Von Verfassungsklage bis Sonderwirtschaftszone: Wie Kommunen ihr Finanzproblem lösen wollen. Mit rund 25 Milliarden Euro haben die Städte und Gemeinden 2024 das bisher größte Defizit in der Geschichte der Bundesrepublik verbucht. Ostdeutsche Kommunen haben im Schnitt weniger Schulden als westdeutsche, wie man in der Grafik am Beispiel der ähnlich großen Städte Rostock und Aachen sehen kann. Ein Grund: Ostdeutsche Städte fingen nach der Wiedervereinigung sozusagen bei null an, zudem profitierten sie sehr von Förderprogrammen.
Bei der Suche nach einer Lösung für ihre Finanzprobleme setzen beide Seiten aber auf ähnliche Wege – etwa das Bundesverfassungsgericht.
Seit 2019 warten der Landkreis Kaiserslautern und die Stadt Pirmasens auf eine Entscheidung aus Karlsruhe. 2024 reichten dort auch zwei Landkreise aus Sachsen-Anhalt Beschwerde ein: Mansfeld-Südharz und der Salzlandkreis. Sie alle fordern eine finanzielle Mindestausstattung. Noch in diesem Jahr will das Gericht entscheiden. Man dürfe nicht länger hinnehmen, „dass unsere kommunale Handlungsfähigkeit durch strukturell unzureichende Mittel gefährdet wird“, so der Kaiserslauterer Landrat Ralf Leßmeister. Laut des Pirmasenser OB Markus Zwick (beide CDU) hat das Ganze „demokratiegefährdende Tendenzen“.
„Kommunale Ohnmacht ist der Nährboden für Populismus“, sagte auch die Zwickauer Bürgermeisterin Silvia Queck (parteilos) im Interview mit Table.Briefings. In der Region, die von der unsicheren Zukunft ihres VW-Werks betroffen ist, hat eine Taskforce aus Politik und Wirtschaft gerade eine Sonderwirtschaftszone ins Spiel gebracht. Das Ziel: schnellere Genehmigungsverfahren und Steuererleichterungen für Unternehmen. Bis Ende 2026 soll ein von der Landesregierung unterstützte „Masterplan Südwestsachsen“ fertig sein.
In Bayern beschränkt die Landesregierung dagegen den Spielraum der Kommunen. Sie hat ihnen sowohl eine Übernachtungs- als auch eine Verpackungssteuer verboten. Dagegen gibt es Protest. Der Bayerische Städtetag betone immer wieder, dass die Entscheidung in der Verantwortung der jeweiligen Kommune liegen sollte, sagte der Nürnberger Stadtkämmerer Thorsten Brehm (SPD) Table.Briefings. Er sprach sich in der Vergangenheit für eine Abgabe auf Hotelübernachtungen aus, die den Oberbürgermeister stellende CSU ist dagegen. Die finanzielle Lage für Bayerns Städte und Gemeinden „wird immer bedrohlicher“, sagt aber auch der Christsoziale Straubinger OB Markus Pannermayr in seiner Funktion als Städtetagsvorsitzender im Freistaat.
Selbst im wohlhabenden Baden-Württemberg sind die Kommunen unter Druck. Im Bundesrat sagte Winfried Kretschmann jüngst, in diesem Jahr werde nur jede fünfte Stadt einen auskömmlichen Haushalt vorlegen können. Der Ort Wernau (Neckar) nahe Stuttgart erwartet seinen Kipp-Punkt für 2026. Zum ersten Mal seit 2016 werde man dann wohl Schulden aufnehmen müssen, beklagt Bürgermeisterin Christine Krieger (parteilos). Als Grund nennt sie „das toxische Zusammenspiel“ aus teuren Pflichtaufgaben, sinkenden Mittelzuweisungen und steigenden Umlagen an Landkreis und Land.
In den bundesweiten Fokus geriet zuletzt Magdeburg. Ende Juli gab Intel seine Pläne für eine Chipfabrik, die als Lichtblick für Ostdeutschland galt, endgültig auf. Dafür ging die Stadt in Vorleistung: Man habe mit einem „großen finanziellen und personellen Aufwand“ die Voraussetzungen für die Ansiedlung geschaffen und sich dabei auf Unterstützungszusagen des Landes verlassen, so Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos). Jetzt bleibt die Stadt auf den Investitionen in Millionenhöhe sitzen und muss mit Intel über den Rückkauf der betroffenen Flächen sprechen. Okan Bellikli
Dieser Text ist Teil einer Serie zum Sondervermögen. Alle bisherigen Beiträge finden Sie hier.