Eine liberale Partei wird gebraucht, in Deutschland und in der Regierungskoalition. Die FDP ist, bei manchen Defiziten, die einzige Partei ihrer Art. Ihre Chancen sind viel größer als sie heute im Wählervotum sichtbar sind. Warum kommt sie beim Wähler nicht besser an? Sie setzt wichtige Akzente bei der notwendigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft; sie beharrt zurecht auf Wettbewerbsfähigkeit und auf die Solidität der Staatsfinanzen. Auch in der Rechtspolitik ist sie mit liberaler Politik erkennbar. Aber sie macht auch Fehler, sie löst Irritationen aus, sie hat ein Blockiererimage. Dabei lehnt sie manches zu Recht ab und ist die Stimme der Vernunft. Aber das muss sie besser erklären. Und überholte Positionen sollte sie revidieren.
Die FDP muss sich damit abfinden, dass ihre Leistungen beim Wähler nicht hinreichend zu Buche schlagen. Die Ampel wird als eine Einheit gesehen. Alle Ampelparteien verlieren zur Zeit. Also reicht es nicht, nur als eine der Ampelparteien wahrgenommen zu werden. Die FDP muss mit einem umfassenden liberalen Gestaltungsauftrag wahrgenommen werden, der über die Ampel-Politik hinausgeht. Sie hat mehr zu bieten.
Die Ampel verbindet verschiedene Milieus, was nicht anderes bedeutet als die Chance, diese in einem Ausgleich zusammenzuführen. Diese Chance besteht noch. Es gibt äußere Umstände, die es allen, auch der FDP, schwer machen. Die politische Lage insgesamt ist von Krisen geschüttelt. Das miteinander mit zwei Parteien in der Ampel, die Lindner distanzierend als "Linksparteien“ bezeichnet, ist an sich schon schwierig. Nach Lage der Dinge wird man aber immer mit einer dieser Parteien , also SPD oder Grüne , an einer Koalition beteiligt sein - was auch immer kommen mag. Die Ampel ist also auch ein FDP-Projekt. Hat sie Erfolg, so ist das auch ein Erfolg der FDP. Und umgekehrt.
Nun ist ein neues Element hinzugekommen: die Haushaltskrise. Wird die Ampel zu gemeinsamen Lösungen kommen? Die 60 Mrd hätten vieles möglich gemacht, was für die beteiligten Parteien elementar wichtig war. Ich kann der FDP nur raten, sich jetzt um konstruktive Lösungen zu bemühen. Natürlich müssen das die anderen Partner auch. Die Welt und auch unser Land sind gefährlichen Bedrohungen ausgesetzt. Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung. Haushaltsbelastungen durch Verteidigung der Freiheit in der Ukraine. Zahlungen an die Ukraine, Waffenlieferungen und das Bürgergeld an rund eine Millionen Ukraine-Flüchtlinge. Sind das keine Sonderlasten, abgesehen von unserem Verteidigungsetat? Unsere Freiheit ist bedroht, wenn die Ukraine verliert. Auch der Brandherd im Nahen Osten ist eine Sondersituation. Aber was man auch immer tut: schmerzliche Veränderungen sind unausweichlich.
In der letzten Zeit verstärkte sich der innerparteiliche Druck in der FDP, die Ampel zu verlassen. Wird er sich erhöhen? Das könnte sehr schnell bedeuten, sich ins politische Niemandsland zu begeben. Die Mitgliederbefragung - ich fürchte, sie wird stattfinden - wird diesen Eindruck verstärken und die Wähler irritieren. Da will sich eine Partei der politischen Verantwortung entziehen, ausgerechnet in einer solchen angespannten politischen Situation. Die Mitgliederbefragung, die vor 10 Jahren einen antieuropäischen Kurs in der FDP durchsetzen wollte, hat zur Niederlage bei der Bundestagswahl im Jahre 2013 beigetragen hat.
Würde sich das wiederholen, dann wird es wieder heißen: Die FDP beschäftigt sich mit sich selbst und nicht mit den Problemen des Landes. Käme es dann zu Neuwahlen, und diese wären nur nach Überwindung verfassungsrechtlicher Hürden möglich, weil sich der Bundestag ja nicht selbst auflösen kann, dann würden die Wähler der FDP womöglich kein Vertrauen mehr schenken. Für künftige Koalitionen würde die FDP vermutlich nicht gebraucht. Auch ist nicht auszuschließen, dass eine andere Koalition Kompromisse schließt, die jetzt scheitern. Also: Die ganze Aktion wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tode.
Die FDP muss jetzt klar entscheiden, dass ein Austritt aus der Ampel nicht ihre Politik ist. Und zwar mit überzeugenden Voten von Partei und Fraktion. Das ist bisher nicht so klar. Die FDP ist in der Ampel unverzichtbar. "FDP pur“ - das hat es nie gegeben. Wer das fordert, hat von Politik nichts verstanden.
Unabhängig davon, wie die aktuellste Krise ausgeht, ist es notwendig, dass sich die FDP überzeugender darstellt, mit dem ganzen Fundus der liberalen Idee. Die FDP hat eine Tradition in der deutschen Geschichte. Es ist die Tradition der Paulskirche , der Revolution von 1848. Es ist die Tradition bedeutender Liberaler. .Sie hat ein Thema: die Freiheit. Freiheit in Verantwortung. Es geht heute um die Beantwortung der Frage: Was bedeutet Liberalismus in Zeiten fundamentaler Veränderungen. Wie verändert er sich selbst. Es gibt dazu Teilantworten Es gibt aber keine überzeugende Ortsbestimmung des Liberalismus in einer Zeit, in der die „Zukunft neu gedacht" werden muss.
Dafür gibt es Gründe: So gibt es seit langem keine vertiefte Debatte innerhalb der Partei, die auch nach außen ausstrahlt. Und es gibt nur eine geringe intellektuelle Anziehungskraft. Nach Kriegsende war das anders. Da wurde in der liberalen Partei um die Zukunft gerungen. Man lese nur nach, wie Karl-Hermann Flach, der Generalsekretär, zur Diskussion über die Reform des Kapitalismus in Abgrenzung zum Sozialismus herausgefordert hat. Werner Maihofer hat die FDP in der Tradition der Aufklärung verankert. Seine Botschaft: „Fortschritt durch Vernunft“. Auch Dahrendorf war unverzichtbar.
Oder Genscher und Scheel: Sie haben uns eine Ordnung und Rolle in der Welt gegeben. Sie haben uns eine Zukunft entworfen und dabei Grundüberzeugungen vorgelebt. Die Welt ist zum Zerreißen gespannt. Geostrategische und geoökonomische Entwicklungen gefährden eine bisher einigermaßen regelorientierte Völkergemeinschaft. Die Weltmächte USA und China kämpfen um ihren Einfluss. Der Überfall auf die Ukraine und der Hamas-Terror sind keine nur regionalen Konflikte. Eine neue Weltordnung droht, eine autoritäre Weltordnung gegen die Demokratien gerichtet. Europa könnte und müsste eine wichtige Rolle spielen, auch im Brückenbau zum „globalen Süden“.
Wer vermittelt heute die außenpolitische Kompetenz der FDP in der Tradition der liberalen Außenminister nach 1945? Wer vermittelt die Zukunftserwartungen an Europa? Wollen wir uns immer kleiner machen, statt uns breit aufzustellen Wieso gibt es das nicht mehr? Heute, in Zeiten des Krieges; in Zeiten, in denen die Welt auseinanderfällt. Schauen wir nur zu? Oder wollen wir gegen den Zerfall kämpfen? Es fehlen die Diskussionsprozesse in der Partei. Nicht die selbstzerstörerischen, die schaden Wir brauchen das Ringen um den richtigen Weg.
Unsere Republik ist Freiheitsgefährdungen ausgesetzt wie nie zuvor nach dem Kriege. Es sind nicht nur die Wähler der AfD, die Anlass zur Sorge geben, sondern eine Teilradikalisierung des Bürgertums und die Gleichgültigkeit vieler Bürger, die der Meinung sind, die Demokratie ist ein dauerndes Geschenk, um das man sich nicht kümmern muss. Hinzukommen Migranten, die nicht wissen, was das Grundgesetz für uns Deutsche bedeutet. Es ist nicht nur der Antisemitismus in bisher nie erlebter Dimension, der uns besorgt. Ich hätte mir von der Freiheitspartei FDP eine Kampagne für die Freiheit gewünscht, mit der sie auch die Menschen erreicht, die sich jetzt überall im Lande mit diesem Ziel versammeln, um die Demokratie zu schützen, d.h. die Menschenwürde zu verteidigen, die mit erschreckendem Antisemitismus verletzt wird. Unsere Freiheit ist bedroht - hierzulande und weltweit. Der Rechtsextremismus, das ist kein Fieber, das schnell wieder nachlässt. Es ist die größte Bedrohung unserer Demokratie. Eine liberale Kampagne für unser Grundgesetz würde das Bild des Liberalismus auffrischen.
Es fehlt auch die Kommunikation in die Bevölkerung hinein. 1969 haben wir mit 5,8 Prozent die sozialliberale Koalition herbeiführt. Das war höchstumstritten,. Dann sind wir vor Ort gegangen, um unsere Entscheidung zu erklären. Heute müsste in Foren landesweit die liberale Politik mit Bürgern, Kritikern und Sachverständigen erörtert werden. Die Menschen fühlen sich unsicher und wollen wissen, wohin die Reise geht. Damals wurde viel dadurch bewirkt , dass die Partei sich öffentlich den Kritikern gestellt hat. Ein Europaforum wäre an der Zeit.
Irritiert bin ich auch dadurch, dass ich nicht genau erkenne, welche Wähler die FDP anspricht. Hier ist schon deshalb Klarheit notwendig , weil die FDP nicht mehr „Zünglein an der Waage“ ist. Sie braucht nicht nur Situationswähler, sie braucht Stammwähler Wen hat die FDP eigentlich im Auge ? Sie spricht natürlich den klassischen Mittelstand an , aber warum nicht auch noch intensiver die „Neue Mittelklasse“ aufgeklärter, zukunftsorientierter, freiheitsgesinnter Bürger, die sich offen zeigen für den gesellschaftlichen Fortschritt in allen Wandlungsprozessen. Vor allem in den urbanen Milieus gibt es „heimatlose Liberale“ , die von den Grünen nicht oder nicht mehr überzeugt sind. Sie sind aber auch nicht überzeugt, wenn die FDP mit manchen Erklärungen, die nach rechts blinken und dann von der Merz-CDU nicht mehr unterscheidbar sind. Gibt es dafür starke Unterstützung in der Bundestagsfraktion? Was ist eigentlich in der Bundestagsfraktion los, dass eine Gruppe den eher „linksgerichteten“ Führungskräften bei der Wahl für den Fraktionsvorstand die Zustimmung verweigert? Offenbar geht es um die politische Richtung...
Ich habe hier nur einige Bemerkungen von außen gemacht. Zur Lage meiner Partei. Die Diskussion muss die FDP führen. Fazit: Gut Regieren reicht nicht. Die Partei muss aus ihrem ganzen Fundus schöpfen, und das immer auch für den Fall, dass sie nichtregiert, wie jetzt in vielen Bundesländern. Am wichtigsten: Unser Land kann sich gerade jetzt keine Instabilität leisten.Wer nicht an das Gemeinwohl denkt, der hat schon verloren.