Table.Briefing: Berlin

Das Late-Night-Memo für die Hauptstadt

Das Late-Night-Memo für die Hauptstadt

  • Außenministerin: Baerbock verteidigt ihren Politikstil
  • LNG-Terminals: Regierung plant mit fehlerhaften Zahlen
  • FDP: Der schwere Spagat einer verwundeten Partei
  • Parteienfinanzierung: Karlsruhe fällt Grundsatzurteil
  • Bund-Länder-Koordination: Viel Arbeit, wenig Einfluss
  • Security.Table: Kriegsdrohnen – Die Zukunft ist schon da
  • China.Table: China sorgt für globalen Boom von E-Bussen
  • Bildung.Table: Künstliche Intelligenz verändert Schulen

Schönen guten Abend,

wir begrüßen Sie herzlich zu unserer ersten Ausgabe des Berlin.Table. Zu den Professional Briefings erhalten Sie jetzt auch dieses Late-Night-Memo – mit dem Wichtigsten aus der Bundespolitik und allen Professional Briefings von Table.Media. Wenn Ihnen der Berlin.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie sich für das Late-Night-Memo kostenlos anmelden. Wir werden Sie ab jetzt jeden Sonntag-, Dienstag- und Donnerstagabend mit neuen Infos und aktuellen Analysen aus der Hauptstadt versorgen.

Heute kümmern wir uns im Gespräch mit Außenministerin Annalena Baerbock um den russischen Angriffskrieg, die Proteste im Iran, den Umgang mit China, ihre Kritik an Dax-Konzernen und die Abwägungen, die mit alldem verbunden sind. Wir lenken den Blick außerdem auf einen gravierenden Zahlenfehler im Bundeswirtschaftsministerium, analysieren die schier unlösbare Lage der FDP und schauen auf eine Politikerin, die ziemlich unbekannt ist, aber als Koordinatorin der Bund-Länder-Beziehungen ein zentrales Amt im Kanzleramt besetzt. Ihr Name: Sarah Ryglewski. Darüber hinaus informieren wir Sie über spannende Stücke anderer Medien, über die Aufmacher am Abend, die Schlagzeilen morgen früh – und die wichtigsten Interviews in den Morgensendungen.

An dieser Ausgabe haben Okan Bellikli, Stefan Braun, Enno Eidens, Horand Knaup, Malte Kreutzfeldt, Daniel Schmidthäussler, Vera Weidenbach und Britta Weppner mitgewirkt. Wir alle heißen Sie herzlich willkommen. 

Annalena Baerbock: “Klare Worte sind kein Selbstzweck”

Annalena Baerbock verteidigt ihren Politikstil. Seit einem Jahr ist Außenministerin Annalena Baerbock im Amt, und seit einem Jahr schauen die einen staunend und die anderen mit leiser Sorge auf ihre deutlichen Botschaften in Richtung Moskau, Peking oder Teheran. Insbesondere in der SPD fragen sich manche, ob Baerbocks forscher Ton Gutes bewirkt oder am Ende doch vor allem Gesprächskanäle zerstört.

Die Außenministerin weiß um diese Ambivalenz und verteidigt im Interview mit Berlin.Table ihre Art, außenpolitisch zu agieren. “Manchmal kann Schweigen mehr zerstören, als wenn man Dinge auch mal klar und deutlich anspricht.” Das gilt zuallererst für Russlands Angriff auf die Ukraine. Natürlich hoffe auch sie, dass Putin zur Besinnung komme. “Die halbe Welt tut nichts anderes, als ihn zu beknien.” Von Hoffnung aber könne keine Rede sein. “Putin will die Menschen in der Ukraine brechen oder vernichten.”  

Die Außenministerin warnt vor einem Diktatfrieden – eine Waffenruhe um jeden Preis lehnt sie ab. “Dahinter steckt ja, dass man bereit wäre, einen russischen Diktatfrieden einfach so zu akzeptieren.” Ein Schritt, den sie für fatal hält. “Wir wissen aus den von Russland besetzten Gebieten, was das bedeuten würde: Frauen der Vergewaltigung preiszugeben, Männer Mord und Folter, Kinder der Verschleppung.”

Kompromisslos zeigt sie sich gegenüber dem Regime im Iran. Jetzt Zugeständnisse zu machen, nennt sie eine “komplett falsche Strategie”. Aus ihrer Sicht würde man dann “den Menschen im Iran massiv in den Rücken fallen und das Regime eher ermutigen, weiterzumachen”. Sie räumt aber ein, dass über die Zukunft des Landes am Ende nur die Iranerinnen und Iraner entscheiden. “Das Regime austauschen – das können nur die Menschen, aus ihrer eigenen Kraft heraus.”

“Neue Chinastrategie ist keine Entkopplungsstrategie.” Beim Blick auf China versucht die Außenministerin, den größten Bedenken zu begegnen. “In einer komplett vernetzten Welt kann man sich von keiner Region und erst recht nicht von einer der größten Volkswirtschaften abkoppeln.” Das ändert für sie aber nichts daran, dass sich China “systematisch vom internationalen Recht und den Regeln für einen fairen Wettbewerb entfernt” habe. Deshalb sei es im ureigenen deutschen Interesse, sich von China unabhängiger zu machen.

Baerbock lobt den Mittelstand und kritisiert Dax-Konzerne. “Gerade viele Mittelständler und Familienunternehmen betreiben in ihrem China-Geschäft kluges Risikomanagement, fahren aufgrund der härteren Gangart der letzten Jahre Investitionen in China zurück und diversifizieren sich im Indopazifik”, sagt die Ministerin. Bei einigen Dax-Konzernen dagegen habe man den Eindruck, “dass sie die volkswirtschaftlichen Risiken, aber auch die langfristigen Interessen ihres Unternehmens einfach ausblenden, weil für die Boni der Vorstände allein die nächsten fünf Jahre zählen”. Deutliche Worte, die zeigen, dass sie sich im Stil treu bleiben will. Das ganze Interview können Sie hier lesen.

Presse-Briefing von morgen

Pressebriefing von morgen

SZ: Inflation drückt Hartz-IV-Empfänger unters Existenzminimum. Ärmere Menschen haben im letzten Jahr besonders stark an Kaufkraft verloren. Das berichtet Benedikt Peters in der SZ unter Berufung auf eine Studie des DGB, die der Zeitung vorab vorlag. Empfänger von Hartz IV sind demnach im vergangenen Jahr faktisch unter das Existenzminimum gerutscht, weil die Entlastungen durch die Bundesregierung den Preisanstieg durch die Inflation nicht ausgeglichen haben. Einem Alleinstehenden hätten im Jahr 2022 dadurch 470 Euro im Jahr gefehlt, einem Paar mit zwei Kindern 1600 Euro. Durch die Anhebung der Regelsätze im Rahmen des Bürgergelds ist das Problem für dieses Jahr zunächst behoben. Trotz Hartz IV unter Existenzminimum, S. 1

Mehr als 37 Millionen Versicherte. Null Euro Schulden. Die Private Krankenversicherung stabilisiert die medizinische Versorgung in Deutschland. Sie leistet einen überproportionalen Beitrag zur Finanzierung. Und mit ihrer kapitalgedeckten Demografie-Vorsorge ist sie auch auf die steigenden Kosten unserer alternden Gesellschaft nachhaltig vorbereitet. (Mehr)

taz: Iranische Oppositionelle werden vom iranischen Geheimdienst bedroht. Die politische Führung in Teheran setzt Nachrichtendienste als ein zentrales Instrument zur Sicherung ihrer Herrschaft ein. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei hervor, aus der Jean-Philipp Baeck und Gilda Sahebi in der taz zitieren. Demnach bestehe eine “abstrakte Gefährdung” für in Deutschland lebende iranische Oppositionelle. Seit 2018 sei in Deutschland gegen 24 mutmaßliche Agentinnen und Agenten ermittelt worden. (Im Blick iranischer Spione, S. 3)

Tagesspiegel: Habeck plant CO2-Einspeicherung. Der Bundeswirtschaftsminister nennt es “eines der wichtigsten Vorhaben” des Jahres. Felix Hackenbruch berichtet über die Pläne von Robert Habeck, die unterirdische Speicherung von CO2 in Deutschland zu ermöglichen. Während Umweltverbände die “Carbon Capture and Storage” (CCS)-Methode kritisch sehen, halten sie manche Fachleute für eine sichere Übergangslösung. Das BMWK will 2023 eine “Carbon Management”-Strategie vorlegen. Wie genau eine Nutzung von CCS hierzulande aussehen könnte, sei noch völlig unklar, so der Autor. (Habecks Pläne zur umstrittenen CO2-Einspeicherung, S. 5)

WELT: Die Silvesternacht verschärft den migrationspolitischen Konflikt in der Union. In der WELT beschreiben Nikolaus DollUlrich Exner und Kristian Frigelj den unionsinternen Streit zwischen den liberaleren “Merkelianern” und der Gruppe um Parteichef Friedrich Merz, die in der Migrationspolitik eine härtere Gangart verfolgt. Anlass ist der Umgang mit den Ausschreitungen in der Silvesternacht. Die Autoren sehen Merz in einem Dilemma, einerseits müsse er die innerparteilichen Turbulenzen glätten, andererseits das Profil schärfen, um die AfD auf Distanz zu halten. Dazu sei die Migrationspolitik ein wichtiges Thema. (Merz-Lager gegen einflussreiche “Merkel-Truppe”, S. 4)

FAZ: Neuer Atom-Vorstoß sorgt für Streit. Die Forderung, eine Experten-Kommission über die AKW-Laufzeiten entscheiden zu lassen, die Verkehrsminister Volker Wissing am Dienstag in der FAZ erhoben hatte, sorgt für Ärger in der Koalition – denn eigentlich galt dieses Thema durch das Machtwort des Kanzlers im Oktober als erledigt. Das berichten Corinna Budras und Christian Geinitz am Mittwoch in einem ausführlichen Follow-up. Nachdem sich bereits SPD-Bundestagspräsidentin Bärbel Bas dagegen ausgesprochen hatte, die Debatte wieder auszumachen, wies auch das von Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium Wissings Vorstoß zurück und forderte den Verkehrsminister auf, endlich “substanzielle Beiträge” zum Klimaschutz im Verkehr vorzulegen, statt “Ablenkungsmanöver” zu fahren. (Wissings Strohhalm, S. 2)

Zugabe

The Atlantic: Anne Applebaum über einen brutalen Geschichtsverlauf, der uns bis jetzt erspart blieb. Russische Folterkeller und Massengräber in allen Teilen der Ukraine, eine Marionettenregierung auch in Moldavien, kriegsberauschte russische Truppen an der polnischen Grenze. Das wäre die Gegenwart, wenn Putin durchmarschiert und der Westen der Ukraine nicht so schnell so umfangreich geholfen hätte. Die Lektüre der Amerika-Europakennerin Applebaum ist unerträglich und allen empfohlen, die meinten und meinen, keine Waffenhilfe hätte auch ihr Gutes. (The Brutal Alternate World in Which the U.S. Abandoned Ukraine, 22.12.2022)

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Aus den Professional Briefings

Aus den Professional Briefings 03.01.22

Security.Table: Drohnen im Krieg – die Zukunft ist längst Gegenwart. In einem Schwerpunkt zeigen Nana Brink und Viktor Funk, welche Ausmaße der Einsatz der Drohnen in der Ukraine erreicht hat. Ist die Bundeswehr darauf vorbereitet? Auch modifizierte zivile Geräte können zu tödlichen Waffen werden. Im Interview beklagt die Drohnenexpertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations, dass Deutschland sich zu lange mit der Frage nach der Bewaffnung der Drohnen aufgehalten hat. Wichtiger sei eine andere Frage: die nach dem Einsatzzweck. Mehr in Analyse und Interview.

China.Table: China sorgt für globalen Boom von E-Bussen. Mehr als 96 Prozent aller Elektrobusse der Welt sind in China unterwegs. Die Volksrepublik treibt mit gezielter Förderpolitik auch die globale Entwicklung des Marktes voran. Welche Lehren Deutschland und die EU aus Chinas E-Bus-Boom ziehen können, erklärt Nico Beckert in seiner Analyse.

Bildung.Table: Künstliche Intelligenz verändert Schulen. Die Künstliche Intelligenz-Anwendung “ChatGPT” verbreitet sich rasend schnell unter Schülern, Studierenden und Lehrern. Sie schreibt Schulaufgaben und Hausarbeiten für die Lernenden. “Jede Lehrkraft muss schauen, welche Aufgaben jetzt noch Sinn ergeben”, sagt Deutschlands führende Forscherin zu Bildungsmedien, Felicitas Macgilchrist, im Interview mit Bildung.Table. Viele Kultusministerien kennen die Anwendung allerdings noch gar nicht, schreibt Christian Füller. Dabei stellt ChatGPT die Grundsätze der Schulbildung infrage. Mehr in Analyse und Interview

ESG.Table: 2023 – ein gutes Jahr für die Nachhaltigkeit? Noch sind Deutschland, Europa und die Welt weit davon entfernt, ihre ökologischen und sozialen Ziele zu erreichen. Die Bundesregierung will sich jedoch in diesem Jahr um viele Vorhaben für mehr Nachhaltigkeit kümmern, die aufgrund der Krisen im Vorjahr liegengeblieben sind. Auch EU und UN verhandeln wichtige Verträge für mehr Nachhaltigkeit. Nicolas Heronymus und Carsten Hübner haben die wichtigsten Projekte und Initiativen zusammengetragen. Mehr

Europe.Table: Data-Act – BDI fordert Positionierung von Bundesregierung. Der Gesetzentwurf der EU-Kommission zum sogenannten Data-Act von Februar 2022 ist laut BDI in vielen Bereichen undifferenziert. Das beklagt der Verband in einem Positionspapier, das Europe.Table exklusiv vorliegt. Er fürchtet Rechtsunsicherheiten für die gesamte Industrie. Mehr

Europe.Table: Von der Leyen lässt Vertretungen unbesetzt. Markus Grabitz geht der Frage nach, warum die Kommissionspräsidentin kein Führungspersonal für die Vertretungen der Kommission in Deutschland findet. So ist die Regionalvertretung in München, zuständig für 25 Millionen Bürger in Bayern und Baden-Württemberg, seit September 2020 vakant. Die Regionalvertretung in Bonn, zuständig für 30 Millionen Bürger in fünf Bundesländern, hat seit September 2021 keinen Chef. Die Bundesländer werten dies inzwischen als Affront. Mehr

LNG-Terminals: Regierung plant mit fehlerhaften Zahlen

LNG-Terminals: Regierung plant mit fehlerhaften Zahlen. Bei der Planung der deutschen LNG-Terminals arbeitet das Bundeswirtschaftsministerium an einer entscheidenden Stelle mit einer falschen Zahl. Dies führt dazu, dass der Bedarf an neuer Infrastruktur deutlich überschätzt wird.

Es geht dabei um die Kapazität der LNG-Terminals in Deutschlands Nachbarländern. Insgesamt verfügen Polen, Niederlande, Belgien und Frankreich über acht Terminals. Diese spielten durch ihre geographische Nähe “zwar für die Versorgung Deutschlands heute schon eine wichtige Rolle”, schrieb das von Robert Habeck geführte Ministerium in einem Papier, das zur der Einweihung des ersten deutschen LNG-Terminals an die Medien verschickt wurde. “Diese stellen zusammen aber zusammen eine Regasifizierungskapazität von nur ca. 40 Mrd. m³ im Jahr dar – bei einem Gasbedarf von ca. 95 Mrd. m³ pro Jahr allein für Deutschland”, heißt es darin weiter.

Doch diese Angabe ist nicht korrekt. Wie eine Auswertung der täglichen Zahlen der europäischen Gasnetz-Betreiber (AGSI) durch den Berlin.Table ergibt, haben die Terminals in den genannten Nachbarländern im Jahr 2022 fast 70 Milliarden Kubikmeter eingespeist. Auch das entspricht aber noch nicht der Maximalkapazität; diese beträgt 96 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, wenn man die Betreiber-Angaben aufsummiert und sogar 99 Milliarden Kubikmeter, wenn man den realen Tageshöchstwert jedes Terminals auf das Gesamtjahr hochrechnet.

Eine schlüssige Erklärung für die falsche Angabe liefert das Ministerium auf Anfrage nicht. Denkbar ist, dass man sich bei der angegebenen Zahl von 40 Milliarden Kubikmetern an den Werten der Vorjahre orientiert hat: 2020 wurden an den LNG-Terminals der Nachbarländer 38 Milliarden Kubikmeter Gas eingespeist, 2021 waren es 33 Milliarden Kubikmeter.

Schon länger halten Experten die Planung der deutschen LNG-Terminals für überdimensioniert. Die mutmaßlich falsche Berechnung hat dabei offensichtlich eine wichtige Rolle gespielt. Robert Habeck hatte vor der Einweihung des ersten Terminals in den Tagesthemen behauptet, ohne eigene Anlandepunkte drohe in Deutschland in diesem Winter eine “Gasmangellage”. Auch in der Begründung für das im Mai verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz (hier als pdf) heißt es: “Die Kapazität der bisher vorhandenen, für Deutschland nur teilweise nutzbaren europäischen LNG-Terminals kann – selbst bei einhundert prozentiger Auslastung – den Ausfall der russischen Lieferungen für Europa nur zu einem geringen Teil decken.”  

Das stimmt offenkundig nicht. Tatsächlich können die in den Nachbarländern vorhandenen Terminals den Ausfall der russischen Erdgas-Lieferungen über Nord Stream 2, die 2021 bei etwa 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr lagen, bei voller Auslastung nicht nur zu einem geringen Teil decken, sondern fast vollständig. Das zeigt sowohl der Vergleich der tatsächlichen Kapazität mit den Lieferungen der Vorjahre als auch die Realität der vergangenen Monate: Dass es in Deutschland (und seinen Nachbarländern) trotz der seit Anfang September vollständig gestoppten Gas-Lieferungen über Nord Stream 2 nicht zu einer Mangellage gekommen ist, sondern die Speicher vielmehr so gut gefüllt waren wie nie zuvor, liegt – neben dem Verbrauchsrückgang um etwa 15 Prozent – vor allem an zusätzlichen Gas-Lieferungen über die LNG-Terminals in den Nachbarländern.

Das geht ohne größere Probleme. Nur Polen benötigt das an seinem Terminal angelandete Flüssiggas komplett selbst, um die entfallenden Lieferungen aus Russland zu kompensieren. Die Niederlande und Belgien haben dagegen ihre Gasexporte nach Deutschland nach dem Stopp der Lieferungen aus Russland stark ausgeweitet; Frankreich, das zuvor stets russisches Gas aus Deutschland bezogen hat, liefert seit September nun seinerseits LNG-Gas nach Deutschland – teilweise über die Schweiz. Und selbst im Dezember 2022, dem Monat mit den bisher höchsten LNG-Einspeisungen, waren die Terminals in den Nachbarländern nur zu 86 Prozent ausgelastet.

Das schwere Leben der FDP

FDP: Der schwere Spagat einer verwundeten Partei. Mal ganz oben, mal ganz unten – keine Partei schwankte in den letzten fünfzehn Jahren so sehr zwischen Höhenflug und Absturz wie die Freien Demokraten. Oft wird das mit den Stärken und Schwächen ihrer Parteichefs begründet. Und manchmal auch mit der sinkenden Bindekraft der Parteien. Das aber reicht als Erklärung nicht aus.

Keine andere Partei hat eine derart gespaltene Wählerschaft wie die Liberalen. Parteiflügel kennen auch die Grünen und die Sozialdemokraten. Aber nur bei der FDP haben sie zuletzt eine solch Existenz bedrohende Wirkung entfaltet. In Oppositionszeiten lassen sie sich regelmäßig gemeinsam mobilisieren. Aber wenn die Partei im Bund regiert und Kompromisse nötig werden, stehen sie sich schnell diametral entgegen. Das erleben die Liberalen auch jetzt wieder. Vor einem Jahr lag die Partei noch bei zehn Prozent in den Umfragen; seit Sommer muss sie kämpfen, um einigermaßen sicher über der Fünf-Prozent-Hürde zu bleiben.

Berg- und Talfahrt: Umfragewerte und Wahlergebnisse der FDP seit 2002

Dazu kommt ein Trauma, das ausgerechnet im Erfolgsjahr 2009 begann. Damals erreichte die FDP zwar ein Rekordergebnis. Aber sie musste miterleben, wie ihr einst natürlicher Koalitionspartner, die Union, anschließend vieles unternahm, um die Partei wieder kleinzumachen. Die Folge: Bis heute kämpft die FDP um ihren Vorsitzenden Christian Lindner gegen eine Verletzung an, die sie beim Regieren nicht gelassener macht. Wie das kommen konnte, lesen Sie in der Analyse von Stefan Braun. Mehr

Schlagzeilen von morgen

3. 1.2023 Schlagzeilen von morgen

SZ: Trotz Hartz IV unter Existenzminimum

Tagesspiegel: Silvester-Krawalle: Union macht Integrationspolitik verantwortlich

taz: Israels neuer Extrembergsteiger (Der neue Minister für Nationale Sicherheit auf dem Tempelberg)

Handelsblatt: Inflation: Rekordjahr 2022

Sächsische Zeitung: Verbraucherpreise steigen nicht mehr so schnell

Aufmacher am Abend

3.1.2023 Aufmacher am Abend

ZEIT ONLINE: Christine Lambrecht: Schrödingers Politikerin

RND: Die Diskussion um Böllerverbote ist die falsche

t-online: Spekulationen um Lambrecht: Eine Frau könnte ihr nachfolgen

GMX/Web.de: Ungezählte Infektionen: Corona-Welle in China sorgt in vielen Ländern für Unruhe

Business Insider: Mehr als jeder dritte Deutsche will ein bundesweites Böller-Verbot an Silvester

Das Beliebteste heute

3.1.2023 Das Beliebteste heute

SZ: Großbritannien erlebt die größte Streikwelle seit Jahrzehnten

WELT: Kriegsheimkehrer aus dem Osten: Viele starben in den Güterzügen, die sie nach Hause brachten

FAZ: Chaos bei der Bahn: “Ich fahre diesen Zug nur unter Protest”

Handelsblatt: Russlands Armee erlebt “Tragödie von Makijiwka”

NZZ: Massive Angriffe auf Polizei und Feuerwehr an Silvester in deutschen Städten sollen Folgen haben

Bund-Länder-Koordination: Viel Arbeit, wenig Einfluss

Bund-Länder-Koordination: Viel Arbeit, wenig Einfluss. So wirklich bekannt ist Sarah Ryglewski noch nicht. Und das, obwohl die 39-Jährige eine bedeutende Aufgabe hat. Sie soll in den häufigen Reibereien zwischen Bundesregierung und den Ländern vermitteln – oder sie möglichst gar nicht erst entstehen lassen. Flüchtlinge, Energiewende, Bürgergeld: Es sind große Themen, bei denen der Bund nicht allein entscheiden kann. Seit gut einem Jahr ist die Sozialdemokratin als Staatsministerin im Kanzleramt. Ihren Wahlkreis in Bremen hat sie direkt gewonnen, davor war sie Mitglied der dortigen Bürgerschaft.  

Ryglewski ist im Machtgefüge zwischen Bund und Ländern immer dabei. Sie pflegt im Namen des Kanzlers den Kontakt zu den Staats- und Senatskanzleien sowie den Bevollmächtigten der Länder; sie soll stets den Überblick behalten und bekommt dadurch extrem viel mit. Und damit der Kontakt nicht aufs Telefonieren beschränkt bleibt, ist sie auch noch viel unterwegs – kürzlich zum Beispiel bei Michael Kretschmer in Sachsen. So schnell so viel mitbekommen – das ist selten, auch wenn am Ende die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, der Kanzleramtschef und der Kanzler entscheiden.

Olaf Scholz kennt sie schon länger. Bis zur Bundestagswahl war sie zwei Jahre lang Parlamentarische Staatssekretärin beim damaligen Finanzminister. Auch in ihrer neuen Funktion geht es oft ums Geld. Öffentlicher Nahverkehr, Reformen des Gesundheitssystems, die Finanzierung von “Entlastungspaketen” – es gibt viele Felder, die Stoff für Dauerkonflikte bieten. Ryglewskis Aufgabe ist es, jeweils frühestmöglich einen Konsens zu finden, mit dem alle leben können.  

Sie muss sich permanent abstimmen: eine mühsame Tätigkeit. Zudem eine, die nicht viel Glanz abwirft – für manche vor ihr aber zum Karriere-Booster wurde. Hermann Gröhe etwa wurde danach CDU-Generalsekretär und Gesundheitsminister, Helge Braun Kanzleramtschef. Andere zog es in die Wirtschaft: Hildegard Müller zum Verband der Automobilindustrie (VDA), Eckart von Klaeden zu Daimler. 

Sie alle hatten Ryglewski etwas voraus. Zumindest vom Titel her: Ihnen oblagen nicht nur die Bund-Länder-Beziehungen, sondern ebenso Themen wie Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung. Aber auch die Aufgaben der gebürtigen Kölnerin sind gewachsen. Sie ist nicht nur die offizielle Vertretung des Chefs des Bundeskanzleramtes, sondern seit einigen Monaten außerdem für Nachhaltigkeitspolitik zuständig.  

Seit September leitet sie zudem den Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung. In dem Gremium ist jedes Ministerium vertreten; es soll die Strategie der Regierung in diesem Bereich steuern. Und als ob der Job in Kanzleramt und Wahlkreis nicht Arbeit genug wären, hat sie zu Hause noch ein klassisches sozialdemokratisches Ehrenamt übernommen: In Bremen ist sie Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt. 

  • Olaf Scholz

Parteienfinanzierung: Karlsruhe fällt Grundsatzurteil

Parteifinanzierung: Karlsruhe fällt Grundsatzurteil. Die Schatzmeister der deutschen Parteien zittern – ein bisschen jedenfalls. Denn die Finanzierung ihrer Organisationen steht auf dem Prüfstand: Am 24. Januar urteilt das Bundesverfassungsgericht über das Parteiengesetz. Es erlaubt seit 2018, damals auf Betreiben der Großen Koalition, dass der Bundeshaushalt die Parteien, zusätzlich zu Mitgliedsbeiträgen und Spenden, mit inzwischen insgesamt bis zu 205 Millionen jährlich subventioniert. 

Der staatliche Zuschuss stieg damals schlagartig an. Von 160 Millionen (2017) auf 190 Millionen Euro jährlich 2018, mit einer Preissteigerungskomponente für die Folgejahre. Handwerklich unzureichend und im Eiltempo während der Fußballweltmeisterschaft hatten die Koalitionsfraktionen das Gesetz seinerzeit mit ihrer Mehrheit im Bundestag verabschiedet. Misstrauisch und aus der Oppositionsrolle heraus strengten die Fraktionen von Grünen, Linken und FDP daraufhin ein Normenkontrollverfahren an – nicht unbedingt zur Freude ihrer Schatzmeister. Die AfD schob schließlich noch eine Organklage hinterher. 

45 Cent pro selbst eingenommenem Euro beträgt heute der öffentliche Zuschuss. Das gilt für Spenden und Mitgliedsbeiträge (bei einer Obergrenze von 3.300 Euro pro Person und Jahr). Darüber hinaus gibt es nach einem komplizierten Schlüssel pro Jahr knapp einen Euro pro Zweitstimme der jeweils letzten Bundestags-, Landtags- und Europawahl. Wird die absolute Obergrenze von derzeit 205 Millionen Euro pro Jahr überschritten, werden die eigentlich fälligen Beträge anteilsmäßig gekürzt.

Im Oktober 2021 fand in Karlsruhe die Anhörung statt. Union und SPD begründeten ihren finanziellen Mehrbedarf damals mit zusätzlichen Aufwendungen für soziale Medien und Datenschutz sowie für erhebliche Investitionen in die digitale Mitgliederverwaltung. Auch die geladenen Experten sowie die Schatzmeister der übrigen Parteien hatten überwiegend im Sinne eines höheren staatlichen Zuschusses argumentiert.

Nun rechnen Experten mit einem Grundsatzurteil. Nicht zuletzt weil das Gericht die Anhörung auf – eher ungewöhnliche – zwei Tage angesetzt hatte und sich zudem üppige viereinhalb Jahre Zeit für das Urteil gelassen hat. Völlig neu aufgesetzt wird die Parteienfinanzierung wohl nicht; aber die Ausschüttung der Gelder könnte mit begrenzenden Auflagen versehen werden. Der Worst Case wäre ein Urteil, wonach die Parteien einen Teil der Staatsgelder – die Rede ist von einem zweistelligen Millionenbetrag – zurückerstatten müssten. 

Interviews am Morgen

3.1.2023 Interviews am Morgen

Informationen am Morgen (Deutschlandfunk):

ca. 6:50 Uhr: Klaus Stöhr, ehemaliger Leiter des WHO-Influenzaprogramms: Wie umgehen mit Corona-Infektionswelle in China? – Brauchen wir EU-weite Tests für alle Flugreisenden aus der Volksrepublik?

ca. 7:14 Uhr: Gabriela Heinrich, SPD-Fraktionsvize und Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe: Nach Comeback von Netanjahu und Vereidigung seiner rechtslastigen Regierung – Was bedeutet dies für die Beziehungen zum Staat Israel?

ca. 8:10 Uhr: Andrij Melnyk, Vize-Außenminister der Ukraine und ehemaliger Botschafter in Berlin: Russlands Krieg gegen die Ukraine – Geben jüngste Entwicklungen Anlass zur Hoffnung für die Verteidiger?

ARD-Morgenmagazin (Das Erste):

6:10 Uhr: Stefan Rauh, Geschäftsführer Fachverband BIOGAS: Biogas aus Gülle

7:05 Uhr: Ahmad Mansour, Psychologe und Autor: Diskussion über Integrationspolitik

8:05 Uhr: Janosch Dahmen, Gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, Testpflicht für Einreisende aus China

Geburtstage

030123_Geburtstage

Wolfgang Tiefensee, Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (SPD), 68

Josef Oster, Bundestagsabgeordneter (CDU), 52

Timon Gremmels, Bundestagsabgeordneter (SPD), 47

Sabine Grützmacher, Bundestagsabgeordnete (Grüne), 37

Nachttisch

3. Januar Nachttisch

Der Roman Kind 44 erschien 2008 im Dumont Buchverlag.

Sie sind durch mit allem und hätten gerne noch ein bisschen Unterhaltung? Unser Tipp für diesen Abend: ein Kriminalroman, der in der UdSSR spielt, aber vieles beschreibt, was auch das heutige Russland zerrüttet. Eine Gesellschaft, in der das Misstrauen in jeder Seele festsitzt. Hauptfigur ist der Geheimdienstoffizier Leo Demidow. Seine Geschichte beginnt im Stalin-Moskau der 50er Jahre. Demidow hat den Krieg überlebt und wird in ein kleines Kommissariat versetzt. Schnell merkt er: Verbrechen soll er gar nicht aufklären; in der Sowjetunion darf es sie nämlich gar nicht geben. Dann wird ein Kind ermordet. Wenig später noch eines und noch eines – und Demidow beginnt, den Täter zu suchen. Ein Krimi, eine Gesellschaftsstudie. Ein Hammer.

Tom Rob Smith: Kind 44 | Buch: Dumont | Hörbuch: Lübbe Audio

Das war’s für heute. Schön, dass Sie bei uns waren.

Good night and good luck!

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