Wenn die Linke wieder gewinnen will, muss sie sich auf sich selbst konzentrieren. Selbstbeschäftigung wird im politischen Geschäft schnell als etwas Negatives gesehen, als Schwäche. Dabei kann sie der Schlüssel zu einem Neuanfang werden, wenn sie konstruktiv und richtig gemacht wird.
Zugegeben: Die Herausforderungen, denen sich die Linke stellen muss, reichen über den eigenen, unmittelbaren Handlungsbereich hinaus. Der Zeitgeist wendet sich seit ein paar Jahren von einer geglaubten linken Hegemonie ab, rechtes Denken und Narrative sind „edgy“ und rebellisch in einer Republik, die versucht alles richtigzumachen. Links sein ist schon länger nicht mehr cool. Und die Ampel-Regierung, die es schafft, dass progressive Politik synonym mit Preiserhöhungen wird, zementiert diesen Eindruck, ohne dass sie sich selbst als dezidiert links versteht.
Wirtschafts- und finanzpolitische Themen – eigentlich ein linker Schwerpunkt – sind in einer globalen Weltwirtschaft komplex und so abstrakt, dass die fundamentalen Veränderungen, die in den meisten linken Vorschlägen angelegt sind, nicht realistisch, nicht überzeugend und mobilisierend klingen. Wer den systematischen Steuerbetrug hinter Cum-Ex versteht, ist vielleicht wütend – zur Massenmobilisierung gegen die Profiteure reicht es aber nicht. Diese Art der Bereicherung löst stattdessen heimliche Bewunderung oder resigniertes Achselzucken aus. Deutsche Wohnen Co. Enteignen war eine der ganz wenigen Initiativen, die eine Handlungsoption in einem globalisierten Immobilienmarkt konkret zur Abstimmung gestellt hat : Immobilienkonzerne zum Allgemeinwohl enteignen. Damit war die Initiative beim Volksentscheid erfolgreich, aber weder sind seitdem die Wohnungen enteignet noch sinken die Mieten. Am Ende bestätigt es nur das Gefühl vieler Menschen, dass „da eh nichts gemacht werden kann“.
Soziale Probleme werden zunehmend auf dem Prisma der Zuwanderung betrachtet:. Fehlende Wohnungen? Weniger Geflüchtete! Überlastete Schulen? Weniger Geflüchtete! Statt über Investitionen und Umverteilung wird über Menschen mit anderer Hautfarbe gesprochen. Diese Debatte ist für Linke eine immense Herausforderung: Populäre Politik zu machen, die weder die antirassistischen Grundsätze verrät noch versucht, vergeblich gegen einen zunehmend rassistischen Grundtenor anzuschreien, ist eine riesige Aufgabe, der sich die Partei die letzten Jahre nicht stellen wollte.
Die Probleme, die die Linke hat, sind aber auch hausgemacht. Es ist der Unwille, sich mit den eigenen Grundsätzen kollektiv auseinanderzusetzen und in einer veränderten Welt neue Narrative und Ideen zu entwickeln – einen expliziten Gegendiskurs zu gestalten, der aber trotzdem Menschen erreicht.
Es ist das giftige Überzeugtsein, das unregulierte Gekeife gegen die eigenen Genoss:innen und der Wille zur Zerstörung – das in die Abspaltung und das darauffolgende Zerbrechen der Linksfraktion im Deutschen Bundestag mündete. Auch bei der Gruppe der restlichen Linken im Bundestag besteht die Gefahr, dass über Personaldebatten erneut so emotionale Debatten entbrennen, die beispielsweise über außenpolitische Fragen und Probleme geführt werden könnten. So verhärtet sich im Zweifel nur erneut der Eindruck, dass die Linke nicht nur die Solidarität nicht lebt, die sie predigt, sondern auch nichts Besseres zu tun hat, als über Pöstchen zu streiten. Sicherlich sind herausgehobene Positionen wichtig in einer Mediendemokratie, aber sollte es nicht gerade Linken im Zweifel etwas egal sein, wer an der Spitze steht?
Also: Was tun? Ein erster konkreter Schritt neben Appellen zur Geschlossenheit und dazu, netter zueinander sein, wäre die kollektive Erarbeitung eines Bundestagswahlprogramms. Ein neuer Gründungskonsens geschlossen zwischen allen Mitglieder. Moderne Beteiligungsformate sind schon lange in der Lage, große Gruppen integrativ und kollektiv Texte erarbeiten zu lassen. Das wäre ein Versuch, junge und erfahrene Mitglieder gleichermaßen in den inhaltlichen Diskurs einzubeziehen. Die Linke könnte zeigen, dass sie wirklich mit den Menschen spricht, die von diesem Land wenig zu erwarten haben, und sie einladen, Teil des Programms zu werden. Wenn die Partei ausstrahlt, dass sie glaubt, was sie fordert; dass sie weiß, wie es besser geht; dass alle 50.000 Mitglieder gemeinsam ein Programm erarbeitet haben, dann wird sie wieder interessant.
Eine öffentliche Auseinandersetzung mit den eigenen Forderungen bietet die Chance, diese in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren, attraktiv für viele zu werden, die mit der Politik schon abgeschlossen haben. Das wäre eine Selbstbeschäftigung, die Selbstermächtigung bedeutet und die die Linke wieder zu einer relevanten politischen Kraft werden lassen könnte.