Table.Standpunkt | Kommunalpolitik
Erscheinungsdatum: 27. Oktober 2025

Ein Stadtbild mit Zukunft

Steffen Krach, SPD-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin, und Belit Onay, OB von Hannover (Grüne) - picture alliance/Elisa Schu sowie teutopress

Die Stadtbild-Debatte muss weg vom migrationspolitischen Fokus. Das sagen Belit Onay, OB von Hannover, und Steffen Krach, SPD-Spitzenkandidat für Berlin. In einem Gastbeitrag für Table.Briefings schreiben sie, was es aus ihrer Sicht wirklich braucht.

Ein Stadtbild mit Zukunft

Ja, das Stadtbild ist tatsächlich die Antwort auf eine immer stärker werdende AfD – aber nicht so wie Bundeskanzler Friedrich Merz es gesagt hat. Das ist migrationspolitischer Populismus, der niemanden weiterbringt, aber viele Menschen verletzt. Darüber wurde in den vergangenen Tagen zurecht viel debattiert, aber wir dürfen an diesem Punkt nicht stehenbleiben. Wie soll das Stadtbild aussehen? Das ist die Frage! Der Kanzler hatte die Gelegenheit, hier eine wichtige Debatte zu starten und er hat sie geradewegs versenkt.

Worum es eigentlich gehen sollte

Ob Hannover, Schwerin, Frankfurt, München oder Berlin: Unsere Städte stehen vor enormen Herausforderungen – und die Frage, ob unsere Gesellschaft es schafft, diese zu meistern und unsere Demokratie langfristig stabil bleibt, entscheidet sich maßgeblich daran, ob es gelingt, wieder ein gutes Stadtbild zu erzeugen. Die von Friedrich Merz vorgenommene Verengung des „Stadtbilds“ auf aufenthaltsrechtliche Fragen zeigt, dass er weder eine Vorstellung vom Lebensgefühl in unseren Städten hat, noch, dass er die Komplexität der Herausforderungen in urbanen Räumen überblickt.

Der Investitionsbooster braucht den Stimmungsbooster

Vor unser aller Augen ist in den letzten zwei Dekaden die öffentliche Infrastruktur verrottet. Schwimmbäder, die nie saniert wurden, Verwaltungsgebäude, die jahrelang eingerüstet werden müssen, Brücken, die besser nicht mehr befahren werden, Kindergärten, die nicht gebaut sind oder marode Schultoiletten. All das hat den Aufstieg der AfD verstärkt. Wo die Umgebung nicht mehr schön ist, sich niemand wohlfühlt, da ist auch die Stimmung schlecht und da treffen Menschen nicht gern aufeinander. Im Gegenteil: Das ist die Keimzelle für Konflikte.

Darauf reagieren die Kommunen. Neben Hannover wurde in vielen Städten und Regionen in den vergangenen Jahren massiv investiert – und mit Rekordausgaben die Talsohle durchschritten. Doch gebraucht wird eine weitere finanzielle Befähigung der Kommunen, strukturell und dauerhaft. Die Bundesregierung hat den Weg frei gemacht für massive Investitionen und das ist gut so – doch die entfalten ihre Wirkung nur, wenn wir sie verbinden mit einer Stimmung, die Lust macht, anzupacken und mitzumachen. Und das ist das Problem bei den Aussagen von Friedrich Merz. Sie sind destruktiv. Wir reden nicht über das, was wir schaffen wollen und können, sondern bleiben stehen bei Debatten, die nur einer Seite helfen. Der Kanzler und die Regierung müssen vorangehen – mit Ideen, mit Engagement und der Einladung an alle, sich einzubringen.

Was unser Stadtbild braucht

Wenn zum Teil 60 Prozent der Kinder in unseren Grundschulen eine Migrationsgeschichte haben, ist Vielfalt die neue Normalität. Das ist Chance und Herausforderung zugleich. Menschen unterschiedlichster Kulturen treffen aufeinander und damit verbunden diverse Bildungshintergründe, Einkommen und gesellschaftliche Werte. Schulen, Jobcenter, Unternehmen, Kirchen und Verwaltungen sind Orte des gegenseitigen Kennenlernens, der wechselseitigen Irritation und Annäherung. Überall gibt es viel mehr Reibung, Diskurs und Streit, aber ebenso überraschendes Zusammenfinden, neue Nachbarschaften und ein bunteres und abwechslungsreicheres Leben. Politikerinnen und Politiker müssen als Vorbild vorangehen und die Menschen einen – allen voran der Bundeskanzler. Mehr denn je geht es darum, ein neues Miteinander auszuhandeln. Das kostet viel Kraft, von allen. Und es erfordert, dass sich alle an die Regeln halten und die Konsequenzen spüren, wenn sie es nicht tun. Je stärker das Zusammenleben in den Städten ist, desto stärker wird auch unsere Demokratie.

Ob die Menschen in unseren Städten zufrieden und optimistisch sind, hängt maßgeblich davon ab, dass sie gerne Zeit dort verbringen. Und das geht weit über den Einzelhandel und eine starke Wirtschaft hinaus. Es braucht Sicherheit und Ordnung ebenso wie Sauberkeit. Wir müssen unsere Innenstädte zu Orten der Begegnung, des Spaßes, des lockeren Zeitvertreibs und des entspannten Shoppens machen. Wenn wir immer betonen, dass Sport und Kultur Menschen verbinden, dann machen wir Platz in den Städten dafür. Kommunen müssen ganzjährig daran arbeiten, gemeinsam mit den Kulturinstitutionen und Sportvereinen sowie dem Handel selbst besondere Angebote zu kreieren. Wir brauchen auch mehr Platz. Nicht mehr vor jedem Geschäft braucht es einen Parkplatz.

Und für langfristig schöne Aufenthaltsorte brauchen wir vor allem eines: Klimaresilienz. Städte sind schon jetzt hochverdichtete Räume. Es wird tendenziell enger werden, und heißer. Damit ein Aufenthalt in der Stadt auch im Sommer angenehm ist, müssen wir uns schon jetzt entschlossen auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten. Grünflächen, Bäume, Wasserflächen – wo immer es möglich ist, müssen wir investieren. Die Fassaden sollten von Pflanzen umrankt sein, Regenwasser sollten wir sammeln und effizient nutzen. So entstehen neue Räume und gerade für Städte in Deutschland kann darin sogar eine Chance liegen, wenn ein neues Draußengefühl entsteht. Die Stabilität der Demokratie entscheidet sich in unseren Städten, also legen wir los. Schaffen wir ein neues Stadtbild!

Als Kommunen gehen wir gerne voran: Wir investieren. Wir leben Vielfalt. Wir stärken soziale, wirtschaftliche und kulturelle Strukturen. Aber wir brauchen dazu eine Bundesregierung, die uns den Rücken stärkt, die mit uns Dinge möglich macht, statt von wesentlichen Fragen abzulenken.

Und zudem: Einen Bundeskanzler, der die Menschen in unseren Städten nicht gegeneinander aufstellt und seine Worte mit Bedacht wählt. Das ist besser für unsere Städte. Und gut unsere Demokratie.

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Letzte Aktualisierung: 27. Oktober 2025

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