Berlin.Table – Ausgabe 729

Merz’ Probleme + Sorgen der Ukraine + Folgen für die Verhandlungen

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Talk of the Town

Nach der Brüsseler Entscheidung: Was bedeutet die Nacht für den Kanzler?

Friedrich Merz gab sich nach dem Verhandlungsmarathon optimistisch. Die EU habe sich geeinigt, sie habe geschlossen gehandelt, die Ukraine werde weiter unterstützt, das alles sei ein gutes Ergebnis. So kann man das sehen, wenn man Zuversicht ausstrahlen möchte. Und das, so viel ist sicher, will und muss der Kanzler auf alle Fälle.

Trotzdem hat die Brüsseler Nacht ein heikles Muster bestätigt, das ihn seit Amtsanritt begleitet. Ein Muster, das für seine Glaubwürdigkeit zur Gefahr wird. Wieder hat er vor entscheidenden Verhandlungen das ganz große Ergebnis angekündigt; er hat suggeriert, dass die frozen assets in seinem Sinne genutzt würden. Doch am Ende steht er mit halbleeren Händen da. Ihm ist erneut passiert, was er auch in der Koalition mit der SPD mehrfach erlebt hat; er hält einen Kompromiss in Händen, der wie eine Niederlage daher kommt. Am Ende eines turbulenten Jahres ist das Erwartungsmanagement des Kanzlers erneut suboptimal gelaufen.

Allerdings steckte er dieses Mal in einem besonderen Dilemma. Hätte er vorneweg gesagt, dass es schwer werden würde, hätte das gemessen an den Notwendigkeiten allzu lasch geklungen. Außerdem war spätestens mit dem Gipfeltreffen im Kanzleramt am Montagabend der Ton Richtung Donald Trump und Wladimir Putin gesetzt. Merz musste größtmögliche Entschlossenheit demonstrieren. Umso heikler ist für ihn jetzt das Ergebnis.

Zumal der jetzt gezogene Plan B etwas beinhaltet, was ihm innerhalb der Union Ärger bereiten könnte. Der Beschluss bedeutet nichts anderes als dass die EU nun erhebliche Schulden aufnehmen wird – ein Schritt, den CDU und CSU stets hart abgelehnt haben, auch wenn es (siehe unten) keine hochumstrittenen Euro-Bonds sind. Angesichts der allgemeinen Stimmungslage in den Unionsparteien ist es deswegen alles andere als ausgeschlossen, dass sich an der Stelle Widerstand rühren könnte. Erste Reaktionen deuten das schon an.

Norbert Röttgen lobt die Unterstützung für die Ukraine – und warnt vor den Schulden. Dass die Verteidigung der Ukraine zwei weitere Jahre finanziert werde, sei „sehr positiv, für die Ukraine und für die europäische Sicherheit“, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende zu Table.Briefings. Das sei vor allem ein Verdienst des Kanzlers. Aber dass dies zunächst durch europäische Schulden auf Kosten der eigenen Bürger geschehe, sei Ausdruck europäischer Schwäche. „Den Willen zur Selbstbehauptung auch gegenüber den USA bringt die notwendige Mehrheit der europäischen Staaten nicht auf“, erklärte Röttgen.

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News

Welche Folgen hat der Beschluss für die Ukraine? Auf den ersten Blick halten sich die negativen Konsequenzen in Grenzen. Seit 2022 leitet das Land fast jede Hrywnja, die der Staat einnimmt, in die Verteidigung. Das heißt, für alles andere braucht Kyjiw Geld von außen: Renten, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und, und, und. Die gute Nachricht nach der vergangenen Nacht ist: Für die kommenden zwei Jahre kann die Ukraine diesem Muster folgen, zivile Ausgaben des Staates sind finanziert, Selbstverdientes fließt in die Verteidigung.

Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte der EU: „Das ist eine bedeutende Unterstützung, die unsere Resilienz stärkt. Es ist wichtig, dass die Gelder Russlands eingefroren bleiben und die Ukraine finanzielle Unterstützung für die nächsten Jahre erhält. Danke für das Ergebnis und die Einigkeit.“ Ökonomisch ist die Ukraine erst einmal stabil. Moskaus Haushaltsprobleme dagegen wachsen und sind aktuell so groß, wie seit Beginn seines Krieges nicht.

Mittel- und längerfristig aber erleichtert der EU-Kompromiss die Situation für Kyjiw nicht. „Die zusätzlichen Kredite für die Ukraine sind kein Zeichen der entschlossenen Unterstützung. Sie erhöhen die Schuldenquote des Landes, auch wenn die Zahlungsunfähigkeit vorerst verhindert wurde“, sagt Grünen-Politiker Robin Wagener, Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Außerdem, sagt er, liege die Höhe der Gelder weit unter dem nötigen Bedarf.

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Mit welchen Konsequenzen für die Verhandlungen muss man rechnen? Sie werden nicht einfacher werden. Live im TV und vor einem Millionenpublikum gab sich Putin am Freitag unbeeindruckt und siegesgewiss. „Bis Jahresende erwarten wir neue Erfolge an der Front“, sagte er. Russland hat den Verlust von eigenem Vermögen in Europa längst eingepreist und nutzt die innereuropäischen Diskussionen über den Umgang mit den Geldern im eigenen Sinne, etwa für Drohungen.

„Wir hören keine neue Rhetorik. Putin fängt sein Narrativ immer wieder bei den Maidan-Protesten an und redet dann von den Kernursachen des Konflikts“, erklärt Alexey Yusupov Table.Briefings. Er leitet das Russland-Programm der Friedrich-Ebert-Stiftung. „Putin setzt weiter auf die Ermüdung der Ukraine.“ Und es hoffe darauf, dass Washington den Druck auf Kyjiw wieder erhöhe. Eine Erwartung, die sich bei der Unberechenbarkeit von Trump durchaus erfüllen könnte.

Wichtig für Moskau ist, was aus den USA kommt. Am Wochenende soll Moskaus Unterhändler Kirill Dmitrijew den US-Präsidenten Donald Trump und sein Verhandlungsteam in Florida treffen. Dmitrijew machte sich am Freitag bereits über Von der Leyen und Merz lustig und dürfte in den USA Trump wieder davon zu überzeugen versuchen, dass die Europäer sowieso nicht liefern, was sie ankündigen.

Moskau hält am alten 28-Punkte-Plan fest. In den Tagen vor dem EU-Rat hatte der Kreml mehrfach darauf hingewiesen, dass man sich nur mit dem beschäftige, was mit Washington abgestimmt sei. Europa sollte also wieder draußen bleiben. Statt das Geld in Europa ganz zu verlieren, ist Russland nach seinen bisherigen Reaktionen zum ursprünglichen 28-Punkte-Plan bereit, das Geld gemeinsam mit den Amerikanern als Investitionsmittel in der Ukraine zu nutzen – nachdem das Land zu Russlands Bedingungen aufgegeben haben würde. Es dürfte für den Finanzexperten und ehemaligen Investor Dmitrijew nicht schwierig sein, Trump in Florida mit dem Verweis auf das Geld wieder ein Stück in Richtung Moskau zu ziehen. „Die Brüsseler Entscheidungsnacht ist für Moskau nachrangig, es geht nur um die Frage, ob Washington weiter Druck auf seine Verbündeten, auf die EU und Kyjiw ausüben wird, aufzugeben“, betont Yusupov.

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Was hat die Nacht für die EU gebracht? Ursula von der Leyen dürfte mit der Vereinbarung von vergangener Nacht leben können. Die Kommissionspräsidentin hatte die Kreditaufnahme über die Beleihung der Reserven im EU-Finanzrahmen selbst Mitte November als eine von drei Optionen vorgeschlagen. Von der Leyen ging aber wie Merz fest davon aus, dass diese Variante unrealistisch sei, weil Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán die nötige Zustimmung verweigern würde.

Das ist nun doch anders gelaufen. Orbán ebnete am frühen Morgen den Weg. Sein Motiv ist unklar. Womöglich agierte der Ungar so, weil die vereinbarte Lösung aus Sicht Putins der glimpflichere Weg ist als die direkte Nutzung der russischen Staatsgelder. So gesehen dürften auch Gegenmaßnahmen Moskaus gegen europäische Vermögenswerte fürs Erste weniger wahrscheinlich sein. Zudem ließ sich der Ungar wie seine Kollegen aus der Slowakei und Tschechien zusichern, sich finanziell nicht an der neuen Ukraine-Hilfe beteiligen zu müssen.

Aus Brüsseler Sicht sind derartige Kredithilfen an andere Staaten nichts Ungewöhnliches. Das Instrument der Makro-Finanzhilfe (Macro-financial assistance – MFA) exisiert seit langem, auch die finanzielle Unterstützung der Ukraine wird bereits darüber abgewickelt. „Dass die EU sich für die Unterstützung von Drittstaaten verschuldet und dies über den EU-Haushalt absichert, ist überhaupt nicht neu“, sagt Lucas Guttenberg, Direktor bei der Bertelsmann Stiftung. Mit der politisch so umstrittenen Vergemeinschaftung von Staatsverschuldung der Mitgliedstaaten über Eurobonds habe das „nichts zu tun“.

Ungewöhnlich sind laut dem Experten hingegen die Höhe des Kredits und die Annahme, dass die Ukraine ihn nur unter sehr bestimmten Bedingungen zurückzahlen müsse. Der Druck werde groß sein, dafür die konfiszierten russischen Staatsgelder zu nutzen, denn sonst müssen die Mitgliedstaaten den Kredit selbst tilgen. Das ist der Punkt, an dem die Sache auch für den Kanzler noch einmal kompliziert und schwierig werden könnte.

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Das war’s für heute. Good afternoon and good luck!

Heute haben Stefan Braun, Viktor Funk, Till Hoppe, Vincent Mikoteit und Sara Sievert mitgewirkt.

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