander um, wenn ein Großteil der Kommunikation über Messenger, soziale Netzwerke und andere digitale Formate stattfindet? Das fragt sich Julia von Weiler vom Innocence in Danger schon lange. Sie findet: digitale Medien verändern die Kommunikation so stark, dass Kinder vor allem eins lernen müssen: digitale Beziehungskompetenz.
Gaming wird aus den Schulen bald nicht mehr wegzudenken sein. Das jedenfalls glauben viele Anhänger dieser Community. Der Kollege Enno Eidens, selbst begeisterter Gamer, hat sich auf die Spuren von Gamification und Game-based Learning gemacht. Sie kennen den Unterschied nicht? Dann sollten Sie Enno lesen. Wir verabschieden uns auf ein Wiedersehen – bis Mittwoch.
Frau Ernst, gibt es ein schülernahes Digital-Projekt in Brandenburg, das Ihnen besonders gefällt?
Es gibt so viele gute Schulen in meinem Bundesland, dass es mir wirklich schwerfällt, ein Projekt herauszupicken. Klar: Im Vorteil waren in der Pandemie all die Schulen, die beim Breitbandausbau und der technischen Ausstattung vorn dran waren. Aber mich begeistern die vielen kleinen Projekte, wenn etwa Musikunterricht geschickt gemacht wird, Bewegungsabläufe gefilmt werden oder auch die Sprachlernprojekte.
Wenn Ihnen digitalen Projekte so wichtig sind, wieso holen Sie sich dann nicht Rat und Hilfe von den Startups und laden sie zu einem Runden Tisch ein?
Ich habe in Brandenburg schon im letzten Jahr erste Gespräche mit allen Beteiligten geführt und im Februar dieses Jahres einen ersten Entwurf einer Digitalisierungsstrategie meines Ministeriums vorgelegt. Die digitalen Bildungsanbieter in Deutschland haben der Bundesbildungsministerin und der Kultusministerkonferenz einen Brief geschrieben und einen Runden Tisch angeregt. Den wird es auch geben und der KMK-Generalsekretär wird daran teilnehmen. Das wird zweifellos ein wichtiges Gespräch.
Warum hat es noch nicht stattgefunden?
Man muss bedenken, dass es für die Bundesländer zunächst darum geht, dass alle funktionierende Lernplattformen auf den Weg bringen. Erst dann macht es Sinn, über deren inhaltliche Bestückung zu reden. Und wir sind noch nicht überall so weit, dass wir Entscheidungen darüber fällen können. Dieser Prozess wird in der zweiten Jahreshälfte Fahrt aufnehmen. Und er wird von der KMK begleitet werden.
Beteiligen Sie sich selbst am Hackathon “Wir für Schule”?
Nein, aber die Ergebnisse von Beteiligungsprozessen wie dem Hackathon interessieren mich natürlich sehr.
Wird sich die KMK mit den Ergebnissen des Hackathons befassen?
Natürlich. Wir werden die Ergebnisse entweder im Präsidium oder in der KMK präsentieren lassen.
Wenn Lehrkräfte digitale Lehrmethoden anwenden wollen, müssen sie das meist auf privaten Rechnern tun. Wann wird es in deutschen Schulen selbstverständlich sein, dass jeder Lehrer, jede Lehrerin, im Unterricht als Arbeitsmittel nicht nur Kreide, sondern auch einen Laptop oder ein Tablet zur Verfügung gestellt bekommt?
Mit der Erweiterung des Digitalpaktes um die Beschaffung von Endgeräten für Lehrkräfte ist der entscheidende Schritt getan. Nun müssen die Zuständigkeiten dauerhaft geklärt werden. Eigentlich sind die Schulträger für die Ausstattung der Lehrkräfte zuständig. Es ist in den Flächenländern eine große Herausforderung. In den Stadtstaaten ist das nicht so ein Problem, weil dort die Senatsverwaltungen Schulträger sind. In Mecklenburg-Vorpommern wurde jetzt ein guter Rahmenvertrag beschlossen. Und die anderen Bundesländer müssen das mit Nachdruck mit den kommunalen Spitzenverbänden zum Abschluss bringen.
Wie sieht es in Brandenburg aus, Frau Ministerin?
Die Richtlinie ist so gut wie fertig. Aber auch Brandenburg hat das Problem, dass es Engpässe bei der Beschaffung der Endgeräte gibt. Der Markt ist einfach nicht in der Lage zu liefern. Deshalb kann ich mich nicht festlegen und ein Datum nennen, ab dem alle Lehrkräfte Endgeräte haben werden.
Was machen Sie aus mit dem Geld der Nachhilfeförderung und der sozialpädagogischen Hilfe des Bundes in Brandenburg?
Wir kofinanzieren die Bundesmittel mit 30 Millionen Euro, unter anderem für das Ferienprogramm und das Programm, Studierende an die Schulen zur Unterstützung vor Ort zu bringen. Zusätzlich werden wir rund 24 Millionen Euro zur personellen Verstärkung an den Schulen aufwenden, da die Bundesmittel ja nicht für Personalmittel an Schulen eingesetzt werden dürfen. Das sind pro Jahr rund 200 Stellen, die Schüler:innen mit Hilfebedarf unterstützen werden. Für das außerschulische Programm suchen wir gerade Partner. Das Geld wird natürlich dafür eingesetzt, den Schüler:innen beim Schließen von Lernlücken zu helfen. Wir werden es aber auch für Programme zum schwimmen lernen oder sozialpsychologische Maßnahmen einsetzen.
Klappt das bis zum Ende der Ferien?
Ich gehe davon aus, dass zumindest ein Start möglich ist. Zunächst muss die Qualität der Maßnahmen sichergestellt werden. Und bei den Mitteln, die an die Ergebnisse der Lernausgangslage geknüpft sind, müssen die Voraussetzungen erfüllt werden. Und diese Ergebnisse liegen erst Ende September vor.
Haben Sie ein Bild der Lernlücken, die im Jahr 2020 entstanden sind?
Ja, das haben wir. Die Untersuchung war im August und die Lernlücken waren besonders in Mathematik groß. Allerdings denken wir, dass das nicht unbedingt nur ein Ergebnis der Pandemie war, sondern Teil des deutschlandweiten Mathematik-Problems. Um das in den Griff zu bekommen, denkt die KMK über ein großes Forschungsprojekt nach.
Sie starten auf der Basis des HPI-Projektes gemeinsam mit Thüringen und Niedersachsen eine Schulcloud. Wer wird die gemeinsame Betreibergesellschaft?
Das betrifft laufende Verhandlungen und darüber spreche ich nicht.
Welchen Vorteil hat es, in Deutschland 13 unterschiedliche Schulclouds zu betreiben?
Das will ich nicht beurteilen. Wenn wir aber nur ein Projekt gestartet hätten und es wäre misslungen, dann würden wir jetzt auch nicht besser dastehen. Wir als Ministerium haben nicht den Sachverstand, um so eine Cloud selbst zu entwickeln. Daher kann ich Ihnen sagen, dass wir sehr froh darüber sind, dass wir mit dem Modell aus dem Hasso-Plattner-Institut eine funktionierende Schulcloud bekommen haben, die den Datenschutzbestimmungen entspricht. Ich weiß, dass es Bundesländer gibt, die bereits Interesse bekundet haben, weil wir die Datenschutzprobleme gelöst haben.
Sie sprechen über Baden-Württemberg?
Es gibt mehrere Länder. Mag sein, dass die mit amerikanischen Anbietern vielleicht bedienerfreundliche Modelle haben, aber sie haben eben die Datenschutzfragen nicht geklärt. Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir das hinbekommen. Wir entwickeln die Schulcloud weiter, damit sie bedienerfreundlich wird. Sie ist zur Zeit eingefroren in ihren Nutzungen, im August gehts dann weiter.
Im aktuellen KMK-Beschluss zum Präsenzunterricht nach den Sommerferien schreiben Sie, dass Sie “überzeugt davon (sind), dass Präsenzunterricht in seiner ganzen Breite die notwendige Grundlage erfolgreichen Lehrens und Lernens ist”. Das klingt wie eine Absage an digitale Lösungen.
Nein. Wir sind absolut davon überzeugt, dass wir in der Pandemie wertvolle Erfahrungen beim selbstbestimmten Lernen gemacht haben, die wir bewahren wollen. Und digitale Unterrichtsformen helfen darüber hinaus auch zum Beispiel chronisch kranken Kindern. Niemand will in die Vor-Pandemie-Zeit zurück, Wir brauchen Präsenzunterricht als Basis. Christian Füller
Tablets, Computer und Wlan – in der Pandemie werden die Rufe nach digitaler Vollausstattung der Schule laut. Lauter, als sie in den Jahren davor waren. Die Kommunikation vom Lehrerzimmer-Homeoffice ins “Schule-Zuhause”-Kinderzimmer muss funktionieren, muss sicher sein und sie muss gelernt sein. Doch digitale Technik kann mehr als Kommunikation. Zwei spielerische Ansätze mit Verwechslungsgefahr werden viel diskutiert: Gamification und Game-based Learning. Welche Chancen stecken in diesen Ansätzen und wo steht der Bildungsstandort Deutschland im internationalen Vergleich?
Die letzte Frage kann zuerst beantwortet werden: Deutschland liegt weit hinten – und holt auf. Bei der letzten Pisa-Studie im Jahr 2018 lagen die deutschen Schulen mit 0,61 Computern pro Lernendem unter den 0,85 Computern anderer Staaten. Allerdings haben Bund und Länder inzwischen so viele Laptops und Tablets in die Schulen geworfen, dass auf dem Markt nicht mehr genug Geräte für die Lehrer sind (Interview mit Britta Ernst im Bildung.Table).
Bildungsexpert:innen betonen weiterhin den Mangel und der wirkt sich direkt auf den Einsatz von Game-based Learning und Gamification aus, aufs spielerische Lernen. Bei Begrifflichkeit und Methodik gibt es Meinungsverschiedenheiten, nicht aber bei den Grundvoraussetzungen. Deutschlands Lehrer müssen besser geschult werden und Schulen brauchen eine bessere technische Infrastruktur. Einzelne Initiativen, Lehrer:innen und Projekte treiben die Digitalisierung und das spielerische Lernen in Schulen voran, “aber in der breiten Masse ist das Thema überhaupt nicht angekommen.” Das sagt Simon Maria Hassemer, Berufsschullehrer in Rastatt und einer der großen Pioniere spielerischen Lernens in Deutschland.
Hassemer verfolgt, der Provokation bewusst, einen radikalen Ansatz. In seinem Unterricht wird fast nur gespielt – jedenfalls so weit es die gesetzliche Ordnung zulässt. “Hauptsache, den ganzen Tag wird gespielt”, fordert der Lehrer wörtlich. Für ihn gibt es keinen Unterschied zwischen Spielen und Lernen, neurobiologische Messungen würden das belegen. Der Gymnasiallehrer bedient sich bei Elementen aus Rollenspielen, wenn sich seine Schüler “aufleveln” und an ihren “Skilltrees” arbeiten. Das stetige Lernen und Verbessern sowie den Erwerb von essenziellen Fähigkeiten verpackt er in spielerische Formate mit Bezug zur Videospielkultur. Selbst bei Klassenarbeiten lässt Hassemer spielen. Seine Schüler:innen dürfen sich so lange am Test versuchen, bis sie ihn bestanden haben – ganz wie beim Endboss eines Spiels. Die “Freiheit, zu scheitern” soll den Frust beim Lernen nehmen. Aus “Scheiße, ich hab ne Fünf – ich kann kein Mathe” könne so ein positives Lernerlebnis werden.
Bei Simon Hassemers Methoden fällt auf: für Game-based Learning und Gamification braucht es keine digitalen Geräte. Ob im Deutschunterricht ein Videospiel zu Dantons Tod von Georg Büchner geplant wird, oder in Politik im Rollenspiel über Staatstheorie diskutiert wird – das geht ohne Tablet und Konsole. Hassemer will, dass die “kulturelle Zuschreibung” über den angeblichen Unterschied von Spielen und Lernen aufgebrochen wird. Er will den “Mythos Lernplan” entlarven und mehr nachhaltiges, aktives Lernen fördern. Dafür soll der Grundsatz “wer spiel, der lernt” in der Lehrerausbildung stattfinden.
Vielfältige Fortbildungen zum spielerischen Lernen und dem Einsatz digitaler Mittel bieten in Baden-Württemberg unter anderem das Zentrum für Schulqualität und das Landemedienzentrum (LMZ) an. So auch die virtuelle Veranstaltung “exploreandlearn@LMZ” Mitte Mai, bei der sich die Baden-Württemberger eine richtige Szenegröße einladen konnten. Die US-Amerikanerin Jane McGonigal ist eine der Stars im Bereich des Game-based Learnings. 2011 veröffentlichte sie ein Buch unter dem Titel “Reality Is Broken: Why Games Make Us Better and How They Can Change the World”. Für das Publikum von exploreandlearn@LMZ diskutierte McGonigal, warum Spieler:innen besser auf die Zukunft vorbereitet sind – nicht nur im Spiel, sondern insbesondere im Alltag. Spielen fördere unter anderem die Kreativität und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, so McGonical. (Link zum Vortrag)
Saskia Ebel ist derzeit an das LMZ abgeordnet, davor unterrichtete sie BWL und Informatik. Ihre Schule hat den Vorteil, durch die kaufmännisch-berufliche Orientierung mit Unternehmen und Instituten zusammenarbeiten zu können, sagt Ebel. So können die Schüler:innen beispielsweise 3D-Drucker und VR-Brillen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) nutzen. Diese Vorteile haben andere Schulen nicht, weshalb Saskia Ebel in Sachen Game-based Learning auch von einem deutschlandweit eher heterogenen Bild spricht. Technische Ausstattung bleibe weiterhin eine Frage des Geldes, weshalb es Lernortkooperationen geben müsse. Solange ein Betrieb aber nicht Hauptsponsor der Technik einer Schule sei, sieht sie solche Kooperationen nicht kritisch.
Für den Einsatz von Virtual Reality im Unterricht hat Saskia Ebel große Visionen. Toll wäre es, wenn ihre Schüler:innen einen virtuellen Supermarkt besuchen und dort dessen betriebliche Funktionsweise lernen könnten. Auch im Matheunterricht sollen virtuelle Räumen beim Verstehen von Formen helfen. In Geschichte und Deutsch könnten die Lernenden in virtuelle Welten und historische Szenarien eintauchen. Optimal wäre, wenn jede Schule mit VR-Sets ausgestattet sei, doch davon sei Deutschland gegenwärtig noch weit entfernt. Nicht nur wegen fehlender Technik, sondern auch, weil gute Software im Bereich der Virtual Reality fehle.
Die Coronavirus-Pandemie habe gezeigt, wie wichtig digitale Lehrmethoden und technische Ausstattung an Schulen sei, sagt Saskia Ebel. “Niemand will zurück – deshalb hat die Corona-Krise uns in diesem Bereich vorangebracht”, resümiert sie. Auf die Zukunft blickt sie positiv: “Der Wille ist definitiv da. Deutschland ist aufgefallen, dass hier viel getan werden muss. Gemeinsam können wir das schaffen.” Ihr Kollege Fabian Karg stimmt zu. Der Referatsleiter für Grundsatz & Innovation am Landesmedienzentrum sieht durch die Coronavirus-Pandemie “mehr Bereitschaft, soziale Erfahrung in virtuellen Räumen zu machen mit technischen Ideen an junge Leute heranzutreten.”
Dennoch richtet Karg warnende Worte an die deutsche Bildungslandschaft: “Wir sind zu orientiert an Fachwissen und daran, diese ‘Wissenslücke’ aufzuarbeiten. Dabei verpassen wir es, soziale Kompetenzen aufzuarbeiten.” Genau dafür sei Game-based Learning geeignet, weil hier gemeinsam an der Lösung von Problemen gearbeitet werden kann. Game-based Learning als erlebnispädagogischer Ansatz könne zum Beispiel mit der Software “Minetest” funktionieren. Wer schon Minecraft gespielt hat, kennt Minetest: die Spieler:innen können eine Welt aus Quadern frei erschaffen, jede Herausforderung ist selbst gewählt, der Spielansatz dementsprechend frei. Minetest ist im Gegensatz zu seinem kommerziellen Bruder kostenlos, lizenzfrei und kann mit Modulen erweitert werden. Auf der LMZ-Website können sich Lehrer:innen und Eltern über die Software informieren und lernen, wie sie diese selber datenschutzkonform einsetzen können.
Fabian Karg stört sich außerdem an Begrifflichkeiten. “Es braucht in der Masse Verständnis für die Unterschiede von Game-based Learning und Gamification“, fordert er. Bei Gamification gehe es vor allem um den festen Lerneffekt, um den zu vermittelnden Inhalt. Da wird mit Punkten belohnt, wenn Aufgaben abgeschlossen werden. “Ich hab gar keine Lust mehr auf Gamification”, sagt Karg, “denn damit werden Schüler für blöd verkauft”. Karg meint das enge Konzept von Aufgabenerledigung und Belohnung – ein Pawlowsches Spiel, nur mit Lernenden. Der Ansatz des Game-based Learning hingegen ist anders. Hier ist das Spiel selbst die Herausforderung, ohne künstliche und losgelöste Anreize, wie Punkten und Levels. Wenn Schüler:innen zum Beispiel einen Roboter bauen müssen, dann können sie dabei auch Fehler machen und diese Fehler sind Teil des Spiels – ohne Angst vor Niederlage und Punktabzug. Simon Hassemer teilt nicht Kargs pauschale Ablehnung von Gamification, wohl aber die Kritik von simplen Gamification-Konzepten, die einfach nur Punkte für Leistung vergeben, statt wirklich Spiel zu sein. Er nennt das “Dark Gamification”.
“Game-based Learning steckt in Deutschland in den Kinderschuhen”, sagt auch Çiğdem Uzunoğlu, die Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur in Berlin. Es gebe keinen breiten systematischen Einsatz und wenn, dann wird Game-based Learning von engagierten Einzelpersonen, meist Lehrkräften vorangetrieben. Uzunoğlu blickt dennoch positiv in die Zukunft. Sie erwartet viele gute Veränderungen in Sachen Game-based Learning in den kommenden zwei Jahren. Simon Hassemers Vision von Schulen, in denen nur noch gespielt wird, braucht allerdings noch etwas länger. “Wenn das tatsächlich Wirklichkeit werden sollte, dann in 10-15 Jahren”, sagt der Lehrer. “Wahrscheinlicher ist jedoch, dass bis dahin viel mehr Game-based Learning in Schulen stattfindet – aber in dieser Absolutheit wird es wohl leider nicht kommen.”
Die nationale Inhalte-Plattform “Wir Lernen Online” hat sich einen Beirat gegeben. “Wir Lernen Online” ist eine vom Bund geförderte Plattform für offene Lernmaterialien oder OER. Das Portal will auf diese Weise die OER-Community näher an sich binden und an strategischen Entscheidungen beteiligen. Die Beiräte stammen aus OER-Initiativen, Gesellschaft und öffentlichen Einrichtungen. “Wir Lernen Online” (WLO) wurde im März 2020 als schnelle Antwort auf die Schulschließungen vom Bund in Auftrag gegeben. Allerdings ist WLO unter Lehrkräften noch kaum bekannt. Sie soll Bildungsmaterialien für Lehrer umsonst und qualitätsgeprüft zur Verfügung stellen.
WLO nennt sich selbst so: “Bei Wir Lernen Online handelt es sich einerseits um eine Suchmaschine, als auch um eine Community für freie Bildungsmaterialien (OER). Um OER rechtssicher herunterladen zu können, muss allerdings zunächst geklärt werden, ob Rechte Dritter verletzt werden. Das ist die Achillesferse von WLO, das rund 30 Kurator:innen beschäftigt. Das Besondere von WLO ist zudem, dass es eine zweite Plattform gibt, die praktisch das selbe macht – Lerninhalte für Lehrer zur Führung stellen. Allerdings ist Mundo mit einem gemeinsamen Beschluss durch die Kultusminister der Länder legitimiert. Beide Plattformen werden vom Bund finanziert.
Zu den Mitglieder des Beirats von “Wir Lernen Online” gehören Nadine Anskeit von der “Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet”, die schon seit 1996 Lernmaterialien bereitstellt. Zu den gesellschaftlichen Beiräten im weitesten Sinne gehören Alexander Schwedt vom Bundeselternrat und Jacob Chammon vom “Forum Bildung Digitalisierung”, das von einer Reihe großer Bildungsstiftungen betrieben wird. Für die Wissenschaft stehen unter anderen Frank J. Müller von der Uni Bremen, Daniel Otto vom Learning Lab der Uni Duisburg-Essen und Matthias Kostrzewa. Auch das Bundesinstitut für Berufsbildung und das Deutsches Institut für Erwachsenenbildung entsenden nun Beiräte zu “Wir Lernen Online”. red
Die Messe für Bildungstechnologie “Learntec” findet kommende Woche erneut online statt. Prinzipiell wären Diskussionsforen und Ausstellung in Präsenz bereits wieder möglich. Aber der Rückgang der Corona-Zahlen und die damit verbundenen Öffnungen seien zu spät gekommen, um alle Vorbereitungen für eine echte Messe abzuschließen, sagte eine Sprecherin Bildung.Table. Sie betonte, dass die jetzige “Learntec xChange” mit der Messe Learntec nicht vergleichbar, sondern eine Sonderveranstaltung sei. Tatsache ist, dass das dreitägige Vortragsprogramm ab Dienstag sich hinter dem der Learntec 2020, die noch analog stattfand, nicht verstecken braucht. Ab Dienstag finden knapp 270 Vorträge und Präsentationen statt, vergangenes Jahr zählte die Learntec 290. Nur die Zahl der bisher angemeldeten Teilnehmern ist im Vergleich zu 2020 deutlich kleiner: 5.700 EdTec-Interessierte wollen virtuell dabei sein, vergangenes Jahr kamen hingegen 15.000 in die Karlsruher Messehallen.
Das Programm geht dann vom “digitalen Hausmeister” über “Lernen nach der Pandemie: Blended Learning to Go” bis zum Thema “Wie kritisches Denken, Technologie und Innovation in Schule zusammenhängen”, für die sich Referenten von Microsoft, Fujitsu und Rednet ein Stelldichein geben. Aber auch freie Geister kommen zu dem stark industriegetriebenen Event nach Karlsruhe. Philippe Wampfler, ein Schweizer Deutschlehrer und Tausendsassa im Netz, denkt über “Unterricht nach der Pandemie” nach – in der Sonderschau des Stadtmedienzentrums Karlsruhe in der Learntec. Die anderen Keynotes kommen von Microsoft (“Learning Culture”), dem CEO des Hasso-Plattner-Institutes, Christoph Meinel, (“Digitale Bildung und die Zukunft des Internet”) und einem Professor der Uni Mannheim (“Bildungskompetenzen für die E-Learning-Branche”). red
Anfang 2020, genau zum chinesischen Neujahr, kam Andreas Merzhäuser nach China. Außer dem politischen Interesse hatte der promovierte Germanist und Historiker keine Verbindung zu dem Land. Die Neugier auf das Unbekannte und die Chance darauf, ein aufsteigendes China, das die Geschichte des 21. Jahrhunderts prägen möchte, aus nächster Nähe kennenzulernen, brachten Merzhäuser an die Deutsche Botschaftsschule in Peking. Es ist nicht sein erster Lehraufenthalt im Ausland. Bereits zu Beginn der Jahrtausendwende war Andreas Merzhäuser in London im Außendienst – als Lehrer und später auch als stellvertretender Schulleiter. Das öffnete ihm zunächst neue Türen in Deutschland, wo er für über 14 Jahre ein Gymnasium leitete, ehe er sich entschloss, nach China zu gehen.
Rund 500 Schüler:innen lernen zurzeit in den Jahrgängen eins bis zwölf an der Botschaftsschule. Die Einrichtung unterliegt der Schulaufsicht des Bundes, unabhängig von den chinesischen Vorgaben, und vergibt sowohl den Mittleren Abschluss als auch das Abitur. Die Lehrkräfte sind zumeist beurlaubte Landesbeamte aus Deutschland, die für eine bestimmte Zeit in Peking arbeiten. Daneben gibt es auch Lehrkräfte, die familiär an Peking gebunden sind.
Zu den Hauptaufgaben der Schule gehört es, Kinder und Jugendliche auf einen reibungslosen Schulwechsel vorzubereiten, wenn sie mit ihren Eltern wieder einmal in ein neues Land ziehen. Denn viele der Schüler:innen sind Kinder von sogenannten Expats, also entsandte Mitarbeiter deutscher Unternehmen, beispielsweise von Automobilkonzernen, die meist nur wenige Jahre in China leben, ehe der nächste Standort ruft. Unterrichtet werden sie überwiegend auf Deutsch, auf dem Schulhof gesellen sich Englisch und Chinesisch dazu und bilden einen bunten Sprachenmix. Wer hier lernen will, muss jedoch eine nicht-chinesische Staatsbürgerschaft vorweisen. China erlaubt eigenen Kindern den Besuch von ausländischen Botschaftsschulen nicht.
Andreas Merzhäusers Ziel ist es, in den geplanten sechs Jahren seines China-Aufenthaltes die Entwicklung der Schule voranzutreiben, vor allem in Sachen Digitalisierung. Und es geht durchaus vorwärts, stellt er fest. Die Botschaftsschule hat inzwischen zwei Mitarbeiter, die sich nur um die pädagogische Komponente der Digitalisierung kümmern. Da die Kinderanzahl aus bilingualen Haushalten steigt, möchte sich Merzhäuser zudem noch intensiver mit der Deutschförderung beschäftigen und diesen Bereich ausbauen. Die Vermittlung der deutschen Sprache soll ins Zentrum jeden Unterrichts rücken.
Die Deutsche Botschaftsschule übernimmt noch eine andere wichtige Rolle: “Sie ist ein Zentrum der Community mit AG-Programmen für Schüler und Eltern bis in den Abend hinein und zahlreichen Veranstaltungen“, sagt Merzhäuser. Der Zusammenhalt innerhalb der deutschsprachigen Gemeinde in Peking sei groß. Neuankömmlinge erfahren vielfältige Unterstützung. Die Schule bietet Hilfestellungen und kümmert sich um bürokratische Angelegenheiten der Lehrkräfte.
Auch deshalb hat sich Andreas Merzhäuser gut eingelebt in der Stadt. “Im Grunde braucht man in China nur vier Dinge, um gut leben zu können: eine Sim-Karte, eine Aufenthaltserlaubnis, ein Bankkonto und Wechat. Der Rest erledigt sich fast von selbst”, sagt er. Die chinesische Sprache, gibt er dagegen zu, stellt noch eine Barriere dar. Die Grammatik sei zwar nicht allzu komplex, aber die Aussprache mache es ihm nicht einfach. Anastasia Franz
Wenn es um digitale Medien geht, konzentrieren wir uns oft auf das Technische und auf die Kompetenz der Anwendung. Ich finde es aber besonders wichtig, Mädchen und Jungen auch darauf vorzubereiten, wie es ist digital Beziehungen zu gestalten – Arbeitsbeziehungen, Schulbeziehungen, auch Liebesbeziehungen. Das gilt zum einen für das Benehmen im digitalen Klassenraum. Oder wie Schüler über Messenger kommunizieren. Oder wie sie sich in den sozialen Medien präsentieren, wie in Videokonferenzen. Oder: wie viel nackte Haut von mir zeige ich meinem Freund im Messenger. Oder, oder, oder, es gibt eine Million Beispiele. Grundsätzlich gesprochen: Wir sollten Kinder nicht nur technisch sondern vor allem auch emotional und psychisch auf die Kommunikationsformen und -folgen in der digitalen Welt einstellen. Es gilt, Kinder darauf vorzubereiten, selbstbewusst, respektvoll, achtsam und gut mit sich und anderen im digitalen Raum umzugehen. Der analoge und digitale Raum wirken längst ineinander – und das müssen Kinder lernen. Erwachsene übrigens auch.
Lehrkräfte sollten zunächst einmal in der Lage sein, selbstkritisch über ihr Beziehungsgeflecht zu reflektieren – und wie es sich durch digitales Kommunizieren verändert hat. Es ist hilfreich, wenn sie sich ein bisschen mit dem Phänomen von Online-Games und sozialen Netzwerken auseinandergesetzt haben – um zu verstehen, welcher Sog dort gerade für Kinder entstehen kann. Sie sollten aber – jetzt wird’s ganz untechnisch, aber sehr wichtig – in der Lage sein, Mädchen und Jungen gut zuzuhören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es geht darum, sie einzubeziehen und sie sehr sensibel zu befragen, was sie in den digitalen sozialen Netzwerken erleben und was sie dabei beschäftigt. Wo ihre Nöte und Sorgen sind. Damit wir alle, Kinder und Erwachsene, lernen, wie selbstverständlich darüber zu sprechen, was uns im Netz geschieht. Das hört sich ein bisschen banal an. Wir werden als “Innocence in Danger” und Kinderschutzorganisation aber häufig in Klassen gerufen, wo digitale Kommunikation entgleist ist, wo sie übergriffig oder erpresserisch wurde oder zum Teil schwere Traumatisierungen hinterlassen hat. Wir stellen dann fest, dass die grundlegende Aufklärung und Vorbereitung der Kinder etwa auf extrem gewalthaltige Videos in Netzwerken nicht stattgefunden hat.
Digitale Beziehungskompetenz ist immer wichtig, weil es grundsätzlich darum geht, dass wir unsere Beziehungen – privat wie beruflich – nicht mehr nur von Angesicht zu Angesicht sondern überwiegend auch mit Messengern, in Social Networks oder ganz allgemein in digitalen Räumen gestalten. Also meistens nicht gestalten, sondern einfach nur mehr oder weniger unvorbereitet über uns ergehen lassen. Jeder aus dem Twitterlehrerzimmer, der die Überhitzungen dort erlebt, wird verstehen, was ich damit meine. Wenn wir das Kommunikationsverhalten von Kindern und Jugendlichen im so genannten Homeschooling betrachten, dann sehen wir, dass die digitale Zeit des gemeinsamen Lernens ihren digitalen Konsum noch einmal enorm gesteigert hat. Viele der negativen psychischen Folgen werden in Befragungen auf dieses schlagartig veränderte Medienverhalten zurückgeführt.
Wir sollten ganz früh anfangen, am besten schon im Kindergarten, digitale Beziehungskompetenz zu lehren – also Kinder auf den digitalen Raum vorzubereiten. Besonders gut eignet es sich, ab der zweiten, dritten Klasse über digitale Beziehungen zu arbeiten. Da haben die Kinder schon ihre ersten Erfahrungen gemacht. Besonders wichtig es von Klasse 3-8, weil sie sich da wahnsinnig viel ausprobieren. Ab Klasse 8 haben sie oft schon ihre Erfahrungen gemacht und entweder zynische oder hilfreiche Wege gefunden, das alles auszuhalten, was ihnen an Dick-Pics oder Schmähungen begegnet.
Das wirklich erstaunliche ist, wie sehr wir immer noch darum ringen müssen, dass digitale soziale Medien Lernen und Leben fundamental verändern. Diese Themen gehören selbstverständlich ins Klassenzimmer und auch in die Sozialarbeit mit Kindern. Es wird Zeit zu verstehen, dass wir kommunikativ und in unseren Beziehungen im Neuland leben.
Julia von Weiler ist Geschäftsführerin von “Innocence in Danger“, einer Kinderschutzorganisation gegen sexualisierte Gewalt im Internet.