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Erscheinungsdatum: 21. Januar 2025

WFP-Chef: Deutschland erntet gerade die Früchte seines Engagements

Der Deutschlandchef des WFP (World Food Programme) über den Umgang mit globalen Krisen, die Tendenz zur Entmenschlichung und die Debatte über die Rückführung von Syrern, mit der Deutschland Respekt und Glaubwürdigkeit verspiele.

„Umbrüche“. Glaubt man den Jahresausblicken in internationalen Medien, ist es der Sammelbegriff für alles, was uns dieses Jahr bevorsteht. Diese Beunruhigung ob der anstehenden Veränderungen und die Beklemmung angesichts einer fragilen Weltlage fällt in die Zeit des Wahlkampfs. Fast schon klingt es abgedroschen: Globale Probleme brauchen gemeinschaftliche Lösungen, aber wohin man schaut, erlebt der Egoismus und Isolationismus ein internationales Comeback.

Die Folge ist, dass die Suche nach Lösungen oder zumindest Linderung von globalen Krisen und Problemen immer weiter im politischen Diskurs zurückfällt. Das gilt für Klimaschutz, für langfristige Lösungen gegen den Hunger und für den Flüchtlingsschutz sowieso. Das ist beunruhigend. Menschen in Not konnten sich immer auf deutsche Solidarität verlassen. Das war mit Blick auf unsere Geschichte jahrzehntelang gesellschaftlicher Konsens. Diese Solidarität hat das Bild Deutschlands weltweit positiv geprägt.

Deutschland tritt gerade in die heiße Wahlkampfphase. Auch außenpolitische Themen werden in den Fokus rücken und wirken ohnehin längst im Inneren – die Ukraine, Gaza ebenso, genauso Syrien. Das ist politisch nachvollziehbar, eben weil diese internationalen Krisen bis nach Deutschland ausstrahlen.

Schlagzeilen-Stakkato und Online-Sperrfeuer auf allen Kanälen verstellen allerdings oft den Blick darauf, dass wir in politischen Debatten auch über das Leben und Überleben von Menschen sprechen, die in diesen Konflikten in der Falle sitzen.

Besorgniserregend ist die Entmenschlichung, die mit diesen Krisen einhergeht. Zum einen in den Konflikten selbst, wo immer rücksichtslosere Kriegsführung, im Sudan, in Gaza und in der Ukraine, zu immer mehr Opfern unter der Zivilbevölkerung und humanitären Helferinnen und Helfern führen, teilweise unter Bruch völkerrechtlicher Prinzipien. Zum anderen geht Solidarität und Menschlichkeit verloren, weil Menschen krisenmüde sind, nicht mehr hinschauen wollen (Sudan) oder weil Konflikte so politisiert werden, dass social-media-beförderte Lagerbildung der jeweils anderen Seite die Menschlichkeit abspricht (Gaza).

Hier reiht sich die atemlose und verfrühte Debatte über die Rückführung von Syrern ein, die ohne Not den internationalen Respekt und die Glaubwürdigkeit verspielt, den sich Deutschland durch Engagement in Deutschland und Syrien international erarbeitet hat. Syrien hat wieder Hoffnung, aber das Land ist verwüstet. Die Hälfte der Bevölkerung hungert und fast jeder lebt unter der Armutsgrenze. Doch gerade weil Deutschland geholfen hat, unabhängige Hilfsstrukturen zu etablieren, erntet es gerade die Früchte dieses Engagements. Es ist kein Zufall, dass deutsche und französische Chefdiplomatinnen und Chefdiplomaten die ersten „westlichen“ Gesprächspartner in Damaskus sind. Engagement hat hier Türen geöffnet, Rückzug schließt sie.

Solidarität und Menschlichkeit dürfen uns gerade in rauen Zeiten nicht abhandenkommen. Unser internationales Engagement in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist dessen wirkungsvollster Ausdruck. Es ist menschlich richtig, Schwächeren zu helfen und für Deutschland ein gutes Investment, das keiner Stimmung geopfert werden darf.

Im Jahr der Umbrüche braucht der gesamtgesellschaftliche Solidaritätskonsens einen neuen Impuls, durch ein breites Bekenntnis zu starker internationaler Hilfe, das nach der Wahl mit Taten untermauert wird. Es wäre ein Signal des Aufbruchs in einer Zeit der Umbrüche, die viele wie Zerfall wahrnehmen.

Martin Frick ist seit November 2021 Direktor des WFP-Büros für Deutschland, Österreich und Liechtenstein. Zuvor war er unter anderem stellvertretender Sondergesandter des UN-Generalsekretärs für den „Food Systems Summit 2021“ und Klimachef der UN-Welternährungsorganisation FAO.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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