Sie sind als einziger Ministerpräsident der Linken so etwas wie der letzte Hoffnungsträger ihrer Partei. Wenn es bei der Landtagswahl in Thüringen auch für Sie schiefgeht – war es das dann mit der Linken, ist die Partei dann am Ende?
Für mich persönlich kann ja überhaupt nichts schiefgehen. Ich bin alt genug und entspannt genug, um zu wissen, dass mein Leben, ob nun mit oder ohne Politik, genügend Inhalte hat. Ich habe einmal daran mitgewirkt, eine Partei mit einer anderen Partei zu verbinden – die PDS mit der WASG. Weil mir klar war, dass die PDS, wenn sie bleibt, wie sie ist, nicht bleiben wird. Für mich ist deshalb die Frage der Vergänglichkeit einer Partei nichts, was bei mir apokalyptische Ängste erzeugt. Für mich hat eine Partei die Funktion, damit in die Gesellschaft hineinzuwirken. Ich habe damals mit Begeisterung aus der PDS die Linke gemacht. Und ich nehme es jetzt mit Bedauern zur Kenntnis, dass ein Teil meiner Mitstreiter beschlossen hat, andere Wege zu gehen.
Aber was würde es für die Linke bedeuten, wenn sie bei der Wahl in Thüringen ihren einzigen Ministerpräsidenten verliert?
Es geht nicht um den Ministerpräsidenten oder den Verlust des Ministerpräsidenten. Sondern es geht um das Land Thüringen. Und es geht um die Demokratie. Deshalb kämpfe ich auch nicht gegen andere Parteien, sondern für Demokratie und gegen Faschismus. Denn ich habe große Sorge, dass unsere Demokratie preisgegeben wird. Dass wir das, was wir wertschätzen, erst spüren, wenn es weg ist. Es ist mit Blick auf die ganze Welt nämlich keineswegs normal, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben. Sondern es ist etwas Besonderes. Und wir alle haben die Aufgabe, die Grundsätze eines demokratischen Rechtsstaates mit Leben zu füllen. Das ist eine starke Motivation für mich, mit voller Kraft in diesen Wahlkampf zu gehen.
In den aktuellen Umfragen für Thüringen liegt das BSW, das neue Bündnis Sahra Wagenknecht, nur knapp hinter der Linken. Wenn das bei der Wahl so kommt, fürchten Sie dann einen weiteren Exodus Richtung Wagenknecht – weil viele dann sagen oder glauben: Das ist die Zukunft im linken Lager?
Für mich ist die Frage: Kriegen wir nach dem 1. September eine handlungsfähige Landesregierung? Und da schaue ich mit Freude auf die aktuellen Umfrage-Ergebnisse. Ich habe auf dem Parteitag der Linken vor einer Woche gesagt, ich kämpfe darum, die AfD unter 30 Prozent zu bekommen. Und jetzt sehen wir: Das ist möglich. Und auch einen anderen Punkt der Umfragen finde ich interessant: Die Kombination aus CDU, Linken und BSW hätte eine Mehrheit von 51 oder 52 Prozent. Das zeigt, dass eine handlungsfähige Regierung möglich wäre, wenn man die Kraft hat, sich das vorzustellen. Und die spannende Frage ist: Wie geht die CDU damit um? Sie muss sich entscheiden, ob sie an ihrer Ausgrenzungspolitik gegenüber der Linken festhalten will. Oder ob sie ernsthaft daran mitwirken will, dass die AfD uns nicht erpressen kann.
Wenn Sie von einer Kombination aus CDU, Linke und BSW sprechen, was ist dann das BSW für Sie: politischer Gegner oder natürlicher Partner?
Darüber zerbreche ich mir einfach nicht den Kopf. Ich kann sagen, dass ich enttäuscht bin, dass sich meine langjährige Wegbegleiterin Katja Wolf, die Oberbürgermeisterin von Eisenach, entschlossen hat, zum BSW zu gehen. Das habe ich ihr auch gesagt, und darüber hat es ein mehrstündiges Gespräch gegeben, das ist geklärt zwischen uns. Aber wenn Sie von mir wissen wollen, wie ich mit den Umfrage-Ergebnissen umgehe, dann sage ich: Da steht doch eine stabile Mehrheit ins Haus.
Was ist denn für Sie der Unterschied zwischen der Linken und dem BSW in Thüringen?
Warum soll ich das denn erklären, ich gehöre doch dem BSW nicht an. Ich könnte viel über die Linke erzählen. Und im Unterschied zu anderen Parteien stellen wir in Thüringen den Ministerpräsidenten. Wir sind gerade angetreten, das auch in Zukunft zu tun.
Das heißt, der Hauptunterschied sind Sie?
Das haben Sie jetzt gesagt. Aber meine Sorge ist wirklich nicht das BSW. Meine Sorge heißt Björn Höcke. Meine Sorge heißt Faschismus. Da tritt eine Partei an, die gar keine Mehrheit im Landtag will. Das sagt die auch so. Dass sie nur ein Drittel der Mandate will, damit sie die ganze Bagage vor sich herjagen kann. Ganz gleich, welche Unterschiede es zwischen den demokratischen Parteien gibt – für die sind alle anderen nur Systemparteien. Die Frage ist deshalb nicht: Wie gehe ich mit dem BSW um? Die Frage ist: Wie gehen wir alle mit Herrn Höcke um?
Sie sind jetzt, ohne das gewollt zu haben, seit über drei Jahren Chef einer Minderheitsregierung. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätte es nach der Episode mit Herrn Kemmerich rasch Neuwahlen gegeben. Das ist an der CDU gescheitert. Sie wissen aber auch, dass es ohne die CDU keine stabile Regierung in Thüringen geben wird. Für wie glaubwürdig halten Sie die CDU?
Wir reden ja immer viel zu viel über die 30-Prozent-Partei. Und wir reden viel zu wenig über die anderen 70 Prozent. Und zu diesen 70 Prozent gehört genau diese Partei, die früher mal die Thüringen-Partei war, die Landtagswahlen allein gewonnen hat.
Sie sprechen von der CDU.
Ja. Die CDU hat sich seit Jahren nur noch mit sich selbst beschäftigt. Jetzt fabuliert sie über dritte Wahlgänge, obwohl sie in den entscheidenden Momenten keinen Kandidaten für die Ministerpräsidentenwahl aufgestellt hat. Und was die Glaubwürdigkeit der CDU anlangt: Da gibt es derzeit einen Chef, der sagt, er habe alles im Griff. Und dann erleben wir im Landtag eine Abstimmung über eine Verfassungsrichterin, die nicht gewählt werden konnte, weil er offenbar gar nichts im Griff hat.
Was heißt das für Sie?
Das heißt, dass es bei der CDU Klärungsbedarf gibt und die CDU sich positionieren muss. Dass sie der Linken immer ihre Vergangenheit vorhält und jetzt beim BSW sagt, die sind ja neu, da kann man noch nichts sagen –das klingt nach einem sehr schlechten Witz.
Aber Sie werden die CDU brauchen.
Ich brauche jedes dieser 70 Prozent. Aber die CDU muss sich selbst sortieren. Sie muss eine Entscheidung treffen, was sie eigentlich sein will. Wenn sie ein stabiler Faktor in Thüringen sein will, muss sie den Realitäten ins Auge schauen. Und die Realität ist ein Ministerpräsident, der Bodo Ramelow heißt und das Land seit zehn Jahren durch schwierigste Phasen geführt hat. Der im Bundesrat von allen Unionsministerpräsidenten zum Bundesratspräsidenten gewählt worden ist. Und dann zu sagen: Mit dem aber nicht, da werde ich emotional. Wer da immer die Gleichsetzung macht zwischen der Linken und der AfD, der dämonisiert die Linke und verharmlost die AfD.
Das bedeutet, die CDU muss den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken revidieren.
Von mir aus kann die CDU mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss machen, was sie will. Aber den Widerspruch, wie man mich mit diesem Unvereinbarkeitsbeschluss zum Bundesratspräsidenten machen konnte und mit mir früher im Bundestag in religionspolitischen Fragen immer alles einvernehmlich beschlossen hat, aber in Thüringen eine Zusammenarbeit mit der Linken zu verweigern, den muss die CDU selbst klären. Die CDU ist da im Kalten Krieg hängengeblieben. Da hat jemand offenbar nicht mitgekriegt, dass wir vor über 30 Jahren eine Maueröffnung hatten und danach ganz viel passiert ist. Wir haben doch ganz andere Sorgen als die Frage, ob in der Linken noch die alte SED drinsteckt.
Es gibt in der Thüringer Landesverfassung die Unschärfe mit dem dritten Wahlgang.
Nein, die gibt es nicht. Das ist verfassungsrechtlich geklärt.
Aber politisch könnte es dazu führen….
….wann hat es in Thüringen denn je das Problem eines dritten Wahlganges gegeben, bei dem die Frage von Nein-Stimmen eine Rolle gespielt hätte? Die CDU hätte einfach nur im dritten Wahlgang mit einem Kandidaten einsteigen müssen. Dann wäre uns viel erspart worden.
Aber Sie wissen doch, dass es um die Frage geht, ob Björn Höcke in einem dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte.
Fragen Sie doch bitte die CDU, ob sie schon jetzt beabsichtigt, im dritten Wahlgang gar keinen Kandidaten aufzustellen, denn nur dann gäbe es überhaupt die Möglichkeit von Nein-Stimmen. Wenn Sie allerdings mich heute fragen, ob ich im dritten Wahlgang antrete, sage ich Ja. So wie seit 2009 – bis heute. Ich stelle mich dieser Wahl und jammere nicht über angebliche „Unschärfen“.
Trauen Sie Mario Voigt zu, dass er sich im dritten Wahlgang mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lässt?
Das müssten Sie schon Herrn Voigt fragen. Der könnte es deutlich ausschließen und ich würde mich jedenfalls erst einmal freuen, wenn er aufhören würde, über den dritten Wahlgang zu lamentieren. Ein Problem mit dem dritten Wahlgang gibt es nur, wenn er nicht antritt.
Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Herrn Voigt?
Ausgesprochen entspannt.
Also der Gesprächsfaden ist intakt?
Der war immer intakt. Wir machen sogar zusammen Blutwurst. Das ist die Wurst, die am Anfang rot ist und beim Kochen schwarz wird.
Wann haben Sie das letzte Mal gemeinsam Blutwurst gemacht?
Das war am 12. Januar.
Ihr Verhältnis ist also nicht so eisig, wie das zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz zurzeit?
Das möchte ich nicht bewerten, weil ich dazu keine Kenntnisse habe. Ich weiß nur, dass ich mit Herrn Voigt heute Morgen telefoniert habe.
Haben Sie den Eindruck, dass Herr Voigt in Bezug auf die Unvereinbarkeit seine Meinung ändern könnte?
Am Ende muss Friedrich Merz entscheiden, wie er mit dem Szenario, das er aufgebaut hat, umgeht. Es gibt Ebenen, da ist eine Zusammenarbeit mit der CDU ganz normal. Im Bundesrat sitzt Thüringen neben Schleswig-Holstein. Ich treffe dabei regelmäßig Daniel Günther und auch Karin Prien. Wir haben auch schon eine gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt und ein Doppelinterview gegeben. Ich weiß nicht, warum das nicht Normalität im Alltag werden kann. Es sei denn, man braucht die Potemkinschen Dörfer aus vergangenen Zeiten, die Herr Merz aufrechterhält.
Glauben Sie Herr Voigt könnte selbst entscheiden, in Thüringen mit Ihnen zusammenzuarbeiten – oder braucht er die Zustimmung von Herrn Merz?
Ich bin kein Mitglied in der CDU, ich weiß es nicht. Ich weiß, dass ich von meiner Partei keine Zustimmung brauche. Es gab mal Zeiten, da hat Gregor Gysi gedacht, dass ich seine bräuchte, aber ich neige dazu, auch einen eigenen Kopf zu haben. Seit zehn Jahren führe ich mit diesem eigenen Kopf eine Regierung, auch in Situationen, die durchaus kompliziert sind. Ich habe in dieser Minderheitsregierung Entscheidungen treffen müssen, die nicht zu den schönsten meines Lebens gehören. In der Corona-Zeit habe ich auch selbst persönlich unter diesen Entscheidungen gelitten. Das gehört zur Verantwortung, wenn man Ministerpräsident ist. Da kann man sich nicht nur die Butterseiten aussuchen.
Würden Sie noch einmal in eine Minderheitsregierung gehen?
Ich persönlich habe null Bock auf eine Minderheitsregierung. Auch wenn sie wirklich verlässlich gearbeitet hat. Aber es hätte auch anders kommen können. Wir haben damals mit Mike Mohring und starker Unterstützung meines Vor-Vorgängers Dieter Althaus Verhandlungen für eine handlungsfähige Mehrheitsregierung geführt. Am Ende hat sich die CDU aber nicht getraut.
Wenn, wie die Umfragen im Moment nahelegen, eine stabile Regierung unter der Führung der CDU zustande käme – wären Sie dann auch bereit, als Minister in ein Kabinett einzutreten?
Ich habe wirklich keine Lust auf solche Spekulationen. Das werden die Wahlen zeigen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich in der Verantwortung stehe, dass eine Regierung zustande kommt, die handlungsfähig ist – und zwar eine Regierung, die niemals auf die Stimmen der AfD angewiesen sein wird. Deshalb sage ich, ich trete nicht gegen eine bestimmte Partei an, ich trete gegen die Verharmlosung des Faschismus an. Ich habe zwei Ziele: die AfD unter dreißig Prozent zu halten und die Linke auf Platz eins zu bekommen.
Das heißt, wenn eine stabile Regierung von Ihrer Person abhängt, dann stünden Sie auch als Minister zur Verfügung?
Ich habe gezeigt, dass ich in Krisensituationen bereit bin, weit über meinen Schatten oder über den Schatten meiner Partei zu springen, weil es, und ich betone das gerne noch mal, um die Demokratie geht und nicht um mich. Es geht nicht um meinen Stuhl, es geht nicht um meinen Platz. Ich habe einen Rentenausweis. Das ist unglaublich befreiend. Mein Leben kann auch anders aussehen. Was ich zurzeit tue, tue ich aus tiefer Überzeugung als Dienst für mein Land. Ich tue das nicht für meine Reputation oder die meiner Partei, sondern weil es jetzt getan werden muss.