Talk of the town
Erscheinungsdatum: 05. November 2025

Klassisch und grün: Chinas neue Macht beim Stahl – und was das für Deutschland bedeuten kann

Eine Strangschmiedeanlage in Freital, Sachsen (picture alliance / imageBROKER | Sylvio Dittrich)

Vor dem Stahlgipfel ringt die Regierung um Wege, die Branche wettbewerbsfähig und klimafreundlich zu halten. Während China massiv in grünen Stahl investiert, fehlt Deutschland vor allem eines: ausreichend günstiger, erneuerbarer Strom.

Unmittelbar vor dem Stahlgipfel hat die Regierung nochmal zusammengefasst, um was es dabei gehen soll. „Die Stahlindustrie ist enorm wichtig für die Wertschöpfungskette in Deutschland“, so Regierungssprecher Stefan Kornelius. Sie habe große Bedeutung für die wirtschaftliche Resilienz, nicht nur, aber vor allem mit Blick auf Automobil- und Rüstungsindustrie. Der Sprecher der Wirtschaftsministerin ergänzte, ohne Stahl gebe es in Deutschland „keine Autos, keine Brücke, keine Fabriken“. Deshalb sei es so wichtig, jetzt zu helfen.

Dabei geht es laut Kornelius um zwei Ziele gleichzeitig: Ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und ihr bei der Dekarbonisierung zu helfen. So logisch diese Ziele klingen, so schwer sind sie aktuell zu erreichen. Wenn an diesem Donnerstag im Kanzleramt Politik und Industrie über Nothilfemaßnahmen für die deutschen Hersteller beraten, wird ein Problem dauernd mitschwingen: Chinas Macht beim klassisch hergestellten Stahl. Und Chinas Investitionen in eine grüne Stahlindustrie. Bislang waren es die riesigen, CO2-intensiven Stahlmengen zu günstigen Preisen, die den deutschen Herstellern die größte Konkurrenz machen. Um dem zu begegnen, sind ab dem kommenden Jahr erhöhte Schutzzölle auf europäischer Ebene geplant, denen die Bundesregierung – mit möglichen Abstrichen in Detailfragen – wohl zustimmen wird.

Doch China investiert inzwischen genauso in die CO2-arme Stahlproduktion. Im Juli dieses Jahres unterschrieb die Hebei Iron and Steel einen ersten Liefervertrag in die EU. Eine weitere potenziell grüne Primärstahlanlage will die Baowu Group demnächst fertigstellen. Hinzu kommen Elektrolichtbogenöfen, die abhängig vom verwendeten Strom CO2-neutralen Recyclingstahl liefern können. Die elektrischen Öfen machen derzeit etwa zehn Prozent der chinesischen Produktion aus.

Noch ist auch in China der Grünstahl teurer als CO2-intensive Ware. Umgerechnet 120 Euro pro Tonne mehr, sagt die Expertin Xinyi Shen vom Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA), müsse für klimafreundlichen Stahl derzeit bezahlt werden. Hinzu kämen die hohen Investitionen in die Produktionsanlagen. Aber: Zwei chinesische Produktionsstätten erfüllen mittlerweile die EU-Regeln für die Herstellung grünen Wasserstoffs – und erhielten in den vergangenen Tagen die entsprechenden Zertifikate, wie der Europe.Table berichtet. Angesichts des rapiden Zuwachses an günstigem erneuerbarem Strom in China könnte ihr Beispiel Schule machen – und CO2-armen Stahl aus China schnell verbilligen.

Letztlich entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit grünen Stahls ist der Preis erneuerbarer Energien. Und hier liegt die Achillesverse der deutschen Hersteller Saarstahl, Salzgitter und Thyssenkrupp. Sie investieren Milliarden Euro in neue, Wasserstoff-basierte Technologie, um die mit Koks befeuerten Hochöfen abzulösen – und beschweren sich, dass grüner Wasserstoff auch aufgrund komplexer EU-Regeln auf Jahre hinaus viel zu teuer sei. Denn der Preis des grünen Wasserstoffs hängt direkt an Preis und Verfügbarkeit des erneuerbaren Stroms, der die Wasserstoff-Elektrolyseure antreibt. Was es also bräuchte, wäre ein noch schnellerer Ausbau der Wind- und Sonnenenergie hierzulande. Ohne genügend billigen erneuerbaren Strom wird eine grüne Stahlproduktion in Deutschland dauerhaft nicht gegen chinesische Hersteller bestehen können.

Experten und Industrie hierzulande debattieren nun, ob der CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM der EU genügend Schutz für die Stahlindustrie in der Transformation bietet. Nein, sagen die einen. Die ersten Importe von chinesischem grünen Stahl nach Europa führten deutlich die Lücken des CBAM vor Augen, sagt die Wirtschaftsvereinigung Stahl. „Hier werden gezielt CO2-ärmere Produkte in die EU exportiert, während CO2-intensivere im Herstellungsland verbleiben. Dem Klima ist damit in keiner Weise geholfen.“ Daher solle der CBAM nicht individuelle Produktionsweisen, sondern länderspezifische Standardwerte zugrunde legen. Dann nämlich würde grüner Stahl aus China nicht als grün gelten. Ähnlich argumentiert Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, in einem aktuellen Standpunkt im Europe.Table.

Das Gegenargument lautet: Dass China in grünen Stahl investiere, zeige gerade, dass der CBAM funktioniert. „Mit der Einführung von CO2-Preisen in über 70 Ländern weltweit entsteht genau das Umfeld, auf das die Industrie immer gedrängt hat“, sagt Tilman von Berlepsch, Stahlexperte beim Öko-Thinktank Germanwatch. Tatsächlich soll der CBAM nicht den Import von grünem Stahl verhindern – sondern die Dekarbonisierung in Grundstoffindustrien weltweit fördern. Für die deutsche Stahlindustrie allerdings stellt sich die Frage, ob eine erfolgreiche Dekarbonisierung in China die Transformation hierzulande bedroht.

Im Kanzleramt wird wohl morgen lediglich über eine Verschnaufpause für die deutsche Stahlindustrie diskutiert werden. Die ungleich größere Herausforderung steht aber vor der Tür: Ein massiver Ausbau der Erneuerbaren innerhalb weniger Jahre, sodass – neben allen anderen Bedarfen für etwa E-Autos, eine grüne Chemie und Wärmepumpen – eine konkurrenzfähige grüne Stahlproduktion in Mitteleuropa möglich wird.

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Letzte Aktualisierung: 05. November 2025

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