Talk of the town
Erscheinungsdatum: 14. August 2025

Der Bund, der Zivilschutz und die neue Weltlage: konzeptionell im Jahr 2016 hängen geblieben

Trotz Kriegs in Europa kommt Deutschland beim Thema Zivilschutz kaum vom Fleck. Geld ist jetzt zwar da – aus dem Infrastruktur-Sondervermögen und der Bereichsausnahme der Schuldenbremse. Gekauft werden können davon etwa dringend benötigte Fahrzeuge für das Technische Hilfswerk. Außerdem können wichtige Brücken und Straßen modernisiert werden. Doch auf konzeptioneller Ebene ist man weiterhin personell schwach aufgestellt. Das gilt vor allem fürs Bundesinnenministerium und fürs Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Also dort, wo Grundlagen geschaffen und Richtungen vorgegeben werden sollen.  

Die Konsequenz: Schritt zwei wird vor Schritt eins gemacht. Und manche Schritte können gar nicht gegangen werden. So will das BMI zwar zeitnah ein modernes Schutzraumkonzept veröffentlichen. Weil es keine klassischen Luftschutzbunker mehr gibt und Neubauten als zu kostspielig gelten, sollen im Ernstfall öffentliche Räume wie U-Bahn-Schächte, Gemeindezentren und Parkhäuser zu Schutzräumen umfunktioniert werden. Mit viel Geld ist das bislang aber nicht unterlegt. Im Haushalt 2026 sind für Schutzräume 30 Millionen zusätzlich eingeplant; im 2025er-Haushalt waren es gerade mal drei Millionen.  

Der Grünen-Abgeordnete Leon Eckert kritisiert, dass die Bundesregierung mehr mit „Gefühl“ als mit fundierten Grundlagen arbeite. Erst brauche es eine sorgfältige Analyse der Risiken und der eigentlich nötigen Fähigkeiten, um die Gefahren zu minimieren. Erst danach könne es eine saubere Definition des Schutzziels geben, sagt Eckert. Genau diese Risikoanalyse fehlt bislang. Stand jetzt soll sie erst Ende 2025 veröffentlicht werden – und damit nach dem Schutzraumkonzept. Grund für die Verzögerung ist laut einem Sprecher des BMI der hohe Aufwand: Es handle sich um die „erste Risikoanalyse mit einem kriegerischen Konfliktszenario“.  

Bevölkerungsschutz-Experte Martin Voss kritisiert außerdem, dass Parlament und Bevölkerung nur mangelhaft beteiligt würden. Der Professor für Krisen- und Katastrophenforschung an der FU Berlin beklagt, dass chemische oder biologische Angriffe bei dem derzeitigen Konzept nicht diskutiert würden. Der Fokus liege allein auf einem Trümmerschutz gegen Raketen- oder Drohnenangriffe. Weil sich die Risikoanalyse verspätet, verzögert sich auch die Erstellung des sogenannten Nationalen Fähigkeitsprofils. Das geht aus einer Antwort des BMI an den Grünen-Abgeordneten Eckert hervor, die Table.Briefings vorliegt.  

Das Fähigkeitsprofil basiert auf Nato-Anforderungen an Deutschland. Sie legen fest, welche personellen und materiellen Ressourcen für den Ernstfall vorgehalten werden müssen. Für Deutschland als Drehscheibe zwischen den Alliierten aus dem Westen und der potenziellen Front im Osten gelten die Anforderungen noch einmal in besonderem Maße: Experten rechnen im Fall eines bewaffneten Konflikts an der Ostflanke mit tausend Verwundeten am Tag, die nach Deutschland gebracht werden müssten; mit unzähligen Schiffen, die Militärgüter an deutschen Häfen anlanden und kilometerlangen Konvois der Streitkräfte, die gen Osten fahren würden.  

Die Abteilung Krisenmanagement im BMI unterliegt seit Jahren einem Sparkurs. Die Auswirkungen sind jetzt spürbar. Konzepte, die bereits vor Jahren hätten erarbeitet werden können, fehlen. So wurde die Konzeption Zivile Verteidigung (KZV), die die Nato-Anforderungen an die zivilen Akteure in nationale Form gießen sollte, 2016 vom BMI veröffentlicht. Die KZV sollte als Dachdokument für viele weitere Dokumente, unter anderem für das Nationale Fähigkeitsprofil, dienen. Umgesetzt wurde von den vorgesehenen Folgedokumenten so gut wie keines, ein Update der KZV gab es nie. Warum das fehlende Fähigkeitsprofil auch ein Problem für die Nato werden könnte, lesen Sie im Security.Table

Letzte Aktualisierung: 14. August 2025
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