Was vorher viele in den westlichen Hauptstädten ahnten und die meisten befürchteten, ist nach dem Alaska-Gipfel Gewissheit geworden: US-Präsident Donald Trump ist auch nach vermeintlich besten Gesprächen und präzisesten Absprachen ein unverlässlicher Vielleicht-Partner geblieben. Nach allem, was die Bundesregierung nach dem De-Briefing des US-Präsidenten erkennen kann, sind auch die wichtigsten Forderungen der Europäer im Gespräch von Trump mit Wladimir Putin nicht als Bedingungen, sondern allenfalls als Gedankenspiele eingebracht worden.
Das dürfte der Hauptgrund für die diplomatische Blitzaktion Richtung Washington sein. Als Friedrich Merz, Emmanuel Macron, Keir Starmer und einige andere am Wochenende erkennen mussten, wie brüchig ihre Absprachen mit Trump bleiben, haben sie mit einiger Verve drauf gedrungen, Wolodymyr Selenskyj bei seiner nächsten Begegnung mit Trump am Montag zur Seite zu springen. Dabei bleibt die exakte Genese der Gruppenreise nach D.C. bewusst offen. War es erst Selenskyj, der die Idee lancierte? Waren es eher die Europäer mit Merz an der Spitze, die bei Trumps Leuten antichambrierten? Oder waren es tatsächlich amerikanische Regierungsvertreter, die auf diese Idee kamen? (Wie jetzt angedeutet wird.)
Am Sonntag wird das bewusst offengelassen. In Berlin heißt es nur, derlei protokollarische Fragen seien zwar nicht unwichtig, angesichts der komplexen Suche nach Fortschritten aber eindeutig zweitrangig. Und so wird die europäische Reisegruppe, der auch Italiens Premierministerin Giorgia Meloni, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Finnlands Präsident Alexander Stubb angehören, am Montag gegen 12 Uhr mittags im Weißen Haus eintreffen, um nach einem ersten Gespräch von Trump mit Selenskyj in größerer Runde wieder für klarere Linien und Positionen in einem bislang ziemlich erratischen (im Kanzleramt spricht man von einem fließenden) Prozess zu kämpfen.
Dabei haben Merz und Co gleich zwei Probleme. Das erste: Trump ist nach wie vor kein stabiler Verbündeter. Das wird im Kanzleramt an zwei Themen besonders fest gemacht. Beispiel: Waffenstillstand. Unmittelbar vor Alaska hatten sich die Europäer und Trump darauf verständigt, dass mit einem Waffenstillstand alles anfangen müsse, damit bis zu einem immens schwierigen Friedensabkommen nicht weitergekämpft und getötet werden dürfe. Trotzdem hat Trump nach Alaska Putins Ruf nach einem Friedensabkommen übernommen.
Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärte am Sonntag an der Seite von Selenskyj zwar, der Begriff sei nicht wichtig. „Ob Waffenstillstand oder Friedensabkommen – die Wirkung zählt.“ Aber sie fügte hinzu, die Wirkung müsse sein, dass das Töten aufhöre. Selenskyj selbst erklärte, man kenne nicht alle Forderungen Putins, und es sei unmöglich, unter dem Druck von Waffen auf alle einzugehen. Zugleich seien am Ende natürlich ein anhaltender Frieden und Sicherheitsgarantieren wichtiger als eine Feuerpause. Am Willen, einen Waffenstillstand voranzustellen, hat sich aber nichts geändert.
Das zweite Beispiel: der Umgang mit Sicherheitsgarantieren. Alle in Berlin wissen, wie vielschichtig diese Fragen sind – und wie heikel es ist, sie vorzeitig öffentlich zu diskutieren. Öffentlich zählt Selenskyj vor allem Artikel-5-Beistandszusagen der Nato dazu. Tatsächlich aber werden diese Fragen längst ziselierter debattiert. Wie können Sicherheitsgarantieren aussehen, die unterhalb der Schwelle einer Nato-Mitgliedschaft liegen? Gibt es Vorbilder bilateraler Zusagen? Japan hat eine solche Garantie der USA erhalten. Wieviel Sicherheit kann es geben, wenn die Ukraine Garantien für einen gesicherten Zugang zu Waffen erhält, verbunden mit einer Garantie für deren Finanzierung? Um all das soll es am Montag in D.C. gehen.
Eine andere Sorge wird im Kanzleramt derweil immer größer. Die Sorge, dass die Erwartungen an jedes nächste Gespräch, jede nächste diplomatische Begegnung viel zu hochgeschraubt werden und jeder Nicht-Fortschritt anschließend als Katastrophe oder Desaster beschrieben wird. Auch das, so heißt es am Sonntag, erschwere Fortschritte und könne am Ende zu einem Scheitern beitragen. Alle aktuellen Bemühungen bräuchten Zeit – und ein bisschen mehr Ruhe und Sachlichkeit in der Bewertung. Warum auch Experten wie Nico Lange, Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz, die Erwartungen dämpfen, lesen Sie im Europe.Table.