Interview
Erscheinungsdatum: 17. Juni 2025

Shimon Stein: „Die Frage ist, wann Netanjahu entscheidet, dass es genug ist“

Sowohl beim Krieg gegen den Iran als auch in Gaza sei unklar, ob es eine Exit-Strategie für Israel gibt, sagt der Ex-Botschafter. Vielleicht hänge das sogar von Donald Trump ab.

Ist der Angriff auf Irans Atom- und Militäranlagen – Stand jetzt – eher ein Erfolg oder ein Misserfolg?

Das lässt sich noch nicht sagen. Wir werden abwarten müssen, auch wenn Israel denkt, dass es dem Iran schweren Schaden zugefügt hat, und zwar nicht nur den Nuklearanlagen, sondern auch den beteiligten Wissenschaftlern und der militärischen Führung. Ich denke, solange es nicht zu Ende ist, wird man nicht in der Lage sein zu sagen, ob Israel die Ziele, die es sich für diesen Krieg gesetzt hat, auch erreicht hat.

Der Eindruck ist entstanden, dass Israel die tief unter Tage eingegrabenen Atomanlagen nicht zerstören kann. Wenn man einen solchen Angriff startet, aber weiß, dass man sein Kriegsziel nicht komplett erreichen kann – ist das klug? Und wenn ja, warum?

Ich denke, Israel war bewusst, dass man die Atomanlagen nicht komplett zerstören kann. Aus Gründen, die Sie in Ihrer Frage angedeutet haben. Das Ziel, das sich das israelische Kabinett gesetzt hat, war es, dem Atomprojekt einen signifikanten Schaden zuzufügen und dazu das Raketenprogramm schwer zu beschädigen, um am Ende die ganze Idee einer Nuklearbewaffnung massiv zurückzuwerfen. Und das alles, so denke ich, war verbunden mit dem Ziel, die Erfolge zu nutzen, um Iran an den Verhandlungstisch zu bringen. So gesehen hat Israel mit seinen militärischen Attacken den Amerikanern den Weg bereitet, um mit dem Iran ein neues Abkommen abzuschließen.

Solange das nicht eintritt, bleibt die Frage im Raum, ob sich Benjamin Netanjahu verkalkuliert hat. Womöglich hatte er gehofft, dass Donald Trump bald an der Seite Israels mitkämpfen würde, insbesondere mit Bunker-brechenden Waffen, die nur die US-Luftwaffe im Arsenal hat.

Ich glaube nicht, dass Netanjahu sich verkalkuliert hat. Er hat von Donald Trump zunächst grünes Licht erhalten, um Iran anzugreifen. Und auch die Zusage, dass die USA Israel bei der Verteidigung helfen wird. Es war von Anfang an klar, dass Trump nicht aktiv an diesen militärischen Auseinandersetzungen teilnehmen würde, es sei denn, amerikanische Einrichtungen oder Soldaten würden angegriffen werden. Ja, Israel hätte sich gewünscht, dass die Amerikaner mit Israel gemeinsam diesen Angriff unternehmen würden. Aber es war klar, dass das nicht die Absicht von Trump war.

Wie erleben Sie Trumps Zurückhaltung? Ist sie richtig und ein Zeichen von Illoyalität?

Nein, ich sehe da keine Illoyalität. Sein Interesse ist es, einen Deal mit dem Iran abschließen.

Es gibt Berichte darüber, dass Trump einen Angriff auf Ali Chamenei verhindert habe.

Das kann wohl der Fall sein. Aber man muss dazu sagen, dass es bislang nicht das erklärte Ziel Israel gewesen ist, Chamenei zu töten.

Sehen Sie für Israel eine Exit-Strategie?

Schwer zu sagen. Das ist genau das Problem, das ich auch bei der Operation in Gaza sehe. Ich sehe die taktischen militärischen Errungenschaften, aber ich sehe keine Idee und Anstrengung, um die militärischen Erfolge in dauerhafte politische Erfolge zu übertragen. Weder in Gaza noch in Iran. Die Frage ist, wann Netanjahu entscheidet, dass es genug ist. Womöglich wird es Trump sein, der das definiert.

Was muss passieren, damit ein Ende möglich wird?

Israel kann diesen Krieg nicht wochenlang führen. Es wird also der Zeitpunkt kommen, an dem man einsieht, dass das, was man erreicht hat, das ist, was man erreichen kann. Und dass mehr dann nicht mehr geht. Zweitens kann der Punkt kommen, an dem Trump meint, dass es reicht, weil eine Vorsetzung des Krieges nicht mehr seinen Interessen nutzt. Insbesondere dann, wenn die Iraner einsehen, dass Verhandlungen in ihrem Interesse ist.

Gibt es für Sie eine ideale Lösung dieser Großkrise?

Aus israelischer Perspektive wäre es ideal, wenn der Schaden am nuklearen Programm und am ballistischen Programm so erheblich ist, dass beide über viele Jahre nicht wieder aufgebaut werden können. Ansonsten kann ich nur hoffen, dass Iran das nukleare Programm zurückstellt und das gesamte Volumen von angereichertem Uranium ins Ausland gebracht wird. Nur dann ist Iran nicht mehr in der Lage, angereichertes Oranium im eigenem Land herzustellen.

Kann Netanjahu noch Friedenspremier werden?

Das hängt nur von ihm ab. Bis heute hat er das nicht bewiesen. Im Gegenteil. Bis heute meint er, dass der Krieg seinem politischen Überleben nutzt. Das sehen wir in Gaza schon seit 690 Tagen. Übrigens soll man nicht vergessen, dass wir noch 55 Geiseln bei der Hamas haben. Die soll man nicht vergessen. Ein Friedenspremier wird er erst, wenn die alle nach Hause kommen. Bis dahin ist vollkommen offen, ob Netanjahu die Gunst der Stunde nutzt, um zu einer historischen Figur zu werden. Davon ist er momentan noch weit entfernt.

Welche Rolle spielen bei alledem Europa und Deutschland?

Europa und Deutschland spielen keine Rolle. Ob sich das ändern kann, bezweifle ich. Die zwei Krisen, Gaza und Iran, beweisen die Irrelevanz der EU. Es gibt nur einen Punkt, an dem die E-3 relevant sein können, und das ist die Frage des Snapbacks – also die Einführung weiterer Sanktionen, über die, bis jetzt, im Oktober entschieden werden sollte. Die EU muss entscheiden, ob sie solche Sanktionen mitmacht. Bis dahin gibt es keine Kooperation, keine Koordination zwischen Trump und den Europäern.

Fühlen Sie sich bei alledem von Deutschland ausreichend unterstützt?

Zumindest deklaratorisch hat sich der Bundeskanzler klar positioniert und bereit gezeigt, Israel auch militärisch zu unterstützen. Man soll nicht vergessen, dass der berühmte Begriff von der Staatsräson, ausgesprochen von Kanzlerin Angela Merkel 2008, stets im Zusammenhang mit der iranischen nuklearen Bedrohung stand und steht. Das ist genau die Bewerbungsprobe für Deutschland. Nicht Gaza oder was anderes. Und ich hoffe, dass Deutschland, wenn es notwendig wird, in dieser Hinsicht Israel voll unterstützen wird, sowohl politisch als auch militärisch.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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