Ausblick 2024: Heikle Wahlen in instabilen Zeiten. Deutschland steht vor einem besonderen Wahljahr. Während die Ampel noch immer nicht richtig zusammenfindet, die Kriege in der Welt ungebremst ihren Schrecken verbreiten und die in Teilen rechtsextreme AfD in Umfragen Erfolge feiert, steht das Land vor Abstimmungen, die das politische Gefüge stark verändern könnten. Am 9. Juni steht die Wahl zum EU-Parlament an.
Hier könnten Bedeutung und Protestpotenzial dramatisch auseinanderklaffen. Immer mehr Entscheidungen werden in Brüssel gefällt. Zugleich gilt die Europawahl bis heute als Abstimmung, in der es weniger um Inhalte geht als um Stimmungen und Frust. Die laut Umfragen unbeliebte Ampel muss deshalb neue und glaubhafte Zeichen des Zusammenhalts und der Lösungsfähigkeit setzen, wenn sie vermeiden will, dass die Europawahl zu einem für sie nicht mehr zu ignorierenden Ablehnungsvotum wird.
Ein besonderer Blick wird in diesem Jahr gen Osten gerichtet. Im September werden drei ostdeutsche Landtage neu gewählt – die in Thüringen, Brandenburg und Sachsen. Und wenn alles so bleibt, wie es Umfragen zufolge aussieht, werden die Ampel-Parteien auch dort schwere Zeiten mit schlechten Wahlergebnissen erleben. Zugleich droht die Gefahr, dass nicht mal die CDU als Opposition im Bund einen Triumph einfährt. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die AfD mindestens in Thüringen und Sachsen stärkste Partei wird. Und das zwingt alle anderen Parteien, darüber nachzudenken, was wirklich am wichtigsten ist in diesen Zeiten: der Wettstreit untereinander oder die Lösungs- und Kompromisskompetenz der demokratischen Parteien zusammen.
Die heikelsten Wahlen könnten gleichwohl die Kommunalwahlen werden. In neun Bundesländern wird am 9. Juni nicht nur die Europawahl abgehalten, es werden auch neue Bürgermeister und Gemeinderäte bestimmt. Nach der klassischen Hierarchie klingt der Wahlgang als vergleichsweise unwichtig. Aber in der aktuellen Lage kann es gerade den Parteien eine kommunale Basis verschaffen, die nicht nur gegen die Ampel und ihre Regierung, sondern auch gleich gegen das demokratische Gemeinwesen wettern. Kommunalwahlen waren oft genug die Grundlage für Parteien, sich über Ämter und Funktionen festzusetzen. Das war bei den Grünen so, und es könnte nun der AfD gelingen.
Die große Unbekannte: Was kann eine Wagenknecht-Partei bewirken? Noch sind viele Fragen rund um die Neugründung unklar; so ist auch nicht entschieden, bei welchen Wahlen Sahra Wagenknecht tatsächlich antreten wird. Aber erste Test-Umfragen zeigen, wie sehr eine von ihr geführte Partei das Gefüge verändern könnte. Es gibt Wählerbefragungen zum Beispiel in Thüringen, die mindestens andeuten, dass sie in Ostdeutschland ein zweistelliges Potenzial hätte – und dass das nicht nur zulasten der AfD gehen würde. Was dies für künftige Koalitionen und Mehrheitsverhältnisse bedeuten kann, wird sich in diesem Jahr zeigen.