Bei der Bundestagswahl bekam die AfD in Zwickau gut 40 Prozent der Stimmen. Welchen Anteil daran hat die Kommunalpolitik?
Mindestens 50 Prozent. Wenn Straßen verfallen, Schulen renovierungsbedürftig sind und die letzte Kneipe schließt, sendet das ein klares Signal: Hier geht’s bergab. Menschen erleben im Alltag, dass sich zu wenig bewegt. Wenn wir keine Perspektiven vor Ort schaffen – sei es durch moderne Gewerbeflächen oder gute Bildungsinfrastruktur – dann füllt sich das Vakuum mit Protest. Kommunale Ohnmacht ist der Nährboden für Populismus.
Wie viel davon haben Sie finanziell selbst in der Hand?
Von den 50 Prozent könnten wir etwa 30 Prozent eigenständig lösen, realistisch betrachtet. Das ist übrigens auch der Anteil, den wir zum Beispiel bei der Städtebauförderung als Eigenmittel aufbringen – der Rest kommt von Land und Bund. Wenn diese Logik überall gelten würde, könnten wir echte Sprünge machen.
Wie ist denn die Aufteilung bei anderen großen Themen?
Das ist ganz unterschiedlich. Bei der Schulhausbauförderung erhalten die Kommunen beispielsweise um die 50 Prozent vom Freistaat. Bei den Feuerwehren gibt es eine Festbetragsförderung über den Landkreis. Beim Straßenbau bekommt man je nach Kilometerzahl eine Pauschale, die dann zur hälftigen Förderung von einzelnen Maßnahmen genutzt werden kann.
Wo sehen Sie Reformpotenzial?
Bei den Strukturen, die wir für einen Verwaltungsprozess bereitstellen, der in jedem Bundesland gleicher Standard sein sollte und den daraus entstehenden Kosten. Wenn ich Prozesse digitalisiere und zentralisiere – zum Beispiel Meldewesen, Personenstandswesen, Gewerbewesen –, spare ich Geld, habe Fachkräfte für andere Bereiche frei und einen schlankeren Verwaltungsapparat.
Zentralisieren beim Bund oder beim Land?
Beim Land und beim Bund. Dafür müsste man das ganze Zusammenspiel der Zuständigkeiten im Bereich der Pflichtaufgaben reformieren. Beispielhaft noch weiter gedacht: Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde ganze Prüf- und Sanktionsapparate überflüssig machen. Das wäre nicht nur sozial, sondern auch effizient.
Bei Ihnen ist derzeit Haushaltssperre. Warum?
Wir haben mehr Ausgaben als Einnahmen und unsere liquiden Mittel fließen zu stark ab. Unsere Gewerbesteuereinnahmen sind stark eingebrochen. Die Unsicherheit rund um unser VW-Werk und seine Zulieferer trifft uns hart. Gleichzeitig schwächelt die Konjunktur – gerade im Einzelhandel und der Gastronomie sehen wir Insolvenzen. Die Folge: Unsere Finanzverwaltung prüft nun jeden Euro, ob er wirklich investiert werden muss.
Wo müssen Sie kürzen?
Wir haben entschieden, das Stadtfest künftig nur noch alle zwei Jahre zu veranstalten. Ob auch bei Gebäudesanierungen oder anderen Investitionen gestrichen wird, ist noch offen – da laufen noch Abstimmungen im Stadtrat. Eine Million Euro Fördermittel für ein digitales Parkraummanagement haben wir nicht entgegennehmen können, weil uns die nötigen 200.000 Euro Eigenmittel fehlten.
Wie bitte?
Der Stadtrat hatte uns damit beauftragt, ein digitales System für das Parkraummanagement zu entwickeln. Für die Förderung, die zweckgebunden ist, hätten wir noch knapp 200.000 Euro an Eigenmitteln aufbringen müssen. Am Ende wollte der Stadtrat die Eigenmittel dann doch lieber für unsere Pflichtausgaben ausgeben.
Sie sind im Netzwerk Junge Bürgermeister*innen aktiv, das Vereinfachungen bei Förderprogrammen fordert. Warum?
Wir erleben einen absurden Verwaltungsaufwand: ein Antrag, drei Behörden, unzählige Prüfungen – und am Ende monatelanges Warten. Fördergelder laufen über die Sächsische Aufbaubank, die Landesdirektion oder direkt über Bundesministerien – jede mit eigenen Regeln. So blockiert man nicht nur uns, sondern auch sich selbst. Das frustriert und führt zu einer gefühlten Bevormundung.
Inwiefern?
Wenn ich ein Bauprojekt fertigstelle, kommt trotzdem jemand vom Land oder anderer Stelle und überprüft, ob ich alles richtiggemacht habe – obwohl ich als Kommune längst in der Verantwortung stehe. Vertrauen sieht anders aus.
Laut Ihres Netzwerks ergäbe eine Verteilung des Sondervermögens nach Königsteiner Schlüssel rund 60 Euro pro Jahr und Einwohner. Für Zwickau wären das zwölf Jahre lang je gut 5 Millionen Euro. Genug?
Es klingt zunächst viel, jedoch würden diese Beträge reichen für ein Viertel einer neu zu errichtenden Schule, eine halbe Brücke oder ein Feuerwehrhaus – zuzüglich Eigenmitteln. Bei den Herausforderungen, die vor uns liegen, ist das allenfalls ein Anfang – kein Hebel.
Mindestens 60 Prozent der Gelder sollen an die Kommunen gehen, ist das nicht gut?
Wir fordern mindestens 75 Prozent. Und selbst das hilft uns nur, wenn der Freistaat das Geld auch tatsächlich weiterreicht – und es nicht vorher filtert oder umwidmet oder unter Bedingungen stellt, die nicht erfüllbar sind. Es braucht eine klare, direkte Linie zu den Gemeinden.
Sie sind für die Energie-, Verkehrs- und Bauwende zuständig. Was sind Ihre größten Brocken?
Die Infrastruktur und der ÖPNV sind ein wichtiges Thema. Wir haben als Stadt unter anderem unsere Verkehrsbetriebe und bekommen dafür Zuweisungen aus dem Freistaat und aus dem Landkreis – aber es reicht nicht aus. Das jährliche Defizit beträgt gerade sechs Millionen Euro. Weil wir das über eine Holding in einem Verbund mit unseren Stadtwerken finanzieren, belastet das unseren städtischen Haushalt noch nicht.
Aber?
In ein paar Jahren wird das Verhältnis kippen und dann können wir das Angebot in dieser Form vielleicht nicht mehr aufrechterhalten.
Das heißt?
Wenn der Bund die Kommunen im ländlichen Raum nicht ausreichend unterstützt, dann werden wir den verstärkten Umstieg von Pkw auf ÖPNV nicht hinbekommen. Das zeigt auch die Diskussion um das Deutschlandticket.
Wie meinen Sie das?
Die Finanzierung der Kosten um das Deutschlandticket ist sehr komplex und wenig transparent für den Bürger. Am Anfang war für die Verteilung der Gelder an die Aufgabenträger entscheidend, auf welchem Weg der Kunde das Ticket kauft. Damit waren wir abgehängt, weil viele es nicht bei uns im Verkehrsverbund gekauft haben, sondern in der App DB Navigator. Das wurde und wird jetzt umgestellt. Jetzt geht es danach, aus welchem Postleitzahl-Gebiet der Kunde kommt.
Das ist doch eine Verbesserung für Sie.
Ja, aber das Grundproblem bleibt: Die Mittel reichen nicht aus.
Was wäre denn aus Ihrer Sicht eine gerechte Verteilung von Infrastrukturmitteln?
Idealerweise würde man sich orientieren an weiteren Zahlen und Größen: Kilometer Straßenverkehrsnetz, Fläche der Gemeinde, Einwohnerzahl der Kommune, und so weiter. Wenn wir von gleichwertigen Lebensverhältnissen sprechen, müssen wir die echten Unterschiede zwischen Stadt und Land anerkennen – statt alle Kommunen über einen Kamm zu scheren. Denn im ländlichen Raum finanzieren weniger Menschen gleich viel vorzuhaltende Infrastruktur.
Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema hat beschlossen, dass Doppelförderungen doch möglich sein sollen. Reicht das?
Das ist gut. Dadurch ist es möglich, bereits lang Aufgeschobenes mit unterschiedlichen Zuschüssen finanzierbar zu machen und die Eigenanteile durch Querfinanzierungen zu minimieren.
Stichwort Staatsreform: Was wäre da für die Kommunalpolitik wichtig?
Wir brauchen Standardisierung. Meldewesen, Bauanträge, Sozialleistungen – all das sollte bundesweit einheitlich funktionieren. Warum gibt es in Sachsen über 40 Bauaufsichtsbehörden mit jeweils eigener Software und Bearbeitungslogik? Ein Hausbau in Deutschland darf nicht von der Behördenstruktur abhängen, sondern sollte klaren, digitalen Prozessen folgen.