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Erscheinungsdatum: 01. Januar 2025

Bundestagswahl: Warum Probleme bei der Briefwahl drohen

Die vorgezogene Wahl zieht Probleme nach sich, die das politische Berlin bislang wenig gekümmert haben, schreibt der Politologe Christoph Bieber – und sagt, was sich ändern müsste.

Erst nach Mahnungen aus mehreren Großstädten und Hinweisen von besorgten Landeswahlleitern hat sich die Aufmerksamkeit vom eitlen Gezänk um TV-Debatten inzwischen in Richtung des Wahlprozesses selbst verlagert. Die Probleme entstehen nicht durch Ressourcen-Fragen: Anders als noch im November bezweifelt gibt es genug Papier für die Stimmzettel und die Druckereien verfügen über ausreichende Kapazitäten. Es geht um Zeitknappheit – für die Briefwahl sind nur gut zwei Wochen vorgesehen – wegen der parteiinternen Auswahl- und Aufstellungsprozesse für Landeslisten und Direktmandate in den 299 Wahlkreisen.

Die im Bundeswahlgesetz festgelegten Verfahren dauern bis tief in den Januar hinein, inklusive der Prüfung der Beteiligungsanzeigen und Personalvorschläge durch den Bundeswahlausschuss unter Vorsitz von Bundeswahlleiterin Ruth Brand. Im Falle einer Nichtzulassung besteht ein Beschwerde- und Einspruchsrecht, das wiederum geprüft wird. Anschließend müssen knapp 60 Millionen Wahlberechtigte und gut 95.000 Wahlbezirke mit Unterlagen versorgt werden. Zentral ist dabei die Verkürzung der aktiven Briefwahl-Phase: Da der Bundeswahlausschuss die Wahlvorschläge erst Anfang Februar freigibt, können die Stimmzettel nicht früher gedruckt werden – und dann sind sie noch längst nicht ausgeliefert.

Dafür gelten zudem die Konditionen des gerade erst geänderten Postgesetzes mit verlängerter Laufzeit für die Briefzustellung. Für die letzten beiden Wochen vor der Wahl sollten sich also insbesondere die Zustelldienste warm anziehen: bei der Bundestagswahl im Corona-Jahr 2021 gab es 22,1 Millionen Briefwählende, bei der Europawahl im Juni 2024 waren es immer noch 16,6 Millionen. In beiden Wahlzyklen waren die Briefwahl-Zeiträume allerdings etwa sechs Wochen lang. Hier setzen die Warnungen der besorgten Wahlleitungen an – die Behördenleiter aus Köln und Dresden etwa empfehlen den klassischen Urnengang am Wahltag.

Eine Sorge ist, dass aufgrund der Zeitknappheit eine respektable Zahl von Wahlbriefen ihren Bestimmungsort am 23. Februar erst nach 18 Uhr erreicht. Die verspäteten Unterlagen fallen dann unter den Tisch, sie finden nicht einmal Eingang in die offiziellen Wahlstatistiken. Bei normal terminierten Wahlen wurde das bisher vernachlässigt. Doch wie ist es diesmal? Was, wenn bei einem knappen Rennen um ein Direktmandat nur wenige Stimmen einen Umschwung hätten bedeuten können? Oder einer gewählten Bewerberin Stimmen fehlen, sodass ihr Wahlkreis aufgrund des veränderten Wahlrechts nicht zum Zuge kommt?

Die behördlichen Empfehlungen zur Urnenwahl sollen zu einer „Umleitung“ der Wahlhandlung führen – so erscheint Schlangenbildung im Wahllokal programmiert. Entweder am Wahlsonntag, weshalb sich einige Kommunen bereits im Vorfeld um größere Wahlräume gekümmert haben. Oder bei der sogenannten „Briefwahl an Ort und Stelle“ in Rathäusern und Bürgerbüros, wo gemäß Bundeswahlordnung auch die Gelegenheit zur Stimmabgabe bestehen soll. Und schließlich kann eine verspätete oder ganz ausbleibende Zusendung von Wahlunterlagen dazu führen, dass die Stimmabgabe in Vergessenheit gerät oder einfach aus Bequemlichkeit nicht stattfindet.

Es bleibt abzuwarten, was wirklich passiert, aber fest steht schon jetzt: Diese Bundestagswahl wird speziell. Die öffentliche Sensibilisierung für zu erwartende Einschränkungen hat schon begonnen, vielleicht braucht es darüber hinaus Unterstützung für die Kommunen, die den Wahlvorgang auf den letzten Metern zu stemmen haben. Eine Radikalkur wäre die Zulassung von Briefwahlstimmen, die erst nach Schließung der Wahllokale eintreffen – solche Regelungen gibt es in anderen Ländern durchaus. Hierzulande müsste der Bundestag eingreifen und die gesetzlich geregelte „Wahlzeit“ für Nachzügler öffnen. Ausschlaggebend wäre das Datum des Poststempels, nicht die Auslieferung des Wahlbriefs.

Um künftige Probleme zu vermeiden, braucht es eine systematische Modernisierung der Wahlorganisation. Das aktuelle Gefüge ist nicht geeignet, einen derart komplexen Prozess wie die Bundestagswahl systematisch vorzubereiten, zu begleiten und zu prüfen - erst recht, wenn es zu einer vorgezogenen Neuwahl kommt. Als Präsidentin des Statistischen Bundesamtes ist die Bundeswahlleiterin nur alle vier Jahre mit dieser Aufgabe befasst. Ihr fehlen die Ressourcen für ein kontinuierliches Monitoring und die Entwicklung neuer Strukturen. Um andere Wege zu gehen, bräuchte es eine Neuordnung der zuständigen Institutionen im föderalen System.

Christoph Bieber ist Forschungsprofessor am vom Land NRW geförderten Center for Advanced Internet Studies (CAIS) mit dem Forschungsprogramm Digitale demokratische Innovationen. Zudem ist er Inhaber der Johann-Wilhelm-Welker Stiftungsprofessur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der Universität Duisburg-Essen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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