Interview
Erscheinungsdatum: 23. Juni 2025

„Wer Sicherheit will, braucht Legitimität“

Der ehemalige Diplomat Martin Kobler über die Ängste im Iran, Attacken auf die Straße von Hormus und seinen Wunschzettel an Benjamin Netanjahu.

Nach den Angriffen auf den Iran. Womit rechnen Sie: Eskalation oder Beruhigung?

Das iranische Regime ist vor allem am eigenen Machterhalt interessiert. Wenn Teheran klug wäre, würde es jetzt den Weg der Diplomatie einschlagen, selbst initiativ werden und in ernsthafte Verhandlungen über sein Atomprogramm eintreten. Am Ende muss ein Verzicht auf die militärische Anreicherung einschließlich eines transparenten Inspektionsregimes stehen. Im Gegenzug würden die Sanktionen aufgehoben. Das würde dem Land wirtschaftlich zugutekommen, es wäre international nicht mehr isoliert und würde zur regionalen Stabilität beitragen. Doch danach sieht es derzeit nicht aus – in der iranischen Führung dominiert die Sorge vor Gesichtsverlust und der Eindruck einer Kapitulation. Deshalb ist – leider – eher mit einer Verschärfung zu rechnen.

Insbesondere dann, wenn der Iran versuchen sollte, die Straße von Hormus zu schließen. Nur: Kann der Iran damit was gewinnen?

Ein Versuch, die Straße von Hormus zu blockieren, wäre ein Akt der Selbstschädigung. Eine Blockade würde militärische Gegenreaktionen der USA z.B. gegen Abschussrampen oder gegen den iranischen Hafen Bandar Abbas nach sich ziehen. Iran würde auch seine eigene Wirtschaft weiter massiv schädigen – und die seiner wichtigsten Partner wie China oder Indien. Sie sind auf ungehinderten Zugang zu Energieimporten angewiesen. Eine Eskalation in der Straße von Hormus würde auch den anderen Golfstaaten massiven wirtschaftlichen Schaden zufügen. Immerhin passieren rund 30 Prozent des weltweit verschifften Erdöls und 20 Prozent des Flüssiggases diese Route – jeder Störfall gefährdet ihre Exporteinnahmen, Investorenvertrauen und wirtschaftliche Stabilität. Eine solche Eskalation würde Teheran weiter politisch isolieren, ohne dass es strategisch etwas gewönne.

Kann es sein, dass sich mit der radikalen Veränderung der Lage in Nahost das komplette Gefüge in der Region ändert? Die allermeisten arabischen Staaten sind keine Freunde des Mullah-Regimes….

Vorausgeschickt: Mir gefällt der Ausdruck „Mullah-Regime“ in den westlichen Medien nicht. Nicht, weil ich Sympathien für das iranische Regime hätte – im Gegenteil. Ein Mullah ist im islamischen Kontext ein religiöser Rechtsgelehrter – geachtet, nicht verachtet.

Danke für die Korrektur. Wie nennen Sie es?

Man sollte das iranische Regime beim Namen nennen: ein autoritäres, theokratisch geprägtes Machtsystem. Zur Sache: Der zentrale Konflikt der Region war, ist und bleibt der israelisch-palästinensische Konflikt. Wir haben das aus den Augen verloren und uns in den letzten Jahrzehnten auf den sunnitisch-schiitischen Gegensatz konzentriert – mit dem Iran im Fokus. Doch dieser hat den ursprünglichen Konflikt nur überlagert, wie sich jetzt in aller Dramatik zeigt. Sollte es in einer Post-Netanjahu-Zeit gelingen, im israelisch-palästinensischen Verhältnis Fortschritte zu erzielen, öffnet sich ein historisches Fenster, in dem sich die gesamte Region unter Einschluss des Iran neu ordnen könnte. Die Idee einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten – nach dem Modell der KSZE – ist nicht neu, sie verdient jetzt eine ernsthafte Wiederbelebung. Heute sind die meisten arabischen Staaten grundsätzlich bereit, engere Beziehungen zu Israel einzugehen, wenn es eine Perspektive im israelisch -palästinensischen Verhältnis gibt.

Zugleich reden manche schon jetzt von Regime-Change im Iran. Sehen Sie dafür wirklich Chancen?

Einen Machtwechsel im Iran würden, denke ich, die meisten begrüßen, im und außerhalb des Iran. Ob die israelisch-amerikanischen Militärschläge ihn befördern, bezweifle ich. Die Menschen im Iran haben, denke ich, gerade ganz andere Sorgen: zu überleben, den Alltag zu bewältigen, nicht verhaftet zu werden. Der Wandel muss auf jeden Fall von innen kommen. Und selbst wenn das Regime fällt: Die entscheidende Frage ist, was danach kommt – ob auf Repression nicht Chaos oder neuer Autoritarismus folgt. Veränderung bräuchte dann auf jeden Fall Zeit, Mut – und internationale Unterstützung, nicht Intervention.

Wenn man hart realpolitisch auf die Lage schaut, könnte man sagen: Israel war so stark wie nie, seine größten Feinde sind geschwächt bis nahezu erledigt. Kann daraus Frieden entstehen?

Das ist eine rein militärische Sichtweise. Die entscheidende Frage ist: Bringt militärische Überlegenheit nachhaltigen Frieden für die Menschen in Israel? Ein Blick nach Gaza zeigt: Israel hat sich hier ins Abseits manövriert. Hier hat es zwar militärisch Stärke demonstriert, sich aber langfristig selbst geschwächt – moralisch und politisch. Hunger und Zerstörung, wie wir sie auf den Bildern aus Gaza sehen, sind auch nicht durch den absolut zu verurteilenden menschenverachtenden Angriff der Hamas auf Israel zu rechtfertigen. Wer Sicherheit will, braucht Legitimität, die das israelische Vorgehen nicht herstellt. Die Terroristen von morgen werden heute geboren, wenn es keine politische Perspektive gibt. Ohne das reicht die Stärke nicht weit – und der nächste Konflikt ist vorprogrammiert.

Wenn Sie einen Rat an Benjamin Netanjahu freihätten: Was würden Sie ihm jetzt raten?

Netanjahu würde meinen Rat weder schätzen noch befolgen. Aber wenn ich mir etwas wünschen dürfte: Er möge Israel nicht weiter ins moralische, diplomatische und völkerrechtliche Abseits führen, seine Agenda der schleichenden Annexion von Gaza und Westbank aufgeben, aus seiner Position der Stärke die Hand ausstrecken, den Palästinensern mit Respekt begegnen und einen Friedensprozess einleiten, der diesen Namen verdient.

Und Donald Trump? Er wollte sich nie in einen Krieg verstricken lassen. Jetzt hat er genau das gemacht. Stärkt ihn das, zum Beispiel in den Augen der Ägypter und Saudis? Oder schwächt ihn das auf Dauer?

Trump wollte nie ‚endlose Kriege‘ führen – jetzt steht er doch mit einem Bein in einem möglichen Flächenbrand. Riad und Kairo mögen das klammheimlich kurzfristig als Entschlossenheit werten, schließlich sieht man dort den Iran als Hauptgegner. Aber Stärke ohne Strategie ist riskant. Wenn militärische Aktionen keine politische Lösung nach sich ziehen, wirkt man planlos, verliert man am Ende – an Glaubwürdigkeit, Einfluss und Rückhalt. Vielleicht hatte ein ägyptischer Freund recht als er sagte: Die USA können tun, was sie wollen – ihr Image wird nie ganz positiv sein. Sie gelten als stark, aber oft auch als dominant, respektlos oder eigennützig. Für die USA unter Trump gilt dies wohl besonders.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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