Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 09. Juni 2025

Wahlforscher Jana und Rainer Faus: „Wenn kleine Patzer zu schweren Kratzern führen"

Die Gesellschaftsforscher Jana Faus und Rainer Faus über das verflogene Vertrauen der Deutschen in politische Akteure, die Bedeutung einer anderen Diskussionskultur und die Notwendigkeit belastbarer Verabredungen der Mitte-Parteien

Seit gut fünf Wochen hat Deutschland eine neue Bundesregierung. Nach Koalitionsverhandlungen, Manövern mit alten Bundestagsmehrheiten und der erst im zweiten Anlauf geglückten Kanzlerwahl ist das Vertrauen der Menschen in die Politik aber noch weiter gesunken.

Deutschland ist verunsichert, Anfang des Jahres gaben 83 Prozent der Deutschen an, die Verhältnisse in Deutschland gäben eher Anlass zu Beunruhigung als zu Zuversicht. Die Wirtschaft lahmt, der Krieg in der Ukraine dauert an und Trumps Präsidentschaft besorgt zusätzlich. Durch soziale Medien und das fragmentierte Informationsverhalten ist das gesellschaftliche Gespräch zum Erliegen gekommen. Kritischer Austausch findet kaum noch statt und die politischen Kräfte werden als wenig verlässlich wahrgenommen.

In guten Zeiten gilt die Mitte der Gesellschaft als Stabilitätsanker. Die Parteien der Mitte haben durch fehlende Orientierung, zu viel Streit und handwerkliche Fehler erst im Regierungshandeln der Ampel und dann im Wahlkampf einen erheblichen Anteil an der Verunsicherung, die auch diese Mitte der Gesellschaft erreicht hat. Die schlechte Stimmung wird gleichzeitig von antidemokratischen Kräften weiter geschürt, die die Wutmaschinerie der sozialen Medien perfekt einsetzen sowie Debatten mit Desinformation vergiften.

Trotzdem meinen die Parteien der Mitte immer noch, politische Auseinandersetzungen in gelernten Mustern führen zu können, die Deutschland lange geprägt haben: Debatten im Bundestag, Fernsehnachrichten oder Leitartikel sind aber für die öffentliche Meinungsbildung schon lange nicht mehr entscheidend. Eine dem geänderten Informationsverhalten angemessene Antwort der demokratischen Parteien bleibt aus.

Die Saat der Unzufriedenheit ist gesät und das Grundvertrauen in die Politik ist weg: Nach 61 Prozent im Oktober 2020 glaubten im September 2024 nur noch 30 Prozent der Wahlberechtigten an die Fähigkeit der Politik, Zukunftsherausforderungen zu bewältigen. Die kommende Regierung steht damit vor den gleichen Herausforderungen wie die letzte und sie muss dennoch für offensichtliche Probleme wie die marode Infrastruktur, eine stagnierende Wirtschaft, steigende Lebenshaltungskosten, außenpolitische Krisen und Klimaschutz Lösungen finden.

Auch wenn die Erleichterung über das Ende der Ampel groß war, das Zutrauen, dass die unionsgeführte Regierung besser mit der Dauerpolykrise umgehen wird, hat nur eine Minderheit. Vertrauen zurückzugewinnen ist eine kolossale Aufgabe, denn das aktuelle Spitzenpersonal hat keine ausreichenden Zufriedenheitswerte, um in der Bevölkerung Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu wecken. Zahlen des ZDF-Politbarometers zeigen, dass seit 1980 kein Kanzler mit schlechteren Beliebtheitswerten als Merz startete. Dazu kommt, dass der neue Kanzler im Wahlkampf suggeriert hat, ‚durchregieren‘ zu können, ein Versprechen, das er – eingebettet in eine Koalition und einen föderalen Rahmen – kaum einhalten kann.

Auch die schweren rhetorischen Geschütze im Wahlkampf dürfte die politische Linke so schnell nicht vergessen, die politische Rechte fühlt sich derweil mit einer neuen ‚linken Regierung‘ betrogen. Beides sind schwere Vertrauenshypotheken schon zum Start. „Das Vertrauen in die bestehenden Parteien fehlt. Dann kann ich auch zu einer neueren Partei gehen, wenn ich schon den alten nicht vertrauen kann“ sagte uns nach der Wahl ein enttäuschter Wähler in einer Fokusgruppe.

Politik aber braucht Grundvertrauen, sonst führen kleine Patzer zu schweren Kratzern und die Regierung steht vor Verschleißerscheinungen, bevor sie richtig ins Arbeiten kommt. Es muss also nicht nur die politische Performance besser werden, sondern auch das gesellschaftliche Klima.

Der verstorbene Politiker Peter Glotz hat das Gespräch zurecht als die Seele der Demokratie beschrieben. Das Fehlen gesamtgesellschaftlicher Diskurse dagegen überdeckt Gemeinsamkeiten und betont Unterschiede, wir brauchen daher eine andere Debattenkultur: Das Schlechtreden des anderen, das nicht Hören anderer Positionen muss aufhören. Der Wahlkampf war geprägt von Warnungen vor den jeweils anderen sowie extremen Kräften, die sich zahm geben und angestaubte Zukunftsbilder einer glorifizierten Vergangenheit formulieren. Deutschland wird so gefangen in einer Nostalgiefalle. 84 Prozent der Deutschen finden aber auch, dass es der Politik an einer Vision fehlt, wie es langfristig in Deutschland weitergehen soll. Dem Wunsch nach den vermeintlich guten alten Zeiten sollte also ein positiver Zukunftsentwurf entgegengesetzt werden, es braucht einen Wettstreit um die besten Visionen und Lösungen für die Zukunft. Die inhaltliche Ebene muss dabei wieder Priorität haben.

Zweitens braucht es unter politischen Eliten wieder einen zivilisierteren Umgang. Unter Demokrat*innen muss klar sein: Weder ist die Union eine AfD-Light wenn sie über Migration spricht, noch sollte man die SPD in die Putin-Ecke stellen, wenn sie Friedensfragen adressiert. Die Grünen dürfen nicht „Hauptfeind“ im politischen Diskurs sein, wenn gleichzeitig Rechtsextreme das freiheitlich-demokratische System in Frage stellen. Die Bevölkerung erwartet jetzt einen lösungsorientierten Blick nach vorne statt Sticheleien unter Demokrat*innen. Gleichzeitig müssen wir wieder lernen: Kompromisse gehören in der Politik genauso dazu wie das zivilisierte Ringen darum.

Drittens dürfen wir den digitalen Raum nicht Demokratiefeind*innen überlassen. Die großen Plattformen müssen sich an europäische Gesetze zu Desinformation und Meinungsmanipulation halten. Wir brauchen klare politische Verabredungen, welche Konsequenzen bei Verstößen folgen. Die Politik weiß hier die Bevölkerung hinter sich: 84 Prozent halten Desinformation im Internet für ein Problem für unsere Gesellschaft, 82 Prozent fordern ein konsequenteres Durchgreifen und höhere Strafen gegen Plattformen bei Verstößen.

Viertens ist es für die Koalitionsparteien Zeit, in den Regierungsmodus umzuschalten. Der Kanzler und seine Regierung müssen jetzt ganz Deutschland im Blick haben: Zuhören, Probleme angehen, einen statt spalten und die lange vermisste Orientierung und Führung bieten.

Wenn wir jetzt nicht aufpassen, gerät die Mitte der Gesellschaft weiter unter Druck, was zu Entwicklungen führen kann, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohen. Das zu verhindern ist die übergeordnete Aufgabe der neuen Regierung, denn sonst gilt: Besser wird es nicht.

Jana Faus und Rainer Faus sind geschäftsführende Gesellschafter des Meinungs- und Wahlforschungsinstituts pollytix strategic research gmbh

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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